Radubis - Nagib Machfus - E-Book

Radubis E-Book

Nagib Machfus

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Beschreibung

Die goldene Sandale, die ein Adler vor dem Pharao zu Boden fallen lässt, verwirrt ihn. Ob die Besitzerin so schön und elegant ist wie ihr Schuh? Die Sandale gehört keiner geringeren als der Kurtisane Radubis, deren weißer Palast auf einer Insel im Nil den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens bildet. Der Pharao beschließt, die Sandale höchstpersönlich zurückzubringen, und ahnt nicht, dass er damit sein eigenes Schicksal besiegelt. Denn während er und Radubis sich rücksichtslos ihren Leidenschaften hingeben, brodelt es im Volk, die Höflinge planen Intrigen und die Priester wollen den Machthunger des Pharao nicht länger hinnehmen.

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Seitenzahl: 363

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Über dieses Buch

Die goldene Sandale, die ein Adler vor dem Pharao zu Boden fallen lässt, verwirrt ihn. Ob die Besitzerin so schön und elegant ist wie ihr Schuh? Die Sandale gehört keiner geringeren als der Kurtisane Radubis. Der Pharao beschließt, die Sandale höchstpersönlich zurückzubringen.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Nagib Machfus (1911–2006) gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und gilt als der eigentliche »Vater des ägyptischen Romans«. Sein Lebenswerk umfasst mehr als vierzig Romane, Kurzgeschichten und Novellen. 1988 erhielt er als bisher einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur.

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Doris Kilias (1942–2008) arbeitete als Redakteurin beim arabischen Programm des Rundfunks Berlin (DDR). Nach der Promotion war sie als freie Übersetzerin tätig.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Nagib Machfus

Radubis

Roman

Aus dem Arabischen von Doris Kilias Mit einem Nachwort von Anthony Calderbank

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 6 Dokumente

Die Originalausgabe erschien 1943 unter dem Titel Radubis in Kairo.

Originaltitel: Radubis (1943)

© by Nagib Machfus 1943

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Nofretete (Ausschnitt), Tell el-Amarna, Ägypten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30586-1

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 30.10.2024, 12:21h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

RADUBIS

Das Fest des NilsDer goldene SchuhDer Palast von BigaTahuDer PharaoDie LiebeDer Schatten der LiebeBenamunChnumhotepNitukrisDer neue MinisterpräsidentDie zwei KöniginnenEin LichtblickDer BoteDer BriefTahu im Rausch des WahnsinnsDie Zeit des WartensDas TreffenDer RufHoffnung und GiftDer Pfeil des VolksDer AbschiedTahus EndeDas EndeNachwort

Mehr über dieses Buch

Über Nagib Machfus

Nagib Machfus: Das Leben als höchstes Gut

Nagib Machfus: Rede zur Verleihung des Nobelpreises 1988

Tahar Ben Jelloun: Der Nobelpreis hat Nagib Machfus nicht verändert

Erdmute Heller: Nagib Machfus: Vater des ägyptischen Romans

Gamal al-Ghitani: Hommage für Nagib Machfus

Hartmut Fähndrich: Die Beunruhigung des Nobelpreisträgers

Über Doris Kilias

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Das Fest des Nils

Vor langer, langer Zeit, vor mehr als viertausend Jahren, kündete im Monat Baschans die zarte Morgenröte vom Anbruch eines neuen Tags. Der Hohe Priester im Tempel des Gottes Sothis schaute mit müden Augen gen Himmel – eine lange, schlaflose Nacht lag hinter ihm.

Dennoch wandte er den Blick nicht ab, und siehe da, plötzlich ward es ihm vergönnt, den glückverheißenden Sirius im Zenit zu entdecken. Vor übergroßer Freude begann sein Gesicht zu strahlen, und sein Herz klopfte. Von heißem Dank erfüllt, warf er sich nieder auf den geweihten Boden des Tempels und verkündete mit lauter Stimme, dass das Bild des Gottes Sothis am Himmel erschienen sei. Es war das Zeichen für die frohe Botschaft, dass der heilige Nil über die Ufer treten würde.

Die kräftige, volltönende Stimme des Hohen Priesters riss die Menschen aus dem Schlaf. Sie sprangen freudig auf, schauten gen Himmel, und als ihre Augen den heiligen Sirius entdeckten, liefen sie aus den Häusern und stimmten dankbaren Herzens in den hymnischen Gesang des Hohen Priesters ein. Ein jeder wollte dabei sein, wenn sich die Wellen des Nils, Boten des Glücks und des Segens, über das Ufer wagten. Durch die Stille Ägyptens hallte der Ruf des Hohen Priesters bis nach Süden wider: »Lasst uns das Fest des heiligen Nils feiern!« Da packten die Menschen ihre Bündel und zogen, ob arm oder reich, von Theben, Memphis, Harmunat, Suth und Chamunu in Richtung der Hauptstadt. Wagen preschten durchs Tal, und Boote durchpflügten die Fluten des Nils.

Zu jener Zeit war Abu die Hauptstadt Ägyptens. Ihre hoch aufragenden Bauten standen auf Platten aus Granit, und wo sich ehemals Sanddünen erstreckten, lag alles dank der Zauberkraft des Nilschlamms in fruchtbarem Grün da. Akazien, Maulbeerbäume, Zwerg- und Dattelpalmen spendeten Schatten, und auf den Feldern wuchsen Bohnen, Mohrrüben, Rettich, Rauke und Klee. Es gab Weingärten und Weideflächen, die von Kanälen bewässert wurden. Der Duft der Blumen erfüllte die reine Luft, und der Gesang der Nachtigallen stand in schönster Harmonie zum Jubilieren der Vogelscharen.

Nur noch wenige Tage, und die Stadt würde ebenso wie die beiden Inseln Biga und Bilak wegen der vielen Besucher überquellen. Die Häuser beherbergten so viele Gäste, wie es nur irgend ging, und auf den Plätzen drängten sich dicht an dicht die Zelte. In den Straßen gäbe es ein stetes Kommen und Gehen, und wo immer sich ein freies Plätzchen fände, führten Zauberer, Sänger und Tänzer ihre Kunst vor. Auf den Märkten ginge es hoch her, und die Häuser schmückten sich mit Fahnen und Ölzweigen. Die Menschen bestaunten die prächtigen Uniformen und langen Schwerter der königlichen Wache, die auf der Insel Bilak ihr Quartier hatte. Mengen von Gläubigen eilten mit Weih- und Opfergaben zum Tempel des Sothis und zum Nil, und in die hymnischen Gesänge mischte sich das Geschrei der Trunkenbolde. Überschäumende, ja zügellose Freude vertrieb den Ernst und die Würde, die der Hauptstadt Abu für gewöhnlich zu Eigen waren.

Endlich war der Tag des Fests gekommen. Für alle gab es nur ein Ziel: die lange Straße, die vom Palast des Pharaos zu dem Hügel führte, auf dem der Nil-Tempel stand. Die Luft heizte sich vom keuchenden Atem der Menschen auf, und der Boden hatte an der Last schwer zu tragen. Wer in dem Getümmel nicht vorankam, eilte ans Ufer, um sich mit einem Boot zum Hügel bringen zu lassen. Schon umkreisten die ersten Ankömmlinge den Hügel. Sie stimmten, begleitet von Flöten und Leiern, Gesänge zum Lob des Nils an oder tanzten im Rhythmus der Tamburine.

Soldaten mit funkelnden Lanzen säumten die Straße. In regelmäßigen Abständen waren lebensgroße Statuen von den Königen der sechsten Dynastie aufgestellt, die Vorväter des jetzigen Pharaos. Wer nah genug herankam, konnte sie alle sehen: Usarkara, Teti der Erste, Pepi der Erste, Muchtasawif der Erste und Pepi der Zweite.

Das brausende Stimmengewirr glich dem Tosen eines Meers, und so wie man beim Lärm des Meers den Aufschlag einer einzelnen Welle nicht ausmachen kann, war es auch hier schier unmöglich, einzelne Stimmen herauszuhören. Bisweilen aber vereinten sie sich, sodass sie das Getöse mit dem Ruf übertönten: »Lob und Preis sei Gott Sothis, der uns Gutes verkündet!« Oder sie riefen: »Gepriesen sei der heilige Nil, der unserem Boden Fruchtbarkeit und Leben beschert!« Aber gelegentlich ertönten auch Rufe, die, um der Ausgelassenheit und des Vergessens willen, nach Marjut-Wein und Abu-Met verlangten.

In all dem Wirrwarr fiel eine Gruppe von Menschen auf, die in ein ernsthaftes Gespräch vertieft war. Den Gesichtern war anzusehen, dass sie von nobler Gesinnung waren und in Wohlstand lebten. Einer von ihnen zog nachdenklich und ein wenig verwundert die Augenbrauen in die Höhe und sagte: »Wie viele Pharaonen haben nicht schon an diesem großen Tag auf die Masse des Volks geschaut. Doch sie sind alle dahingegangen, gerade so, als hätten sie nie die Blicke der Menschen auf sich gezogen und ihre Herzen mit Liebe erfüllt.«

»Ja, sie sind gegangen, wie auch wir alle gehen müssen, doch nun herrschen sie über eine Welt, die erhabener ist als diese. Nehmt nur einmal als Beispiel mein Amt, wie viele Menschen aus künftigen Generationen werden es noch besetzen? Und sie alle werden damit die gleichen Hoffnungen verknüpfen, die auch uns erfüllen. Wir wissen, dass es diese Menschen geben wird, wir reden über sie, aber wird auch nur einer von ihnen unsere Namen erwähnen?«

»Wir haben mehr verdient, als lediglich erwähnt zu werden … wenn es bloß den Tod nicht gäbe.«

»Wie stellst du dir das vor? Meinst du, das Niltal hätte Platz genug für alle, die gegangen sind und noch gehen werden? Nein, der Tod gehört zum Leben. Wozu nach Ewigkeit trachten? So wie wir essen, wenn wir hungrig sind, folgt auf die Jugend das Alter und auf Freuden Trübsal.«

»Aber wie mag das Leben im Reich von Osiris aussehen?«

»Warts ab, du wirst es früh genug erfahren.«

Einer der Männer sagte stolz: »Das ist das erste Mal, dass Gott mir die Gnade gewährt, den Pharao sehen zu dürfen.«

»Ich habe ihn schon einmal gesehen«, meinte ein anderer Mann. »Vor ein paar Monaten, genau hier, als die feierliche Zeremonie der Krönung stattfand.«

»Schaut euch nur einmal die Statuen seiner ruhmreichen Vorfahren an!«

»Er ähnelt seinem Großvater, Muchtasawif dem Ersten.«

»Was für ein schöner Mann!«

»O ja, er sieht prächtig aus, so rank und schlank, wie er gewachsen ist.«

»Was wird er uns wohl als Erbe hinterlassen? Tempel und Obelisken oder Eroberungen im Norden und im Süden?«

»Wenn mich meine Vermutung nicht täuscht, wird es wohl Letzteres sein.«

»Wieso?«

»Weil er Mut zeigt und tapfer ist.«

Einer der Männer wiegte zweifelnd den Kopf. »Er war schon früher recht eigensinnig, und auch jetzt als König lässt er sich von seinen Vorlieben treiben. Er ist verliebt in die Liebe und neigt zu Verschwendung und einem luxuriösen Leben. Wenn es um seine Interessen geht, fegt er wie ein wütender Sturm alles, was ihn stört, aus dem Weg.«

Ein Mann kicherte und sagte leise: »Was ist daran so verwunderlich? Die meisten Ägypter sind versessen auf die Liebe, und wenn sie nur könnten, würden sie gern einem verschwenderischen Leben frönen. Warum sollte der Pharao anders sein?«

»Pst, still! Du hast ja keine Ahnung, wovon du redest. Weißt du nicht, dass er seit dem ersten Tag seiner Herrschaft mit der Priesterschaft im Streit liegt? Er will vom Ertrag der Tempelliegenschaften Paläste bauen und Gärten anlegen, aber die Priester verlangen den vollen Anteil, der den Göttern und Tempeln zusteht. Seine Vorfahren haben der Priesterschaft zu Ansehen und Reichtum verholfen, und nun kommt so ein junger Bursche und neidet ihnen das.«

»Nun ja, dass der König seine Herrschaft mit einem Streit beginnt, ist wirklich sehr bedauerlich.«

»Genau, und vergiss nicht, dass der Ministerpräsident und Hohe Priester Chnumhotep ein unnachgiebiger Mann mit einem eisernen Willen ist. Und dann ist da noch der Hohe Priester von Memphis, der glorreichen Stadt, deren Stern unter der jetzt herrschenden Familie zu sinken beginnt.«

Angesichts dieser beunruhigenden Nachrichten, die er zum ersten Mal vernahm, schaute der Mann erschrocken seine Gefährten an. »Wenn es so ist, lasst uns die Götter bitten, den Mächtigen Geduld und Weisheit zu schenken und sie zu befähigen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.«

»So geschehe es«, seufzten alle aus tiefstem Herzen.

Ein Mann in der Menge, der angestrengt in Richtung des Nils schaute, stieß plötzlich seinen Nachbarn mit dem Ellbogen an und sagte: »Siehst du das Boot, das von der Insel Biga kommt? Es strahlt und funkelt wie die Sonne, wenn sie im Osten aufgeht.«

Sein Freund reckte den Hals. Es war wirklich ein prächtiges Boot, nicht besonders groß, aber auch nicht gerade klein. Es war mit einem grünen Anstrich versehen, sodass es fast schien, als treibe eine grüne Insel auf das Ufer zu. Die offene Kajüte war ungewöhnlich hoch, aber das Boot war noch zu weit entfernt, um erkennen zu können, wer sich darin befand. Am Mast blähte der Wind ein riesiges Segel, und die Ruder, gehalten von unzähligen Händen, tauchten mit ruhiger Gleichmäßigkeit ins Wasser ein.

»Vielleicht gehört es einem reichen Mann aus Biga«, sagte der Mann, ohne den Blick von dem prächtigen Boot zu lösen.

Ein Mann, der neben ihnen stand und ihr Gespräch gehört hatte, schaute sie ein wenig belustigt an. »Wie mir scheint, sind die Herren hier zu Gast?«

Die beiden lachten. »So ist es, wir kommen aus Theben und gehören zu den Tausenden, die, kaum dass der Ruf zum großen Fest erscholl, aus allen Provinzen in die Hauptstadt geeilt kamen. Gehört das Boot einem eurer Mächtigen?«

Der Mann lächelte verschwörerisch und hob warnend die Hand. »Macht euch auf etwas gefasst, werte Gäste. Dieses Boot gehört nicht einem reichen Mann, sondern einer Frau, genauer gesagt: einer wunderschönen Dame, die in Abu und auf den Inseln Biga und Bilak bestens bekannt ist.«

»Und wie heißt die Schöne?«

»Radubis. Radubis die Verführerin, die Königin aller Herzen.« Er wies in Richtung der Insel Biga. »Sie lebt dort in einem herrlichen, weißen Palast. Dorthin treibt es ihre Bewunderer und Liebhaber, die alle nur ein Ziel haben – derjenige zu sein, der in ihrer Gunst ganz oben steht und ihr Erbarmen findet. Falls ihr das Glück habt, einen Blick auf sie zu werfen, kann ich euch nur wünschen, dass die Götter eure Herzen vor Kummer und Schmerz bewahren.«

Je näher das Boot dem Ufer kam, desto gebannter starrten die zwei Männer und viele andere ihm entgegen. Die Barken und Fischerboote, die am Ufer trieben, machten eilends Platz. Aber mit jedem Meter, den das Boot zurücklegte, verschwand es ganz allmählich hinter dem Hügel, auf dem der Nil-Tempel stand. Zuerst geriet der Bug außer Sicht, dann die Kajüte, und als es am Hafen festmachte, waren nur noch der Mast und der oberste Teil des Segels zu sehen. Es flatterte im Wind, als wäre es die Fahne der Liebe, die Herz und Seele Schatten spendet.

Nicht lange, und vier Nubier schritten entlang des Ufers und bahnten einen Weg durch die Masse der Menschen. Ihnen folgten vier weitere Männer, die eine Sänfte auf den Schultern trugen. Die Sänfte war so prunkvoll, dass man hätte meinen können, sie gehörte einem Prinzen oder einer anderen hoch gestellten Persönlichkeit. Aber es saß eine junge Frau darin. Zurückgelehnt in weiche Polster, stützte sie den linken Arm auf ein Kissen. In der rechten Hand hielt sie einen Fächer aus Straußenfedern. Träumerisch, auch ein wenig unnahbar schaute sie in die Ferne, mit einem Blick, der jedes Lebewesen bis ins Mark traf.

Alle Augen waren auf die kleine Prozession gerichtet, die nur langsam vorankam. Schließlich hatte sie die erste Reihe der Zuschauer erreicht. Die junge Frau beugte sich ein wenig vor und reckte den Hals. Er war schön wie der einer Gazelle, und ihre rosigen Lippen schienen etwas zu flüstern; nur allzu gern hätte jeder ihre Stimme gehört. Auf einmal blieben die Sklaven stehen. Sie rührten sich nicht von der Stelle, ganz so als wären sie bronzene Statuen. Die Frau lehnte sich zurück und schaute wieder gedankenverloren in die Ferne. Offenbar wartete auch sie auf die Prozession des Pharaos.

Wer das Glück hatte, in ihrer Nähe zu stehen, konnte ihr tiefschwarzes Haar sehen, das mit glänzenden Seidenfäden geschmückt war. Es fiel ihr bis auf die Schultern und umrahmte ihr rundes Gesicht wie der nächtliche Strahlenkranz den Mond. Die Wangen – frische Rosen, die zarten Lippen – leuchtende Nelken, die Zähne – weiße Jasminblüten. In den schwarzen, etwas schläfrig wirkenden Augen lag ein Blick, der von der Liebe alles zu wissen versprach. Nie zuvor hatte die Schöpfung ein solches Gesicht hervorgebracht, nie zuvor hatte sich die Schönheit dazu entschieden, auf immer und ewig in einem einzigen Gesicht heimisch zu werden.

Der Anblick verschlug jedem Mann den Atem, ließ selbst die ermatteten Herzen der Alten heftiger schlagen. Heiße, begehrliche Blicke trafen die Frau, die, wären sie auf einen Feuerstein gefallen, Funken geschlagen hätten. Die Frauen hingegen starrten sie hasserfüllt oder auch neidisch an, und durch die Reihen ging ein Wispern und Flüstern.

»Was für eine Verführerin!«

»Radubis, die Herrin der Insel.«

»So viel Schönheit kann keiner widerstehen.«

»Wer sie sieht, ist verloren.«

»Recht hast du, denn kaum hatte ich sie gesehen, erfasste mich eine unstillbare Sehnsucht. Eine dunkle Macht setzte mir zu, und ich geriet in unbändige Erregung. Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich mich niedergeschlagen und unendlich beschämt.«

»Das ist ja das Schlimme, aber trotzdem kann ich nicht anders, als diese Frau geradezu anzubeten.«

»Sie ist das Böse in Person.«

»Genau, und wir wären viel zu schwach, um mit so viel Schönheit zu leben.«

»Ihre Liebhaber können einem leidtun.«

»Weißt du nicht, dass sie aus den erlesensten Kreisen des Reichs kommen?«

»Wirklich?«

»Aber ja doch, für Männer aus solchen Kreisen scheint es geradezu eine Verpflichtung zu sein, diese Frau zu lieben … als wäre es ein Dienst am Land.«

»Ihren weißen Palast hat der berühmte Architekt Hani gebaut.«

»Und Ani, der Gouverneur der Insel Biga, hat den Palast mit Kunstschätzen aus Memphis und Theben ausgestattet.«

»Ist ja unglaublich!«

»Nicht zu vergessen, dass die Skulpturen und die verzierten Wände vom besten Bildhauer, nämlich Hanfar, stammen.«

»Genau, und der Heerführer Tahu, der die Palastgarde befehligt, hat ihr einige seiner kostbarsten Kunstgegenstände vermacht.«

»Wenn all diese Männer um ihre Gunst eifern, wer ist dann der Glückliche, den sie sich auserwählen wird?«

»Kaum vorstellbar, dass es in dieser elenden Stadt einen Glücklichen gibt.«

»Ich glaube nicht, dass diese Frau überhaupt jemanden liebt.«

»Wer weiß, vielleicht wird sie sich in einen Sklaven oder in ein Tier verlieben.«

»Ach was, mit ihrer Schönheit zwingt sie alle in die Knie, wozu braucht sie dann noch Liebe?«

»Man muss nur ihren hochmütigen, strengen Blick sehen, dann weiß man, dass diese Frau noch nie geliebt hat.«

Eine Frau, die sich bislang zurückgehalten hatte, konnte ihren Abscheu nicht länger unterdrücken. »Was ist die schon? Eine Hure, mehr nicht«, erklärte sie voller Hass. »Aufgewachsen in einem Sumpf von Verderbtheit, hat sie sich seit ihrer Kindheit der Schamlosigkeit und Verführung hingegeben. Sie versteht sich meisterhaft auf die Kunst des Schminkens, deshalb sieht sie so gut aus. Das ist alles Lug und Trug.«

An dieser Stelle mischte sich einer der umstehenden Männer ein. »Wie könnt Ihr so etwas sagen, gute Frau? Wisst Ihr nicht, dass die Götter dieser Dame weitaus mehr als Schönheit geschenkt haben? Dass Gott Thut nicht gegeizt hat, als er sie mit dem Licht der Weisheit bedachte?«

»Hör sich das einer an, die und Weisheit! Sie tut doch den lieben langen Tag lang nichts anderes, als Männer zu verführen.«

»O nein, jeden Abend empfängt sie in ihrem Palast eine auserlesene Schar von Politikern, Denkern und Künstlern. Da ist es kein Wunder, dass sie sich besser als viele andere in Staatskunst und Philosophie auskennt und einen vorzüglichen Kunstgeschmack hat.«

»Wie alt ist sie eigentlich?«, fragte jemand.

»Die Leute sagen, so an die dreißig.«

»Das kann nicht sein, sie ist höchstens fünfundzwanzig.«

»Soll sie so alt sein, wie sie will, ihre Schönheit wird nie vergehen.«

»Woher kommt sie denn? Aus welcher Familie?«

»Das wissen nur die Götter. Mir kommt es vor, als hätte sie schon immer in ihrem weißen Palast auf der Insel gelebt.«

Durch die Reihen der gedrängt stehenden Menschen schob sich plötzlich eine Frau, die höchst seltsam aussah. Ihr Rücken war tief gebeugt und krumm, und sie stützte sich beim Gehen auf einen derben Stock. Sie hatte weißes, zotteliges Haar, und hob sie den Kopf, sah man die gebogene Nase und lange, gelbe Zähne. Unter den grauen, buschigen Brauen schauten ihre Augen so stechend drein, dass man es mit der Angst zu tun bekam. Sie trug ein langes Gewand, das in der Mitte von einem leinernen Gurt zusammengehalten wurde.

Jemand schrie: »Das ist Dam! Die Zauberin Dam!«

Sie scherte sich nicht darum, sondern ging auf ihren dürren Beinen einfach weiter.

Es hieß, und sie trug zu diesem Gerücht mutwillig bei, dass sie das Verborgene sehen und in die Zukunft schauen könne. Für ein Silberstück sei sie bereit, eine Probe ihrer Zauberkunst abzulegen. Die Leute fürchteten sich vor ihr, aber es gab auch etliche, die sich über sie lustig machten. Sie hielt einen jungen Mann an und fragte, ob sie ihm seine Zukunft voraussagen solle. Er hatte nichts dagegen, vielleicht war er auch nur zu betrunken, um Nein zu sagen. Er konnte sich kaum auf den Füßen halten. Nachdem er ihr ein Silberstück in die Hand gedrückt hatte, fragte sie mit rauer Stimme: »Wie alt bist du, Bursche?«

»Zwölf Becher alt«, lallte er.

Die Umstehenden lachten los, aber die Alte wurde wütend. Sie warf ihm das Silberstück vor die Füße und drehte sich um. Einer, der besonders laut gelacht hatte, stellte sich ihr in den Weg. Mit dreistem Spott fragte er: »Was erwartet denn mich, gute Frau?«

Sie starrte ihn eine ganze Weile lang an, dann sagte sie: »Kannst dich freuen, deine Frau wird dich zum dritten Mal betrügen.«

Die Leute brachen in Gelächter aus und klatschten vor Vergnügen. Der Mann zog sich verlegen zurück; der Pfeil, mit dem er hatte treffen wollen, hatte ihn selbst zum Ziel genommen. Die Zauberin ging weiter, bis sie die Sänfte erreicht hatte. Hoffend auf eine großzügige Gabe, blieb sie stehen, und verschlagen lächelnd fragte sie: »Ihr seid ja wirklich gut bewacht, Verehrteste. Soll ich sagen, was Euch die Sterne beschieden haben?«

Doch die Schöne tat, als hätte sie nichts gehört, und rührte sich nicht.

»Herrin!«

Ein kurzer, unangenehm berührter Blick, und gleich darauf hob Radubis den Kopf und sah über die Alte hinweg.

»Dann lasst mich wenigstens sagen, Teuerste, dass dieser Tag für niemanden hier so wichtig ist wie für Euch.«

Einer der Sklaven trat an sie heran und schob sie von der Sänfte weg. So unerheblich der Vorfall auch sein mochte, erregte er doch die Neugier der Umstehenden. Schon wollten sie sich näher an die Sänfte drängen, da ertönte der helle Klang einer Trompete. Die Menschen blieben stehen, und die Soldaten, die die Straße säumten, setzten ihre Trompeten an und bliesen einen lang anhaltenden Ton. Da wussten alle, dass die Prozession des Pharaos im Begriff war, den Palast zu verlassen und sich auf den Weg zum Nil-Tempel zu machen. Im Nu vergaß jeder, was ihn gerade noch beschäftigt hatte. Die Leute reckten die Hälse, spitzten die Ohren und starrten in Richtung Straße.

Es verging einige Zeit, bis schließlich Militärmusik zu hören war und die ersten Truppenverbände auftauchten. Zuerst konnte man die Standarte des Wachregiments von Bilak sehen, die mit dem Symbol eines Falken geschmückt war. Ihr folgten die Offiziere und Soldaten mit den unterschiedlichen Waffen. Beifall und Hochrufe erfüllten die Luft, doch der Lärm ebbte ab, als sich die Fußtruppen mit ihrer Musik und ihrer Standarte, die das Bild von Gott Horus zeigte, ankündigten. Die Soldaten hielten die Lanzen mit einer solchen Exaktheit aufrecht, dass die Spitzen auf der ganzen Länge und Breite parallele Linien ergaben.

Es folgte die Truppe der Schützen, die mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren. Ihre Standarte trug das Symbol des königlichen Krummstabs. Da sie die größte Truppe war, nahm der Vorbeimarsch etliche Zeit in Anspruch. Schon konnte man aus der Ferne das Wiehern von Pferden und das Rattern von Rädern hören – in Zehnerreihen rollten die Streitwagen heran. Von jeweils zwei edlen Pferden gezogen, waren sie mit zwei Soldaten besetzt – dem Wagenführer, der mit Schwert und Wurfspieß ausgerüstet war, und dem Schützen, der, mit einem Schild versehen, in einer Hand den Bogen und in der anderen Hand Pfeile und Köcher hielt. Jeder Wagen hielt seine Position so genau ein, dass man glaubte, ein Gemälde vor sich zu haben. Ihr Anblick erinnerte die Menschen an die Eroberungszüge in Nubien und Sinai. Man beschwor das Bild herauf, wie die Streitwagen über die Ebenen und durch die Täler donnerten und gleich niederstürzenden Adlern unversehens vor dem Feind auftauchten, der, den sicheren Tod vor Augen, die Flucht antrat. Die Begeisterung loderte in den Menschen, und ihre Hochrufe zerrissen den Himmel.

Endlich war es dann so weit – die erhabene Prozession der königlichen Familie rückte heran. Angeführt wurde sie vom Wagen des Pharaos, danach folgten in Fünferreihen die Wagen der Prinzen, Minister, Hohen Priester, Obersten Richter, Heerführer und Provinzgouverneure. Den Schluss bildete die Leibgarde unter ihrem Führer Tahu.

Der Pharao stand aufrecht wie eine Statue aus Granit, und seine ehrwürdige Miene verstärkte noch diesen Eindruck. Den Blick hielt er starr in die Ferne gerichtet, als gäbe es all diese jubelnden Menschen nicht. Auf dem Kopf trug er die Doppelkrone Ägyptens, und in einer Hand hielt er die königliche Geißel, in der anderen Hand den Krummstab. Über seinem hoheitlichen Gewand trug er zu Ehren des heiligen Fests eine Schärpe aus Leopardenfell.

Alle Herzen waren von Glück erfüllt, und vor Begeisterung schrien die Menschen so laut, dass die am Himmel kreisenden Vögel vor Schreck davonflogen. Auch Radubis ließ sich von der Stimmung anstecken, plötzlich regten sich all ihre Lebensgeister. Sie klatschte heftig, und ihr Gesicht strahlte vor Freude.

Doch halt, was war das? Auf einmal übertönte ein Ruf alle anderen. Jemand schrie: »Lang lebe Seine Hoheit Chnumhotep!« Als noch etliche andere Stimmen den Ruf wiederholten, kam in der Menschenmenge Unruhe auf, und der Lärm stieg tumultartig an. Die Leute reckten die Hälse, um den unverschämten Kerl zu entdecken, der es wagte, in Hörweite des jungen Pharaos den Ministerpräsidenten hochleben zu lassen. Dass er dabei von anderen Männern unterstützt wurde, machte diesen Vorfall noch unerhörter.

Aus dem Gefolge des Königs schien niemand dieses peinliche Vorkommnis zur Kenntnis zu nehmen, jedenfalls gab es keine sichtbare Wirkung. Die Prozession setzte ihren Weg fort, bis sie den Tempelhügel erreichte. Die Kolonne hielt an, und an den Wagen des Pharaos traten zwei Prinzen heran und legten ein Kissen mit Goldborte nieder, das mit Straußenfedern gefüllt war. Der König setzte seine Füße darauf und blies in ein Horn, worauf die Soldaten Haltung annahmen und grüßten. Im gleichen Moment begannen die Musiker der königlichen Garde die Hymne des heiligen Nils zu spielen. Hoheitsvoll und gemessen stieg der Pharao die Stufen zum Hügel hinauf, gefolgt von den Würdenträgern seines Hofs.

Am Tor des gewaltigen Tempels hatten sich die Priester in Erwartung des Pharaos auf den Boden geworfen. Als der Oberste Kammerherr Sufchatep die Ankunft des Königs verkündete, erhob sich der Oberste Priester. Er verdeckte seine Augen mit den Händen, verbeugte sich und sprach mit feierlicher Stimme: »Es ist dem Diener des Gottes des heiligen Nils eine Ehre, unserem Gebieter, dem Herrscher von Ober- und Unterägypten, dem Sohn des Ra und Herrn der Erleuchteten in demütiger Verehrung und aufrichtiger Ergebenheit seinen Gruß zu erweisen.«

Der Pharao hielt ihm den Krummstab hin, und der Hohe Priester küsste ihn ehrfürchtig. Daraufhin erhoben sich auch die anderen Priester und bildeten ein Spalier. Der König schritt seinem Gefolge voraus zum Altar im Tempelhof, den hoch aufragende Säulen begrenzten. Die Prozession umkreiste den Altar, während die Priester Weihrauch verbrannten. Der Duft zog durch den Tempel und schwebte über den demutsvoll gesenkten Häuptern. Einige Kammerherren brachten das Opfertier, einen Stier, und legten ihn auf den Altar. Im gleichen Augenblick begann der Pharao die rituellen Worte zu sprechen: »Rein und geläutert bin ich vor Dir, geheiligter Gott, erschienen und reiche Dir diese Opfergabe, um Dich geneigt zu stimmen, der Erde dieses Tals und seinen gläubigen Menschen Gutes zu bringen.«

Die Priester schauten gen Himmel. Sie breiteten die Hände aus und wiederholten inbrünstig und mit kräftiger Stimme das Gebet. Auch alle anderen, die sich im Tempel befanden, stimmten ein, und so drang die Fürbitte nach draußen, wo ein jeglicher eilends die Worte aufnahm. Da war keine Zunge, die den heiligen Nil nicht um Heil und Segen angefleht hätte. Als das Gebet gesprochen war, schritt der Pharao in Begleitung des Hohen Priesters in die große Halle, die von Säulen in drei gleichlaufende Gewölbe unterteilt wurde. Die Würdenträger stellten sich in zwei Reihen um den Pharao und den Gottesdiener auf, und alle stimmten mit bebender Stimme und bewegtem Herzen die Hymne des heiligen Nils an. Das dumpfe Echo ihrer Stimmen erfüllte den düsteren, ehrwürdigen Ort.

Der Gesang war beendet. Der Hohe Priester stieg die Stufen zum Saal der Ewigkeit hinauf, und als er vor dem Heiligsten alles Heiligen stand, zog er den geweihten Schlüssel hervor und schloss die schwere Tür auf. Dann wich er zurück und warf sich nieder, um zu beten. Der König trat ein und schloss hinter sich die Tür. Es war ein großer, finsterer Raum mit hoher Decke, in dessen Mitte, verborgen hinter einem Vorhang, sich die Statue des göttlichen Nils auf der Heiligen Barke erhob. In der Nähe standen kleine Tische aus purem Gold. Der feierliche Ernst des Raums durchdrang den König und raubte seinen Sinnen die Schärfe der Wahrnehmungskraft. Voller Ehrfurcht trat er an den Vorhang, zog ihn zur Seite und tat, was er sonst nie tat – er verneigte sich, kniete nieder und küsste den Fuß der Statue. Sein Gesicht war noch immer von der Würde seines hohen Amts geprägt, aber aller weltlicher Stolz war gewichen. Gottesfurcht und Demut ließen es blass aussehen. Selbstvergessen vertiefte sich der Pharao ins Gebet. Als es beendet war, küsste er ein zweites Mal den Fuß der Statue. Er erhob sich, zog den Vorhang zu und schritt rückwärts zur Tür. Im Saal angekommen, atmete er kräftig durch und schloss die Tür.

Sein Gefolge begrüßte ihn mit Fürbitten und folgte ihm in den Tempelhof. Als die Prozession den Tempel verlassen hatte und sich am Abhang des Hügels zeigte, brachten die Menschen, die sich auf den Booten drängten, Hochrufe aus und winkten mit Fahnen und Zweigen. Der Hohe Priester trat vor, um die traditionelle Rede zu halten. »Gegrüßet seist Du, heiliger Nil, der Du mit Deinen Fluten dem Tal Leben und Glück bescherst. Über Monate hinweg schlummerst Du tief und fest, doch hörst Du die flehentlichen Rufe Deiner Diener, erbarmt sich ihrer Dein großmütiges Herz und Du erwachst. Aus der Dunkelheit dringst Du ans Licht und ergießt Dich ins Tal, auf dass die Erde mit Leben erfüllt wird. Die Pflanzen sprießen, die Wüste bedeckt sich mit einem seidenen Teppich, die Felder und Gärten blühen, die Vögel singen, und die Herzen der Menschen jubilieren vor Freude. Denn nun erhält ein jeder, worauf er hoffte – wer nackt ist, kann seine Blöße bedecken, wer hungert, findet Nahrung, wer Durst hat, kann ihn stillen, wer eine Frau begehrt, findet sie. Ruhm und Glück sind Ägypten beschert, so sei uns gepriesen – Du ruhmreicher Nil, sei uns gepriesen.«

Zu den Klängen von Leiern, Schalmeien und Flöten und im Takt der Tamburine stimmten die Priester die Hymne des heiligen Nils an. Als die herzergreifende Musik sich in den Weiten des Himmels verlor, trat Prinz Nai an den Pharao heran und übergab ihm eine versiegelte Papyrusrolle, in der das Gebet an den heiligen Nil geschrieben stand. Der König drückte sie an die Stirn, bevor er sie dem Nil übergab. Die wogenden Wellen trugen sie nach Norden.

Der Pharao schritt die Stufen hinunter und stieg auf seinen Wagen. Im gleichen Moment setzte sich die Prozession in Bewegung, um zum Palast zurückzukehren. Tausende von Herzen schlugen beim Anblick dieses prächtigen Schauspiels höher, und ein Freudentaumel erfasste die Menschen.

Der goldene Schuh

Bis zur Ankunft im Palast hatte sich der König würdevoll und gelassen gezeigt, doch kaum zog er sich in seine Gemächer zurück, stieg ihm die Zornesröte ins Gesicht, und die Halsadern schwollen ihm an. Die Sklavinnen, die ihm beim Ablegen der Gewänder halfen, bekamen es mit der Angst zu tun; sie wussten, wie unberechenbar der König war und dass er jeden, der ihn in Wut versetzte, hart bestrafte.

O ja, er würde den unverschämten Kerl herausfinden, der es gewagt hatte, in Anwesenheit des Königs den Ministerpräsidenten hochleben zu lassen. In seinen Ohren gellte noch immer der Ruf, den er als einen eindeutigen Angriff auf seine Person empfand. Ein solches Vergehen musste gesühnt werden.

In einer Stunde sollte er die Gouverneure und Hohen Priester empfangen, die aus Anlass des Fests des Nils aus allen Teilen des Landes gekommen waren. Aber er war viel zu aufgebracht, um in Ruhe warten zu können. Er brauchte jemanden zum Sprechen, musste seinen Zorn austoben. Er stürzte hinüber zum Flügel der Königin und stürmte in ihr Empfangsgemach. Sie saß im Kreis ihrer Zofen und plauderte angeregt. Kaum sahen die Sklavinnen das wütende Gesicht des Königs, sprangen sie erschrocken auf, verneigten sich vor dem Königspaar und eilten hinaus. Die Königin bedachte ihren Gatten mit einem freundlichen Blick, bevor sie sich erhob und an ihn herantrat. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, küsste ihn auf die Schulter und fragte: »Hat Euch etwas erzürnt, mein Gebieter?«

»Das ist ja wohl nicht zu übersehen, Nitukris.«

Die Königin kannte ihn gut, deshalb wusste sie, dass sie zuallererst versuchen musste, ihn ein wenig zu beruhigen. Sie lächelte beschwichtigend und sagte: »Güte ist dem König angemessener als Zorn, mein Gebieter.«

Er zuckte verächtlich mit den Schultern. »Du rätst mir zur Güte? Dahinter verstecken sich bloß die Schwachen.«

»Ach, mein Gebieter«, seufzte sie schmerzlich berührt, »warum schreckt Euch eine solche Tugend?«

»Was nützt es mir, der Pharao zu sein? Kann ich etwa meine Jugend und meine Macht genießen, wie ich es möchte? Warum kann ich nicht tun und lassen, wonach mir der Sinn steht? Wieso können irgendwelche Untertanen daherkommen und mir erklären, dass mir keineswegs alles gehört?«

Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und wollte ihn dazu bringen, sich zu setzen. Aber er entzog sich ihrem Griff und ging stattdessen wütend auf und ab.

Mit kummervoller Stimme bat sie: »Versucht, die Dinge einmal ganz anders zu sehen. Sagt Euch, dass die Priester Euch treu ergeben sind. Unsere Vorfahren haben der Priesterschaft die Tempelliegenschaften übereignet, sie sind nun ihr rechtmäßiger Besitz. Ihr aber, mein Gebieter, wollt Euch diesen Boden zurückholen, also ist es nur zu natürlich, dass Ihr damit für Unruhe sorgt.«

»Ich will Paläste und Grabstätten bauen«, fuhr er sie heftig an. »Ich will das Glück, das das Leben zu bieten hat, genießen und mich mit Prunk und Pracht umgeben. Ich werde es nicht zulassen, dass die Hälfte des Bodens in meinem Reich dieser Priesterschaft gehört. Sollen meine Wünsche genauso unerreichbar sein wie die eines jeden beliebigen Habenichts? Was scheren mich irgendwelche sinnlose Weisheiten? Weißt du, was heute passiert ist? Als ich in der Prozession schritt, hat ein Lump in der Menge Chnumhotep hochleben lassen, und andere haben eingestimmt. Da siehst du, wie weit es gekommen ist – sie wagen es, dem Pharao in aller Öffentlichkeit die Stirn zu bieten!«

Die Königin wurde blass; verstört murmelte sie etwas vor sich hin.

»Hast du etwas gesagt, Teuerste?«, fragte der König mit nicht zu überhörendem Spott.

Sie war sichtlich ungehalten, ja empört, aber da sie wusste, wie schrecklich der König in seinem Zorn war, bemühte sie sich mit aller Kraft, Haltung zu bewahren. »Lasst uns darüber ein andermal reden. Ihr müsst gleich die Würdenträger aus den Provinzen empfangen, in Gegenwart von Chnumhotep. Ihr solltet mit der gewohnten Erhabenheit auftreten.«

Er schaute sie warnend an, und mit unheilschwangerer Stimme erklärte er: »Ich weiß, was ich will, und ich weiß, was ich zu tun habe.«

Zum festgesetzten Zeitpunkt betrat der König die große Empfangshalle. Er hörte sich mit ernster Miene die Reden der Hohen Priester und Provinzgouverneure an, dennoch hatten etliche Männer das Gefühl, dass der König in Gedanken woanders weilte. Als der offizielle Teil beendet war und die Würdenträger sich zurückzogen, bat der König den Ministerpräsidenten zu bleiben.

Es dauerte lange, bis Chnumhotep aus der Halle trat. Alle brannten darauf zu erfahren, um was es bei dem Gespräch gegangen war, aber niemand hatte den Mut, ihn zu fragen. Und auch in Chnumhoteps Gesicht war nichts zu lesen, denn er verzog keine Miene.

Der König ließ seinen beiden engsten Ratgebern, dem Obersten Kammerherrn Sufchatep und dem Führer der Leibgarde Tahu, den Befehl überbringen, sich im Garten am See einzufinden. Gemächlich spazierte er die schattigen, grünen Wege entlang, und sein dunkelhäutiges Gesicht sah auf einmal entspannt aus, gerade so, als hätte er nicht vor kurzem noch getobt und an Rache gedacht. Er atmete tief den Duft der Bäume ein, mit dem sie ihn grüßten, und sein Blick schweifte über die Blumen und Früchte. Schließlich näherte er sich dem See, wo ihn die zwei Männer bereits erwarteten. Sie hätten nicht unterschiedlicher aussehen können, denn Sufchatep war groß und dünn und hatte schon graues Haar, und Tahu besaß einen kräftigen, muskulösen Körper, dem man ansah, dass er auf dem Rücken von Pferden groß geworden war.

Sufchatep und Tahu musterten eindringlich das Gesicht des Königs. Sie hätten nur allzu gern gewusst, ob er an seiner Politik gegenüber der Priesterschaft festhalten wollte oder seine Meinung geändert hatte. Natürlich hatten auch sie die Hochrufe auf den Ministerpräsidenten gehört, und nicht nur sie, sondern auch viele andere Männer aus dem Gefolge des Königs werteten den Vorfall als eine unverschämte Herausforderung des Pharaos. Für den jungen König musste das ein schwerer Schlag gewesen sein. Dass er nach dem Empfangszeremoniell eine Unterredung mit dem Ministerpräsidenten unter vier Augen geführt hatte, ließ ihre Herzen vor Aufregung heftiger schlagen. Sufchatep wusste, wie maßlos der König in seinem Zorn war, deshalb ließ ihn die Sorge nicht los, dass ein ungezügelter Gefühlsausbruch unerwartete Folgen haben könnte. Er ermahnte den König unablässig, mit Bedacht und Sorgfalt zu handeln und vor allem in der Frage der Tempelliegenschaften behutsam vorzugehen. Tahu hingegen hätte es am liebsten gesehen, wenn der Zorn des Königs ihn dazu brächte, sich seiner eigenen Meinung anzuschließen, also zu befehlen, die Tempelliegenschaften zu beschlagnahmen und die Priester ein für alle Mal in ihre Schranken zu weisen.

Voller Unruhe warteten beide Männer auf ein Zeichen, aber der Pharao ließ sich nicht anmerken, was in ihm vorging; sein Gesichtsausdruck war rätselhaft wie der der Sphinx. Er wusste, dass sie litten, und als machte es ihm Spaß, sie noch ein wenig auf die Folter zu spannen, nahm er auf einem Ruhebett Platz und forderte sie auf, sich zu setzen. Erst dann erklärte er mit großem Ernst: »Heute habe ich ja wohl das Recht, zornig zu sein.«

Die Männer wussten, was er damit meinte; auch ihnen hallte dieser unverschämte Ruf noch in den Ohren nach. Sufchatep hob bekümmert die Hände und sagte mit bebender Stimme: »Mein Gebieter, lasst Euch dennoch nicht vom Zorn übermannen.«

»Es gibt keinen Grund zur Sorge«, tönte Tahu. »Die Waffen sind geschärft, und es gibt genügend Männer, die ohne zu zögern ihr Leben für Euch lassen würden. In der Tat, diese Priesterschaft ist aller Vernunft beraubt, obwohl sie doch ein Hort der Weisheit ist. Sie handelt geradezu kopflos und stürzt sich mutwillig ins Verderben.«

Der Pharao senkte den Blick und starrte auf seine Füße. »Ich frage mich wirklich, ob sich einer meiner Vorfahren jemals eine solche Unverschämtheit hat gefallen lassen müssen. Dabei habe ich erst vor ein paar Monaten den Thron bestiegen!«

Tahus Augen glitzerten gefährlich. Im Brustton der Überzeugung sagte er: »Ihr müsst Stärke zeigen, mein Gebieter, Ihr müsst hart durchgreifen. Eure geheiligten Vorfahren waren starke Herrscher und haben ihren Willen mit einer Entschlossenheit durchgesetzt, die mächtiger als ein Gebirge war. Ihre Waffen schlugen unnachgiebig wie das Schicksal zu. Seid wie sie, mein Gebieter, und zögert nicht länger. Zeigt keine Milde, sondern versetzt ihnen einen Schlag, der keine Gnade kennt. Zwingt jeden, der sich anmaßt, nach der Macht zu greifen, in die Knie, und erstickt in seiner Brust selbst noch den zartesten Keim Hoffnung.«

Dem alten, weisen Sufchatep gefielen diese Worte gar nicht; es machte ihn bestürzt, dass sich Tahu derart ereiferte. Um mögliche schlimme Folgen zu verhindern, entgegnete er beschwichtigend: »Die Priesterschaft, mein Gebieter, ist wie das Blut im Körper im ganzen Reich verbreitet. Es gibt unter ihnen Verwalter, Richter, Schreiber und Erzieher. Ihre Autorität gründet sich seit je auf den Segen der Götter. Aber abgesehen davon verfügen wir über keine nennenswerten Streitkräfte, es gibt lediglich die Leibgarde und das Wachregiment in Bilak. Ein Angriff könnte höchst unliebsame Folgen haben.«

»Und was sollen wir Eurer Meinung nach tun, weiser Mann? Sollen wir uns in Geduld fassen und warten, bis der Feind über uns herfällt und Schande über uns bringt?«

»Die Priester sind keine Feinde. Gott behüte uns vor Menschen, die dem Pharao feindlich gesinnt sind. Nein, die Priesterschaft steht treu und zuverlässig zum Herrscher, und das Einzige, was wir ihr vorwerfen können, ist, dass sie größere Vorrechte genießt, als ihr zustehen. Ich versichere Euch, noch keinen einzigen Tag daran gezweifelt zu haben, eine angemessene Lösung zu finden, die den Wünschen unseres Gebieters entspricht und den Rechten der Priesterschaft dennoch Genüge tut.«

Der König hörte zwar ruhig zu, aber seinen Mund umspielte ein fast belustigtes Lächeln. Als Sufchatep zu Ende gesprochen hatte, schaute er beide Männer spöttisch an und sagte: »Bemüht euch nicht, ihr treuen Gefährten. Ich habe meinen Pfeil bereits abgeschossen.«

Verblüfft starrten ihn beide an. In Tahus Blick schimmerte Hoffnung, während Sufchatep besorgt wirkte. Er war blass geworden und biss sich auf die Lippen. Schweigend warteten sie darauf, das entscheidende Wort zu hören.

»Ihr wisst, dass ich Chnumhotep zurückgehalten habe, als die anderen Männer gingen. Unter vier Augen erklärte ich ihm Folgendes: Die Hochrufe auf ihn seien ein schändlicher Verrat gewesen, trotzdem würde ich diese Männer nicht verfolgen, denn auch sie gehörten zu meinem gläubigen Volk. Daraufhin erblasste er und senkte den Kopf. Offenbar wollte er etwas sagen, wohl sich entschuldigen, aber ich bedeutete ihm mit einem Wink der Hand zu schweigen. In scharfem Ton erklärte ich ihm, dass es einfältig sei zu glauben, ein solcher Vorfall brächte mich dazu, von einem einmal gefassten Entschluss abzukommen. Im Gegenteil, es sei meine feste Absicht, die Liegenschaften der Priester in den Besitz der Krone zurückzuführen und ihnen an Boden nur das zu lassen, was sie für den eigenen Bedarf und die Opfergaben brauchen.«

Die beiden Gefährten hörten angespannt zu. Sufchateps Gesicht hatte sich mehr und mehr verdüstert, die bittere Enttäuschung war ihm deutlich anzumerken. Tahu hingegen sah aus, als klänge in seinen Ohren schon das Hohe Lied von Ruhm und Macht, in das er liebend gern und voller Jubel einstimmen wollte.