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Gossec, Münchens härtester Antiquitätenhändler, ist auf dem Weg nach Hause. Es ist spät, er hat einige Biere intus, und es geht ihm gehörig gegen den Strich, dass auf dem Gehweg seines Quartiers ein Zivilfahrzeug mit Blaulicht steht und zwei Polizisten einen Schwarzen kontrollieren. Für Gossec ein klarer Fall von Schikane, er mischt sich ein, und es kommt, wie es kommen muss: Beide landen in der Zelle des zuständigen Polizeireviers. Dort allerdings gewinnt Gossec einen neuen Freund, den schwarzen Urbayer Alois Womack. So beginnt Max Bronskis fünfter Gossec-Krimi, in dem München leuchtet wie eh und je. Aus den Isarauen wehen balsamische Frühlingsdüfte ins Schlachthofviertel, Gossecs Geschäfte laufen wie immer eher mäßig, und die Zumutungen des Lebens lauern überall. Für Alois Womack dagegen läuft alles bestens. Als Musikentertainer ist er gut im Geschäft und für ein Fest bei MCB Immoinvest gebucht. Die urige bayerische Deko, die für dieses Fest noch gebraucht wird, soll Gossec liefern. Ein lukrativer Auftrag mit bösen Folgen: Am Morgen nach dem Fest liegt die Assistentin der Geschäftsführung tot im Park und neben ihr der bewusstlose Alois Womack. Ist er der Mörder? Oder hat ihr Tod etwas mit den Geschäften dieser angeblich so sozialen Immobilienfirma zu tun?
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Seitenzahl: 161
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Max Bronski
Kriminalroman
Edition Nautilus
Max Bronskis bayerische Variante des klassischen taffen Ermittlers überzeugt nämlich nicht nur als Figur, sondern auch als Erzähler, der seine Abenteuer mit Wortwitz und Selbstironie präsentiert. (Joachim Feldmann, Am Erker Nr. 72 vom November 2016)
Ein typischer Bronski, bei dem nebenbei auch noch mit lustvoller Ironie die Gentrifizierung Münchens kritisiert wird. (Augsburger Allgemeine vom 5. Oktober 2016)
…einem höchst spannenden Krimi… (Sabine Zaplin, B 5 akuell Neues vom Buchmarkt vom 5. Oktober 2016)
Bronskis derb-rotzig-ironischer Stil und das ständig gut gezeichnete Lokalkolorit machen den Reiz des Buches aus. (Günter Bielemeier, Bayern im Buch Nr. 1 von 2017)
Max Bronski (Franz-Maria Sonner) ist eine der brachialsten Stimmen der deutschen Krimiszene. (Börsenblatt Nr. 22 vom 2. Juni 2016)
…seine Krimis sind lockere Unterhaltungsliteratur mit urigen Typen, deren Weltsicht für einige Aha-Erlebnisse und fröhliches Schmunzeln sorgt. (Hannes Lerchbacher, Buchkultur Nr. 169 vom Dezember 2016)
Das ist wieder mal bissig, pointiert und doch wunderbar entspannt erzählt. (CulturMag vom 17. Oktober 2016)
Der Fall ist schön, klar, gerade erzählt. Es gibt gutes Bier, überall hängen herrliche Mikrokarikaturen vom Alltag an der Isar herum. Am Ende ist man sehr gut unterhalten. Und möchte ein kleines bisschen doch in München wohnen. Hab das jetzt ich geschrieben? Nicht zu fassen. (Elmar Krekeler, Die Welt vom 1. Dezember 2016)
Die Formulierkunst des Münchner Autors (…) und sein lakonischer Wortwitz mit vielen Metaphern entschädigen. (Ulrike Weil, ekz-Bibliotheksservice vom 21. November 2016)
Guter Titel, gutes Buch… (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 6. November 2016)
Sein lakonischer Wortwitz und seine schrägen Bilder bereiten ein ungeheures Vergnügen. (Jules Barrois, www.barrois.de von 2016)
In einem sarkastisch witzigen Ton erzählt Max Bronski… (Karin Hahn, Rezensionen vom 13. Dezember 2016)
Doch dann steht wieder überzeugend Gossec da, breitbeinig, derb und naiv, bauernschlau und liebevoll, und sinniert über die bayerische Ordnung der Welt…‘ (Günter Keil, Münchner Feuilleton vom 27. Oktober 2016)
Bronskis neuer Gossec-Krimi ist unbedingt unterhaltsam, herrlich prall, saftig, voller Action und gleichzeitig ohne Höhenflüge bodenständig. So wollen wir Spannung serviert bekommen. Eine Empfehlung der Musenblätter. (Frank Becker, Musenblätter vom 27. September 2016)
…Max Bronski (…) schreibt herrlich lakonische München-Krimis, die den Stempel „Regional-Krimi“ nicht verdient haben. (Neue Presse vom 17. Oktober 2016)
Ein knackiges Fazit für diesen Roman scheint mir ebenso angebracht wie schwierig zu finden. „Unverschämt witzig“ zum Beispiel. Oder „geistreicher Zündstoff“ vielleicht. Passen würde auch „Stadtkrimi mit gepflegt respektlosen Breitseiten gegen Gesellschaft und Obrigkeit“. (Thomas Lawall, Querblatt vom 17. Oktober 2016)
Die „Gossec-Krimis“ (…) sind mittlerweile Kult. (Schwarzes Bayern vom 24. November 2016)
Im aktuellen, fünften Band (…) mutiert Gossec langsam, aber sicher zu einer bayrischen Version des Münsteraner Antiquars Wilsberg. (Ralf Stiftel, Westfälischer Anzeiger vom 27. Januar 2017)
Großartig ironisch und witzig-entlarvend geschrieben… (Wiener Zeitung vom 25. November 2016)
11. April 1889. – An den Deutschen Kaiserlichen Kommissar Dr. Göring. Ich möchte hierdurch mitteilen, dass ich gegen Manasse gekämpft habe. In Achanib habe ich jene deutsche Flagge erobert, die Ihr dem Manasse überreicht habt. Ich besitze jetzt diese Fahne und bewahre sie in Hoornkrans auf an meinem Wohnsitz. Deshalb erlaube ich mir die Frage, was ich damit machen soll, weil ich keine Verwendung für solche Flaggen habe. Sie sind für nichts zu gebrauchen.
(Hendrik Witbooi)
Wie bist du denn in dieses Loch geraten? Die Frage kommt in der Regel zu spät und beantwortet sich schließlich von allein. Du gibst keinen Fingerbreit nach, glaubst, dir treu bleiben zu müssen, und fühlst dich heldenhaft in deiner inneren Konsequenz. So hast du dir die Grube selbst geschaufelt, in der du nun hockst. Blind wie ein Maulwurf hast du dich nach unten gewühlt, wo es dunkel und kalt ist. Schließlich ist das heulende Elend über dich gekommen. Der erste Schmerz ist falsch, du findest alles nur ungerecht, glaubst dich in deinem wahren Kern geringgeschätzt. Handelst, bettelst und streitest mit Leuten herum, die schon lange nichts mehr mit dir zu tun haben wollen. Möchtest ihnen trotzdem deinen ganzen inneren Sermon gelegentlich schriftlich geben. Dass es ihnen noch mehr leidtut. Aber wenn du ein ganzer Kerl wärst und dich mit ungetrübtem Blick anschauen könntest, wüsstest du, dass du der Einzige bist, der bei deiner Beerdigung Tränen vergießen würde.
Wie konnte es so weit kommen? Eigentlich wolltest du ja hoch hinaus, wolltest von allen geschätzt werden, bis du schließlich feststellen musstest, dass der Drang nach unten deine eigentliche Bestimmung ist.
Vielleicht hatte ich in meinem Brüten und Sinnieren irgendwelche Laute von mir gegeben, ein Stöhnen, Seufzen oder Grunzen. Jedenfalls fühlte sich die Wirtin meiner Kneipe aufgerufen, mich anzusprechen.
„Kriegst du noch was?“
Freilich, das Glas war fast leer, aber ein Mensch in meinem Zustand verfügt über feinste Antennen für unrunde Zwischentöne.
„Wie meinst du das?“
Erika duckte sich weg und begann, den Zapfhahn zu polieren.
„Wie schon?“
Sie machte eine knappe Kopfbewegung zu meinem Bierdeckel hin, auf dem zwei saubere Vierergatter mit Querstreben aufgemalt waren.
„Was fragst du dann so scheinheilig?“
Ich zog den Geldbeutel aus der Hosentasche und knallte ihn auf die Theke.
„Zahlen, Frau Wirtin!“
Erika biss sich auf die Unterlippe, bevor sie durch bloße Kommaverschiebung nach rechts, die aus Einern Zehner machte, meine Zeche errechnete.
„Ich habe gedacht, dass du jetzt vielleicht lieber einen Kaffee trinkst?“
Aus den Tiefen meiner Schicksalsbrunft kroch ein Nibelungenlachen hervor, demzufolge Weib, Tod, Hunnen und alles andere sowieso scheißegal waren.
„Den brauch ich jetzt auch nicht mehr!“
Dann gab ich meinen widerstrebenden Gliedmaßen den Befehl, mich schleunigst aus dieser Kneipe zu befördern.
Ich stolperte die Thalkirchner Straße Richtung Heimat hinunter. Ein lindes Lüftchen wehte balsamische Frühlingsdüfte von den Isarauen her. Die Zeitungen waren voll von Wetterlyrik, um das Wunder dieser frühen Saison zu preisen. Bereits im März hatte der Winter schlapp gemacht, und nun konnte man in München das nahe Mittelmeer riechen. Wechselweise ligurische, tyrrhenische oder adriatische Seeluft wurde Richtung Norden über Alpeneis geblasen, sättigte sich flussabwärts mit heimischen Blütenaromen und strömte über die Isarauen wie durch ein Ventil in die Stadt hinein. Dieser Segen kam allerdings nur den flussnahen Vierteln zugute, bereits in der Maxvorstadt und Obergiesing hatte sich die mediterrane Atmosphäre verflüchtigt, in Trudering oder Moosach kannte man sie nicht einmal mehr vom Hörensagen.
Der Frühling mochte sich austoben, wie er wollte, ich war damit nicht gemeint, meine Verfassung war gruftig. Emma hatte unsere Beziehung aufgekündigt. Ein Mensch wie ich brauche keine Gemeinsamkeit. Leider war das nicht von der Hand zu weisen, obwohl ihr diese Erkenntnis ausgerechnet da kam, als ich mich nach der mit Abstand schlechtesten Phase meines Lebens wieder hochzurappeln begann.
Ich lag im Krankenhaus und kämpfte mit dem Tod. Was heißt kämpfen? Der Kerl kam ohne anzuklopfen herein und stellte sich an das Fußende meines Betts. Beim ersten Mal erkannte ich ihn kaum, weil er in Gestalt eines Penners vor mir stand, den ich regelmäßig auf dem Alten Südfriedhof getroffen hatte. Eine hagere, hoch aufgeschossene Gestalt mit schulterlangen, zu einem Schwanz gebundenen Haaren und einem prominenten Zinken, der ihn wie einen Vogelmensch aussehen ließ. Er trug eine Nickelbrille, deren schwarze Gläser seine Augen dunkel verschatteten. Ob sich dahinter Pupillen oder leere Höhlen verbargen, war nicht auszumachen. Ansonsten hatte er fast nur schwarzes Leder am Leib, eine enge, seitlich geschnürte Hose, einen langen, bis fast auf den Boden reichenden Mantel und einen ausladenden Schlapphut. So auffällig war das gar nicht, es fügte sich sogar gut in die Umgebung ein, denn auf seinen Klamotten lag die Patina von Jahrzehnten.
Dieser Geselle war mir von Anfang an komisch vorgekommen. Andere Penner nehmen mit dir Blickkontakt auf, wenn du sie musterst. So ermuntern sie Vorübergehende, ihnen etwas zukommen zu lassen. Der aber rührte sich nicht. Er hielt, seitlich abgewandt, die Beine übereinandergeschlagen und stützte sein Kinn mit der Hand ab, als sitze er jemandem Porträt. Er rauchte, und ein Stück weit vor ihm stand seine Bierflasche. Schon damals dachte ich, er tut so, als gehöre er seit jeher zum Inventar des Friedhofs. Ich traf ihn jedes Mal in ähnlicher Pose, vor allem rauchte er ständig. Erst als er vor mir am Krankenbett stand, verstand ich, dass es bei einem wie ihm eh schon wurscht war und man in seinem Zustand lieber zu Rothändle filterlos griff als zu einer Wasserdampfzigarette. Obwohl man mich durch sein Erscheinen zum Abgang aufforderte, fand ich, dass der Himmel großen Humor bewies, mir keinen Todesengel mit Flammenschwert oder eine dunkle Gestalt in Kutte mit übergeworfener Kapuze zu schicken, sondern einen, der wie Freewheelin’ Franklin in Leder aussah. Als ich diesen Gedanken gefasst hatte, war der Kerl verschwunden. Auch beim zweiten und dritten Mal verlief es ähnlich, im tiefsten Inneren glaubte ich einfach nicht daran, dass so einer mein Todesbote sein könnte. Beim Spiel um die letzten Dinge haben sie dich nur dann am Kanthaken, wenn du seinen bitteren Ernst nicht in Frage stellst.
Als die ersten lichten Momente bei mir wieder aufflackerten, verstand ich, dass ich an einem guten Dutzend Schläuche hing, von denen die einen etwas abführten, die anderen etwas zuführten. Junge Frauen, teils polnisch, teils koreanisch, kamen herein, wischten mich nass ab, wälzten mich auf die Seite, um das verschmutzte Betttuch abziehen zu können, tauschten einen gefüllten Beutel gegen einen leeren und eine leere Flasche gegen eine volle und öffneten das Fenster, dass ich nicht immer nur im eigenen Mief lag. Stolz hin oder her, dagegen konnte ich nichts tun, aber dass die Frau, mit der ich leidenschaftliche Stunden verlebt hatte, mich in dieser Scheiße liegend anschauen musste, war unbedingt zu verhindern. Also ließ ich Emma ausrichten, sie möge bitte zu Hause bleiben. Als sie mich nach einer Weile dann doch besuchen kam, war ich nicht mehr auf meinem Zimmer, sondern saß draußen in fröhlicher Bademantelrunde mit hausbekannten Suchteln direkt neben dem betonierten Lieferanteneingang.
Sie räumte mir noch ein wenig Bedenkzeit ein, wartete auf eine dramatische Aktion meinerseits und gab mir schließlich den Laufpass. Zu Recht! Was sollte ich schon dagegensetzen? Ihr Verdacht stimmte ja. Auch im gesunden Zustand sind mir Menschen am liebsten, die mir nicht auf die Pelle rücken. Im Guten wie im Schlechten. Die schönsten Gedanken kommen mir zu Abwesenden. Gerne bei ein, zwei Bier. Im Sinnieren entfaltet sich meine Welt so, wie sie sein soll. Arschlochfrei vor allem und kraft meiner Phantasie bunt ausgemalt. Das Leben selbst bringt nur Schmerz und will immer wieder neu ausgekämpft werden.
Wenn man in seinem Selbstmitleid herumpaddelt, ist man fähig, von einem Moment auf den anderen das genaue Gegenteil von dem zu empfinden, was man eben gedacht hat. Das Sensorium für Widersprüche ist komplett verödet. Natürlich brauchte ich Zuspruch, ein Freund wie Julius hätte mir gutgetan. Aber der Dicke war auf Tournee. Als ich neulich bei ihm vorbeischaute, präsentierte er mir stolz seinen neuen E-Bass, Flameburst in Hot Red, ein Teil, so feuerrot wie ein Ferrari. Er bat mich, ein Foto von ihnen beiden zu machen. Aber das Resultat war ziemlich deprimierend, das Instrument hing vor seiner Wampe so albern herum wie ein Kindergartentäschchen bei einem erwachsenen Mann. Ein Klavier oder ein Kontrabass wäre für seine Statur kleidsamer. Ich sagte ihm, er solle den Bass zur Hüfte schieben und seitlich in die Kamera blicken, das sehe dann wesentlich fetziger aus. Der Bauch war kaschiert, und tatsächlich gelang uns so ein passables Foto.
Tournee war natürlich zu hoch gegriffen, die drei alten Herrn tingelten als Bellbrooks durch eine Reihe von Dorfgaststätten. Onkel Tom, der Gitarrist, bot seine ganzen früheren Meriten auf, immerhin hatte er schon mal Leute wie Chris Roberts, Bata Illic und Wencke Myrhe supportet, und schaffte es, dass ihnen ein Veranstalter eine Tour zusammenstellte. Ich hatte Julius aus meinem Fundus einen englischen Kutschermantel geschenkt, mit dem er richtig klasse aussah, geheimnisvoll wie Mister X. Allerdings war das gute Stück nicht bühnengeeignet.
Einer wie Julius fehlte mir jetzt. Weder ist er besonders feinfühlig noch besonders redegewandt, aber wenn er mir gegenübersitzt und mit seinen Pratzen das Glas umschließt, dann britzelt das Neandertalergen in uns und stiftet eine enge Verbindung zwischen zwei Männern, die sich auf der Jagd nach dem großen Ding ganz weit hinausgewagt oder einfach nur fürchterlich verrannt haben. Es besteht stummes Einverständnis darüber, dass das eine so wurscht wie das andere ist, und damit kehrt innerer Friede in unsere von Selbstzweifeln zerrissenen Seelen ein.
Jetzt roch ich den nahen Schlachthof. Was da heranwehte, war nur einem kleinen Anteil nach der Geruch von Tier und Stall, wie man ihn vom Bauernhof kennt, stärker war eine ungute Ausdünstung nach Aas, Verwesung und Tod. Am Ende des lang gezogenen Backsteinbaus, in dem das Veterinäramt untergebracht ist, stößt man auf die Bronzeplastik eines liegenden Rinds. Es ist von einem massiven Metallgitter umschlossen. Mir wird jedes Mal ganz weh ums Herz, wenn ich dieses traurige Vieh sehe. Dreckig und mit Müll zugeworfen. Vielleicht war die ursprüngliche Idee dieser Plastik, das Tier in friedlichem Ruhezustand draußen auf der Weide darzustellen. In dieser Umgebung und ihrem armseligen Zustand sagt uns diese Plastik jedoch etwas ganz anderes: Waidwundes Rindvieh beschließt zu sterben. Und genau so war mir zumute! Wäre ich dem Ledermann begegnet, ich hätte eingeschlagen, nun doch mit ihm in das mir und meiner Generation verheißene himmlische Woodstock zu gehen.
Wenn man hier unten wenigstens einmal das Gefühl hätte, es sei für irgendetwas gut, so getunkt zu werden! Man hielte das besser aus. Meine Großmutter schaute in solchen Fällen immer zum Himmel empor und bat um ein Zeichen.
Solchen Forderungen und Wünschen nach oben sollte man auch im Suff keinen Raum geben, irgendein ein böser Geist sorgt postwendend dafür, dass sie dir als Problem im Alltag vorgelegt werden. Wenn du in Aussicht stellst, dich zu bewähren, fühlen dir die höheren Mächte sofort auf den Zahn. Sie rechten nicht mit dir herum, sie schauen sich lieber in Ruhe an, was du praktisch mit den Aufgaben anstellst, die du dir großmäulig vorgenommen hast.
Als ich in die Zenettistraße einbog, sah ich Blaulicht. Ein Zivilfahrzeug mit auf das Dach gesetzter Warnleuchte war den Gehsteig hochgefahren. So hatten sie einem Passanten den Weg abgeschnitten, um ihn festhalten zu können. Man brauchte nicht viel Einbildungskraft, um sich vorstellen zu können, wie das abgelaufen war. Du spazierst deines Wegs, und ein grauer Wagen fährt neben dir her. Der Beifahrer öffnet das Fenster und ruft dir zu: „Polizei, stehen bleiben!“ Die behördliche Legitimation siehst du denen nicht an, stattdessen gehst du als unbescholtener Bürger automatisch davon aus, dass dir die echte Exekutive mit größerer Höflichkeit und Zurückhaltung begegnen würde. Das öffentliche Leben ist kein Kasernenhof, wo du immer herumspechten müsstest, ob sich vielleicht eine Gelegenheit ergibt, die Hacken zusammenzuschlagen und strammzustehen. Schon damit hast du die zwei Zivilen provoziert, deshalb zieht der Beifahrer unter dem Sitz sein Blaulicht hervor, setzt es oben auf das Dach, der andere lenkt den Wagen auf den Gehsteig, die zwei springen heraus und rufen zum zweiten Mal: Stehen bleiben, Polizei! Du kriegst einen Mordsschrecken und logischerweise sofort Schuldbewusstsein, weil du gerade eben dein schon krümelig gewordenes Papiertaschentuch in den Rinnstein geworfen hast. Dann geht es an die Personalienfeststellung, und die Herren überlegen in Ruhe, ob du geraubt, geschändet oder gemordet haben könntest. Wenn du deinen Ausweis nicht einstecken hast, kommt es derb.
Als ich näher an die drei herankam, sah ich, dass der mutmaßliche Delinquent die erhobenen Hände an die Mauer gelegt hatte und abgetastet wurde. Der Kollege Polizist stand am offenen Schlag, das Mikro am Spiralkabel in der Hand, extralang, damit er in synchronem Kontakt zu Zentrale und Bevölkerung sich auch außerhalb des Dienstwagens frei bewegen konnte, und rotzte etwas von Sich-nicht-ausweisen-Können hinein. Drinnen knackte, krachte, irrlichterte, funzte und funkte es, dass man meinen mochte, das gesamte Schlachthofviertel sei bereits von einer bis an die Zähne bewaffneten Sondereinheit umstellt.
Endlich bemerkte ich, dass es sich bei dem armen Kerl um einen Schwarzen handelte, und mir wurde klar, worum es hier ging. Wenn du verschlagen, fremd oder nach Balkan aussiehst, wirst du kontrolliert. Die Behörden wehren sich damit noch immer gegen klar zu Tage liegende Tatsachen und betreiben Geschichtsfälschung. Seit Eichmann wissen wir, dass die größten Schurken nicht schwarz, schlitzäugig, schlupflidrig oder großnasig sind, sondern wie gute deutsche Beamte aussehen.
„Was machts ihr da?“
Das Duzen von im Einsatz befindlichen Polizeikräften war natürlich ungeschickt, aber mein Erregungspegel war schon ziemlich am Anschlag.
„Polizei! Das geht dich überhaupt nichts an!“
Der Mann tat mir sofort leid, weil er so verletzlich aussah. Er war klein, feingliedrig und schmal. Sein Kopf war demgegenüber recht groß, sodass er auf die Entfernung wie ein Schulbub aussah. Dann bemerkte man jedoch die Falten unter seinen Augen und das an der Seite bereits grau melierte Haar. Was immer vorgefallen sein mochte, der Mann war ganz gewiss unschuldig!
„Der hat doch nichts angestellt!“
Der Schwarze wandte mir den Kopf zu.
„Lass gut sein, ich komm schon zurecht.“
Eine wirkliche Überraschung war, wie er das sagte. Er sprach ein so gepflegtes Bayerisch wie der Dorfpfarrer von Großdingnussing.
„Wir haben viel zu viele Illegale bei uns herinnen.“
Offenbar war der Kollege Polizist auch noch ein Rechtsradikaler.
„Das hörst du doch, wo der her ist“, schrie ich.
Der andere packte mich am Arm.
„Deine Personalien, weil du gar so plärrst!“
Der schiere Grimm erfasste mich.
„Du pfeifst, und ich soll apportieren wie ein Hunderl?“
„Jetzt beruhige dich doch“, sagte der Schwarze.
Die Angst vor der Eskalation war ihm anzumerken. Ich griff in meine Brusttasche, holte meine Kennkarte hervor, steckte sie mir in meinem Furor zwischen die Zähne und hielt sie so dem Polizisten hin.
Meine Erinnerung ist inzwischen getrübt, aber es fühlte sich wie eine Ohrfeige an, was mir da verabreicht wurde. Ich konnte gar nicht anders, als dem Kerl blitzartig an die Gurgel zu gehen. Mein Zupacken war gewiss nicht besonders bedrohlich, denn der Angegriffene hatte noch Zeit und Muße, sich seinem Kollegen zuzuwenden.
„Siehst du, was der da macht?“
Dann ging es ganz schnell. Zusammen packten sie zu, warfen mich auf den Boden, drehten mich auf den Bauch, zogen meine Arme nach hinten und legten mir Handschellen an.
Eine halbe Stunde später saßen der Schwarze und ich in der nach Bier und Kotze riechenden Zelle des zuständigen Polizeireviers.
„Wie heißt du denn?“
„Gossec, und du?“
„Alois Womack.“
Ich ließ diese Namenskombination eine Weile lang auf mich wirken und wusste nicht, wie ich ihn das fragen sollte, was mich interessierte, ohne übergriffig zu werden. Er registrierte meine Neugier und lächelte.
„Der Vater war aus dem Kongo, Tourismusbranche. In Landshut hat er dann meine Mutter kennengelernt. Rate einmal, wo!“
Ich zuckte die Achseln. Er grinste.
„In der Kirche. Im Kongo sind sie ja in der Mehrzahl gut katholisch. Nähergekommen sind sich die zwei bei einem Folkloreabend, den der Herr Pfarrer im Kolpingheim organisiert hat.“
Außer für ein paar Urlaubsaufenthalte bin ich noch nie wirklich aus München herausgekommen, aber da kenne ich mich aus. Von meiner Großmutter habe ich dazu die große Fähigkeit geerbt, von der Art her wie einer spricht, beurteilen zu können, ob der Mann in Pasing oder in Perlach aufgewachsen ist. Alois allerdings redete in einem Esperanto-Dialekt, einem Best-of-Oberbayerisch, wie es sonst vermutlich nur noch im Himmel zu hören ist, wo jeglicher Sprachzwist zwischen den weiß-blauen Stämmen aufgehoben ist. Auch hatte er nicht dieses Vorwärtsstolpernde, das dem Zuhörer das Gefühl vermittelt, der Erzähler müsse endlich ans Ziel seiner Rede geschubst werden, denn beim bayerischen Menschen ist vielfach der innere Artikulationsdruck größer als das sprachliche Vermögen. Alois sprach flüssig, klar und rund, das schnurrte und gurrte nur so dahin.
„Die Liebe war kurz und heftig. Nach ein paar Wochen war er ja auch schon wieder weg. Mit mir haben sie es dann besonders gut gemeint und versucht, mir mit dem Vornamen eine bayerische Seele einzupflanzen.“
„Lebst du hier in München?“
„Genau.“
„Und beruflich?“
„Ich bin als Pygmäe von Obergiesing unterwegs.“
Ich musterte ihn erstaunt.
„Was soll denn das heißen?“
„Was schon? Klein, schmal, großer Kopf – einen Spottnamen kleben sie dir schneller an, als du schauen kannst. Aber mir ist das inzwischen wurscht, ich lebe davon.“
„Das musst du mir erklären!“
„Stell dir vor, ich würde Anzug und Krawatte tragen und Geschäfte machen wollen. Alle würden sie mutmaßen, der Kerl ist unecht, da stimmt doch was nicht. Und dementsprechend geht da nichts! Aber wenn du als Schwarzer eine Weißwurst isst, einen Trachtenhut auf dem Kopf hast und in der Lederhose dasitzt, dann wird es schon wieder gemütlich. Die Leute finden dich so drollig und anheimelnd wie den Mohr im Hemd, schau einmal, ein Schwarzer in Tracht, das ist doch wirklich was zum Schmunzeln! Gut, habe ich mir gedacht, da musst du noch was obendrauf setzen: Jodeln, Ziehharmonika spielen, Gstanzl singen … Der Bayer haut sich auf die Schenkel, der Rest lacht sich einen Ast. Das ist schwarz-weiß-blaues Entertainment, Gossec! Die Attraktion im Bräuroslzelt …“
„Ich gehe grundsätzlich nie aufs Oktoberfest!“
Irgendwie wurde mir dieser Alois unheimlich. Was war denn das für einer?
Die Zellentür wurde aufgeschlossen.
„Alois Womack!“
Er erhob sich von der Pritsche.
„Alles klar, du kannst gehen.“
Alois packte zusammen, und wir tauschten noch Adressen. Zum Abschied nickte er mir zu, dann wurde wieder zugeschlossen, und ich war mit meinen Gedanken allein.