Hot Whiskey - Johannes Girmindl - E-Book

Hot Whiskey E-Book

Johannes Girmindl

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Beschreibung

Es stand derselbe junge Mann hinter dem Ausschank wie am Vortag und er begrüßte mich auch umgehend, als er in mir den Tölpel von gestern erkannte. "Ale?", war seine Frage. "Stout", meine Antwort.

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Johannes Girmindl, 1978 in Wien geboren. Seit 1994 Musik. Veröffentlicht im Eigenverlag Tonträger und schreibt unentwegt neue Lieder, manchmal auch Bücher. Das letzte, Die Moral ist eine Hure (2012)

www.girmindl.at

Hot Whiskey

kochendes Wasser

Zucker

Whiskey

Zitrone

einige Nelken

Whiskeyglas anwärmen

Wasser und Whiskey im gewünschten Verhältnis eingießen,

dazu etwas Zucker, die Zitrone und die Nelken

sofort servieren

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Pint I: It could be worse

Shot 2

Shot 3

Shot 4

Shot 5

Shot 6

Pint II: Das kann ich nicht verantworten

Shot 8

Shot 9

Shot 10

Shot 11

Shot 12

Pint III: Auf der Flucht

Shot 14

Shot 15

Shot 16

Shot 17

Epilog

Zuletzt erschienen

Prolog

Ich bin, das kann ich ruhigen Gewissens behaupten, ein geduldiger Mensch. Zweifelsfrei ist es bisher nie der Fall gewesen, dass ich noch vor Beginn einer längeren Wartezeit aufspringe und mich lautstark über deren Länge beschwere. Es ist mir auch nicht erinnerlich, dass ich jemals unruhig auf meinem Sessel zu zappeln begonnen habe, weil ich eben noch nicht an der Reihe gewesen war. Wie gesagt, ich habe Geduld und kann warten. Meine Frau, die dummerweise in diesem Moment nicht bei mir war, würde sogar sagen, ich hätte zu viel Geduld. Ich würde eher sagen, man kann mich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, einigen wir uns darauf. Warum ich ihnen das alles aber mitteile, hat folgenden Grund. Ich sitze in einem etwas engen und, wenn sie mich fragen, seit Jahrzehnten nicht mehr veränderten Wartezimmer und warte, weiß aber lediglich worauf ich warte. Warum ich warte entzieht sich meiner Kenntnis. In der guten Dreiviertelstunde, die ich mittlerweile hier verbracht hatte, konnte ich reichlich darüber nachdenken, die Lösung aber, ließ auf sich warten. Als ich diesen Raum betrat, war ich, abgesehen von der Sprechstundenhilfe, die in etwa dasselbe Alter wie die Einrichtung dieses Raumes haben mochte, die einzige Person diesseits der Eingangstür. Ich brachte kurz mein Anliegen vor, schilderte das Wie und Warum und sie meinte, ich solle einmal Platz nehmen. Gut, ich tat das voller Hoffnung und Freude. Wann kommt man schon mal zum Arzt und es ist niemand im Warteraum? Keine unruhigen Kinder und deren nörgelnde Erziehungsberechtigte, beziehungsweise Menschen der älteren Generationen zwischen Pension und Buchclub, die ihre Vormittage in der Arztpraxis verbringen um nicht ganz alleine zu sein. Nun, vielleicht war es hier anders. Mit den Gepflogenheiten des Landes war ich nur in geringem Ausmaß vertraut. Ich war schon des Öfteren hier gewesen, aber welchen Einblick bekommt man schon als Tourist?

Ich wartete also weiter. Meine Beschwerden waren erträglich, sie schienen aber nicht enden zu wollen. Ich vertraute zwar sehr stark meinen Selbstheilungskräften, in diesem Fall aber, schienen sie ebenso ratlos zu sein und konnten mich nicht unterstützen, selbst wenn sie es wollten. Ich verspürte seit einigen Tagen eine vehemente Übelkeit, die sich nicht auflösen wollte. Anfangs dachte ich an einen Anflug von Seekrankheit, doch als sich dieser Anflug nicht wieder verabschieden wollte, wollte ich mich auf die Suche nach einer Apotheke machen. Eine schnelle und praktische Lösung sollte angedacht werden, denn ich wollte meine drei Wochen Urlaub nicht im Bett verbringen. Das brachte mich aber zum nächsten Problem; es gab hier keine. Anscheinend waren Apotheken nur in größeren Ortschaften vorgesehen, hier gab es, abgesehen von zwei Pubs, ebenso vielen Kirchen, einem Umschlagplatz für alles Mögliche (abgesehen von leichter Arznei (wir haben dafür keine Lizenz)) wie unter anderem Konservendosen, Briefmarken, Seife und anderen Hygieneartikeln auch Bier (dafür hatten sie anscheinend eine Lizenz) sowie Zeitschriften und Ähnliches Kramuri. Meine Zigaretten musste ich mir im Pub holen, rauchen durfte ich sie vor der Tür.

Zwischenzeitlich hatte mich nun die etwas ältere Dame gefragt ob ich denn versichert sei. Ich bejahte und zeigte nicht nur meine österreichische Krankenversicherungskarte, auch ecard genannt, sondern auch meine neulich erworbene Zusatzversicherungskarte; in weiser Voraussicht und nach eindringlichem Bitten meiner Angetrauten hatte ich eine solche Versicherung abgeschlossen. Man kann ja nie wissen, hatte sie gemeint. Gut, man konnte auch nie wissen, dass man, geschätzt, eine halbe Ewigkeit warten musste um an die Reihe zu kommen; wie lange dauerte es eigentlich ohne Zusatzversicherung. Und wie lange würde es hier dauern, wären überhaupt Patienten im Warteraum.

Der Vorteil dieser Zusatzversicherung war, abgesehen von einigen Luxuszusätzen auf die ich nicht näher eingehen möchte, betreffen sie doch auch unter anderem, die Heimholung meiner sterblichen Überreste, sollte es in diesen Wochen zu meinem Ableben kommen, nicht in Bar eine Arztrechnung begleichen zu müssen, um sich dann, auf vielerlei Umwegen, sein Geld von der Krankenversicherung im eigenen Land rückfordern zu dürfen. Wir wissen, wie es um die Einfachheit solcher Rückerstattungen beschaffen ist.

Nun kam Bewegung in die Sache; die Schwester schien ein Formular für mich gefunden zu haben und brachte es mir. Ich sollte es ausfüllen. Das aber in einem Tempo, das sich konträr zur Ruhe und Besonnenheit der bisherigen Wartezeit verhielt. Ich hatte eine der drei Seiten ausgefüllt und wurde schon gefragt ob ich fertig sei. Ich sputete mich also, in der Hoffnung endlich zum hier residierenden und regierenden Allgemeinmediziner vorgelassen zu werden, und kreuzte an und hakte ab; nach bestem Wissen und Gewissen. Meine Kenntnisse der englischen Schriftsprache waren nicht übel, manches Wort verstand ich trotzdem nicht. Um einer übermäßigen Verlängerung, meiner an sich schon stolzen Wartezeit keinen Vorschub zu leisten, beantwortete ich die Fragen mit Hilfe meiner, an sich regen Phantasie und kreuzte wie wild, unterschrieb dreimal und davon zweimal mit Datum.

Freudestrahlend, wie es mein Zustand eben zuließ, übergab ich ihr den Bogen, den sie kurz überflog, dann aufstand und hinter einer Tür verschwand, hinter der ich den hiesigen Arzt vermutete. Und Recht sollte ich behalten. Ich hatte mich gerade hingesetzt und wollte nochmals, aus Ermangelung an Zeitschriften, die mittlerweile etwas farblos wirkenden Tapeten begutachten, da öffnete sich besagte Tür und ein älterer, etwas gebückt gehender Mann, der meines Erachtens nach schon bei der Schöpfungsgeschichte anwesend gewesen sein musste, sah mich an und meinte, ich solle eintreten.

Pint I

It could be worse

Shot 1

Was ich daran schätze ist das allein sein. Nicht die Einsamkeit, das ist etwas vollkommen anderes. Alleine an Deck, das Wetter äußerst unfreundlich und der Wind kurz vorm Sturm. Ich hatte das schon einige Male erlebt, nun war es das erste Mal alleine. Und mit alleine, meine ich alleine. Nicht alleine an Deck, einen ruhigen Moment für mich selbst; nein, alleine für die nächsten drei Wochen. Weit von zu Hause, weg vom Alltag, von allen Unannehmlichkeiten und Annehmlichkeiten, Gewohnheiten und Kompromissen. Der St Georges Channel war nicht stürmisch. Ein raues Gewässer, das auf den Atlantik traf, mehr nicht, in diesem schmalen Korridor zwischen England und Irland, in dem sich die Wellen an unendlich vielen Felsen brachen, wo die Wassermassen ihre Kraft an den meterhohen Steilküsten entfalteten und sich die Natur selbst zur Schau stellt. Ich war das erste Mal in meiner Jugend in dieses Land gereist, damals noch mit dem Rucksack, einem Zelt samt Schlafsack und Gaskocher. Wir waren damals zu zweit gewesen und hatten vier Wochen Zeit gehabt. Wir hatten damals überhaupt viel Zeit. Jetzt, gute zwanzig Jahre später wollte ich wieder hierherkommen. In der Zwischenzeit war ich mehrere Male mit den verschiedensten Personen hergekommen, die letzten paar Male mit meiner Familie. Anfangs waren wir zu dritt, das letzte Mal zu fünft. Und glauben sie mir, die Zeit der gemeinsamen Urlaube hatte sich dem Verfallsdatum genähert, die Interessen waren altersbedingt von großem Unterschied und es gab Schlagworte wie Freiheit, Selbständigkeit und Auszeit. Die nahm ich mir nun also. Nicht, dass es Probleme in unserer Ehe gab, im Gegenteil. Der Nachwuchs war so gut wie aus dem Haus oder kam lediglich zum Essen beziehungsweise zum mehrmals monatlichen Zahltag und somit fand sich auch der eine oder andere Tag für uns, der seine erotischen Möglichkeiten wollüstig zur Schau stellte. Auf einmal war Zeit im Überfluss vorhanden.

Das Flugzeug hatte mich bis nach Swansea gebracht. Natürlich hätte ich einen Flug direkt nach Dublin oder Cork buchen können, aber das wollte ich nicht. Für mich gehörte eine Überfahrt zum Programm. Mit der Fähre übers Wasser. Ein wesentlicher Bestandteil des Ganzen. Es war so, als würde man eine Schleuse durchschreiten, durch die man hindurch musste; und auf der anderen Seite angekommen, war man selbst jemand anderer.

Ich hatte für dieses Mal nicht viel Gepäck. Ich wollte mich auf das Wesentliche konzentrieren und das waren mit Sicherheit nicht die sogenannten Sehenswürdigkeiten des Landes oder gar das Nachtleben der Hauptstadt. Ich wollte das Land selbst atmen, ich wollte mir einen Ort finden, der ursprünglich und bewahrt war, der sich noch nicht an die Tourismusbranche, an Menschen wie mich verkauft hatte. Ich wollte die Quadratur des Kreises. Ich wollte das, was jeder Tourist wollte, Urlaub ohne Touristen, ohne diese Inszenierung. Ich wollte mich drei Wochen an einem abgelegenen Fleckchen einquartieren und einfach da sein. Ich wollte Teil des Ganzen werden, zumindest bis zu meiner Abreise. Ich hatte mir also Hin und Rückflug zurechtgebucht und war dazwischen relativ auf mich selbst gestellt. Finanziell brauchte ich mir keine Gedanken machen. Ich hatte meine beiden Karten dabei, die ich nutzen konnte und war sonst auch noch durch eine Travelcashcard abgesichert. Sollten alle Stricke reißen, würde ich in diesem Fall von daheim Unterstützung erfahren.

Was ich an der Fähre so schätzte war einerseits, die Erinnerungen die sie in mir weckte und andrerseits war es eine gute Vorbereitung auf ein entschleunigtes Dasein, das mich jedes Mal erwartete sobald ich einen Fuß auf den Boden dort setzte. Ich bestellte mir an der Bar einen Pint Murphy´s und war glücklich einmal an gar nichts denken zu müssen. Lediglich an Zigaretten. Ich hatte die leidige Angewohnheit, wenn ich Alkohol außer Haus trank, dazu rauchen zu müssen. Woher dieser Zwang, sich zum Bier eine Zigarette anzünden zu müssen kam, weiß ich nicht. Möglicherweise lag es daran, dass ich es in meiner Jugend gewöhnlich so getan hatte und nun war ich hier ein Glas mit nahezu schwarzem Inhalt und einer Packung John Players am Tisch. Nachdem ich die erste Hälfte der Überfahrt an Deck verbracht hatte, war ich wieder ins Warme gekommen um mich etwas aufzuwärmen. Nicht, dass ich mir leicht eine Erkältung zuzog, im Gegenteil, ich war so gut wie nie krank, nein, ich wollte einfach alles auf einmal. Ich wollte alleine an Deck stehen, den Wellen zuhören, rauen Wind im Gesicht spüren, die Feuchtigkeit der Luft im Haar, gleichzeitig sitzend vor mich hinstarren, dieses eigenartige Bier trinkend, Zigaretten rauchend, zeitlos im Hier und Jetzt, ohne Vergangenheit und mit ungewisser Zukunft an die ich keine Gedanken verschwendete. Wie gesagt, ich hatte mir nicht viele Pläne zurechtgelegt, ich wollte an Land gehen und mich erst einmal umsehen. Ich fühlte mich recht sicher mit diesem Vorhaben, Ein Dach über dem Kopf würde ich ohnehin an jeder Ecke finden und damit auch Speis und Trank. Es war jetzt kurz nach halb zwei und wir würden in etwa einer halben Stunde landen, damit hatte ich noch einige Zeit um mir ein Quartier für die Nacht zu suchen. An einem Wochentag kein Problem, auch nicht am Land. Rosslare Harbour war zwar einer der am meisten angefahrenen Fährhafen, ansonsten aber ein etwas verschlafener Küstenort, der Hauptsächlich Umschlagplatz für Container war. Ich hatte ohnehin nicht vor dort zu bleiben. Ich wollte mich, unmittelbar nach meiner Ankunft auf den Weg ins Landesinnere machen. Etwa eine Autostunde dazu verbrauchen und mich dann nach einem kleinen Flecken umsehen an dem ich zumindest die nächsten paar Tage verbringen wollte.

Das zweite Murphy´s hatte nicht dieselbe Wirkung wie das erste. Das erste hatte einen emotionalen Kulissenwechsel zur Folge gehabt, das zweite gehörte schon zum neuen Bühnenbild und fiel dementsprechend nicht mehr auf. Der Rahmen war da, die Zeit musste ihn nur noch füllen. Ich dachte an den Rest meiner Familie, unserer Bande, wie ich sie in den letzten Jahren immer genannt hatte. Mit zunehmendem Alter ödete es zwar meine Kinder an, mir gefiel es aber, brachte es mir doch ein wenig die längst vergangenen Erlebnisse zumindest als Erinnerungen wieder. Meine beiden Töchter, sie waren 21 und 17 wohnten seit kurzen in einer gemeinsame Wohnung. Anna, die jüngere der beiden, packte die Möglichkeit, zu ihrer Schwester zu ziehen, beim Schopf. Thea war vor zwei Jahren, nachdem sie ihre Matura absolviert hatte aus ihrem Zimmer im obersten Geschoss unseres Hauses ausgezogen. Sie hatte sechs Monate auf Achse verbracht, war querfeldein durch Südamerika getrampt und dann wieder wohlbehalten in Wien angekommen. Auf die Wiedersehensfreude folgte der Schock als sie uns verkündete, sie wolle nun auf eigenen Beinen stehen. Gut, wir durften sie unterstützen um eine geeignete Wohnung für sie zu finden, das war es aber auch schon. Seitdem widmete sie sich ihrem Germanistikstudium und besuchte uns in unregelmäßigen Abständen. Samuel war also der letzte verblieben Spross unserer Familie, der auch seine Anschrift mit uns teilte. Er war selten daheim, zumindest kam es mir so vor. Sein Zimmer war oft leer, wenn ich vom Büro nach Hause kam und nachsehen wollte, wie es ihm denn so gehe und die Wochenenden schien er regelmäßig zu verschlafen. Wenn ich mich an meine eigenen Jugendjahre erinnere, so kann ich es ihm nicht verdenken. Nun ist es wohl zu spät, um jung zu sterben, dachte ich mir und nahm einen letzten Schluck aus meinem Glas.

Ich spürte dass der Motor gedrosselt wurde und der Kapitän wohl zum Landemanöver ansetzte. Es gab die obligaten Durchsagen, dass es eine Freude gewesen sei mich als Gast zu haben, ich solle wieder kommen und einige weitere Informationen, denen ich aber nicht mehr Aufmerksamkeit schenkte, weil ich sie ohnehin nicht wissen wollte. Ich ließ das leere Glas stehen und stand auf. An Deck reihte ich mich in die überschaubare Menge an Rucksacktouristen und LKW-Fahrern ein um mich endlich ins gelobte Land zu begeben.

Shot 2

Weil es ja hauptsächlich ums Wetter geht; es regnete nicht, es war leicht sonnig und der Himmel durchzogen von einigen Wolken, Die aber halten würden. Man konnte das sehen, wenn man wusste worum es dabei ging. Ich war gerade aus der Halle gekommen, die als Hauptattraktion, dieses wunderbare Förderband besaß, auf dem jegliche Gepäckstücke lagen, die einerseits nicht mehr als Handgepäck durchgingen und andrerseits nicht zu jedem Eck der Fähre mitgetragen werden wollten. Die Spur des Bandes verlief fast durch die halbe Halle, sodass genügend Platz für ein schnelles Pick-Up der Gepäckstücke möglich war. Der Rest bestand aus hauptsächlich geschlossenen Schaltern, zwei Kartenautomaten und einem Imbiss, der aber auch geschlossen hatte. Ich pickte also up und verließ diesen Schauplatz, um mich draußen nach etwas Essbaren umzusehen. Ich hatte mittlerweile Hunger bekommen. Waren es die beiden Murphy ´s die meinen Magen gedehnt hatten oder war es einfach der lange Abstand zu meiner letzten Mahlzeit gewesen; etwas, und sei es nur ein Sandwich musste her. Links und rechts war ein großzügiger Parkplatz angelegt, der, abgesehen von einer Handvoll Wagen, völlig leer war. Die Ankunft an solchen Fährhafen war mir bis jetzt noch nie so trostlos vorgekommen, alles wirkte wie ausgestorben, als wäre man in einer Geisterstadt angekommen. Das lag natürlich auch daran, dass es ein kleines Stück weiter in den eigentlichen Ort war und hier lediglich der Hafen war. Man kam hierher um zu arbeiten, nicht um zu wohnen. Schaffte man sich hier einen künstlichen Abstand zwischen Wohn und Arbeitsplatz, der nicht notwendig war oder tat man es um nicht direkt am Strand zu wohnen, zu nahe an der rauen See, die oftmals unberechenbar sein konnte und ihre Urgewalt zeigte, obwohl sie im Moment relativ ruhig vor sich hin wogte. Nach so einer Überfahrt, kann es manchmal der Fall sein, dass einem sein Gleichgewichtsorgan etwas zu schaffen macht. Ich hatte bisher, wenn ich mich recht erinnere, noch keinerlei Probleme damit gehabt. Gut, ich war noch nie bei stürmischer See auf einem Boot, geschweige denn einem Schiff gewesen, ich bin für solche Fragen also gänzlich der Falsche; als ich das erste Mal länger mit einer Fähre unterwegs war, wir fuhren damals fast die ganze Nacht, ging es meinem Mitreisenden recht übel, ich bemerkte damals von all dem aber nichts, er glaubte wahrscheinlich, dass er die Nacht nicht überleben würde. Ich kann mich noch erinnern, wie er seinem Abendessen nachweinte, er hatte es quasi umsonst zu sich genommen und was noch schlimmer gewesen war, auch bezahlt.

Ich freute mich, als ich den Wagen bemerkte, der aus seinem Rückfenster Erfrischungen und Snacks zu bieten hatten. Zumindest versprach das das bunte, und offensichtlich selbst gemalte Schild an der Seite des Wagens. Wahrscheinlich konnte man es mit anderen beliebig austauschen, um so gewappnet für jegliche Art von Geschäft zu sein. Ich erkundigte mich, was es denn so im Angebot gäbe und musste prompt erfahren, dass ich mir nicht den Kopf darüber zerbrechen musste, woraus mein Imbiss bestehen würde. Es gab Chips, gesalzen oder mit Essig, zweierlei Sandwich und Äpfel. Ich entschied mich für das Sandwich mit Hühnerfleisch. Die äußerst nette Dame, die ihn mir durch das geöffnete Fenster reichte, fügte noch hinzu, dass sie ihn selbst, heute Morgen frisch zubereitet hatte. Ich bezahlte mit einem Fünfeuroschein und bekam mehr als die Hälfte wieder retour. Solch moderate Preise war ich nicht gewohnt. Lag das nun an der gemeinsamen Währung? Konnten wir Touristen nun besser vergleichen, konnte man uns nun nicht mehr so leicht übers Ohr hauen? Ich hatte nie den Eindruck, dass wir ausgenommen worden waren auf unseren Reisen. England schien noch teurer zu sein und Irland? Es war noch abgelegener. Und das Bier kostete bei uns fast das gleiche. Es hatte seinen Vorteil, die gleiche Währung zu haben. Die Nachbarinsel hatte ihre ja behalten, und ich finde, das zu Recht. Ich fand das britische Pfund war uns schon lange voraus gewesen. Gut, wir hatten jetzt auch unsere Bimetallmünzen, die, die jeden Urlaub zu etwas interessanteren machten. Die schwere Pfundmünze, die auch durch ihr Gewicht ihren Wert vermitteln konnte, und man spürte, was man ausgab. Nun, Irlands Währung war zwar auch das Pfund, da aber das Irische und das, natürlich mit weniger Wert. Nun aber, waren wir alle gleich. Ich steckte mir die Münzen in meine rechte Hosentasche und wickelte das Sandwich aus. Hausgemacht, das konnte Gutes sowie weniger Gutes bedeuten. Als durchaus positiver Mensch, am Anfang einer dreiwöchigen selbst gewählten Auszeit konnte das also nur etwas Gutes bedeuten. Ich verschlang diesen Brot-Fleisch-Brothappen und hatte so zumindest mein Hungergefühl vertrieben. Frisch gemacht, das mochte stimmen. Ob die Zutaten genau so frisch wie die Tätigkeit gewesen waren, nun, es war Tradition hier, alles etwas saurer zu haben als sonst.

Der Bus nach Cork über Waterford fuhr zu jeder vollen und zu jeder halben Stunde. Ich würde nicht warten wollen, sondern machte mich zu Fuß auf den Weg.. Warum sollte ich hier die Zeit vergeuden und warten. Abgesehen davon, wollte ich ja hier sein und nicht bloß von a nach b, um dann ein Programm voller Attraktionen über mich ergehen zu lassen. Alle ein zweihundert Meter kam ein Wagen vorbei. Es waren einige LKWs dabei, Personenwagen begrüßten mich hier spärlicher. Es war kurz nach 14 Uhr und ich hatte mir zum Ziel gemacht innerhalb der nächsten beiden Stunden eine Bleibe für zumindest die nächsten zwei Tage zu finden, um mich dann später etwas weiter ins Landesinnere zu begeben.

Ich hatte mir, wie schon erwähnt, nicht übermäßig viel Kleidung mitgenommen. Einerseits, wieso sollte ich schon mehr als drei Hosen benötigen, eine Wochenration an T-Shirts, ebenso viel Unterwäsche, zwei Pullover und ein paar Hemden. Wichtig war ein zweites Paar Schuhe. Ansonsten hatte ich nur noch Zahnputzzeugs, einen Kamm und Seife mit. In diesen B & B Unterkünften gab es im Badezimmer immer diese kleinen Packungen Shampoo und dergleichen. Oftmals hatte ich sogar erlebt, dass es sich um wirkliche Produktproben handelte. Man muss schauen wo man bleibt, klar. Der Wegweiser informierte darüber, dass es bis nach Killinick etwa zwei Meilen wäre, Piercetown lag etwa dreieinhalb Meilen entfernt. Bis nach Piercetown war es also noch etwa eine Stunde. Das würde ich schaffen. Das Wetter schien zu halten, es waren keine grauen Wolken weit und breit und die Luft an sich war ruhig. Nachdem ich die Küste etwas hinter mir gelassen hatte, schien auch der Wind abzuflauen, die Meeresbrise war vergessen und ich machte mich, auf einer links und rechts eingefassten Straße, auf in Richtung Piercetown. Etwa auf halbem Weg hielt ein Wagen neben mir und der Fahrer fragte mich, wohin ich denn wollte. Ich meinte, dass ich auf dem Weg nach Piercetown sei. Ich könne mitfahren, sofern ich das wollte. Oder, meinte er, ich solle einsteigen, er nehme mich mit. Ich lauschte seinen Worten und verstand auf Anhieb einmal so gut wie gar nichts. Das war mein klassischer Einstieg. Jedes Mal wenn ich hierherkam, fiel es mir schwer, die ersten Sätze, die ein Einheimischer zu mir sprach zur Gänze zu verstehen. Meist kam ich erst Stunden später darauf, was denn genau jemand nun zu mir gesagt hatte. Und ebenso ging es mir auf der relativ kurzen Fahrt. Einerseits waren es freundliche aber übliche Floskeln, wie zum Beispiel woher ich denn komme, was ich denn hier wolle, aha, Urlaub, ja wenn man es ruhig möchte, aber wieso Piercetown, ob ich wisse wohin und in etwa doppelt so viel, das ich nicht verstand. Gut, sein Toyota Hiace, der auch schon bessere Zeiten gesehen haben musste, war nicht gerade das leiseste Gefährt, die Straße war eben doch ein ewiges links und rechts und sein Radio, das dudelte, mit immer wiederkehrenden atmosphärischen Störungen, unterband auch jegliche Möglichkeit, mich die Worte verstehen zu lassen. Hier gab es zwar so gut wie keine Berge, die den Empfang stören konnten, sie fehlten aber auch um die Sender etwas höher gelegen zu positionieren. Zwischen den Musikstücken informierte uns eine Sprecherin darüber, dass dies und jenes los sei, soviel verstand ich zumindest. Als wir kurz vor Piercetown waren, sagte John Keenan, mittlerweile hatte er sich vorgestellt, mit vertraulichem Unterton, dass er wüsste wo ich für die nächsten Tage bleiben konnte. Wenn ich wollte, würde er mich zu seiner Schwägerin bringen. Sie war mit seinem Bruder verheiratet gewesen, bis der vor dreizehn Jahren im Sägewerk ertrunken war. Trotz aller Widrigkeiten der Verständigung hakte ich bei dieser Aussage nach, im Sägewerk ertrunken, wie sollte das funktionieren. Ja, ja, meinte er, als hier noch alles von Hand gemacht wurde, nutzte man den Fluss der an Piercetown vorbleilief um die Säge im Laufen zu halten. Es gab deswegen sogar einmal einen kleineren Konflikt, weil die Mühle, die etwas weiter flussabwärts lag, immer zum Stehen kam, wenn flussaufwärts gesägt wurde. Der Wasserantrieb der Säge war nun aber schon seit mehr als sechzig Jahren außer Betrieb und es war fraglich ob er sich überhaupt wieder in Gang setzen lassen würde. Der Fluss aber selbst, war immer noch da und in diesen war sein Bruder im Mai 99 gefallen und ertrunken. Er war an diesem Tag, so wie an jedem anderen wieder betrunken gewesen. Das hatte zur Folge, dass die jährlichen Apfelweinfestivitäten zum ersten Mal abgesagt wurden. John Keenans Bruder, Patrick war Vorsitzender des Komitees, das einerseits die Teilnehmer nominierte und andererseits die Preise für den besten Cidre der Umgebung vergab. Es war das einzige Mal, dass dieser Fixpunkt im Veranstaltungskalender des Landkreises ausfiel. Im Jahr darauf gab es einen neuen Vorsitzenden. Jack McCreegan. Er selbst saß schon mehrere Jahre im Komitee und hatte, im Gegensatz zu seinem Vorgänger noch keine zittrige Handschrift.

Wir fuhren an einem vom rauen Wetter gezeichneten Schild vorbei, das uns darauf hinwies, dass hier in Piercetown, der Abfall, in die dafür vorgesehenen Behälter gehörte. Nun gut, das war leicht zu merken.