Die Zehn Gebote - Johannes Calvin - E-Book

Die Zehn Gebote E-Book

Johannes Calvin

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Beschreibung

Johannes Calvin (10. Juli 1509 - 27. Mai 1564) war ein französischer Theologe, Pfarrer, Reformator und eine der Hauptfiguren bei der Entwicklung des Systems der christlichen Theologie, das später Calvinismus genannt wurde, einschließlich der Lehren von der Prädestination und der absoluten Souveränität Gottes bei der Rettung der menschlichen Seele vor Tod und ewiger Verdammnis. Die calvinistischen Lehren wurden von der augustinischen und anderen christlichen Traditionen beeinflusst und weiterentwickelt. Verschiedene kongregationalistische, reformierte und presbyterianische Kirchen, die sich auf Calvin als Hauptvertreter ihrer Überzeugungen berufen, haben sich über die ganze Welt verbreitet. Calvin war ein unermüdlicher Polemiker und apologetischer Schriftsteller, der viele Kontroversen auslöste. Mit vielen Reformatoren, darunter Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger, tauschte er freundschaftliche und tröstende Briefe aus. Neben seiner bahnbrechenden "Unterweisung in der christlichen Religion" schrieb er Bekenntnisschriften, verschiedene andere theologische Abhandlungen und Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel. In diesem vorliegenden Werk befasst er sich mit den Zehn Geboten..

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Die Zehn Gebote

 

JOHANNES CALVIN

 

 

 

 

 

 

 

Die zehn Gebote, J. Calvin

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849662684

 

Der Originaltext dieses Werkes entstammt dem Online-Repositorium www.glaubensstimme.de, die diesen und weitere gemeinfreie Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Wir danken den Machern für diese Arbeit und die Erlaubnis, diese Texte frei zu nutzen. Diese Ausgabe folgt den Originaltexten und der jeweils bei Erscheinen gültigen Rechtschreibung und wurde nicht überarbeitet.

 

Cover Design: 27310 Oudenaarde Sint-Walburgakerk 83 von Paul M.R. Maeyaert - 2011 - PMR Maeyaert, Belgium - CC BY-SA.

https://www.europeana.eu/item/2058612/PMRMaeyaert_ca16ddc552af4d10f3a4c3c4ae25ae9d95d6f453

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Das erste Gebot.1

Das zweite Gebot.87

Das dritte Gebot218

Das vierte Gebot.231

Das fünfte Gebot.250

Das sechste Gebot.259

Das siebente Gebot.284

Das achte Gebot.303

Das neunte Gebot.334

Das zehnte Gebot.338

Die Summe des Gesetzes.341

Zweck und Gebrauch des Gesetzes.345

 

Das erste Gebot.

 

Abschnitt 22. - 2. Mose 20, 3 / 5. Mose 5, 7.

 

Gott befiehlt in diesem Gebote, ihn allein zu ehren, und fordert eine von allem Aberglauben freie Anbetung. Zwar scheint ein bloßes Verbot vorzuliegen; doch werden die folgenden Ausführungen zeigen, dass man demselben auch ein ausdrückliches Gebot zu entnehmen hat. Gott tritt also in die Mitte, will die Blicke der Kinder Israel auf sich allein ziehen und wahrt sein Recht, welches keinem Fremden gebührt. In der Auslegung der Worte bestehen verschiedene Ansichten. Manche wollen die Worte „vor meinem Angesicht“ so verstehen: du sollst mir nicht andere Götter vorziehen. Sie berufen sich dafür auf 5. Mose 21, 16, wo Gott verbietet, dass jemand, der zwei Frauen und von beiden Kinder hat, nicht die Erstgeburt auf den Sohn der liebsten übertrage „vor dem Angesichte des erstgeborenen Sohns der unwerten.“ Wir geben zu, dass dieser Satz von einem Vorzug der einen vor der anderen redet. Aber an unserer Stelle wäre es ganz ungereimt, Gott keinen höheren Anspruch zuzuschreiben, als dass man andere Götter ihm nicht voranstellen solle. Vielmehr duldet er nicht einmal, dass man sie ihm gleichsetze und beigeselle. Denn die Frömmigkeit wird befleckt und entstellt, sobald man auch nur das Geringste von Gottes Ehre abzieht. Wir wissen auch, dass Israel, wenn es seine Baalim verehrte, dieselben nicht derartig an Gottes Stelle rückte, dass Gott abgesetzt und sie zu Weltregenten gemacht worden wären. Und doch war es eine unerträgliche Entweihung des Gottesdienstes und ein frevler Bruch des ersten Gebots, sich besondere Schutzgötter zu suchen und ihnen auch nur einen Anteil am göttlichen Wesen zuzuschreiben. Denn wenn Gott nicht allein heilig bleibt, so wird doch schließlich seine Majestät verdunkelt. Für den wirklichen Sinn des Gebotes halte ich also: Israel soll sich keine Götter erwählen, um sie dem wahren und einigen Gott gegenüberzustellen. Denn im Hebräischen heißt „im oder vor dem Angesicht“ häufig so viel wie „in der Umgebung, in der Nähe“ (z. B. Sach. 14, 4: der Ölberg, der vor, genauer vor dem Angesichte Jerusalems liegt.) Gott will also nicht, dass man ihm Kollegen schafft und dieselben gewissermaßen vor seinem Angesicht aufstellt. Dabei liegt wahrscheinlich eine Anspielung an die Offenbarung vor, welche das Volk hätte in frommem Gedächtnis behalten müssen. Dort leuchtete Gottes Angesicht. Unser Wort passt also nicht auf das Verfahren der Heiden: diese schaffen sich zwar willkürlich falsche Götter, aber sie tun es nicht, „vor Gottes Angesicht“, welches sie ja nicht kennen. Wir sollen also wissen, dass Gottes rechte Anbeter nur sind, die allen Wahngebilden den Abschied geben und ihm allein anhängen. Ohne Zweifel zielt aber unser Gebot auf die innere Anbetung, im Unterschiede vom nächsten, welches den äußerlichen Götzendienst verwirft. Wie man sich Götter machen kann, ohne geradezu Bildwerke, Gemälde und andere sinnenfällige Gestalten zu verehren, ist ja bekannt. Wenn jemand Engel an Stelle Gottes anbetet oder in seinen törichten Gedanken sich irgendeine verborgene Gottheit bildet, trifft ihn sicherlich das Gericht dieses Gebots. Gott beansprucht für sich auch der Herzen Gedanken; ihn allein sollen sie mit ganzem Gemüte ehren. Auch daran können die Worte „vor meinem Angesicht“ ganz passend erinnern: wenn auch vor Menschenaugen der Frevel verborgen bleibt, der heimlich zum Götzendienst entartet und im Herzen seine Irrtümer hegt, - der Allwissenheit Gottes wird solche Heuchelei und Treubruch nicht entgehen. Es ist nicht genug, Gottes Namen im Munde zu führen, wenn man nicht auch jede Abgötterei, die seinem Worte zuwider ist, verabscheut. Hier liegt der Unterschied des wahren Gottesdienstes vom verkehrten Aberglauben. Hat Gott vorgeschrieben, wie er von uns verehrt sein will, so bedeutet die geringste Abweichung von dieser Regel einen Schritt zum Götzendienst, welcher den Herrn mit anderen Wesen in eine Reihe stellt.

 

Erläuterungen zum ersten Gebot.

 

Abschnitt 23. - 5. Mose 6, 4. 13 / 5. Mose 10, 20 / 5. Mose 6, 16.

 

5. Mose 6.

V. 4. Der Herr, unser Gott, ist ein einiger Herr. Wenn Mose von der Einheit Gottes spricht, so denkt er gar nicht bloß an sein unbegreifliches Wesen, sondern auch an sein Wirken und die herrliche Offenbarung, welche dem Volke zuteil wurde. Er stempelt es zum Verbrechen, wenn das Volk nicht in dem einen Gott ausruhen würde, der es zu seinem Eigentum genommen. Daher heißt es nicht bloß: „der Herr“, sondern ausdrücklich wird hinzugefügt: „unser Gott.“ Damit werden alle anderen Gottheiten zum Nichts herabgesetzt und das Volk angewiesen, alles zu fliehen und zu verabscheuen, was die Gemüter von der reinen Erkenntnis abführt. Kann man doch dem Herrn seinen göttlichen Namen lassen und ihn dennoch seiner Majestät entkleiden, indem man ihn in den Schwarm anderer Wesen herabzieht. Darum spricht Gott durch den Mund des Propheten (Hes. 20, 39): „Fahret hin, und diene ein jeglicher seinen Götzen“. Damit wehrt der Herr nicht bloß jeglicher Vermischung seiner Person mit den Kreaturen, sondern bezeugt auch, dass er lieber gar nicht als nur mit halbem Herzen verehrt sein will. – Übrigens bietet diese Stelle auch einen brauchbaren Beweis für die Gottheit Christi und des heiligen Geistes: denn wenn Christus mehrfach in der Schrift als Gott angeredet wird (z. B. Joh. 20, 28; Röm. 9, 5) so muss er ohne Zweifel derselbe Jehovah oder Herr sein, der sich selbst als den einigen Gott erklärt.

V. 13. Du sollst den Herrn, deinen Gott, fürchten. Hier wird noch deutlicher, in welchem Sinne soeben die Einheit Gottes eingeschärft wurde: wir sollen nur einem Herrn von ganzem Herzen dienen; denn wenn wir nicht an ihn allein unter ganzes Gemüt hängen, zerbricht unser Gottesdienst in Stücke, und ein Gewirr von Irrtümern muss die Folge sein. Zuerst fordert nun Gott Ehrfurcht für sich, sodann als Zeichen und Beweis derselben den entsprechenden Dienst. Zur Ehrfurcht gehört auch, dass ein Mensch sich dem Herrn unterwerfe, dessen überwältigende göttliche Majestät ihn zum Gehorsam zwingt. Daraus erwächst dann als Zeugnis eines frommen Sinnes der rechte Gottesdienst. Zu bemerken ist indessen, dass die hier geforderte Furcht eine freiwillige ist; sie ist ein Trieb des Herzens, welches nichts sehnlicher wünscht, als seinem Gott zu gehorchen. Wenn ich also gesagt habe, dass uns der Eindruck der göttlichen Macht und Größe unter das Joch des Herrn beugt, so denke ich nicht an einen erzwungenen und knechtischen Gehorsam, sondern meine nur, dass die Menschen nicht eher einen Trieb zum Gehorsam zu Gott empfinden werden, als die Ehrfurcht ihre Seele gebeugt hat. Die angeborene böse Art neigt nur zu leicht zu zügelloser Verachtung der Frömmigkeit. Wenn daher der Prophet (Jer. 5, 22) die Menschen zur Gottesfurcht erziehen will, erinnert er an die gewaltige Macht des Herrn, welche das Meer in seine Schranken zwingt. – In der weiteren Stelle, welche wir aus 5. Mose 10, 20 beigesetzt haben, erinnert das Wort „anhangen“ wiederum, dass auch das geringste Abweichen auf eigene Wege sofort den Gottesdienst verunreinigt. Denn eben darum will Gott seine Anbeter an sich binden, damit sie gewissermaßen an ihm fest haften und ihre Augen nicht anderswohin richten.

V. 16. Ihr sollt den Herrn nicht versuchen. Aus dieser ohne Zweifel zum ersten Gebot gehörenden Mahnung schließen wir, dass es ein wesentliches Stück der Frömmigkeit ist, dem Herrn das Seine zu geben und nichts von dem Rechte abzuziehen, welches er für sich beansprucht. Wie wir früher sahen, ging es aus Unglauben hervor, dass das Volk seinen Gott zu Massa versuchte (2. Mose 17, 2. 7): Israel gab sich nicht mit Gottes Vorsehung zufrieden und ruhte nicht in seiner väterlichen Liebe. Darum kam es zu einem Ausbruch der Ungeduld, und das Volk wollte an Gottes Gegenwart nicht glauben, wenn er nicht seinem unreinen Begehren nachgab. Wir sehen also, dass man Gott nicht anders recht verehren kann, als wenn man seine Tugenden gelten lässt. Zugleich ergibt sich, dass mit dem Glauben auch ein wahrhaft frommer Sinn ohne weiteres verbunden ist: denn wenn wir glauben, dass alles wünschenswerte Gut bei Gott sich finden und dasselbe von ihm erwarten und erbitten, so werden wir mit geduldigem Gleichmut seinen Willen über uns walten lassen, ja wir werden uns und unser Leben ganz in seine Hand geben.

 

Abschnitt 24. - 3. Mose 19, 1. 2.

 

Diese Mahnung will uns anleiten, dass wir den Dienst Gottes nicht nach unseren eigenen Gedanken bemessen und einrichten, sondern vielmehr nach Gottes Wesen. Ferner empfangen wir einen Fingerzeig, dass wir vor allem auf einen heiligen Wandel bedacht sein sollen. Denn den Menschen wird nichts schwerer, als alle fleischlichen Lüste abzustreifen und sich ganz nach Gottes Bilde zu gestalten. Zudem ist er nur zu sehr an seinen Schmutz gewöhnt, den er häufig nur mit einer äußeren Frömmigkeit überdecken möchte. So vernehmen wir hier einen Aufruf, wir möchten dem Gott nachfolgen, der uns sein Bild aufprägen wollte, als er uns zu seinen Kindern annahm: müssen doch rechte und wohl geartete Kinder ihres Vaters Art an sich tragen. Wollte es freilich jemand seinem Gott an Heiligkeit gleich tun, so wäre dies ein wahnsinniges Nacheifern. Mag aber auch der Vollkommenste selbst hinter den Engeln noch weit zurückbleiben, so darf sich dadurch auch der Geringste nicht hindern lassen, in aller Schwachheit sich nach dem Vorbilde seines Gottes auszustrecken. Übrigens werden wir später sehen, dass auf diese Hauptforderung der Heiligkeit alle Zeremonien zielen, in welchen Gott sein Volk unter dem alten Bunde üben wollte. So begegnet unser Spruch auch an andern Stellen (3. Mose 11, 44. 45; 20, 26), aber stets in Verbindung mit spezielleren Vorschriften. Darum mag hier der Hinweis auf seinen wesentlichen Gehalt genügen.

 

Abschnitt 25. - 5. Mose 6, 14. 15.

 

Hier verbietet Mose dem Volke von dem schlichten Dienst seines Gottes abzuweichen, mochten sich auch ringsum verlockende Beispiele abergläubischen Treibens darbieten. War es doch eine gefährliche Versuchung, wenn man nirgends ein Volk fand, welches sich der Lehre des göttlichen Gesetzes unterwarf: überall galt eine andere Religion; und jede dieser Religionsformen war eine Verlockung vom rechten Wege abzubiegen. Dieser Gefahr musste der Gesetzgeber rechtzeitig begegnen und die Autorität des einen Gottes so unerschütterlich feststellen, dass ihr gegenüber die zusammenstimmende Meinung aller Völker in den Augen der Juden zu einem Nichts werden musste. Beigefügt wird ein drohender Hinweis auf die Strafe, welche jeden abergläubischen Dienst treffen wird: der Herr ist ein eifriger Gott unter dir. Eifrig und eifersüchtig heißt Gott, weil er keinen Nebenbuhler duldet, der seine Ehre schmälert, und auch nicht zulässt, dass man den Dienst, der ihm allein gebührt, einem andern darbringe. Die Erinnerung daran, dass Gott unter seinem Volke wohnt, will einerseits unser Auge auf seine drohende Gestalt richten, anderseits aber die Undankbarkeit strafen, welche dem gegenwärtigen Gott den Rücken kehrt und andere Götter aus der Ferne herbeiholt.

 

Abschnitt 26. – 5. Mose 18, 9 – 17.

 

V. 9. Wenn du in das Land kommst usw. Das Menschengeschlecht ist nur zu geneigt, böse Beispiele eifrigst nachzuahmen, und besonders wer in ein fremdes Land kommt, pflegt sich alsbald seinen Sitten und Gewohnheiten anzupassen. Darum will Gott vorbeugen, dass Israel bei seiner Ansiedlung im Lande Kanaan sich nicht von dessen Einwohnern anstecken lasse. Freilich lautet die Mahnung ganz allgemein: du sollst nicht lernen tun die Gräuel dieser Völker. Aber im Hinblick auf die besonderen Gefahren des Götzendienstes empfangen wir im Folgenden eine lichtvolle Erläuterung darüber, was es heißt, fremde Götter zu haben. Fremden Göttern huldigt man nämlich überall, wo man den Dienst Gottes, den jeder Aberglaube verunreinigt, fremdartige Bestandteile mischt. In Summa: Gottes Volk soll nichts mit menschlichen Gebilden zu schaffen haben, welche den reinen und lauteren Gottesdienst verfälschen. Denn ganz im Allgemeinen wollte Gott seine Anbeter von allen Fallstricken zurückhalten, mit welchen Satan von Anbeginn die armen Menschen betrogen hat. Doch werden insbesondere einzelne damals geläufige Stücke aufgezählt. Und damit wir Gottes Absicht desto besser verstehen, müssen wir darauf achten, was ihm an den hier verurteilten Sünden eigentlich missfällt. Der dem Menschen eingeborene Wissensdrang wird nur zu oft zu einem abergläubischen Vorwitz und führt uns dann vom rechten Wege ab, obwohl er an sich eine edle Gottesgabe ist, die uns über die stumpfe Tierwelt erheben sollte. Dies ist ja nicht zu tadeln, dass die Menschen im Bewusstsein der eigenen Unwissenheit sich an Gott zu wenden begehrten, um ihren Wissensdurst zu stillen. Nichts anders wollen ja die Menschen, wenn sie sich mit Zauberern und Wahrsagern einlassen, als eine Kunde, die ihnen selbst abgeht, vom Himmel holen. So legen sie ohne Zweifel das Bekenntnis ab, dass sie bei ihrer Finsternis das Licht der Erkenntnis nur durch eine besondere Gottesgabe empfangen, und dass verborgene Geheimnisse nicht durch menschliche Geisteskraft, sondern nur durch göttliche Einsprachen erschlossen werden können. Wie aber der Satan mit seinen Kunstgriffen alles natürlich Gute zum Bösen wendet, so hat er auch dieses gute Samenkorn durch zwei angehängte Laster verderbt, durch ein ungezügeltes Übermaß der Wissbegier und durch die Neigung, unerlaubte Mittel zur Bereicherung des Wissens zu gebrauchen. Aus diesen beiden Quellen, nämlich aus törichtem Vorwitz und ungezügelter Anmaßung, fließt aller Aberglaube und Irrtum, welcher je die Welt überflutet hat. Diesem doppelten Übel also will Gott begegnen, wenn er zauberische Künste verbietet, die doch nur zu dem argen Zweck erdacht wurden, um zu erforschen und ans Licht zu bringen, was Gott verbergen wollte. Wahre Wissenschaft ist nüchtern und begnügt sich zu erforschen, was uns frommt. Aber eine arge menschliche Laune steigt höher empor und möchte auch die tiefsten Geheimnisse durchmessen. Noch schlimmer ist das zweite Stück, dass man auf verkehrtem Wege ein geheimes Wissen zu erschließen trachtet. Wir werden alsbald sehen, dass auch Gott durch seine Knechte die Zukunft vorausgesagt hat, doch nur soweit dies einen wirklichen Nutzen hatte, und zu dem Zwecke, seine besondere Fürsorge für die Gemeinde zu offenbaren. Aber die unersetzliche Neugier der Menschen lässt sich an die Schranke des Nützlichen nicht binden: nach Adams Vorgang will der Mensch sein wie Gott und alles ohne Ausnahme wissen. Gewährt nun Gott solch frevelhaftes Begehren nicht, so wendet man sich an den Satan, den Vater der Lüge, und macht ihn zu einem falschen Gott. Hier liegt der Ursprung alles eitlen Aberglaubens, von welchem die Welt allezeit voll ist. Nunmehr können wir dessen einzelne Formen betrachten.

V. 10. Der seinen Sohn durchs Feuer gehen lasse. Ein schrecklicher und wunderlicher Wahnsinn hatte die Heiden umfangen und später auch die Juden erfasst, dass sie ihre Kinder opferten und insbesondere zu Ehren der Götter, an die sie ihr Herz hängten, verbrannten. Immerhin mochte man vielfach nicht diesem äußersten Wahnsinn anheim fallen, sondern einem etwas leichteren Aberglauben huldigen: man ließ seine Kinder durch die Flammen hindurch gehen, in der Meinung, sie damit von allem entweihenden Schmutz zu reinigen. Viele aber trieb der grausame Eifer, der nicht einmal das eigene Blut verschonte, bis zum wirklichen Opfer. Dabei mochte man sich auf Abrahams Beispiel berufen, - als ob nicht ein ungeheurer Unterschied wäre zwischen dem Gehorsam des heiligen Mannes, welcher aufgrund eines göttlichen Befehls sich bereit fand, seinen Sohn Isaak zu opfern, und der barbarischen Raserei des Volkes, welches wider Gottes Willen und Befehl seine Kinder mordete. Übrigens zeigt dies hässliche Schauspiel, wie viel eifriger Mensch ist, sich einem unheiligen Götzendienst zu übergeben, als den Gott richtig zu verehren, der klar und ausdrücklich vorschreibt, war recht ist. Gewiss musste es der Eltern erste Sorge sein, ihre Kinder dem Herrn zu weihen. Aber als einzigen Weiheakt hatte Gott bei den Juden die Beschneidung verordnet, mit welcher sie hätten zufrieden sein sollen. Darnach verzeichnet Mose die verschiedenen geheimen Künste, die bei den Heiden geläufig waren, und mit welchen man seinen frevelhaften Wissensdurst zu stillen trachtete. Möglicherweise will das erste Wort „Weissager“ alle diese Künste insgesamt umfassen, und nun erst folgt ihre Beschreibung im Einzelnen: Wolkendeuter sind Leute, welche aus den Wolken und vielleicht auch aus den Sternen die Zukunft deuteten. Mit ihnen gehören enge zusammen die Leute, von welchen es dann ganz allgemein heißt: oder sonst ein Deuter. Denn es ist hier das gleiche Wort gebraucht, wie 1. Mose 44, 5 von dem Becher, mit welchem Joseph angeblich „weissagte“. Zauberer blenden die Augen der Menschen und betören sie damit.

V. 11. Beschwörer pflegen in heimlicher Versammlung Dämonen zu zitieren. Wahrsager, genauer übersetzt: Leute, die einen Wahrsager-Geist befragen (vgl. Apg. 16, 16) tun, was das Weib von Endor tat, welche dem Saul den Geist Samuels heraufführte (1. Sam. 28, 7). Das Wort Zeichendeuter würde sich am genauesten durch „Weiser“ wiedergeben lassen: dieser ehrenvolle Name musste die trügerischen Künste decken, wie es denn überhaupt die Art des Satans ist, seine Lügen mit edlen guten Titeln zu schmücken. Endlich werden Leute genannt, welche die Toten fragen und ihre Antworten zu trügerischen Weissagungen missbrauchen. Man schlief etwa bei den Grabmälern, um die Zusprache der Toten im Traum zu vernehmen. Doch auch auf mancherlei andere Weise suchte die menschliche Torheit Verkehr mit den Abgeschiedenen zu gewinnen. – Wir lernen aus dieser Stelle, wie wunderlich Satan der armen Menschen spottet, und wie viel der Vater der Lüge vermag, um die Ungläubigen zu blenden, wenn Gottes gerechte Rache ihm die Zügel freigibt. Denn nur hochmütige Gleichgültigkeit hält alle diese Dinge für lächerliche Fabeln. Gott hält seine Wahrheit so hoch, dass er in seinem gerechten Gericht die Menschen, welche das Licht mutwillig auslöschen, wirklich in derartige Finsternis hineinstößt. Es wäre Frevel, leugnen zu wollen, dass man in der Tat solche magischen Künste trieb. Oder sollte Gott unbedachter Weise Gesetze über die Dinge erlassen haben, die es gar nicht gab? Sollte es aber töricht und unangemessen scheinen, Weissagungen, die doch Gott allein gehören, auch dem Satan zuzuschreiben, so hebt sich dies Bedenken leicht. Gottes gerechtes Gericht überlässt eben den Teufeln einen Schein von Weissagung, damit sie die Ungläubigen mehr und mehr in die Irre führen. Dabei ist gewiss, dass der Vater der Finsternis nur bei den Ungläubigen etwas vermag, deren Sinne so verfinstert sind, dass sie schwarz und weiß nicht mehr unterscheiden können. Vermochten die Zauberer Pharaos die Wunder des Mose nachzuahmen, so werden wir es nicht unglaublich finden, dass der Satan unter Gottes Zulassung die Elemente in Aufruhr bringt, den Verworfenen durch Krankheit und auf andere Weise schadet oder ihren Augen Trugbilder vorspiegelt. Umso mehr müssen wir aber Gott bitten, dass er einen Feind in Schranken halte, der uns mit so vielen giftigen Künsten treffen kann.

V. 12. Der ist dem Herrn ein Gräuel usw. Gottes Autorität soll uns wie ein Zügel leiten. Weiter stellt die Rede den Israeliten die Strafe Gottes vor Augen, die sie an den Heiden schauen, ja deren Vollstrecker und Handlanger sie selbst werden sollten: um solcher Gräuel willen vertreibt sie der Herr. Es konnte Israel nicht verborgen sein, dass nur Gottes Hand die Bewohner des Landes Kanaan aus ihren ruhigen Sitzen zu treiben vermochte. Und nun wird der Grund offenbart, weshalb dies geschah: die Kanaaniter hatten sich und das Land mit frevelhaftem und abscheulichem Aberglauben verunreinigt. Ihr Beispiel sollte also die Juden von Verbrechen zurückschrecken, über welche sie Gottes grausame Strafe ergehen sahen. In demselben Sinne warnt Paulus (Eph. 5, 6) die Gläubigen vor Sünden, um welcher willen der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens kommt.

V. 13. Du aber sollst rechtschaffen sein. Der Bund Gottes verpflichtet beide Teile: hatte der Herr sich den Juden verbunden, so waren auch sie wiederum verbunden, sich nicht an die Götzen wegzuwerfen oder nach anderen Religionen auszuschauen, welche den menschlichen Sinn hier und dorthin abziehen mussten. Die hier geforderte Rechtschaffenheit steht also im Gegensatz zu allem Mischungen und Fälschungen, welche uns von dem lauteren Dienst des einen Gottes abführen: die Einfalt, welche uns in den Schranken des Gehorsams gegen die himmlische Lehre hält, ist die geistliche Keuschheit, welche Gott von seiner Gemeinde fordert. Auch der Zusammenhang zeigt deutlich, dass Gott den Juden alle Willkür abschneiden und sie so fest an seine Verordnungen für den reinen Gottesdienst binden wollte, dass kein Leichtsinn sie weiter umtreiben sollte. In eben diesem Sinne bezeichnet sich Paulus (2. Kor. 11, 2) als einen Eiferer für Christus: nachdem er die Korinther an Christus gebunden hat, fürchtet er, dass, wie die Schlange mit ihrer Schalkheit Eva verführte, die Lockungen der Betrüger die Gemeinde von der Einfältigkeit in Christo abbringen möchten.

V. 14. Denn diese Völker usw. Wie die Strafe, welche Gott über die Heiden verhängt hatte, den Juden zur Abschreckung dienen sollte, so folgt nun ein Hinweis, dass diese das frei gewordene Erbe nur unter der Bedingung empfangen haben, dass sie sich in dankbarer Erinnerung an solche Wohltat vor aller Befleckung hüten sollten: sie sind nur darum an die Stelle der früheren Bewohner getreten, damit sie sich von ihnen unterschiedlich halten sollten. Mit dieser ganzen Umwälzung wollte Gott sich ja ein neues Volk erwerben und ein von aller Unreinigkeit freies Land schaffen. Werden nun auch nur zwei besondere Formen des Aberglaubens genannt, so ist doch die Abgötterei im Ganzen gemeint. Israel soll sich den Heiden nicht in jenen Lastern und Verderbnissen gleichstellen, um welcher willen dieselben zu Grunde gegangen waren: denn Gott hatte nicht einfach die gegenwärtigen Bewohner des Landes, sondern deren sündhaften Götzendienst treffen wollen. Darum soll dieser Wille Gottes für Israel schwerer wiegen als das Beispiel der heidnischen Umgebung.

V. 15. Einen Propheten usw. Diese Aussprache will einem nahe liegenden Einwand begegnen: Israel soll nicht glauben, in seinem Verkehr mit Gott schlechter gestellt zu sein als die Völker der ganzen Welt. Hielt man es doch jederzeit für ein unvergleichliches Gut, mit Gott zu verkehren; und in der Tat kann man sich nichts Besseres wünschen. Nun aber war die Meinung eingerissen, dass man mit Zauberkünsten, Wahrsagereien usw. Gott näher komme. So konnte Israel vielleicht über Zurücksetzung klagen, wenn ihm der Zugang zu solchen Offenbarungen verwehrt wurde. Dieser Klage zu begegnen, verkündet Mose, dass Israel einen nicht minder vertrauten Umgang mit Gott haben sollte, als wenn der Herr selbst sichtbar vom Himmel herabstiege: nur sollte das Volk auf dem rechten Wege bleiben und sich mit der Art, in welcher Gott seine Offenbarung geben wollte, zufrieden geben. In seiner Mitte soll statt aller heidnischen Lügen allein die Lehre der Propheten gelten. Steigt auch Gott nicht greifbar vom Himmel hernieder, so wird er doch, soviel es nützlich ist, seinen Willen gewiss und deutlich offenbaren und durch seine Knechte, die Propheten, treulich das Volk unterweisen. Darum heißt Jes. 43, 10 im Zusammenhang einer Spottrede über Weissagungen der Götzen das Volk Israel Gottes „Zeuge“: denn bei ihm hatte Gott seine Geheimnisse und die Schätze der himmlischen Weisheit niedergelegt. Nun wissen wir, in welcher Weise Gottes Volk sich Kunde von den Dingen verschaffen soll, die zu seinem Heil notwendig sind. Dies ergibt sich mit vollster Deutlichkeit aus Jes. 8, 19: „Wenn sie zu euch sagen: Ihr müsset die Wahrsager und Zeichendeuter fragen, - soll nicht ein Volk seinen Gott fragen? Oder soll man die Toten für die Lebendigen fragen? Ja, nach dem Gesetz und Zeugnis!“ Ohne Zweifel denkt Jesaja an unsere Stelle, wenn er menschlichen Vorwitz und Irrtum verwirft und den Gläubigen gebietet, sich einfach an Gottes Gesetz zu halten und sich mit dieser Regel für ihre Wissbegier zufrieden zu geben, wenn sie nicht kläglich in die Irre gehen wollen. – Buchstäblich ist nur von einem Propheten die Rede: gemeint ist aber, dass Gott stets seinem Volke einen solchen erwecken werde, um seine Gemeinde ununterbrochen zu leiten. Es ist darum falsch, nur etwa an den einen Josua oder Jeremia zu denken, und auch nicht richtig, unsere Weissagung kurzweg auf Christum allein zu beschränken. Wir müssen im Auge behalten, dass Gott den Juden alle Entschuldigung magischer Künste gerade damit nehmen wollte, dass er ihnen den fortwährenden Beistand von Propheten und Lehrern verhieß. Hätte er sie allein auf den künftigen Messias verwiesen, so hätten sie geantwortet: Wie hart, dass wir zwei Jahrtausende hindurch ohne Propheten und Offenbarungen sein müssen! Dennoch ist es überaus fein und richtig, wenn Petrus (Apg. 3, 22) unsere Stelle auf Christum wendet. Denn er will damit die übrigen Knechte Gottes nicht ausgeschlossen wissen, sondern lediglich die Juden erinnern, dass, wenn sie Christum verwerfen, sie sich überhaupt der hier verheißenen göttlichen Wohltat berauben. Vor Christi Ankunft war ja freilich die Prophetie im Volke Israel zuweilen unterbrochen: so mussten die Gläubigen in der traurigen Verstörung, welche auf die Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft folgte, klagen (Ps. 74, 9) dass sie ihre Zeichen nicht mehr sahen und kein Prophet mehr aufstand. In Zusammenhang mit solchen Stimmungen mahnt dann Maleachi (3, 22), des auf dem Berge Horeb gegebenen Gesetzes zu gedenken. Und er fügt sofort hinzu, womit er auf eine baldige vollkommenere Offenbarung des Lichtes deutet: „Ich will euch senden den Propheten Elia“ usw. So ist denn richtig, was wir Ebr. 1, 1 lesen: „Nachdem vor Zeiten Gott manchmal und mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn!“ Seit die Lehre des Evangeliums aufging, ist der Lehrgang der prophetischen Unterweisung abgeschlossen, weil hier Gott vollkommen gegeben hat, was er dort nur verhieß. Diese Wahrheit war so allgemein bekannt, dass sogar eine Samariterin sprechen konnte (Joh. 4, 25): „Wenn der Messias kommen wird, so wird er uns alles verkündigen.“ Aus alledem ergibt sich, dass Petrus vollkommen recht hatte, als er unsere Stelle auf Christum deutete.

V. 16. Wie du von dem Herrn gebeten hast usw. Wie undankbar wäre es gewesen, wenn die Juden sich nicht willig an die Propheten gehalten hätten: denn eben auf ihre Bitte hin hatte Gott sie gegeben! Um das prophetische Amt begehrenswert und wertvoll erscheinen und nicht wegen seiner Handhabung durch sterbliche Menschen verächtlich erscheinen zu lassen, hatte Gott das Volk zu dem Bekenntnis geführt, dass es das Beste sei, wenn er die Offenbarer seines Willens aus dem Kreise der Menschen wähle. Bei der Offenbarung des Gesetzes erschien Gottes Herrlichkeit in sichtbarem Glanze: dieser Anblick aber schreckte das Volk, so dass es aus freien Stücken bat, Mose möchte ihm als Lehrer und Dolmetsch der himmlischen Stimme gegeben werden (2. Mose 20, 19). Wie nötig jene schreckhafte Erscheinung war, um das menschliche Lehramt empfehlenswert erscheinen zu lassen, haben wir schon gesehen. Wissen wir doch nur zu gut, wie leicht sich unser Geist zu eitlen Spekulationen erhebt: so würde es auch unser Wunsch sein, Gott vom Himmel reden zu hören, sobald sich irgendein Zweifel regte. Darum mussten die Israeliten einen Eindruck von ihrer Schwachheit empfangen und dadurch sich in ihre Schranke zurückweisen lassen: was Gott ihnen als eine nützliche Gabe zugedacht hatte, mussten sie sich selbst als eine Wohltat ausbitten und damit dem stolzen Vorwitz, der sie ohne solchen Zügel fortwährend gestachelt haben würde, den Abschied geben. Und nun wäre es unentschuldbar gewesen, wollten sie eine Gabe verachten, die sie selbst als überaus heilsam erkannt hatten. Alles in allem: Gott ist einmal sichtbar erschienen, um seinen Propheten Glaubwürdigkeit und Autorität zu verschaffen; dann aber hat er zur Leitung seiner Gemeinde und Bezeugung seines Willens eine Ordnung gesetzt, deren Angemessenheit das Volk selbst erfahrungsmäßig erprobt hatte.

V. 17. Sie haben wohl geredet. Mose erinnert daran, dass der Wunsch des Volkes durch Urteil und Stimme Gottes selbst gebilligt worden ist (5. Mose 5, 25). Wenn törichter Leichtsinn Menschen zu einer unzeitigen Bitte reizt, so muss dieselbe nicht sofort gewährt werden; wo aber Gottes Beifall und Billigung hinzukommt, muss fest und unverletzlich stehen, was er als ihm genehm erklärt hat. Daraus ergibt sich, dass Gott aufs beste für das Heil der Menschen sorgt, wenn er seine Propheten sendet. Wenn treue Lehrer aufstehen, welche den Weg des Heils zuverlässig lehren, so ist dies also ein sonderliches Zeugnis der Gnade Gottes; und den Ruhm dafür nimmt der Herr für sich in Anspruch, indem er zum zweiten Male spricht (V. 18): Ich will einen Propheten erwecken. So lehrt auch Paulus (Röm. 10, 15): „Wie sollen sie predigen, wo sie nicht gesandt werden?“ Und derselbe Apostel bezeugt, dass zu dieser Aufgabe niemand tüchtig ist, der nicht die Fähigkeit recht zu lehren von Gott empfängt (1. Kor. 2, 14; vgl. 2. Kor. 2, 16). Nach alledem muss es als ein sicheres Zeichen der göttlichen Gnadengegenwart gelten, wenn der Herr treue und rechte Lehrer mit seinen Geistesgaben ausrüstet und auftreten lässt. Dabei gibt Mose zu verstehen, dass der Herr seiner Ehre nichts vergibt, wenn er seine Gemeinde durch den Dienst der Menschen regiert. Denn er behauptet als sein Eigentum: Ich will meine Worte in seinen Mund geben; und der Prophet darf nichts anderes reden, als was Gott ihm gebieten wird. Wir sehen also, dass von Anfang an die Hirten nicht eingesetzt wurden, um zu herrschen und die Gemeinde ihren willkürlichen Einfällen dienstbar zu machen, sondern lediglich um als Werkzeuge des heiligen Geistes zu wirken.

 

Abschnitt 27. – 5. Mose 13, 2 – 5 / 5. Mose 18, 21 – 22.

 

An die Warnung vor den fremdartigen Irrtümern der Heiden schließt sich nun eine Mahnung, Israel möge sich auch vor gar zu leichtgläubiger Hingabe an die falschen Lehrer hüten, die aus seiner eigenen Mitte aufstehen. Man soll nicht jedem neuen Menschengedicht anheim fallen und nicht im Geringsten von der Bahn des Gesetzes abweichen. Gefahr drohet nicht bloß von ausgesprochenen Feinden und durch von außen eindringenden Aberglauben, sondern unter trügerischem Missbrauch des göttlichen Namens sucht uns Satan auch durch Betrügereien zu täuschen, die im eigenen Kreise sich bilden. So muss Gottes Wort nach außen nicht bloß, sondern auch nach innen dem Glauben als Schutzwehr dienen, damit nicht neue Erdichtungen sich einschleichen, unter welchen die reine Lehre Schaden leidet. Um zur Gewissheit in der göttlichen Lehre zu gelangen, welche unsern Glauben nicht wanken noch fallen lässt, muss derselbe in ihr lebendige Wurzeln treiben. Vergeblich würde uns Gott vor falschen Lehrern warnen, wenn er uns nicht zugleich zeigte, auf welche Weise wir feststehen können. Es ziemt sich nicht, dass ein Glaube schwankend und unsicher bleibt, welcher im Gesetz seine klare Regel und Beschreibung empfing, und welchen Gott eben darum unbeweglich und fest auf der einmal überlieferten Wahrheit ruhen sehen will. So heißt es in Hinblick auf das Gesetz mit vollem Rechte (Jes. 45, 19): „Ich habe nicht zum Samen Jakobs vergeblich gesagt: Suchet mich.“ Soll man aber Gott suchen, so genügt es nicht, die Wahrheit zu wissen: die Seele muss auch in seiner Gemeinschaft gefestigt werden. Ein Glaube, welchem die Festigkeit fehlt, hat wenig Wert. Ohne Zweifel gilt auch für das Gesetz, was Paulus (Eph. 4, 14) vom Evangelium bezeugt, dass es seine Jünger gegen alle Versuchungen wappnet, damit sie sich nicht mehr wie Kinder wägen und wiegen lassen von allerlei Wind der Lehre durch Schalkheit der Menschen usw. Um was es sich handelt, wird eine ordnungsmäßige Auslegung der einzelnen Worte noch deutlicher machen.

5. Mose 13.

V. 2. Wenn ein Prophet unter euch wird aufstehen. Hier sehen wir deutlich, dass nicht von den Irrungen die Rede ist, welche Satan über den Erdkreis verbreitet hatte, sondern von solchen, welche aus dem Schoß der Gemeinde selbst entsprungen waren. Mose will sagen, dass das Gesetz die Juden nicht bloß von der Heidenwelt scheiden, sondern auch innerlich im reinen Glauben erhalten soll. Wie Christus heute durch die Prediger des Evangeliums seine Brautgemeinde an sich bindet, die als eine reine Jungfrau ihm allein gehorchen und sich nicht durch irgendwelche Verlockung von dem schlichten Glauben abtreiben lassen soll, so hat auch Gott dem Volk des alten Bundes, das er zu seinem Eigentum nahm, die Ohren allen Betrügern gegenüber verschließen wollen: sind doch solche Leute Verführer, welche Satan erweckt hat, um den heiligen und innigen Ehebund zu stören, der zwischen Gott und den Seinen geschlossen ward. Warum Gott seiner Gemeinde überhaupt solches Übel verordnet, werden wir alsbald sehen. Inzwischen ist es gut, die Gläubigen an die bestehende Gefahr zu erinnern, damit sie in angespannter Wachsamkeit sich vor den Schlichen des Satans hüten. Denn diese Seuche hat sich nicht nur in vergangenen Zeiten gezeigt: sie wird bis ans Ende der Tage wüten, und es gilt das Wort des Petrus (2. Petr. 2, 1): Wie unter dem Volk Israel falsche Propheten waren, so werden auch unter den Christen falsche Lehrer aufstehen, die neben einführen werden verderbliche Sekten. Übrigens denkt Mose nicht bloß im Allgemeinen an innere Feinde, sondern insbesondere an solche, die sich mit dem Prophetentitel schmücken, um desto frecher und ungestörter ihre Täuscherei zu treiben. Darum darf keine Ehrenstelle, noch irgendein scheinbarer Name, es sei eines Hirten oder Propheten oder Priesters, ohne weiteres die Person decken, wo wir nicht eine der Berufung entsprechende Zuverlässigkeit und Treue finden. Denn Gott befiehlt hier eben, solche Leute zu fliehen und zu verabscheuen, die sich zwar des Prophetentitels rühmen, die aber bei genauer Prüfung, wenn man ihnen die Maske abreißt, elend zu Schanden werden müssen. –

Neben den Propheten werden als eine besondere Art die Träumer genannt: denn Gott offenbarte sich den Propheten bald durch Visionen, bald durch Träume. Und dieser doppelte Name konnte einen Vorwand geben, die Betreffenden in besonderer Weise zu ehren. Besonders schwer wurde die Versuchung, wenn solcher Prophet oder Träumer sich durch irgendeine wirklich zutreffende Weissagung empfahl (V. 3): das Zeichen oder Wunder kommt, davon er dir gesagt hat. Denn wer wagt eine durch den Ausgang bestätigte Weissagung zu verwerfen? Wird uns doch Jes. 41, 23 eingeprägt, dass wirkliche Weissagungen nur Gott zu geben vermag. Der Zweifel steigert sich noch, wenn wir 5. Mose 18, 22 ausdrücklich angewiesen werden, eben nach diesem Kennzeichen wahre und falsche Propheten zu unterscheiden. Die Lösung ist diese: Wenn auch wirkliche Weissagung ein unveräußerliches Eigentum Gottes ist, so vermag doch der Herr im einzelnen Falle zuzulassen, dass auch Satans Diener richtig weissagen. Bileam, der Gottes ewige Ratschlüsse umstoßen wollte, war sicherlich der schlechteste unter allen Lohnpropheten: und doch gebrauchte der heilige Geist seine Zunge zur Verkündigung der Gnade, welche auszulöschen er gedungen war (4. Mose 22 ff.). So kann jemand ein abscheulicher Betrüger sein und doch im einzelnen Falle eine Gabe der Weissagung besitzen. Natürlich wird er nicht immer Offenbarungen der Wahrheit vortragen, wie auch Kaiphas, der einmal weissagte (Joh. 11, 50), nicht immer in der Wahrheit blieb: Gottes Zulassung gibt solchen Leuten nur gelegentlich eine wirkliche Weissagung, sodass diese eine Wahrheit die Summe ihrer Irrtümer decken muss. Warum dies geschieht, sagt uns ein Wort des Paulus (2. Thess. 2, 10): Weil die Verworfenen die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, auf dass sie selig würden, sendet ihnen Gott kräftige Irrtümer, dass sie glauben der Lüge. – Zur Bestätigung ihrer Lüge tun die falschen Propheten Zeichen oder Wunder. Ein prophetisches „Zeichen“ war es, wenn Jesaja nackt einherging (Jes. 20, 2) oder Jeremia ein Joch auf seinen Hals nahm (Jer. 28, 10). Hier aber will unter Zeichen, was sonst im Allgemeinen jedes Erkennungszeichen, wie eine Fahne usw. sein kann, ein ungewöhnliches Wunderzeichen verstanden sein, welches die Weissagung zu bekräftigen vermochte. „Wunder“ sind Krafttaten, mit welchen Gott seinen Weissagungen eine Gewissheit verleiht, als hörte man seine Stimme selbst vom Himmel her. So lassen Wunder und ungewöhnliche Zeichen auf Gottes gegenwärtige Macht schließen, und Christus kann seine Jünger warnen, sich nicht durch trügerische Zeichen und Wunder täuschen zu lassen (Mt. 24, 24). Mag auch Satan unsere Augen mit Wunderwerken blenden und in trügerischer Nachäffung Gottes Ruhm sich aneignen, so wissen wir doch aus den Worten des Paulus und Mose, dass die Lügenpropheten Werkzeuge der Rache Gottes sind, der durch ihre Wunder die Verworfenen ins Verderben stürzt. Wollte aber jemand einwenden, dass ja dann Wunderzeichen wenig Wert hätten, wenn sie ebenso gut schädliche Täuschungsmittel wie Bestätigungen der Wahrheit sein können, so antworte ich: so viel Freiheit lässt Gott dem Teufel niemals, dass nicht endlich doch sein Licht mitten aus der Finsternis hervorbräche. Es wird vorkommen, dass Gottes Wahrheit und Macht eine zeitweilige Verdunklung erleidet, wie wir in der Geschichte der ägyptischen Zauberer sahen: aber sie wird niemals ganz erdrückt werden. So erstrahlte in den Wundern, welche zur Bestätigung des Gesetzes geschahen, Gottes Herrlichkeit in einem solchen Maße, dass bei frommen Gemütern ein ganz zweifelfreier Glaube daraus erwachsen konnte. Ebenso sind die Wunder über jeden Zweifel erhaben, welche Glauben für das Evangelium erwecken sollen: sie tragen die Spuren göttlicher Herkunft so deutlich an sich, dass jeder Verdacht der Täuschung ausgeschlossen erscheint. Freilich sind die Augen der Menschen nicht bloß in der Betrachtung des ordnungsmäßigen Wirkens Gottes stumpf und blind; sie täuschen sich auch bezüglich der Wunder, wenn nicht Gottes Wort die Finsternis durchleuchtet. Sollen uns also die Wunder rechte Wegweiser sein, so müssen wir die unzerreißbare Verbindung zwischen Lehre und Wunderzeichen wohl im Auge behalten. Mit Recht warnt uns also Mose vor Leuten, welche die Wunder zum Vorwand brauchen, um Gottes Wahrheit umzustürzen: denn sie reißen frevelhafter Weise auseinander, was Gott zusammengeknüpft hat, und verkehren die Wunderzeichen, welche Stützen der rechten Lehre sein sollten, in ihr Gegenteil. Nachdem aber die Religion durch gewisse und unzweifelhafte Zeichen in Israel bekräftigt war, war es hässlicher Undank und Frevel, auf ganz neue Zeichen zu achten. Alles in allem: wir sollen fest an der Anbetung des einen Gottes halten, so dass auch die größten Wunder unseren Sinn nicht wankend zu machen vermögen. Dabei fordert das Satzglied Beachtung: andere Götter, die ihr nicht kennet. Mose will damit sagen: für die Herrlichkeit ihres Gottes haben die Juden so gewisse Zeugnisse empfangen, dass es ein unverzeihlicher Leichtsinn wäre, sich von ihm abzuwenden. Wie hebt sich doch die gewisse Erkenntnis Gottes, die unserem Herzen eingeprägt sein sollte, fest und klar von den Künsten des Satans ab, durch die nur Flattergeister sich verführen lassen!

V. 4. Der Herr versucht euch. Wenn es von Gott heißt, dass er uns versucht, so ist dies nie im argen Sinne gemeint: Er will uns nie hinterlistig zu Fall bringen noch ungefestigte Gemüter täuschend in die Irre führen, sondern nur prüfen. Gott erforscht die Menschenherzen, nicht um zu erfahren, was er selbst noch nicht wusste, sondern um klar und offenbar zu machen, was verborgen war. So hat Gott den Abraham versucht und seinen Glauben und Gehorsam einer überaus ernsten Prüfung unterworfen. Mit alledem streitet nicht, was wir oft lesen, und was ich soeben anrührte, dass Gott sich des Satans und der Bösen bedient, um zu versuchen: wenn man nämlich auf den Zweck solcher Erprobungen achtet, wird alsbald klar werden, dass Gott dabei ganz etwas anderes im Sinne hat als der Satan mit seiner Bosheit und List. Gottes Absicht ist, die Gläubigen vor Überraschungen zu bewahren, durch welche schwache Gemüter leicht erschreckt werden könnten. Nichts erscheint ja unerhörter, als dass Satan Gottes spottet, Himmel und Hölle durcheinander mischt und ungestraft sich aneignet, was Gottes Eigentum ist. Damit solche Erfahrungen nicht gutgesinnte Leute in hemmende Zweifel verwickeln, erinnert Mose daran, dass Gott inzwischen nicht müßig sitzt oder schläft, ohne sich um seine Gemeinde zu kümmern, sondern mit bewusster Absicht seine Frommen prüft, um sie von den Heuchlern zu unterscheiden. Diese Prüfung werden sie bestehen, wenn sie gegen allen Ansturm der Versuchung fest im rechten Glauben beharren und sich nicht aus der Bahn drängen lassen. So sagt auch der Apostel (1. Kor. 11, 19), dass notwendig Spaltungen in der Gemeinde sein müssen, damit offenbar würde, wer rechtschaffen ist. Darum dürfen wir nicht darüber seufzen noch uns wider Gott auflehnen, wenn es sein Wille sein sollte, die Festigkeit unseres Glaubens, der köstlicher ist als Gold und Silber, im Feuerofen zu prüfen. Es gilt, sich in aller Demut unter seinen Ratschluss zu beugen. Sollte aber wiederum jemand sagen, dass bei der bekannten Schwäche der menschlichen Natur Gott zu viel verlangt, wenn er uns gefährlichen Versuchungen unterwirft, so ist die Antwort leicht. Ohne Zweifel scheint bei der Empfänglichkeit unseres fleischlichen Sinnes ein solches Verfahren mit Gottes Vatergüte zu streiten: denn wer sollte nicht unterliegen, wenn vor seinen Augen ein handgreifliches Wunder geschieht? Schließlich wird die Versuchung aber nur solche Leute zu Fall bringen, deren gottlose und verdammte Art längst feststand und jetzt nur ans Licht tritt. Die treuen Anbeter Gottes werden ohne Schaden hindurchgehen. Ist es aber so, wer will dann dem Herrn die Freiheit beschränken, treuloser Hurerei die Maske vom Gesicht zu ziehen? Ist für alle wirklich Guten der Sieg gewiss, müssen alle Angriffe Satans für sie lediglich zu Übungsmitteln ihrer Kraft werden: warum will man es dann dem Herrn vorwerfen, dass er die Bosheit des Satans und der Gottlosen gebraucht, um den Guten Kronen und Triumphe zu schaffen? Freilich müssen wir den Grundsatz festhalten, dass Menschen, welche von Herzensgrunde ihren Gott lieben und verehren, unter seinem Schutze allezeit sicher und in Ewigkeit geborgen sein werden. Sicherlich ist solch reines Herz eine besondere Gabe Gottes und eine Frucht der heiligen Erwählung. Warum sollten wir aber die Schuld des Abfalls unbilliger Weise bei Gott suchen, während doch die Verworfenen das eigene Gewissen wegen ihrer Gleichgültigkeit, Heuchelei, wegen ihres Stolzes und ihrer Bosheit straft? Dabei ist festzuhalten, dass alle, welche nicht im Glauben zu stehen scheinen und darnach die Wahrheit verwerfen und verleugnen, nur einen Scheinglauben besessen und ein Scheinbekenntnis abgelegt haben können: hätten sie Gott im Ernste geliebt, so würde ihr Herz bei allen Anläufen fest geblieben sein. Allerdings wird es vorkommen, dass auch fromme Leute in Irrtum fallen und sich von den Gottlosen verführen lassen, aber doch immer nur in gewissen Stücken und auf Zeit, so dass sie niemals im tiefsten Grunde abfallen und auch bald wieder Buße tun. Solcher zeitweilige Fall ist die Strafe für einen nachlässigen oder leichten Sinn, der nicht genug auf Gottes Wort achtete und sich im frommen Streben nicht eifrig genug erwies. Im Allgemeinen aber bleibt immer wahr, dass Gottes Wahrheit sich nur für solche Leute verhüllt, deren Sinn der Gott dieser Welt verblendet hat (2. Kor. 4, 4). Und dies gilt insbesondere, wo das himmlische Licht, dem gegenüber man die Augen schließen muss, um in die Irre zu gehen, schon seine Erleuchtung gespendet hat. Darum folgt nunmehr ein Hinweis auf das rechte Hilfsmittel:

V. 5. Ihr sollt dem Herrn, eurem Gott, folgen. Wer den Gott, der uns in freier Gnade zuvorkam, zum Führer nimmt, ist gegen alle Abirrung vom rechten Wege geschützt. Weil aber nur zu viele dem Rufe Gottes nicht folgen und seine Winke unbeachtet lassen, führt die Rede fort: Ihr sollt ihn fürchten. Denn die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang (Ps. 111, 10). Die folgenden Wendungen prägen dann von neuem ein, dass es niemandem, der wirklich seinem Gott gehorchen will, an genügender Erleuchtung für seine Entschlüsse und Taten fehlen wird. Freilich muss man seinem Gott anhangen d. h. treulich bei ihm aushalten. Wie töricht sind also die wankelmütigen Geister, welche dem Herrn den Rücken kehren, um jeder eitlen Lüge nachzulaufen!

5. Mose 18.

V. 21. Ob du aber in deinem Herzen sagen würdest usw. Diese einschränkende Weisung schließt sich an die Aussprache an, welche wir aus 5. Mose 18 bereits beigebracht haben (Abschnitt 26). Gott hatte die Propheten an seiner Statt zu Lehrern des Volkes bestellt, hatte sie mit besonderer Autorität ausgerüstet und hatte befohlen, dass man sich an ihr Wort halten solle. Da nun aber nicht alle Lehrer treulich ihr Amt ausrichteten, so musste der Zweifel aufsteigen, woran das Volk eine wahre Rede in Gottes Namen und ein irreführendes Gerede unterscheiden könne. Dabei denkt Mose nicht gerade an eine offen aufgeworfene Frage, sondern an halb verborgene Gedanken, welche „im Herzen“ unruhig aufstiegen. Um solche Zweifel zu beheben, bespricht er nicht alle Unterscheidungsmerkmale: denn wir hören nichts von der Lehre, sondern nur von den Weissagungen. In Rücksicht auf das populäre und oberflächliche Verständnis wird lediglich darauf hingewiesen, man möge nachsehen, ob die Weissagungen der angeblichen Propheten zutreffen. Freilich kommt es vor, wie wir hörten, dass auch einmal die falschen Lehrer in diesem Stück wie wahre Knechte Gottes dastehen und eine zutreffende Weissagung aussprechen. Indessen genügt hier der Hinweis auf das gewöhnliche Erkennungszeichen, durch welches Gott sich in der Tat von den Götzen unterscheiden und abheben will (Jes. 41, 22; 43, 9; 44, 7). Dabei ist die Meinung durchaus nicht, dass man allen „Propheten“ glauben solle, deren Wort einmal eintrifft, sondern nur, dass man bei genauerer Prüfung schwerlich irren werde, weil Gott alsbald die falschen Propheten zu schanden und ihre Torheit offenbar werden lässt.

V. 22. Der Prophet hat´s aus Vermessenheit geredet. Nicht bloß eitle Torheit wirft Mose den Lügenpropheten vor, welche ihre Einfälle als Worte Gottes vortragen, sondern auch Vermessenheit, wie es denn in der Tat eine lästerliche und unerträgliche Unverschämtheit ist, als einen himmlischen Spruch auszugeben, was doch einem menschlichen Gehirn entsprang. Dies kräftige und deutliche Wort soll also die Leute brandmarken, welche mit ihren pomphaften „Offenbarungen“ schlichte Gemüter verwirrten. Darum kann die Rede auch fortfahren: scheue dich nicht vor einem solchen „Propheten“, der im frechen Übermut mit seinen Offenbarungen klappert. Hier ist ein Schild, mit welchem man sich deckt, und an welchem das schreckhafte Getöse sich als eitel Dunst erweist. Auch heute haben wir reichlich Gelegenheit, diese Weisung des Mose zur Anwendung zu bringen.

 

Abschnitt 28. – 3. Mose 18, 21 / 3. Mose 19, 26. 31 / 5. Mose 12, 29 – 13, 1.

 

3. Mose 18.

V. 21. Du sollst niemand usw. Die beiden aus 3. Mose 18 und 19 ausgehobenen Stellen rühren drei Stücke nur flüchtig an, die wir bereits zu 5. Mose 18, 9 ff. ausführlicher behandelt haben: gottlose Opfer, insbesondere die scheußliche Aufopferung der Kinder an den Moloch, weiter Zeichendeuterei, endlich die Benützung von Wahrsagerkünsten. Damit man derartige Dinge nicht etwa für nur geringe Versehen halte, hören wir die Warnung, „dass du nicht entheiligst den Namen deines Gottes“, „dass ihr nicht verunreiniget werdet“ (3. Mose 19, 31). Dass dies alles mit dem ersten Gebot zusammenhängt, ergibt sich aus dem wiederholten feierlichen Schluss: Ich bin der Herr, euer Gott. Damit fordert Gott alle Anbetung für sich allein und verwirft im stillen Gegensatz gegen alle erdichteten Götzen jeglichen Aberglauben, welcher die wahre Religion verunreinigt. Es ist, als hörten wir den Herrn sprechen: Ich bin der ewige Gott und hoch erhaben über alle Götzen, welche die törichten Heiden sich ausdenken; ich habe euch zu meinem Eigentumsvolk erwählt: darum will ich euch, wie es sich ziemt, von jeder Befleckung rein und geschieden sehen.

5. Mose 12.

V. 29. Wenn der Herr die Heiden ausrottet usw. Diese Ausführung erinnert an die schon besprochene Stelle 5. Mose 18, 12. Weil das Volk nur zu geneigt war, in die Bahnen seiner heidnischen Umgebung einzulenken und den Göttern Verehrung darzubringen, unter deren Schutz und Schirm gerade dieses Land nach Meinung seiner Einwohner stehen sollte, so untersagt das Gesetz in der strengsten Weise, nach diesen Götzen überhaupt zu forschen (V. 30): dass du nicht fragest nach ihren Göttern. Pflegt doch dies der Anfang des Götzendienstes zu sein, dass man sich mit der schlichten Einfalt der Verehrung Gottes nicht begnügt, sondern vorwitzig nachfragt, ob nicht auch noch allerlei Menschengedichte Glauben verdienen. Neue Erscheinungen nehmen das Gemüt gefangen, und mit diesem Sauerteig durchsäuert man den Inhalt des göttlichen Wortes. Darum soll Israel nach solchen Dingen nicht bloß nicht fragen; es empfängt auch die Weisung zur äußersten Vorsicht: Hüte dich! Damit wird der nur zu verlockenden Neugier ein Riegel vorgeschoben. Gott zieht Schranken um sein Volk, welche jeden Ausblick auf schädliche Dinge verhindern. Israel soll vor dem Aberglauben geradezu die Flucht ergreifen und überhaupt nichts davon hören wollen, um sich nicht zu beflecken. Es soll nicht in den Strick fallen. Denn der sündhafte heidnische Kultus ist ein Netz und Strick des Satans, welcher die Menschen fängt, die ihm zu nahe kommen. Der wiederholte Hinweis, dass die Heiden um dieser Dinge willen vor Israel vertilget sind, soll von neuem zur Abschreckung dienen.

V. 31. Du sollst nicht also tun. Diese Worte lassen ersehen, was es heißt, nicht andern Göttern dienen: es gilt dabei, allen Menschengedichten den Abschied zu geben und allein auf das zu merken, was Gott befiehlt. Eben darum will ja Gott von seinem auserwählten Volke anders verehrt sein, als die Heiden ihre Götter ehren, um einen sichtbaren Unterschied zu schaffen und jeder Religionsmengerei zu wehren. Leute, die sich nicht unbedingt an Gottes Wort halten und nicht mit voller Entschiedenheit sich nur das erlauben, was darin gelehrt wird, werden aus fortwährendem Schwanken nicht herauskommen und urteilslos herausgreifen, was ihnen begegnet. Für uns aber gilt jenes „nicht also“ als Schirm und Schild gegen jeden Aberglauben, der den Gottesdienst verunreinigen müsste. Mose fügt hinzu, dass all dergleichen dem Herrn ein Gräuel ist und dass er es hasset, eine Aussage, deren Glaubwürdigkeit durch ein handgreifliches Beispiel gestützt werden soll: dass Eltern ihre unschuldigen Kinder verbrennen, ist doch gewiss ein abscheulicher Frevel.

5. Mose 13.

V. 1. Alles, was Ich euch gebiete, das sollt ihr halten. Dieser Schlusssatz lehrt kurz und bündig, dass ein rechter Gottesdienst nur derjenige ist, zu welchem sich Gott in seinem Worte bekennt, und dass wahre Frömmigkeit nur aus dem Gehorsam geboren wird. Es wird uns eingeprägt, dass aller religiöser Eifer, der mit Aberglauben versetzt und nicht nach dieser Ordnung geregelt ist, in die Irre geht. Daraus ergibt sich, dass zur rechten Beobachtung des ersten Gebotes eine Erkenntnis des wahren Gottes gehört, welche der Glaube aus seinem Worte schöpft. Das Verbot, irgendetwas nach menschlichem Gutdünken hinzuzufügen oder hinweg zu nehmen, brandmarkt alle solche Versuche als geistlichen Ehebruch. Daraus folgt, dass jeder, der in der Verehrung Gottes sich nach einer andern Regel richtet, als welche Gott selbst gegeben hat, sich andere Götter macht. Solchem Frevel droht Gott durch den Mund des Propheten eine furchtbare Strafe (Jes. 29, 13 f.): „Darum dass dies Volk mich fürchtet nach Menschengeboten, will ich wunderlich mit ihm umgehen, dass die Weisheit seiner Weisen untergehe“ usw. Was Wunder also, wenn im Papsttum der Herr diese angedrohte Verblendung gerade über die Lehrer und Führer verhängt hat, wo der gesamte Gottesdienst nichts anderes ist, als ein Wust von hohlen menschlichen Überlieferungen!

 

Zeremonialgesetzliche Anhänge zum ersten Gebot.

 

Abschnitt 29. – 2. Mose 12, 1 – 20.

 

V. 1. Der Herr sprach usw. Unter dem Gesichtspunkte, dass das Passah zu den von Gott verordneten Festen gehört, werden wir in der Besprechung des Sabbatgebotes auf dasselbe zurückkommen. Das Passah ist aber zugleich ein feierliches Wahrzeichen der Erlösung, in welchem das Volk sich zu Gott als seinem Erlöser bekennt und sich gleichsam an seinen Herrn bindet. Darum habe ich kein Bedenken getragen, dasselbe auch unter den Anhängen des ersten Gebotes zu behandeln. An dieser Stelle wollen wir also nur darauf achten, dass Gott behufs völliger Verbindung mit seinem Volke diese Feier eingesetzt hat, welche Israel lehren sollte, sich niemals dem Gott zu entfremden, dessen gnädige Hand sie erlöst hatte. Der Herr hatte sich sein Eigentumsvolk erworben. So oft er also den Juden einen Abfall von seiner wahren Verehrung vorwerfen muss, klagt er sie an, dass sie diese seine Gnade vergessen, deren Gedächtnis stark genug hätte sein sollen, sie an ihren Gott zu binden. So lehrte das Passah die Juden, dass es für sie nicht recht sei, auf einen anderen Gott zu blicken als auf ihren Erlöser, dass es ihnen zieme, sich dem Gehorsam und Dienste des Herrn zu weihen, der sie aus dem Tode in das Leben versetzt hatte. Wie in einem Spiegel oder auf einem Bilde zeigte hier Gott seine Gnade: was das Volk einmal erfahren, sollte durch jährliche Wiederholung seinem Gedächtnis unauslöschlich eingedrückt werden. – Doch es gilt, zunächst genauere Auskunft zu geben, was eigentlich das Passahlamm bedeutet. Das hebräische Wort „passah“ heißt überspringen oder vorübergehen. Als der Herr durch Ägyptenland ging, alle Erstgeburt zu schlagen (V. 12), (V. 13), ohne irgendwelchen Schaden zu tun. In diesem Sinne heißt es auch Jes. 31, 5, dass der Herr schonend an Jerusalem vorübergehen, also es behüten werde. Damals, als der Herr seines Volkes in Ägypten verschonen wollte, gab er den Gläubigen ein Zeichen, an welches sich die Hoffnung auf dies schonende Vorübergehen klammern konnte. Darnach stiftete er ein bleibendes Gedächtnis dieser Gnadentat, ein Denkmal zur jährlichen Erinnerung an die Erlösung. Denn das erste Mal wurde das Passah als ein Bestandteil der gegenwärtigen Erlösungstat begangen: es sollte ein Unterpfand sein zur Stärkung schwacher Gemüter. Die jährliche Wiederholung aber war ein Dankopfer, welches die Nachgeborenen daran erinnerte, dass sie kraft des Rechtes der Erlösung Gottes Schutzbefohlene geworden waren. Übrigens besitzt sowohl die erste Einsetzung als auch die stete Wiederholung eine tiefere Bedeutung. Gott hat ja das Volk des alten Bundes einmal erlöst, nicht bloß um es in irdischer Hinsicht zu retten und zu behüten, sondern um es zum Erbe des ewigen Lebens zu führen. So war das Passah nicht minder als die Beschneidung auch ein Zeichen einer geistlichen Gnadengabe; als solches können wir es mit dem heiligen Abendmahl zusammenstellen, weil es die gleichen Verheißungen in sich schließt, welche Christus uns heute versiegeln lässt, und weil es lehrt, dass wir nicht anders als durch Sühneblut einen gnädigen Gott haben können. Alles in allem: das Passah war gleicher Weise ein Zeichen der bereits erfahrenen wie der noch zu erwartenden Erlösung. Darum kann der Apostel Paulus den Herrn Christus als das für uns geopferte Passahlamm bezeichnen (1. Kor. 5, 7), was doch nicht passen würde, wenn die alttestamentliche Feier nur ein Denkmal irdischer Durchhilfe gewesen wäre. So wollen wir denn vor allem festgestellt haben, dass Gott unter dem Gesetze die Passahfeier als ein Mittel verordnet hatte, durch welches das Volk seinem Gott die schuldige Dankbarkeit bezeugen und ihm, der sie durch die Erlösung zu seinem Eigentum erworben, sich weihen sollte. – Nun zur Betrachtung des Einzelnen. Gott ordnet an, dass Israel mit dem Monat der Ausführung aus Ägypten die Monate des Jahres anheben soll (V. 2): er war gewissermaßen des Volkes Geburtstag, wie ja jener Auszug als eine Neugeburt gelten musste. War Israel in Ägypten gleichsam begraben, so hub mit der von Gott geschenkten Freiheit ein neues Leben an, und ein neues Licht ging auf. Allerdings hatten die Israeliten die Einsetzung in die Gotteskindschaft schon viel früher erfahren; da aber diese Erfahrung in der Zwischenzeit in vielen Herzen verwischt war, bedurfte es einer Wiedergeburt, damit ein neuer Eindruck von dem väterlichen Verhältnis Gottes zu seinem Volke entstünde. Unter diesem Gesichtspunkte hören wir beim Propheten (Hos. 13, 4): „Ich bin der Herr, dein Gott, aus Ägyptenland her; und du sollst ja keinen andern Gott kennen denn mich, und keinen Heiland ohne allein mich.“ Noch deutlicher hören wir etwas zuvor (Hos. 11, 1): „Da Israel jung war, hatte ich ihn lieb, und rief ihn, meinen Sohn, aus Ägypten.“ Mochten andere Völker den gleichen Jahresanfang haben, so besaß derselbe für das auserwählte Volk doch eine besondere Bedeutung: er war ihm ein jährliches Denkmal seiner Auferweckung. Bis dahin hatten nämlich die Ebräer das Jahr mit dem Monat Tisri begonnen, der etwa unserem September entspricht: viele hielten dafür, dass in diesem Monat die Welt geschaffen wurde, weil es passend schien, dass die Erde schon bei der Schöpfung sich mit ihren reifen Früchten und im vollkommenen Schmucke ihrer Fruchtbarkeit zeige. Noch heute kennen die Ebräer einen doppelten Jahresanfang: für das tägliche Geschäftsleben hat man den altherkömmlichen Jahreswechsel im Herbst beibehalten, während das gottesdienstliche Jahr mit seiner Festordnung auf Grund des mosaischen Gesetzes mit dem Monat Nisan beginnt, welcher (abgesehen von den durch den veränderten Kalender entstandenen Verschiebungen) sich ungefähr mit unserem März deckt.

V. 3. Sagt der ganzen Gemeine usw. Man kann die Frage aufwerfen, warum je ein Lamm zu einem Haus gleichsam als ein besonderes Opfer verordnet war, da doch ein einziges Opferlamm die ganze versöhnte Gemeinde deckte und Gottes Gnade durch das einige Opfer Christi erworben war. Die Antwort ist leicht: neben dem allgemeinen Zeichen der die ganze Gemeinde umfassenden Erlösungstat, welches der überall gleiche Ritus bildete, hat jene von Gott verordnete Anwendung auf jedes einzelne Haus, welche die Gnadentat noch spezieller in die Herzen prägen sollte, ihren guten Sinn. So haben auch wir heute alle die gleiche Taufe als gemeinsames Mittel der Einfügung in den Leib Christi: und doch wird jedem einzelnen persönlich die Taufe erteilt, damit er desto gewisser seine Gotteskindschaft und Zugehörigkeit zur Gemeinde fasse. Sicherlich war es nicht Gottes Absicht, jeder einzelnen Familie, die ihr besonderes Lamm schlachtete, eine besondere von der Allgemeinheit abweichende Hoffnung zu eröffnen: aber er wollte eindrücklich zeigen, dass jedes einzelne Haus ihm gehörte, und dass nicht bloß das ganze Volk, sondern auch jede einzelne Familie ihm für seine allgemeinen und besonderen Wohltaten zu danken habe. Dass aber die nächsten Nachbarn (V. 4) hinzugezogen werden sollten, wenn in einem Hause die Kopfzahl nicht ausreichte, um das Passahlamm zu verzehren, erklärt sich daraus, dass nichts übrig bleiben sollte. Diese letztere Vorschrift (V. 10) wird unter anderem darin seinen Grund haben, dass die heilige Speise nicht unter die tägliche Nahrung gemischt werden und auch nicht dadurch an ihrer eigenartigen Schätzung verlieren sollte, dass das Fleisch etwa verdarb. Vielleicht war es auch Gottes Absicht, allem Aberglauben zu wehren, der sich leicht an etwa übrig gebliebene Stücke hängen konnte: darum sollte man alle Reste mit Feuer verbrennen.

V. 5. Ihr sollt aber ein solch Lamm nehmen usw. Wir werden später sehen, dass das Gesetz bei allen Opfern ein starkes Gewicht darauf legt, dass sie ohne Makel und Fehler sind. So wurde dem Volke eingeprägt, dass eine rechte Sühne nur da zu standen kommen konnte, wo eine für Menschen unerschwingliche durchaus vollkommene Darbringung erfolgte. Unter diesem Gesichtspunkte fordert Gott auch hier ein Lamm, da kein Fehl an ist und eines Jahrs alt: Israel sollte wissen, dass zur Sühne vor Gott nur ein Preis ausreichte, wie man ihn unter dem ganzen Menschengeschlecht vergeblich suchen würde. Gab es ohne Zweifel ein völlig tadelloses Tier überhaupt nicht, so muss die verlangte sichtbare Fehlerlosigkeit des Lammes oder Bockes als eine Darstellung der himmlischen Vollkommenheit und Reinheit Christi verstanden werden. In dieselbe Richtung weist es, wenn das Passahlamm (V. 3, 6) vom zehnten bis zum vierzehnten Tage von der übrigen Herde getrennt behalten werden sollte. Dass aber bezüglich des Bluts Gott anordnete (V. 7), man solle beide Pfosten an der Tür und die obere Schwelle damit bestreichen, hat die belehrende Bedeutung, dass das Opfer nur da einen Nutzen schafft, wo man sich mit seinem Blute bestreicht und bezeichnet. Denn das Auftragen des Blutes auf den Pfosten sollte ebensoviel gelten, als wenn jeder einzelne dies Zeichen auf seiner Stirn getragen hätte. Sicherlich hat auch Christus durch sein vergossenes Blut nicht alle Menschen frei gemacht, sondern nur die Gläubigen, welche sich ihm heiligen. Dabei kommt alles auf die inwendige Besprengung an, welche durch die Kraft des heiligen Geistes vollzogen wird (1. Petr. 1, 2): das äußere Zeichen aber sollte die Israeliten lehren, dass nur der vorgehaltene Schild des Blutes sie gegen Gottes Zorn decken konnte. Das alles stimmt mit der eben vorgetragenen Lehre, dass ein und dasselbe Opfer jedem einzelnen Hause zugewandt wurde, damit diese persönliche Berührung auch dort Eindruck mache, wo man ein bloß allgemeines Zeichen wenig oder nicht verstanden hätte. Warum (V. 8) das Fleisch am Feuer gebraten und nicht gesotten werden sollte, weiß ich nicht; ich will dies auch lieber offen eingestehen, als solche Spitzfindigkeiten vortragen, dass Christus am Kreuze gleichsam im Feuer der Trübsal verdorrt worden sei u. dgl. Wahrscheinlich deutete die Vorschrift lediglich auf die Eile des Auszugs: nachdem bereits alle Gefäße zusammengepackt, ließ sich schneller an einem Spieße braten als in einem Topfe kochen. Ebendahin deuten auch die Vorschriften darüber, wie das Mahl verzehrt werden sollte. Drei Stücke sind hier herauszuheben (V. 8, 11): „ungesäuertes Brot“, „mit bittern Kräutern“, und endlich: um eure Lenden sollt ihr gegürtet und überhaupt wie Reisende gerüstet sein. Bei der plötzlichen Eile des Auszugs konnte man nur schnell etwas Mehl zusammenraffen und daraus ungesäuertes Brot herstellen. Diese ganze Situation sollte jährlich erneuert werden, damit die Nachkommen wüssten, dass ihre Väter, die in eilender Flucht und mit keiner Zehrung für den Weg ausziehen musste, nur durch Gottes Hilfe erlöst wurden. Keine noch so kunstreiche Darstellung hätte eindrücklicher an diesen himmlischen Beistand erinnern können, als dieser Mangel an hinreichendem Proviant. Weiter sollte das Volk sich mit bitteren Kräutern begnügen: denn Wanderer, die aus einem feindlichen Lande entfliehen, haben keinen Überfluss, sondern müssen ihren Hunger mit allem stillen, was ihnen gerade vorkommt; so nehmen sie auch bittere Kräuter in Kauf, die sie in besseren Zeiten verachten würden. Vielleicht erinnern diese Kräuter auch an die traurige Lage der Väter, die unter der harten und bitteren Tyrannei sich gleichsam mit Bitterkeit sättigen mussten. Noch deutlicher kommt die Eile darin zum Ausdruck, dass man sich gestiefelt und gegürtet, mit Stäben in der Hand zum Mahle setzte. Pflegt man sonst nach dem Mahle zu ruhen, so konnte das Volk daran nicht denken, sondern musste in eiliger Flucht aufbrechen. Ausdrücklich wird der Grund angegeben: denn es ist des Herrn Passah. Nur unter Zittern und Zagen ist Israel dem wütenden Schwerte Gottes entronnen. – Bei alledem wollen wir noch einmal anmerken, dass dieses Sakrament eine doppelte Bedeutung hatte: es sollte dem Volke das Gedächtnis für die erfahrene Wohltat stärken und zugleich die Hoffnung auf die künftige Erlösung nähren. So erinnert das Passah Gottes Volk nicht nur daran, was sein Herr ihm schon geschenkt hat, sondern auch was es von ihm noch erhoffen darf. Diese heilige Feier gab dem einmal aus Ägypten erlösten Israel das Anrecht, sich einer noch viel besseren Erlösung entgegenzustrecken. Diese geistliche Bedeutung ist durch Christi Ankunft vollends klar geworden. Darum kann Paulus das alttestamentliche Vorbild auf die christliche Gemeinde anwenden und uns zurufen (1. Kor. 5, 7): „Weil auch wir ein Passahlamm haben, das für uns geopfert ist, so lasset uns das Passahlamm nicht im alten Sauerteig der Bosheit und Schalkheit, sondern mit dem ungesäuerten Brot der Lauterkeit und Wahrheit halten.“ Sollten schon unter dem alten Bunde die Häuser, in denen man Passah feierte, von aller Verunreinigung frei bleiben, wie viel mehr muss das heute bei uns Christen der Fall sein! Christi Opfer, welches uns vom ewigen Tode erlöste, darf nicht mit dem Sauerteig in schmutzige Berührung kommen. Darauf deutet die weitere Ausgestaltung der Feier: die Lockungen dieser Welt sollen uns nicht fesseln, Freude und Lust sollen unseren Lauf nicht aufhalten; wir sollen uns auf Erden als Pilgrime fühlen, zum Weiterwandern gerüstet und geschickt; auch dem Geschmack des bitteren Kreuzes Christi sollen wir nicht aus dem Wege gehen.

V. 12. Ich will durch Ägyptenland gehen. Das bezieht sich auf das erste Passah in der Nacht, als Israel aus Ägypten befreit ward. Insbesondere wollte Gott damals seine Strafe beweisen an allen Göttern der Ägypter: denn damals wurde handgreiflich offenbar, dass sie nichts helfen konnten, und ihre Anbetung eitel und trügerisch war. Vielleicht ist es eine Anspielung an unsere Stelle, wenn wir Jes. 19, 1 lesen: „Siehe, der Herr wird auf einer schnellen Wolke fahren und über Ägypten kommen. Da werden die Götzen in Ägypten vor ihm beben.“ Überhaupt offenbart ja der Herr seine Herrlichkeit gegenüber allem frevelhaften und verkehrten Götzendienst, so oft er als Erlöser seines Volkes erscheint.

V. 14. Und sollt diesen Tag haben zum Gedächtnis. Dies zielt auf die jährliche Feier, welche ein Denkmal sowohl des Auszuges als auch der künftigen Erlösung sein sollte. Dass aber diese Ordnung zur ewigen Weise sein soll, deutet nur auf eine ununterbrochene Fortsetzung, bis Gott ein Neues stiften würde. Ist doch die Beschneidung und der ganze gesetzliche Gottesdienst seit Christi Ankunft zwar äußerlich außer Gebrauch gesetzt, hat aber gerade dadurch an wahrer und ewiger Bedeutung nur gewonnen. Hieran geschieht kein Abbruch durch die Änderung der Zeremonien, die uns Christen von dem Volke des alten Bundes unterscheidet, wie ja überhaupt der neue Bund den alten nicht dem Wesen, sondern nur der Form nach beseitigt.

V. 16. Dass Israel am Passahtage keine Arbeit tun soll, außer was zur Speise gehöret, wird ausdrücklich angemerkt, damit die heilige Feier ja nicht durch andere Geschäfte gestört werde.

 

Abschnitt 30. – 2. Mose 12, 24 – 27; 43 – 49.

 

V. 24. Darum so halt diese Weise usw. Das Gebot der jährlichen Wiederholung der Erlösungsfeier wird noch einmal eingeschärft und dabei angemerkt, dass es in Geltung treten soll, wenn Israel in das gelobte Land kommt (V. 25). Neu ist dabei die Vorschrift, dass die Väter auch ihre Kinder über den Sinn der Feier belehren sollen, damit dieselbe nicht ein totes und nutzloses Werk bleibe. Mit vollem Rechte also gilt uns die Lehre als die Seele der Sakramente, ohne welche die Leben spendende Kraft fehlt. Darum soll auch das Passah kein stummes Schauspiel bleiben. Die Worte (V. 26): wenn eure Kinder zu euch werden sagen wollen natürlich nicht den Vater anweisen, mit seiner Belehrung zu warten, bis das Kind von selbst fragt; sie enthalten lediglich eine Erinnerung, dass das für den Unterricht erforderliche Alter erreicht sein muss. Auch für Kinder liegt hier ein Antrieb, lernbegierig und genau nach dem Sinn der Zeremonien zu forschen, sobald sie reif genug sind, die Bedeutung der Feier zu fassen. So sollte die heilige Ordnung von Hand zu Hand weitergegeben werden und unter dem Volke lebendig und wirksam bleiben. Da nun übrigens das Passahlamm das entsprechende Vorbild des heiligen Abendmahles ist, so ergibt sich auch für dieses, dass niemand zugelassen werden soll, der die christliche Lehre nicht verstehen kann.

V. 43. Kein Fremder soll davon essen.