Der Schatten des Korsen - Clive Cussler - E-Book

Der Schatten des Korsen E-Book

Clive Cussler

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Beschreibung

Der Fund ungeschliffener Diamanten führt zu einem noch größeren Schatz – im neusten Dirk-Pitt-Roman.

Dirk Pitt, der Direktor der National Underwater and Marine Agency, entdeckt während einer Tauchexpedition im Ärmelkanal in einem Schiffswrack ein Versteck mit ungeschliffenen Diamanten. Als diese gestohlen werden, scheint es sich bei den Tätern um islamistische Terroristen zu handeln. Tatsächlich sieht sich Dirk Pitt jedoch mit einem mörderischen Plan konfrontiert, der weitaus verhängnisvoller ist als nur der Diamantendiebstahl. Lebenswichtige Wasseraufbereitungsanlagen auf der ganzen Welt werden ins Visier genommen, ohne die Tausende sterben müssen. Nur Dirk Pitt kann die Verschwörer noch stoppen.


Jeder Band ein Bestseller und einzeln lesbar. Lassen Sie sich die anderen Abenteuer von Dirk Pitt nicht entgehen – zum Beispiel »Geheimakte Odessa«, »Die zehnte Plage« oder »Mission Dragonfly«.

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EPUB

Seitenzahl: 573

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Buch

Dirk Pitt, der Direktor der National Underwater and Marine Agency, entdeckt während einer Tauchexpedition im Ärmelkanal in einem Schiffswrack ein Versteck mit ungeschliffenen Diamanten. Als diese gestohlen werden, scheint es sich bei den Tätern um islamistische Terroristen zu handeln. Tatsächlich sieht sich Dirk Pitt jedoch mit einem mörderischen Plan konfrontiert, der weitaus verhängnisvoller ist als nur der Diamantendiebstahl. Lebenswichtige Wasseraufbereitungsanlagen auf der ganzen Welt werden ins Visier genommen, ohne die Tausende sterben müssen. Nur Dirk Pitt kann die Verschwörer noch stoppen.

Autoren

Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein New-York-Times-Bestseller. Auch auf der deutschen Spiegel-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2020 in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.

Dirk Cussler, Clive Cusslers Sohn, arbeitete nach seinem Studium in Berkeley viele Jahre lang in der Finanzwelt, bevor er sich hauptberuflich dem Schreiben widmete. Darüber hinaus nahm er an mehreren der über achtzig Expeditionen der NUMA teil.

Clive Cussler

&

Dirk Cussler

Der Schatten des Korsen

Ein Dirk-Pitt-Roman

Deutsch von Wolfgang Thon

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Corsican Shadow(Dirk Pitt 27) bei G. P. Putnam’s Sons, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2023 by Sandecker, RLLLP.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Joern Rauser

Umschlaggestaltung und -illustration:

© Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung

von Motiven von shutterstock.com und stock.adobe.com

HK · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-31413-2V001

www.blanvalet.de

Für Lauren und Bryce

Mes belles princesses de joie

HANDELNDE PERSONEN

1940 

Marcel Demille – Chefkurator des Musée de l’Armée in Paris

André Carron – Assistent von Demille im Musée de l’Armée in Paris

Eduard Martin – Vizepräsident der Antwerp Diamond Bank

Georges Lamotte – Bankier bei der Antwerp Diamond Bank

François Mailleux – Präsident der Antwerp Diamond Bank

Paul Rapine – Unterstaatssekretär im französischen Konsulat auf den Bermudas

TEAM DER NATIONAL AND MARINE AGENCY (NUMA)

Dirk Pitt – Direktor der NUMA

Al Giordino – Direktor der Abteilung für Unterwassertechnologie der NUMA

Rudi Gunn – Stellvertretender Direktor der NUMA

Summer Pitt – Direktorin der Abteilung für Sonderprojekte und Tochter von Dirk Pitt

Dirk Pitt, Jr. – Direktor der Abteilung für Sonderprojekte und Sohn von Dirk Pitt

Hiram Yaeger – Chef des Computer Ressource Centers der NUMA

Harvey Boswick – Kapitän des NUMA-Forschungsschiffes Pelican

Ben Houston – Kapitän des NUMA-Forschungsschiffs Nordic Star

Keith Lowden – Kapitän des NUMA-Forschungsschiffs Havanna

Meisa Noriku – Meeresarchäologin auf dem NUMA-Forschungsschiff Havanna

Lavera Exploration Company

Yves Villard – CEO und Eigentümer von Lavera Exploration

Henri Nassar – Ex-Elitesoldat und Sicherheitschef

Hosni Samad – Ex-Elitesoldat und Stellvertreter Nassars

Tomas – Steuermann an Bord des Kreuzfahrtschiffes Hydros

Frankreich

Brigitte Favreau – Ozeanografin und Forscherin am Meeresinstitut Le Havre

Raoul Vogel – Journalist und Informant aus Le Havre

Pierre Roy – Verkäufer auf der Seine an Bord seines Bootes La Rose

Charles Lufbery – Capitaine der französischen Police Nationale

Jules LeBœuf – französischer Unterboss der korsischen Mafia

Maurice Hauser – Juwelier in Le Havre

Allain Broussard – Calvadosbrenner und Neffe von Eduard Martin

Jacques Lurel – Hafenmeister von Le Havre

Monsieur Dumont – Direktor des Komplexes Les Invalides in Paris

Vereinigte Staaten

Claude Bouchet – freiberuflicher Wirtschaftsspion

St. Julien Perlmutter – Nautikhistoriker und langjähriger Freund von Pitt

Eric Watson – Sicherheitstechniker für die New York-New Jersey Port Authority

Dario Cruz – Captain der U. S. Army in West Point

Steven Schauer – Bauingenieur für die Umgehungsstraße von Rondout

Murphy – West-Point-Kadett

Blake – West-Point-Kadett

Andere

Ahmad Hamid – ägyptischer Weizenbauer auf dem Sinai

Dan Durkot – Abteilungsleiter im US-Konsulat auf den Bermudas

Waynne James – Kommandantin des Kutters Venturous der Küstenwache

Doris – Direktorin der Caribbean Children’s Rescue auf Martinique

Schiffe

Avignon – 1940 im Ärmelkanal gesunkene Fähre

Jupiter – 1940 in Le Havre angegriffenes älteres Frachtschiff

Pelican – NUMA-Vermessungsschiff in der Nähe von Le Havre

Cornwall – gesunkene Kanalfähre mit Diamantenkoffern an Bord

La Rose – Seine-Flussschiff von Pierre Roy

Nordic Star – NUMA-Forschungsschiff, zurzeit im Einsatz in der Irischen See

Mary Spring – Kabinenkreuzer, in der Irischen See gesunken

Chamonix – Kabelverlegeschiff der Lavera Exploration

Cardiff – Handelsschiff, bei einer Kollision in der Irischen See gesunken

Lé Samuel Beckett – Patrouillenschiff der irischen Marine

Mont Blanc – Öltanker im Besitz der Lavera Exploration

Shearwater – Hochgeschwindigkeitsfähre im Ärmelkanal auf der Isle of Wight

Hydros – ehemaliges griechisches Inselkreuzfahrtschiff

Venturous – Kutter der U. S. Küstenwache

Moselle – Vermessungsschiff der Lavera Exploration

Surcouf – französisches U-Boot, Stapellauf 1929 

Naugatuck – Schlepper im Long Island Sound

Thompson Lykes – amerikanischer Frachter, der möglicherweise mit der Surcouf kollidierte

Havanna – NUMA-Forschungsschiff im Karibischen Meer

Sokan – Zollpatrouillenboot in Französisch-Martinique

Prolog

Angriff auf Le Havre

Normandie, Frankreich

Zwölfter Mai 1940 

Zum hundertsten Mal rieb sich Marcel Demille die müden Augen. Die Erschöpfung lastete wie ein schwerer Mantel auf ihm, als seine Hände wieder das dicke Lenkrad umklammerten. Die mondlose schwarze Nacht half nicht gerade gegen seine Müdigkeit, sondern fixierte seinen Blick auf den schwachen gelben Lichtkegel der Lastwagenscheinwerfer. Er hatte das Gefühl, durch einen endlosen, bernsteingelben Tunnel zu fahren.

Seit dem frühen Nachmittag steuerte Demille den Renault-Lastwagen in Richtung der Hafenstadt Le Havre. Eigentlich hatte er erwartet, die Stadt schon vor Stunden zu erreichen, doch er hatte nicht mit der Flut von Flüchtlingen auf seinem Weg gerechnet. Die Männer, Frauen und Kinder verstopften auf dem größten Teil der Strecke die Straßen. Das alles waren arme, erschöpfte Seelen, viele kamen aus Holland und Belgien, auf der Flucht vor dem deutschen Blitzkrieg. Erst lange nach Mitternacht war die Straße endlich freier geworden, als die jetzt Obdachlosen auf den angrenzenden Feldern ein paar Stunden Schlaf suchten. Endlich kam Demille schneller voran, und die Kilometer vergingen wie im Flug.

Er schaltete herunter, als sich der Lkw über eine kleine Anhöhe mühte. Die einfache körperliche Betätigung des Schaltens half ihm, wach zu bleiben. Demille drehte sich zu dem Beifahrer neben ihm um … und aus dem Winkel der Windschutzscheibe fiel ihm ein Farbfleck ins Auge.

Es war ein Kinderwagen, der über die Fahrbahn rollte und dessen grünes, gerüschtes Verdeck von den Scheinwerfern des Lastwagens erfasst wurde.

Demille reagierte instinktiv und trat auf die Bremsen des schweren Fahrzeugs. Er erhob sich aus seinem Sitz und stemmte sein ganzes Gewicht auf das Pedal. Der jüngere Mann neben ihm, der döste und sich die Mütze über die Augen gezogen hatte, wurde unsanft nach vorn gegen das Armaturenbrett geschleudert. Mit einem Ruck wachte er dabei auf und fing den Aufprall mit einem ausgestreckten Arm ab, während die Schrotflinte von seinen Knien auf den Boden der Fahrerkabine glitt.

Der Renault ACG-Lastwagen rutschte über den feuchten Asphalt, als seine Räder blockierten. Demille überfiel plötzlich die Furcht, dass die Kisten der Ladung auf der Pritsche des Fahrzeugs die Wand zur Fahrerkabine durchschlagen und sie zerquetschen könnten. Aber der Lkw war nicht schnell genug gefahren, dass sich die Ladung selbstständig machen konnte und das schwere Fahrzeug kam tatsächlich zum Stehen. Nur wenige Zentimeter vor der vorderen Stoßstange rollte auch der Kinderwagen von selbst aus.

Eine entsetzte junge Mutter in einem staubbedeckten Kleid kam angerannt, packte den Griff des Kinderwagens und starrte zu den Scheinwerfern hinauf. Demille sank auf dem Lenkrad zusammen und wartete, bis das Klopfen in seiner Brust nachließ. Die Frau sah nur kurz nach dem Baby im Kinderwagen und trat dann an den Straßenrand, als wäre nichts geschehen. Sie schob den Kinderwagen den Hügel hinunter, gefolgt von zwei kleinen Jungen, die hinter ihr herliefen und schwere Koffer durch den Schmutz zogen.

»Mein Gott«, sagte André Carron auf dem Beifahrersitz. »Sie hätten alle getötet werden können.« Er setzte sich wieder richtig hin und legte die Schrotflinte auf seinen Schoß.

Demille wischte sich die Handflächen an seiner Hose ab und legte den Gang wieder ein. »Das ist nicht ihre Schuld«, sagte er und trat auf das Gaspedal. »Unsere Welt ist in den letzten Tagen auf den Kopf gestellt worden. Keiner kann mehr klar denken.«

Der schnelle Erfolg der deutschen Offensive hatte alle überrascht. Obwohl Frankreich Deutschland bereits nach dem Überfall der Nazis auf Polen vor mehreren Monaten den Krieg erklärt hatte, war es zwischen den beiden Ländern nur zu kleinen Scharmützeln gekommen.

Man war recht zuversichtlich, dass Frankreich hinter der Maginot-Linie der Armee und ihren Befestigungen, die sich über die gesamte Grenze zu Deutschland erstreckten, sicher war. Die große französische Armee war schnell mobilisiert und entlang der Grenze in Stellung gebracht worden, bereit, jeden deutschen Angriff abzuwehren. Als die Monate ereignislos verstrichen, begannen die Menschen die scheinbare Pattsituation den »Scheinkrieg« zu nennen und ein zögerndes Gefühl von Normalität bestimmte wieder den Alltag.

In Paris hatte Demille erneut seine tägliche Arbeit im Musée de l’Armée aufgenommen, wo er als Chefkurator tätig war. Die wertvollsten Artefakte des Museums waren bereits in Kisten verpackt und zur sicheren Aufbewahrung nach Südfrankreich verschifft worden, wie es der Louvre auch schon gemacht hatte. Da Demille zu alt für die Armee war, war er in Paris geblieben und hatte das Museum mithilfe von André Carron weiterhin geleitet.

Wie die meisten Pariser glaubte auch Demille, dass die Alliierten jede deutsche Offensive zurückschlagen würden. Die Regierung, die Zeitungen und der einfache Mann auf den Kopfsteinpflasterstraßen waren sich sicher: Die Zeit war auf der Seite Frankreichs.

Das jedoch änderte sich am neunten Mai schlagartig, als die Deutschen über die Grenzen von Holland, Belgien und Luxemburg eindrangen. Die französische Armee marschierte in Belgien ein, um den Angriff abzuwehren, und ließ den zerklüfteten Ardennenwald an ihrer rechten Flanke nahezu unverteidigt. Tage später traf ein Überraschungsangriff von drei Panzerkorps durch eben diesen Wald Frankreich wie ein Messer ins Herz. Innerhalb von zwei Wochen wurden die französischen und alliierten Streitkräfte in Belgien eingeschlossen und völlig aufgerieben. Der Weg nach Paris war frei.

Als sich die Stadt des Lichts ihrer dunkelsten Stunde näherte, flohen ihre Bürger. Massen von Menschen suchten nun in Südfrankreich Sicherheit. Da das Zugsystem überlastet war, verstopften die Flüchtlinge die Straßen, die aus der Stadt führten, die Wohlhabenden in ihren Autos, die weniger Wohlhabenden in Pferdewagen. Diese noch weniger Glücklichen schleppten ihre Habseligkeiten hinter sich her. Die Pariser gesellten sich zu den Scharen niederländischer und belgischer Zivilisten, die bereits seit Tagen auf der Straße unterwegs waren und vor der Invasion flohen. Man nannte es den L’Exode und diese Flucht umfasste mehr als sechs Millionen französische Zivilisten.

Demille hatte erwogen, das Museum zu verrammeln und sich dem Exodus anzuschließen. Da war ein Brief eingetroffen, persönlich zugestellt von einem jungen Armeeoffizier in einer schneidigen blauen Uniform. Demille musste das kurze Schreiben zweimal lesen und strich mit dem Finger über die Unterschrift von General Maxime Weygand, dem Oberbefehlshaber der französischen Armee.

Die Aufgabe war ihm unmöglich erschienen, und doch fuhr er nur wenige Stunden später mitten in der Nacht über die Nebenstraßen der Normandie und hatte das Gefühl, die Last des ganzen Landes auf seinen Schultern zu tragen.

Als die Morgendämmerung einsetzte, beschleunigte Demille das Tempo und peitschte den Lastwagen mit Höchstgeschwindigkeit durch das verschlafene Ackerland. Bald darauf erreichte er das Dorf Quillebeuf-sur-Seine, wo er den örtlichen Fährmann weckte, der in der Kabine seines Schiffes schlief, und für die Überfahrt über den ruhigen Fluss bezahlte.

Kurze Zeit später tauchte in der Ferne die Hafenstadt Le Havre auf, aus deren Zentrum eine dunkle Rauchwolke aufstieg. Demille fuhr fast bis ins Stadtzentrum, bevor er in Richtung Hafen abbog. Das sonst so geschäftige Handelszentrum wirkte jetzt wie eine Geisterstadt. Demille lenkte den Lkw in Richtung Westen, um direkt zu den Kais zu gelangen.

Die Hafenanlagen von Le Havre erstreckten sich über mehrere künstlich angelegte Becken, und Demille musste nach dem Weg zu dem Becken namens Vauban fragen, das in der Mitte des Komplexes lag.

Carron betrachtete die weitläufigen Anlagen, als sie sich näherten, und schüttelte den Kopf. »Wo sind die Schiffe?«

»Sie transportieren alle Menschen, die wir auf der Straße aus Paris heraus gesehen haben«, antwortete Demille. »Sie wurden bereits evakuiert. Auf den Schiffen.«

Carron setzte sich aufrecht hin. Zum ersten Mal, seit sie die französische Hauptstadt verlassen hatten, war er ganz aufmerksam.

»Wonach suchen wir?«

»Nach einer Kanalfähre namens Avignon.«

In der Nähe ertönten Sirenen, und der schwarze Rauch, den sie zuvor gesehen hatten, wurde jetzt von dem böigen Wind über sie hinweggetrieben. Am Tag zuvor hatten deutsche Bomber mehrere Öltanks nördlich des Hafens bombardiert. Sie brannten noch immer.

Demille fand den Kai des Vauban-Beckens und hielt zwischen zwei leeren Liegeplätzen an. Der Kai war von einem Durcheinander von Paletten, Kisten und Reisekoffern übersät. Weiter unten waren eine Handvoll kleiner Fischerboote an dem Kai festgemacht worden, neben Bündeln von Netzen und Stapeln von Hummerreusen. Ein schaler Geruch von Salzwasser, Dieselkraftstoff und verrottendem Fisch erfüllte die Luft. Große Schiffe waren jedoch nicht zu sehen.

Aber das hatte die Masse der wartenden Flüchtlinge nicht abgeschreckt. Familien, Geschäftsleute und exilierte Ausländer lagerten auf diesem Kai. Viele schliefen noch unter Zeltplanen, während andere auf kleinen Feuern Kaffee kochten. Einige Jungen mit schmutzigen, mürrischen Gesichtern starrten Demille mit milder Neugierde an.

Als er den Lastwagen anhielt und ausstieg, überkam den Museumskurator ein ungutes Gefühl, er war frustriert.

»Bleiben Sie hier und bewachen Sie den Lastwagen«, rief er Carron zu, der ebenfalls ausgestiegen war und sich die Beine vertrat.

Demille trat an den Rand des Kais, der durch einen hohen Drahtzaun begrenzt war. Er folgte dem Zaun bis zu einer Rampe, die an einem kleinen Holzgebäude vorbeiführte. Auf dem Dach prangte ein großes rotes Schild mit der Aufschrift Capitainerie. Hafenmeisterei.

Demille klopfte an die Tür und trat ein.

Ein übergewichtiger Mann in einem schmutzig gestreiften Hemd und Hosenträgern betrat gerade das Büro. Er kam aus der Küchenzeile im hinteren Bereich und hielt eine Kaffeetasse in den dicken Fingern.

»Guten Tag«, sagte Demille. »Ich suche den Dampfer Avignon. Man sagte mir, er würde heute noch von diesem Dock ablegen.«

Der Hafenmeister wuchtete seine massige Gestalt hinter einen unordentlichen Schreibtisch und trank einen Schluck von seinem Kaffee. »Ihnen und hundert anderen Leuten hat man das gesagt.« Er deutete mit der Hand in Richtung Kai. Dann musterte er Demille von oben bis unten und verzog missbilligend die Lippen. Seine frisch geputzten Schuhe, der Maßanzug, das weiße Hemd und die gepunktete Krawatte wiesen den Besucher eindeutig als Pariser aus. Der Hafenmeister feixte Demille an. »Die Avignon wird weder heute noch an irgendeinem anderen Tag aus Le Havre auslaufen.«

»Was sagen Sie da?«

»Sie ist gestern Nachmittag bei einem Angriff deutscher Flugzeuge im Kanal versenkt worden.«

Demille spürte, wie seine Beine unter ihm nachgaben, und er ließ sich in einen schäbigen Stuhl fallen, dem Mann gegenüber. »Ich … ich habe aber eine wichtige Fracht, die mit der Avignon nach Großbritannien verschifft werden sollte.« Er tastete nach dem Brief von General Weygand in seiner Brusttasche, entschied sich jedoch dagegen, ihn vorzuzeigen.

Der Hafenmeister warf ihm einen gleichgültigen Blick zu. »Jeder Reeder mit einem Funken Verstand hat in den letzten Tagen schon mit seinen Schiffen die Stadt verlassen. Sogar die Schiffe der Marine sind fort. Die Avignon hatte ein lukratives Fährgeschäft laufen und war so ziemlich das letzte reguläre Schiff im Einsatz.« Er trank einen weiteren Schluck Kaffee. »Sie haben das Dreifache des normalen Fahrpreises nach England verlangt … und auch bekommen. Ich glaube allerdings, am Ende haben sie einen hohen Preis dafür gezahlt.«

»Gibt es denn keine anderen Möglichkeiten?«

Der dicke Mann nahm ein Klemmbrett zur Hand und hielt es dicht vor sein Gesicht. »Heute Morgen kommt ein Trampdampfer mit einer Ladung brasilianischem Kautschuk an. Die Jupiter. Das dürfte Ihre beste Chance sein … falls sie überhaupt auftaucht. Liegeplatz zwei.« Er deutete aus dem vorderen Fenster.

Demille nickte und stand auf. »Dann warte ich. Danke.«

Am Lastwagen saß Carron auf dem Trittbrett und rauchte eine Zigarette. »Haben Sie unser Schiff gefunden?«

Demille schüttelte den Kopf. »Es wurde gestern versenkt.«

»Wir können auch weiterfahren. Cherbourg … oder vielleicht Brest?«

»Heute kommt noch ein anderes Schiff an, die Jupiter. Wir warten auf sie.«

Weniger als eine Stunde später kroch ein großes Frachtschiff in das Hafenbecken und machte an dem zweiten Liegeplatz fest. Die Jupiter war 1926 gebaut worden und schien ihre besten Jahre schon hinter sich zu haben. Ihr schwarzer Rumpf war von Rostflecken übersät und ihre schmutzig weiße Oberseite verlangte nachdrücklich nach einem neuen Anstrich. Dicker schwarzer Rauch quoll aus einem aufrechten, rot-goldenen Schornstein und wehte über den Kai. Eine zäh wirkende Besatzung portugiesischer Handelsschiffer bemannte die verschiedenen Ladearme, die aus dem Deck des Schiffes ragten, und begann mit dem Löschen einer Ladung Kautschuk aus dem Amazonas.

Die Menschen, die in der Nähe des Schiffes kampierten, drängten sich plötzlich auf dem Kai und stürmten mit ihren Habseligkeiten zur Gangway, in der Hoffnung, eine Passage auf dem Schiff zu ergattern. Ein stämmiger Stauer versperrte ihnen den Weg, bis der Erste Offizier des Schiffes auftauchte und Ordnung zu schaffen versuchte.

Er war ein junger, bärtiger Mann mit müden, grauen Augen. In gebrochenem Französisch wandte er sich an die Flüchtlinge.

»Zurück, sage ich! Alle zurück auf den Kai. Wir sind kein Passagierschiff, und die Fracht, die wir hier aufnehmen, wird unsere Kapazität vollständig auslasten.« Er hob seine Arme, um die Leute aufzuhalten. »Wir haben nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Passagieren Platz.«

Schreie und Gemurmel machten sich in der Menge breit, aber die Leute gehorchten dem Offizier und bildeten eine geordnete Reihe. Der Erste Offizier verschwand für ein paar Minuten im Büro des Hafenmeisters und kehrte dann mit einem ausklappbaren Schreibtisch zurück, den er neben der Gangway aufstellte. Er hörte sich der Reihe nach die Geschichten der Flüchtlinge an. Die meisten wurden abgewiesen, aber ein paar Glückspilze durften an Bord gehen.

Demille wartete geduldig am Ende der Schlange, doch seine Unruhe nahm zu, als sich die Schlange immer mehr aufzulösen begann. Alle wurden abgewiesen.

»Wir sind voll und können nicht mehr aufnehmen«, sagte der Offizier gerade zu einer großen holländischen Familie.

Und er wiederholte die Worte, als Demille seinen Platz an der Spitze der Schlange erreichte.

»Ich habe eine dringende Fracht aus Paris«, sagte Demille.

Der Beamte musterte den Kurator von oben bis unten, schüttelte dann aber den Kopf. »Tut mir leid.«

Demille griff in seine Tasche und holte ein Dokument hervor, das dem Brief beigefügt war. »Ich habe einen Passierschein von General Weygand.« Er sah dem Mann in die Augen. »Meine Fracht sollte mit der Avignon nach England gebracht werden, aber das Schiff ist gestern versenkt worden.«

»Der Kanal ist zurzeit ein gefährlicher Ort.« Der Offizier nahm den Zettel und studierte das Dokument. Die Jupiter war ein Handelsschiff, also bedeutete hier ein Passierschein der Regierung wenig. Aber die französische Regierung würde die Zahlung garantieren. Die Entgegennahme einer wichtigen Fracht in letzter Sekunde, und das mitten in einem Krieg, würde einen hohen Aufschlag auf die Transitgebühren rechtfertigen.

»Sie sind Marcel Demille?«, fragte er.

»Ja, Sir.«

»Wie groß ist Ihre Fracht?«

Demille zeigte auf den Renault. »Sie füllt fast die gesamte Ladefläche des Lastwagens.«

»Also gut. Unsere Laderäume sind zwar voll, aber wir können sie an Deck festzurren. Allerdings werden Sie bei der Schiffsbesatzung untergebracht.« Er wandte sich an einen stämmigen Seemann, der an der Reling des Schiffes stand. »Sorgen Sie dafür, dass die Ladung dieses Mannes an Bord gebracht wird, sobald die Laderäume gesichert sind.«

Der Offizier wandte sich wieder an Demille. »Noch eins. Die Jupiter segelt nicht nach England. Unser nächster Anlaufhafen sind die Bermudas.« Demille sah zu Boden, nickte und wandte sich dann ab. Die Bermudas? Machte er gerade einen Fehler?

Langsam ging er zum Lastwagen zurück und wartete dort, bis die Jupiter ihre Laderäume gefüllt hatte. Als die Ladeluken verschlossen waren, wurde Demille herangewunken und er fuhr den Renault rückwärts an den gepflasterten Rand des Docks. Ein Ladebaum wurde über den Lkw geschwenkt und ein Tau herabgelassen. Zwei Besatzungsmitglieder kletterten auf die Pritsche des Lastwagens und sicherten die Fracht mit dem Tau und einer Schlinge.

Demille marschierte auf dem betonierten Kai herum und verfolgte, wie die Schlinge an einem Haken des Ladebaums befestigt wurde. Der Kranführer spannte das Kabel und zog die Kiste von dem Lkw. Doch er unterschätzte das Gewicht und zog die Kiste zu schnell hoch. Das vordere Ende der Kiste kippte nach unten und schlug auf dem Betonkai auf.

Demille sah entsetzt, wie eine Kante der Kiste splitterte und eine Seitenfläche aufschwang. Er schrie und gab dem Kranführer heftig fuchtelnd Zeichen. Der setzte die Kiste seelenruhig auf dem Kai ab.

»Ist schwerer, als es aussieht«, sagte einer der Seeleute und versuchte, einen Blick in die Kiste zu werfen. »Was haben Sie denn da drin? Eine Kanone?«

Demille drehte sich zu Carron herum und starrte dann das Besatzungsmitglied wieder an. »Die Kiste muss sofort repariert werden.«

Der Erste Offizier der Jupiter, der zurück an Bord war und den Aufruhr mitbekommen hatte, trat an die Bugreling. »Schafft die Kiste schon an Bord!«, schrie er. »Wir müssen ablegen!«

»Ihre Männer haben sie beschädigt!«, schrie Demille zurück. »Sie muss repariert werden, bevor sie wieder bewegt werden kann.«

Prüfend musterte der Offizier die Kiste, dann bellte er die beiden Besatzungsmitglieder an, die noch auf dem Kai standen. »Ihr beiden kümmert euch darum. Aber schnell.«

Während die Besatzungsmitglieder hastig losliefen, um Werkzeug zu beschaffen, warf Demille einen kurzen Blick in die Kiste. Ihr Inhalt war in dicke Planen gehüllt, sodass er keine Schäden erkennen konnte, alles schien noch intakt zu sein.

Demille drückte das gesplitterte Holz gegen die Öffnung, als ein elegantes blaues Auto auf den Kai brauste und neben dem Lastwagen zum Halten kam. Das vordere Nummernschild hatte rote Zahlen auf weißem Grund, ein Kennzeichen aus Belgien. Ein schlanker, gut gekleideter Mann stieg aus dem Coupé und blickte auf die Jupiter und den Kai.

»Ist das die Avignon?« Er trat näher und deutete auf den Trampdampfer.

»Nein, das ist ein Schiff namens Jupiter. Die Avignon ist gestern von den Deutschen versenkt worden.«

Die beiden Besatzungsmitglieder tauchten mit einigen kurzen Brettern und einer Werkzeugkiste wieder auf und machten sich daran, die Kiste erneut zu vernageln.

»Kennen Sie das Ziel?«, fragte der Mann Demille.

»Bermudas. Aber ich glaube nicht, dass sie noch mehr Passagiere mitnehmen.«

Der Mann warf einen Blick auf das Schiff. »Bermudas genügt.« Er wandte sich an Demille und Carron. »Gehen Sie beide an Bord dieses Schiffes?«

»Ich schon«, antwortete Demille, »aber André hier nicht.«

Der Belgier wandte sich an den jüngeren Mann. »Ich habe einen Neffen in der Nähe von Rouen. Könnten Sie veranlassen, dass mein Auto zu ihm gebracht wird?« Er zog eine Visitenkarte und einen belgischen Tausend-Franc-Schein aus der Tasche.

»Ja, natürlich.« Carron beäugte den Geldschein. »Ich kann es selbst hinbringen.«

Der Mann schrieb einen Namen und eine Adresse auf die Rückseite der Karte und reichte sie zusammen mit dem Geld Carron. Der junge Pariser betrachtete die Karte von beiden Seiten, als er das Geld einsteckte.

»Ja, Monsieur … Martin«, las Carron den Namen ab, der auf der Vorderseite der Karte aufgedruckt war.

Martin reichte ihm die Autoschlüssel. »Bitte behandeln Sie das Fahrzeug mit aller angemessenen Sorgfalt. Es ist eine Sonderanfertigung.«

Martin ging zu dem Auto und nahm zwei Hartschalenkoffer von dem Rücksitz sowie eine kleine Reisetasche. Als er die Tür schloss, ertönte eine Sirene und einige Sekunden später folgte der dumpfe Knall einer Explosion. Alle Augen richteten sich auf die schwarze Rauchwolke, die in einem entfernten Teil des Hafens aufstieg.

Demille entdeckte zwei dunkle Objekte am Himmel, die immer größer wurden. Sekunden später materialisierten sie sich zu zwei Junkers Ju 87, mit ihren charakteristischen gebogenen Tragflächen, die über den Himmel rauschten. Nervös beäugte Demille die schwarz-weißen Kreuze auf ihren Flügeln. Eines der Flugzeuge trug noch eine Bombe auf seinem Untergestell.

Die deutschen Sturzkampfbomber, sogenannte Stukas, flogen bis zum Ende des Handelsdocks, wo sie sich trennten. Die eine, mit der Bombe, beschrieb einen eleganten Bogen, um höher zu steigen. Das zweite Flugzeug beschrieb eine schärfere Kurve und behielt seine niedrige Höhe bei, während es über dem Hafen abdrehte und dann direkten Kurs auf die Jupiter nahm.

»Leinen los!«, rief der Schiffsführer. »Alle Mann an Bord! Bereit machen zum Auslaufen!« Als er auf die Brücke eilte, blieb er bei dem Kranführer stehen. »Schaffen Sie diese Kiste an Bord und sichern Sie den Ladearm.«

Als der Kranführer das Kabel straffte, ließen die beiden Besatzungsmitglieder ihre Werkzeuge fallen und rannten zur Gangway. Aber sie kamen nicht weit, als sie hinter einigen rostigen Pollern Deckung suchten. Über ihnen knatterte Maschinengewehrfeuer, als sich das Sturzkampfflugzeug näherte. Der Kai, das Schiffsdeck und schließlich auch der Liegeplatz explodierten unter dem Einschlag von Schrapnellen, als die beiden 7,92-Millimeter-MG17-Geschütze das Feuer eröffneten. Die Geschosse zogen eine Schneise der Verwüstung über den Kai, bevor das Flugzeug wieder aufstieg und in Richtung der Skyline der Stadt weiterflog.

Als es über sie hinwegdonnerte, warfen sich Carron und Demille auf den Boden und rollten sich unter die Ladefläche ihres Lastwagens. Die Flüchtlinge, die vor dem Angriff flohen oder unter Beschuss gerieten, schrien laut. Das Flugzeug verschwand hinter dem Hügel und einen Moment lang herrschte Ruhe. Dann brach das blanke Chaos aus.

Schreie hallten über das Deck der Jupiter, als Besatzungsmitglieder sich beeilten, die Leinen zu lösen. Vor den beiden Männern rutschte die Kiste über den Zement, als der Kranführer das Kabel wieder spannte. Demille sprang auf, um zu der Kiste zu sprinten, zögerte jedoch, als er neben sich ein Stöhnen hörte.

Der Mann namens Martin lag angestrengt keuchend neben seinem Auto auf dem Boden. Demille eilte zu ihm, um ihm zu helfen, aber er sah sofort, dass es für den Mann keine Hoffnung mehr gab. Martins weißes Hemd war rot gefärbt, sein Anzug von Löchern übersät. Demille schob einen Arm unter den Nacken des Mannes und hob seinen Kopf an.

Martins Augen waren bereits glasig, aber dann fokussierten sie sich noch einmal scharf auf Demille. »Meine Koffer … Sie müssen außer Landes gebracht werden.« Er drehte sich um und hustete Blut. »Nehmen Sie sie mit. Bitte. Meine Bank wird sich später deswegen mit Ihnen in Verbindung setzen.«

Demille starrte den niedergestreckten Mann an. Sein Herz hämmerte wie wild. »Ja«, sagte er nur.

Martin lächelte schwach, dann wich das Leben aus seinem Körper.

»Marcel!«, rief Carron. »Sie müssen jetzt an Bord gehen!«

Demille ließ Martins Kopf sanft auf den Boden sinken und nahm dann die beiden schweren Koffer. Er drehte sich um und sah, wie seine Kiste über das Dock geschleift wurde, bevor sie in die Luft gehoben wurde. Die beiden Besatzungsmitglieder, die ihm helfen sollten, waren bereits wieder auf dem Schiff und zogen die Gangway ein.

»Nehmen Sie den Hammer«, rief er Carron zu und deutete auf die Werkzeuge auf dem Dock. Demille lief rasch zu der Kiste und zwängte Martins Koffer hinein.

Carron kam mit dem Hammer und einer Handvoll Nägel zu ihm. »Ich sichere sie. Gehen Sie jetzt an Bord.«

Demille klopfte seinem Assistenten auf die Schulter. »Machen Sie es gut, mein Freund.« Die Jupiter begann schon, sich vom Kai zu entfernen, als Demille zur Anlegestelle sprintete. Er warf einen Blick nach links, wo sich die große Kiste vom Kai hob und wild schwankend in der Luft baumelte. Das beschädigte Ende schien geflickt zu sein. Carron war es gelungen, einige Bretter vor die kaputte Seite zu nageln.

Demille sprintete zur Kante des Docks und sprang über eine Lücke von mehreren Fuß offenen Wassers. Er schlug hart gegen die Seitenreling und der Aufprall trieb ihm die Luft aus der Lunge. Beinahe wäre er in den Hafen gestürzt, aber ein Besatzungsmitglied packte ihn am Kragen und hievte ihn auf das Deck.

»Das war knapp, mein Freund«, sagte der Seemann.

Demille erhob sich und nickte ihm dankend zu. Dann richtete er den Blick auf die Kiste, die an dem Kabel hing. Das wilde Schwanken hatte sich so weit beruhigt, dass der Kranführer sie auf dem Bugdeck absetzen konnte, kurz vor dem vorderen Laderaum. Demille hielt den Atem an, aber die Kiste schien keinen weiteren Schaden erlitten zu haben, als das Kabel über ihr erschlaffte. Auf dem Dock winkte ihm Carron zum Abschied zu, und der Kurator erwiderte die Geste.

Aber seine Erleichterung erlosch, als ein mechanisches Heulen hoch über ihm ertönte. Das zweite Sturmkampfflugzeug kreiste über ihm und stieg dann auf eine Höhe von fünfzehntausend Fuß. Danach senkte der Pilot das Flugzeug in einen vertikalen Sturzflug, die Nase direkt auf die Jupiter gerichtet. Als der Kampfbomber beschleunigte, stießen zwei kleine Sirenen an dem Fahrwerk, die so genannten Jericho-Trompeten, einen schrillen Heulton aus, der immer lauter und schriller wurde, je mehr das Flugzeug sank.

Schwarzer Rauch quoll aus dem Schornstein der Jupiter, als der Kapitän das Schiff verzweifelt vom Kai wegmanövrierte. Durch die Rauchschwaden beobachtete Demille, wie das Kampfflugzeug auf sie zugerast kam. Als sich die Bombe im Fahrwerk des Stuka löste und das Flugzeug wieder zu steigen begann, ließ sich Demille auf das Deck fallen und rollte gegen die Kiste.

Die Bombe schien in der Luft zu hängen, während die Schiffsschraube der Jupiter mit vollem Schub das Wasser des Hafens aufwühlte und das alte Schiff langsam vom Kai wegzog. Sie entging ganz knapp einem Volltreffer.

Die Bombe schlug nur wenige Meter vor dem senkrechten Bug der Jupiter im Wasser ein und detonierte mit einem ohrenbetäubenden Knall. Das Schiff wurde durchgeschüttelt, und eine Wasserfontäne spritzte auf Demille und seine Kiste. Aber die Jupiter blieb unversehrt. Der alte Dampfer drehte ab, die Maschinen gingen auf volle Kraft voraus und er nahm Kurs durch das Hafenbecken auf die offene See. Da der Stuka über keine weitere Bombe und auch nur noch wenig Treibstoff verfügte, brach der Pilot den Angriff ab und flog nach Osten, zu einem von den Deutschen eroberten Flugplatz in Flandern.

Der Erste Offizier der Jupiter tauchte an Deck auf und half Demille hastig auf die Beine.

»Geht es Ihnen gut, Sir?«

»Ja«, antwortete Demille und klopfte seine Kleidung ab. »Ich hatte nicht erwartet, dass der Krieg gerade heute Morgen zu uns kommen würde.«

»Ich fürchte, er ist zu uns allen gekommen.« Der Offizier deutete auf die große, wassertriefende Kiste. »Das war auch knapp, was Ihre Fracht angeht. Darf ich fragen, was da drin so wichtig ist, dass es Frankreich verlassen muss?«

Demille warf einen kurzen Blick auf die Küste seines geliebten Landes, die hinter ihnen zurückblieb. Dann wandte er sich zu dem Offizier um und sah ihn verloren an.

»Dies hier«, sagte er und rieb ehrfürchtig die Seite der Kiste, »ist nichts weniger als die Seele Frankreichs.«

Teil I

##Fahre in die Seine

Palmachim, Israel

Fünfzehnter Februar 2025 

Ein heller Halbmond malte silberne Flüsse über das Mittelmeer und erhellte zwei dunkle Objekte, die ans Ufer glitten. Die schwarzen Schlauchboote waren mit jeweils sechs Elitesoldaten besetzt und wurden von fast geräuschlosen Elektromotoren durch die leichte Brandung geschoben. Als die Fiberglasrümpfe über den Sand kratzten, sprangen die Männer heraus, zogen die Boote an Land und versteckten sie in einer von den Gezeiten ausgehöhlten Rinne.

Dann entledigten sich die Männer der weiten schwarzen Overalls, unter denen Wüstenuniformen zum Vorschein kamen. Sie zogen sich sandfarbene Sturmhauben über den Kopf, über die sie grüne Stirnbänder mit arabischen Schriftzeichen und dem Logo eines bewaffneten Mannes banden, der eine Flagge und den Koran hielt. Das Emblem des militanten Flügels der palästinensischen Hamas-Organisation, der sogenannten Qassam-Brigade.

Die beiden Teams bauten sich vor ihrem Anführer auf, einem dicken, gebieterischen Mann mit dunklen, grimmigen Augen. Als er sich den Männern zuwandte, hob Henri Nassar eine Hand.

»Wir treffen uns in neunzig Minuten wieder an dieser Stelle«, sagte er leise. »Keine Sekunde später. Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Abrücken.« Der gebürtige Libanese Nassar war auf den brutalen Straßen von Marseille aufgewachsen. Seine Jugend war von einer Reihe von Überfällen und kleinen Verbrechen geprägt, bis er bei einer lokalen Gangschießerei ans Messer geliefert worden war. Die Anklage gegen ihn wurde fallen gelassen, als er sich bereit erklärte, in die französische Armee einzutreten. Dort entwickelte er einen Sinn für Disziplin, der seine Härte – die er sich auf der Straße angeeignet hatte – ergänzte. Schon bald wurde er Fallschirmspringer in der Fremdenlegion und stellte fest, dass er eine natürliche Begabung zum Krieger hatte.

Einsätze in Afghanistan, im Tschad und in Mali formten seine Fähigkeiten und machten ihn zu einem attraktiven Kandidaten für eine Tätigkeit als Söldner. Nach mehreren Jahren in Afrika, in denen er auf beiden Seiten des Gesetzes kämpfte, fand er eine noch lukrativere Stelle im Sicherheitsdienst eines Unternehmens. Gelegentlich bedauerte er zwar die Langeweile des Jobs, aber sein Arbeitgeber operierte auf der dunklen Seite und schickte ihn wieder ins Feld zurück, wo sein Herz am schnellsten schlug.

Während sich das erste Einsatzteam nach Süden bewegte, führte Nassar selbst das zweite Team landeinwärts, entlang eines schmalen, knöcheltiefen Wasserbeckens. Sie folgten dem Einschnitt eine halbe Meile weit, kletterten dann das niedrige Ufer hinauf und gelangten auf ein hügeliges Gelände mit Gestrüpp und Staub. Eine asphaltierte Straße kreuzte ihren Weg und führte nach Norden zu einem riesigen Industriegebiet, das von Reihen von Scheinwerfern, die an hohen Masten hingen, erleuchtet wurde. Die Sorek-Entsalzungsanlage war eine der größten Umkehrosmoseanlagen der Welt. Sie entnahm dem Mittelmeer Meerwasser und produzierte täglich 165 Millionen Liter Süßwasser, also mehr als zwanzig Prozent des gesamten israelischen Trinkwassers. Das umzäunte und bewachte Gelände erstreckte sich über eine halbe Meile und umfasste Dutzende von offenen Aufbereitungsbecken und mehrere riesige Gebäude, in denen Tausende von halbdurchlässigen Membraneinheiten untergebracht waren, die das Meerwasser unter hohem Druck filterten.

Nassar führte das Team am Straßenrand entlang, weit am Haupteingang vorbei, überquerte dann den Asphaltstreifen und schlug einen Bogen zur Rückseite des Komplexes. Die Söldner liefen schnell an einem hohen Maschendrahtzaun entlang, bis Nassar gegenüber einer großen Wellblechhalle stehen blieb. Auf sein Signal hin zündeten zwei Männer schwere Rauchkanister und warfen sie über den Zaun. Als sich eine dicke weiße Wolke ausbreitete, schnitt ein dritter Mann mit einer Drahtschere ein großes Loch in den Zaun.

Die Söldner schoben sich rasch durch das Loch in den Komplex hinein und sprinteten durch den Rauch bis zum Rand des Gebäudes. Die Bewegungsmelder am Zaun waren durch den Rauch funktionsunfähig gemacht worden, sodass ihre Präsenz nur zufällig entdeckt werden konnte – von den Wachen, die die Videoeinspeisungen der Umgebung am Haupteingang beobachteten.

Das Team rückte bis zum Ende des Gebäudes vor und teilte sich dann in zwei Gruppen auf. Drei Männer gingen in Richtung Süden, zu einem erdgasbefeuerten Kraftwerk, das die Anlage mit Strom versorgte. Nassar und zwei weitere Männer folgten dicht hinter ihnen und bogen dann zu einem Gebäude mit Metallwänden ab, aus denen an einer Seite mehrere große weiße Rohre herausragten.

Das war die Hauptpumpstation, das Herzstück des gesamten Betriebs. Im Inneren saugten dreizehn riesige Pumpeneinheiten das Wasser aus dem Meer an und leiteten es unter hohem Druck durch verschiedene Filterstufen und die Umkehrosmoseanlage.

Nassar trat durch eine Seitentür ein und zögerte bei dem Anblick, der ihn im Inneren erwartete. In dem hohen Raum befand sich ein Labyrinth von Rohren, die in alle möglichen Richtungen verliefen und mit einer Reihe großer Pumpen im Hauptgeschoss verbunden waren. Es war heiß und laut, denn die elektrischen Pumpen befanden sich in vollem Betrieb.

Nassar suchte das dreistöckige Innere ab. Zwei Männer mit gelben Schutzhelmen standen in der Nähe und überwachten eine Schalttafel. Ein dritter Mann ging langsam hoch über ihnen über einen Laufgang, während er ein Klemmbrett konsultierte.

Nassar richtete sein Gewehr auf den Mann über ihm, während sich seine Kameraden der Schalttafel näherten. Schüsse krachten, als sie mit ihren AK-47 das Feuer eröffneten und die drei Techniker niedermähten. Als die Schüsse verstummten, fiel das Klemmbrett herunter und landete klappernd neben Nassar auf dem Boden, gefolgt von Blutstropfen. Er wich den Blutspritzern aus und näherte sich der Konsole, um sich zu vergewissern, dass alle Pumpen in Betrieb waren, während sich seine beiden Kameraden an die Arbeit machten. Sie sprangen in die Grube, in der die roten Pumpen standen, öffneten ihre Rucksäcke und holten kleine Päckchen Formex-P1-Plastiksprengstoff heraus, eines für jede Pumpe.

Die Sprengladungen waren mit Zeitzündern und Zündvorrichtungen versehen, die einfach zu aktivieren waren. Die beiden Söldner gingen von Pumpe zu Pumpe, befestigten die selbstklebenden Sprengladungen am Sockel einer jeden Maschine und aktivierten die Zeitzünder. Sie hatten die Hälfte der Halle durchquert, als in der Ferne eine Alarmsirene ertönte.

Nassar bezog Position an der Tür und wartete, die Waffe im Anschlag, während die letzten Ladungen angebracht wurden. Als die beiden anderen Männer zu ihm kamen, stürmte er durch die Tür auf den Asphalt vor der Halle. Ein kleiner Security-Jeep mit orangefarbenem Blinklicht auf dem Dach fuhr gerade an dem Gebäude vorbei. Der Fahrer bremste, als er Nassar erblickte. Der Beifahrer des Lastwagens sprang mit einer Uzi in der Hand heraus, und einige Sekunden später folgte der Fahrer. Der erste Mann trat von dem Lkw weg und schrie Nassar etwas auf Hebräisch zu. Nassar antwortete mit zwei Salven und streckte beide Männer mit tödlicher Präzision nieder. Dann näherte er sich den gefallenen Sicherheitsleuten, während die beiden anderen Söldner zu ihm eilten. Der Beifahrer lag tot neben dem Kühlergrill des Lastwagens, aber der Fahrer lebte noch. Er lehnte sich an den vorderen Kotflügel und hielt sich mit einer blutverschmierten Hand den Bauch.

Einer der Söldner hob seine Waffe, um die Sache zu beenden, aber Nassar hinderte ihn mit einer Handbewegung daran. Er wollte, dass der Sicherheitsmann als Zeuge am Leben blieb.

Dann trat Nassar vor den Jeep und hob seine Waffe in den Himmel.

»Allahu Akbar!«, schrie er, daraufhin nickte er seinen Kameraden zu, die den Ruf wiederholten. Nassar feuerte eine Salve aus seiner Waffe ab, um die Wirkung zu verstärken. Dann drehten sich die drei Männer um und verschwanden in Richtung des hinteren Zauns.

Überall auf dem Gelände ertönten jetzt Sirenen, und am anderen Ende des Geländes tauchten mehrere Security-Fahrzeuge auf. Schüsse knallten, als sie das Loch im Zaun erreichten und hastig hindurchkrochen. Dann bezogen die drei Männer eine Verteidigungsposition und warteten.

Nach wenigen Minuten hörten sie die Schritte der drei anderen Söldner. Ein Jeep umrundete das Gebäude rechts von ihnen und erfasste die flüchtenden Männer im Scheinwerferlicht.

Nassar und seine Männer eröffneten sofort das Feuer und durchsiebten die Fahrerkabine des Wagens. Die Windschutzscheibe zerbarst in einem halben Dutzend Spinnweben, und der Fahrer sackte auf das Steuer. Das Fahrzeug scherte aus und krachte ungebremst gegen das Gebäude. Das zweite Einsatzteam erreichte die Zaunöffnung und zwängte sich hastig hindurch. Nassar führte die beiden Teams zügig, aber ohne Hast an dem Werksgelände entlang, überquerte die Straße und sprang wieder in den Entwässerungsgraben. Nassar hatte das Team mit anstrengenden Trainingsläufen vorbereitet, sodass sie alle gleich fit waren und die Gruppe sich wie ein einziger dunkler Schatten bewegte.

Am Strand trafen sie sich mit dem zweiten sechsköpfigen Team, das erst wenige Minuten zuvor angekommen war. Beide Teams zogen wieder ihre schwarzen Overalls über, um ihre Flucht fortzusetzen.

»Rapport!«, befahl Nassar dem Leiter des anderen Teams, einem großen, drahtigen Mann namens Hosni Samad.

»Keinerlei Widerstand, bis wir unterwegs nach draußen waren. Alle Sprengladungen wurden platziert und aktiviert.«

Entlang der ganzen Küste ertönten Sirenen, als Sicherheitskräfte und Rettungskräfte sich auf den Weg zu der Entsalzungsanlage machten. Nassar gab den Söldnern den Befehl, die Gummiboote in die Brandung zu schieben, und nun verließen die getarnten Killer die israelische Küste so unbemerkt, wie sie gekommen waren.

Fünf Meilen vor der Küste wartete ein Öltanker mit gelöschten Positionslampen auf sie. Sobald die Kommandos an Bord waren, wurden die beiden Schlauchboote versenkt, zusammen mit den Waffen aus russischer Produktion und den Wüstenkampfanzügen. Falls das Schiff geentert und inspiziert wurde, wollte Nassar sicherstellen, dass keinerlei Beweise sie mit dem Angriff in Verbindung bringen konnten.

Der Söldnerführer machte sich auf den Weg zu der hohen Heckbrücke, wo ein Mann mit einem wettergegerbten Gesicht am Ruder des Schiffes stand und sich zu ihm umdrehte. »Der Boss wartet auf einen Bericht«, sagte er mit gutturaler Stimme. »Sind Sie erfolgreich gewesen?«

Nassar betrachtete einen an der Wand befestigten Chronographen, dann nahm er einen Feldstecher hoch. Gelassen trat er auf einen Brückenflügel und blickte auf die weitgehend dunkle Küste. Kurz darauf ertönte in der Ferne eine ganze Kette von Explosionen. Die Feuerbälle erschienen am Horizont zwar klein, ihr dumpfes Echo aber war bis zu ihrer Position auf See zu hören.

Nassar genoss den Anblick einen Moment lang, dann legte er das Fernglas wieder zur Seite und drehte sich mit einem süffisanten Grinsen zu dem Kapitän des Schiffes um. »Ich denke, da haben Sie Ihre Antwort.«

Der Englische Kanal

April 2025 

Die Küstenlinie der Normandie erstreckte sich wie ein Band aus karamellisierter Zuckerwatte über den südlichen Horizont. Ein leichter Dunst hing in der Luft und widersetzte sich einer stetigen auflandigen Brise, die für ständigen Wellengang im Kanal sorgte. Die Bedingungen waren so verlockend, dass sich eine ganze Legion von Wochenendseglern aufs Wasser wagte. Dutzende von Booten jagten mit wehenden weißen Segeln dem Wind hinterher. Eine Gruppe kleinerer Boote, deren Bug vollkommen parallel zur Küste ausgerichtet war, lieferte sich eine Segelregatta.

Von Norden her näherte sich der Regatta ein türkisfarbenes Vermessungsschiff wie ein Wal auf der Jagd nach einem Makrelenschwarm. Gemessen glitt es durch die Wellen, und vom Heck hing ein Schleppseil in das aufgewühlte Kielwasser. Das Schiff hatte einen stabilen Trimaran-Rumpf, der es ihm ermöglichte, die Wellen mit gelassener Eleganz zu durchfurchen. Auf der modernen Brücke stand ein großer, hagerer Mann mit dunklem Haar, der mit seinem Feldstecher den Schiffsverkehr eine Meile voraus beobachtete.

»Sie bewegen sich in einer Gruppe nach Westen«, sagte Dirk Pitt. »Halten Sie sich weiter an die Vermessungslinie. Wenn es keine Nachzügler gibt, werden sie uns wohl nicht in die Quere kommen.«

Harvey Boswick, der kahlköpfige Kapitän des Forschungsschiffes Pelican, nickte. »Ich glaube, Sie haben recht«, sagte er mit kehligem Bariton. »Aber wenn wir einen Hobie Cat überfahren, werde ich Sie auffordern, den Schaden zu bezahlen.«

Pitt lachte. Als Direktor der National Underwater and Marine Agency war er nicht nur für das NUMA-Schiff Pelican, sondern auch für viele andere Einrichtungen verantwortlich. Die Bundesbehörde verfügte über eine ganze Flotte von ozeanografischen Forschungsschiffen, Tauchbooten und autonomen Fahrzeugen, die die Tiefen der Meere erkundeten und alles verfolgten, von Taifunformationen bis zu Walrosswanderungen.

Als erfahrener Taucher und Pilot weigerte sich Pitt, sich durch seine Führungsaufgaben in der NUMA-Zentrale in Washington, D. C., einschränken zu lassen. Er war nie weit vom Wasser entfernt und nahm sich das ganze Jahr über Zeit, auch persönlich Feldprojekte zu leiten. Er bestand darauf, nah am Geschehen und an seinem engagierten Team der Geologen, Ozeanografen und Meeresbiologen, die zu der Behörde gehörten, zu bleiben.

»Halten Sie nur das Steuer ruhig«, sagte er zu Boswick. »Ich vertraue darauf, dass Sie keine neue Kühlerfigur mitnehmen.«

»Gibt es Probleme?«, rief eine weibliche Stimme mit französischem Akzent.

Pitt ging zum hinteren Teil der Brücke und steckte seinen Kopf in einen engen Raum, der mit Videomonitoren übersät war. Eine zierliche Frau mit glattem schwarzem Haar saß vor einem Monitor mit geteiltem Bildschirm und starrte auf eine Live-Videoübertragung. Die eine Hälfte des Bildschirms zeigte eine Deckswinde und ein Schleppseil, das durch ein Portal am Heck des Schiffes gespannt war und ins Wasser ragte. Auf der anderen Hälfte war ein goldfarbenes Sonarbild des Meeresbodens zu sehen.

Mit einem erwartungsvollen Blick ihrer großen haselnussbraunen Augen sah sie von dem Monitor zu Pitt hinüber.

»Vor uns gibt es etwas Bootsverkehr«, sagte Pitt.

Brigitte Favreau rümpfte die Nase. Die Französin war eine junge Forscherin, die sie vom Meeresinstitut in Le Havre ausgeliehen hatten. Das war eine lokale Nichtregierungsorganisation, die sich der Meeresforschung und -lehre widmete. »Sollen wir den Sonarfisch bergen?«

In ihrem Schoß lag eine Fernsteuerung für die Winde, mit der sie das am Schleppseil hängende Sonargerät über dem Meeresboden positionierte.

»Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird, obwohl wir von unserer Vermessungslinie vielleicht abweichen müssen.« Pitt deutete auf einen Wandmonitor, der den Weg des Schiffes entlang eines Grundlinienrasters anzeigte.

»Wenn es nur ein bunter Haufen Freizeitsegler ist, hup’ sie kräftig mit dem Signalhorn an und halte Kurs«, sagte Al Giordino von der anderen Seite des Raums. Der bullige Mann, der die Abteilung für Unterwassertechnologie der NUMA leitete, drehte sich von einem separaten Bildschirm mit Sonaraufnahmen weg und grinste Pitt teuflisch an.

»Gute Idee«, sagte dieser. »Ich werde den Kapitän bitten, die Geschwindigkeit zu erhöhen.«

Brigitte wurde blass, was beide Männer mit einem Lachen quittierten.

»Als Gast in französischen Hoheitsgewässern«, beruhigte Pitt sie, »wäre es wahrscheinlich nicht in unserem Interesse, ein paar einheimische Segler, die einen schönen Frühlingstag genießen wollen, einfach auf den Meeresboden zu schicken.«

Nun malte sich Erleichterung auf Brigittes Gesicht ab. »Das wäre allerdings eine besonders unschöne Weise, unser gemeinsames Projekt zu beenden.«

Die Präsenz der NUMA in Frankreich war das Ergebnis eines Abkommens mit der französischen Regierung. Die französische ozeanografische Tiefseeflotte hatte die NUMA sechs Monate zuvor bei einem Projekt zur Kartierung von Unterwasservulkanen im Südatlantik unterstützt. Im Gegenzug hatte sich die NUMA bereit erklärt, im Rahmen eines vom Marineinstitut in Le Havre verwalteten Projekts einen Teil der Küste der Normandie nach Wracks aus dem Zweiten Weltkrieg abzusuchen. Pitt hatte bereits einige Jahre zuvor an einem ähnlichen Projekt vor den Landestellen Omaha und Utah Beach mitgewirkt und war begeistert, dass er jetzt Gelegenheit bekam, nach weiteren Wracks von Kriegsschiffen zu suchen.

Das neu anvisierte Untersuchungsgebiet lag weit östlich der D-Day-Anlandeplätze, aber nach den lokalen Geschichten zu urteilen, konnten in diesem Gebiet eine Reihe nicht identifizierter Wracks zu finden sein. Brigitte hatte bei der Ausarbeitung der Suchparameter mitgeholfen und sich auf ein Gebiet konzentriert, für das es bisher keine Vermessungsdaten gab. Obwohl das Wetter mitgespielt hatte und die Vermessungsausrüstung einwandfrei funktionierte, war das Team enttäuscht, weil es bisher nur ein einziges Schiffswrack entdeckt hatte. Und das war ein kleines Fischerboot, das in den 1950er-Jahren gesunken war.

Bislang hatte sich die Theorie hinsichtlich schwerer Verluste aus dem Zweiten Weltkrieg in diesem Gebiet als falsch erwiesen.

Als sich die Pelican dem Ufer näherte, entfernten sich die Segelboote allmählich von dem Kurs des NUMA-Schiffs. Alle bis auf eines, eine rote Segeljolle mit zwei Teenagern an Bord, die offenbar Mühe hatten, ihr Boot in den Wind zu drehen.

Kapitän Boswick behielt das kleine Boot genau im Auge, bis es schließlich den Bug nach Osten drehte und die volle auflandige Brise einfing. Der Kapitän atmete auf, als es ihren Kurs verließ und sich in Richtung der anderen Segelboote bewegte. Aber es legte nur eine kurze Strecke zurück, bevor es eine Wende in den Wind machte. Der Junge an der Pinne hatte das Ruder losgelassen, als sie von einer Welle getroffen worden waren.

Das Boot verharrte einen Augenblick auf der Stelle, als sein Segel erschlaffte. Dann drückte die Strömung seine Nase nach Westen. Innerhalb eines Herzschlags füllte sich das Segel wieder und drückte die Jolle in die entgegengesetzte Richtung. Das Boot schoss nach vorn und genau auf den Bug des NUMA-Schiffs zu.

Sowohl Pitt als auch Boswick erkannten die Gefahr sofort.

»Sonar hoch!«, schrie Pitt, während Boswick das Steuer herumriss und die Maschinen auf Stopp schaltete.

»Ich habe da etwas!«, rief Giordino, der die Sonaranzeige nicht aus den Augen gelassen hatte.

Ihm gegenüber schnappte sich Brigitte die Steuerung der Winde und drückte auf einen der Schaltknöpfe. Aber statt die Aufwickelspule zu aktivieren, ließ sie mehr Kabel abrollen. Dadurch – und auch, weil das Schiff drastisch langsamer wurde – sank der Sonarschleppfisch wie ein Stein auf den Meeresboden.

Giordino beobachtete, wie die Form eines Wracks auf dem Monitor erschien. Doch plötzlich verzerrte sich das Bild. Eine Sekunde später wurde der Bildschirm schwarz. Er sah Brigitte an. »Haben wir den Fisch verloren?«

Brigittes Herz hämmerte, als sie ihren Fehler bemerkte. Sie drückte auf einen anderen Knopf und starrte auf das Kamerabild der Heckkamera, während das Kabel aufgewickelt wurde. Als sie in der Nähe des Kabelendes eine gelbe Markierung bemerkte, verlangsamte sie das Tempo und musste dann entsetzt mitansehen, wie ein ausgefranstes Kabelende aus dem Wasser schoss.

Giordino sah an ihrer Miene, dass der Sonarfisch tatsächlich auf dem Wrack verloren gegangen war, und er markierte sofort ihre Position.

Vorn auf der Brücke versuchte Boswick immer noch, dem Segelboot auszuweichen. Schließlich packte einer der beiden Jugendlichen die Pinne und wendete, als die Pelican nach rechts abdrehte und zum Stehen kam. Die Jungen winkten dem NUMA-Schiff freundlich zu, als sie schließlich auf den richtigen Kurs schwenkten und den anderen Booten folgten.

»Das hat mir ein paar graue Haare gemacht.« Boswick strich sich mit einer Hand über seinen kahlrasierten Kopf. »Und dabei hab ich kaum noch welche.«

»Ein bisschen Aufregung war wohl überfällig«, meinte Pitt. Sobald das kleine Segelboot weit genug von der Pelican entfernt und in Sicherheit war, nahm Boswick Fahrt auf und setzte Kurs entlang der Vermessungslinie. Pitt trat wieder in die Beobachtungsnische. »Wie geht es unserem Fisch?«

Aber der schwarze Monitor, Giordinos gerunzelte Stirn und Brigittes ernste Miene waren Antwort genug.

Giordino schüttelte den Kopf. »Er ist nur noch ein Croissant.«

»Es tut mir so leid«, sagte Brigitte. »Das war alles meine Schuld. Ich habe die Winde in die falsche Richtung laufen lassen.«

Pitt bemerkte den verzweifelten Blick in den hübschen Augen der jungen Frau. Sie war eine erfahrene Ozeanografin, die sich in der Offshore-Forschung auskannte, aber zugegebenermaßen wenig Erfahrung mit der Jagd auf Schiffswracks hatte.

»Habt ihr etwas auf dem Meeresboden geküsst?«, fragte Pitt.

»Ja genau, und das ist die schlechte Nachricht«, antwortete Giordino. »Die gute Nachricht ist, dass er sich in einem Wrack verfangen hat. Mit ein bisschen Glück finden wir ihn dort.«

Er spulte die digitale Sonareinspeisung zurück bis zu der Stelle des Bodenscans, an dem das Kabel gerissen war. Kurz bevor der Bildschirm schwarz wurde, war der scharfe Schatten des Bugs eines versunkenen Schiffes deutlich zu erkennen.

»Hast du die genaue Position?«, wollte Pitt wissen.

»Ich kann uns ziemlich nah ranbringen. Es liegt in etwa achtzig Fuß Tiefe, man kann also hinabtauchen.«

»Ich werde Harvey bitten, uns dorthin zu bringen, dann können wir es genauer ansehen.«

Brigitte war wegen ihres Fehlers noch immer leichenblass. Der verloren gegangene Sonarfisch war ein ausgesprochen teures elektronisches Gerät. Und ihr Institut war finanziell nicht sonderlich gut gestellt. Die NUMA für die Kosten des Geräts zu entschädigen, würde ihre Organisation hart treffen und Brigitte möglicherweise sogar ihren Job kosten. Pitt sah ihre Sorge und lächelte sie an.

»Machen Sie sich keine Sorgen. Al und ich erlegen vielleicht nicht viel mit Rute und Rolle, aber unter Wasser sind wir unschlagbar, was das Einfangen von Fischen angeht, die nicht wegschwimmen können.«

Kapitän Boswick steuerte die Pelican zu den von Giordino markierten Koordinaten und positionierte das Schiff genau über der Stelle, an der das Sonargerät verloren gegangen war.

Auf dem Achterdeck warf Pitt eine Markierungsboje über Bord, die an einer beschwerten Tauchleine befestigt war. Dann trat er zu Giordino in eine nahe gelegene Ausrüstungsnische, wo die beiden Männer Trockenanzüge und Tauchausrüstung anlegten. Ein NUMA-Besatzungsmitglied half ihnen mit den Sauerstoffflaschen und Atemgeräten, während Brigitte die umliegende See nach möglichem Schiffsverkehr absuchte.

Die beiden Taucher stiegen auf eine hydraulische Plattform am Heck des Schiffes und setzten sich auf den Rand. Pitt ließ sich zuerst vornüber ins Meer fallen. Er landete in dem kühlen Wasser und verschwand schnell unter der Oberfläche.

Das Wasser war trüb, und Pitt spürte den Sog einer seitlichen Strömung, als er ein paar Meter hinabtauchte, bevor er sich auf den Weg zur Tauchleine machte. Giordino tauchte ein paar Sekunden später neben ihm auf und gab ihm das Okayzeichen. Beide Männer glichen den Druck in ihren Ohren aus und schwammen weiter hinab.

Das Wasser wurde immer klarer, je tiefer sie tauchten, aber hier unten wurde das Licht auch sehr stark gefiltert. Als sie den Meeresboden erreichten, sah es um sie herum wie in einer Sandwüste aus, und zwar in der Dämmerung. Die karge, hügelige Oberfläche erstreckte sich, soweit sie sehen konnten, und das waren etwa dreißig Fuß. Nichts war zu erkennen, was einem Schiffswrack ähnelte. Giordino prüfte seinen Kompass am Handgelenk und zeigte nach Norden. Die beiden Männer traten mit ihren Schwimmflossen Wasser und schwammen in diese Richtung, ein paar Fuß über dem Meeresgrund.

Obwohl das Wasser kalt, die Sicht nur mäßig und Meeresflora und -fauna so gut wie nicht vorhanden war, wurde Pitt von reiner Lebensfreude durchströmt. Es bereitete ihm immer noch Nervenkitzel, sich unter Wasser zu wagen, selbst nach unzähligen Tauchgängen. Er fühlte sich unter Wasser ruhig und gelassen, während seine Sinne gleichzeitig auf das Äußerste gefordert waren. Indem er mit gemessenen Beinschlägen durch das trübe Wasser glitt, erforschte sein neugieriger Geist die ewigen Geheimnisse, die sich ihm in einer Welt boten, die den meisten Menschen fremd blieb. Pitt konnte immer Wunder unter der Oberfläche finden, sogar in der unermesslichen Weite des leeren Wassers.

Und dieses Wunder hier zeigte sich auf diesem Tauchgang etwa dreißig Meter später, als ein großer dunkler Schatten zu ihrer Linken erschien. Die beiden Taucher änderten den Kurs und näherten sich dem Wrack eines Schiffes, das auf dem Meeresgrund lag.

Es war kein großes Schiff, nach Pitts Schätzung vielleicht vierzig Meter lang. Der verfallene Zustand des Wracks deutete darauf hin, dass es schon seit vielen Jahrzehnten hier liegen musste. Obwohl es mit Schlick bedeckt und stark verkrustet war, konnte Pitt erkennen, dass es sich um eine Fähre handeln musste. Denn auf dem einzigen offenen Deck des Wracks standen die Überreste von zwei rostigen Limousinen.

Pitt schwamm auf das Schiff zu und näherte sich ihm vom Heck. Er nahm an, dass die Fähre auf der Überfahrt über den Ärmelkanal gewesen war, als sie sank, und dass ihr Bug in Richtung England zeigte. Als er näherkam, stellte er fest, dass der Heckspiegel und ein großer Teil des Hecks fehlten. Sie waren grob abgeschert worden. Nicht einmal Überreste davon waren in der Nähe des Wracks zu sehen.

Als sie sich dem Deck näherten, schwamm Giordino auf die Backbordseite und Pitt auf die Steuerbordseite des Wracks. Beide hielten dabei nach dem verschwundenen Sonarfisch Ausschau.

Pitt nahm sich einen Augenblick Zeit, um die beiden nebeneinanderstehenden Autos zu betrachten.

Bei diesen handelte es sich um Limousinen, die jedoch zu stark verrottet waren, um noch ihre Marken erkennen zu können. Die bauchigen Außenscheinwerfer und die geschwungenen Kotflügel verrieten ihm jedoch, dass sie etwa aus den 1930er-Jahren stammten. Bei näherer Untersuchung bemerkte er in einem der rostigen Kotflügel eine Reihe von Einschusslöchern.

Das fehlende Heck ergab nun einen Sinn. Die Fähre war im Krieg angegriffen worden und ihr Heck musste durch eine Bombe oder eine Artilleriegranate weggesprengt worden sein.

Pitt glitt über die alten Autos hinweg und schwamm weiter, parallel zu Giordino auf der gegenüberliegenden Seite. Er näherte sich der Brücke und stieg über ihr Dach so hoch, dass er auf das Vorderdeck hinuntersehen konnte. Ein leuchtend gelber Fleck fiel ihm ins Auge, und er sah den Sonarfisch unter sich, dessen Schleppkabelreste sich um ein korrodiertes Deckgeländer gewickelt hatten.

Giordino entdeckte den Fisch eine Sekunde später und gab Pitt ein Daumen-hoch-Zeichen, bevor er hinabtauchte, um den Fisch wieder einzufangen.

Pitt sank zum Backbordbrückenflügel hinunter. Die Seitentür stand offen, also schwamm er in den engen Raum. Er schaltete seine Taucherlampe ein, denn hier drinnen war es dunkel. Die vorderen Glasscheiben waren längst aus ihren Halterungen gefallen. In der Mitte der Brücke waren die Metallspeichen des Steuerruders grau korrodiert. Der Zustand des großen, aufrecht stehenden Kompassgehäuses dahinter wirkte etwas besser.

Eine Schicht Meeresalgen überzog die Vorderseite des Kompasses im Inneren des Gehäuses, aber das Messing im Inneren war erstaunlich unversehrt. Dass der Kompass überhaupt noch da war, verriet Pitt, dass das Wrack von einheimischen Tauchern bislang nicht entdeckt worden war. Sie hätten diese Apparatur längst abmontiert und mitgenommen.

Auf dem Deck der Brücke lagen Trümmer verstreut, von einer dunklen Schicht von Sediment bedeckt. Pitt fragte sich, ob wohl auch die Knochen der Brückenbesatzung im Schlamm verborgen lagen, aber er hatte kein Interesse daran, das herauszufinden. Dann richtete er seine Taucherlampe nach oben und bemerkte einen Chronometer, der noch immer über den vorderen Fenstern hing, wo sich seine Abgasblasen jetzt sammelten. Die Zeiger des Zeitmessers standen auf 10:40 Uhr und zeigten an, wann das Schiff sein Schicksal ereilt hatte. Er drehte sich um und durchquerte die Brücke. Als er sie gerade auf der Steuerbordseite verlassen wollte, glitt der Lichtstrahl seiner Lampe über zwei rechteckige Umrisse am hinteren Schott.

Er schwebte über den Gegenständen und strich mit der Hand darüber. Die Schicht aus angesammeltem Schlamm wirbelte durch das Wasser. Als sich die braune Wolke auflöste, sah Pitt, dass es zwei Metallkoffer waren, die dort nebeneinanderstanden. Er packte den Griff des ersten und zog vorsichtig daran, in der Erwartung, dass er sich in seiner Hand auflösen würde. Doch der gesamte Koffer ließ sich leicht von dem schlammigen Boden abheben. Er verstaute die Taschenlampe an seinem Anzug, nahm den zweiten Koffer und schwamm dann mit den beiden Behältern durch die Seitentür der Brücke hinaus. Er stieg auf das Brückendach, wo er auf Giordino traf, der gerade mit dem Sonarfisch in beiden Armen von dem Schiffsdeck hochschwamm. Giordino musterte Pitt durch seine Taucherbrille und schüttelte den Kopf, weil der mit seinen Koffern in jeder Hand wie ein Unterwassertourist aussah. Gemeinsam schwammen sie über die Fähre hinweg und zurück zu dem abgetrennten Heck und nahmen dann den gleichen Weg zurück, auf dem sie gekommen waren.

Durch den zusätzlichen Ballast kamen sie nur unbeholfen voran und mussten gegen die Strömung ankämpfen. Leicht hätten sie die Tauchleine verfehlen können. Aber beide hatten schon Tausende von Tauchgängen hinter sich gebracht, und sie glichen die unsichtbare Strömung intuitiv aus. Sie entdeckten die dünne Polypropylentauchleine und schwammen zu ihrer beschwerten Basis. Giordino nahm etwas überschüssige Leine auf und schlang einen provisorischen Gurt um den Sonarfisch. Er ließ noch ein Stück Leine übrig und reichte es an Pitt weiter. Der befestigte die beiden Koffer daran.

Sie überprüften ihre Tauchcomputer und begannen langsam den Aufstieg. Dabei legten sie eine kurze Dekompressionspause ein, bevor sie schließlich direkt neben der Tauchplattform auftauchten.

»Hast du ein paar Louis-Vuitton-Koffer zum Mitnehmen gefunden?«, fragte Giordino, als sie auf das Achterdeck kletterten und ihre Tauchausrüstung ablegten.

»Es ist wohl eher die etwas solidere Version«, erwiderte Pitt. »Sie sind aus Metall, glaube ich. Vielleicht enthalten sie ja etwas, das uns hilft, das Wrack zu identifizieren.«

»Es wäre schön zu wissen, wer unseren Sonarfisch gefressen hat.« Giordino trat an die Seitenreling und zog die Tauchleine hoch. Pitt packte mit an und half, das Sonar an Bord zu hieven, gefolgt von den beiden Koffern.

Brigitte kam dazu und betrachtete sichtlich erleichtert den beschädigten Sonarfisch.

»Sie haben ihn gefunden«, sagte sie. »Merci.«

Pitt nahm das ausgefranste Stück Kabel, das schlaff von dem Fisch herunterhing. »Abgesehen von dem gerissenen Kabel sieht es so aus, als hätte das Sonar es unbeschadet überstanden.«

»Dem Himmel sei Dank!«, stieß Brigitte hervor. »Den Schaden zu ersetzen, hätte mich ein Jahresgehalt gekostet.«

»Nach einer kleinen Kabeloperation«, so Giordino, »wird es wieder so gut wie neu sein.«

Kapitän Boswick kam zu ihnen an Deck. »Irgendwelche Anweisungen für den Steuermann?«

Pitt warf einen Blick auf die tiefstehende Sonne, die aus einer grauen Wolkenwand hervorlugte. »Hier draußen können wir heute nicht mehr viel bewerkstelligen. Fahren wir zum Hafen zurück und setzen morgen neu an.«

»Erzählen Sie mir von dem Wrack«, bat Brigitte die Männer. »War es alt?«

»Es sieht wie eine Kanalfähre aus, die während des Krieges gesunken ist«, antwortete Pitt. »Auf dem Achterdeck standen ein paar Autos aus den 1930er-Jahren herum.«

»Ich werde mal in unseren Archiven nachsehen, ob ich eine Identifizierung vornehmen kann. Meine erste Suche ergab unter den bekannten Wracks in der Gegend keine Fähre.«

»Ich glaube auch nicht, dass sie bereits von Tauchern gefunden wurde.« Pitt deutete auf die beiden Koffer.

»Die hier«, fragte sie, »stammen die auch aus dem Wrack?«

»Ich habe sie auf der Brücke gefunden. Wollen wir nachsehen, was drin ist?«