Kemmer Ermittelt - Johannes Girmindl - E-Book

Kemmer Ermittelt E-Book

Johannes Girmindl

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Beschreibung

Enthält die vier ersten bisher erschienen Heftromane Schönheit muss leiden (2017) Host an Tschick (2017) Mord im Mezzanin (2018) Geschlossene Gesellschaft (2018) sowie den Sonderband "Kurarzt Dr. Hoffmann - Kemmer auf Kur" (2022)

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Inhaltsverzeichnis

Kemmer ermittelt… Schönheit muss leiden

Kemmer ermittelt… Host an Tschick?

Kemmer ermittelt… Mord im Mezzanin

Kemmer ermittelt… Geschlossene Gesellschaft

Kurarzt Dr. Hoffmann Kemmer auf Kur

Kemmer ermittelt… Schönheit muss leiden

Der Frühling hat in Wien mittlerweile Einzug gehalten, die ersten Bewohner des zweiten Wiener Gemeindebezirks, der Leopoldstadt, trauen sich nach einem langen und tiefen Winterschlaf, erstmals wieder auf die engen Gassen ihrer vertrauten Umgebung. Die Menschen lassen sich zu dieser Jahreszeit im Wesentlichen in zwei Gruppen teilen. Nämlich in jene, die zu wenig und in die, die zu viel Kleidung tragen. Man kann es ihnen aber nicht wirklich vorwerfen, gerade zu dieser Jahreszeit, keine glückliche Hand bei der Auswahl ihrer Garderobe zu haben. Die ersten Sonnenstrahlen können trügerisch sein. Ein kalter Wind macht die noch jungfräuliche Wärme der letzten Märztage zunichte und lässt die T-Shirtträger auf der Taborstraße leicht frösteln. Hingegen schwitzen die, immer noch Wintermäntel tragenden Sicherheitsfanatiker, schon auf der kurzen Strecke zur Straßenbahnstation, als wären sie mitten im August am Fuße des Vesuvs spazieren. Es wird noch einige

Zeit dauern, bis sich dieses, alljährlich auftretende Problem von selbst gelöst hat. Scheint die Sonne einmal grundsätzlich, weicht allzu viel Stoff blanker und weißer Haut. Um solch peinlichen Momenten vorzubeugen, ist Goranka K. auf dem Weg in das Sonnenstudio ihres Vertrauens. Kaum lässt der September das Zentrum unserer Galaxie nicht mehr in dem gewohnten Ausmaß seine Strahlkraft in unsere Breiten schicken, löst K. eine Saisonkarte für die kalte Jahreszeit. Dreimal die Woche wird sie dort vorstellig, man muss die Solariumspauschale ja auch ausnutzen. Heute würde das letzte Mal anstehen. Goranka war für die kommende Saison gewappnet, zumindest farbtechnisch. In drei Tagen würde sie noch einen kleinen Eingriff über sich ergehen lassen, dann konnte der Frühling den Weg für den Sommer ebnen. Die Bikinifigur war für Goranka K. kein wirkliches Thema, sie hatte sie ohnehin immer. Ihre 49 Kilo auf einen Meter 72 waren ihr Idealgewicht, zumindest dann, wenn sie sich vor dem Spiegel betrachtete. Sie war keine der hungernden und depressiven Träumerinnen, die jedes Jahr, getrieben von Kleidergröße und Zeitgeistmagazinen versuchten, den sogenannten Winterspeck herunter zu fasten. Gordana K. kannte da Nichts. Sie ließ sich die wenigen Pölsterchen vom Spezialisten entfernen. Ein kurzer und zugegebenermaßen schmerzhafter Eingriff, aber er lohnte sich. Kein Kasteien und kein langwieriges Abwarten ob die Diät nun anschlug oder eben nicht.

*

Warum es Kemmer an seinem freien Tag gerade nach Simmering zieht, kann er wahrscheinlich selbst nicht beantworten. Sind es die ersten wärmenden Sonnenstrahlen, die ihn an seine Kindheit erinnern, oder ist es einfach das Bedürfnis, wieder in seine gewohnte Umgebung zurückzukehren und sei es auch nur für einen Nachmittag. Am Enkplatz verlässt er die U3 und entscheidet sich für den Ausgang, der ihn direkt vor der Kirche Neu-Simmering ans Tageslicht bringt. Nicht weit von hier hat er seine Wohnung gehabt. Er entscheidet sich aber, die Simmeringer Hauptstraße in Richtung Kaiserebersdorf entlang zu spazier-en. Hier hat sich im Laufe der Jahre einiges verändert. Denkt er an seine Kindheit zurück, ist es nun eine völlig andere Verkehrsader als damals. Er quert die Gottschalkgasse, jenen Punkt, an dem vor einigen Jahren eine Garnitur der Linie 71 in die dort befindliche Raiffeisenkasse eingebrochen war - und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Angestellter kam dabei ums Leben. Nun ist er nur noch eine Anekdote. Dort wo einst der Libro war, werden nun Unterhosen verkauft. Das Waffengeschäft daneben führt nun nur noch Feuerwerkskörper. Das Eisgeschäft daneben, in dem er schon in seiner Kindheit gewesen ist, das gibt es immer noch: mit mittlerweile adaptierten Sorten, wie zum Beispiel Gummibärli und Schlumpfeis. Die Zeiten ändern sich, ob die Menschen das in demselben Tempo tun, das bezweifelt Kemmer gerade. Er bemerkt eine Dichte an Geschäften in denen Kundschaft nicht österreichischer Herkunft von ebensolchem Personal bedient wird. Es sind das kleine Lokale, die einerseits Lebensmittel, Bekleidung oder auch beides anbieten. Der McDonalds scheint zwar noch immer sein Geschäftslokal zu haben, es ist aber geschlossen. Es geschehen also auch noch Zeichen. Die Dichte an Wettlokalen scheint mittlerweile auch wieder abgenommen zu haben. Die Novellierung des Glücksspielgesetzes scheint in Simmering also auch schon angekommen zu sein. Kemmer bemerkt das an dem polizeilich versiegelten Eingang zu einem, als er selbst noch hier gelebt hat, hoch frequentierten Wettbüro. Kemmer entschließt sich die Konditorei Albrecht aufzusuchen. In der Vitrine liegen heute, genauso wie vor dreißig Jahren schon, leere Baisers, Tortenstücke und sonstige zeitlose Konditorwaren. Er sucht den kleinen Gastgarten, im Hof des Gebäudes auf und lässt sich einen großen Braunen bringen. Hier gibt es noch das Glas Wasser, das später nicht auf der Rechnung steht, ungefragt zum Kaffee. Kemmer holt seine Packung Zigaretten aus seiner Sakkotasche und zündet sich umständlich eine an. Dann bläst er den Rauch in den sonnigen Frühlingshimmel.

*

Goranka K. hat mittlerweile Position bezogen. Sie liegt nackt im UV-Licht und hat den Kopf voller Gedanken. Michael würde erst wieder am Donnerstag hier sein. Aber solange konnte sie warten. Ihr Bleaching musste wieder erneuert werden. Was sie daran wirklich ärgerte war, dass sie das alle drei bis vier Wochen tun musste. Egal ob Sommer oder Winter. Aber so war sie nun mal. Es musste alles stimmig sein, außen wie innen, beziehungsweise dort, wo man nicht gleich hinsehen konnte. Michael war schon seit geraumer Zeit für ihren Hintereingang zuständig. Er war ein Meister im Bleichen und seine Behandlungen hatten auch nicht dieses unangenehme Jucken zur Folge. Es war eine Vertrauenssache, wen ließ man schon so nahe an sich heran, vor allem am Vormittag. Mike, wie ihn alle nannten, stellte hier die Ausnahme dar, er war diskret, machte keine unnötigen Bemerkungen und vor allem eines war er, er war schnell. Das vereinfachte die ganze Situation unheimlich. Gorankas Handy beginnt zu piepsen. Ihre 25 Minuten sind um. Sie kleidet sich an, versucht ihr knappes Top in Position zu bringen, zieht die engen Jeans hoch und verlässt danach die Kabine.

„Schon fertig für heute?“ Hinter dem Tresen im Eingangsbereich steht Alfred. Diametral zu seinem Namen ist er noch sehr jung. Jung und dynamisch, wie es heute so oft heißt. Er hat das Sonnenstudio vor drei Jahren eröffnet und ist seitdem dick im Geschäft. Hinter vorgehaltener Hand, wird darüber gemunkelt, dass er seine Einkünfte nicht nur aus dem gut gehenden Sonnenstudio bezieht. Aber die Leute reden ja immer irgendetwas.

„Ja, fertig. Und fertig bis zum Herbst. Jetzt wo die Sonne sowieso rauskommt, kann ich mir das sparen.“

„Wie immer also.“

„Wie immer, ja, am Donnerstag komm ich aber zum Mike.“

„Ja, der hat heute frei. Und, schon was für den Sommer geplant?“

„Geplant? Das Übliche!“

„Offen für alles, quasi.“

„Logisch, ich kann ja jetzt noch nicht wissen, wer mich auf seine Jacht mitnimmt. Das steht in den Sternen.“

„Schreibst halt eine Karte.“

„Ganz sicher, bitte, wir haben März, bis zum Sommer dauerts noch.“

„Der kommt schneller, als man denkt.“

„Ja, wahrscheinlich. Aber egal ob mich jemand auf seine Jacht mitnimmt, dieses Jahr kann ich mir das mal selbst leisten.“

„Hast was gspart?“

„Kann man so sagen, und spar ich mir deine blöden Fragen, ich muss nämlich weiter, machs gut.“

„Na dann, serwas!“

*

„Wo soll des ollas no hinführen? I maan, ehrlich, wohin?“

„Na direkt in Oasch, is doch logisch.“

„Naja, ma fliagt am Mond, operieren tans am offenen Herzen, ollas wird digital aber beim Scheißen muasst da trotzdem immer no söba in Oasch auswischen.“

„Jo eh, da kummts aber a auf die Qualität an.“

„Wos fia a Qualität?“

„Na de vom Papier.“

„Du bist aber lustig heut, bei die Scherzerl gschlofn?“

„Geh kumm, lass mi, trink man o a Achtl.“

„Jo, aber des is dann des Letzte!“

„Des Letzte?“

„Jo, des Letzte vurm nächsten.“

Kemmer muss insgeheim Schmunzeln, das war sein Simmering. Eine direkte Sprache, manche würden sagen, derb, aber mit Charme. Hier wird alles auf den Punkt gebracht. Da gibt es im Nachhinein keine Unklarheiten, die zu den sogenannten Misverständnissen führen. Kemmer drückt die mittlerweile dritte Zigarette im Aschenbecher aus und ruft, bei der nächsten Gelegenheit: „zahlen, bitte!“ Die junge Türkin, die hier bedient, kommt zu seinem Tisch, holt nicht mehr ihren Block hervor, sondern nimmt sich den Kassenbon und sagt in breitem Wienerisch: „ drei-fuchzig.“

Kemmer hat die Konditorei Albrecht verlassen und steht nun wieder auf der Simmeringer Hauptstrasse. Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr informiert ihn darüber, dass es kurz vor vierzehn Uhr ist. Der Frühlingstag steht in voller Blüte und Kemmer etwas ratlos auf dem Trottoir. Er wirft sich sein Sakko über die Schulter und beschließt, nun doch, sich in Richtung Simmeringer Markt zu bewegen. Simmering hat sich verändert. Es ist keineswegs besser als früher, aber auch nicht im Geringsten schlechter. Es ist einfach anders, als es zu seiner Zeit war. Es kommt Kemmer ein wenig wie London vor, als ob es seinen eigenen Weg beschreiten würde, unabhängig von der restlichen Stadt.

*

Vier Tage später öffnet die Polizei gewaltsam eine Wohnung in der Floßgasse nahe dem Franz Josefs Kai. Im Badezimmer finden sie den leblosen Körper von Goranka K. Sie trägt einen Verband im Gesicht, der sorgsam über ihren Nasenrücken geklebt worden ist. Von der sorgfältigen Arbeit des Plastischen Chirurgen sieht man aber nun nichts mehr. Das Gesicht selbst schillert in allen Farben des Regenbogens und ist blutverschmiert. Tödlich waren diese Verletzungen aber keineswegs. Als offensichtliche Todesursache würde wohl Strangulieren das Rennen machen. Der Stringtanga, den die nackte Gordana K. nun nicht mehr trägt, ist immer noch fest um ihren Hals gewickelt. Der Schlosser und die beiden Streifenbeamten stehen mit weiten Augen im Schlafzimmer, bis sich Josef Gamperl wieder fängt und die Nummer vom Kommissariat wählt. Sie sollen den Schlosser wieder heimschicken und warten, bis Verstärkung und die Mordkommission eintrifft. Die Minuten scheinen den beiden wie eine endlose Ewigkeit. Als die Kollegen der anderen Abteilung eintreffen, dürfen sie gehen. Sie machen sich auf den Weg ins Koat, wo sie ihren Bericht verfassen.

„So, steht ollas drin.“

„Naja, so vü war da ja ned.“

„Mir hats greicht.“

„Jo, mir a.“

Es öffnet sich die Tür des spärlich möblierten Zimmers, und Hubert Olbrich, ihr Vorgestzter tritt ein.

„Fertig, meine Herren?“

„Jo, logisch, war ja ned so vü.“

„I hab scho Infos reinbekommen, was da los war.“

„Naja, was los war, hamma gsehn.“

„Ja, aber ned die ganze Gschicht dahinter. Echt oarg.“

„Und, was war so arg?“

„Naja, Tod durch Strangulation mit an Stringtanga, hat der Amtsarzt Hiob festgestellt“

„Wie haaßt der?“

„Hiob.“

„Wos, Hiob? Wenn a Arzt Hiob haaßt, kann der überhaupt guade Nochrichten überbringen? Und wieso haaßt der so, denken si die Eltern nix dabei? Oder hat der Namen a Berechtigung, wars ka guade Nochricht…“

„Fragen über Fragen, oder?“

„Jo.“

„Siehs so, er is eh Amtsarzt, da passt der Namen scho.“

„Eh, und weiter, was war da so oarg, was wir no ned wissen?“

„Die Tote hat am Dienstag eine Schönheits-OP ghabt. Sie hat si die Nosn richten lassen.“

„So wie die ausgschaut hat, war des aber a Kunstföhla.“

„Kumm, sei ned lustig. Die is ned afoch umbrocht wordn. Die hams vorher gefoltert. Blutergüsse im Gsicht und eigentlich überall, der ganze Körper war voller blauer Flecken, Tschick ausdämpft, sowas halt.“

Na, ned lustig. Und Motiv, waaß ma do scho wos?“

„Goa nix, is aber a ned unser Gschicht. Liegt jetzt bei die Spezialisten. Is nimma unser Thema.“

„Eh klar, weil wir san ja eh nur die Trotteln fia die. Waaßt wos die Gsogt ham, der Trachtenverein kann si schleichen, wir machen eh nur die Spuren hin.“

„Oaschlecha, wiss ma eh. Wir kennan hackeln, und die ernten dann die Lorbeeren. Sitzen den ganzen Tag beim Wirtn und kombinieren."

“Kummts, heats auf, machts a Pause und dann hauts euch wieder in den Trubel.“

Goranka K. ist für die beiden somit Geschichte. Ihr nächster Weg führt sie zum, um die Ecke liegenden Chinesen: sie schaffen es gerade noch, das All-you-caneat-Buffet in Anspruch zu nehmen. Gleich neben dem Eingang, auf seinem offensichtlichen Stammplatz, sitzt Siegfried Horvath. Horvath ist seit einer gefühlten Ewigkeit in Pension und nachdem das Chinarestaurant zu ebener Erde in seinem Wohnhaus eröffnet hat, spart er sich auch den Weg zu seinem Stammwirten. Womöglich, weil ihm der Heimweg dann um einiges leichter fällt.

„Es muass wos gschehn aber da kannst nix mochn,“ ruft er den Beamten zu.

„Sie sagen es, Herr Horvath, kann ma nix mochn.“

Mit diesem Satz ist das Gespräch auch schon wieder beendet, die beiden Beamten widmen sich dem Buffet und Horvath sich seinem Bier.

*

„Herr Inspektor!“

„Ach sie sind das, wo man sich so trifft.“

„Najo, wir alle müssen aufs Häusl, oder?“

„Ja, da führt kein Weg daran vorbei.“

„Wissens, Herr Kemmer, immer wenn i wen triff am Häusl, dann muaß i mir die Händ woschn.“

„Und sonst?“

„Na sonst ned, siecht mi ja kana.“

„Des is a Möglichkeit, spart zumindest Wasser.“

„So is es. Und, hams schon was herausgfunden?“

„Was soll i herausfinden?“

„Na der Mord an derea Trutschn.“

„Trutschn?“

„Na die ane, dies in ihrer Wohnung gmacht ham.“

„Jetzt weiß ich was sie meinen. Nein, ich hab noch nichts herausgefunden. Ist ja auch nicht mein Fall, erstens ist das gar nicht in meinem Rayon passiert und zweitens bin ich ja nur ein einfacher Insektor, ich bin ja nicht beim Mord.“

„Aber sie haben doch schon an Fall gelöst einmal.“

„Das war a Zufall.“

„Najo, wiederholens den Zufall eben.“

„Nana, ich hab da ja überhaupt keine Einsicht was da passiert ist.“

„Na dann ermittelns doch.“

„Wie gesagt, ist nicht meine Angelegenheit. Wieso wissen sie des eigentlich?“

„Lesen sie ka Zeitung?“

„Ach so, klar.“

„Und mei Frau, die redt a dauernd davon. Die hat a Bekannte, die im selben Haus wie die Leich wohnt. Jetzt ist des Thema Nummer eins zhaus. Wenn mei Frau ned grad telefoniert, und glaubens ma, die telefoniert ohne Unterbrechung den ganzen Tag. Des san Marathongespräche, die hat scho a richtige Hornhaut am Ohrwaschl. Und jetzt, wia gsogt, redts dauernd von dem Mord. Ka andres Thema hats mehr. Ihr Bekannte mant nämlich, sie hät wos gheat.“

„Dann hat sie das hoffentlich den Kollegen erzählt.“

„Heans, des waaß i ned. Ka Ahnung, da miassns as scho söba frogn.“

„Naja, und wie heißt die Bekannte ihrer werten Gattin.“

„Buchmeier, Ilse Buchmeier. A ganz a Komische, also i kanns ned leiden, und wie gsagt, sie telefoniert eh nur die meiste Zeit, wenns ned grad mit ihrn Hund unterwegs is.“

„Und was ist jetzt das Besondere was ihre Bekannte ghört hat?“

„Ned sagns, mei Bekannte, i tat die eh ned kennan wolln. Herr Inspektor, i waaß es ned, zumindest ned genau, da miassns as scho söba frogn.“

„Naja, a egal, oder, is nicht mein Fall. I werd mich jetzt erleichtern.“

Kemmer, der eigentlich die Toilette aufsuchen wollte und dann von Karl Tarp, einem pensionierten Straßenbahnfahrer aufgehalten wurde, ist froh darüber, endlich an selbigem vorbei zu gelangen, um die Kabine betreten zu können. Nach Dienstschluss hatte er eigentlich ein wenig abschalten und das eine oder andere Seidl zu sich nehmen wollen. Dass er direkt zu Ermittlungen genötigt werden sollte, konnte er ja nicht ahnen. Nachdem er die Spülung betätigt, ist er doppelt erleichtert, morgen würde er die Ausführen von Tarp vergessen haben, doch er soll sich irren.

*

Die Fortschritte der Beamten vom Mord können sich sehen lassen. Es war ermittelt worden, dass Goranka K., nachdem sie im Sonnenstudio gewesen war, eine Kurz-OP an ihrer Nase vornehmen hat lassen. Es war eine kleine, für sie aber wichtige Korrektur gewesen. Sie hatte es zwar von langer Hand geplant gehabt, die Durchführung scheiterte aber immer wieder an der finanziellen Situation der Toten. Doch dann war etwas geschehen, das alles veränderte. Goranka K. öffnete das Brieflos auf den Tag genau sechs Wochen vor ihrer Ermordung. Diesmal lachte ihr kein „Leider nicht“ bzw die „Brieflosshow“ entgegen. Die blauen Ziffern ergaben in Summe den stolzen Betrag von Hunderttausend Euro. Umgehend machte sie sich auf den Weg in den dritten Wiener Gemeindebezirk, um ihren Gewinn einzulösen. Die vierwöchige Wartezeit war zwar im Moment ein kleiner Dämpfer für Goranka K., aber da war nichts zu machen. Danach würde das Geld auf ihr Konto überwiesen werden. Und so kam es, dass zehn Tage vor ihrer Ermordung der Betrag auf ihrem Konto gutgeschrieben wurde. Ihren derzeitigen Job in einer, mehr schlecht als recht gehenden Erotikvideothek in der Novaragasse, gab sie kurzerhand auf, um sich voll und ganz dem Abbau ihres mehr als üppigen Guthabens zu widmen. Dass es dazu nicht mehr kam, beziehungsweise nicht in dem Ausmaß, wie es Goranka K. vorgehabt hatte, ist mittlerweile auch aktenkundig. Am Tatort wurden keinerlei Fingerabdrücke gefunden. Möglicherweise gab es Spuren unter einer Schicht Klebstoff auf den Handbeziehungsweise Fußgelenken. Goranka K., war vermutlich längere Zeit gefesselt gewesen, mit Klebeband an einen Sessel. So hatte ihre Reise also geendet. Nach siebenundzwanzig Jahren in Wien, war die neunundzwanzigjährige Goranka K. Geschichte. Über den Mord würde noch eine Weile gesprochen werden, immer ein wenig in Zusammenhang mit ihrem Lebenswandel, die Wohnung würde neu vermietet werden, und es würde das Geschehene in Vergessenheit geraten, ebenso wie Goranka K. selbst.

*

Die gleichen Gedanken hatte der junge Mann, der gerade bei seinem Gin-Tonic saß, auch. Die Überlegung dahinter war aber eine völlig andere. Es würde Gras über die Sache wachsen, das war ein Naturgesetz. Er zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief. Der Rauch in seinen Lungen beruhigte ihn vorerst. Wie konnte die Sache so aus dem Ruder laufen? Und was war jetzt das Ergebnis gewesen? Es gab eine Tote, er war zum Mörder geworden und die Summe, hinter der er her gewesen war, lag immer noch auf Gorankas Konto, das mittlerweile von der Polizei eingefroren worden war. Bis auf das Blut, das nun an seinen Händen klebte, hatte ihm die ganze Sache nichts eingebracht. Der Mann bestellte sich einen weiteren Gin Tonic. Es war kurz vor vierzehn Uhr. Das Extone würde in wenigen Minuten schließen, um dann, pünktlich um siebzehn Uhr, seine Tore wieder zu öffnen. Die Zeit bis dahin würde er mit Arbeit verbringen. Er hatte heute noch drei Kunden, und musste sich jetzt ohnehin beeilen, um nicht zu spät zu kommen, er kam nie zu spät.

*

„Mein Name ist Kemmer, ich bin zwar Polizeibeamter, aber gerade nicht im Dienst.“

„Ja und was wollens dann von mir?“

„Ich möchte ihnen ein paar Fragen stellen.“

„Muss die Polizei jetzt auch schon in ihrer Freizeit arbeiten?“

„Naja, nicht wirklich.“

„Na kommens halt rein. Wollens einen Kaffee?“

„Das ist nicht notwendig, danke.“

„Macht keine Umständ, ich hab noch einen übrig, ich koch mir immer zu viel.“

„Dann bitte, bevors ihn wegleeren müssen.“

„Na alsdann, was wollens denn wissen? Geht’s um den Mord an dera Hur?“

„Ja, es geht um den Mord an Goranka K. Wieso meinens Prostituierte?“

„Na wissens ned wo die gearbeitet hat, dort arbeiten doch nur Hurn.“

„Sie hat in einer Videothek gearbeitet.“

„Videothek, ha, wenns meinen.“

„Zugegeben in einer Erotikvideothek, aber sie war keine Prostituierte.“

„Erotik, da kann i ned amal lachen, aber was glauben wollen, is eh ihre Entscheidung. Also, fragens mich schon.“

„Die Kollegen werden sicher schon ihre Fragen gestellt haben, vielleicht gibt’s aber noch etwas, etwas, das ihnen vielleicht erst später eingefallen ist.“

„Die Kollegen, ha, die wollten gar nix wissen. Ich hab ihnen eh erzählen wollen, was ich weiß, aber die haben mir ja gar ne zugehört.“

„Ich hör ihnen aber jetzt zu.“

Ilse Buchmeier stellt eine Schale Kaffee vor Kemmer auf den Küchentisch. Der nimmt einen Schluck und muss festellen, dass der Kaffee zumindest vom Vormittag sein muss, denn er ist kalt, wie das Wasser, das aus der Leitung kommt.

„Auch wenn sie meinen sie war ka Hur, ich weiß Bescheid. In dera Wohnung sind die Männer aus und eingegangen.“

„Hat sie einen festen Freund gehabt?“

„An festen Freund? Nein, wäre mir nicht aufgfalln, Viele, aber einen der über a längere Zeit immer wieder da war, nein.“

„Und haben sie jemanden von den Männern gekannt?“

„Wos? Ich soll solche Leut kennen, na!“

„Na es hätte ja sein können, man trifft sich im Stiegenhaus, wechselt ein paar Worte, ein Name fällt, sowas halt.“

„Ich kann mich an keinen Namen erinnern.“

„Gut. Ist ihnen in letzter Zeit irgendetwas an der Goranka aufgefallen?“

„Na, es war alles wie immer. Oder vielleicht doch, sie hat sich in den letzten zwei, drei Wochen oft das Essen liefern lassen.“

„Essen liefern?“

„Ja, Pizza, Chines, sowas halt. Ich ess das ja nicht. Viel zu teuer, und wissens was da alles drin ist, die liefern da den letzten Dreck, alles Chemie.“

„Und das war anders als sonst?“

„Ja schon, früher kam das nur ganz selten vor.“

„Und was glaubens warum hat sie sich jetzt das Essen liefern lassen?“

„Keine Ahnung, vielleicht hats ned kochen wollen; vielleicht hats ka Zeit ghabt wegen der vielen Männerbesuche, das macht hungrig.“

„Was für ein Mensch war sie, würden sie sagen?“

„Na hab ich eh schon gsagt, a Hur, a Trutschn halt. Immer a gschminktes Gsicht, lackierte Nägel, Die Röck so kurz, dass man alles gsehn hat, die Hosen so eng-, na, früher häts des ned geben.“

In der Nacht, in der die Frau K. ermordet worden ist, ist ihnen da etwas aufgefallen?“

„Na, jo, ich weiß ned. Ich war noch mitm Hund draussen, es war scho richtig spät, aber er wollt no ausse. Wie wir weg san, war schon wieder a Besuch bei ihr, aber i glaub sie haben gstritten. Bitte, ich kanns ned genau sagen, ich lausch ja ned an der Tür, aber es war anders als sonst. Was ma sonst aus dera Wohnung ghört hat, das war schon a andere Abteilung.“

„Warum könnten die gestritten haben?“

„Ich weiß ned, vielleicht hats Schluss gmacht mit dem. Wie ich wieder heim bin, hams nimma gstritten, das war dann eher a Wimmern, oder sie hat gwant. Ich mein, jetzt schaut das alles ja ganz anders aus, aber an dem Abend, das war ned so besonders. Wenns mich fragen, dann war des a Eifersuchtsmord. Der hat halt gmerkt, dass er ned der Einzige is.“

„Möglich, Frau Buchmeier. Auf jeden Fall danke für die Auskunft. Und danke fürn Kaffee.“

„Gern, Herr Inspektor. Gibt’s a Belohnung?“

„Für was?“

„Naja, für meine Informationen.“

„Na, Belohnung gibt’s keine. Sowas gibt’s nur im Fernsehen.“

„Schad, aber is eh klar, weil wenn sie jetzt schon in ihrer Freizeit ermitteln müssen, was soll dann für den normalen Bürger noch übrig sein.“

„Genau, schönen Tag noch.“

Kemmer verlässt die Wohnung von Ilse Buchmeier. Kaum ist er über die Schwelle getreten, fällt die Tür hinter ihm ins Schloss. Ilse Buchmeier schaut ihm erst durch den Türspion nach, dann, als er aus dem Haustor auf die Straße tritt, vom Fenster aus. Eigentlich weiß er jetzt genau so viel wie vorher.

*

In der darauffolgenden Woche, Kemmer ist mittlerweile im Bilde, was Goranka Ks finanzielle Situation betrifft, schlendert dieser just am Sonnenstudio des Alfred Knopek vorbei. Er hat es knapp hinter sich gelassen, da bleibt er verdutzt stehen. War das ein Bild von Goranka K. im Schaufenster? Er macht kehrt und bleibt vor der Affichierung stehen. Es sind mehrere Bilder von Solarium gebräunten Damen und Herren. Und ja, eine davon ist Goranka K. Zu ihren Lebzeiten war sie eine Frau gewesen, bei der man sich, wenn sie einem auf der Straße entgegen kommt, noch einmal umdreht. Auch Kemmer hätte das wahrscheinlich getan. Mittlerweile war die Leiche der Toten freigegeben und eingeäschert worden. Zur Beisetzung selbst, war niemand gekommen. Kemmer betritt das Sonnenstudio und steuert auf Alfred Knopek zu, der hinter seinem Tresen steht.

„Sie brauchen an Zehnerblock, bis zur Badesaison sinds braun!“

„Danke, ich hab nur eine Frage.“

„Nana, Klo is nix, da müssens zum Wirten daneben gehen.“

„Ich muss auch nicht aufs Klo. Ich hab einige Fragen bezüglich der Goranka K.“

„Kenn ich nicht.“

„Ich glaub schon, es hängt ein Bild in ihrem Fenster.“

„Ach, die Goranka meinens, ja, die war manchmal da, im Winter eher.“

„Und sonst?“

„Sonst war da nix. Die war den Winter über regelmäßig da, im Sommer wars dann in der richtigen Sun.“

„Eine Stammkundin also.“

„Ja, kann ma so sagen.“

„Naja, seine Stammkunden kennt man ja etwas besser als die Laufkundschaft, oder?“

„Kann sein.“

„Und, wie war das bei der Goranka?“

„Ja klar, i habs kennt, aber es war ein bissl ein distanziertes Verhältnis.“

„Wieso das?“

„Da war kurz was, aber sie wollt dann nimma.“

„Und was war?“

„Geh bitte, stellns ihna ned so. A klanes Panscherl, a poa mal im Bett, in der Kuchl und im Wohnzimmer, und das wars.“

„Und das war ok für sie?“

„Na was soll i denn machen, soll is wo anbinden?“

„Irgendwer hat sie dann aber angebunden.“

„Ja, aber sicher ned ich. Bevor das passiert ist, war sie noch da, sie hat an Termin beim Mike ghabt.“

„Was für an Termin? Und wer ist der Mike?“

„Der Mike is unser Bleacher, und genau so a Termin war das.“