Der Prophet Jesaja, Band 2 - Johannes Calvin - E-Book

Der Prophet Jesaja, Band 2 E-Book

Johannes Calvin

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Beschreibung

Johannes Calvin (10. Juli 1509 - 27. Mai 1564) war ein französischer Theologe, Pfarrer, Reformator und eine der Hauptfiguren bei der Entwicklung des Systems der christlichen Theologie, das später Calvinismus genannt wurde, einschließlich der Lehren von der Prädestination und der absoluten Souveränität Gottes bei der Rettung der menschlichen Seele vor Tod und ewiger Verdammnis. Die calvinistischen Lehren wurden von der augustinischen und anderen christlichen Traditionen beeinflusst und weiterentwickelt. Verschiedene kongregationalistische, reformierte und presbyterianische Kirchen, die sich auf Calvin als Hauptvertreter ihrer Überzeugungen berufen, haben sich über die ganze Welt verbreitet. Calvin war ein unermüdlicher Polemiker und apologetischer Schriftsteller, der viele Kontroversen auslöste. Mit vielen Reformatoren, darunter Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger, tauschte er freundschaftliche und tröstende Briefe aus. Neben seiner bahnbrechenden "Unterweisung in der christlichen Religion" schrieb er Bekenntnisschriften, verschiedene andere theologische Abhandlungen und Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel. In diesem vorliegenden Werk befasst er sich mit dem Propheten Jesaja. Dies ist der zweite von zwei Bänden.

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Seitenzahl: 1090

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Der Prophet Jesaja

 

Band 2

 

JOHANNES CALVIN

 

 

 

 

 

 

 

Der Prophet Jesaja 2, J. Calvin

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849662752

 

Der Originaltext dieses Werkes entstammt dem Online-Repositorium www.glaubensstimme.de, die diesen und weitere gemeinfreie Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Wir danken den Machern für diese Arbeit und die Erlaubnis, diese Texte frei zu nutzen. Diese Ausgabe folgt den Originaltexten und der jeweils bei Erscheinen gültigen Rechtschreibung und wurde nicht überarbeitet.

 

Cover Design: 27310 Oudenaarde Sint-Walburgakerk 83 von Paul M.R. Maeyaert - 2011 - PMR Maeyaert, Belgium - CC BY-SA.

https://www.europeana.eu/item/2058612/PMRMaeyaert_ca16ddc552af4d10f3a4c3c4ae25ae9d95d6f453

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Kapitel 32.1

Kapitel 33.15

Kapitel 34.35

Kapitel 35.46

Kapitel 36.56

Kapitel 37.72

Kapitel 38.98

Kapitel 39.116

Kapitel 40.123

Kapitel 41.141

Kapitel 42.157

Kapitel 43.170

Kapitel 44.187

Kapitel 45.208

Kapitel 46.227

Kapitel 47.236

Kapitel 48.245

Kapitel 49.262

Kapitel 50.288

Kapitel 51.300

Kapitel 52.317

Kapitel 53.328

Kapitel 54.341

Kapitel 55.353

Kapitel 56.366

Kapitel 57.378

Kapitel 58.396

Kapitel 59.410

Kapitel 60.428

Kapitel 61.446

Kapitel 62.456

Kapitel 63.466

Kapitel 64.479

Kapitel 65.488

Kapitel 66.507

 

Kapitel 32.

 

V. 1. Siehe, es wird ein König regieren, Gerechtigkeit anzurichten. Gott wird seiner Gemeinde gnädig sein und sie erneuern. Erneuert aber wird sie am besten dadurch, dass geordnete Zustände hergestellt werden, dass alles nach Recht und Gerechtigkeit regiert wird. Diese Weissagung bezieht sich ohne Zweifel auf die Regierung des Königs Hiskia, unter welchem die Gemeinde Gottes wieder zu ihrem früheren Glanze kam. Vorher war sie elend verwüstet. Ahas, der gottlose, schändliche Heuchler, hatte nach seiner Willkür regiert, hatte alles verdorben und die ganze politische und religiöse Stellung des Volkes zugrunde gerichtet. Der Prophet verheißt nun einen anderen König, den Hiskia, durch dessen Tüchtigkeit und Gerechtigkeit die gänzlich zerrütteten Verhältnisse wieder gehoben wurden. Der Prophet malt uns hier, wie auf einem Gemälde, den glücklichen Zustand der Kirche aus. Ohne Christus kann derselbe aber nicht zustande kommen. Daher muss die Weissagung zweifellos auch auf Christum bezogen werden, dessen Vorbild Hiskia war.

Und Fürsten werden herrschen, das Recht zu handhaben. Recht und Gerechtigkeit werden in der Schrift oft zusammengestellt. Unter Gerechtigkeit versteht sie eine allseitig geübte Billigkeit und Milde, unter Recht das Stück der Gerechtigkeit, durch das die Guten in Schutz genommen und gegenüber den Gewalttaten der Gottlosen geschützt werden. Das Amt eines guten Herrschers muss aber sicherlich noch mehr in sich schließen, als Recht und Gerechtigkeit. Ein guter Fürst muss vor allem Gottes Ehre und Gottesfurcht schützen. Von dieser Ehre Gottes und der Furcht vor Gott handeln die Gebote der ersten Tafel des Gesetzes. Nun pflegt die heilige Schrift, wenn sie von den Geboten der zweiten Tafel redet, wie in diesem Verse, wo von gerechtem Tun und Handeln die Rede ist, damit zugleich auf das ganze Gesetz hinzuweisen. Wenn wir uns von Ungerechtigkeit und unrechtem Tun gegen unsern Nächsten fernhalten, wenn wir Bedrängten nach Kräften helfen, wenn wir Barmherzigkeit üben, dann beweisen wir eben damit die Gottesfurcht, aus der jene Tugenden als Frucht hervorgehen. – Nicht ohne Grund erwähnt der Prophet die „Fürsten“. Ein guter König allein tut es nicht, er muss rechtschaffene Diener und Ratgeber zur Seite haben. Denn oft ging es einem Volke sehr schlecht auch unter trefflichen Königen. So war es z. B. unter dem römischen Kaiser Nerva[1]. Unter ihm war alles erlaubt; infolgedessen war die Lage der großen Menge unter diesem Herrscher noch schlimmer als unter Nero. Die sorglose Lässigkeit des Einen machte viele kühn zu ungerechtem Tun und Handeln. Ein König muss also gute Fürsten und Ratgeber haben, die seine Augen und seine rechte Hand bilden und ihm helfen, sein Volk gerecht zu regieren. Ist das nicht der Fall, dann wird niemals ein König, er mag sonst noch so gut sein, Erfolg haben. Wenn unter denen, die am Ruder sind, nicht die Harmonie, wie beim Saitenspiel, herrscht, dann kann von einer heilsamen Regierung keine Rede sein. Hierher passt der Rat, den Jethro seinem Schwiegersohn Mose gab (2. Mos. 18, 21): „Siehe dich um unter dem Volk nach redlichen Leuten, die Gott fürchten, wahrhaftig und dem Geiz feind sind; die setze über sie, etliche über tausend, etliche über hundert, etliche über fünfzig und über zehn.“

V. 2. Dass ein jeglicher unter ihnen sein wird wie eine Zuflucht vor dem Wind usw. Wie wertvoll ein gutes Regiment ist, zeigt der Prophet deutlich in diesen Worten, wenn er solchen König eine Zuflucht vor dem Wind und einen Schirm vor dem Platzregen nennt. So herrlich weit wird es niemals mit dem menschlichen Geschlechte kommen, dass die einzelnen Menschen von selbst von jeglicher Gewalttat ablassen und keines Zügels bedürfen. Die meisten Menschen schleudert ihre Begierde und ihre Lust zum Bösen hin und her. Sie würden fortgesetzt unter sich Verwirrung anrichten, wenn nicht Gesetze und eine gerechte Regierung dagegen ein heilsames Gegengewicht böten. Weil nun viele Fürsten durch ihr tyrannisches Regiment solche Verwirrung, anstatt sie beizulegen, nur noch vergrößern, so wird hier mit vollem Recht dem frommen Könige ein Lob gesungen. Und wenn das in Wahrheit von dem König Hiskia galt, so noch viel mehr von Christus, bei dem wir die beste, ja die einzige Zuflucht haben in den Stürmen, in denen wir, solange wir auf Erden sind, umhergeworfen werden müssen. So oft wir von Trübsalshitze getroffen werden, sollen wir unter seinen Schatten flüchten; so oft Stürme uns umhertreiben und wir von Wasserwogen überschwemmt zu werden drohen, sollen wir zu ihm fliehen, als unserm sichersten Rettungshafen. Er kann mit leichter Hand alle Stürme beschwichtigen, und das, was zusammengebrochen am Boden liegt, wieder aufrichten.

V. 3. Und der Sehenden Augen werden sich nicht blenden lassen usw. Hier können wir noch deutlicher erkennen, dass der Prophet bei seiner Schilderung der Regierung des Hiskia uns über diese noch hinausweisen und hinausführen will. Er redet hier von der Wiederherstellung der Kirche, wie sie zwar von Hiskia vorgebildet, aber erst in Christo wahrhaft erfüllt ist. Mit der Kirche steht es nur dann gut, wenn sie gerechte und kluge Leiter hat. Das ist aber nur möglich, wenn Christus ihr Herrscher ist. Christus also und sein Reich wird uns hier vor allem in seiner Herrlichkeit vorgestellt. Die Verheißung dieses Verses steht in Gegensatz zu jener früheren furchtbaren Drohung, Gott werde die Juden blind machen (29, 9 ff.). Hier wird im Gegensatz dazu das wahre Licht verheißen, dass die Blinden sehend, die Tauben hörend, die Unvorsichtigen klug, die Stammelnden redend werden. Von den Augen der Sehenden und den Ohren der Zuhörer redet der Prophet. Sie hätten sehen und hören sollen, als Gottes Wort ihnen vorgehalten wurde. Aber sie waren lieber blind und taub gewesen und hatten Herzen und Sinne vom Worte abgewandt. Nun verheißt der Herr, er werde ihnen Augen, Ohren, Klugheit und Sprache wiedergeben. Das sind Geschenke göttlicher Gnade. Von ganz besonderen Gaben Gottes redet der Prophet, wie es auch anderseits besonders schreckliche Strafen sind, durch die Gott der Menschen Undankbarkeit und die Verachtung seines Wortes straft, wenn er die Augen blind macht, Erkenntnis und Sprache raubt und rohe Unwissenheit sich breit machen lässt. Was er ihnen also verdientermaßen genommen hat, wird der Herr aus Erbarmen mit seinem Volk ihnen wieder schenken, und zwar durch Christi Verdienst, durch den uns die Zunge zum Reden, der Verstand zum Erkennen, die Ohren zum Hören gegeben werden müssen, da wir zuvor taub und über die Maßen stumpf sind. Außer Christo gibt es kein geistliches Leben in der Welt. Allen Menschen fehlt das rechte Sehen und Hören, die rechte Erkenntnis und Sprache, bis sie Glieder an seinem Leibe geworden sind. Liegt also Christi Reich darnieder, dann sind auch solche Gnadengaben nicht vorhanden. Auch das ist zu beachten, dass hier Gaben genannt werden, die wichtiger und wünschenswerter sind als alle andern. Macht und Reichtum und andere Dinge, die gemeiniglich die Menschen zu einem glücklichen Leben für nötig halten, sind für nichts zu achten. Auch im größten Überfluss sind wir unglückliche Leute, wenn der Herr uns nicht die geistlichen Gaben schenkt, von denen der Prophet hier redet. Fehlen diese, dann ist Christus von uns fern und wir sind ferne von ihm; denn von ihm allein geht aller geistliche Segen aus, wie Paulus im Brief an die Epheser (1, 3) schreibt.

V. 5. Es wird nicht mehr ein Narr Fürst heißen usw. Alles wird wieder zu Stand und Ordnung kommen; Laster wird man nicht mehr, wie zuvor, für Tugenden halten. Unter einer schlechten Regierung herrschen wohl Narren und Habgierige; sie stehen in hoher Achtung, weil man die Tugend nach Geld und Macht beurteilt. Der Arme wird allenthalben verachtet, ob er auch rechtschaffen, brav und, soweit es in seinen Kräften steht, freigebig ist. Bei solchen Verhältnissen geht zuletzt alles drunter und drüber. Unter geordneten staatlichen Verhältnissen werden jedoch leicht solcher Schein und solche Heuchelei aufgedeckt; denn wo die Tugend etwas gilt, werden Sünden und Schäden bald offenbar. Auch haben da die Guten mehr Freiheit und Macht, die Schlechtigkeit derer, die Recht und Gerechtigkeit mit Füßen treten, im Zaume zu halten. Der Prophet redet hier von dem Zustand und der Wiederherstellung der Kirche, die ein geistliches Gemeinwesen ist. Dabei müssen wir aber unsere Gedanken noch höher erheben und dies alles auf Christum beziehen. Seine Aufgabe ist es ja ganz besonders, verborgene Sünden aufzudecken und Schleier und Hüllen wegzuziehen, hinter denen die Laster sich verbergen, sodass man sie gar als Tugenden preist. Das tut er durch das Evangelium, durch welches er Sünden, die zuvor verborgen waren, ans Licht zieht, und zeigt, was sie sind, sodass niemand mehr vom äußeren Schein getäuscht wird, es müsste sich denn einer absichtlich täuschen lassen wollen. Und das ist der Grund, weshalb das Evangelium der Welt so verhasst ist. Denn niemand lässt es gern geschehen, dass seine geheimen Gedanken und seine verborgene Schande ans Licht gezogen werden. Zwar reden auch die Weisen dieser Welt ganz prächtig über den Geiz und über die Freigebigkeit und zeigen den Unterschied zwischen beiden nach allen Seiten hin auf. Aber sie dringen niemals in die Tiefen der Herzen ein, sie können dieselben nicht ergründen und in Wirklichkeit nicht die Geizigen von den Freigebigen unterscheiden. Das geschieht durch Christum allein, er leuchtet mit dem Licht des Evangeliums hinein in die geheimsten Winkel des menschlichen Herzens, durchdringt sie und treibt die Menschen zu einem innerlichen, geistlichen Gehorsam. Vor Christi Richtstuhl werden wir hier also gerufen; er allein deckt alle Heuchelei auf und macht offenbar, ob wir geizig oder freigebig sind.

V. 6. Denn ein Narr redet von Narrheit usw. Hier wird die sündige Zügellosigkeit beschrieben, die sich in fortgehender Gottlosigkeit und Unrecht äußert. Der Prophet fährt wider die Gottlosen los, die in jede Schandtat sich hineinstürzen, und zwar ohne Gewissensbisse; sie lachen über alle Ermahnungen und verhöhnen Gott und seine Knechte. Solche Leute zieht Christus ans Licht, er deckt das Verborgene auf. Denn das ist, wie gesagt, besonders die Wirkung des Evangeliums, wie ein Schwert die verborgenen Gedanken des Herzens zu durchdringen, sodass sich dieses unter Gottes Gericht beugt. Jesaja setzt also den vorher begonnenen Gedankengang fort. Einige legen diese Stelle anders aus, aber, wie mir scheint, wenig zutreffend; sie fassen den Satz: „Ein Narr redet von Narrheit“ – als allgemeines Sprichwort, ohne dasselbe in Beziehung zu bringen zu Christo und seinem Reich. Nach meinem Dafürhalten aber will der Prophet mehr zum Ausdruck bringen; er will andeuten, dass Christus als Weltrichter den Richtstuhl besteigen und eines jeden einzelnen Menschen Herz offenbar machen wird. Denn solange er nicht das Richteramt ausübt, bleibt alles ein Durcheinander; da werden die Gottlosen gepriesen, weil sie ein frommes Gesicht aufsetzen, und die Besten werden verachtet. Christus aber wird das Leben jedes einzelnen ans Licht ziehen, und jede Narrheit und Gottlosigkeit, die zuvor unter irgendeinem Deckmantel versteckt war und als Tugend glänzte, wird zutage treten. Darum heißt es auch (Mt. 3, 12): „Er hat seine Worfschaufel in der Hand, er wird seine Tenne fegen und den Weizen in seine Scheune sammeln; aber die Spreu wird er verbrennen mit ewigem Feuer.“ Diese Worfschaufel ist das Evangelium, durch welches der Richter die Übeltäter zur Untersuchung zieht und ihnen, sie mögen wollen oder nicht, ein Geständnis ihrer Missetaten und Frevel auspresst.

Dass er Irrsal rede wider den Herrn usw. Zum Spott, den die Gottlosen gegen Gott schleudern, gesellt sich Grausamkeit. Den Anfang machen die Gottlosen mit der Verachtung Gottes; dann gehen sie zu äußeren Freveltaten über und üben allerlei Grausamkeit wider ihre Nächsten. Das ist aber der Gipfel schändlicher Grausamkeit, dass man die hungrigen Seelen aushungert und den Durstigen das Trinken wehrt. Schon eine natürliche Anlage treibt uns zur Barmherzigkeit und zum Mitleid. Wo aber Menschen so verwildern, dass sie von fremdem Elend sich nicht rühren lassen und aller Menschlichkeit bar geworden sind, da sind sie schlimmer als Tiere, die doch noch irgendwie mit der Not von ihresgleichen Mitgefühl haben.

V. 7. Und des Geizigen Regieren ist eitel Schaden. Es ist immer im Auge zu behalten, dass der Prophet hier von der Zukunft redet. Er redet nicht davon, wie die Geizigen seiner Zeit sind, sondern er zeigt, wie sie unter der Herrschaft Christi offenbar werden sollen, damit sie nicht weiter lügen und betrügen. Er spricht ja vorher von einem himmlischen Licht, das einst aufgehen wird, um verborgene Gottlosigkeit aufzudecken. Christus macht klar, wie die Geizigen beschaffen und mit welch verderblichen Künsten sie ausgerüstet sind. Unter dem Regieren der Geizigen versteht der Prophet allerlei Kunst, List und Betrug, wodurch die Geizigen einfältige und unvorsichtige Leute in ihre Netze ziehen.

Denn er erfindet Tücke usw. Damit gibt der Prophet den Grund an, weshalb der Geizigen Regieren eitel Schaden ist: sie hören nicht auf, allerlei Tücke zu ersinnen und Schaden anzurichten. Sicherlich wird hier die Art schlechter Menschen geschildert, die, nur auf ihren Vorteil und auf ihren Gewinn bedacht, stets darauf aus sind, zu täuschen und zu hintergehen. Solche Leute werden mit ihren Ränken und Schlichen durch Christum ans Licht gezogen. Besondere Umstände, welche der Prophet hervorhebt, lassen das schändliche Treiben dieser Leute noch unwürdiger erscheinen. Denn schändlicher und hässlicher ist es, die Elenden, d. h. geringe, einfältige Leute, die sich nicht zu helfen wissen, zu hintergehen, als kluge und verschmitzte. Des Weiteren gehen sie mit falschen Worten um: unter dem Deckmantel der Freundschaft kommen sie mit trügerischen Lockungen. Dritten schädigen sie den Armen, dem sie in seiner Not hätten aufhelfen sollen. Endlich stellen sie demselben gar dort nach, wo sie ihm sein Recht verschaffen sollten. Das ist weit verbrecherischer, als wenn jemand einen Menschen offen mit Gewalt anfällt. Gerechtes Gericht soll doch allenthalben der Armen Zuflucht sein; was soll es also werden, wenn daraus eine Mördergrube und eine Räuberhöhle gemacht wird? Denn einem von Räubern besetzten Weg oder Hinterhalt kann man noch irgendwie entgehen, aber vor einem Gericht, das mit Lug und Trug umgeht, ist man verloren.

V. 8. Aber die Fürsten werden fürstliche Gedanken haben. Wir betonten schon vorher, dass diese ganzen Ausführungen des Propheten tiefer gehen, als man gemeiniglich glaubt. Er redet hier nicht allgemein, sondern speziell von der Erneuerung der Kirche. Was er also sagt, bezieht sich auf solche, die unter der Herrschaft Christi sich haben erneuern lassen. Zwar werden durch das Evangelium alle berufen, aber wenige lassen sich unter Christi Joch beugen. Diesen nun gibt der Herr fürstliche Gedanken, er macht sie freigebig und gütig, dass sie nicht mehr ihren Vorteil suchen, sondern dem Dürftigen zu helfen bereit sind.

Und drüber halten. Nicht nur einmal oder je und dann tun sie das, sondern von Tag zu Tag wachsen sie in ihrer Freigebigkeit und Mildtätigkeit, wie es im Psalm (112, 9) heißt: „Er streuet aus und gibt den Armen; seine Gerechtigkeit bleibet ewiglich.“ Wahre fürstliche Gesinnung, wahre Güte und Freigebigkeit sind nicht auf eine gewisse Zeit beschränkt. Leute mit dieser Tugend harren in ihr aus; sie lassen sich nicht in plötzlicher Aufwallung zur Mildtätigkeit hinreißen, um sie bald nachher wieder zu bereuen. Das will der Prophet zum Ausdruck bringen mit den Worten: Und drüber halten. Manches stellt sich ja unserer Freigebigkeit hemmend in den Weg. Wir erfahren unter den Menschen eine erstaunliche Undankbarkeit, sodass unsere Gaben schlecht angebracht erscheinen. Viele raffen gar gierig alles an sich und saugen, wie Blutegel, den Leuten das Blut aus. Da sollen wir uns nun dieses Wortes erinnern und auf den Apostel Paulus hören, der da mahnt (Gal. 6, 9): „Lasset uns Gutes tun und nicht müde werden.“ Der Herr mahnt uns nicht zu einer nur zeitweisen Mildtätigkeit, die bald wieder aufhört, sondern zu einer, die durch das ganze Leben hindurch währt.

V. 9. Stehet auf, ihr stolzen Frauen. Dieser Vers scheint mit dem vorhergehenden in keinem Zusammenhang zu stehen. Vorher hat der Prophet von der Wiederherstellung der Kirche geredet. Hier verkündigt er dem Volk ein nahe bevorstehendes Gericht Gottes. So beginnt aller Wahrscheinlichkeit nach hier eine neue Gedankenreihe. Zwar kann man diesen Vers doch mit der vorhergehenden Verheißung ungesucht verbinden. Die Propheten pflegen ja, wenn sie den Gläubigen Gnade verheißen haben, alsbald ihr Wort auch an die Heuchler zu richten. Sie wollen damit darauf hinweisen, dass die den Frommen verheißene Barmherzigkeit des Herrn den Gottlosen nichts nützt und dass diese trotzdem die Strafen für ihre Freveltaten empfangen werden. Unter den Frauen, an die der Prophet sich wendet, verstehen die jüdischen Ausleger Städte, da im Hebräischen sich eine derartige Ausdrucksweise häufiger findet. Doch sind diese Worte meiner Meinung nach nicht bildlich zu nehmen. Ich halte mich vielmehr an den einfachen Sinn derselben. Dass der Prophet die Frauen erwähnt und nicht die Männer, soll andeuten, wie schwer die kommende Heimsuchung sein wird. Sonst werden Frauen und Mädchen geschont, weil sie schwache Geschöpfe sind und sich nicht verteidigen können. So entsetzlich wird also der Untergang sein, dass niemand geschont wird. Ausdrücklich ist von „stolzen“ Frauen die Rede. Sie leben in üppigem Reichtum und vermögen sich noch irgendwie der Heimsuchung zu entziehen, auch wenn das gewöhnliche Volk schwer leiden muss. Aber gerade ihnen sagt Jesaja, sie sollen aufstehen und zittern. Im Tone des Befehls ruft er ihnen zu: „Stehet auf!“ Die Zeit der Ruhe ist zu Ende. Der Herr wird sie aus ihrer stolzen Ruhe und Sicherheit aufrütteln.

Höret meine Stimme, ihr Töchter. Die rabbinischen Ausleger setzen hier ihre eigentümliche Auslegung fort und verstehen demgemäß unter den Töchtern Dörfer oder kleinere Städte. Doch wir haben auch hier den einfachen Sinn festzuhalten. Der Prophet zeigt nun, welches die Ursache dieses gewaltigen Schreckens ist, der die Frauen und Töchter zwingt, aufzustehen, zu hören und zu zittern. Die Ursache ist Gottes Gericht. Auf seine Stimme weist er sie hin, damit sie erkennen, dass diese Weissagung kein leerer Schall ist: kündigt er ihnen doch in Gottes Auftrag den Krieg an. Ihr werdet einst selbst erfahren, will er ihnen sagen, wie kräftig diese Stimme ist, und welche Macht sie hat, euch aufzurütteln.

Die ihr so sicher seid, nehmet zu Ohren meine Rede! Das hält der Prophet ihnen vor, nicht nur deshalb, weil es besonders unangenehm ist, mit rauer Hand aus seiner Ruhe aufgestört zu werden, sondern auch deshalb, weil es bei unserer verderbten menschlichen Natur kaum anders möglich ist, als dass die Welt in Zeiten ruhigen Glückes zu träger Sicherheit neigt. Langsam gerät sie dann in Sorglosigkeit, betrügt sich selbst durch falsche Einbildungen und hält alle Gedanken der Furcht von sich ab; in solcher Sicherheit und solchem Selbstvertrauen erhebt sie sich dann zuletzt frech gegen Gott.

V. 10. Es ist um Jahr und Tag zu tun usw. Die kommende Heimsuchung wird eine dauernde sein. Ein Unglück wird wesentlich gemildert, wenn es bald wieder vorübergeht. Wenn aber kein Ende abzusehen ist, wenn man sich keine Erleichterung, keinen Trost und keine Rettung versprechen kann, was bleibt dann anders übrig, als Verzweiflung? Der Prophet verkündigt aber, dass die Heimsuchungen nicht mit Jahr und Tag vorübergehen, sondern immer wieder neue zu erwarten sein werden. Dass die Sicheren zittern werden, ist mit bitterer Ironie wider die stumpfe Gleichgültigkeit gesagt: die Leute, die zu bequem waren, auf eine freundliche Lehre zu achten, müssen in Unruhe und Schrecken umgetrieben werden.

Denn es wird keine Weinernte werden. Die Juden waren nur zu sehr in irdische Dinge und Genüsse versunken. Darum kündigt ihnen der Prophet Mangel an Wein und Brot an (vgl. V. 12). Hätten sie sich mehr von groben Begierden und Genüssen frei gehalten, dann wäre ihnen wohl der Verlust besserer Güter angedroht worden, welchen Jeremia einmal beklagt (Klagel. 1, 4): „Die Straßen gen Zion liegen wüst, weil niemand auf ein Fest kommt; ihre Priester seufzen, ihre Jungfrauen sehen jämmerlich.“ Versunken in ihre niederen Triebe wussten sie aber solche geistlichen Güter gar nicht zu schätzen. Darum stellt sich der Prophet auf ihren niedrigen Standpunkt und fasst sie mehr an ihren Bäuchen, als an ihren Herzen an. Von der Verwüstung ihrer Weinberge redet er als einer Folge jener Heimsuchung. Eine träge Sicherheit pflegt in reichem Überfluss ihren Grund zu haben. Der Herr wird euch, ruft ihnen der Prophet also zu, alles Lebensunterhaltes berauben, jene Sorglosigkeit von euch abschütteln und euch die Ursache eures Selbstvertrauens nehmen. Im Glücke sollen wir nicht schlafen und uns nicht in Sicherheit wiegen, als ob unser in der Welt ein ewiges Glück wartete. Mäßig sollen wir Gottes Gaben gebrauchen, sonst werden wir mit einem Male aufgerüttelt, unversehens hart bedrängt und müssen aufs schwerste unter dem unerwarteten Wechsel der Verhältnisse leiden.

V. 11. Erschrecket, ihr stolzen Frauen: erzittert, ihr Sicheren. Diese Wiederholung ist nicht überflüssig. Sie bekräftigt nur das zuvor Gesagte. Wenn Menschen innerlich verhärtet sind, dann lassen sie sich nicht so leicht durch die Stimme der Propheten aufwecken. Da ist wiederholtes Rufen und Ermahnen am Platze. Dadurch, dass er eine Drohung an die andere reiht, zeigt der Prophet, wie stumpf die Menschen sind, wenn sie einmal durch das Glück sich haben blind und hart machen lassen. Sie hören dann gar nicht mehr auf Gottes mahnende Stimme. Für die Menschen ist das Glück sicherlich viel gefährlicher als das Unglück. Im Glück gefallen sie sich und berauschen sich an demselben. Darum musste den Juden noch schärfer zugesetzt werden, um sie aus solcher Stumpfheit aufzurütteln. Diese Mahnung des Propheten geht also auf die Zukunft. Er will ihnen sagen: Ihr werdet einst erschrecken, und eure jetzige Ruhe und Sicherheit wird nicht andauern. Die kommende Heimsuchung wird ein Beweis für die Wahrheit dieser Weissagung sein. Der Herr wird dann durch die Tat beweisen, dass diese Worte keine leeren Worte sind.

Es ist vorhanden Ausziehen, Blößen und Gürten um die Lenden. Der Prophet beschreibt das Aussehen von Leidtragenden. Wenn die Juden in Unglück und Trauer kamen, zogen sie einen Sack an, ließen die übrigen Teile des Körpers entblößt und bezeugten auf jede Weise in Kleidung und Gebärden ihre Trauer. Jesaja kündet also den Frauen anstatt der Genüsse und Gelüste, in denen sie schwelgten, den Sack und andere Zeichen der Trauer an.

V. 12. Man wird klagen um die Äcker usw. Speise und Trank werden ausgehen, der Herr wird die Erde verfluchen, dass sie keine Frucht bringt. Über diesen Mangel werden die Menschen klagen.

V. 13. Denn es werden auf dem Acker meines Volkes Dornen und Hecken wachsen. Der Prophet gibt die Ursache der Unfruchtbarkeit an: Dornen und Hecken werden auf dem Acker wachsen. Ungepflegt, wüst und unfruchtbar werden sie sein, während sie früher fruchtbar und üppig waren. Socher Umschwung der Verhältnisse war aber erstaunlich. Wir wissen, wie fruchtbar und reich jenes Land war, und zwar nicht von Natur, sondern in Folge göttlichen Segens. Denn Gott hatte gesagt: Ich will euch ein Land geben, darinnen Milch und Honig fließen. Daher seine überreiche Fruchtbarkeit. Wenn der Prophet von dem Acker seines Volkes redet, so begegnet er damit einem Einwand, den jene bereit hatten, es sei doch nicht zu befürchten, dass das von Gott auserwählte Land seinen jährlichen Ertrag nicht bringen würde. Gott war ja doch in besonderem Maße Vater und Ernährer seines Volkes, wenn auch sein Segen allgemein auf das ganze Menschengeschlecht sich ergoss. Es war also nicht zu glauben, dass dies für Gottes Kinder bestimmte Land mit Dornen und Hecken bedeckt sein werde. Umso schärfer fährt darum der Prophet die Juden an, dass sie sich durch ihre Schlechtigkeit nicht nur um den göttlichen Segen gebracht, sondern sich auch seinen Zorn zugezogen haben, der des Landes Glanz so veränderte und zugrunde richtete.

Dazu über allen Häusern der Freude in der fröhlichen Stadt. Nicht nur in den äußersten Winkeln der Stadt wird diese Verwüstung herrschen, sondern auch in den Häusern der Freude, d. h. in glänzenden, prächtigen Häusern, in denen man zuvor in einer Fülle von Genüssen schwelgte. Als der Prophet das sagte, wurde er ohne Zweifel von seinen Zeitgenossen verlacht. Sicherlich hörte man auf ihn überhaupt nicht mitten in all den Genüssen, die jene Leute blind machten. Dennoch ist alles eingetroffen, was Jesaja geweissagt hat. Darum sollen wir im Glück mäßig sein, sollen von Gottes Segen uns abhängig fühlen und mit reinem Gewissen seinem Worte Gehorsam leisten.

V. 14. Denn die Paläste werden verlassen sein usw. Hier bringt der Prophet die fruchtbare Verwüstung des Landes noch deutlicher zum Ausdruck. Während er im vorigen Verse von Häusern der Freude und des Glanzes gesprochen, redet er in diesem von Palästen und Städten und deutet damit an, dass nichts, es mag noch so prächtig und herrlich sein, von jener Heimsuchung verschont bleiben wird. Wir wissen ja, wie die Menschen, solange sie den Kopf hoch tragen, leicht vom Glanz sich blenden lassen. Sie schlafen dann sanft in ihrem üppigen Leben ein und fürchten sich vor nichts. Was also Glänzendes, Prächtiges, Erhabenes in Judäa war, Städte, Paläste, Burgen, Festungen – das alles wird zerstört und zunichte werden.

Dass die Türme und Festen ewige Höhlen werden usw. Der Prophet erinnert hier wieder daran, dass jene Heimsuchung keineswegs von kurzer Dauer sein, vielmehr so lange anhalten wird, solange die Juden hartnäckig in ihren Sünden beharren. Denn wenn sie nur kurze Zeit gezüchtigt würden, dann würden sie ungebrochen und ungebändigt wieder in ihr altes Wesen zurückfallen.

V. 15. Bis so lange, dass über uns ausgegossen werde der Geist aus der Höhe. Der Herr hatte seine Kirche unter den Juden erbaut. Eine Hoffnung auf Rettung musste ihnen gelassen werden, sonst hätten sie in solchen Nöten gänzlich verzagen müssen. So streng der Herr auch gegen die Gottlosen ist, seine Kirche erhält er doch irgendwie. Und diese Verheißung gibt ihnen der Prophet. Sie sollen erkennen, dass er trotz aller Züchtigungen doch allezeit seines Bundes gedenkt. So oft der Herr eine Drohung ausspricht, lässt er es auch an Trost nicht fehlen; auch unter den beklagenswertesten Verhältnissen will er der Gläubigen Herzen aufrichten und sie stärken. Damit sie übrigens den ihnen gebotenen Trost recht empfänden, richtet er ihre Blicke auf den Urheber des Lebens selber hin. Bei Besserung der äußeren Verhältnisse stürzt sich der größte Teil der Menschen in den Strudel des Genusses hinein, in Fressen und Saufen; quält sie aber der Hunger, dann vergessen sie Gott und rufen die Welt um Hilfe an. Darum sagt Jesaja nicht ohne Grund, es werde ausgegossen der Geist aus der Höhe, der werde der Erde die frühere Fruchtbarkeit wiedergeben. Ohne Zweifel spielt er dabei auf jenes Wort Davids an (Ps. 104, 30): „Du lässest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und erneuerst die Gestalt der Erde.“ Das ist ein Zeichen dafür, dass Gott versöhnt ist. Zugleich weist der Prophet damit darauf hin, dass die Wiederherstellung der Kirche von Gottes Gnade allein ausgeht und dass solche Unfruchtbarkeit nur gehoben werden kann, wenn Gott vom Himmel seine Kraft herabströmen lässt. Ja, in einem einzigen Augenblick kann der sie wieder erheben, der alles aus nichts schafft, als hätte es schon zuvor bestanden.

So wird dann die Wüste zum Acker werden und der Acker für einen Wald gerechnet werden usw. Mit diesen Worten weist der Prophet (ähnlich wie 29, 17) auf die Folgen jener Erneuerung hin. Der Überfluss, die Fülle an allen Dingen, wird es dann bezeugen, dass Gott wahrhaftig mit seinem Volk versöhnt ist. Strecken des Landes, die zuvor wüste waren, werden zum Acker werden, zu einer üppigen, fruchtbaren Stätte. Der Prophet schildert also eine seltene Fruchtbarkeit. Jetzt unfruchtbare, ungepflegte Äcker werden dann fruchtbar sein; jetzt gepflegte und fruchtbare Äcker werden aber dann so üppig Frucht bringen, dass ihr jetziger Ertrag dem zukünftigen gegenüber als überaus mangelhaft erscheint. In solchem Segen sollen dann die Frommen Gottes Güte erkennen. Alles übrigens, was Jesaja hier von dem Reiche des Hiskia weissagt, bezieht sich auch auf das Reich Christi, das jenes Reiches Ziel und Erfüllung ist. Seitdem wir nun Christum haben, muss das alles geistlich verstanden und ausgelegt werden. Wir werden erneuert, sobald der Herr seinen Geist vom Himmel schickt; dann werden wir aus einem unfruchtbaren ein fruchtbares Ackerland. Solange wir Gottes Geist noch nicht haben, werden wir mit Recht mit einem wüsten, dürren Land verglichen, das nichts als Dornen und Disteln trägt. Von Natur taugen wir nicht dazu, Frucht zu bringen. Die also unfruchtbar waren, werden durch Gottes Geist erneuert und fangen dann an, reiche Früchte zu zeitigen. Die aber schon von Natur gut angelegt waren, die werden, wenn derselbe heilige Geist sie erneuert, so fruchtbringend sein, dass demgegenüber ihr früherer Zustand wie eine Wüste erscheint. Wenn also die Kirche Gottes in Bedrängnis ist und ihre Lage bejammernswert, dann lasst uns unsere Augen gen Himmel erheben und mit ganzem Herzen an solche Verheißungen uns anklammern.

V. 16. Und das Recht wird in der Wüste wohnen usw. Der Prophet schildert, wie es in der wahren Kirche aussehen soll. Recht und Gerechtigkeit müssen in ihr eine Stätte haben. Hier zeigt sich klar, dass die Juden nicht, wie einige fanatische Gegner des Gesetzes behaupten, durch das Gesetz in vergänglichen, irdischen Dingen festgehalten wurden, sodass ihr Hoffen und Wünschen durch dasselbe nur auf irdische Güter gerichtet worden wäre. Sie sollen ja, das wird hier besonders betont, ihr Augenmerk darauf richten, dass Recht und Gerechtigkeit blühen. Ohne Zweifel erkannten sie, dass darin das wahre Glück beruht. Das müssen wir vor allem beachten und dürfen das Glück des Lebens nicht in dem Überfluss an irdischen Dingen, nicht in Fressen und Saufen sehen, wie die Schweine im Stalle. Der Zweck aller Gottesgaben ist doch unsere Erlösung, dass wir dem Herrn dienen, wie Zacharias sagt, in Heiligkeit und Gerechtigkeit (Luk. 1, 74 f.). Dem Recht weist der Prophet die Wüste, der Gerechtigkeit den Acker zur Wohnung an. Daraus geht noch deutlicher hervor, dass im vorhergehenden Verse eine solch üppige Fruchtbarkeit verheißen wurde, dass angesichts derselben die Menschen wähnen, die Äcker, die sie zuvor als die besten ansahen, seien demgegenüber wüste und unfruchtbar gewesen.

V. 17. Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein usw. Zuvor hat der Prophet über die Ruhe und den Frieden, den die Juden zu stumpfer Sorglosigkeit missbraucht hatten, gespottet. Hier verheißt er einen anderen Frieden. Der soll ein besonderes Zeichen der Liebe Gottes sein, welcher diejenigen, die er in Gnaden aufgenommen hat, treulich schützen wird. Es tritt hier also der Gegensatz hervor zwischen jenem irdischen und diesem göttlichen Frieden. Jenen haben die Gottlosen; von ihm erfüllt schreiten sie kühn von Frevel zu Frevel und versinken in ein stumpfes Wesen. Dieser ist ein ganz anderer Friede. Den gewinnen Gottes Kinder dadurch, dass sie fromm und gerecht leben. Jesaja mahnt nun, nach diesem Frieden zu streben, und zeigt dabei, dass, wenn Gott versöhnt ist, eine glückliche, heitere Ruhe nicht ausbleibt. So legt er jenen das Streben nach Gerechtigkeit ans Herz, damit sie dadurch einen sicheren Frieden erlangen. Es gibt kein besseres Mittel, ungestörten Frieden zu gewinnen, als das, dass wir uns von aller Ungerechtigkeit fernhalten (vgl. auch 1. Petr. 3, 13). Übrigens hat der Prophet dabei noch etwas Höheres im Sinn. Durch frommes und gerechtes Leben sollen sie in der Gnade Gottes beharren. Nichts ist nämlich verkehrter, als dass die Gottlosen Frieden wünschen, während sie doch beständig mit Gott im Kriege leben. Frieden zu haben ist ja ein allgemeiner Wunsch. Unter Hundert wird kaum einer gefunden, der nicht mit voller Posaune Frieden predigte, während doch in Wirklichkeit jeder sich auf Erden seine Feinde macht, alle aber untereinander mit ihren Sünden und Freveltaten Himmel und Erde in Verwirrung bringen. Diesen Frieden, von dem der Prophet hier redet, der ein dauernder ist, vergleicht er nun mit jenem früheren, der hinfällig ist und nur kurz besteht. Der Friede wird hier die Frucht der Gerechtigkeit genannt. Wie die Kriege im Zorne Gottes, den wir durch unser böses Leben hervorrufen, ihren Ursprung haben, so entspringt der Friede seiner Gnade und seinem Segen. Wenn wir darum sehen, wie Feinde zum Kriege wider uns entflammt sind und wider uns toben, dann lasst uns kein anderes Heilmittel suchen, als allein die Buße. Sobald wir uns zum Herrn bekehrt haben, wird er schnell und leicht ihren Ansturm beschwichtigen. Denn er selbst ist es, der, wie der Psalmist sagt, den Kriegen steuert in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt (Ps. 46, 10).

V. 18. Dass mein Volk in Häusern des Frieden wohnen wird usw. Da denken wir an das Wort des Paulus (Röm. 5, 1): „Nun wir sind gerecht geworden durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott.“ Von diesem Frieden redet Christus, wenn er sagt (Joh. 14, 27): „Meinen Frieden gebe ich euch; nicht gebe ich, wie die Welt gibt.“ Die Welt kann ihn nicht geben. Das ist nicht verwunderlich, denn dieser Friede ist, wie Paulus an einer anderen Stelle sagt, höher denn alle Vernunft (Phil. 4, 7). – Haben wir Gerechtigkeit empfangen, dann sind wir nicht mehr unruhig und werden nicht mehr innerlich hin- und hergeworfen, wie ehedem, da im Gefühl des Zornes Gottes Gewissensbisse an uns nagten. Ein schlechtes Gewissen ist immer voller Unruhe, voll Angst und Elend. Die Gottlosen müssen sich quälen und in mancherlei Unruhe sich ängstigen. Wo keine Gerechtigkeit ist, kann jene Ruhe und jener Friede keine Stätte haben. Wo Christus herrscht, nur da ist wahrer Friede. Einen ganz gewissen Frieden genießen zuletzt nur die Gläubigen, für die vor dem himmlischen Richterstuhl nicht etwa ihre Frömmigkeit, sondern ihr Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit spricht. Darum regiert Christus dort noch nicht, wo die Gewissen voller Unruhe sind und von mannigfachen Zweifelswogen hin- und hergeworfen werden, wie es allen denen ergehen muss, welche sich nicht auf Christi Opfer und die durch ihn erworbene Erlösung gegründet haben.

V. 19. Aber Hagel wird sein den Wald hinab. Wie schon gesagt, ist es bei den Propheten üblich, das Reich Christi in Bildern darzustellen. Sie entnehmen dieselben dem irdischen Leben, weil wir sonst bei unserer Stumpfheit den unschätzbaren Reichtum himmlischer Güter nicht fassen könnten. Der Sinn dieses Verses ist nun folgender. Der Herr wird Schaden und Nachteil von den Seinen abwenden und anderswohin richten. Wir sind hier mancherlei Stürmen und Wettern ausgesetzt; Regen, Hagel, Wind und Sturm müssen wir aushalten. Gott aber wird nach seiner wunderbaren Vorsehung alles so lenken, dass es den Gläubigen nichts schadet. Das tut er in der Weise, dass er alle bösen Stürme anderswohin ablenkt. Unter dem Wald versteht der Prophet entlegene einsame Gegenden, wo Menschen nicht verkehren. Sind wir unter Christi Schutz, dann werden wir vor Gefahr und Schaden bewahrt, mögen auch mannigfache Stürme und Wetter über unser Haupt hereinbrechen. Der Herr ist unser Retter, der das drohende Unheil ablenkt oder die Gefährdeten herausreißt.

Und die Stadt danieden wird niedrig sein. Mit diesen Worten will der Prophet den schon erwähnten Frieden bekräftigen. Damals pflegte man die Städte auf hochgelegenen Punkten anzulegen, weil der Zugang dorthin mit Schwierigkeiten verbunden war. Der Prophet aber verheißt hier: Der Schutz Gottes seinem Volke gegenüber wird so mächtig sein, dass es der gewohnten Sicherheitsmaßregeln nicht im Geringsten bedarf. Denn auch die Stadt, die danieden, d. h. in einem Tale liegt, wird sicher sein. Auch wenn ihre Befestigungswerke niedrig sind und sie so dem Einfall der Feinde offen steht, wird kein Unheil sie treffen, denn die Hand des Herrn wird sie beschirmen. Wenn wir also unsere Sicherheit suchen und dabei auf unsere selbsterwählten Schutzmittel trauen, so ist es nicht ausgeschlossen, dass wir mit einem Male aus unserer sicheren Stellung herausgeworfen werden. Wenn aber der himmlische Vater sich herablässt, die Sorge für unser Heil auf sich zu nehmen, dann sollen wir mit solchem Beschirmer und Fürsprecher zufrieden sein.

V. 20. Wohl euch, die ihr säet allenthalben. Der Prophet zeigt, welche Veränderung da eintritt, wo Christus zu herrschen beginnt. Vorher hatte er gesagt, die Verwüstung werde eine derartige sein, dass Dornen und Disteln das heilige Land bedecken, dass prächtige Häuser zerstört und Städte und Paläste dem Erdboden gleich gemacht würden. Das war eingetroffen, als durch andauernde feindliche Einfälle das Land verwüstet wurde. Nun aber preist der Prophet die Einwohner glücklich, weil Gott sie mit einer Fülle von Gütern sättigen wird. Diese Segensfülle hätte mit einfachen Worten beschrieben werden können, er schildert sie aber in treffenden Bildern: an den Wassern wird man säen. Darunter verstehen einige Ausleger fruchtbares, üppiges Land. Nach meiner Meinung jedoch will der Prophet sagen: auch Stellen, die sonst vom Wasser überflutet wurden, werden zur Aussaat geeignet sein. Es ist dabei nicht zu befürchten, dass das Wasser die Saaten verderbe.

Und die Füße der Ochsen und Esel frei gehen lasset. Man pflegt von den Äckern, besonders wenn sie bestellt sind, Ochsen und Esel und andere Tiere fern zu halten, damit sie die Frucht nicht abfressen oder ausreißen. Dereinst aber wird die Saat so dicht und so voll stehen, dass man Ochsen und Esel hineinschicken darf, um die ersten frischen Gräser abzuweiden. Die Saaten werden dadurch nicht leiden. Sollte nun jemand einwenden, im Reiche Christi sei doch eine solche Fruchtbarkeit niemals zu sehen gewesen, so gebe ich gewiss zu, dass, obschon Gott die Seinen aufs freigebigste beschenkt, doch immer Zeichen seines Fluches sich gezeigt haben, den Adams Fall über das ganze menschliche Geschlecht gebracht hat. Da aber den Gläubigen durch Christus die Welt zum Erbe gegeben wurde, so reden die Propheten mit Recht davon, die Erde solle von ihm wieder erneuert werden, sie werde ihr trauriges Aussehen verlieren und ihre dahingeschwundene Herrlichkeit wieder erlangen. Die nun darüber klagen, das sei doch nicht erfüllt worden, die sollen sich selbst prüfen, ob sie denn ganz und gar von jeder Sündenschuld rein geworden sind. Solange sie noch von der geistlichen Gerechtigkeit fern sind, möge es ihnen genügen, nach dem Maß ihrer Erneuerung Gottes Segen zu schmecken. Auf die vollkommene Fülle desselben können wir nicht eher hoffen, als bis wir alle Unreinheit des Fleisches abgelegt haben und das Bild Gottes vollkommen an uns tragen.

 

Kapitel 33.

 

V. 1. Weh aber dir, du Verstörer! Der neue Abschnitt, der hier beginnt, richtet sich, darin stimmen alle Ausleger überein, gegen Sanherib und sein Heer. Ich pflichte meinerseits dieser Ansicht bei, dass hier den Assyrern, die alle ihre Nachbarvölker in ungerechter Weise bedrückten, die Strafe angekündigt wird, welche die Leiden und Beschwerden des Volkes Israel lindern sollte. Von einem wunderbaren Umschwung der Dinge redet der Prophet. Das blühende Ninive soll zerstört werden, obwohl es unüberwindlich scheint. Die feindlichen Chaldäer werden kommen und die Grausamkeiten rächen, die sie gegen so viele Völker verübt haben. Um seiner Rede besonderen Nachdruck zu geben, redet der Prophet die Assyrer persönlich an: Weh dir, du Verstörer! Und du Räuber! Jetzt dürft ihr ungestraft wüten, keine Macht widersteht euch. Aber meinst du, deine Gewalttaten würden dir ungestraft hingehen? Einst kommen Leute, die dir Gleiches vergelten werden! Diese Sätze wollen das schändliche Treiben der Feinde recht hervorheben, die in ihrer Beutegier niemanden schonten, auch die Unschuldigen nicht, die ihnen nichts zuleide getan hatten. Wenn nun die Juden solch zügelloses, ungerechtes Treiben sahen, sollten sie daran denken, dass es einen gerechten Gott gibt und solche Dinge nicht ungestraft bleiben würden.

Wenn du das Verstören vollendet hast, so wirst du auch verstöret werden. Hier im zweiten Teil des Verses weist der Prophet darauf hin, dass die Assyrer nur darum jetzt rauben, weil Gott es ihnen erlaubt. Einst aber wird er sie daran hindern, dann werden sie keine Kraft mehr zu schaden haben. Den Tyrannen sind also Grenzen gesteckt, die sie nicht überschreiten dürfen. Solange sie auf dem ihnen gewiesenen Wege sind, wüten sie; am Ziele jedoch, wenn es zum Äußersten gekommen ist, müssen sie Halt machen. Mit solchem Troste sollen wir uns aufrichten, wenn wir sehen, wie freche Tyrannen in schändlicher Weise gegen die Kirche Gottes wüten. Der Herr ruft ihnen doch zuletzt ein Halt zu, und je grausamer sie waren, ein umso schlimmeres Gericht wird über sie ergehen. Der Herr wird sie verderben in einem Augenblick. Ihnen selbst erweckt er wieder Feinde; von diesen werden sie dann vernichtet und müssen so für ihre Freveltaten büßen. In solchen staatlichen Umwälzungen kann man Gottes Vorsehung erkennen. Die Gottlosen wähnen, alles geschehe von ungefähr, unter dem Einfluss eines blinden Schicksals. Darüber müssen wir ganz anders denken. Der Herr vergilt den Gottlosen nach Verdienst; sie müssen es erfahren, dass die Grausamkeit, die sie gegen Unschuldige ausüben, nicht ungestraft bleibt. Die Wahrheit dieser Weissagung wurde durch die Folgezeit bestätigt. Denn nicht lange nachher wurde Ninive von den Chaldäern bezwungen und ging unter; ja es wurde so gründlich zerstört, dass es selbst seinen Namen dabei verlor. An seine Stelle trat das nicht minder räuberische Babylon. Mit Recht sagt also der Prophet: „wenn du des Raubens ein Ende gemacht hast, wird man dich wieder berauben.“

V. 2. Herr, sei uns gnädig, denn auf dich harren wir. Der Prophet erinnert die Frommen daran, wohin sie in solchen Nöten ihre Zuflucht nehmen sollen, auch wenn sie aller Hoffnung auf Rettung beraubt zu sein scheinen. Zum Gebet sollen sie dann ihre Zuflucht nehmen. Um Erfüllung solcher Verheißungen sollen sie dann vor allem bitten, wenn sie tief im Elend stecken und die Feinde sie schmählich bedrücken mit übergroßer Macht. Darauf ist hier besonders zu achten, dass, nachdem ihnen Gottes Verheißung vorgehalten ist, sie sogleich zum Bitten ermahnt werden. Ja, der Prophet unterbricht den Faden seiner Rede und geht plötzlich zum Bitten über. Er sah, wie schwer es für die so hart heimgesuchten Juden sein musste, von der Furcht, von der sie fast zu Tode geängstigt waren, loszukommen. Wenn auch der Herr eilt, seine Verheißungen zu erfüllen, so zögert er doch je und dann, um uns in der Geduld zu üben. Sobald wir aber aufs Warten angewiesen sind, fehlt uns standhafte Geduld. Alsbald wird unser Mut gebrochen und sinkt hin. Deshalb sollen wir zum Gebet unsere Zuflucht nehmen. Durchs Gebet allein können unsere Herzen wieder aufgerichtet und von neuem belebt werden; auf Gott müssen wir schauen und das Verlangen haben, durch ihn allein aus unsern Nöten herauszukommen. Lasst uns nur geduldig ausharren in unerschütterlicher Hoffnung und im Vertrauen auf seine Verheißungen. Er wird sich doch zuletzt als treu erweisen, er betrügt uns nicht. Zugleich weist der Prophet darauf hin, dass in dem Gottesgericht gegen die Assyrer Gottes väterliche Gunst gegen sein auserwähltes Volk zu erkennen sei. Jene, will er sagen, sollen nicht nur deshalb verstört werden, damit sie den gerechten Lohn für ihre Habsucht und Grausamkeit empfangen, sondern auch deshalb, weil Gott auf diese Weise für das Heil seiner Kirche Sorge tragen will. Wenn der Prophet uns übrigens ermahnt, um Gnade und Erbarmen zu bitten, so bezeugt er damit, dass wir in einer erbarmenswerten Lage uns befinden. Wenn ferner die Gläubigen sich gegenseitig zum Ausharren ermuntern, so bezeugen sie damit, dass sie auf den Gott, den sie anrufen, ihre Hoffnung setzen. Und sicherlich sind unsere Gebete eitel und nichtig, wenn sie nicht auf diesem Grunde ruhen. „Deine Gnade sei über uns“, sagt David (Ps. 33, 22), „wie wir auf dich hoffen.“ Es wäre aber verwegen, vor Gottes Angesicht zu treten, wenn er nicht selber uns den Zutritt zu sich eröffnete. Wie er uns nun freundlich und gütig einlädt, so müssen wir auch sein Wort und seine Verheißungen umfassen, so oft wir ihm nahen. Dann aber muss zum Glauben auch die Geduld kommen. Fehlt der Glaube, dann verdienen wir es nicht, dass der Herr uns erhört. Wir beten dann ja nicht aus dem Glauben heraus. Allein aus dem Glauben wird ein rechtes Gebet geboren, wie die Schrift an zahlreichen Stellen bezeugt. Fehlt uns derselbe, dann steckt nur Heuchelei in uns, vor Gott das Verabscheuenswerteste, was es gibt. Auch das sollen wir hier lernen, dass der Glaube im Unglück auf die Probe gestellt wird. Darin beweisen wir denselben in Wahrheit, wenn wir in unerschütterlicher Geduld allen Gefahren und Beschwernissen gegenüber ausharren und unsere Ruhe finden in dem Worte und den Verheißungen Gottes. Dann beweisen wir durch die Tat, dass wir wahren Herzensglauben besitzen.

Der du ihr Arm warst … sei auch unser Heil. Andere übersetzen: „Sei ihr Arm … dazu unser Heil.“ Aber nur bei unserer Übersetzung erklärt sich der Wechsel der Person. Der Prophet erinnert an die Wohltaten, welche der Herr den Vätern erwiesen hat. Er will sagen: Du, Herr, hast dich den Bitten unserer Väter nicht versagt; als sie zu dir ihre Zuflucht nahmen, hast du ihnen Hilfe gebracht. So sei auch jetzt unser Heil und hilf uns in unserer Trübsal. „Arm“ und „Heil“ unterscheiden sich dadurch voneinander, dass als Gottes „Arm“ die Macht bezeichnet wird, die er zur Verteidigung seiner Kirche gebraucht, und zwar noch ehe sie heimgesucht wird; „Heil“ jedoch bedeutet Rettung, durch welche die Kirche befreit wird, selbst wenn sie zu Grunde gerichtet erscheint. Der Prophet erinnert also an die früheren Wohltaten, mit denen der Herr einst die Väter überschüttete; dies soll ihn bewegen, ähnliche Barmherzigkeit auch ihren Kindern zuzuwenden. Er will sagen: Du, Herr, hast einst die deiner Kirche drohenden Gefahren abgewandt; sie blühte und war glücklich im Vertrauen auf deine Gunst; als sie bedrängt wurde, hast du sie befreit. Dasselbe wirst du auch unseretwegen tun, zumal es deine Sache ist, in Unglück und Trübsal Hilfe zu bringen.

V. 3. Lass fliehen die Völker. Nachdem der Prophet im zweiten Verse seinen Gedankengang durch einen kurzen Gebetsseufzer unterbrochen hat, knüpft er nun wieder an den ersten Vers an. Dort hatte er gesagt, die Assyrer sollten niedergeworfen werden, obwohl sie gegen allen Glückswechsel gesichert zu sein schienen. Jetzt malt er dies den Juden lebendig aus. Gewaltig war die Macht der Assyrer, für alle Völker ein Gegenstand des Schreckens; sie galten für unbesiegbar. Darum schildert Jesaja ihren Untergang, der unbegreiflich schien, so, als wäre er schon eine vollendete Tatsache. Er redet von Völkern, in der Mehrzahl: „Lass fliehen die Völker.“ Das Reich der Assyrer bestand aus einer Reihe von Völkerschaften, und ihr Heer setzte sich aus vielerlei Nationen zusammen. Sie mögen aber noch so zahlreich und mächtig sein, sie werden doch jammervoll zugrunde gehen.

Von dem großen Getümmel. Einige Ausleger verstehen das so, als wenn der Herr allein durch großen Lärm die Feinde in die Flucht schlagen werde. Doch ist diese Auslegung zu gekünstelt und sachlich nicht begründet. Ich verstehe lieber darunter das Getümmel, den Lärm, der von den Medern und Persern erregt werden sollte.

Wenn du dich erhebst. Das fassen manche als eine besonders feierliche Offenbarung der Macht Gottes. Ich verstehe den Ausdruck einfach so: Der Herr, der vorher zu ruhen schien, weil er die Chaldäer ungestraft wüten ließ, steht jetzt plötzlich auf und tritt mitten auf den Schauplatz. Infolge seiner Langmut wurde er ohne Zweifel von den Feinden stolz verlacht, als wenn der Gott Israels gebrochen und besiegt wäre. Aber er hat sich erhoben, hat sich auf den Richtstuhl gesetzt und den Frevel der Gottlosen bestraft. Dieses Sich-Erheben steht also im Gegensatz zu jener Machtlosigkeit, welche der Herr scheinbar zeigte, als er sein Volk geplagt und verstört werden ließ.

V. 4. Da wird man euch aufraffen als einen Raub. Der Prophet redet hier die Assyrer an. Damit dass er so offen und persönlich gegen die stolzen Feinde losfährt, gibt er seiner Weissagung besonderen Nachdruck. Es ist zweifelhaft, ob hier an den letzten Untergang jenes Volkes zu denken ist oder an die Niederlage Sanheribs, als sein Heer durch die Hand des Engels vor den Mauern Jerusalems vernichtet wurde. Doch mag dem sein, wie ihm wolle, es ist leicht zu erkennen, dass diese Worte ihre Spitze gegen das Reich Ninive richten.

Wie man die Heuschrecken aufrafft. Mit Heuschrecken vergleicht der Prophet jenes kriegerische Volk. Es ist ein sehr treffendes Bild, das auch der Prophet Nahum (3, 15) gebraucht, allerdings in einem etwas andern Sinn. Jene Insekten sind dem Baum- und Graswuchs sehr gefährlich und überaus schädlich, sodass sie mit Recht eine Geißel der Erde genannt werden. Aber trotz ihrer ungeheuren Menge haben die Heuschrecken doch keine Kraft, sich zu schützen. So ist es selbst Kindern ein Leichtes, sie abzuschütteln, zu sammeln und haufenweise zu vernichten. Ebendasselbe nun wird jenen überaus gefräßigen Räubern widerfahren. Zwar haben sie durch ihre Räubereien lange Zeit viel geschadet, zuletzt werden sie aber doch ohne Mühe aufgerieben und vernichtet. Geschwächt, wie tot werden sie unter die Hand der Feinde fallen, und die üppige Macht Ninives, durch Räubereien zusammengebracht, wird an Babylon übergehen. Ein zweites Bild wird hinzugefügt: die Assyrer sollen wie Käfer zerscheuchet werden. Käfer sind überaus gefräßig; unersättlich im Fressen und schnell und leicht dahinfliegend verderben sie alle Früchte des Landes.

V. 5. Der Herr ist erhaben. Ausführlicher schildert der Prophet hier die Erhabenheit Gottes. Wie oben, so zeigt er auch hier, dass bei dem Untergang eines so mächtigen Reiches offenbar wird, wie Gott dem Herrn seine Kirche und ihr Heil so wert ist. Um ihretwillen wird er Ninive, die Königin der Städte, samt ihren Einwohnern verderben. Der Hinweis, dass Gott die Gottlosen und Verächter nicht schont, ist sehr angebracht. Ihrer Willkür stellt der Herr sich entgegen und will damit bezeugen, wie sehr er seine Auserwählten liebt. Das ist ein mächtiger Trost, dass Gottes Ehre am hellsten in der Rettung seiner Kirche leuchtet. Zunächst sagt nun der Prophet: „der Herr ist erhaben.“ Die Gottlosen wähnten, er sei in den Niedergang seines Volkes verwickelt und mit zu Boden gestürzt. Weiter heißt es: denn er wohnet in der Höhe. Niemand soll meinen, Gott habe etwas, was ihm verloren gegangen war, wiedererlangt, wie in der Welt Niedergeworfene wieder zu neuer Kraft und Macht sich zu erheben pflegen, wenn die Verhältnisse sich gebessert haben. So ist es bei Gott nicht. Denn er wohnet in der Höhe. Das ziemt sich ja für den, der die Himmel innehat. Ob er auch sehr oft seine Macht verbirgt, niemals lässt er seines Rechtes sich berauben, sondern so oft es ihm gut dünkt, offenbart er seine Erhabenheit, dass er in der Höhe wohnt. Damit bezeichnet der Prophet den Gipfel aller Macht, der auch der Erdkreis unterworfen ist. Zugleich weist er damit darauf hin, dass es Gott ein Leichtes ist, zu Boden zu werfen, was in der Welt erhaben ist.

Er hat Zion voll Gerichts und Gerechtigkeit gemacht. Mit diesen Worten bezeichnet der Prophet es wieder als einen besonderen Beweis göttlicher Gnade, dass die Juden der Tyrannei der Chaldäer entrissen wurden. Gott, der Urheber solcher Gnadenerweisung, sollte ihnen recht vor Augen gestellt werden. Wir wissen, in wie schmählicher Weise unsere Undankbarkeit seinen Ruhm verdunkelt. Gott schüttet in freigebiger Fülle seine Gnade aus, indem er seine Kirche wieder aufrichtet. Nicht unpassend kann man bei diesen Worten auch an geordnete, rechtliche Verhältnisse denken, unter denen alles recht und gerecht hergeht. Ohne solche gerechten Ordnungen wird es in der Kirche niemals wohl stehen, mag auch alles andere nach Wunsch gehen. Heilige und gerechte Ordnungen, nicht verderbliche Üppigkeit sollen wir für unser Glück erachten.

V. 6. Und wird zu deiner Zeit Glaube sein, Reichtum an Heil usw. Der Prophet verheißt eine fröhliche, glückliche Zeit unter der Regierung des Königs Hiskia, fröhlich und glücklich zumal im Vergleich mit den unseligen, verderbenbringenden Wirrnissen, die unter Ahas zu Tage getreten waren. Das hätte freilich wohl niemand gehofft, dass die Lage der so schwer heimgesuchten Juden nach der Niederwerfung der Feinde wieder eine so glückliche, wie früher, werden könnte. Einige Ausleger nehmen an, der Prophet zähle hier auf, worin das Glück des Volkes unter dem frommen Könige bestehen werde, und sind der Ansicht, dass mit den einzelnen Ausdrücken „Glaube, Heil, Weisheit, Klugheit“ ebenso viele Wohltaten Gottes bezeichnet würden. Wenn ich aber den Worten des Propheten genauer nachgehe, dann möchte ich diese Stelle lieber so auffassen, dass unter der Regierung des Hiskia Glaube oder noch besser Beständigkeit und Heil bestehen wird in Weisheit und Klugheit. Der Prophet weist also darauf hin, dass dann erst der Bestand der Kirche gesichert ist, wenn Weisheit und Klugheit in ihr regieren, dass dauerndes Glück und Heil nur da ist, wo lebendige Gotteserkenntnis herrscht, wo Menschen in göttlicher Weisheit gelehrt sind. Aus dieser Stelle können wir besonders klar lernen, wie durch unsere Undankbarkeit den Segnungen Gottes das Tor verschlossen wird, wenn wir eben ihn, den Schöpfer, übergehen und in sinnlichen, irdischen Wünschen stecken bleiben; und ferner dies: es mag uns an Gütern und Gaben zuströmen, was immer gewünscht und erdacht werden kann, es schlägt uns dennoch nichts zum Heile aus, wenn es nicht durch das Salz der Weisheit und Klugheit gewürzt ist. Die Kirche kann nur dann blühen, wenn über allen ihren Gütern das eine Gut steht: die Erkenntnis Gottes. Ist aber keine Erkenntnis des Wortes Gottes vorhanden, ist alle wahre Gotteserkenntnis erloschen oder vergraben, dann ist jedes glückliche Gedeihen noch schlimmer und gefährlicher, als der Ruin. Also dann wird die Lage der Kirche eine sichere, beständige sein, wenn die Menschen, von ihrer Blindheit und Unwissenheit befreit, anfangen, Gott zu erkennen. Wenn uns darum der Herr solche Gnade erweist, dass unter uns in Wahrheit das Licht des Glaubens und der Erkenntnis leuchtet, dann kommen ganz von selbst andere Gnadenerweisungen hinzu; wenn uns dann auch mannigfache Stürme hin- und herwerfen, wir werden doch immer erhalten durch Gottes Hand. – Mit dem Worte: „zu deiner Zeit“ deutet der Prophet auf die Zeit des Hiskia. Diesen redet er an als Repräsentanten des ganzen Volkes. Da aber das Reich des Hiskia nur ein schwacher Schatten des Reiches Christi war, wie wir schon früher aussprachen, so müssen wir dies alles auch auf Christum beziehen, in dem alle wahre Weisheit und Klugheit verborgen ist. Wo also Christus nicht erkannt wird, da fehlt den Menschen die wahre Weisheit, auch wenn sie in allen Wissenschaften noch so bewandert sind. Ihre ganze Weisheit ist eitel, bis sie Gott wahrhaft erkennen.

Die Furcht des Herrn wird sein Schatz sein. Das fügt der Prophet hinzu, um noch klarer und deutlicher zum Ausdruck zu bringen, dass die von ihm gemeinte Weisheit die Lehrerin der Gottesfurcht ist, dass sie keine kalte, eitle Weisheit ist, sondern eine solche, die mächtig in unsere Herzen eindringt und uns zur Gottesfurcht treibt. Daher wird auch anderswo (Spr. 1, 7 vgl. Ps. 111, 10) die Furcht Gottes der Weisheit Anfang genannt, d. h. das wichtigste Stück derselben. Es ist ein Irrtum, unter dem Anfang der Weisheit deren erste, einfachste Elemente zu verstehen, während doch Salomo damit das wichtigste, höchste Stück derselben bezeichnet. Ein Schatz wird die Furcht Gottes genannt, ohne den alles Glück ein elendes Ding ist. Alles Glück des Lebens besteht also in der Erkenntnis Gottes, die wir im Glauben erlangen. Die Furcht des Herrn wird „sein“ Schatz, d. h. des Königs Schatz sein, also ein königliches Gut. Ein köstliches, unschätzbares Gut ist es, Gott mit der ihm gebührenden Furcht zu ehren. Diejenigen, die ohne Gottesfurcht sind, hält der Prophet für elende, verlorene Leute, für die glückseligsten dagegen die, welche den Herrn fürchten, mögen sie auch die Menschen für die unglückseligsten halten. Der Prophet redet hier aber von der Furcht vor Gott, welche den wahren Gehorsam gegen ihn in sich schließt und unsere Herzen erneuert. Die Furcht, von der die Gottlosen erfasst werden, ist eine andere; sie erschrecken vor Gott, wie der Übeltäter vor dem Richter. Diese Furcht verdient kein Lob, denn sie geht weder aus der rechten Gotteserkenntnis hervor, noch aus dem aufrichtigen Verlangen, Gott zu ehren. Sie ist von der Weisheit, die Jesaja preist, weit entfernt.

V. 7. Siehe, ihre Helden schreien draußen. Man weiß nicht genau, ob der Prophet hier schildert, wie angstvoll die Juden zitterten und in wie großer Gefahr sie sich befanden. Solche Schilderung würde den Zweck haben, die gnädige Errettung in ein desto helleres Licht zu rücken. Recht wohl möglich ist auch, dass eine kommende Heimsuchung angekündigt werden soll, damit inmitten derselben die Frommen nicht den Mut verlieren. Mir ist es sogar das Wahrscheinlichste, dass sich diese Sätze nicht auf etwas Vergangenes beziehen; sondern da eine harte, schwere Prüfung bevorstand, sollen wahrscheinlich die Herzen der Gläubigen gestärkt werden, in solch verzweifelter Lage geduldig der Hilfe des Herrn zu warten. Wie dem auch sei, jedenfalls wird hier eine traurige und beklagenswerte Lage der Kirche geschildert, und zwar zu dem Zweck, damit die Gläubigen nicht aufhören, auch in ihren Ängsten getrost zu hoffen, und damit sie, wenn sie aus der Gefahr errettet sind, erkennen, dass dies durch Gottes wunderbare Macht geschehen ist.

Die Boten des Friedens weinen bitterlich. Das wird als ein Zeichen der verzweifelten Lage angegeben, dass die Boten des Friedens, die gesandt waren, um den Tyrannen zu besänftigen, nichts erreichten. Hiskia versuchte alle Wege und Mittel, Frieden zu erlangen, aber er erreichte nichts. Die Boten des Friedens kehrten in größter Trauer zurück, und auch unterwegs können sie ihren Schmerz nicht verbergen; unter so jammervollen Verhältnissen war es ja auch schwer, denselben zurückzuhalten. Ohne Zweifel will der Prophet darauf hinweisen, dass der Friedensantrag stolz und schnöde von Sanherib zurückgewiesen werden würde, sodass die Boten gezwungen würden, ihre Würde vergessend, ihrem Schmerz und ihren Klagen vor allem Volk Ausdruck zu geben. Bevor sie zu ihrem Könige zurückkehrten und über ihre Sendung Rechenschaft ablegten, unterließen sie nicht, öffentlich kund zu tun, was für eine Antwort sie von dem grausamen Tyrannen heimbrachten.

V. 8. Die Steige sind wüste usw. Die Wege werden gesperrt werden, sodass nach keiner Richtung mehr ein Verkehr stattfindet. So pflegt es in Kriegszeiten zu sein. Der Prophet scheint die Boten redend einzuführen, wie sie erzählen: Der Verkehr stockt, keine Straße ist mehr frei; die Steige sind wüste, es gehet niemand mehr auf der Straße.

Er hält weder Treue noch Glauben usw. Einige Ausleger legen diese Wort so aus, als ob Heuchler sich beklagten, Gott halte seine Verheißungen nicht. Wenn man dies nun wirklich auf Gott beziehen will, so ist es dabei doch nicht nötig, solche Klage gerade den Gottlosen zuzuschreiben. Denn auch Gläubige rechten zuweilen in dieser Weise mit Gott. Doch diese Auslegung passt nicht. Vielmehr wird in ununterbrochenem Zusammenhang von der Grausamkeit und unerbittlichen Wut des Sanherib erzählt, der das zuvor mit Hiskia eingegangene Bündnis treulos gebrochen hat. Denn obschon er Ruhe und Frieden versprochen hatte, so brach er doch die Treue und rüstete zum Kriege, sobald sich ihm eine günstige Gelegenheit zur Eroberung Judäas bot.

V. 9. Das Land liegt kläglich und jämmerlich usw. Hier schildert der Prophet noch ausführlicher die zukünftige jammervolle, beweinenswerte Lage der Juden. Ihr Glaube soll aber nichtsdestoweniger aus dem Abgrund der Hölle wieder emportauchen. Im Einzelnen führt er den Libanon, Saron, Basan und Karmel an. Diese Gegenden lagen weit auseinander und bildeten ungefähr die Grenzen des heiligen Landes. Nichts wird also in diesem Lande heil und unverletzt bleiben. Bei dieser Schilderung hebt nun der Prophet die Eigenart jeder einzelnen Gegend besonders hervor. Vom Libanon sagt er: er stehet schändlich zerhauen. Sein glänzender Schmuck waren seine herrlichen, wertvollen Wälder. Saron, sagt er, ist wie eine Wüste; es war eine fruchtbare Ebene. Basan und Karmel, heißt es, ist öde; sonst hätten sie an Früchten reichen Überfluss. Der Prophet spielt also auf die Eigenart der einzelnen Gegenden an und beschreibt damit ihre jammervolle Verwüstung. Umso herrlicher will er dadurch die Gnadentat Gottes hervorheben, durch die sie von ihrem Jammer erlöst werden sollen.

V. 10. Nun will ich mich aufmachen, spricht der Herr usw. Bedeutsam ist dies „nun“ in seiner dreimaligen Wiederholung. Auf die Zeit ist zu achten, auf welche dies „nun“ bezogen werden muss. Es ist eine Zeit, in der es um die Kirche geschehen zu sein scheint. Dann ist für Gott der Zeitpunkt gekommen, wo er Hilfe bringt. Den Frommen stellt der Prophet schwere, harte Heimsuchungen vor Augen, denen sie leicht unterliegen konnten, wenn sie nicht durch irgendwelchen Trost aufrecht erhalten wurden. Nun will er ihnen sagen: Der Herr lässt es zu, dass es mit euch bis zum Äußersten kommt; aber sobald ihr euch verloren gegeben und vergeblich alle Hilfsmittel versucht habt, wird der Herr sich aufmachen und euch Hilfe bringen. Es muss mit uns in unsern Heimsuchungen bis zum Äußersten kommen, damit wir Gott als den alleinigen Urheber unserer Rettung erkennen. Weshalb Gott seine Hilfe soweit aufschiebt, das kann den Menschen freilich unbegreiflich erscheinen. Wir aber kennen den sehr triftigen Grund dafür. Die Frommen sollen in der Geduld geübt, ihr Glaube soll geprüft, die Regungen ihres Fleisches müssen gedämpft, ihr Gebetseifer muss angefeuert, ihre Hoffnung auf das ewige Leben fest gegründet werden. Die dreimalige Wiederholung des „nun“ ist in besonderem Maße geeignet, diese Verheißung zu bekräftigen. In verzweifelten Lagen meinen wir ja, es sei alles aus. Aber gerade dann müssen wir am meisten die Hoffnung festhalten. Denn gerade in solcher Zeit will der Herr einen besonderen Beweis seiner Macht geben. So richtet er die Frommen auf zu getrostem, festem Mut, dass sie zuversichtlich des Übermutes der Feinde spotten.

V. 11. Mit Stroh gehet ihr schwanger, Stoppeln gebäret ihr. Hier wendet sich der Prophet gegen die Feinde der Kirche. Ihre Frechheit ist vergeblich und töricht. Sobald Gott in seiner herrlichen Macht sich erhoben hat, werden sie erkennen, dass ihre Anstrengungen umsonst sind und dass sie nichts erreichen werden, auch wenn sie in ungeheuren Massen sich gegen ihn verschwören. Der Herr lacht über das Toben derer, die meinen, sie hätten alles in ihrer Hand. Sie mögen noch so stark gerüstet sein, er kann sie stracks, im Nu niederwerfen und vernichten. Das Bild, dass jemand mit etwas schwanger geht, wird oft in der Schrift gebraucht im Blick auf Leute, die irgendetwas im Schilde führen und mit sich herumtragen. Das Schwangersein dieser Leute aber, sagt der Prophet, wird eitel sein; eine Fehlgeburt wird erfolgen. Alles, was sie unternehmen, wird ohne Erfolg sein. Wir brauchen also vor der glänzenden Macht der Feinde nicht zu erschrecken. Wenn Gott ihnen auch eine Zeitlang erlaubt, sich zu regen, Lärm und Unruhe zu machen, - am letzten Ende wird er doch alles, was sie im Übermute planen, zunichtemachen. Was Jesaja hier von Sanherib weissagt, gilt von allen Feinden der Frommen und der Kirche.

Euer Feuerschnauben wird euch verzehren. Dies versteht man gewöhnlich von der schnaubenden Wut der Feinde, die sie schließlich selbst verzehren wird. Aber dies wäre ein sehr unpassendes Bild. Die richtige Auslegung liegt viel näher: Das Feuer, das durch euer Schnauben angeblasen ward, soll euch verzehren. Wir pflegen durch Schnauben oder Blasen das Feuer anzufachen. Das Feuer also, das die Gottlosen mit ihren Schandtaten angefacht haben, wird ihnen verderbenbringend werden, weil es sie selbst verzehrt. Es ist das die gleiche Anschauung, welche die Schrift in mannigfachen Bildern so oft hervorhebt. Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein (Ps. 57, 7): „Sie graben vor mir eine Grube und fallen selbst hinein.“ Das Schwert, das sie gezogen hatten, bohrte sich in ihren eignen Leib. Ihr Bogen ist zurückgeschnellt und hat sie selbst verwundet. Der gottlose Tyrann, der Judäa verwüstete und Jerusalem mit einem gewaltigen Heer belagerte, zieht sich also, gleich andern Feinden der Kirche, selbst den Untergang zu und wird zuletzt umkommen. Sie werden von eben demselben Feuer verschlungen werden, das sie selbst angezündet haben.

V. 12. Und die Völker werden zu Kalk verbrannt werden. So hart sind sie, sie werden wie Kalksteine im Feuer weich und zu Staube werden. Und in der Tat! Je ungestümer und hitziger die Gottlosen Schaden zu verursachen trachten, umso eher richten sie sich durch ihre Kühnheit selber zu Grunde. Nicht minder treffend ist das folgende Bild: wie man abgehauene Dornen mit Feuer ansteckt. Dornen wehren sich zwar mit ihren scharfen Stacheln gegen die Berührung menschlicher Hände, aber es brennt doch kein Holz besser und keines ist schneller verzehrt. So wird es also den Chaldäern ergehen. Ohne Mühe wird sie der Herr vernichten, mögen sie anfänglich auch noch so furchtbar scheinen, und mag es unwahrscheinlich sein, dass sie irgendwie durch Feuer verzehrt werden können. Darum, so oft wir sehen, dass die Feinde der Kirche alle Macht und Hilfsmittel zusammenbringen, um uns zu verderben und die ganze Welt in Brand zu setzen, sollen wir doch wissen, dass dasselbe Feuer, welches sie entzünden, sie elend zu Grunde richten wird. Das hat sich an Sanherib erfüllt. Sein Ausgang hat diese Weissagungen, obwohl sie völlig unglaublich schienen, bestätigt. Auch allen andern Feinden der Kirche, welche die Taten dieses Tyrannen sich zum Muster nehmen, wird dasselbe widerfahren. Damit sollen wir uns in unsern Heimsuchungen und unserm Elend trösten. Für uns folgt sichere Rettung, für die Feinde furchtbare Strafe.

V. 13. So höret nun, die ihr ferne seid, was ich getan habe usw. Hier hebt Jesaja an wie einer, der über eine sehr wichtige Sache reden will. Er befiehlt seinen Zuhörern, sie sollen aufmerken, wie es wohl zu geschehen pflegt, wenn es sich um eine sehr bedeutsame Sache handelt. Er redet dabei sowohl die an, die nahe sind, die Augenzeugen dieser Taten sein werden, wie auch die Völker, die ferne sind, zu denen das Gerücht von diesen Dingen dringen sollte. Der Prophet will damit sagen: Gott wird eine solche Macht offenbaren, dass sie nicht nur einigen wenigen Leuten, etwa nur den Nachbarn bekannt wird, sondern auch denen, die in weiter Ferne wohnen. Es wird eine glänzende, einzigartige Offenbarung göttlicher Macht zustande kommen. Dann werden die Gottlosen, die früher in ihrer stumpfen Sicherheit taten, als wenn sie gegen alles Ungemach und alle Gefahren gefeit wären, von Schrecken hin- und hergetrieben werden.

V. 14. Die Sünder zu Zion sind erschrocken.