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Johannes Calvin (10. Juli 1509 - 27. Mai 1564) war ein französischer Theologe, Pfarrer, Reformator und eine der Hauptfiguren bei der Entwicklung des Systems der christlichen Theologie, das später Calvinismus genannt wurde, einschließlich der Lehren von der Prädestination und der absoluten Souveränität Gottes bei der Rettung der menschlichen Seele vor Tod und ewiger Verdammnis. Die calvinistischen Lehren wurden von der augustinischen und anderen christlichen Traditionen beeinflusst und weiterentwickelt. Verschiedene kongregationalistische, reformierte und presbyterianische Kirchen, die sich auf Calvin als Hauptvertreter ihrer Überzeugungen berufen, haben sich über die ganze Welt verbreitet. Calvin war ein unermüdlicher Polemiker und apologetischer Schriftsteller, der viele Kontroversen auslöste. Mit vielen Reformatoren, darunter Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger, tauschte er freundschaftliche und tröstende Briefe aus. Neben seiner bahnbrechenden "Unterweisung in der christlichen Religion" schrieb er Bekenntnisschriften, verschiedene andere theologische Abhandlungen und Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel. In diesem vorliegenden Werk befasst er sich mit dem Brief an die Römer.
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Seitenzahl: 565
Der Brief an die Römer
JOHANNES CALVIN
Der Brief an die Römer, J. Calvin
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849662639
Der Originaltext dieses Werkes entstammt dem Online-Repositorium www.glaubensstimme.de, die diesen und weitere gemeinfreie Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Wir danken den Machern für diese Arbeit und die Erlaubnis, diese Texte frei zu nutzen. Diese Ausgabe folgt den Originaltexten und der jeweils bei Erscheinen gültigen Rechtschreibung und wurde nicht überarbeitet.
Cover Design: 27310 Oudenaarde Sint-Walburgakerk 89 von Paul M.R. Maeyaert - 2011 - PMR Maeyaert, Belgium - CC BY-SA.
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Einleitung. 1
Kapitel 1. 8
Kapitel 2. 31
Kapitel 3. 47
Kapitel 4. 67
Kapitel 5. 84
Kapitel 6. 98
Kapitel 7. 112
Kapitel 8. 129
Kapitel 9. 159
Kapitel 10. 183
Kapitel 11. 198
Kapitel 12. 218
Kapitel 13. 234
Kapitel 14. 242
Kapitel 15. 254
Kapitel 16. 269
Man könnte den Nutzen des Römerbriefes für die christliche Erkenntnis ausführlich rühmen. Aber wir wollen darauf verzichten. Denn unsere Rede würde an die Hoheit dieses Briefes bei weitem nicht heranreichen und würde darum nur verdunkelnd wirken. Viel besser empfiehlt der Brief sich selbst beim ersten Blick auf seinen Inhalt. Dieser Inhalt nämlich, den wir sofort darlegen wollen, zeigt neben vielen andern Vorzügen vornehmlich die wunderbare Eigenschaft, dass, wer ihn verstanden hat, eben damit den Schlüssel zu allen verborgenen Schatzkammern der Heiligen Schrift empfängt.
Der ganze Brief ist so wohlüberlegt entworfen, dass schon der Eingang wie ein kleines Kunstwerk erscheint. Das werden wir alsbald an manchen Einzelheiten beobachten. Hier sei nur an den Hauptpunkt erinnert, dass bereits der Eingang ungesucht zum Thema des ganzen Briefes hinleitet. Paulus beginnt mit einer Betonung seiner apostolischen Würde (1, 1-15) und wendet sich von diesem Ausgangspunkte wie von selbst zu einem Lobpreis des Evangeliums (1, 16). Vom Evangelium aber kann man nicht reden, ohne des Glaubens zu gedenken. Und damit hat der Apostel Schritt für Schritt seinen eigentlichen Gegenstand erreicht, bei welchem er bis zum Schlusse des 5. Kapitels verweilt: wir werden gerecht gesprochen durch den Glauben. Dies also bezeichnen wir als Hauptthema dieser Kapitel: die Gerechtigkeit des Menschen beruht allein auf Gottes Erbarmen in Christus, welches im Evangelium angeboten und durch den Glauben ergriffen wird. Weil aber die Menschen auf ihren Fehlern einschlafen, sich dabei wohl fühlen und im Selbstbetrug einer eingebildeten Gerechtigkeit einhergehen, so dass sie die Gerechtigkeit des Glaubens nicht begehren, ehe man sie nicht alles Selbstvertrauens beraubt hat; - weil sie andererseits durch die Süßigkeit des Lasters berauscht und in tiefe Sicherheit versenkt erscheinen, so dass sie nicht leicht der Gerechtigkeit nachjagen, wenn sie nicht von dem Schrecken des göttlichen Gerichts getroffen werden: so greift der Apostel die Doppelaufgabe an, die Menschen von ihrer Sünde zu überzeugen und ihre falsche Gemütsruhe zu erschüttern (1, 18 ff.).
Zuerst spricht er im Angesichte der Schöpfung jeglicher Undankbarkeit der Menschen das Urteil (1, 19-32): an dieser Erhabenheit der Werke erkennen sie den Werkmeister nicht; und wenn sie ihn erkennen müssen, so huldigen sie seiner Majestät nicht mit gebührender Ehrfurcht, sondern entweihen und schänden sie mit ihrem eitlen Wesen. So werden sie alle des denkbar größten Verbrechens schuldig, der Gottlosigkeit. Um den allgemeinen Abfall von Gott umso greller zu beleuchten, führt der Apostel eine Reihe von schmachvollen und verabscheuenswerten Lastern vor, denen wir die Menschen allenthalben unterworfen sehen. Hierin liegt ein deutlicher Hinweis für die Abirrung von Gott: denn alle diese Dinge sind Zeichen des göttlichen Zornes, die man bei andern Leuten als bei Gottlosen vergeblich suchen würde. Weil man aber den Juden und auch manchen Heiden, die mit einer Decke äußerlicher Heiligkeit ihr inneres Verderben verhüllten, solche groben Laster nicht aufbürden durfte, und dieselben deshalb der allgemeinen Verdammnis entnommen schienen, so wendet sich der Apostel gegen jene scheinbare Heiligkeit. Und da er jene dürftigen Heiligen vor Menschen nicht zu entlarven vermochte, so zieht er sie vor das Gericht Gottes, vor dessen Augen auch die verborgenen Lüste offen liegen (2, 1-8).
Darauf teilt Paulus die Menschen in ihre Gruppen und stellt Juden und Heiden gesondert vor Gottes Richterstuhl (2, 9 ff.). Den Heiden nimmt er den Anlass, sich mit Unwissenheit zu entschuldigen: denn ihnen diente das Gewissen zum Gesetz und strafte sie hinlänglich (2, 12-16). Die Juden greift er an dem Punkte an, welchen sie als ihr festestes Bollwerk betrachteten: bei dem geschriebenen Gesetz. Wenn man ihnen hieran die Übertretungen zeigte, so konnten sie ja ihre Sündhaftigkeit nicht mehr leugnen. Denn Gottes Wort selbst hatte ihnen das Urteil gesprochen (2, 17-29). Zugleich begegnet Paulus einem nahe liegenden Einwand: dass man nämlich, wenn man die Juden nicht von allen andern unterscheide (3, 1 ff.), den Bund Gottes herabsetze, welcher für sie ein Kennzeichen dafür war, dass sie Gott geheiligt hatte. In dieser Hinsicht wird ausgeführt, dass die Vorzüge des Bundes denen nicht gelten, welche in selbstverschuldeter Untreue abfielen. Freilich bleibt Gottes Verheißung bestehen, und der Bund an sich behält seinen Wert: derselbe ruht aber auf Gottes Erbarmen, nicht auf dem Verdienst der Menschen (3, 1-10). Bezüglich ihrer persönlichen Eigenschaften stehen also die Juden den Heiden gleich. Dass sie alle Sünder sind, wird auf Grund der Autorität der Schrift nachdrücklich behauptet (3, 10-18). Dabei fallen auch einige Bemerkungen über den rechten Gebrauch des Gesetzes (3, 19 f.). Nachdem nunmehr der Menschheit alles Vertrauen auf eigne Tüchtigkeit und aller Ruhm eigner Gerechtigkeit genommen, nachdem ihr die Unerbittlichkeit des göttlichen Gerichts enthüllt, kehrt die Rede zum Hauptthema zurück: dass wir gerecht gesprochen werden durch den Glauben (3, 21-31). Wir hören, worin dieser Glaube besteht, und wie er uns Christi Gerechtigkeit erwirbt. Daraufhin schließt das 3. Kapitel mit jenem gewaltigen Ausruf, welcher alle Ansprüche menschlichen Hochmuts niederschlägt, damit niemand wage, sich wider Gottes Gnade zu überheben (3, 27 f.) Und damit die Juden solche überschwängliche Gnade nicht für die engen Grenzen ihres Volkes allein gegeben wähnten, so spricht der Apostel dieselbe im Vorbeigehen auch den Heiden zu (3, 29 f.).
Das 4. Kapitel knüpft nun die Beweisführung an ein besonderes durchsichtiges, nicht leicht zu verdrehendes Beispiel an: Abraham, der Vater der Gläubigen, wird diesen als Muster und Vorbild vorgestellt (4, 1-5). Wenn er die Rechtfertigung allein durch den Glauben erlangt, dann dürfen wir in seine Fußstapfen treten. Hier wird auch der Gegensatz deutlich: dass die Gerechtigkeit der Werke schwindet, wo man der Gerechtigkeit des Glaubens Raum gibt. Dies bestätigt ferner ein Spruch Davids, welcher die Seligkeit des Menschen allein auf Gottes Erbarmen gründet und damit leugnet, dass die Werke selig machen können (4, 6-8). Darauf verhandelt der Apostel genauer, was er zuvor nur gestreift, dass den Juden kein Vorzug vor den Heiden gebührt, sondern beider Seligkeit auf demselben Grunde ruht, da ja nach Aussage der Schrift Abraham als Unbeschnittener gerechtfertigt ward. Dabei laufen einige gelegentliche Aussagen über die Beschneidung unter (4, 9-12). Dann wird hinzugefügt, dass sich die Verheißung des Heils allein auf Gottes Güte stützt (4, 13-22). Wollte man sie auf das Gesetz gründen, so würde sie dem Gewissen, welches sie doch fest ergreifen muss, keine Ruhe bringen; die Verheißung würde dabei niemals ihr Ziel erreichen. Wer Gottes Gnadenzusage sich aneignen will, muss den Blick von sich selbst weg allein auf Gottes Wahrheit wenden. Er muss Abrahams Nachfolger werden, welcher nicht auf sich selbst sah, sondern auf Gottes Macht. Der Schluss des Kapitels (4, 23-25) bringt uns dieses Vorbild noch dadurch näher, dass die Übereinstimmung der besonderen Lage Abrahams mit den Erfahrungen aller Gläubigen aufgezeigt wird.
Nachdem wir so vorläufig von der Frucht der Gerechtigkeit kosten durften, ergeht sich das 5. Kapitel in lauter weiteren Betrachtungen, welche den Ertrag der Glaubensgerechtigkeit noch deutlicher enthüllen. Wenn Gottes Liebe schon gegen Sünder und Verlorene sich so überschwänglich bewies, dass sie den eingeborenen Sohn für sie dahingab -, wie viel Größeres dürfen wir nun von ihr erwarten, nachdem wir erlöst und mit Gott versöhnt sind (5, 1-11)! Dann werden einander gegenübergestellt (5, 12-21) Sünde und geschenkte Gerechtigkeit, Christus und Adam, Tod und Leben, Gesetz und Gnade. Dies alles versichert uns dessen, dass Gottes unermessliche Güte unsere Sünde mit allen ihren ungeheuren Folgen austilgt. Das 6. Kapitel geht nunmehr zu der Heiligung über, die uns in Christi Gemeinschaft zuteil wird. Das Fleisch neigt ja dazu, sobald es oberflächlich mit der Gnade in Berührung gekommen, mit seinen Fehlern und bösen Lüsten sanft zu fahren, als ob die Arbeit schon ein Ende haben dürfte. Paulus behauptet dagegen, dass man die in Christus geschenkte Gerechtigkeit nicht festhalten könne, wenn man sich nicht auch der Heiligung unterwirft. Er beweist dies durch die Taufe, die uns in Christi Gemeinschaft versetzt: in der Taufe werden wir mit Christus begraben, damit wir, uns selbst abgestorben, durch sein Leben zu neuem Leben erweckt werden. Daraus folgt, dass ohne Erneuerung niemand mit Christi Gerechtigkeit sich decken kann (6, 1-11). Daraus leitet denn der Apostel Mahnungen zur Reinheit und Heiligkeit des Lebens ab (6, 12 ff.): dass wir aus dem Reich der Sünde in das Reich der Gerechtigkeit versetzt sind, muss notwendig bei uns sichtbar werden; die leichtfertige Trägheit des Fleisches, welche bei Christus einen Freibrief für die Sünde sucht, muss überwunden sein. Dabei wird kurz erinnert, dass das Gesetz abgeschafft und also der Neue Bund angebrochen sei, welcher uns mit der Vergebung der Sünden auch den Heiligen Geist bringen sollte.
Im 7. Kapitel beginnt nun die eigentliche Ausführung über den rechten Gebrauch des Gesetzes, worüber wir bisher (3, 20) nur vorläufige Andeutungen empfingen. Wir hören, dass wir vom Gesetz frei sind, weil ja das Gesetz an sich nur zur Verdammnis führen konnte (7, 1-6). Solche Gedanken kann man freilich für eine Lästerung des Gesetzes halten (7, 7 ff.): darum nimmt der Apostel dasselbe nachdrücklichst in Schutz. Durch unsere Schuld sei zur Ursache des Todes geworden, was uns zum Leben gegeben ward. Dabei beobachten wir zugleich, wie durch das Gesetz die Sünde gesteigert wird. Diese Beobachtung gibt dann Anlass, den Kampf zwischen Geist und Fleisch zu schildern, den die Kinder Gottes in sich empfinden, solange sie das Gefängnis dieses sterblichen Leibes umgibt. Sie tragen die Reste der bösen Lust noch in sich, die ihnen fort und fort die völlige Befolgung des Gesetzes wehren.
Das 8. Kapitel ist voll von Trostgründen, welche die erschreckten Gewissen der Gläubigen aufrichten sollen, wenn sie des soeben geschilderten Ungehorsams oder vielmehr noch unvollendeten Gehorsams gedenken. Damit aber die Gottlosen sich nicht einen falschen Trost aneignen möchten, erklärt der Apostel zunächst, dass solche Wohltat nur den Wiedergeborenen gelte, in welchen Gottes Geist sich lebendig beweist (8, 1-14). Zweierlei wird demgemäß eingeschärft: alle, welche dem Herrn Christus durch seinen Geist einverleibt sind, stehen außerhalb jeder Gefahr der Verdammnis, wie groß auch noch immer die Last ihrer Sünde sei; alle aber, die im Fleische verharren, fern von der Heiligung des Geistes, können sich solcher Güter nimmer getrösten. Daraufhin entfaltet der Apostel die ganze Größe unserer Heilsgewissheit (8, 15 ff.): das Zeugnis des Geistes Gottes verscheucht alle Zweifel und jede Furcht. Dazu wird im Voraus gezeigt, dass kein gegenwärtiges Elend, welches dies sterbliche Leben uns auflegt, den sicheren Besitz des ewigen Lebens anfechten und stören könne. Ja, solche Übungen fördern uns im Erwerb der Seligkeit, im Vergleich mit deren Herrlichkeit alles gegenwärtige Elend wie ein Nichts erscheint. Dies bestätigt Christi Beispiel. Er ist der Erstgeborene und der Anführer des Volkes Gottes: darum ist er auch das Urbild, nach welchem wir alle müssen gestaltet werden (8, 29). So krönt der Apostel seine Worte mit jenem herrlichen Lobgesang der Heilsgewissheit, welcher der Macht und der Machenschaften des Satans fröhlich spottet (8, 31 ff.).
Nun wurden aber viele dadurch in Zweifel gestürzt, dass sie die Juden als die ersten Hüter und Erben des Bundes Christus den Rücken kehren sahen. Sie schlossen daraus: entweder müsse der Bund mit Abrahams Nachkommen rückgängig geworden sein, weil dieselben seine Erfüllung verachteten -, oder Christus sei nicht der verheißene Erlöser, weil er gerade das Volk Israel tatsächlich nicht zu erlösen vermochte. So wendet sich der Apostel mit Beginn des 9. Kapitels zur Erörterung dieser Frage. Im Eingang bezeugt er seine Liebe gegen seine Volksgenossen, um dem Verdacht zu begegnen, als sei seine Rede vom Hass eingegeben. Rühmend erkennt er die göttlichen Gaben an, mit welchen Israel geschmückt war (9, 1-5). Erst nach dieser gewinnenden Vorbereitung geht er dazu über, den Anstoß zu beheben, der aus Israels Blindheit sich ergab. Er unterscheidet eine doppelte Art von Abrahams Kindern (9, 6-13): nicht alle Nachkommen nach dem Fleisch gehören der Nachkommenschaft an, welche die Bundesgnade wirklich erben soll. Umgekehrt werden auch solche, die ursprünglich draußen stehen, der Zahl der Kinder durch den Glauben einverleibt. Als Beispiel dafür dienen Jakob und Esau. Dasselbe führt uns freilich auf Gottes Erwählung zurück, von welcher überhaupt die ganze Frage abhängt. Diese Erwählung gründet allein in Gottes Erbarmen, und man wird vergeblich ihren Grund in menschlicher Würdigkeit suchen (9, 14-16). Umgekehrt kann für die Verwerfung, die ja freilich gerecht ist und bleibt, ein höherer Grund als Gottes Wille nicht angegeben werden (9, 17-24). Das Ende des Kapitels zeigt (9, 25 ff.), dass sowohl die Berufung der Heiden wie Israels Verwerfung durch die Weissagungen der Propheten bezeugt sei.
Im 10. Kapitel beginnt der Apostel von neuem mit einer Bezeugung seiner Liebe zu den Juden, und er erklärt, dass sie ihr Verderben durch eitles Vertrauen auf die Werke selbst verschuldet hätten (10, 1-3). Gegen diesen Vorwurf konnten sie sich allerdings durch einen Hinweis auf die Forderungen des Gesetzes rechtfertigen. Aber der Apostel antwortet im Voraus, dass auch das Gesetz uns zur Gerechtigkeit des Glaubens hinleite (10, 4-13). Diese Gerechtigkeit bietet Gott in seiner Güte unterschiedslos allen Völkern an; aber nur diejenigen ergreifen sie, welche der Herr durch seine besondere Gnade erleuchtet. Dass aber eine größere Schar aus den Heiden als aus den Juden dieses Gut empfangen würde, hätten schon Mose und Jesaja geweissagt. Der eine rede deutlich von der Berufung der Heiden, der andere von Israels Verstockung (10, 14-21).
Dabei harrte aber noch immer die eine Frage der Beantwortung: ob nicht kraft des Bundes Gottes doch ein Unterschied zwischen Abrahams Samen und den übrigen Völkern bestünde (11, 1). Zur Lösung dieser Schwierigkeit erinnert der Apostel zuerst daran, dass wir das Werk des Herrn nicht nach dem Augenschein begrenzen dürfen. Denn uns ist es verborgen, ob nicht doch Erwählte vorhanden sind, wo wir nicht vermuten. So hat sich einst Elias getäuscht, als er allen Glauben unter Israel geschwunden wähnte, und es waren doch noch siebentausend übrig (11, 2-4). Zweitens soll uns der Blick auf die Menge der Ungläubigen nicht irremachen, welche das Evangelium hassen (11, 5). Endlich sollen wir wissen, dass Gottes Bund auch für die fleischlichen Nachkommen Abrahams feststehe, allerdings nur bei denen, welche Gottes freie Gnade sich auserwählt (11, 6-12). Dann wendet sich die Rede zu den Heiden (11, 13-24): diese sollen sich nicht über Israel ob seiner Verwerfung erheben und sollen nicht auf die eigne Annahme stolz sein, denn sie sind nur durch Gottes Herablassung erhöht worden, und dies müsste ihnen vielmehr zur Demütigung dienen. Ja, Gottes Gnade sei gar nicht von Abrahams Samen gewichen (11, 25-36): dadurch, dass die Heiden gläubig wurden, sollte Israel nur zur Nacheiferung gereizt werden. Auf diese Weise will Gott sein gesamtes Israel sammeln.
Die drei folgenden Kapitel sind mannigfach verschiedenen, ermahnenden Inhalts. Das 12. gibt allgemeine Vorschriften für das christliche Leben. Das 13. beschäftigt sich zum großen Teil mit der Betonung des Rechts der Obrigkeit. Wir schließen daraus, dass einige unruhige Geister sich die christliche Freiheit nur mit dem Umsturz des staatlichen Lebens verbunden vorstellen konnten. Weil nun feststeht, dass für die Gemeinde Christi kein anderes, als das Gebot der Liebe gilt, so zeigt Paulus, dass dieses Gebot auch den bürgerlichen Gehorsam in sich begreift (13, 1-10). Dann fügt er einige bisher noch nicht berührte Lebensregeln hinzu (13, 11-14). Im nächsten Kapitel gibt er eine Ermahnung, welche damals besonders zeitgemäß war. Eine Gruppe von Christen hing noch mit abergläubischem Eifer an den Zeremonien des mosaischen Gesetzes und nahm den schwersten Anstoß an ihrer Übertretung. Eine andere Gruppe pochte auf die Abschaffung des Gesetzes, trug ihre Verachtung der Zeremonien zur Schau und eiferte wider den Aberglauben. Auf beiden Seiten sündigte man durch Maßlosigkeit. Die Abergläubischen richteten die andern als Verächter des Gesetzes Gottes: diese wiederum machten sich in unziemlicher Weise über die Dummheit der Gegner lustig. So tut der Apostel, was beiden Parteien nötig war: er leitet zur Mäßigung an, warnt die einen vor Hochmut und Selbstgefälligkeit, die andern vor gar zu engherziger Peinlichkeit. Zugleich spricht er als beste Regel für die christliche Freiheit aus, dass sie sich in den Schranken der Liebe und eines erbaulichen Wandels halte (14, 15-19). Und die Schwachen empfangen den trefflichen Rat, sich nichts wider ihr eigenes Gewissen zu erlauben (14, 20 ff.).
Der Anfang des 15. Kapitels wiederholt noch einmal die Hauptregel, das Ergebnis der ganzen Aussprache: die Starken sollen ihre Kraft gebrauchen, um die Schwachen zu festigen. Da aber der Streit über die mosaischen Zeremonien Juden und Heiden beständig von neuem entzweite, so räumt der Apostel jeden Anlass zu Hochmut und Eifersucht aus dem Wege und lehrt beide Teile, ihr Heil auf Gottes Erbarmen allein zu gründen und, auf diesem Grund stehend, von ihrer Höhe herabzusteigen: so sehen sie sich durch die Hoffnung eines gemeinsamen Erbes verbunden und müssen einander in Liebe umfassen. Um eben dieser Lehre ein besonderes Gewicht zu geben, schickt sich Paulus an, die Würde seines Apostelamtes zu rühmen (15, 14 ff.). Er nimmt dabei die Gelegenheit wahr, die Kühnheit zu erklären und zu entschuldigen, die ihn so freimütig seinen Lesern gegenüber als Lehrer auftreten ließ. Sodann macht er ihnen einige Hoffnung auf seinen Besuch, den sie, wie der Eingang des Briefes zeigt, längst erbeten und erwartet hatten. Er gibt auch den Grund für die bisherige Verzögerung an: die Gemeinden von Mazedonien und Achaja hatten ihm die von ihnen gesammelte Kollekte für die armen Gläubigen in Jerusalem anvertraut, um sie an ihren Bestimmungsort zu bringen. Das letzte Kapitel ist fast mit lauter Grüßen ausgefüllt. Nur einige nicht unwichtige Weisungen sind eingestreut, und den Schluss macht ein herrliches Gebet.
1 Paulus, ein Knecht Jesu Christi, berufen zum Apostel, ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes, 2 welches er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der Heiligen Schrift, 3 von seinem Sohn, der geboren ist von dem Samen Davids nach dem Fleisch 4 und kräftig erwiesen als ein Sohn Gottes nach dem Geist, der da heiligt, seit der Zeit, da er auferstanden ist von den Toten, Jesus Christus, unser Herr, 5 durch welchen wir haben empfangen Gnade und Apostelamt, unter allen Heiden den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter seinem Namen, 6 unter welchen ihr auch seid, die da berufen sind von Jesu Christo, - 7 euch allen, die ihr zu Rom seid, den Liebsten Gottes und berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
V. 1. Paulus. Über den Namen Paulus würde ich am liebsten schweigen; denn die Sache ist unbedeutend, und ich kann nur wiederholen, was längst andere Ausleger vorgetragen haben. Doch da sich mit leichter Mühe auf der einen Seite die nötige Auskunft geben lässt, ohne dass wir auf der andern Seite zu umständlich werden müssten, so soll kurz diese Frage erledigt werden. Nach einer Ansicht soll der Apostel sich den Namen Paulus als ein Siegeszeichen beigelegt haben, als er den Prokonsul Sergius Paulus zu Christus bekehrte (Apg. 13, 12). Indessen zeigt der Bericht des Lukas selbst, dass der Name Paulus schon vor jener Bekehrung geläufig war (Apg. 13, 9). Ebenso wenig glaublich erscheint, dass der Apostel jenen Namen empfing, als er an Christus gläubig wurde. Diese Vermutung greifen viele wohl nur deshalb auf, weil sie erwünschte Gelegenheit zu geistreichen Bemerkungen über den stolzen Verfolger Saul bietet, der in einen geringen Jünger Christi verwandelt ward: denn „Paulus“ heißt „der Geringe“. Annehmbar erscheint dagegen die Ansicht, dass der Apostel überhaupt zwei Namen getragen habe. Es ist ganz wahrscheinlich, dass die jüdischen Eltern ihrem Sohne den Namen Saul beilegten, als ein Zeichen der Religion und der Abstammung, dass dann aber der Name Paulus hinzugefügt wurde, der durch seinen Klang an das römische Bürgerrecht (Apg. 22, 28) erinnerte. Es sollte weder die hohe Ehre dieses Bürgerrechts verloren gehen, noch sollte um desselben willen die israelitische Herkunft vergessen werden. Des Namens Paulus bedient sich aber der Apostel in seinen Briefen wohl deshalb, weil er bei den Gemeinden, an die er schrieb, bekannter und geläufiger war, weil er überhaupt im römischen Reiche einen angeseheneren Klang besaß, und umgekehrt bei seinen Stammesgenossen weniger gebraucht wurde. Denn Paulus musste darauf halten, einerseits nicht unnützen Verdacht und Hass zu erregen, der sich bei Römern und Provinzbewohnern nur zu leicht an den jüdischen Namen hängte, und andererseits die Wut seiner Stammesgenossen nicht ohne Not zu entfesseln.
Ein Knecht Jesu Christi usw. Diese Titel sollen das Gewicht der apostolischen Lehre verstärken, und zwar in doppelter Weise: Paulus ist erstens zum Apostelamt überhaupt berufen, und zweitens kann er darauf hinweisen, dass sein Amt sich auch auf die römische Gemeinde erstreckt. Paulus nennt sich also einen Diener Christi und berufen zum apostolischen Amte: er will damit sagen, dass er hier nicht willkürlich eingebrochen ist. Weiter bezeichnet er sich als ausgesondert: er will damit bezeugen, dass er nicht als eine beliebige Persönlichkeit aus der Volksmasse auftritt, sondern als ein ausgezeichneter Apostel des Herrn. In diesem Sinne hatte er auch den Gedankenfortschritt von dem umfassenderen Begriff „Knecht Jesu Christi“ zu der engeren Bezeichnung „Apostel“ vollzogen; denn zu den Knechten Jesu Christi zählt jeder, der ein Lehramt verwaltet: aber die Ehre des apostolischen Dienstes ragt darüber noch weit empor. Als Knecht des Herrn stellt Paulus sich mit allen Predigern auf gleiche Stufe. Mit dem Aposteltitel aber erhebt er sich über sie alle: weil aber eine geraubte Autorität nicht gelten würde, so behauptet Paulus, dass er von Gott in sein Amt gesetzt sei. Des Weiteren folgt eine genauere Beschreibung des Amtes eines Apostels: derselbe ist dazu berufen, zu predigen das Evangelium. Die hier gemeinte Berufung darf man nun nicht auf die Erwählung zum ewigen Leben beziehen. Es handelt sich vielmehr um das apostolische Amt: um dem Verdachte zu wehren, als habe er in persönlicher Ehrsucht seine Stellung sich angemaßt, weist der Apostel ganz einfach darauf hin, dass er durch Gott geworden sei, was er ist. Daraus können wir lernen, dass nicht jeder, der die Berufung zum ewigen Heil besitzt, damit auch schon für ein Lehramt befähigt ist. Vielmehr sollen gerade Leute, die sich für besonders geeignet halten, Sorge tragen, dass sie nicht ohne Berufung sich eindrängen. Weiter wollen wir den Finger auch darauf legen, dass eines Apostels Aufgabe die Predigt des Evangeliums ist. Dass Paulus sich als Knecht Jesu Christi bezeichnet, bezieht sich auf seine Amtsstellung und bedeutet dasselbe wie „Diener“.
V. 2. Welches er zuvor verheißen hat usw. Weil eine Lehre, die im Verdachte willkürlicher Neuerung steht, kein Ansehen gewinnen kann, so stützt der Apostel die Glaubwürdigkeit des Evangeliums durch sein Alter. Es ist, als ob er sagen wollte: Christus ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen oder hat irgendeine unerhörte Lehrweise aufgebracht; vielmehr war er von Anbeginn der Welt samt seinem Evangelium verheißen, und die Erwartungen richteten sich von jeher auf ihn. Weil aber das hohe Altertum von Fabeln umgeben zu sein pflegt, werden Zeugen hinzugefügt, und zwar unanfechtbare, nämlich Gottes Propheten. Und drittens heißt es, dass deren Zeugnisse ordentlich aufgezeichnet wurden, nämlich in der Heiligen Schrift. Aus dieser Stelle lässt sich schließen, wie es um das Evangelium steht: sie lehrt, dass dasselbe durch die Propheten uns nicht gegeben, sondern nur zuvor verheißen ward. Haben aber die Propheten das Evangelium verheißen, so folgt, dass es uns deutlich geoffenbart und geschenkt wurde erst durch das Fleisch des Herrn. Es geht also irre, wer Verheißungen und Evangelium ineinander wirrt. Denn das Evangelium ist, eigentlich geredet, die herrliche Predigt von dem geoffenbarten Christus, an welchem die Erfüllung aller Verheißung hängt.
V. 3. Von seinem Sohn usw. Köstlicher Spruch, der uns lehrt, dass das ganze Evangelium in Christus begriffen ist! Wer also von Christus auch nur um eines Fußes Breite zurücktritt, der weicht vom Evangelium. Christus ist des Vaters lebendiges und ausgedrücktes Bild: darum wird er allein uns vorgestellt, an welchen unser Glaube sich halten und in welchem er bestehen soll. Wir haben hierin also eine Beschreibung des Evangeliums, die uns sagt, was in demselben als Summa begriffen wird.
Der geboren ist usw. Zwei Stücke müssen wir an Christus suchen, um das Heil in ihm zu finden: Gottheit und Menschheit. Die Gottheit begreift in sich Macht, Gerechtigkeit, Leben; und das alles kommt durch die Menschheit zu uns. Darum setzt der Apostel diese beiden Stücke ausdrücklich, wenn er die Summe des Evangeliums erzählt: Christus ist im Fleische erschienen, und in demselben hat er sich als Sohn Gottes erwiesen. Ganz ebenso redet auch Johannes (1, 14): erst sagt er, dass das Wort Fleisch geworden; dann fügt er bei: in diesem Fleische sei die Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater erschienen. Dass nun der Apostel das Geschlecht und die Herkunft Christi von seinem Stammvater David genauer anmerkt, ist nicht überflüssig: diese Worte erinnern uns ja an die Verheißung, damit wir nicht zweifeln, Christus sei der längst verheißene Erlöser. Die dem David gewordene Weissagung war so bekannt, dass der Messias unter den Juden kurzweg Davids Sohn hieß. Dass also Christus von David abstammt, zielt auf die Gewissheit unseres Glaubens. Paulus fügt hinzu: nach dem Fleisch. So verstehen wir, dass Christus noch Höheres besitzt als das Fleisch. Dasselbe hat er nicht von David empfangen, sondern vom Himmel gebracht: es ist die Herrlichkeit seines göttlichen Wesens. Mit diesen Worten behauptet Paulus nun nicht nur die wirkliche Fleischesnatur Christi, sondern er macht auch einen klaren Unterschied zwischen Christi menschlicher und göttlicher Natur.
V. 4. Und kräftig erwiesen als ein Sohn Gottes usw. Statt „erwiesen“ kann man vielleicht noch besser sagen: „eingesetzt“. Es ist, als wolle der Apostel sagen: die Auferstehung wirkt wie ein göttlicher Beschluss, dass dieser Mensch fortan als Gottes Sohn erkannt und geehrt werden solle. So heißt es Ps. 2, 7: „Heute habe ich dich gezeuget“. Denn jene Zeugung besteht darin, dass Gottes Sohn nun aller Welt bekannt wird. Christus ist als Sohn Gottes eingesetzt, als seine Auferstehung von den Toten seine wahrhaft himmlische, d. h. seine Geisteskraft, öffentlich kundtat. Und diese Kraft wird in der Welt begriffen, wenn derselbe Geist sie den Herzen versiegelt. Mit diesem Verständnis stimmt gut auch das Wort zusammen, welches wir bisher noch übergangen haben: Christus ward kräftig erwiesen als ein Sohn Gottes. Gottes eigne Kraft strahlte in ihm wider und bewies unzweifelhaft sein göttliches Wesen. Sie erschien aber in seiner Auferstehung. So rühmt derselbe Paulus an einer andern Stelle (2. Kor. 13, 4), wo er ausspricht, dass die Schwachheit des Fleisches im Tode Christi offenbar geworden, die Kraft des Geistes aber in seiner Auferstehung. Uns aber wird solche Herrlichkeit nicht anders bekannt, als wenn derselbe Geist sie unsern Herzen versiegelt. Dass aber Paulus mit der wunderbaren Geisteswirkung, welche der Herr durch seine Auferstehung bewies, auch das Zeugnis zusammenfasst, welches jeder Gläubige in seinem Herzen empfindet, dafür steht sein ausdrücklicher Hinweis auf die Heiligung ein. Der Geist, der da heiligt (d. h. der uns zu Gottes heiliger Offenbarung hinführt) bestätigt und befestigt jenen Beweis seiner Kraft, den er einst in Jesu Auferstehung gab. Die Schrift pflegt auch sonst die genauere Benennung des Heiligen Geistes dem grade gegebenen Zusammenhange anzupassen. So nennt der Herr den Heiligen Geist den Geist der Wahrheit, wenn er davon spricht, dass derselbe die Jünger in alle Wahrheit leiten soll (Joh. 14, 17; 16, 13). – Dass in Christi Auferstehung seine göttliche Macht erschienen, lässt sich deshalb sagen, weil der Herr durch seine eigne Kraft von den Toten erstand, wie er selbst bezeugt hat (Joh. 2, 19; 10, 18): „Brechet diesen Tempel, und am dritten Tage will ich ihn aufrichten.“ „Niemand nimmt mein Leben von mir … Ich habe Macht, es wieder zu nehmen.“ Denn aus dem Tode, dem er um der Schwachheit des Fleisches willen gewichen war, hat ihn nicht fremde Hilfe gerissen, sondern die Wirkungskraft seines vom Himmel stammenden Geistes.
V. 5. Durch welchen wir haben empfangen usw. Nachdem der Apostel die Beschreibung des Evangeliums beendet (die er einschieben musste, um die Bedeutung seines Amtes zu erklären), lenkt er zu seiner eigenen Berufung zurück, von welcher die Römer zu überzeugen ihm hoch anlag. Er nennt gesondert Gnade und Apostelamt. Diese nachdrückliche Zerteilung der Worte besagt doch nichts anderes als: „das aus Gnaden geschenkte Apostelamt“. Paulus deutet damit an, dass er die Aufnahme in diesen Kreis nicht der eigenen Würdigkeit, sondern ganz der göttlichen Gnade verdanke. Erscheint auch das Apostelamt wegen seiner Kämpfe, Mühen, Verfolgungen und Verachtung in der Welt nicht begehrenswert: vor Gott und seinen Heiligen ist seine Würde übergroß geachtet. Mit Recht gilt es demgemäß als eine Gnade, ein Apostel sein zu dürfen. – Unter seinem Namen. Wörtlich: für seinen Namen. Dies deuten viele nach 2. Kor. 5, 20: die Apostel sind Boten für Christus, an Christi Statt; sie predigen das Evangelium in oder unter seinem Namen. Besser werden wir bei dem Namen Christi daran denken, dass Christus den Menschen bekannt gemacht werden soll. Wird doch das Evangelium gepredigt, damit wir glauben an den Namen des Sohnes Gottes (1. Joh. 3, 23). Und Paulus selbst heißt ein dazu auserwähltes Rüstzeug, dass er den Namen Christi zu den Heiden trage (Apg. 9, 15). „Für den Namen“ heißt also: zur Ausbreitung des Namens.
Den Gehorsam des Glaubens aufzurichten. Das ist: wir haben Befehl empfangen, das Evangelium zu allen Heiden zu bringen, und sie sollen demselben durch den Glauben gehorchen. Indem der Apostel den Zweck seines Berufes beschreibt, erinnert er die Römer zugleich an ihre Pflicht. Es ist, als ob er spräche: mir steht es zu, das mir befohlene Amt auszurichten, d. h. das Wort zu verkündigen; an euch ist es, dem Worte in allem Gehorsam zu lauschen, wenn anders ihr nicht den Beruf, welchen Gott mir gegeben, vereiteln wollt. Daraus schließen wir, dass der Herrschaft Gottes freventlich widersteht und deren ganze Ordnung verkehrt, wer die Predigt des Evangeliums unehrerbietig und verächtlich von sich stößt, deren Zweck doch ist, uns im Gehorsam dem Herrn zu unterwerfen. Hier lässt sich auch das Wesen des Glaubens erkennen: derselbe heißt Gehorsam, weil wir dem Gott, welcher uns durch das Evangelium zu sich ruft, durch den Glauben die rechte folgsame Antwort geben. Umgekehrt ist das Hauptstück aller Auflehnung gegen Gott der Unglaube. Hier ist also nicht wie Apg. 6, 7 bloß vom Gehorsam gegen den Glauben, sondern ganz eigentlich von dem Gehorsam gegen das Evangelium die Rede, welcher im Glauben besteht.
Unter allen Heiden …, unter welchen ihr auch seid. Es reichte nicht hin, von der Berufung des Paulus zum Apostelamt zu sprechen: sein Dienst bezog sich auch auf bestimmte Jünger. Darum fügt er hinzu, dass sein Amt sich auf alle Heiden erstrecke. Und alsbald nennt er sich noch deutlicher den Apostel der Römer, indem er sagt, dass auch sie zur Zahl der Heiden gehören, zu deren Prediger er bestellt ward. Allen Aposteln ist der Auftrag gemein, das Evangelium in der ganzen Welt zu predigen. Dadurch unterscheiden sie sich von den Hirten und Bischöfen (d. h. Pastoren und Ältesten), die an bestimmte Gemeinden gebunden sind. Dem Paulus aber war neben dem allgemeinen Bereich des apostolischen Amtes durch besondere Weisung Recht und Pflicht der Heidenmission übertragen.
V. 6. Berufene Jesu Christi. Diese Benennung fügt einen näheren Grund für den Anspruch des Apostels hinzu: Gott hatte bereits den gläubigen Römern ein Zeichen durch ihre Berufung gegeben, dass er ihnen Gemeinschaft am Evangelium schenken wolle. Sollte diese Berufung Bestand behalten, so durften sie den Dienst des Paulus nicht abweisen, welcher doch durch die gleiche Erwählung Gottes zum Dienste bestellt war. Ich verstehe also dieses Satzglied „Berufene Jesu Christi“ als eine genauere Erklärung: unter den Heiden seid auch ihr, als Berufene, und zwar Jesu Christi. Der Apostel will sagen: durch ihre Berufung sind sie Glieder Christi geworden. Denn in Christus wurden vom himmlischen Vater zu Kindern erwählt, die das ewige Leben erben sollen: aber die so Erwählten werden auch dem Schutze und der Treue Christi als ihres Hirten anbefohlen.
V. 7. Euch allen, die ihr zu Rom seid usw. Hier steht in schöner Ordnung verzeichnet, was an uns des Rühmens wert ist. Zuerst: Gott hat uns durch seine Güte und Liebe zu Gnaden angenommen. Zweitens: Er hat uns berufen. Endlich: Er hat uns zur Heiligkeit angenommen. Dies letzte findet statt, wenn wir unserer Berufung uns nicht entziehen. In dem allen wird uns eine überaus inhaltreiche Lehre dargeboten, die ich nur kurz anrühren und im Übrigen dem Nachdenken jedes Lesers überlassen will. An uns findet Paulus nichts Lobenswertes, worauf er das Heil gründen könnte. Er leitet es vielmehr aus dem Quell der freien Vaterliebe Gottes allein ab. Darin steht der Anfang, dass Gott uns liebt. Was aber wäre dieser Liebe Grund, als allein Gottes Güte? Von ihr hängt auch die Berufung ab, mit welcher Gott die Annahme zur Kindschaft bei denjenigen, die er sich zuvor frei erwählt hat, zur gegebenen Zeit versiegelt. Übrigens schließen wir auch aus dieser Wahrheit, dass niemand sich zur Zahl der wahrhaft Gläubigen rechnen darf, wenn er nicht gewisslich vertraut, dass Gott ihm, dem elenden Sünder, ohne Verdienst gnädig sei, und wenn er nicht, durch Gottes Güte erweckt, sich der Heiligkeit entgegenstreckt. Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung (1. Thess. 4, 7).
Da der griechische Text an die zweite Person zu denken erlaubt, so sehe ich keinen Grund, jetzt in die dritte Person überzuspringen und etwa zu übersetzen: allen, die zu Rom sind. Gnade sei mit euch und Friede. Nichts Besseres lässt sich wünschen, als dass wir eine gnädigen Gott haben: darauf deutet die „Gnade“. In zweiter Linie scheint wünschenswert, dass uns von ihm Segen und Gelingen in allen Dingen zufließe: dies bedeutet der „Friede“. Denn, wie glücklich auch alles stehen mag: wenn Gott sich wider uns kehrt, so wird auch der Segen in Fluch verwandelt. So ist das einzige Fundament unseres Glücks Gottes Wohlwollen: dieses allein schafft, dass wir wahre und bleibende Freude genießen, und dass auch durch widriges Geschickt unser Heil gefördert wird. Daraus aber, dass der Friede vom Herrn erbeten wird, merken wir, dass alles Gute, das wir erfahren, dem Wohltun Gottes als rechte Frucht entsprießt. Auch das dürfen wir nicht übergehen, dass die Bitte um diese Güter sich zugleich an den Herrn Jesus richtet. Solche Ehre gebührt ihm, welcher nicht bloß das göttliche Erbarmen uns eröffnet und austeilt, sondern welcher in allen Dingen an der Regierung des Vaters teil halt. Recht eigentlich will der Apostel zu verstehen geben, dass alle Wohltaten Gottes uns durch Christus zufließen. – Bei dem Worte „Friede“ denken manche lieber an die Ruhe des Gewissens. Ich leugne nicht, dass dieser Sinn zuweilen in dem Worte liegen kann. Da aber der Apostel hier ohne Zweifel uns die Fülle aller Güter vorstellen will, so erscheint die oben vorgetragene, von Bucer entlehnte Auffassung weit passender. Der Apostel will den Frommen die Fülle des Segens wünschen: so wendet er sich an Gottes Gnade als an die letzte Quelle; diese aber spendet uns nicht bloß ewiges Heil, sie ist die Ursache aller Güter auch in diesem Leben.
8 Aufs erste danke ich meinem Gott durch Jesum Christum euer aller halben, dass man von eurem Glauben in aller Welt sagt. 9 Denn Gott ist mein Zeuge, welchem ich diene in meinem Geist am Evangelium von seinem Sohn, dass ich ohne Unterlass euer gedenke 10 und allezeit in meinem Gebet flehe, ob sich´ s einmal zutragen wollte, dass ich zu euch käme durch Gottes Willen. 11 Denn mich verlangt, euch zu sehen, auf dass ich euch mitteile etwas geistlicher Gabe, euch zu stärken; 12 das ist, dass ich samt euch Ermunterung empfinge durch euren und meinen Glauben, den wir untereinander haben.
V. 8. Aufs erste. Hier beginnt eine überaus zweckmäßige Einleitung, in welcher Paulus mit Gründen, die aus der beiderseitigen Stellung abgeleitet sind, die Bereitschaft seiner Leser, ihn anzuhören, trefflich stärkt. Was die Stellung der Leser angeht, so ist solcher Grund die allgemein bekannte Tatsache ihres Glaubens, welche der Apostel erwähnt. Er gibt damit zu verstehen, dass diese öffentliche Anerkennung von Seiten der christlichen Gemeinden ihnen eine Pflicht auferlegt: sie können den Apostel des Herrn nicht verwerfen, ohne die allgemeine gute Meinung Lügen zu strafen; und dies wäre doch unmenschlich und eigentlich treulos. Dieses Zeugnis, mit welchem der Apostel anheben musste, stärkt also einerseits seine eigene Gewissheit, dass er williges Gehör finden werde, und erleichtert ihm, das Werk der Lehre und des Unterrichts jetzt anzugreifen; andererseits band es die Römer, die Autorität des Apostels nicht zu verachten. Was seine eigene Stellung betrifft, so muss die Bezeugung seiner tief gewurzelten Liebe die Leser zur Folgsamkeit bewegen. Nichts aber öffnet einem Berater williger die Herzen, als wenn er das Vertrauen gewinnt, dass er in reiner Absicht rate und täte. – Von Einzelheiten scheint in erster Linie bemerkenswert, dass Paulus den Glauben der Leser lobt, aber mit einer Wendung, welche den Ursprung desselben auf Gott zurückführt. Wir lernen daraus, dass der Glaube ein Geschenk Gottes ist. Denn wenn danken heißt, Wohltaten anerkennen, so gestehen wir zu, unsern Glauben von Gott empfangen zu haben, wenn wir an Gott den Dank dafür erstatten. Wenn wir aber sehen, dass der Apostel seine Anerkennung überall mit Dank gegen Gott anhebt, so sollen wir erkennen, dass alles Gute, was wir haben, uns von Gott geschenkt ward. Auch wir mögen wohl eine solche Redeweise annehmen: wir werden dadurch eifriger werden, Gott als den Geber aller guten Gaben zu erkennen, und wir werden andere mit uns zu gleichem Sinne erwecken. Soll man diese Regel bei den geringsten Danksagungen beobachten, so am allermeisten, wenn es sich um den Glauben handelt, der eine einzigartige, nicht allen gleichermaßen zuteil werdende Gnadengabe Gottes ist. – Weiter haben wir hier ein Beispiel dafür, wie wir unsern Dank durch Christus anbringen sollen (vgl. auch die apostolische Vorschrift Hebr. 13, 15): ganz ebenso durch Christus, wie wir ja auch durch seinen Namen Barmherzigkeit vom Vater erbitten und empfangen. – Endlich nennt Paulus den Herrn seinen Gott. Das herrliche Vorrecht, so zu reden, besitzen allein die Gläubigen. Darunter verbirgt sich ja die Wechselbeziehung, welche die Verheißung ausdrückt (Jes. 30, 22): Ich will ihr Gott sein, sie sollen mein Volk sein. Indessen möchte ich hier diese Redeweise noch genauer aus dem besonderen Amt des Paulus erklären: sie weist auf den persönlichen Gehorsam hin, welchen er seinen Gott leistet, wenn er das Evangelium predigt. So nennt Hiskia den Herrn des Jesaja Gott, um diesem das Zeugnis eines wahren und treuen Propheten zu geben (Jes. 37, 4). So heißt Gott in besonderem Sinne Daniels Gott (Dan. 6, 21), weil Daniel ihm ohne Unterlass diente.
In aller Welt. Für sein Urteil über den Glauben der Römer wog dem Paulus die Aussage rechtsinniger Menschen soviel wie die der ganzen Welt. Denn über diesen Glauben, welchen sie verabscheuten, konnten die Ungläubigen natürlich kein verlässiges und gültiges Zeugnis geben. Sagt man von dem Glauben der Römer in aller Welt, so denken wir an die frohe Rede aller Gläubigen. Dass die Existenz einer Handvoll verachteter Menschen den Ungläubigen selbst in Rom entging, verschlägt nichts: bei deren Urteil, welches auch in der Tat nichts bedeutete, hielt Paulus sich nicht auf.
V. 9. Denn Gott ist mein Zeuge. Paulus beweist seine Liebe mit ihren Früchten. Hätte er die Römer nicht innigst geliebt, so würde er ihr Heil nicht so eifrig dem Herrn befohlen haben, so hätte er noch weniger einen so brennenden Eifer an die Förderung desselben gewendet. Jene Fürsorge und dieser Eifer sind sichere Zeichen der Liebe. Auf einem andern Stamme wachsen solche Früchte nicht. Um nun seiner Predigt Eingang zu schaffen, will Paulus die Leser besonders kräftig von seiner lauteren Zuverlässigkeit überzeugen: darum gebraucht er eine eidliche Versicherung, das sicherste Mittel, einer dem Zweifel ausgesetzten Behauptung die erwünschte Kraft und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Denn, wenn schwören heißt: Gott zum Zeugen für die Wahrheit unserer Rede aufrufen, so wird man ganz vergeblich bestreiten, dass der Apostel hier geschworen habe. Dennoch hat er Christi Vorschrift (Matth. 5, 33-37) nicht übertreten. Wir entnehmen daraus nur, dass Christus nicht – wie der wiedertäuferische Aberglaube wähnt – den Eid ganz abschaffen, sondern lediglich zur rechten Erfüllung des Gesetzes zurücklenken wollte. Das Gesetz aber erlaubt den Eid und verbietet nur Meineid und überflüssiges Schwören. Wollen wir also richtig schwören, so müssen wir die nüchterne Wahrhaftigkeit und gläubige Gewissenhaftigkeit zum Vorbilde nehmen, welche die Apostel in diesem Stück zeigen. Zum Verständnis der Formel sei bemerkt, dass, wenn wir Gott zum Zeugen anrufen, er auch im Falle der Unwahrheit als Rächer dastehen wird. Dies hat Paulus auch einmal in die Form gekleidet (2. Kor. 1, 23): „Ich rufe Gott zum Zeugen an auf meine Seele.“
Welchem ich diene in meinem Geist. Weltmenschen, welche Gottes spotten, pflegen seinen Namen in frevelhafter Sicherheit zu missbrauchen. Demgegenüber sichert Paulus die eigene Glaubwürdigkeit durch eine Erinnerung an seinen frommen Sinn. Denn wo man Furcht und Ehrerbietung gegen Gott kennt, hütet man sich vor falschem Schwur. Weiter aber redet Paulus von einem Dienst im Geiste, zum Unterschiede von äußerlichem Schein. Es gibt ja viele Leute, die sich als Verehrer Gottes ausgeben und auch dem Schein nach solche sind. Deshalb bezeugt aber Paulus, dass er Gott von Herzen (in seinem Geiste) dient. Möglich, dass er auch an die Zeremonien des Alten Bundes denkt, mit denen die Juden Gott allein dienen zu können meinten. Er will da also sagen: diese Gebräuche übe ich nicht, aber ich bin doch ein Verehrer Gottes. So spricht er es auch Phil. 3, 3 aus: „Wir sind die Beschneidung, die wir Gott im Geiste dienen und rühmen uns von Christus Jesus und verlassen uns nicht auf Fleisch.“ Er rühmt sich also, Gott in aufrichtiger, innerlicher Frömmigkeit zu dienen, die ja wahre Religion und Gottesverehrung ist. Des Weiteren beweist er durch ein Zeichen, dass er dem Herrn in Wahrheit dient: dies Zeichen ist seine Arbeit. Denn einen deutlicheren Beweis für jemandes Aufopferung zu Gottes Ehre kann es nicht geben, als die Selbstverleugnung, welche alle Lasten der Schande, der Dürftigkeit, des Todes und der Verhasstheit ohne Zögern auf sich nimmt, um Gottes Reich auszubreiten. Damit unterscheidet sich der Apostel von den Heuchlern, welche ganz etwas anderes wollen, als dem Herrn dienen: die meisten treibt der Ehrgeiz oder ähnliche Untugend; deshalb sind sie weit entfernt, treulich und von Herzen ihr Amt zu führen. Hier schöpfen wir eine heilsame Lehre, die den Dienern am Worte starken Mut einflößen kann, wenn sie hören, dass ihre Predigt des Evangeliums dem Herrn einen erwünschten und wertvollen Dienst leistet. Was mag aber wider sie sein, wenn sie doch wissen, dass Gott ihre Arbeit billigt und als einen wahren Gottesdienst annimmt? – „Evangelium vom Sohne Gottes“ heißt es hier, weil Christus durch dasselbe verherrlicht wird: denn Christi Aufgabe war es, seine und eben dadurch des Vaters Herrlichkeit zu offenbaren.
Dass ich ohne Unterlass usw. Einen noch größeren Beweis für die Inbrunst seiner Liebe liefert des Apostels anhaltendes Gebet. Denn das war etwas Großes, dass er in keinem einzigen Gebet vergaß, ihrer zu gedenken. Natürlich spricht er nicht von jeder flüchtigen Anrufung Gottes, sondern nur von solchen Gebeten, bei welchen die Frommen, wenn sie sich zu ihnen die Zeit nehmen, alle andern Gedanken beiseite lassen, und zu welchen sie sich völlig zu sammeln pflegen. Denn leicht mochte dem Apostel irgendein plötzlicher Gebetsseufzer aufsteigen, ohne dass er dabei an die Römer dachte: aber so oft er ausdrücklich und absichtlich zu Gott betete, vergaß er neben andern auch sie nicht. Er spricht also von solchen Gebeten insonderheit, zu welchen die Heiligen in bestimmter Ordnung sich anschicken, wie wir ja auch wissen, dass der Herr selbst dafür die Einsamkeit gesucht. Dabei finden wir eine leise Andeutung, wie häufig und regelmäßig der Apostel so gebetet hat; denn er sagt, dass er solchem Gebet ohne Unterlass obliege.
V. 10. Und flehe, ob sich´ s einmal usw. Niemand glaubt an die Lebhaftigkeit unseres Eifers für irgendein Ding, wenn wir nicht bereit sind, dieselbe mit der Tat zu beweisen. Darum rühmt der Apostel seine Besorgnis um das Heil der Leser nicht bloß mit Worten, sondern fügt vor Gottes Angesicht als einen neuen Beweis seiner Liebe hinzu, dass sein Gebet sich darauf richtet, ihnen nützlich sein zu können. Zur Verdeutlichung des Gedankenfortschritts mögen wir ein „auch“ einschieben: „und ich flehe auch“ usw. Wenn er aber den Ausdruck wählt: dass ich zu euch käme durch Gottes Willen – so erbittet er damit von Gott nicht etwa bloß Glück für die Reise, sondern ob seine Reise ein Glück sei, das ermisst er daran, ob sie mit Gottes Willen geschehen könne. Nach dieser Regel müssen sich alle unsere Gebetswünsche richten.
V. 11. Denn mich verlangt, euch zu sehen. Paulus konnte auch aus der Ferne den Glauben der römischen Christen durch seine Lehre stärken; aber weil die persönliche Gegenwart stets passenderen Rat finden lehrt, darum wünscht er nahe zu sein. Den Zweck seiner Absicht drückt er aber so aus, dass man sieht, er wolle nicht um seines, sondern um ihres Vorteils willen die Mühe auf sich nehmen. Unter geistlicher Gabe versteht er Vorzüge der Lehre, der Ermahnung oder der Weissagung, welche er sich bewusst war, von Gottes Gnade empfangen zu haben. Auf den rechten Gebrauch solchen Besitzes deutet das Wort „mitteilen“. Denn dazu hat recht eigentlich ein jeglicher seine Gaben empfangen, damit er sie den andern Gliedern mitteile (Röm. 12, 3; 1. Kor. 12, 11).
Euch zu stärken. Damit wird wieder etwas gemildert, was der Apostel soeben von der Mitteilung sagte. Es soll der Schein getilgt werden, als hielte Paulus die Leser für bedürftig, wieder in den ersten Anfangsgründen unterwiesen zu werden, als ob sie Christus noch nicht richtig kennen gelernt hätten. Er bietet ihnen also seine Hilfe an, um sie trotz aller bisherigen Fortschritte weiterzuführen. Denn der Stärkung bedürfen wir alle, bis wir das Maß des vollkommenen Alters Christi erreicht haben werden (Eph. 4, 13). Aber der Apostel unterbietet auch noch diese Bescheidenheit:
V. 12. Er verbessert gewissermaßen den bisher gebrauchten Ausdruck: nicht ein solcher Lehrer will er sein, der es verschmähte, auch wiederum von ihnen zu lernen. Er will sagen: so möchte ich nach dem Maß der mir verliehenen Gnade euch stärken, dass euer Beispiel meinem Glauben neue Frische bringt und wir vereinigt vorwärts streben. Siehe, wie tief lässt sich der wahrhaft fromme Sinn herab! Er weigert sich nicht. selbst von schwachen Anfängern Stärkung anzunehmen. Und doch redet hier nicht etwa eine erheuchelte Demut: denn so gering ist niemand in der Gemeinde Christi, dass er uns gar keinen Segen mitteilen könnte. Aber unser böser Stolz hindert uns, herüber und hinüber solche Frucht zu empfangen. Unser Hochmut und der Rausch unserer Selbstüberhebung lässt uns andere verachten, als ob wir sie nicht brauchten und uns selbst genug sein könnten. – Mit Bucer übersetze ich lieber „Ermunterung“ als Trost. Denn das erstere passt besser in den Zusammenhang.
13 Ich will euch aber nicht verhalten, liebe Brüder, dass ich mir oft habe vorgesetzt, zu euch zu kommen (bin aber verhindert bisher), dass ich auch unter euch Frucht schaffte gleichwie unter andern Heiden. 14 Ich bin ein Schuldner der Griechen und der Ungriechen, der Weisen und der Unweisen. 15 Darum, soviel an mir ist, bin ich geneigt, auch euch zu Rom das Evangelium zu predigen.
V. 13. Ich will euch aber nicht verhalten. Der bisher bezeugte Eifer, die Römer persönlich besuchen zu wollen, müsste unglaubwürdig erscheinen, wenn Paulus nicht jede dafür gebotene Gelegenheit ergriffen hätte. Darum spricht er jetzt davon, dass es nicht an Versuchen, sondern nur an der Gelegenheit gefehlt habe. Die Ausführung des längst gehegten Planes wurde immer wieder verhindert. Wir lernen daraus, dass Gott oft die Pläne der Seinen stört, um sie zu demütigen und durch solche Demütigung zu gewöhnen, dass sie mit seiner Vorsehung rechnen und sich ganz von derselben abhängig machen. Und doch werden die Frommen nicht eigentlich von ihren Vorsätzen abgebracht: denn sie hegten keine Vorsätze ohne Gottes Willen. Mit solcher Sicherheit Zukunftspläne zu entwerfen, als stünde die Ausführung ganz bei uns, das ist die Art anmaßlichen Unglaubens, welche Jak. 4, 13 kräftig tadelt. Wenn Paulus sagt, er sei verhindert worden, so will dies nur so verstanden sein, dass Gott ihm wichtigere Geschäfte zuschob, die er ohne Schädigung der Kirche nicht liegen lassen durfte. Es ist ein Unterschied zwischen den Verhinderungen der Frommen und der Ungläubigen. Diese sehen sich erst dann gehindert, wenn Gott sie mit gewaltsamem Griffe der Bewegung beraubt. Jene betrachten schon als genügenden Hinderungsgrund, dass die Pflicht oder die Rücksicht auf die Erbauung des Nächsten ihnen etwas zu tun verbietet. Dass ich auch unter euch Frucht schaffte. Gemeint ist selbstverständlich die Frucht, welche einzusammeln der Herr seine Apostel gesandt hat. Joh. 15, 16: „Ich habe euch erwählet, dass ihr hingehet und Frucht bringet, und eure Frucht bleibe.“ Solche Frucht sammelten sie freilich nicht für sich, sondern für den Herrn: und doch redet Paulus davon wie von seinem Eigentum. Denn nichts ist den Frommen mehr eigen, als Gottes Ehre zu verbreiten: daran hängt ihre ganze Seligkeit. Dass er aber unter andern Heiden Frucht geschafft habe, erwähnt der Apostel, um den römischen Christen Mut zu machen: dessen fruchtbares Wirken unter soviel Heiden verspürt ward, der wird zu ihnen nicht leer kommen.
V. 14. Der Griechen und der Ungriechen, der Weisen und der Unweisen. Das erste Glied findet seine Erklärung durch das zweite. Wenn es die Pflicht und Schuldigkeit des Apostels erheischt, so darf man es ihm nicht als Anmaßung auslegen, dass er meint, selbst die hoch gebildeten, klugen und erfahrenen Römer noch etwas lehren zu können. Gottes Wohlgefallen war es, ihn auch den Weisen zum Lehrer zu setzen. Zwei Wahrheiten gilt es hier zu erwägen: den Weisen bietet Gottes Ordnung das Evangelium an; damit will der Herr alle Weisheit der Welt sich unterwerfen und will allen Scharfsinn, jegliche Wissenschaft und hohe Kunst unter die Einfachheit dieser Lehre erniedrigen. So rücken die Weisen auf eine Stufe mit den Unweisen und müssen so demütig werden, dass sie als Mitjünger unter dem einigen Meister Christus gelten lassen, die sie zuvor nicht einmal als eigene Jünger aufgenommen hätten. Andererseits dürfen von dieser Jüngerschaft die Unweisen nicht ausgeschlossen, ja die dürfen auch nicht im Entferntesten durch einen hohen Schein davon abgeschreckt werden. Denn Paulus war ihr Schuldner, und zwar ein vertrauenswürdiger; denn er zahlte, was er schuldig war. Hier werden sie finden, was sie fassen können. Hier empfangen auch alle Lehrer die beachtenswerte Regel, dass es gilt, sich auch den Unweisen und Törichten herablassend und freundlich anzupassen. Bei solchem Verfahren werden sie die Unreife mit größerem Gleichmut ertragen und unzählige Anstöße über sich ergehen lassen, welchen sie sonst unterliegen würden. Doch sollen sie wissen: die Schuldigkeit gegen die Toren erstreckt sich nicht so weit, dass um einer gar zu großen Nachgiebigkeit willen die Torheit bleiben dürfte, was sie ist.
V. 15. Darum, soviel an mir ist usw. Damit schließt der Apostel die Aussprache über seine Sehnsucht nach Rom. Es ist seine Pflicht, auch dort das Evangelium zu predigen und dem Herrn Frucht zu schaffen. Diesem Beruf zu folgen ist sein Wunsch, soweit es Gott erlaubt. 16 Denn ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben, die Juden vornehmlich und auch die Griechen. 17 Sintemal darin offenbart wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie denn geschrieben steht: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben.“
16 Ich schäme mich … nicht. Dies Wort kommt dem Spott der Ungläubigen zuvor und schiebt ihn achtlos zur Seite. Zugleich erhebt es die Würde des Evangeliums, damit niemand dasselbe den Römern verächtlich mache. Dabei kann man zwischen den Zeilen lesen, dass Paulus sich selbst vor der Welt verachtet sieht, wenn er sagt: ich schäme mich nicht. So bereitet der Apostel seine Leser vor, die Schmach des Kreuzes Christi zu tragen: sie mögen das Evangelium deshalb nicht geringer schätzen, weil sie es vom Hohn und Spott der Gottlosen überschüttet sehen. Vielmehr wird uns der hohe Wert des Evangeliums für die Frommen enthüllt. Fordert die Kraft Gottes unsere ganze Ehrerbietung, so sollen wir wissen: sie leuchtet im Evangelium. Ist Güte begehrens- und liebenswert -: das Evangelium ist dieser Güte Werkzeug. Denn es will uns selig machen. So erscheint es verehrungswürdig und liebenswert zugleich. Wir wollen dabei wohl beachten, welch unvergleichliche Würde Paulus der Predigt des Wortes zuschreibt, wenn er bezeugt, dass Gott eben in sie die Kraft gelegt habe, selig zu machen. Da ist nicht von irgendeiner geheimen Offenbarung die Rede, sondern von der mündlichen Predigt. Wie verachtet man also mutwillig Gottes Kraft, wie stößt man Gottes erlösende Hand von sich, wenn man sich dem Hören der Predigt entzieht! Weil aber Gottes Kraft nicht überall erfolgreich wirkt, sondern nur dort, wo der Geist als ein innerlich unterweisender Lehrer die Herzen erleuchtet, darum fügt der Apostel hinzu: alle, die daran glauben. Zur Seligkeit wird zwar das Evangelium jedermann angeboten, aber es beweist nicht überall seine Kraft. Dass es aber für die Gottlosen ein Geruch des Todes wird, das ist nicht die Folge seiner Natur, sondern ihres bösen Willens. Es offenbart nur eine Seligkeit und schneidet jede andere Hoffnung ab: wer dieser einzigen Seligkeit sich entzieht, empfängt im Evangelium gewissermaßen die Offenbarung seiner Verlorenheit. Weil also das Evangelium ohne Unterschied alle Menschen zur Seligkeit einlädt, so heißt es im eigentlichen Sinne eine selig machende Botschaft. Denn Christus ist darin, dessen eigentliches Amt es ist, selig zu machen, was verloren ist. Wer sich aber von ihm nicht selig machen lassen will, wird ihn als Richter kennen lernen. Übrigens bildet in der Heiligen Schrift die Seligkeit häufig den Gegensatz zum Verlorengehen. Daraus lässt sich abnehmen, um was es sich handelt. Weil das Evangelium uns frei macht von der Qual und dem Fluch des ewigen Todes, darum besteht die Seligkeit, welche es bringt, im ewigen Leben. Die Juden vornehmlich und auch die Griechen. Der Name Griechen umfasst hier alle Heiden, wie aus der Zweiteilung hervorgeht, welche doch die ganze Menschheit umspannen soll. Dabei bleibt den Juden ihr Vorzug, weil ihnen zunächst die Verheißung und Berufung galt. Aber die Heiden werden alsbald im zweiten Grade hinzugefügt.
V. 17. Sintemal darin offenbart wird die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Dieser Satz erläutert und begründet die vorige Aussage, dass das Evangelium eine Kraft sei, selig zu machen. Wer Seligkeit, d. h. Leben, in der Gemeinschaft Gottes sucht, muss vor allen Dingen Gerechtigkeit suchen: Gerechtigkeit macht uns Gott angenehm, und nur wenn wir einen gnädigen Gott haben, können wir das Leben besitzen, welches im Genuss der göttlichen Güte besteht. Gottes Liebe ruht nur auf Gerechten, Ungerechtigkeit ist ihm verhasst. Es wird uns also eingeschärft, dass sich Seligkeit nur aus dem Evangelium schöpfen lässt: denn nirgends sonst hat Gott seine Gerechtigkeit geoffenbart, welche allein vom Verlorengehen erlöst. Diese Gerechtigkeit ist das Fundament der Seligkeit, und weil sie im Evangelium eröffnet ward, darum heißt das Evangelium eine Kraft, selig zu machen. – Es gilt aber, genauer zu erwägen, welch seltenen und kostbaren Schatz uns der Herr im Evangelium schenkt: die Mitteilung seiner Gerechtigkeit. Unter „Gerechtigkeit Gottes“ verstehe ich diejenige, die vor Gott gilt, die in seinem Gerichte die Probe besteht. So heißt „Gerechtigkeit der Menschen“ eine solche, die nur vor Menschenurteil als Gerechtigkeit erscheint, die aber vielleicht in Wahrheit eitler Dunst ist. Ohne Zweifel schweben diesem Worte des Paulus viele Weissagungen vor, mit welchen der Geist Gottes auf die herrliche Gerechtigkeit Gottes in Christi künftigem Königreiche vorausdeutete. Andere übersetzen: „die Gerechtigkeit, die uns von Gott geschenkt wird.“ Nun kann ja dies zweifellos einen brauchbaren Sinn haben: weil Gott uns durch das Evangelium Gerechtigkeit schenkt, darum macht er uns selig. Immerhin scheint unsere Übersetzung besser zu passen. Aber ich will darüber nicht lange streiten. Viel wesentlicher erscheint, dass viele diese Gerechtigkeit nicht bloß in der Vergebung der Sünden bestehen lassen, sondern zum Teil auch in der Gnadengabe eines innerlich erneuerten Lebens. Ich aber verstehe die Sache so, dass uns Gott lediglich deshalb zum Leben annimmt, weil er uns in freier Gnade mit sich aussöhnt. Doch davon werden wir gegebenen Orts ausführlich handeln (zu 3, 21; 4, 6). – An die Stelle des früheren Ausdrucks „alle, die daran glauben“ tritt jetzt der andere: „aus Glauben.“ Denn das Evangelium bietet die Gerechtigkeit aus, und der Glaube eignet sie sich zu. Und der Apostel fügt hinzu: in Glauben. Denn soviel unser Glaube wächst und in solcher Erkenntnis fortschreitet, um soviel wächst zugleich in uns die Erfahrung von der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und der Besitz dieser Gerechtigkeit schlägt sozusagen tiefere Wurzeln. Im Anfange unserer Erfahrung vom Evangelium zeigt sich uns zwar Gottes freundliches Angesicht zugekehrt, aber nur wie aus der Ferne: je mehr aber die Frömmigkeit ausreift, um soviel nähern wir uns gewissermaßen dem Herrn und schauen seine Gnade deutlicher und vertrauter.
Wie geschrieben steht. Jene Glaubensgerechtigkeit beweist der Apostel mit einem Spruch des Propheten Habakuk. In einer Stelle, welche das Gericht über die Stolzen weissagt, fügt derselbe hinzu: der Gerechten Leben stehe im Glauben. Nun leben wir aber vor Gott nicht ohne Gerechtigkeit: daraus folgt, dass gerade auch unsere Gerechtigkeit im Glauben beruhen muss. Die Zukunftsform des Zeitwortes erinnert dabei, dass das Leben des Gerechten in Ewigkeit währen wird. Es bleibt nicht allein in der Gegenwart, sondern in alle Zukunft. Auch die Gottlosen schmeicheln sich mit einem Trugbilde vom Leben; aber wenn sie sagen: es ist Friede, es hat keine Gefahr, wird sie das Verderben schnell überfallen (1. Thess. 5, 3). Sie haben also nur ein Schattenbild, das einen Augenblick währet: der Glaube dagegen allein ist es, der dem Leben ewige Dauer verleiht. Das kommt daher, dass er uns zu Gott führt und unser Leben in ihn hineinzieht. Denn der Apostel würde diesen Spruch nur höchst unpassender weise anführen, wenn die Meinung des Propheten nicht wäre, dass wir dann erst einen festen Stand gewinnen, wenn unser Glaube sich auf Gott stützt. Und sicherlich hängt er nur deswegen das Leben der Frommen an den Glauben, weil derselbe dem Stolz der Welt den Abschied gibt und allein unter Gottes Schutz seine Zuflucht sucht. Allerdings behandelt der Prophet diese Wahrheit nicht ausdrücklich, erwähnt also auch die frei geschenkte Gerechtigkeit nicht: aber aus dem Wesen des Glaubens lässt sich ersehen, dass der Prophetenspruch ganz wohl mit dem vorliegenden Gegenstande zusammenstimmt. Dieser Gedankengang ergibt auch, wie innerlich notwendig Glaube und Evangelium aneinander gekettet werden. Weil es nämlich heißt: der Gerechte wird kraft seines Glaubens leben -, so folgt daraus, dass man jenes Leben durch das Evangelium empfängt. Damit haben wir das Hauptthema des ersten Teiles des Briefes erreicht: wir werden gerecht gesprochen allein durch Gottes Erbarmen vermittelst des Glaubens. Dies sagen des Apostels Worte zwar noch nicht ausdrücklich. Aber der Zusammenhang wird alsbald ergeben, dass die auf den Glauben gegründete Gerechtigkeit sich ganz auf Gottes Erbarmen stützt.
18 Denn Gottes Zorn vom Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten. 19 Denn was man von Gott weiß, ist in ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart, 20 damit dass Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt, an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt; also dass sie keine Entschuldigung haben, 21 dieweil sie wussten, dass ein Gott ist, und haben ihn nicht gepriesen als einen Gott noch ihm gedankt, sondern sind in ihrem Dichten eitel geworden, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. 22 und haben verwandelt die Herrlichkeit es unvergänglichen Gottes in ein Bild gleich dem vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere.
V. 18. Gottes Zorn wird offenbart. Durch einen Gegensatz beweist der Apostel, dass man Gerechtigkeit nur durch das Evangelium bekommen kann: denn außerhalb derselben erscheinen alle Menschen der Verdammnis unterworfen. Also kann man allein durch das Evangelium selig werden. Zunächst folgt nun der Beweis für diese behauptete Verdammnis: der Bau der Welt und die herrliche Ordnung ihrer Teile hätte dem Menschen einen Anstoß zur Verherrlichung Gottes geben müssen -, aber niemand gedenkt ernstlich dieser Pflicht. So wird jedermann des Gottesraubes und gottlos-schändlicher Undankbarkeit schuldig. Einige Ausleger haben die Anschauung, als ob Paulus mit diesem Satz zum Thema kommen und also den eigentlichen Inhalt seiner Darstellung mit der Buße beginnen lasse. Ich glaube dagegen, dass er sich hier in den erforderlichen Kampf einlassen will: das, worum es geht, hat er bereits oben (1, 16.17) ausgesprochen. Er hat doch die Absicht, zu zeigen, wo das Heil zu finden sei. Oben hat er dargelegt, dass wir es einzig und allein im Evangelium erlangen können. Nun ist aber das Fleisch keineswegs bereit, sich so weit zu demütigen, dass es Gottes Gnade allein den Lobpreis für das Heil zollt. So erklärt denn Paulus alle Welt des ewigen Todes für schuldig. Daraus folgt denn: wir sind in uns selber allesamt verloren, und das Leben müssen wir also anderswoher erlangen. Im Übrigen wird eine genauere Erwägung einzelner Worte viel zum Verständnis des ganzen Gedankens beitragen. Zwischen gottlosem Wesen und Ungerechtigkeit unterscheiden manche in der Weise, dass sie das erstere als Frevel im Verhalten zu Gott, die zweite als Unbilligkeit im Verkehr mit den Menschen deuten. Da aber der Apostel schon im nächsten Satzgliede die Ungerechtigkeit mit der Verkehrung der Religion in Verbindung bringt, so beziehen wir beide Worte auf die gleiche Sache. „Alles gottlose Wesen“ ist dabei soviel wie: das gottlose Wesen aller Menschen, welche somit ausnahmslos schuldig gesprochen werden. Die eine Undankbarkeit gegen Gott wird aber mit doppeltem Worte bezeichnet, weil diese Sünde sich nach zwei Richtungen erstreckt. Gottloses Wesen ist der Raub göttlicher Ehre. Eine Ungerechtigkeit wird dieser Frevel aber unter dem Gesichtspunkte, dass er die Gott gehörige Ehre auf sich selber überträgt. – Mit Zorn Gottes bezeichnet die Schrift nach menschlicher Sprechweise Gottes Strafe, weil wir uns den Strafenden mit erzürntem Angesicht vorzustellen pflegen. In Wirklichkeit soll Gott solche Erregung nicht zugeschrieben werden; das Wort ist nur aus der Empfindung des gestraften Sünders heraus geredet. Wenn es heißt, Gottes Zorn werde vom Himmel her offenbart, so macht uns dies sehr eindrücklich, dass wir rings um uns keine Errettung finden werden: so lang und weit der Himmel sich wölbt, ergießt sich Gottes Zorn über den ganzen Erdkreis. – Die Wahrheit Gottes ist die wahre Gotteserkenntnis. Dieselbe aufhalten heißt: sie unterdrücken und verdunkeln, womit die Menschen gleichsam des Diebstahls bezichtigt werden. In Ungerechtigkeit ist soviel als: ungerechterweise.
V. 19. Denn was man von Gott weiß. Damit will der Apostel bezeichnen, was von Gott zu wissen nötig und nützlich ist. Er versteht darunter alles, was zur Verherrlichung der göttlichen Ehre dient, oder anders ausgedrückt, was uns dazu bewegen muss, Gott die Ehre zu geben. Diese eigentümliche Wendung gibt zu verstehen, dass unser Verstand nicht zu fassen vermag, was Gott an sich ist; damit ist eine feste Grenze gezogen, welcher sich auch Gott in seiner Offenbarung anpasst. Wahnsinn ist es, Gott an sich erkennen zu wollen; davon ruft uns der Heilige Geist, der Lehrer vollkommener Weisheit, zu demjenigen zurück, „was man von Gott weiß“. Wieso die Menschen das aber wissen, wird alsbald ausgeführt. Es ist offenbar in ihnen, was auch übersetzt werden kann: unter ihnen. Da aber der Apostel von einer so eindrücklichen Offenbarung redet, der man nicht entgehen kann, so ziehen wir die erstere Übersetzung vor: Jedermann spürt, dass Gottes Offenbarung ihm ins Herz geprägt ward. Gott hat es ihnen offenbart, will sagen: der Mensch ist geschaffen, um den Weltbau zu betrachten; er hat Augen empfangen, damit der Anblick dieses herrlichen Bildes ihn zum Schöpfer selbst führe.
V. 20. Gottes unsichtbares Wesen. An sich ist Gott unsichtbar; aber weil seine Majestät aus allen Werken und Geschöpfen leuchtet, mussten ihn die Menschen darin erkennen: denn das Geschöpf trägt das klare Gepräge seines Schöpfers. In diesem Sinne nennt der Apostel (Hebr. 11, 3) die Welt einen Spiegel oder eine Erscheinung unsichtbarer Dinge. Was man aber von Gott erkennen kann, wird nicht im Einzelnen aufgezählt, sondern wir erfahren nur, dass es gilt, zu Gottes Kraft und Gottheit zu gelangen. Der Schöpfer aller Dinge kann nur von Ewigkeit seinen Ursprung von sich selbst haben. Wo man dies verstanden, fasst man das göttliche Wesen: und dieses wiederum kann nicht ohne die einzelnen darin begriffenen göttlichen Eigenschaften gedacht werden. Also dass sie keine Entschuldigung haben. Hieraus lässt sich leicht abnehmen, wie viel den Menschen die allgemeine Offenbarung vermittelst der Schöpfung nützt. Dieselbe nimmt uns lediglich jede Entschuldigung in Gottes Gericht und unterwirft uns gerechter Verdammnis. Wir wollen folgenden Unterschied setzen: diese allgemeine Offenbarung der Herrlichkeit Gottes in seinen Geschöpfen ist in Hinsicht ihres eigenen Lichtes völlig klar, in Hinsicht unserer Blindheit aber ungenügend. Aber so blind sind wir nicht, dass wir Unwissenheit vorschützen dürften und dass wir nicht unseres verkehrten Wesens überführt werden könnten. Wir haben einen Eindruck von der Gottheit empfangen und müssen daraus folgern, dass wir ihr, wie sie auch sein mag, zu dienen haben. Aber hier geht plötzlich unser Verständnis zu Ende, noch bevor wir begriffen haben, wer und wie Gott ist. Darum erkennt der Apostel (Hebr. 11, 3) dem Glauben so viel Licht zu, dass er aus der Schöpfung der Welt wirklich etwas zu ersehen vermag. Mit Recht: denn nur unsere Blindheit ist schuld, dass wir das Ziel nicht erreichen. Wir sehen insoweit, dass wir keine Entschuldigung mehr haben. Diese doppelseitige Wahrheit bringt Paulus Apg. 14, 17 zu schönem Ausdruck: Gott hat in den vergangenen Zeiten die Heiden ihre eigenen Wege in Unwissenheit wandeln lassen; und doch hat er sich nicht unbezeugt gelassen, sondern hat vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben. Es ist also ein großer Unterschied zwischen dieser Gotteserkenntnis, welche nur soweit reicht, uns alle Entschuldigung zu nehmen -, und der Erkenntnis zum Heil, von welcher Christus Joh. 17, 3 redet, deren wir uns nach Jer. 9, 24 rühmen sollen.