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Johannes Calvin (10. Juli 1509 - 27. Mai 1564) war ein französischer Theologe, Pfarrer, Reformator und eine der Hauptfiguren bei der Entwicklung des Systems der christlichen Theologie, das später Calvinismus genannt wurde, einschließlich der Lehren von der Prädestination und der absoluten Souveränität Gottes bei der Rettung der menschlichen Seele vor Tod und ewiger Verdammnis. Die calvinistischen Lehren wurden von der augustinischen und anderen christlichen Traditionen beeinflusst und weiterentwickelt. Verschiedene kongregationalistische, reformierte und presbyterianische Kirchen, die sich auf Calvin als Hauptvertreter ihrer Überzeugungen berufen, haben sich über die ganze Welt verbreitet. Calvin war ein unermüdlicher Polemiker und apologetischer Schriftsteller, der viele Kontroversen auslöste. Mit vielen Reformatoren, darunter Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger, tauschte er freundschaftliche und tröstende Briefe aus. Neben seiner bahnbrechenden "Unterweisung in der christlichen Religion" schrieb er Bekenntnisschriften, verschiedene andere theologische Abhandlungen und Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel. In diesem vorliegenden Werk befasst er sich mit den Briefen an die Hebräer und Philipper.
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Seitenzahl: 453
Die Briefe an die Hebräer und Philipper
JOHANNES CALVIN
Die Briefe an die Hebräer und Philipper, J. Calvin
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849662622
Der Originaltext dieses Werkes entstammt dem Online-Repositorium www.glaubensstimme.de, die diesen und weitere gemeinfreie Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Wir danken den Machern für diese Arbeit und die Erlaubnis, diese Texte frei zu nutzen. Diese Ausgabe folgt den Originaltexten und der jeweils bei Erscheinen gültigen Rechtschreibung und wurde nicht überarbeitet.
Cover Design: 27310 Oudenaarde Sint-Walburgakerk 89 von Paul M.R. Maeyaert - 2011 - PMR Maeyaert, Belgium - CC BY-SA.
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Der Brief an die Hebräer1
Einleitung.1
Kapitel 1.4
Kapitel 2.13
Kapitel 3.27
Kapitel 4.36
Kapitel 5.46
Kapitel 6.55
Kapitel 7.68
Kapitel 8.80
Kapitel 9.89
Kapitel 10.102
Kapitel 11.122
Kapitel 12.143
Kapitel 13.154
Der Brief an die Philipper163
Einleitung.163
Kapitel 1.165
Kapitel 2.180
Kapitel 3.200
Kapitel 4.217
In alter Zeit waren nicht nur über den Verfasser dieses Briefes die Meinungen geteilt, sondern der Brief selbst ist in der abendländischen Kirche überhaupt erst spät in die Sammlung heiliger Schriften aufgenommen worden. Man stieß sich daran, dass der Brief gefallenen Sündern die Vergebung zu versagen scheint (6, 4 ff.; 10, 26 ff.). Ich rechne ihn indessen ohne Zweifel unter die apostolische Literatur und bin überzeugt, dass bei der zeitweiligen Verdunklung seines Ansehens der Satan seine Hand im Spiele gehabt hat. Gibt es doch unter den biblischen Schriften keine andere, in der von Christi Priestertum so einleuchtend gesprochen, die Kraft und Erhabenheit des einen, in seinem Tode dargebrachten Opfers so hoch gerühmt, das Zeremonienwesen sowohl nach seinem ursprünglichen Zweck, wie nach seiner vergänglichen Bedeutung ausführlicher behandelt, mit einem Wort, die Wahrheit, dass Christus des Gesetzes Ende sei, vollständiger dargetan würde. Halten wir daher einen solchen Schatz in Ehren!
Die Frage nach dem Verfasser braucht uns nicht aufzuregen. Man hat unter andern auf Lukas, Barnabas oder Klemens[1] geraten. Ausgeschlossen scheint mir die Annahme der Abfassung durch Paulus. Schon die Lehrweise und der Stil sprechen genugsam dagegen. Auch ist, um von andern Gründen einstweilen abzusehen, die Art, wie der Briefschreiber sich 2, 3 f. als einen Schüler der unmittelbaren Jünger Jesu bekennt, von der paulinischen sehr verschieden (vgl. z. B. Gal. 1, 11 f.), und was 6, 1 f. über die Einrichtung des damaligen christlichen Elementarunterrichtes beiläufig angeführt wird, passt nicht wohl in die Zeit des Paulus.
Was den Briefinhalt betrifft, so ist vor allem zu bemerken, dass es sich nicht etwa darum handelt, die Hebräer zur Anerkennung der Wahrheit zu bringen, dass Jesus, der Sohn Marias, der verheißene Messias und Erlöser sei. Da nämlich der Verfasser an solche schreibt, die bereits Christen geworden sind, kann er jenen Hauptpunkt als zugestanden voraussetzen. Die Beweisführung dreht sich vielmehr um die Frage, welcher Art das Werk Christi sei, um von da aus zu zeigen, dass mit seiner Erscheinung die Zeremonien ihr Ende erreicht haben. Es ist wichtig, diesen Unterschied festzuhalten. Denn so hätte sich der Apostel überflüssige Arbeit gemacht, wenn er denen, die von der Messianität Jesu überzeugt waren, diese abermals hätte beweisen wollen. So nötig war doch für die Leser eine Belehrung über die Person des Erlösers, sowie über Zweck, Bedeutung und Frucht seiner Erscheinung, weil sie immer noch, in falscher Auslegung des Gesetzes befangen, nach einem Schatten griffen, statt sich der wesenhaften Erfüllung zu freuen.
Der Brief beginnt mit der Hervorhebung von Christi Würde und Erhabenheit und stellt zunächst fest, dass das Wort, das Christus uns gebracht, den höchsten Wert beansprucht, indem es den Abschluss und die Vollendung aller prophetischen Verkündigung darstellt (1, 1 f.). Da den Adressaten die Verehrung, welche sie für Mose empfanden, leicht zum Hindernis dieses Glaubens wurde, so zeigt der Apostel, dass Christus alle andern weit überstrahlt. Um jedoch den Anstoß zu mildern, geht er behutsam zu Werke. Nicht die Vergleichung mit Mose stellt er voran, sondern, nachdem im Allgemeinen die auszeichnenden Ruhmestitel Christi berührt sind (1, 2 f.), betont er im Besonderen das untergeordnete Verhältnis der Engel (1, 4 – 14; 2, 5 ff.). Ist einmal aus der Schrift nachgewiesen, dass selbst die himmlischen Gewalten Christus nachstehen müssen, so kann sich auch Mose oder irgendein anderer Sterblicher dessen nicht weigern so dass der Sohn Gottes über die Gesamtheit der Engel und der Menschen hervorragt. Daher kann jetzt der Apostel, gleichsam kühner geworden, dazu fortschreiten, es auszusprechen: Mose ist umso viel niedriger, als der Knecht hinter dem Herrn zurücksteht (3, 1 – 6). Diese Ausführungen der drei ersten Kapitel über die Christus zukommende, oberste Herrschaft zielen dahin ab, dass alle zu schweigen haben, wenn er redet, und nichts uns abwendig machen darf, seinem Wort aufmerksames Gehör zu schenken. Wir dürfen uns ihm umso bereitwilliger hingeben und überlassen, als ihn das zweite Kapitel zugleich auch in der gewinnenden Gestalt eines Bruders, der unser Fleisch getragen, vor uns hinstellt. Ausdrückliche Ermahnungen gegenüber lässigem Gehorsam oder gar trotzigem Widerstand sind diesem Abschnitt beigegeben (2, 1 – 4; 3, 7; 4, 13).
Von da geht der Briefsteller über zur Darstellung von Christi Priestertum, dessen wahre und reine Erkenntnis allen Zeremonien des Gesetzes ein Ende bereitet. Nachdem er aber nur kurz dabei verweilt, wie wertvoll dieses Priestertum uns sein müsse und was für ein erquickender Trost darin zu finden sei (4, 14 – 5, 10), schiebt er einen Tadel an die Hebräer zwischenein, weil sie wie Kinder in den ersten Anfängen stecken blieben, und schreckt sie mit harter, ernster Drohung: es sei Gefahr, dass sie, wenn im Fortschreiten so lässig, schließlich ganz vom Herrn abfallen würden (5, 11 – 6, 8). Doch mildert er bald diesen rauen Ton, indem er sagt, er wolle sich zu ihnen eines Besseren versehen. Seine Absicht ist, ihnen zum Weiterstreben Mut zu machen, nicht sie niederzuschlagen (6, 9 – 20). Dann kehrt er zur Behandlung des Priestertums Jesu zurück, wobei er zeigt, dass es von dem alten Priestertum unter dem Gesetz sich unterscheide, aber auch weit darüber sich erhebe, weil es, durch einen Eid bekräftigt, zu ewiger, unveränderlicher Geltung bestimmt sei, und weil der, der es verwaltet, Aaron und das ganze levitische Geschlecht an Ehre überrage. Dies alles sieht er in der Person Melchisedeks vorgebildet (7, 1 – 28). Um aber die gesetzlichen Zeremonien umso sicherer als aufgehoben zu erweisen, legt er dar, dass sie selbst, wie auch die Stiftshütte, über sich hinaus auf eine höhere Wahrheit hingedeutet hätten. Wir dürfen also nicht bei ihnen verweilen, wenn wir nicht vor dem Ziel auf halbem Wege stehen bleiben wollen. In diesem Zusammenhang wird jene Stelle aus Jeremia angeführt, wo ein neuer Bund verheißen ist, ein besserer offenbar als der alte, der demnach unvollkommen und hinfällig gewesen sein muss (8, 1 – 13).
Aber nicht nur die Verschiedenheit, sondern auch die Ähnlichkeit und Verwandtschaft werden aufgezeigt, die zwischen den alten Schattenbildern und den wesenhaften Gütern in Christus bestehen. Auch diese Betrachtung ergibt, dass seit dem einen Opfer Christi alle mosaischen Sitten sich überlebt haben, weil dieses Opfer ein für allemal wirksam ist und in ihm sowohl der neue Bund seine vollkommene Bewährung, als auch jenes äußerliche, gesetzliche Priestertum sein wahres, geistliches Gegenstück gefunden hat (9, 1 – 10, 18). – An die lehrhaften Erörterungen schließt sich wiederum eine anspornende Ermahnung, allen Bedenklichkeiten den Abschied zu geben und Christus mit der ihm gebührenden Ehrfurcht bei sich aufzunehmen (10, 19 – 39).
Die zahlreichen, alttestamentlichen Beispiele, die das elfte Kapitel aufzählt, sollen, wie mir scheint, den Hebräern zum Bewusstsein bringen, dass der Schritt von Mose zu Christus, statt sie von den heiligen Vätern zu scheiden, sie vielmehr gerade mit diesen in enge Verbindung setze. Denn da der Väter beste Kraft und die Wurzel aller ihrer Tüchtigkeit der Glaube war, so bildet er das vornehmste Erkennungszeichen der wahren Söhne Abrahams und der Propheten. Wer nicht den Vätern im Glauben folgt, ist aus ihrer Art geschlagen. Das macht nicht den geringsten Ruhm des Evangeliums aus, dass wir darin mit der gesamten Gemeinde Gottes von Anfang der Welt her in Übereinstimmung und Gemeinschaft stehen (11, 1 – 40).
Die zwei letzten Kapitel enthalten mancherlei praktische Weisungen über die Hoffnung, die Geduld im Leiden, Standhaftigkeit, Dankbarkeit gegen Gott, Pflicht des Gehorsams, Barmherzigkeit und tätige Bruderliebe, Keuschheit und ähnliches. Mit einem Segenswunsch und der Erwartung, seine Leser bald zu sehen, schließt der Verfasser seinen Brief (12, 1 – 13, 25).
V. 1. Nachdem Gott vorzeiten usw. Dieser Eingang hebt das Wort Christi hoch empor. Es verlangt nicht bloß ehrfurchtsvolle Aufnahme, sondern gewährt auch allein volle Befriedigung. Durch die scharfe Gegenüberstellung der einzelnen Satzglieder wird diese Hervorhebung umso deutlicher. Einst hat Gott geredet durch die Propheten, jetzt durch den Sohn; damals zu den Vätern, jetzt zu uns; dort in mannigfacher und wechselnder Weise, hier in vollendeter Offenbarung, wie sie uns durch Christus zuteil geworden. Derselbe einige Gott ist es, der sowohl das Gesetz wie das Evangelium gegeben; jenes kann sich zu diesem nicht in Gegensatz stellen. An uns wie an die Alten ist die Rede dessen ergangen, der sich selbst nicht verändert und dessen Wort unverrückbare Wahrheit bleibt. Dennoch besteht zwischen uns und den Vätern ein Unterschied, weil zu jenen das Wort in anderer Form gelangte als heute zu uns. Dort bediente sich Gott der Propheten – denen auch Mose beigezählt wird -; für uns dagegen hat er seinen eigenen Sohn zum Gesandten bestellt. Schon in dieser Hinsicht sind wir also in besserer Lage. Und nicht minder haben wir einen Vorzug, was die Art der Offenbarung betrifft. Liefert doch die im alten Bunde zu Tage tretende Wandelbarkeit des prophetischen Schauens und göttlichen Regierens den Beweis, dass die Heilsveranstaltung noch nicht jene feste Ausprägung erhalten hatte, wie sie vollkommenen Dingen eigen ist. Das ist angedeutet in dem Ausdruck manchmal und mancherlei Weise. Denn wenn es damals schon eine in jeder Hinsicht endgültige Offenbarungsweise gegeben hätte, so würde Gott sie bis zuletzt beständig innegehalten haben. Wir sehen also, dass die Mannigfaltigkeit ein Zeichen von Unvollkommenheit war.
Wenn es heißt, zu uns habe Gott geredet am letzten in diesen Tagen oder am Ende dieser Tage, so ist damit gesagt, es sei kein Grund vorhanden, nach neuer Offenbarung auszuschauen. Denn Christi Wort ist nicht wiederum ein bloßes Stück, sondern höchster und letzter Abschluss. In diesem Sinne reden die Apostel von der letzten Zeit und den letzten Tagen. Und das nämlich meint auch Paulus, wenn er schreibt, auf uns sei das Ende der Welt gekommen (1. Kor. 10, 11). Wenn also jetzt Gott zum letzten Mal geredet hat, so gilt es, bis zu diesem Worte vorzudringen, dann aber auch hier Halt zu machen. Beides muss streng beachtet werden. Für das jüdische Volk war es verhängnisvoll, dass es nicht bedachte, dass Gott die volle Heilsverkündigung sich erst noch vorbehalten habe; so gab es sich mit seinem Gesetz zufrieden und streckte sich nicht nach dem Ziele. Seitdem aber Christus erschienen ist, begann der entgegengesetzte Schaden in der Welt um sich zu greifen: da möchten die Menschen über Christus hinausschreiten. In unserer Stelle lädt der Geist Gottes alle ebenso dringend ein, bis zu Christus zu kommen, wie er verwehrt, über diese letzte Offenbarung sich hinweg zu setzen. Nie wird unsere Weisheit das Evangelium dahinten lassen können.
V. 2. Welchen er gesetzt hat zum Erben über alles. Da der Vater alles Christus unterworfen hat, gehören auch wir selbst unter dessen Herrschaft. Und zugleich liegt darin, dass außer ihm kein wahres Gut gefunden werden kann, weil er der Universalerbe ist. So sind wir die elendesten Menschen und arm an jedem Gut, wenn er uns nicht aus seiner Fülle darreicht. Es wird beigefügt, dass dem Sohn Gottes diese Ehre, über alles verfügen zu können, mit Recht zustehe, weil durch ihn alles geschaffen sei. Allerdings beziehen sich diese beiden Aussagen auf verschiedene Seiten seines Wesens. Die Welt ist durch ihn geschaffen, insofern er die ewige Weisheit Gottes ist, die allen göttlichen Werken von Anbeginn zu Grunde lag (Spr. 8, 27; Joh. 1, 3; Kol. 1, 16). Dagegen kommt ihm die Bezeichnung eines Erben nach seiner Menschwerdung zu. Denn dieses Erbe hat er erlangt, da er unsere Natur an sich genommen, um uns das wiederzugewinnen, was wir in Adam verloren hatten. Gott hatte ja schon am Anfang den Menschen wie einen Sohn zum Erben aller seiner Güter bestimmt; aber durch den Sündenfall und die daherige Entfremdung von Gott hatte der erste Mensch sich und seine Nachkommenschaft des göttlichen Segens und aller Güter verlustig gemacht. Daher treten wir in den rechtmäßigen Genuss der göttlichen Reichtümer erst ein, wenn uns Christus, der Gesamterbe, in seine Gemeinschaft aufnimmt. Denn zu dem Zweck ist er der Erbe, dass er uns aus seiner Fülle reich mache. Ja, der Apostel will uns, indem er ihn hier mit diesem Titel ehrt, zu bedenken geben, dass wir ohne Verbindung mit Christus gänzlich hilflos sind und weder auf den Himmel noch auf die Erde, noch auf irgendeine Kreatur Anspruch haben.
V. 3. Welcher, sintemal er ist der Glanz seiner Herrlichkeit und das Gepräge seines Wesens. Diese Bezeichnungen sind eine wie die andere bildlich gemeint. Von so erhabenen und so geheimnisvollen Dingen kann ja nur nach der Ähnlichkeit kreatürlicher Dinge gesprochen werden. Wir dürfen deshalb nicht zu genau bestimmen wollen, in welcher Weise der Sohn, der mit dem Vater eines Wesens ist, der Abglanz und Widerschein von dessen Licht sei. Es ist zuzugeben, dass die vom Kreatürlichen hergenommene Redeweise der verborgenen Majestät Gottes nicht völlig entspricht. Aber gleichwohl wird mit Recht sinnlich Wahrnehmbares auf Gott übertragen, um zu veranschaulichen, was wir in Christus zu suchen haben, und war er für uns ist. Denn auch das muss betont werden: nicht um müßige Grübeleien handelt es sich hier, sondern um kernhafte Unterweisung im Glauben. So sollen wir denn jene Ruhmestitel Christi nach der Bedeutung, die sie für uns haben, verstehen, wie sie auch mit Rücksicht auf uns ihm gegeben sind. Wenn du also hörst, der Sohn sei der Abglanz der Herrlichkeit des Vaters, so denke dabei: diese Herrlichkeit ist für mich unsichtbar, bis sie in Christus mir entgegenstrahlt; und darum heißt er auch das Gepräge seines Wesens, weil des Vaters Majestät verborgen bleibt, bis sie sich mir in ihm wie in einem Bildabdrucke enthüllt. Die Absicht des Apostels geht nicht dahin, über die Art der Wesensgleichheit zwischen dem Vater und dem Sohne eine Lehre aufzustellen; er will vielmehr, wie gesagt, unsern Glauben auf fruchtbare Weise erbauen mit der Wahrheit, dass Gott uns nicht anders offenbar wird als in Christus. Denn so überwältigend ist die Lichtfülle im göttlichen Wesen, dass unsere Augen, davon geblendet, sie nicht ertragen, bis ihre Strahlen in Christus uns aufgehen. Das ist wahrhaft nutzbringende Philosophie, wenn wir aus ernster Glaubensempfindung und –erfahrung heraus Christi Größe erkennen lernen. Dasselbe gilt auch, wie schon bemerkt, von dem „Gepräge“: da Gott an sich für uns unfassbar ist, so kommen wir erst im Sohne zum Anschauen seines Bildes. Der erste jener beiden Ausdrücke erinnert uns, außer Christus sei kein Licht, sondern lauter Finsternis; denn wiewohl Gott das alleinige Licht ist, das uns alle erleuchten muss, kann es sozusagen nur in dieser Ausstrahlung in uns eingehen. Der andere besagt, dass wirklich und wahrhaftig Gott erkannt werde in Christus; denn nicht bloß einen dunkeln, unvollkommenen Umriss haben wir in ihm, sondern das deutliche Ebenbild, das die Züge Gottes ebenso wiedergibt, wie die Münze das Bild des Prägestempels.
Und trägt alle Dinge usw. „Tragen“ steht hier für „schützen“ oder „das Geschaffene in seinem Bestand erhalten“. Die Meinung ist, dass alles sogleich zerfiele, wenn es nicht durch seine Kraft erhalten würde. Sein kräftiges Wort, oder genau: das Wort seiner Macht, bezeichnet hier einfach den Willen, und der Sinn ist der: Christus, der durch seinen bloßen Willen die ganze Welt erhält, hat es doch nicht verschmäht, das Werk unsrer Reinigung zu vollbringen. Und dies eben ist das zweite Stück der Lehre, die in dem Briefe behandelt wird. Denn die ganze Verhandlung dreht sich um die beiden Hauptpunkte: Weil Christus mit dem höchsten Ansehen bekleidet ist, muss er vor allen andern gehört werden, - und weil er durch seinen Tod uns mit dem Vater versöhnt hat, sind die alten Opfer durch ihn dahingefallen. So enthält dies beides schon der erste Satz des Briefes, der einleitend das Thema angibt.
Wenn es dann heißt: durch sich selbst, so ist der Gegensatz hinzuzudenken, dass er sich bei seinem Werke nicht auf die Schattenbilder des mosaischen Gesetzes stützte. Auch liegt darin der Unterschied zwischen ihm und den levitischen Priestern. Denn auch diese sollten Sünden wegschaffen; aber ihre Macht dazu hatten sie nicht aus sich selbst. Endlich sollen, indem die Kraft der Reinigung allein in Christus verlegt wird, alle andern Mittel oder Stützen des Heils ausgeschlossen sein.
Hat er sich gesetzt zu der Rechten. Nachdem er auf Erden den Menschen das Heil erworben, ist er aufgenommen in die himmlische Herrlichkeit, um die Herrschaft über alles anzutreten. Wir pflegen sonst eine Macht abzuschätzen nach ihrer sichtbaren Erscheinung. Aber das Heil, das Christus uns erlangt hat, ist eben nicht zeitlicher Art; wir dürfen ihn deshalb, weil er unseren Augen entzogen ist, nicht geringer achten. Vielmehr bedeutet das den Gipfel seines Ruhmes, dass er zu jener höchsten Stufe der Herrschaft erhöht und aufgenommen ist.
Von einer Rechten ist in übertragenem Sinn die Rede, da ja Gott weder an einen Ort gebunden ist, noch eine rechte oder linke Seite hat. Das Sitzen Christi daselbst ist nichts anderes als das Reich, das ihm vom Vater gegeben ist, und jene Gewalt, die Paulus erwähnt (Phil. 2, 10), dass in seinem Namen aller Knie sich beugen sollen. Auf den glänzenden Thron erhoben, von welchem Gottes Majestät ausstrahlt, regiert er gleich dem Vater, wie die fürstlichen Gesandten tun, denen unbeschränkte Vollmacht erteilt ist. Wie er daher um der Erlösung willen unsre Liebe beansprucht, so kraft dieser Herrlichkeit unsre Anbetung.
V. 4. So viel besser usw. Durch Vergleichung mit den Engeln wird nun die Würde Christi in ein noch helleres Licht gesetzt. Es war eine gangbare Rede bei den Juden, das Gesetz sei durch Engel gegeben worden. Man hörte, was die Schrift da und dort in auszeichnender Weise über die Engel aussagt, und schrieb ihnen dann, der merkwürdigen menschlichen Neigung zum Aberglauben folgend, eine übertriebene Bedeutung zu, selbst auf Kosten der Ehre Gottes. Sie müssen daher in die ihnen gebührende Schranke gewiesen werden, damit nicht dem Ansehen Christi durch sie Abbruch geschehe. Und zuerst soll Christi Name zum Beweis dienen, dass er hoch über ihnen steht, weil er der Sohn Gottes heißt. Dass dieser Titel wirklich Christus zukomme, wird aus zwei Schriftzeugnissen dargetan, die wir beide genau zu prüfen haben, bevor wir das Ergebnis ziehen können.
V. 5. Du bist mein Sohn. Unstreitig ist in dieser Schriftstelle von David die Rede, insofern er Träger des Messiasgedankens ist. Was also der Psalm enthält, musste in David vorgebildet werden; in Christus ist es erfüllt. Denn wenn jener viele Feinde ringsum bezwungen und die Grenzen seines Reiches weit gemacht hat, so liegt darin bereits eine schattenhafte Erfüllung der Verheißung (Ps. 2, 8): „Ich will dir die Heiden zum Erbe geben.“ Aber was war das, verglichen mit dem Reiche Christi, das sich vom Morgen bis zum Abend ausbreitet! Ebenso wird nun David „Sohn Gottes“ genannt, darum weil Gott ihn in besonderer Weise zu hervorragenden Taten berief, und lässt doch kaum ein Fünkchen der Herrlichkeit sehen, die uns in Christus, dem Ebenbild des Vaters, aufgegangen ist. So kommt der Name des Sohnes im ausgezeichneten Sinne einzig Christus zu und kann auf niemand sonst ohne Entweihung angewendet werden. Denn diesen und keinen andern hat der Vater versiegelt (Joh. 6, 27). Indessen scheint auch so noch der Schriftbeweis des Apostels nicht sehr zwingend. Nur aus dem Sohnesnamen leitet er den Vorrang Christi vor den Engeln ab. Aber hat er diesen Namen denn nicht gemein mit den Fürsten und Machthabern, von denen es heißt (Ps. 82, 6): „Ihr seid Götter und allzumal Kinder des Höchsten“? Und heißt nicht gelegentlich ganz Israel „Sohn“, einmal sogar „erstgeborener Sohn“ Gottes (Jer. 31, 9)? Ja, die Engel selber nennt David anderwärts Kinder Gottes (Ps. 89, 7): „Wer mag gleich sein unter den Kindern Gottes dem Herrn?“ Auf diese Einwürfe ist leicht zu antworten. Die Fürsten heißen so in übertragener Bedeutung gemäß ihrer Machtstellung, Israel wegen der gemeinsamen Erwählungsgnade und die Engel im bildlichen Sinne, weil sie himmlische Geister sind und in seliger Unsterblichkeit göttliches Leben mitgenießen. Wenn aber David als Repräsentant Christi sich ohne weitere Beifügung Sohn Gottes nennt, so bezeichnet er damit etwas Besonderes, was über die Ehre der Engel oder der Fürsten, geschweige des ganzen Israel, hinausgeht. Hätte jener Name hier nicht einen vielsagenderen Inhalt, so ginge es nicht an, ihn als höchste Auszeichnung zu anzuwenden; denn Christus soll dadurch aus der Schar aller übrigen herausgerückt werden. Es gilt daher in einem ausschließlichen Sinne von Christus: Du bist mein Sohn; und keinem Engel kommt gleiche Ehre zu.
Über das „gezeugt“ ist in Kürze zu urteilen, dass es hier seine besondere Bedeutung hat. Augustins Auffassung von einem ewigen und unaufhörlichen „heute“ ist haltlos. Gewiss ist Christus ewiger Sohn Gottes, weil er die vor aller Zeit gezeugte, göttliche Weisheit ist. Aber das hat mit gegenwärtiger Stelle nichts zu tun, wo auf die Menschen Bezug genommen ist: von ihnen ist Christus als Sohn Gottes erst erkannt worden, nachdem der Vater ihn als solchen kundgemacht hatte. Diese göttliche Erklärung, deren auch Paulus Röm. 1, 4 Erwähnung tut, war gewissermaßen die äußere Erscheinung jener „ewigen“ Zeugung, welche als schon vorangegangener, verborgener und innerer Vorgang den Menschen unbekannt war und keine Bedeutung für sie haben konnte, wenn sie nicht vom Vater in sichtbarer Offenbarung beglaubigt worden wäre.
Ich werde sein Vater sein. Auch zu dieser Schriftstelle ist ähnliches zu bemerken. Sie handelt von Salomo, der aber hier aus der Reihe der gewöhnlichen Menschen heraustritt, indem Gott verspricht, ihm Vater sein zu wollen. Denn das gilt ihm nicht als Sohn Abrahams oder als einem Glied des Königshauses, sondern als dem, der alle andern überragt. Sein Sohnesvorrecht schließt alle übrigen von gleicher Ehre aus. Andrerseits geht aus dem Zusammenhang der Stelle hervor, dass von Salomo nur, insofern er ein Vorbild auf Christus war, also gesprochen wird. Dem dort erwähnten Sohne wird nämlich die Herrschaft über die ganze Welt verliehen und die Zusicherung gegeben, dass sein Reich beständig und unversehrt bleiben solle, solange Sonne und Mond am Himmel glänzen (vgl. Ps. 72). Nun ist aber im Gegenteil bekannt, dass Salomos Reich in engen Grenzen eingeschlossen war und, statt dauernden Bestand zu haben, gleich nach seinem Tode in Zerrüttung fiel, um einige Zeit hernach völlig zu Grunde zu gehen. Es ließe sich weiter aus mehreren Stellen bei den Propheten leicht nachweisen, dass jene Verheißung niemals anders als von Christus verstanden worden ist. Daher stammte ja auch bei den Juden der allgemeine Brauch, den Messias als „Sohn Davids“ zu bezeichnen.
V. 6. Und abermals, da er einführt den Erstgeborenen usw. Aus einem andern Grund noch erhebt jetzt der Brief Christus über die Engel. Diesen wird geboten, ihn anzubeten; daraus folgt, dass er ihr Haupt und Gebieter ist. Es könnte indessen scheinen, als sei hier einfach von Gott die Rede und das Wort werde unrichtig auf den in die Welt eingeführten, also fleischgewordenen Sohn bezogen. Allein die angeführte Psalmstelle handelt in der Tat von Christi Menschwerdung. Der Eingang des Psalms ist eine Aufforderung zur Freude, und zwar nicht an die Juden, sondern an die ganze Erde bis zu den Inseln, d. h. den Gegenden über dem Meer. Als Grund wird angegeben: weil der Herr König sein wird. Durchgeht man dann den Psalm, so findet man nichts anderes als das Reich Christi, wie es mit der Verkündigung des Evangeliums beginnt, und der ganze Inhalt lautet wie eine feierliche Urkunde, durch die Christus in den Besitz seiner Herrschaft eingesetzt wird. Wie könnte aber auch der ganzen Welt, Heiden wie Juden, zugemutet werden, sich zu freuen, wenn nicht die Herrschaft des heilbringenden Evangeliums gemeint wäre? Mit Recht sieht daher der Apostel hier die Ankunft Christi bei den Menschen, seine „Einführung in die Welt“, beschrieben. Ihm, dessen Erscheinung allen zur Wonne sein soll, hat sich jede noch so hochgestellte Macht unterzuordnen.
V. 7. Von den Engeln usw. Die zitierte Schriftstelle scheint ihrem ursprünglichen Sinn entfremdet zu sein. David beschreibt dort die Ordnung, die wir im Gang der Natur beobachten, und nichts ist sicherer, als dass in diesem Zusammenhang der wirklichen Winde Erwähnung geschieht, von denen es heißt, dass der Herr sich ihrer als Boten bediene, ebenso wie an den Blitzen, mit denen er die Erde durchmustert, gezeigt wird, wie schnelle und schlagfertige Diener ihm zur Verfügung stehen. Von den Engeln ist da nicht die Rede. Ich nehme aber gern an, das angeführte Schriftzeugnis sei der Ähnlichkeit halber auf die Engel bezogen. So nämlich: die Winde sind den Engeln vergleichbar, insofern sie hier auf Erden gleicher Weise Dienst tun, wie im Himmel die Engel; denn die Winde sind sozusagen Geister der sichtbaren Welt. Und gewiss, wie der mosaische Schöpfungsbericht nur solches erwähnt, das mit den Sinnen wahrnehmbar ist, und uns doch zugleich auch Höheres zu bedenken gibt, so entwirft David in jener Welt- und Naturbeschreibung ein Gemälde, das auch auf die himmlische Ordnung der Dinge übertragen und aus ihr heraus verstanden werden kann.
V. 8. Aber von dem Sohn usw. Der 45. Psalm mag wohl auf Salomo gedichtet sein als Hochzeitslied, anlässlich seiner Vermählung mit einer ägyptischen Königstocher. Es ist indessen nicht zu leugnen, dass das daraus hier Angeführte viel zu herrlich ist, um bei Salomo zuzutreffen. Wessen Thron kann als ewig bestehend bezeichnet werden als allein der Thron Gottes und des Messias, der hier Gott genannt wird?
Das Zepter des Reiches Christi heißt hier weiter ein aufrichtiges Zepter. In Christi Herrschaft bestätigt sich die Gerechtigkeit in weit vollerem Maße, als bei irgendeinem andern König, weil er durch das geistliche Zepter, sein Evangelium, uns verhilft zu der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Dasselbe ist von seiner Liebe zur Gerechtigkeit zu sagen: gerade darum, weil er sie liebt, macht er, dass sie auch in den Seinen die Herrschaft gewinnt.
V. 9. Darum hat dich Gott gesalbt. Salomo wurde zum König gemacht, weil Gott ihn seinen Brüdern vorzog, die im Übrigen gleich ihm beschaffen und so gut wie er Königssöhne waren. Noch besser treffen aber die Worte auf Christus zu, der uns zu seinen Genossen angenommen hat, wiewohl wir es von Rechts wegen nicht waren. Er ist gesalbt worden reichlicher als wir alle, weil ohne Maß (Joh. 3, 34), wir aber nach dem Maße, das einem jeden zugeteilt ist. Er hat aber die Salbung empfangen um unsertwillen, damit wir alle aus seiner Fülle schöpfen möchten. Deshalb heißt er Christus, d. h. der Gesalbte, und wir nach ihm Christen, wie die Bächlein sich herleiten von der Quelle.
V. 10. Du, Herr, hast von Anfang usw. Die Anwendung dieser Stelle auf Christus könnte auf den ersten Blick ungeeignet scheinen. Handelt es sich doch nicht um die Herrlichkeit Gottes, sondern um das, was Christus eigentümlich zukommt; nun finden wir aber dort keine Erwähnung Christi, sondern es wird lediglich Gottes Majestät dargestellt. In der Tat, der ganze 102. Psalm nennt Christus nicht mit Namen. Allein offenbar deutet er doch in einer Weise auf ihn hin, dass jedermann erkennt: wir sollen auf sein Reich aufmerksam gemacht werden. Denn nur in ihm ist das erfüllt (V. 14. 16): „Du wollest dich aufmachen und über Zion erbarmen, dass die Heiden deinen Namen fürchten und alle Könige auf Erden deine Ehre;“ und wiederum (V. 23): „Wenn die Völker zusammenkommen und die Königreiche, dem Herrn zu dienen.“ Den Gott, der die ganze Welt zu einem Glauben und Gottesdienst zusammenbringt, suchen wir gewiss vergeblich, wenn wir ihn nicht in Christus suchen. Und so passt auch der übrige Inhalt des Psalms sehr wohl auf Christi Person: Er ist ewiger Gott, Schöpfer Himmels und der Erde, erhaben über alle Vergänglichkeit und Wandelbarkeit, so dass ihm die allerhöchste Majestät zukommt und er außer der Reihe aller Kreaturen steht.
Dass selbst die Himmel vergehen sollen, verstehen einige nach der Art einer unmöglichen Voraussetzung: „sogar wenn solches geschähe“. Allein was bedarf es einer so gezwungenen Auslegung, da wir ja wissen, dass alle Kreaturen der Eitelkeit unterworfen sind (Röm. 8, 20. 22)? Woher anders jenes Sehnen nach Erneuerung, das wie in Geburtswehen auch durch die Himmel hindurchgeht, als daher, dass sie dem Zusammenbruch entgegengehen? Christus allein bleibt – das ist den Seinen zum großen Trost. Sie sollen, wie der Psalm am Schluss sagt, an jener Unvergänglichkeit Anteil haben, da Christus sich und seine Gaben seinem Leibe mitteilt.
V. 13. Setze dich zu meiner Rechten. Der hier zitierte 110. Psalm kann nur auf Christus recht gedeutet werden. Denn da es den Königen nicht gebührte, sich ein Priesteramt anzumaßen (2. Chron. 26, 18), und bekanntlich weder David noch einer seiner Nachfolger zum Priester geweiht gewesen ist, so muss hier, wo König und Priester in der nämlichen Person vereinigt auftreten, nach beiden Seiten hin etwas ganz Neues ins Auge gefasst sein. Überdies kommt ein „ewiges“ Priestertum einzig Christus zu. Das Sitzen zur Rechten Gottes, womit der Psalm gleich beginnt, bedeutet, wie früher erwähnt, gleichviel, als wenn ihm die zweite Stelle nächst dem Vater angewiesen würde. Er ist des Vaters Stellvertreter und erster Bevollmächtigter, so dass durch seine Hand der Vater regiert. Unter den Engeln ist keiner, der ein so ehrenvolles Amt hätte, und weit ragt darum über sie alle Christus hervor.
Bis ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße. Da es Christus niemals an Feinden fehlt, die gegen sein Reich ankämpfen, könnte dieses gefährdet scheinen, zumal da die, die auf seine Zerstörung sinnen, vielvermögend sind, mit mancherlei Künsten es versuchen und dann wieder in wütendem Ansturm alles dran setzen. Gewiss, wenn wir nach dem Augenschein rechnen, so kann Christi Reich jeden Augenblick zusammenbrechen. Aber diese Verheißung benimmt uns jede Furcht. So wenig wird Christus je von seinem Thron gestoßen, dass er vielmehr alle seine Feinde niederwerfen wird. Dies beides ist also festzuhalten: Christi Reich wird niemals Ruhe haben, sondern stets von vielen Widersachern bedrängt sein; aber, was auch die Feinde unternehmen mögen, sie werden nie obsiegen, weil Christus nicht nur eine Zeitlang, sondern bis ans Ende der Welt zur Rechten des Vaters sitzt. Fragt man aber, ob nach Niederwerfung der Feinde das Reich Christi zu Ende gehen wird, so antworte ich: es wird bleiben, aber in der Weise, wie Paulus (1. Kor. 15, 25 ff.) es ausspricht. Denn wiewohl Gott, der jetzt nur in Christus erkannt sein will, uns dann durch sich selbst erscheinen wird, so wird doch deswegen Christus nicht aufhören, das Haupt der Menschheit und der Engel zu sein, und seine Ehre keine Verminderung erfahren.
V. 14. Sind sie nicht allzumal usw. Um die Vergleichung noch deutlicher zu machen, wird nun beigefügt, was der Beruf der Engel sei. Dass sie Geister heißen, ist freilich eine Auszeichnung; denn in dieser Hinsicht stehen sie über den mit einem Leibe bekleideten Kreaturen. Aber das dabei stehende Eigenschaftswort „dienstbar“, dem Herrschen entgegengesetzt, weist ihnen ihre Schranke. Zwar ist es ein ehrenvoller Dienst, den Gott ihnen überträgt; doch die Tatsache selbst, dass sie dienen, zeigt, dass sie bei weitem nicht auf der gleichen Linie stehen mit Christus, der ein Herr ist über alle. Allerdings wird Christus seinerseits an mehreren Stellen ein Knecht und ein Diener genannt, nicht nur Gott, sondern auch uns gegenüber. Allein das ist bei ihm nichts Ursprüngliches, sondern Sache freiwilliger Entäußerung, wie Paulus Philipper 2, 7 bezeugt. Inzwischen bleiben ihm doch alle seine Vorrechte ungeschmälert; und auch während seiner Erdenzeit geht ihm durch sein Dienen nichts von seiner königlichen Würde ab. Die Engel dagegen sind eigens zum Dienen erschaffen, und ihr ganzer Beruf geht darin auf.
Aus dieser Stelle schöpfen die Gläubigen großen Trost, indem sie vernehmen, dass die himmlischen Heerscharen ihnen als Helfer beigegeben seien zur Sorge für ihr Heil. Denn es ist kein geringes Pfand der göttlichen Liebe gegen uns, wenn um unsertwillen jene unverdrossen in der Arbeit stehen. Daraus fließt auch eine besondere Glaubensstärkung: unser Heil, das mit solchen Wachen umgeben ist, ist außer Gefahr. Aufs Beste trifft Gott Vorsorge für unsre Schwachheit, indem er uns solche Beistände gibt, die mit uns dem Satan widerstehen und auf jede Weise zu unserm Schutze sich bemühen. Aber dieser Wohltat würdigt er im Besonderen seine Auserwählten; sollen daher die Engel uns zugehören, so müssen wir Glieder Christi sein. Es ließen sich dem freilich Schriftzeugnisse entgegenhalten, wonach zuweilen auch um Gottloser willen Engel ausgesandt werden; im Buche Daniel z. B. (10, 28) werden Engel der Perser und der Griechen erwähnt. Indessen haben jene in solchen Fällen den Beistand der Engel zu dem Zweck erfahren, dass Gott das Wohl seines Volkes fördere; ihre erlangten Erfolge und Siege zielten im letzten Grunde stets auf die Gemeinde Gottes ab. Weil wir wegen der Sünde im Reich Gottes kein Heimatrecht haben, können wir nur kraft der durch Christus bewirkten Versöhnung mit den Engeln in Verbindung treten, wie es an der Himmelsleiter, die dem Patriarchen Jakob im Traum erschien, zu sehen ist (1. Mose 28, 12 ff.).
V. 1. Darum sollen wir usw. Nun zeigt sich, was die vorausgegangene Vergleichung Christi mit den Engeln bezweckte: seinem Wort das höchste Ansehen zu sichern. Denn wenn das Gesetz, das durch Engel gegeben war, nicht geringschätzig durfte aufgenommen werden und auf seine Übertretung schwere Strafen gesetzt waren, was haben dann, fragt der Brief, die Verächter des Evangeliums zu erwarten, das den Sohn Gottes zum Urheber hat und durch so viele Wunder bestätigt ist? Das ist der Inhalt dieses Abschnittes: in dem Maße, als die Würde Christi größer ist als die der Engel, gebührt dem Evangelium mehr Ehrfurcht als dem Gesetz. Die Person des Urhebers dient dem Worte zur Empfehlung. Wohl rührt das Gesetz ebenfalls von Gott her; und so oft Gott redet, ist ihm Gehör zu schenken. Allein wo er in vollerem Maße sich uns kundgibt, ist es billig, dass zugleich mit der reicheren Offenbarung die Frucht und der Eifer des Gehorsams wachsen. Nicht als ob Gott zu einer Zeit kleiner wäre als zu einer andern; aber seine Größe wird von uns nicht immer gleicherweise erkannt.
Hier erhebt sich noch die Frage, ob denn nicht das Gesetz ebenfalls durch Christi Vermittlung gegeben worden sei. Wenn ja, so scheint die Beweisführung des Apostels hinfällig. Ich antworte, dass hier zwischen verdeckter und vollendeter Offenbarung zu unterscheiden ist. Wiewohl bereits im Gesetz Christus den Menschen dunkel und gleichsam verhüllt genaht ist, so ist es doch nicht verwunderlich, wenn ohne Erwähnung seiner Person die Übermittlung des Gesetzes den Engeln zugeschrieben wird; denn offen ist er dort nicht in die Erscheinung getreten. In der Verkündigung des Evangeliums dagegen ist seine Herrlichkeit deutlich sichtbar geworden.
Dass wir nicht dahinfahren. Der wahre Sinn ergibt sich aus dem Gegensatz. „Wahrnehmen“ und „dahinfahren“ stehen sich gegenüber. Das erste bedeutet „festhalten“, das zweite dagegen „wie ein Sieb oder schadhaftes Fass den Inhalt verschütten“. Ich teile nämlich nicht die Ansicht derer, die es für „sterben“ nehmen, wie es 2. Sam. 14, 14 heißt: Wir sterben des Todes und sich wie Wasser, so in die Erde verläuft. Vielmehr ist, wie gesagt, der Gegensatz von Sammlung und Zerstreuung ins Auge zu fassen. Ein gesammeltes und aufmerksames Gemüt ist gleich einem wohl verschlossenen Gefäße, das unstete und träge aber einem löchrigen.
V. 2. Fest worden ist. Das will sagen: es hat sein Gewicht bekommen, und zwar durch die beigegebenen göttlichen Strafandrohungen, indem niemand ungeahnt das Gesetz missachtete. Die Festigkeit bedeutet also Rechtsgültigkeit: das Wort, über dem Gott als Vergelter wacht, kann nicht leer oder unwirksam sein.
V. 3. So wir eine solche Seligkeit nicht achten. Nicht bloß die Verwerfung, sondern auch das Nichtachten des Evangeliums verdient schwerste Strafe angesichts der Größe der Gnade, die uns darin angeboten wird. Denn Gott will, dass seine Gaben von uns nach Würdigkeit geschätzt werden. Je wertvoller sie sind, desto hässlicher ist unser Undank, wenn sie uns nichts gelten. Die Hoheit Christi gibt einen Maßstab für die Strenge der göttlichen Rache wieder alle Verächter des Evangeliums.
Mach beachte auch, dass hier der Ausdruck „Seligkeit“ anstatt des verkündigten Wortes steht. Der Herr will ja die Menschen nicht anders selig machen als durch das Evangelium, so dass, wer dieses geringschätzt, jede Seligkeit von Gott her verschmäht; denn es ist Kraft Gottes zur Seligkeit allen Glaubenden (Röm. 1, 16). Wer daher anderswo sein Ziel sucht, will es durch andere als Gottes Kraft erlangen, was allzu närrisch wäre. Übrigens dient das Gesagte nicht allein zur Mahnung, sondern auch zur starken Stütze unsres Glaubens, weil dadurch bezeugt wird, dass im Worte gewisses Heil beschlossen ist.
Nachdem sie erstlich gepredigt ist durch den Herrn. Der Apostel stellt den Sohn Gottes als ersten Verkündiger des Evangeliums den Engel gegenüber und beugt zugleich einem Zweifel vor, der manche beschleichen konnte. Sie waren nämlich nicht durch Christus selbst, den sie großen Teils nie gesehen, unterwiesen worden. Hätten sie nun lediglich auf die Menschen geschaut, durch deren Lehre sie zum Glauben gekommen waren, so hätten sie das bei jenen Gelernte zu gering angeschlagen. Daher erinnert der Apostel, dass das Wort, wenn auch durch andrer Mund ihnen überliefert, doch nichtsdestoweniger von Christus ausgegangen sei. Es sind Christi Jünger gewesen, die das von ihm ihnen Anvertraute treulich weitergetragen haben. Daher der Ausdruck „bestätigt“ : nicht ein ausgestreutes Gerücht ohne sichere Quelle oder mit verdächtigen Zeugen ist es gewesen, sondern eine ernsthaft beglaubigte Sache. – Im Übrigen zeigt diese Stelle, dass der Brief nicht von Paulus verfasst ist. Er pflegt sich nicht so bescheidentlich als einen Apostelschüler auszugeben: nicht aus Ehrsucht, sondern weil die Feinde aus dergleichen Kapital zu schlagen suchten zur Verkleinerung seiner Lehre (Gal. 1, 12).
V. 4. Und Gott hat ihr zugleich Zeugnis gegeben. Außerdem dass die Apostel ihre Verkündigung vom Sohne Gottes her hatten, hat der Herr in außerordentlichen Ereignissen ihre Predigt gleichsam mit feierlicher Unterschrift anerkannt. Deshalb versündigt sich nicht nur gegen das Wort, sondern auch gegen das Werk Gottes, wer nicht ehrfürchtig das Evangelium annimmt, dem solche Zeugnisse zur Seite stehen. In drei Ausdrücken werden jene außerordentlichen Erscheinungen geschildert. Zeichen heißen sie darum, weil sie den Sinn der Menschen auf etwas Höheres über der sichtbaren Welt lenken; Wunder, weil sie etwas Neues und Ungewohntes enthalten; Kräfte, weil in ihnen der Herr einer besondere und außergewöhnliche Probe seiner Kraft gibt. In dem „Zeugnis geben“ liegt der rechte Gebrauch der Wunder angedeutet, dass sie nämlich zur Bekräftigung des Evangeliums dienen sollen. Denn von beinahe allen Wundern aller Zeiten ließe sich herausfinden, dass sie Siegel des Wortes Gottes zu sein bestimmt waren. Umso verkehrter ist der papistische Aberglaube, der seine angeblichen Mirakel zur Untergrabung der lauteren Wahrheit ausspielt. Das „zugleich“ bedeutet, dass wir im Glauben an das Evangelium bestärkt werden durch einen harmonischen Einklang Gottes und der Menschen, indem die Gotteswunder wie bekräftigende Zeugenaussagen mit den Menschenstimmen sich vereinigen. Die Austeilung des heiligen Geistes ist ebenfalls eine förderliche Begleiterscheinung der Evangeliumsverkündigung gewesen. Denn wozu sonst hat Gott die Gaben seines Geistes ausgeteilt, als um teils die Bekanntmachung des Evangeliums zu unterstützen, teils durch das Staunen, das sie erregten, die Menschen zum Gehorsam willfährig zu machen? (Vgl. 1. Kor. 14, 22). Nach seinem Willen: alle jene erwähnten Kräfte können nur auf Gott zurückgeführt werden und sind nicht planlos zutage getreten, sondern gemäß seinem bestimmten Ratschluss, zur Besiegelung des Evangeliums.
V. 5. Denn nicht den Engeln usw. Ein weiterer Beweis für den Christo schuldigen Gehorsam: ihm hat der Vater die Herrschaft über die ganze Erde verliehen, eine Ehre, von der die Engel weit entfernt sind. Zunächst ist aber das angeführte Psalmwort zu beleuchten, da seine Anwendung auf Christus scheinbar ungeschickt ist. David erwähnt daselbst die Privilegien, mit denen Gott das menschliche Geschlecht ausstattet. Nachdem er nämlich am Himmel und an den Gestirnen die Macht Gottes betrachtet, steigt er herunter zu den Menschen, an denen seine wunderbare Güte besonders zutage tritt. Nicht von einem einzelnen Menschen ist also die Rede, sondern von der Gesamtheit. Allein das alles hindert dennoch nicht, dass jene Aussagen mit Christi Person verknüpft werden müssen. Am Anfang ist der Mensch freilich in den Besitz der Welt eingesetzt worden als ein Herr über alle Werke Gottes; aber durch seinen Abfall hat er es verschuldet, dass er dieser Herrschaft entsetzt wurde. Denn bei einem Vasallen und Günstling ist das die gerechte Strafe für Undank, dass ihm sein Herr, den anzuerkennen und dem in schuldiger Treue zu dienen er sich weigert, das zuvor bewilligte Vorrecht entzieht. Sobald sich also Adam durch die Sünde Gott entfremdet hatte, ist er aller empfangenen Güter verdientermaßen verlustig gegangen: nicht dass er ihren Gebrauch verloren hätte, aber den rechtmäßigen Anspruch konnte er, nachdem er Gott verlassen, nicht mehr aufrechterhalten. Auch was den Gebrauch betrifft, sind nach Gottes Willen Zeichen des Falles vorhanden, wie z. B. dass die Tiere in Wildheit sich gegen uns auflehnen und, statt vor unserm Blick sich zu scheuen, uns Schrecken einflößen, dass sie teils überhaupt nicht, teils nur mit Mühe zu zähmen sind und mannigfach Schaden anrichten, dass die Erde den Ertrag schuldig bleibt und Himmel, Luft, Meer und andere Naturgebiete uns oft mit Unheil bedrohen. Allein, wenn auch alle Kreaturen im Verhältnis der Unterwürfigkeit blieben, so wird doch den Söhnen Adams, was irgend sie für sich in Anspruch nehmen, als Diebstahl angerechnet. Denn was sollen sie als ihren Besitz rühmen, da sie selbst nicht Gottes sind? Auf Grund des Gesagten erhellt, dass jene göttliche Privilegierung uns nichts angeht, bis das uns in Adam verloren gegangene Recht durch Christus wiederhergestellt ist. Deshalb lehrt Paulus, dass das Genossene uns durch den Glauben geheiligt werde (1. Tim. 4, 5), und sagt anderwärts, den Ungläubigen sei nichts rein, weil sie ein beflecktes Gewissen haben. Das hängt mit dem zusammen, was wir zum Eingang dieses Briefes sahen, dass Christus vom Vater als Erbe über alles gesetzt ist. Indem das ganze Erbe einem überwiesen wird, sind ohne Zweifel alle übrigen als Fremde davon ausgeschlossen, und zwar billigerweise; denn im Reiche Gottes haben wir alle kein Bürgerrecht. Wir dürfen mithin nicht an uns reißen, was er seinen Hausgenossen zum Unterhalt bestimmt hat. Nun gibt uns aber Christus, durch den wir in die Hausgenossenschaft aufgenommen werden, zugleich Anteil an seinem Vorrecht, der ganzen Welt zu brauchen mit Gottes Segen. Daher ist auch nach Pauli Wort (Röm. 4, 13) durch den Glauben Abraham der Welt Erbe geworden, insofern er nämlich dem Leib Christi eingegliedert war. So ist denn also jene Herrschaft, von welcher der Psalm spricht, in Adam uns abhandengekommen und muss uns ganz von neuem wieder verliehen werden. Mit Christus als dem Haupte beginnt die Wiederherstellung. Auf ihn haben wir darum unzweifelhaft zu schauen, so oft von des Menschen Vorzug vor allen Geschöpfen die Rede ist.
Nach der nämlichen Richtung weist der vom Apostel gewählte Ausdruck: die zukünftige Welt. Er meint damit die erneuerte. Vergegenwärtigen wir uns zu besserem Verständnis die beiden Welten: vorauf die alte, welche infolge von Adams Fall dem Verderben anheimfiel, danach die andere, wie sie durch Christus wiederhergestellt wurde. Der Zustand der ursprünglichen Schöpfung, soweit sie mit menschlichen Lebensverhältnissen zusammenhängt, ist unhaltbar geworden, mit hineingezogen in den Fall des Menschen. Erst mit der Neuschöpfung durch Christus wird also der Psalm in diesem Punkte zur Wahrheit. So ist es deutlich, dass unter der „zukünftigen Welt“ nicht bloß diejenige verstanden wird, auf welche wir nach der Auferstehung hoffen, sondern die, die mit dem Beginn des Reiches Christi ihren Anfang genommen hat; ihre Vollendung wird sie allerdings in der letzten Erlösung finden.
Gedenken und achten bedeuten (V. 6) beide das Nämliche, nur dass das letztere einen etwas volleren Sinn hat, indem es an die wirkliche Gegenwart Gottes erinnert.
V. 7. Du hast ihn eine kleine Zeit niedriger sein lassen denn die Engel. Nun taucht eine neue Schwierigkeit der Erklärung auf. Die Stelle kann zwar, wie gezeigt wurde, sehr wohl auf den Sohn Gottes gedeutet werden; aber jetzt scheint der Apostel den Worten einen ganz anderen Sinn zu geben, als den sie bei David hatten. Der Sinn bei David ist der: Herr, du hast den Menschen so hoch gewürdigt, dass er nur wenig unter Gott oder den Engeln steht, da er über die ganze Welt gesetzt ist. Hier dagegen wird das „ein wenig“ zeitlich verstanden, nämlich von der kurzen Zeit der Erniedrigung Christi, während die Verherrlichung, von David allgemein auf das ganze Leben des Menschen bezogen, mit dem Tag der Auferstehung in Beziehung gesetzt ist. Es ist eben dem Apostel nicht darum zu tun gewesen, eine unwiderlegliche Erklärung der Worte zu geben. Ohne Nachteil kann er zur Illustrierung seines vorliegenden Gegenstandes auf jene Worte anspielen, so wie Paulus Römer 10, 6 ff. bei der Anführung der Stelle aus dem 5. Buch Mose: „Wer will hinauf gen Himmel fahren?“ sogleich nicht eine Auslegung, sondern eine freie Anwendung folgen lässt von Himmel und Unterwelt. Den ursprünglichen Sinn hat der Apostel nicht umstoßen oder missdeuten wollen; nur möchte er bei Christus auf die für eine kleine Zeit zutage getretene Erniedrigung und sodann auf die Herrlichkeit, mit der er für immer gekrönt worden ist, aufmerksam machen und tut es mehr in Anspielung auf die Worte Davids als in genauem Anschluss an ihre Bedeutung.
V. 8. In dem, dass er ihm alles hat untertan usw. Man könnte vermuten, es werde hier folgendermaßen geschlossen: Dem Menschen, von welchem David spricht, wird alles untertan; nun aber ist dem menschlichen Geschlechte nicht alles untertan; also ist nicht von einem beliebigen Menschen die Rede. Indessen wäre dieser Beweisgang nicht zwingend, weil der zweite Satz auch auf Christus Anwendung findet. Denn nicht einmal ihm ist bisher alles unterworfen (1. Kor. 15, 28); der Zusammenhang ist demnach ein anderer. Nachdem zuvor festgestellt worden, dass Christus ohne Ausnahme Herr über alle Kreaturen ist, wird in Form eines Einwandes hinzugefügt: es leistet doch noch nicht alles seiner Herrschaft Folge. Um dem zu begegnen, lehrt der Apostel, in Christus sehe man nichtsdestoweniger bereits erfüllt, was gleich darauf (V. 9) von Preis und Ehre steht. Er will sagen: Obschon uns jene vollständige Unterwerfung noch nicht vor Augen liegt, wollen wir uns damit zufrieden geben, dass Christus durch seinen Tod hindurch zur höchsten Stufe der Ehre erhoben ist; denn was bisher fehlt, wird zu seiner Zeit auch noch sich erfüllen.
Indessen stoßen sich etliche daran, dass der Apostel zu spitzfindig folgere, es sei nichts, was Christus nicht untertan wäre, während doch die Dinge, die David nachher unter dem „alles“ begreife und aufzähle, nicht so weit ausschauen, die Tiere des Feldes nämlich, die Fische des Meeres und die Vögel des Himmels. Hierauf ist zu entgegnen, dass die allgemeine Aussage nicht auf diese Beispiele eingeschränkt zu werden braucht, da David nichts anderes gewollt hat, als an den sichtbarsten Dingen jene Herrschaftsverleihung aufzuzeigen, oder sie ausdehnen bis auf die geringsten Dinge, damit wir wissen, nichts sei unser ohne die Gunst Gottes und die Teilhaftigmachung durch Christus. Der Gedanke könnte daher so aufgelöst werden: Alles hast du ihm untertan gemacht, nicht allein, was zur ewigen Seligkeit dient, sondern bis herab zu den Kleinigkeiten, die den leiblichen Bedürfnissen entsprechen. Wie dem auch sei, jene Herrschaft über die Tiere hängt als das Geringere an einem Höheren.
Andererseits kann gefragt werden, wieso gesagt wird, dass wir nicht alles Christo unterworfen sehen. Die oben angeführte Stelle aus 1. Korinther 15 gibt Aufschluss darüber, und im ersten Kapitel unsres Briefes haben wir einiges davon berührt. Weil Christus mit mancherlei Feinden beständig Krieg führt, ist er noch nicht im völlig ruhigen Besitz seines Reiches. Doch treibt ihn keine Notwendigkeit zum Kriege, sondern er lässt es zu, dass es nicht unterjochte Feinde gibt bis zum letzten Tag, damit wir in den daherigen Kämpfen uns erproben.
V. 9. Den aber, der eine kleine Zeit niedriger gewesen ist usw. Unter Benützung des Doppelsinnes von „ein wenig“ ist es dem Apostel, wie schon gesagt, mehr um den in Christi Person vorliegenden Tatbestand zu tun als um eine richtige Erklärung der Psalmworte. Auch weist er in der Auferstehung die Verherrlichung nach, die David auf alle Gaben, womit der Mensch durch göttliches Privileg ausgezeichnet worden ist, bezieht. Indessen ist in dieser freien Ausführung, die doch dem wörtlichen Sinn sein Recht lässt, nichts Unschickliches.
Durchs Leiden des Todes ist Christus zu seiner Herrlichkeit erhöht worden, wie auch Paulus Philipper 2, 8 – 11 lehrt. Er ist aber mit Herrlichkeit gekrönt, damit aller Knie sich vor ihm beugen (Phil. 2, 10). In diesem Endzweck offenbart sich, dass alles in seine Hand gegeben ist.
Auf dass er von Gottes Gnaden usw. Angesichts des Grundes und der Frucht von Christi Tod kann dieser ihm in unseren Augen nichts von seiner Würde rauben. Denn wenn ein so großes Gut uns dadurch erworben ist, so hat die Verachtung keinen Raum mehr, weil die Bewunderung der göttlichen Güte die ganze Seele ausfüllt. Für alle – das will nicht bloß sagen, dass er anderen ein Beispiel gibt, etwa wie ein Arzt, der den bitteren Trank vorher kostet, damit der Kranke sich nicht zu trinken weigere; sondern Christus ist für uns gestorben, weil er durch das Erleiden des Todes an unsrer statt uns von dessen Fluch losgekauft hat. Und es wird beigefügt, von Gottes Gnaden sei es geschehen, weil der Grund der Erlösung die unendliche Liebe Gottes gegen uns ist, kraft deren er auch des eignen Sohnes nicht hat verschont (Röm. 8, 32). Die Erklärung des Chrysostomus, wonach „den Tod schmecken“ ein nur oberflächliches Nippen bedeute, da ja Christus als Sieger aus dem Tod hervorgegangen sei, verwerfe und missbillige ich nicht, weiß aber nicht, ob der Apostel so feine Unterscheidungen in der Rede hat machen wollen.
V. 10. Denn es ziemte usw. Hier geht die Absicht dahin, Christi Erniedrigung bei den Gläubigen ins Licht der Herrlichkeit zu stellen. Denn mit dem Annehmen unsres Fleisches scheint er in den gewöhnlichen Rang der Menschen einzutreten. Das Kreuz aber erniedrigt ihn unter alle Menschen; daher ist Vorsorge zu treffen, dass Christus nicht um deswillen, dass er freiwillig unsertwegen sich entäußerte, geringer geachtet werde. Der Apostel zeigt nämlich, gerade das müsse dem Sohne Gottes zur Ehre ausschlagen, weil er so zum Herzog unsrer Seligkeit geweiht worden sei. Zunächst setzt er als zugestanden voraus, dass wir uns an Gottes Ratschluss zu halten haben, da alle Dinge, wie sie zustande kommen durch seine Kraft, so auch seiner Ehre dienen müssen; für Christi Leiden gibt es insofern keinen besseren Grund, als dass es Gott so gefallen hat. Dahin weist die Ausdrucksweise: um deswillen und durch den alle Dinge sind. Der Verfasser hätte einfach Gott nennen können; aber er wollte erinnern, dass das, was Er beschließt, dessen Wille und dessen Ehre das höchste Ziel von allem ist, für das Beste zu gelten hat. Indessen ist damit das, was er dartun will, noch nicht deutlich: dass es sich geziemte, Christus solchermaßen zu weihen. Es hängt dies mit der gewohnten Weise, die Gott bei der Behandlung der Seinen einhält, zusammen. Sie sollen nämlich in Trübsal aller Art geübt werden und ihr ganzes Leben unter dem Kreuz zubringen. Darum musste Christus als der Erstgeborene nach dem allen gemeinsamen Gesetz und Los durchs Kreuz in sein Herzogtum eingesetzt werden. Das ist die Gleichförmigkeit des Hauptes mit den Gliedern, von welcher Paulus Römer 8, 29 spricht. Ausnehmender Trost liegt hierin, die Bitterkeit des Kreuzes zu lindern, wenn die Gläubigen hören, dass sie durch Leiden und Widerwärtigkeiten in der Gemeinschaft mit Christus zur Herrlichkeit zubereitet werden; da sehen sie sogar Grund, das Kreuz eher noch liebend zu küssen, als davor zu schaudern. Und dann muss ja die Schande des Kreuzes Christi also gleich auslöschen und seine Herrlichkeit hervorleuchten. Wer möchte geringschätzten, was geweiht, ja von Gott geheiligt ist? Wer achtet das für schimpflich, wodurch wir zur Herrlichkeit bereitet werden? Und dies Beides wird hier von Christi Tod bezeugt. Dass Gott den Herzog unsrer Seligkeit durch Leiden zum Amte weihte, übersetzen andere, dass er ihn „vollkommen machte“ oder „vollendete“. Ich halte es für augenscheinlich, dass die erstere Bedeutung dem Zusammenhang besser entspricht. Denn von einer feierlichen, ordnungsgemäßen Einführung ist die Rede, wodurch die Söhne Gottes in ihren Rang eingesetzt, ja von der übrigen Welt gesondert werden. Die Erwähnung der Heiligung schließt sich aber gleich an.
V. 11. Sintemal sie alle von einem kommen, beide, der da heiligt und die da geheiligt werden. Dass sich jenes alles an Christi Person erfüllte, geziemte sich wegen der engen Verbindung zwischen ihm und den Gliedern. Dass sich jenes alles an Christi Person erfüllte, geziemte sich wegen der engen Verbindung, das Annahmen unsres Fleisches von seiner Seite, ist ein besonderer Erweis göttlicher Gnade. So kommt sowohl ihm, dem Urheber der Heiligung, als uns, die wir derselben teilhaftig werden, die nämliche Natur zu. „Von einem“ beziehen zwar manche auf Adam, andere wieder – nicht unpassend – auf Gott. Ich nehme aber eher an, es sei an die gleiche Natur gedacht: von einem Stoff sind wir gebildet. Zur Mehrung unseres Glaubens trägt das nicht wenig bei, wenn wir mit dem Sohne Gottes in so inniger Verwandtschaft stehen, dass die Heiligungseinflüsse, deren wir bedürfen, in unsrer Natur zu finden sind. Denn nicht nur, sofern er Gott ist, heiligt er uns, sondern auch seiner menschlichen Natur wohnt solche Kraft inne, nicht an ihr selbst, aber dank der wahrhaften Heiligkeitsfülle, die Gott ihr, damit wir daraus schöpfen möchten, mitgeteilt hat. Damit ist Johannes 17, 19 zu vergleichen: „Ich heilige mich selbst für sie.“ Sind wir also unheilig und unrein, so braucht das Heilmittel nicht in der Ferne gesucht zu werden; in unserm Fleisch tritt es uns entgegen. Will aber jemand die Stelle lieber von der geistlichen Gemeinschaft verstehen, die zwischen den Gläubigen und dem Sohn Gottes eine ganz andere Kraft hat als im gewöhnlichen Verkehr der Menschen untereinander, so habe ich nichts dawider.
Er schämt sich nicht, sie Brüder zu heißen. Die Stelle ist aus Psalm 22, 23 entnommen. Dass dort Christus redend eingeführt ist oder David als Christi Repräsentant, bezeugen erstlich die Evangelisten, indem sie mehrmals Worte aus diesem Psalm anführen, z. B.: Sie haben meine Kleider unter sich geteilt; mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Weiter geht es aus der Sache selbst hervor; denn die Leidensgeschichte bietet ein lebendiges Bild aller dort berichteten Dinge. Auch die Schlussworte des Psalms von der Berufung der Heiden passen einzig auf Christus: Es werden sich zum Herrn bekehren aller Welt Enden und vor ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden; denn des Herrn ist das Reich, und er herrscht unter den Heiden. Die Wahrheit von alledem ist nur in Christus vorhanden, der die engen Schranken des Gottesreichs gesprengt und es über die ganze Erde ausgebreitet hat. Daher darf gewiss auch das oben angeführte Wort ihm in den Mund gelegt werden. Sehr bezeichnenderweise wird gesagt, dass er „sich nicht schäme“. Wie groß ist doch der Unterschied zwischen ihm und uns! Er zeigt viel Herablassung, indem er uns des Brudernamens würdigt; eigentlich wären wir nicht wert, seine Knechte oder weniger als das zu sein. Und diese seine so große Gnade gegen uns erhöht noch der Umstand, dass er nicht mehr als sterblicher Mensch in Knechtsgestalt, sondern angetan mit unvergänglicher Herrlichkeit nach seiner Auferstehung so von uns spricht. Der Brudername bedeutet daher für uns ein Erhobenwerden ins himmlische Wesen. Er gibt ihn uns gleichsam zum Kleide, damit wir von der Seligkeit und jedwedem himmlischen Gut Besitz ergreifen können.
Weiter (V. 12) ist die Aufgabe zu beachten, die Christus für sich übernimmt: „Ich will verkündigen deinen Namen.“ Das hat mit der ersten Verkündigung des Evangeliums begonnen und geschieht nun täglich im Amt der Diener des Wortes. Wir ersehen daraus, dass uns das Evangelium jedes Mal angeboten wird, um uns zur Erkenntnis Gottes zu führen, damit seine Güte unter uns gepriesen werde; sodann, dass hinter dem Evangelium Christus steht, mag es uns auch durch Menschen verkündigt werden. So sagt Paulus (2. Kor. 5, 20), er und andere seien Botschafter an Christi Statt und vermahnen in Christi Namen. Das muss die
Ehrfurcht vor dem Evangelium nicht wenig vermehren: nicht sowohl Menschen als vielmehr durch ihren Mund Christus hören wir darin.
Mitten in der Gemeinde dir lobsingen. Hier wird noch deutlicher, dass die Verkündigung des Evangeliums immer die Lobpreisung Gottes in sich schließt. Sowie Gott uns bekannt wird, hallt Herz und Ohr wider von seinem unaussprechlichen Lob. Nach dem Beispiel Christi sollen wir aber auch davon öffentlich, möglichst vielen zu Nutz, Zeugnis geben. Es ist nicht genug, wenn jeder für sich Gott dankt für seine Wohltaten; durch Aussprache vor andern müssen wir einander gegenseitig dazu ermuntern. Und wenn wir hören, dass Christus allen voran den Preisgesang anstimmt, so ist uns das stärkster Antrieb, mit umso glühenderem Eifer zu Gottes Lob uns zu erheben.
V. 13. „Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen.“ Da ein ähnliches Wort Psalm 18, 3 steht, stammt das Zitat vermutlich von dorther. Der Zusammenhang des Psalms zeigt, dass David als messianisches Vorbild spricht. Er rühmt sich, zum Haupt über die Heiden gemacht worden zu sein, so dass Fremde und Leute, die er nicht kannte, aus freien Stücken, auf das bloße Gerücht seines Namens hin, sich ihm unterworfen hätten (V. 44). Von solcher gepriesenen Machtfülle bemerkt man bei David indessen kaum einen schwachen Schatten. Dagegen wird der Psalm ohne Zweifel sehr passend auf Christus gedeutet, der den verschiedensten Völkern zum Haupte gesetzt ist und dem von den Enden der Welt her Fremde sich zu Füßen legen, nicht mit Waffengewalt unter das Joch gebeugt, sondern, durch das bloße Wort bezwungen, zu freiwilligem Gehorsam sich einstellend. – Was hat das alles aber mit der vorliegenden Frage zu tun? Mag Christus noch so sehr auf Gott sein Vertrauen setzen, so scheint daraus noch nicht hervorzugehen, dass wir mit ihm eines Stammes sind. Und doch ist es so: denn wäre er nicht Mensch, den menschlichen Bedürfnissen unterworfen, so täte ihm ein solches Vertrauen gar nicht not. Da er also von Gottes Hilfe abhängig ist, teilt er mit uns die gleiche Lage. Gewiss nicht umsonst oder ohne Grund sind wir aufs Vertrauen angewiesen: von Gottes Gnade verlassen, wären wir elend und verloren. So ist das Vertrauen, das wir auf Gott setzen, ein Zeugnis unsres Mangels. Freilich besteht für Christus der Unterschied, dass er die uns notwendigerweise anhaftende Schwachheit freiwillig auf sich genommen hat. Doch aber muss uns das zum Vertrauen auf Gott nicht wenig Mut machen, dass wir Christus darin zum Führer und Meister haben. Wer dürfte in seinen Fußstapfen befürchten, irre zu gehen? Ich sage es jedem: Es ist keine Gefahr, dass unser Glaube, den wir mit Christus gemein haben, je vergeblich wäre; denn dass Christus nicht zuschanden werden kann, das wissen wir.
„Siehe da, Ich und die Kinder.“