1978 - Johannes Girmindl - E-Book

1978 E-Book

Johannes Girmindl

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Beschreibung

Platten kaufen war die eine Angelegenheit; eine Sammlung in Ordnung zu halten, ein ansprechendes System zu warten, den Überblick zu halten um etwaige Doppelkäufe zu vermeiden - darin lag die Kunst; und dessen war sich Falk bewusst.

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Johannes Girmindl, 1978 in Wien geboren. Singer, Sinner, Songwriter und Schriftsteller, veröffentlicht im Eigenverlag Tonträger, schreibt unentwegt neue Lieder und Geschichten. Zuletzt erschienen: die besten Stücke (CD), Der Schreiber.

www.girmindl.at

Die Ereignisse in diesem Buch sind reine Fiktion, bis auf jene, die wirklich stattgefunden haben. Welche das genau sind, bleibt hier aber unerwähnt. Ebenso sind die Namen der Protagonisten frei erfunden, bis auf wenige Ausnahmen. Welche das sind, wird hier ebenso nicht beantwortet.

Mein aufrichtiger Dank gebührt abermals Eva Billisich, die sich all der Beistriche, der verqueren Satzstellungen und Wortwiederholungen in engelhafter Geduld angenommen und somit auch dieses Buch lesbar gemacht hat. Danke.

Inhaltsverzeichnis

1 – Graz-Karlau

2 – 1978

3 – Kettenbrückengasse

4 – Alte Liebe rostet nicht

5 – Schallplatten Carola

6 – Vorletzter Platz

7 – Nudelsalat

8 – Libro

9 - Teuchtler

10 – Love is in the Air

11 – Virgin Megastore

12 – Pensch

13 – Epilog

1 – Graz-Karlau

Sinatra war tot; nach 82 Jahren hatte sich der Demokrat, der die letzten Jahrzehnte die Republikaner unterstützt hatte, auf die wahrscheinlich letzte Reise begeben. Nach einer Ehrenrunde in seinem Lieblingslokal war er endgültig von der Bühne abgetreten. Falk selbst hatte sich gerade daran gewöhnt, dass er zwanzig geworden war. Auch zahlenmäßig kein Teenager mehr. Gut, er hatte nie wirklich einen Blick auf sein Alter geworfen, hatte nicht sehnlichst erwartet endlich sechzehn zu sein oder gar achtzehn - und somit volljährig. Und bei ihm musste es nicht, wie oftmals bei älteren Vertretern seiner Spezies, als Ausrede herhalten - um das gestiegene Alter zu relativieren -, dass er so jung war, wie er sich fühlte. Denn meistens fühlte er sich wesentlich älter als die Zahl, welche ihm zugeteilt worden war und welche er ein Jahr lang tragen durfte. Es war Samstagvormittag und Falk fischte sich eine Zigarette aus der Packung, steckte sie zwischen seine Lippen und ließ das Feuerzeug aufleuchten. Natürlich hatte er gefragt, ob er hier rauchen dürfe. Nachdem sich aber der Inhaber des kleinen Second-Hand-Geschäftes selbst eine Zigarette gedreht hatte und kurz darauf rauchend hinter seiner Budel stand und von den restlichen vier Herren ebenfalls zwei rauchten, hatte Falk es für akzeptabel befunden, sich der Mehrheit anzuschließen. Das kleine Geschäftslokal befand sich am Lerchenfelder Gürtel direkt neben dem sogenannten Thalia-Hof. Es war das dritte Geschäft, wenn man von der Thaliastraße aus Richtung Westbahnhof ging. Falk wusste gar nicht mehr, wieso er es jemals betreten hatte. Es war einer der typischen Second-Hand-Läden, die, wenn man wie Falk auf Plattenjagd war, nur spärlich zu befriedigen wussten. Meistens war die Auswahl relativ klein und kannte man einen, dann kannte man alle. Falk musste es durch Zufall hierher verschlagen haben, damals, vor etwa zwei Jahren und just wurde er seinerzeit auch fündig. Country Memories von Jerry Lee Lewis hatte er erstanden. Und das war - man konnte es getrost zugeben - eine kleine Besonderheit. In der Regel fand man die üblichen Best of-und Greatest Hits-Zusammenstellungen. Reguläre Alben, noch dazu aus der Countryzeit des Rock`n`Rollers, konnte man in einschlägigen Geschäften vorfinden, zu dementsprechenden Preisen, aber das hier war ein Zufallsfund gewesen. Er hatte sich die Platte zurücklegen lassen, da er an jenem Tag kein Geld bei sich gehabt hatte.

Bei der Abholung dann war er mit dem Besitzer, einem kurzgeschorenen älteren Herrn, trotzdem noch nicht pensionsreif, ins Gespräch gekommen. Hier fühlte sich Falk verstanden und als er an einem Samstag, an einem Vormittag wie heute, das kleine Geschäft aufsuchte, bot sich ihm eine Szenerie, die ihm bis dahin unbekannt gewesen war. Möglicherweise waren es dieselben Herren wie heute, die sich um den Inhaber des Ladens scharten und rauchend über alte Zeiten sinnierten. Möglicherweise lag es daran, dass Männer eines gewissen Alters - und sie waren alle augenscheinlich jenseits der Fünfzig - den Samstagvormittag nach Möglichkeit auswärts verbrachten. Sie vermieden dadurch zu viel Reibung mit der daheim gebliebenen Gattin oder versuchten der Einsamkeit, die eine leere Wohnung vor allem am Wochenende mit sich brachte, zu entkommen. Ob sich Falk einsam fühlte, konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich beantworten. Nachdem er nach der Matura nach Wien übersiedelt war, um zu studieren, wie seine Mutter voll Stolz den anderen im Ort ungefragt mitteilte, war er in der Stadt angekommen, um festzustellen, dass hier niemand auf ihn gewartet hatte. Natürlich hatte er sich kein solches Szenario vorgestellt und er tat sich anfangs auch nicht schwer damit, er war immer schon ein Einzelgänger gewesen. Der Unterschied aber zu daheim war jener, dass er hier, auch wenn er wollte, sich nicht einfach Gesellschaft organisieren konnte. Hier besuchte er niemand auf gut Glück, denn die meisten seiner Freunde waren daheim geblieben oder hatten sich für eine entgegengesetzte Himmelsrichtung entschieden. Falk machte die Not zur Tugend und erkundete die Stadt auf seine Weise. Er begann die noch verbliebenen Plattengeschäfte zu entdecken. War es früher eine Vielzahl gewesen, so gab es in den auslaufenden neunziger Jahren einige wenige, die alles daran setzten, dem Digitalzeitalter zu trotzen. Der sogenannte Vinyl-Boom hatte noch nicht eingesetzt, und so fristete das schwarze Gold ein relatives Nischendasein. Auch Falk fühlte sich als Bewohner einer Nische. Wie eine Heiligenfigur in einer Säule des Stephansdoms, in Stein gehauen, sich seines Platzes gewahr, den jedoch niemand mehr kannte.

Falk drückte den Stummel seiner Zigarette aus. Was die Herren in diesem Laden verband, war wohl eine gemeinsame Vergangenheit, waren sie doch alle eingesessen. Manche von ihnen auch mehrmals. Es war also kein wirklicher Zufall, dass sie sich hier zusammengefunden hatten; hier war quasi der Treffpunkt für resozialisierte, schon etwas in die Jahre gekommene Haftentlassene - wenn man sie so nennen wollte. Falk kannte keinen der Namen, die immer wieder fielen - wie auch?- das Gespräch handelte offensichtlich von Justizwachebeamten, die jeder über länger oder kürzer gekannt hatte. Anekdoten gab es offensichtlich genug auszutauschen und die Szenerie hatte fast den Charakter eines Klassentreffens. Im Rückblick war selbst das Drama erträglich und nichts wird so gerne verklärt wie die Vergangenheit. Falk wusste, dass er hier nicht hergehörte, was ihn aber trotzdem nicht daran hinderte, sich noch eine Zigarette anzuzünden. Er würde heute ohnehin nichts vorhaben. Die Rauchschleier vernebelten das kleine Lokal, schienen aber niemanden wirklich zu stören.

Als Falk das Geschäft am Gürtel verließ, schien ihm die Sonne ins Gesicht. Der Mai hatte seine Vorteile, wenn er die Eisheiligen ignorierte. Neben Falk brausten die Autos auf den drei Spuren dahin, machten ihren Lärm und hinterließen Staub und Abgase. Falk war alleine. Das war nicht das Problem. Er musste seine Zeit nicht unbedingt in Gesellschaft verbringen, seine Interessen benötigten ohnehin in großem Ausmaß diese Ressource. Er fühlte sich nur, und das war ihm vollkommen bewusst, über lange Strecken hin einsam. Unabhängig auch davon, ob er sich in Gesellschaft befand oder nicht. Gerade vorhin, im Kreis alternder Kleinkrimineller, hatte er so etwas wie einen Anschluss gesucht, ihn oberflächlich gefunden, dabei aber sofort bemerkt, dass er weit davon entfernt war, sich auch nur annähernd anzunähern. Der Umzug hatte lediglich eine Mitnahme von Kleidung und Büchern, ein paar Platten und ein paar sonstigen wenigen Habseligkeiten gestattet; Beziehungen hatte er zurücklassen müssen. Und was waren schon Telefonate? Sie konnten die Situation entschärfen, waren aber kein Ersatz für eine Umgebung, welche Beziehungen gedeihen ließ. Er war ein Fremder in einer vertrauten Stadt. Ein Heimkehrer in eine nicht vorhandene Heimat. Das Gefühl, welches er ein Leben lang suchen und höchstwahrscheinlich nicht mehr finden würde, gehörte in eine längst vergangene Zeit und es war fraglich, ob es sich jemals so angefühlt hatte, wie er es nunmehr vermisste.

2 – 1978

Bevor die Straßenbahnlinie 21 nach rechts abbiegen würde, um sich Richtung Praterstern zu verabschieden, stieg Falk aus. Er überquerte die Heinestraße, um weiter die Taborstraße Richtung Am Tabor entlang spazieren zu können. Auf der rechten Straßenseite befand sich der Rock Shop. Ein kleines Plattengeschäft, das sich auf Rock´n´Roll, Rockabilly, Country sowie weitere artverwandte Musikgenres spezialisiert hatte und von zwei Herren mittleren Alters geführt wurde, die zur Blütezeit der hier angepriesenen Musikalien wohl selbst noch in den Kinderschuhen gesteckt waren, vorausgesetzt, sie hatten damals überhaupt schon das Licht der Welt erblickt. Falk wusste gar nicht mehr so genau, wer ihm diesen Tipp, noch vor Internet und Co, gegeben hatte. Wesentlich war aber ohnehin, dass er letztendlich hier war. Und hier war es auch gewesen, dass Falk an einem heißen Samstagvormittag das Album Keeps Rockin´