Der Junggeselle - Johannes Girmindl - E-Book

Der Junggeselle E-Book

Johannes Girmindl

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Beschreibung

4 Jahreszeiten 7 Tage 12 Monate 24 Stunden 52 Wochen 12 Erzählungen und eine Einleitung

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Seitenzahl: 76

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Winter

Der Junggeselle

Der Herbert

Der Mann der seine Frau verließ weil er sie liebte

Frühling

Trafik

Der Pensionär

Ausradiert

Sommer

Sommerpause

Gabelbissen

Und dann gabs keine mehr

Herbst

Die Friseur sitzt

Novembernebel

Der Weihnachtsstern

Das richtige Schuhwerk, eine Einleitung

„Der Muss is a großer Herr“, hat die Oma immer gesagt. Obwohl die Oma wollte ja nie Oma genannt werden. Bei ihr musste das noch Großmutter heißen. „Oma is a Waschmittel“, hats gsagt. Jetzt ist die Oma auch schon 16 Jahre tot. Sie liegt am Zentralfriedhof unter einem Deckel. In weiser Voraussicht hat sie damals geplant, dass sie lieber einen Deckel anstatt Blumen hat. Weil es kümmert sich ja niemand darum. Damit hat sie wohl gar nicht so unrecht gehabt. Der Zentralfriedhof liegt ja nicht zentral. Er liegt am südöstlichen Ende von Wien, in Simmering, dort wo ich einen Großteil meiner Kindheit verbracht habe, also nicht am Zentralfriedhof, sondern in Simmering. Ich kann mich noch genau an die Samstagvormittage erinnern. Kindergarten und Volksschule gleich. Nach der Frühmesse sind wir beide, die Mama und ich, auf der Simmeringer Hauptstraße einkaufen gewesen. Beim Gigerer zum Beispiel, dem Pferdefleischhacker. Ich bekam immer ein Grahamweckerl mit Pferdeleberkäse. Eigentlich wollte ich lieber eine Semmel, die Mama hat aber gemeint, Semmeln sind aus weißem Mehl und das ist nicht gesund. Deswegen das Grahamweckerl. Das Grahamweckerl verdankt seinen Namen dem amerikanischen Prediger Sylvester Graham, der im 19. Jahrhundert ein Brot aus Weizenvollkornschrot als Alternative zum üblichen Weißbrot entwickelte. Somit heißt es eigentlich „grähäm“ Der Gigerer hat damals übrigens noch die Krone zum einwickeln seiner Wurstwaren verwendet. Manchmal konnte man dann auf der Extra lesen, was sich alles so getan hatte. Da wären wieder bei der Oma. Die hatte ja die Krone auf dem Häusl, als Papier. Wahrscheinlich fürs Grobe. Und wenn gerade kein Artikel drinnen war, den sie der Mama ausgeschnitten und dann mitgebracht hatte. Also irgendwas Arges wieder, das ich damals aber noch nicht wissen durfte. Sie hat da immer sehr geheim getan, wenn sie wieder schlechte Nachrichten verbreiten wollte. Telefonisch hat sie das auch gemacht. Man muss sich das so vorstellen; das Telefon klingelt, Vierteltelefon, die Oma ist dran und erklärt, dass es Zeit ist, sich einen Vorrat zuzulegen, denn der Krieg steht ja vor der Tür. „Alle dreißig Jahre ist Krieg“ war ihre Devise. In den Achtzigern hat er dann aber schon auf sich warten lassen, der Krieg. Aber die Oma hatte, als sie dann gestorben ist, in ihrem Vorzimmer auf dem kleinen Kastl, in dem der Papa irgendwelches Zeugs drinnen gehabt hat, immer noch ihren Vorrat gehabt. Manches davon war aber schon in den Siebzigern abgelaufen. Auf jeden Fall war die Oma konsequent. Ich bin da nicht so konsequent. Obwohl, das mit dem Vorrat, hab ich offensichtlich vererbt bekommen. Genauso wie die Zweihunderttausend Schilling damals. Die Oma hat mir, es muss ein Ostersonntag gewesen sein, zwei Sparbücher gegeben, weil sie meinte, es wäre besser jetzt, als wenn sie erst tot sei. Nun, was macht man in diesem Alter, als Glaserlehrling mit so viel Geld; einen Schmarren, also ich zumindest. Hab mir ein paar Gitarren und solche Dinge zugelegt, der Rest verschwand in irgendwelchen Toiletten oder ging in Rauch auf. Was solls, gegessen. Die Glaserei erinnert mich immer wieder an meine Schuhe. Oder umgekehrt. Sind die Solen von meinen Schuhen kaputt, erinnere ich mich an die Glaserei. Da waren die Schuhe grundsätzlich durchgelatscht. Lag vielleicht auch an der Beanspruchung, ganz sicher sogar, was aber nervig war. Wir waren ja bei jedem Wetter im Einsatz, und wenns regnet und die Socken schon waschelnass sind, dann ist das nicht lustig, in so einem Zustand den restlichen Tag in der Kälte zu verbringen. Und ganz egal welche Schuhe ich mir auch gekauft habe, nach kürzester Zeit zeigten alle dieselben Symptome. Woran das wohl gelegen hat, keine Ahnung. Aber mittlerweile auch egal. Was ich aber mitunter zum Thema beitragen kann, ist, dass es Schuhe gibt, bei denen kommt das Wasser von und solche, bei denen es oben hineinregnet. Klar, man kann schon imprägnieren, das hilft oftmals aber nur bedingt. Und man muss daran denken. In der Früh, im morgendlichen Stress, geht sich das sowieso nicht aus und beim Heimkommen, hat man wieder andere Dinge im Kopf; es ist ein ewiges Kreuz mit dem Schuhwerk. Ebenso wie die Sache mit den Frikadellen. Wir hatten damals ja nur FS1 und FS2. Kabelfernsehen oder so etwas gabs bei uns nicht. Darüber bin ich im Nachhinein natürlich froh, alleine schon der Sprache wegen. Und ich gebs ehrlich zu, für mich sind Frikadellen immer noch Fische. Ich meine, alleine schon phonetisch, das ist doch im Leben kein Faschiertes. (Ebenso wie Anchovis, in meinen Ohren klingt das total nach Gemüse, geht in Richtung Melanzani, ist aber etwas kleiner und schrumpeliger.) Frikadellen sind ein wenig größer als Sardinen und man isst sie geräuchert, ist doch logisch, oder. Wenn sie wissen, was ich meine. Die passen übrigens wahnsinnig gut zu gedämpften Erdäpfeln. Und gedämpfte Erdäpfel verbinde ich ja auch mit meiner Kindheit und mit AMC-Geschirr. Wers halt kennt. Ich glaub das war damals recht modern. Da hatten die Deckel eine eigene Anzeige, die ich nie wirklich durchschaut habe. Die Mama hat mit dem AMC-Geschirr gekocht. Da gabs auch mal so eine AMC-Party bei uns im Haus, wie diese Tupperpartys, nur halt fürs Kochen. Und ich muss ehrlich sagen, hat alles funktioniert. Das Wasser im Topf ist immer heiß geworden, angebrannt ist im AMC-Geschirr auch alles ganz wunderbar, kann man also nix sagen. Es war halt teurer, drum stand ja auch AMC drauf und es gab diese Anzeige auf dem Deckel. Ich hab kein AMC-Geschirr. Ich weiß auch nicht, wohin das AMC-Geschirr von der Mama gekommen ist, wie sie gestorben ist. Wahrscheinlich hats irgendjemand beim Altwarentandler gekauft und kocht sich grad gedämpfte Erdäpfel. So schließt sich der Kreis, wie immer, und wir können mit unseren zwölf Geschichten beginnen, deswegen sind wir ja hier, oder?

Winter

Thelonius Monk

Underground, 1968

Bobby Darin

Bobby Darin, 1972

1936-1973, 1974

Miles Davies

Kind of blue, 1959

Robbie McIntosh

Emotional bends, 1998

Queen

Innuendo, 1991

David Bowie

Hunky Dory, 1971

Scary Monsters, 1980

Earthling, 1997

Chris Rea

Return oft he Hofner Bluenotes, 2008

Nits

In the Dutch Mountains, 1987

Giant normal dwarf, 1990

dA dA dA, 1994

1974, 2003

Marcy Playground

Marcy Playground, 1997

Paul McCartney

Off the ground, 1993

Tom Petty & the Heartbreakers

The last DJ, 2002

1 – Der Junggeselle

Beim Aufstehen hatte er keinerlei Beschwerden. Die Nacht war angenehm und ruhig gewesen, er hatte sie regelrecht verschlafen. Nachdem er seine morgendliche Dusche genommen hatte, stand er vorm Waschbecken und suchte nach seiner Zahnbürste, die neben ihm am Boden lag. Der Spiegel war beschlagen, sodass er, anstatt seines Gesichtes, nur die Spuren seiner Zahnreinigungsaktivitäten ausmachen konnte. Weiße Punkte auf blassgrauem Untergrund. Er wusste genau, dass er den Spiegel nicht abwischen durfte, das hinterließ, egal wie ordentlich er arbeitete, Spuren in Form von Schlieren. Er öffnete das Fenster um die überschüssige Feuchtigkeit in der Luft abziehen zu lassen. Nachdem er sich angekleidet, sich vor dem, mittlerweile entschlagenem Spiegel rasiert und frisiert hatte, ging er in die zu kleine Küche und schaltete seine Kaffeemaschine ein. Es war ein Hochzeitsgeschenk seiner Frau gewesen. Zumindest war sie damals seine Frau gewesen. Müsste er das Gerät, nach der Scheidung, nicht wieder retournieren? Gedanken am Morgen waren unkonventionell, genauso wie er selbst. Das Mahlwerk gehorchte und tat seine Arbeit unter einer gewissen Anstrengung. Kurz darauf rann die dunkelbraune Flüssigkeit, einen gewissen Duft verbreitend aus dem dafür gefertigten Ventil. Etwas Kondensmilch, ein halber Löffel Zucker, unraffiniert und ein, zwei Zigaretten. Daraus bestand sein Frühstück. Zum Rauchen hatte er, nach vielen Jahren des Gelegenheitsrauchens, kurz vor der Trennung von seiner Frau wieder begonnen. Man sieht die Dinge zwar nicht kommen, aber man spürt es schon vorher, mitunter Jahre im Vorhinein. Jetzt setze er sich auf die Bank, rührte kurz in der schwarzen Tasse um, legte den Löffel bei Seite und nahm den ersten Schluck. Dann stellte er die Tasse wieder zurück, nahm sich eine Zigarette aus der fast leeren Packung und zündete sich diese an. Die ersten drei Züge waren die besten, danach war alles nur noch Routine. Mit dem Zeigefinger seiner linken Hand fuhr er sich in das dazugehörige Ohr und rüttelte ein wenig. Es musste noch etwas Wasser im Gehörgang sein. Nachdem er sein morgendliches Ritual hinter sich gebracht hatte, stand er auf, brachte seine leere Tasse in die Küche und füllte seine Arbeitstasche mit jenen Dingen, die er ihr jeden Abend entnahm. Telefon, Zigaretten, mitunter die Geldbörse. Dann ging er ins Vorzimmer, schloss die Türe hinter sich und kleidete sich an. Nachdem hinter ihm die Eingangstüre ins Schloss gefallen war herrschte absolute Ruhe in seinen vier Wänden.