Der Schreiber - Johannes Girmindl - E-Book

Der Schreiber E-Book

Johannes Girmindl

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Beschreibung

Messmer - ein Name wie eine Klinge! So lautet der Klappentext zu Messmers Büchern. Seine detailgenauen Schilderungen machen ihm zum Bestsellerautoren. Doch Messmer ist ein Pseudonym. Zwei Leser machen sich, um Messmer zu finden.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Minutenlang hatte er regungslos über dem leblosen Körper verharrt. Es regnete immer noch ohne Unterlass. Sein Atem ging nun wieder regelmäßig und langsam. Er war nass bis auf die Haut, aber er fühlte sich sicher. Der Regen würde das Übrige tun und die Spuren verwischen, nichts würde auf ihn hindeuten. Die Frau, die ihn mit offenen und starren Augen anblickte war tot. Ihre Schreie waren im Fallen des Regens untergegangen. Noch während er seine Hände fest um ihren Hals gelegt hatte, war das Leben aus ihrem Körper gewichen, hatte sich verflüchtigt und war in die Atmosphäre übergegangen, um sich mit all den anderen Energien zu vereinen. Zurück blieb er. Umgeben von Bäumen und Wald, kniend im Unterholz, nahe der Lichtung, auf der er tagelang gewartet hatte. Die Wartezeit war nun vorüber.

(DER WALD, 2005)

1

„Niemand kennt seinen richtigen Namen.“

„Das glaub ich nicht, irgendwer muss ihn ja kennen, zumindest der Verlag, oder sein Agent.“

„Wahrscheinlich die, ja, klingt vernünftig, aber sonst kennt ihn halt niemand. Der macht ja auch keine Lesungen.“

„Eigenartig, oder auch nicht. Auf jeden Fall schreibt er wahnsinnig gut, fesselnd, wie man so sagt.“

„Das kannst du laut sagen, der hats richtig drauf. Da kann Stephen King einpacken.“

„Les ich aber auch recht gerne.“

„Ist eh ok, hat aber nicht diese Dichte, die es eben nur bei Messmer gibt. Und außerdem läuft bei King alles nach Schema ab. Wenn du da einige gelesen hast, dann kennst du alle.“

„Stimmt. Fast immer gibt’s den Lehrer, den Typen, der seine Frau schlägt, die Frau, die ihren Typen mit einem anderen betrügt und wenn Kinder vorkommen, dann gibt’s den klugen, der einmal Schriftsteller wird, den Dicken oder den mit der Brille-„

„Genau, und spielen tut das alles in Castle Rock oder in Bangor.“

„Oder in Derry!“

„Oder in Derry.“

„Auf jeden Fall kennt man schon alle, bevor man die ersten hundert Seiten gelesen hat.“

„Ja, und bei Messmer ist das eben nicht so. Die Figuren sind real und nicht austauschbar, die Darstellungen der Gewalt sind notwendig aber nicht Selbstzweck und das was wirklich das Spannendste ist, es kommt einem so vor, als ob man dabei wäre, als ob man die Gedanken des Killers lesen könnte, seine Beweggründe spüren.“

„Was du alles spürst, aber du hast Recht, er versteht sein Handwerk.“

„Es ist mehr als nur das!“

Tom schnippte seine Zigarette auf die Straße kurz bevor beide um die Ecke bogen und vor dem Eingang ihrer Schule standen. Es würde das letzte Jahr für sie beide sein, vorausgesetzt ihre Leistungen würden den Mindestanforderungen Genüge tun. Den Weg in die Garderobe nahmen Marc und Tom gemeinsam, dann aber trennten sie sich. Ihre Klassen lagen nicht nur nicht im selben Stockwerk, sie befanden sich auch in unterschiedlichen Flügeln des Schulgebäudes. Klasseneinteilungen hatten noch nie wirklich Sinn ergeben oder einen größeren Plan dahinter erkennen lassen. Als würde jedes Jahr kurz vor Schulbeginn munter drauf los gewürfelt werden, um Schüler und Schülerinnen schon von Beginn an zu verwirren und ihnen jeden Sinn für Logik und Struktur rauben zu wollen. Als Vorbereitung aufs Leben, sozusagen. Die Tage vergingen, oder wollen wir es präziser formulieren, verschleppten sich nicht allzu schnell, sodass es sich anbot, entweder im Hier und Jetzt zu verweilen, oder einfach in der eigenen Welt abzuhängen. Oder in Messmers Welt.

Heutzutage las niemand mehr, schon gar nicht die Jungen. Und wenn man es genau betrachtete, war das nicht nur so einfach daher gesagt, es waren die Ausnahmen, die solche Sätze ad absurdum führten. Natürlich wurde gelesen, weniger als früher vielleicht, alles war möglich, aber dass gar nicht mehr gelesen wurde, entsprach, wie schon erwähnt, nicht der Realität. Natürlich könnte man auch darüber diskutieren ob es einen Unterschied machte, wenn es um die Inhalte ging, in welcher Form Literatur stattfand. Doch war es nicht wichtig, dass überhaupt gelesen wurde, dass überhaupt Bücher verwendet, Seiten umgeblättert und Schutzumschläge abgerieben wurden? Somit war es auch in Ordnung, wenn Messmer gelesen wurde. Er hatte ohnehin nicht allzu viele Bücher verfasst und seine Werke stellten auch keinen Versuch der Unterwanderung, der Moral des gut bürgerlichen Elternhauses dar. Ein wenig Blut, ein paar Horrorelemente, grundsätzlich auf den ausgetretenen Pfaden des Thrillers unterwegs, das waren keine Bestandteile subversiver Untergrundliteratur, die eine Revolution anzetteln wollte. Im Gegenteil, seine Bücher ließen sogar etwas von Heimat zu, und das nicht im Sinne eines nationalistischen Begriffes. Messmers Heimat war das Land in dem er selbst lebte, in welchem seine Geschichten spielten, das Land mit all seinen positiven und seinen negativen Facetten. Messmer brauchte sich keine Gedanken machen, dass er von einer, für sich wahrnehmbar, falschen Seite vereinnahmt werden könnte und die opportun Richtige hatte bisher auch noch kein ehrliches Interesse an ihm gezeigt. Das war aber auch gänzlich egal. Messmer zu vereinnahmen wäre eine Kunst für sich gewesen, denn es gab keinerlei öffentliche Auftritte, keine Lesungen, er erschien zu keinen Preisverleihungen und die wenigen Interviews, die es mit ihm gab, waren alle schriftlich erfolgt. Er hatte knapp aber offen seine Antworten schriftlich übermittelt, der Verlag hatte in diesen Fällen als Schnittstelle fungiert und somit zumindest ein wenig die Nachfrage und Neugierde nach dem großen Schreiber befriedigen können. Mit der Zeit hatte sich das Feuilleton damit abgefunden und das permanente Nachfragen eingestellt. Messmer war, und auch gerade aus diesem Grund, ein relativ einfacher Fall. Er lieferte pünktlich seine Bücher ab und sie wurden umgehend ein Erfolg für Verlag und Autor. Ende der Geschichte. Keine Skandale, keine Differenzen, keine Vorschüsse, die dann nicht zurückgezahlt werden konnten, weil das ausschweifende Leben des Starautors finanziellen und kreativen Tribut forderte. Messmer war pflegeleicht und seine Bücher verkauften sich wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln.

Ein lokaler Horrorthriller – das Grauen lauert nebenan. Jeder kann es sein, jeder kann ihn kennen. Sind sie nicht selbst gerne Gast?

Aus der Werbebroschüre zu ANGERICHTET, 2004

2

„Den Lehrer hast du gelesen?“

„Na klar, der kam raus, als ich gerade begonnen hatte, seine Bücher zu lesen.“

„Also liest du Messmer noch gar nicht allzu lange?“

„Seit zwei Jahren. Meine erstes war Der Metzger. Ich musste mich einmal fast übergeben.“

„Echt?“

„Ja, bei der Stelle, wo er beschreibt, wie das Fleisch und die Sehnen und all die Häute vom Knochen entfernt werden.“

„Und er dann die Knochen zerkleinert in dieser Mühle, nachdem er sie aufgebrüht hat.“

„Ja, hör auf damit, ich fand das richtig eklig.“

„Ja, war es, aber im Vergleich zu anderen Büchern, gab es einige Längen. Und wenn du sie in der richtigen Reihenfolge liest, dann bemerkst du, dass er sich selbst kopiert hat, es gibt da vieles, das schon in Angerichtet beschrieben wurde.“

„Stimmt, bei Angerichtet musste ich immer daran denken, dass ich vieles davon schon im Metzger gelesen hatte.“

„Und es ist genau umgekehrt. Da hatte er einen Durchhänger. Er beschreibt zwar immer noch sehr dicht, es ist aber das eine Buch, das für mich am wenigsten nachvollziehbar ist.“

„Den Kannibalen in Angerichtet, den kannst du nachvollziehen?“

„Naja, er hatte einfach diesen Knacks. Er musste wachsen durch das Fleisch anderer. Der Metzger schlachtete lediglich und verkaufte das Fleisch an seine Kunden. Da gab es relativ wenig psychologischen Hintergrund. Es war ja nicht wie bei Haarmann, waren ja keine Notzeiten. Irgendwie war es mir zu konstruiert, nicht organisch genug.“

„Organe kamen aber ordentlich viel vor.“

Tom öffnete die Chipstüte und leerte deren Inhalt in die Glasschüssel auf dem kleinen Couchtisch. Marc lag auf seinem Bett und starrte an die Decke. Dann drehte er sich zu Tom, der gerade einen Kartoffelchip in seinen Mund schob.

„Und den Priester?“

„Welchen Priester?“

„Na, Der Priester?“

„Den gibt’s gar nicht.“

„Nur als Manuskript. Es wurde interveniert, der Verlag hat ihn dann einfach nicht veröffentlicht. Hat Messmer ein horrendes Honorar bezahlt und das Buch landete im Giftschrank.“

„Wieso? Und wer hat da interveniert?“

„Na was glaubst du wer da interveniert hat. Der Priester, hm.“

„Die Kirche?“

„Genau, die wollten nicht schon wieder einen Skandal, die hatten mit all ihren anderen Geschichten schon genug zu tun.“

„Und warum wollten die die Veröffentlichung verhindern? Ich meine, solche Geschichten gibt’s doch wie Sand am Meer.“

„Weil Messmer darin seine Schulzeit verarbeitete. Er war ja ein paar Jahre lang in einer Klosterschule gewesen. Da nahm er sich kein Blatt vor den Mund. Angeblich kamen da drin Szenen vor, die auch Leute betrafen, die immer noch etwas zu sagen hatten, in der Kirche; die die Leiter hinaufgefallen waren.“

„Wann war das?“

„Ich glaube es war nach Der Wald. Ja, es hätte nach Der Wald erscheinen sollen.“

„Ist es aber nicht.“

„Richtig, deswegen auch die drei Jahre zwischen Wald und Unterwegs.“

„Und den Priester hat bisher also niemand gelesen?“

„Doch, natürlich. Er stand ja kurz vor der Veröffentlichung. Das Manuskript war ja lektoriert worden, es gab die üblichen Überarbeitungen und Änderungen und es gab einen Andruck für die Presse, damit schon vor Erscheinen rezensiert werden kann.“

„Und dann?“

„Na irgendwie drang das Ganze zu den offensichtlich falschen Stellen durch, die haben dann interveniert.“

„Und die Kirche kann einfach so sagen, ihr dürft das nicht drucken?“