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Er ist in Tucker Ridge untergetaucht und arbeitet unerkannt als Stallhelp. Niemand vermutet in dem abgerissenen Arbeiter einen ehemaligen Revolvermann. Doch die Dinge in der Stadt spitzen sich zu. Unaufhaltsam steuert sie auf eine Auseinandersetzung zwischen zwei Ranchern zu, und Revolvermänner kommen in die Stadt. So lange wie möglich, versucht der Stallhelp neutral zu bleiben. Doch als die hübsche Heather Monroe zwischen die Fronten gerät, wird es ihm zuviel - und er greift zur Waffe...
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Seitenzahl: 153
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Der Stallhelp
Wildwestroman
von Logan Kenison
Das Buch
Er ist in Tucker Ridge untergetaucht und arbeitet unerkannt als Stallhelp. Niemand vermutet in dem abgerissenen Arbeiter einen ehemaligen Revolvermann. Doch die Dinge in der Stadt spitzen sich zu. Unaufhaltsam steuert sie auf eine Auseinandersetzung zwischen zwei Ranchern zu, und Revolvermänner kommen in die Stadt. So lange wie möglich, versucht der Stallhelp neutral zu bleiben. Doch als die hübsche Heather Monroe zwischen die Fronten gerät, wird es ihm zuviel - und er greift zur Waffe...
Der Autor
Logan Kenison ist ein deutscher Autor von Western-, Abenteuer- und Spacegeschichten. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.
Inhalt
Impressum
Der Stallhelp (Roman)
Weitere Titel von Logan Kenison
Copyright © 08/2018 by Logan Kenison
Lektorat: Carola Lee-Altrichter
Coverfoto: mit freundlicher Genehmigung von Edward A. Martin
Kontakt: [email protected]
Abdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Autors.
Der Stallhelp
von Logan Kenison
Der Mann hämmerte kraftvoll gegen die Bretter des Mietstalls, sodass es im Innern klang, als würden Kanonenschläge abgefeuert. Der Stallhelp schreckte von seiner Lagerstatt hoch und rieb sich die Augen. Nein, es war kein Irrtum: Es war tatsächlich mitten in der Nacht. Draußen war es stockdunkel, und hier drinnen, in seinem Verschlag, ebenfalls.
Einem ersten Impuls folgend wollte er nach der Petroleumlampe greifen und sie entzünden, doch dann hielt er inne. Licht bedeutete nicht nur, dass er den nächtlichen Besucher zu sehen bekam, sondern auch, dass dieser ihn zu sehen bekam. Also stand er auf und taumelte noch leicht benommen und schläfrig durch die Dunkelheit, mit Bewegungen, die erahnen ließen, dass er die Dreißig noch nicht lange überschritten hatte. Da hörte er eine ruppige Stimme durch die dünne Bretterwand dringen.
»Aufmachen, verdammt noch mal! Du verschlafener Bastard von einem Stallarbeiter, ich mache dir Beine, wenn dieses Tor nicht in fünf Sekunden offen ist!«
Der Stallhelp tastete voran, erreichte die Frontseite des Stalls und schob den Riegel zur Seite. Dann glitt das große Torblatt auf. Es quietschte in den Angeln.
»Das wurde aber auch Zeit!«, herrschte der Mann ihn an.
Im Dunkel der Nacht, das nur von wenigen Sternen erhellt wurde, die dem Himmel eine blauschwarze Färbung gaben, während der Rest – die Straße, die Umrisse der Häuser, das Pferd und der Besucher – in nachtschwarz gehalten war, konnte der Stallhelp nur die Silhouette des Mannes ausmachen, und ihm war sogleich klar, dass es ein sehr großer und sehr breiter Mann sein musste, der an die Tür geklopft hatte.
»Ich bin den ganzen Tag und die halbe Nacht geritten«, schnauzte der Ankömmling den Stallhelp an, als ob es dessen Schuld wäre, »und jetzt brauche ich einen Platz für mein Pferd und danach ein Bett für mich. Also, Mister, nimm den Gaul und gib ihm alles, was er braucht; er hat mir gute Dienste geleistet. Aber zuvor sag mir, wo ich ein Hotel oder ein Boarding House finden kann.«
»Wir haben nur ein einziges Hotel«, sagte der Stallhelp, »das Diamond Plaza. Ein paar Schritte die Main Street runter auf der linken Seite.«
Der Mann warf ihm die Zügel zu, wandte sich ab und stapfte davon, da holte ihn die Stimme des Stallhelps ein:
»Eine Frage noch, Mister. Wer ist der Eigentümer?«
Der Fremde blieb stehen und fuhr herum.
»Was soll das heißen? Glaubst du, ich habe ihn gestohlen? Ich?«
»Nein, Mister. Ich kann Sie bei Dunkelheit nicht sehr gut sehen, und wir möchten doch beide nicht, dass ich das Tier morgen früh an eine falsche Person aushändige.«
Der Mann überlegte, und das, was der Stallbursche sagte, machte Sinn. Daher brummte er: »Burl Langdon. Ja, ich heiße Burl Langdon. Aber behalt’s für dich, Kerl. Muss keiner wissen, dass ich in Tucker Ridge angekommen bin. Kapiert? Zumindest jetzt noch nicht.«
»Kapiert«, sagte der Stallhelp und nahm das Tier bei der Trense, um es in den Mietstall zu führen.
Der Fremde sah dem Stallhelp noch ein paar Sekunden lang zu, dann setzte er seinen Marsch zum Hotel fort. Der Mann trug einen langen Staubmantel, der im Nachtwind wallte, und er hatte nach Schweiß gerochen. Der Stallhelp wusste, ohne dass er es gesehen hatte, dass er seinen Colt tief am Schenkel trug, nicht hoch an der Hüfte, wie die Cowboys draußen auf der Weide. Dieser Mann war ein Revolverschwinger. Der Name hatte dem Stallhelp alles gesagt.
Er führte das Pferd in eine Box, entzündete dann eine Petroleumlampe, nahm dem Tier im Lichtschein den Sattel ab und hängte ihm einen Sack mit Hafer ums Maul. Gierig stürzte sich das Tier auf die kraftvolle Nahrung. Nach dem langen und kräftezehrenden Ritt war dies genau das, was es brauchte.
Dann striegelte der Stallhelp das Fell, bis es glänzte. Es war ein schönes Pferd mit einer prächtig gemusterten Decke. Ein Apfelschimmel mit verschiedenen Grautönen und verschieden großen Flecken und Punkten. Solch ein Tier sah man nicht sehr häufig, es war bestimmt wertvoll und als Zuchthengst geeignet. Der Stallhelp schätzte seinen Kaufpreis auf vierhundert Dollar.
Er ließ sich Zeit und sprach mit dem Tier, während er ihm immer wieder mit der Bürste durch sein Fell strich. Das Tier gewann Zutrauen, und es bekam alles, was es brauchte, Futter, Wasser, und dann leckte es am Salzstein.
Als der Stallhelp mit seiner Arbeit fertig war, nahm er die Petroleumlampe auf und stiefelte in seinen Verschlag zurück. Bett konnte man diesen Verhau hinter einigen dünnen Latten, der mit Stroh ausgelegt war, eigentlich kaum nennen. Doch es war sein Ort, sein Reich. Hier bewahrte er auch in einer kleinen Holzkiste die wenigen Dinge auf, die ihm gehörten. Und niemand, auch nicht der Eigentümer des Stalls, konnte ihm hier reinreden. Er schlief bei den Tieren, die die Leute hierherbrachten, um sie versorgt zu wissen, und kümmerte sich um sie. So hatte er genug zu tun und am Ende der Woche ein paar wenige Dollar. Doch dafür hatte er seine Ruhe vor den Menschen. Niemand scherte sich um den Stallhelp, denn er war ja bloß der Pferdebursche, der Kerl, der im Stall all die anfallenden Arbeiten erledigte, und nie etwas von Bedeutung sagte. Niemand würde in einem Mietstall nach einem Mann suchen. Niemand.
Und so legte sich der Stallhelp wieder auf seine Lagerstatt, blies die Lampe aus und versuchte wieder einzuschlafen.
Doch bevor es soweit war, kreisten seine Gedanken noch ein paar Mal um Burl Langdon.
Dieser Revolvermann war nicht ohne Grund nach Tucker Ridge gekommen. Er hatte einen langen und strapaziösen Ritt auf sich genommen, und war die halbe Nacht hindurch geritten.
Was gab es in Tucker Ridge, das für ihn diesen Aufwand lohnte?
Der Stallhelp hatte keine Ahnung, denn ihm entging mitunter, wer hierherkam, wie lange wer blieb, und wer abreiste. Die Stagecoach kam, die Stagecoach fuhr ab. Planwagen mit Siedlern passierten allenthalben die Stadt. Er bekam kaum mit, wenn neue Einwohner hinzuzogen und sich neue Häuser und Gärten und Koppeln bildeten. Er blieb bei »seinen« Pferden, und hier hatte er genug zu tun.
Hin und wieder ging er nach Einbruch der Dunkelheit zum Saloon hinüber, wo er an der Hintertür klopfte, bis der Barmann Albert Heesen ihm öffnete. Für zwei Dollar reichte er ihm eine Flasche Whisky heraus, die der Stallhelp dann mit in seinen Verschlag nahm.
Er teilte sich die Rationen ein. Nie zu viel. Nie sank er betrunken zu Bett. Doch der Whisky half ihm, über all das wegzukommen, was seit ein paar Jahren unablässig seine Gedanken beherrschte.
Er half ihm einzuschlafen und nicht zu sehr über all die Dinge nachzugrübeln, die ihn beschäftigten.
Schon wollte er sich nochmals aufsetzen und die Flasche holen, um sich noch ein paar Schlucke zu genehmigen, da überwältigte ihn doch noch der Schlaf. Burl Langdon entschwand seinen Gedankenkreisen, und die weite Prärie trat an dessen Stelle. Der Himmel war strahlend blau, die Sonne brannte herab, der Wind wehte über die Ebene heran. Der Stallhelp saß auf dem Rücken eines Pferdes und ließ es in vollem Galopp laufen. Mit raumgreifenden Sprüngen bewegte das Tier sich vorwärts. Es war prachtvoll, dessen Kraft zu spüren und sich den Wüstenwind um die Ohren blasen zu lassen.
Der Stallhelp liebte diese Ausritte, hatte sie immer genossen, und würde dies bestimmt in vielen Jahren immer noch tun. Doch er besaß kein eigenes Pferd. Das Tier in seinem Traum stammte aus dem Mietstall. Er hatte es einfach gesattelt, sich auf dessen Rücken gesetzt und war losgeritten.
Als er jetzt nach unten blickte, sah er, dass es der Apfelschimmel war.
Burl Langdons Tier.
Ein jäher Schreck fuhr dem Stallhelp durch alle Glieder.
Der Mann war Revolverkämpfer – er würde kein Verständnis dafür aufbringen, wenn man ihm den Gaul abspenstig machte, zumal das Tier außergewöhnlich und vierhundert Dollar wert war. Mit einem Pferdedieb würde er bestimmt kein Erbarmen kennen.
Und richtig – da trat Burl Langdon aus dem Nichts dem Stallhelp in den Weg.
Der Reiter riss am Zügel und konnte das Pferd gerade noch zum Stehen bringen, während Burl Langdons wasserblaue Augen ihn finster anfunkelten. Er schob sein kantiges Kinn nach vorn.
»Du verdammter Pferdedieb! Dir zeige ich’s!«
Und schon zog er seinen 44er Walker Colt.
Der Stallhelp stand in diesem Sekundenbruchteil plötzlich neben dem Apfelschimmel und griff seinerseits nach der Waffe. Wie durch Zauberei war sie in seinem Traum aufgetaucht, und sie hing ihm genauso tief am Schenkel wie dort drüben bei Burl Langdon.
Er schnappte nach seinem Colt und zog, und alles ging sauber und glatt – und sehr viel schneller als bei Burl Langdon. Doch obwohl der Stallhelp in seinem Traum gedacht hatte, den Revolvermann zu schlagen, blitzte bei diesem drüben bereits das Mündungsfeuer auf.
Der Stallhelp spürte, wie die Kugel in seinen Körper einschlug.
Es war ein heftiger Schlag, der eine Schockwelle in alle Glieder aussandte und ihn lähmte.
Er selbst kam gar nicht mehr dazu, den Revolver abzufeuern.
Er blickte an sich hinab, entdeckte das Loch in seinem Hemd und dass sich seine Brust rot färbte.
Und drüben, wenige Schritte von ihm entfernt, stand Langdon breitbeinig da und lachte. Das Lachen war höhnisch, und es gellte in den Ohren des Stallhelps. Selbst als er erwachte und realisierte, dass der Morgen bereits angebrochen war, dass draußen ein Hahn krähte, und die Pferde in den Boxen schnaubten, gellte das Lachen immer noch in den Ohren des Stallhelps.
*
Der Stallhelp sah Burl Langdon an diesem Tag wieder, doch diesmal bei Tageslicht. Der Revolvermann musste bis Mittag geschlafen haben und war dann aufgestanden. Wahrscheinlich hatte er im Restaurant ein Mittagessen eingenommen, vielleicht hatte er auch ein Bad genommen oder sich anderweitig gewaschen, rasiert und frischgemacht.
Als er gegen halb drei auf die Main Street trat, trug er seinen dunklen Staubmantel und wechselte ein paar laute Worte mit einem anderen Mann. Der Stallhelp hörte Geschrei und ging zum großen Tor, und noch bevor er es erreicht hatte, sah er, wie die Menschen auf der Straße zusammenliefen.
Burl Langdon stand in der Straßenmitte und schlug gerade den Staubmantel zurück, sodass dieser ihn nicht behinderte, wenn er gleich zum Revolver greifen würde.
Ein anderer Mann hatte sich vor ihm aufgebaut. Dem Raunen nach, das durch die Menge ging, musste es sich um Ringo Hostetter handeln.
Hostetter – ein weiterer bekannter Name in der Gilde der Revolvermänner – war etwas kleiner und schmaler als Langdon und trug die Kleidung eines Cowboys, doch sah man ihm an, dass er nie als Cowboy gearbeitet hatte. Die rostroten Hosen wirkten neu, und das beigefarbene Hemd war frisch geplättet. Nicht die geringsten Spuren von Cowboyarbeit waren zu entdecken, keine Schnitte, Risse und Löcher von Dornen, keine Abnutzungserscheinungen, keine Flicken, keine durchgescheuerten Stellen. Dieser Mann arbeitete als Gunman, nicht als Cowboy.
Er grinste Langdon verächtlich ins Gesicht, und jedem Zuschauer war klar, dass dies nichts anderes als eine unverhohlene Provokation war. Er wollte seinen Kontrahenten damit aus der Fassung bringen, wollte ihn wütend machen und zu einer unbedachten Handlung verleiten.
Langdon war bereits einige Jahre im Geschäft und hatte viele Kämpfe ausgefochten, die meisten davon gewonnen. Ein paar Schussnarben zeigten jedoch an, dass er so manches Mal auch unterlegen gewesen war, doch im Großen und Ganzen musste er genügend Erfahrung mitgebracht haben, um nicht auf diese offenkundige Provokation hereinzufallen.
Er tat es dennoch. Er konnte nicht verhindern, dass Gefühle wilden Zorns und der Minderwertigkeit in ihm aufstiegen – über den geschniegelten Lackaffen, der ihm auch noch vor versammelter Mannschaft so blöde entgegengrinste, als wäre er ein dummer Schuljunge und nicht ein gefürchteter Revolvermann, der ihm gefährlich werden konnte. Und Langdon näherte sich Hostetter nicht mit der kühlen Gelassenheit, der er seine vergangenen Siege verdankte, sondern mit einem aufwallenden Gefühl der Demütigung, das er nicht abschütteln konnte.
Ihm schwante, dass es ein Fehler gewesen war, den anderen herauszufordern. Er hatte an diesem Tag nicht in sich geruht, vielleicht steckte der lange Ritt ihm noch in den Knochen, und er wollte es nur hinter sich bringen. Oder aber – er war süchtig nach dem Ruhm, den es einbrachte, Ringo Hostetter aus den Stiefeln zu schießen, und diese Sucht konnte nur durch eines gestillt werden: Einen Sieg über seinen Kontrahenten.
Jedenfalls war er an diesem Tag nicht in seiner gewohnten Form und Verfassung, und das Schlimmste war: Er merkte es. Just in diesem Moment wurde es ihm bewusst, wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Das brachte ihn so weit, dass er »es« nur noch hinter sich bringen wollte. So schnell wie möglich.
Und so kam es, dass er hastig zog, zu hastig und zu unkoordiniert, in der Hoffnung, Hostetter zu überraschen, aber eigentlich, um diesem Saukerl eins auszuwischen, um ihn auszuschalten, um ihm das Grinsen in seinem Gesicht gefrieren zu lassen, und wie gefror das Grinsen am besten? Wenn einer tot war. Er wollte ihm die Kugel dorthin jagen, wo es besonders wehtat, und wo Hostetter nichts dagegen unternehmen konnte.
Das Ergebnis war ein fahriger erster Schuss, der fehlging und weit hinter seinem Gegner in den Sand der Main Street einschlug. Und das gab Hostetter genügend Zeit, seine Kanone hochzubringen und seinerseits einen Schuss zu setzen. Einen gezielten Schuss.
Langdon stieß ein langgezogenes Seufzen aus, machte einen taumelnden Schritt auf Hostetter zu, dann noch einen, der aussah, als würde er das Gewicht der Welt auf seinen Schultern schleppen, das er kaum noch zu tragen vermochte. Dann brach er in die Knie. Und obwohl sein Colt immer noch auf Hostetter zeigte, löste sich kein weiterer Schuss. Er starb kniend, und als er dann langsam zur Seite kippte und in den Staub schlug, als der Revolver seiner Hand entfiel, war er bereits tot.
Ein wildes Raunen ging wie ein Lauffeuer durch die Menge.
Zwei Revolvermänner hatten es ausgekämpft.
Ringo Hostetter hatte Burl Langdon erledigt!
Sie waren in Tucker Ridge gegeneinander angetreten.
Markiert den Tag im Kalender!
Noch Generationen später wird man sich die Geschichte erzählen.
Burl Langdon gegen Ringo Hostetter.
Und dabei wird stets der Name Tucker Ridge fallen.
Der Stallhelp hatte die beiden Männer beobachtet, und von allen Augen, die auf die Kontrahenten gerichtet gewesen waren, waren seine die schärfsten gewesen.
Er hatte das Grinsen Ringos bemerkt und die untrüglichen Anzeichen Langdons aufgenommen, die ihm signalisierten, dass den Revolvermann eine Unruhe befallen hatten.
Der Stallhelp hätte vorhersagen können, dass Langdon heute unterliegen würde. Er hatte es dem Mann angemerkt.
Und als er dies begriff, als ihm dieser Gedanken bewusst wurde, da wurde ihm auch klar, dass er diese Vorgänge nicht als Stallhelp beobachtet hatte, sondern als Revolvermann. Er war für einen kurzen Moment wieder das gewesen, was er hinter sich zu lassen geglaubt hatte.
Die Anwesenheit Langdons und das Entgegentreten Hostetters hatte dies in ihm ausgelöst.
Für einen Moment war der namenlose Stallhelp wieder der gefürchtete Revolvermann gewesen.
Jener Revolvermann, der in Kansas City gegen Abraham Bonner angetreten war und ihn niedergestreckt hatte.
Jener Revolvermann, der in Dodge City ein paar Monate lang während der heißen Phase an der Seite von Wyatt Earp und dessen Brüdern Morgan und Virgil als City Marshal gearbeitet hatte, und der dort oben auch Bat Masterson und dessen Bruder Ed kennengelernt hatte. Sie waren damals Hüter des Gesetzes gewesen, und sie waren erfolgreich gewesen in ihrem Job, bis ein morbides Geschick ihn auf eine lange Reise geschickt hatte, von der es keine Wiederkehr mehr gegeben hatte.
Doch dann verdrängte er die Erinnerungen und wurde wieder zu einem Stallhelp, dessen Name niemand kannte; zu einem Niemand in der Stadt Tucker Ridge, einem unbemerkten und unbeachteten Nichts, das nur dann und wann für eine Minute aus der Versenkung auftauchte, wenn jemand kam und sein Pferd holte, oder wenn ein neuer Kunde erschien und ein Tier abgab. Danach verschwand er wieder so gründlich und vollständig, dass er aus dem Gedächtnis der Menschen wie ausgetilgt war.
Völlig ausgeschlossen, dass jemand in der abgerissenen Gestalt, die die meiste Zeit in der Woche unrasiert, ungekämmt und mit Stroh im Haar herumlief, einen ehemaligen Revolvermann erkannte. Diesen Revolvermann gab es nicht mehr. Hier war nur dieser Stallhelp, der meist wortkarg und zuverlässig seine Arbeit verrichtete und die Pferde seiner Kundschaft in besserem Zustand übergab, als er sie erhielt.
Nicht einmal der Besitzer des Mietstalls, Derrick Jones, wusste, wer der Stallhelp war. Jones dachte, er hatte einen Mann namens John Smith eingestellt, einen ehemaligen Pferdewrangler, der einige Viehtriebe zu den großen Verladestädten im Norden mitgemacht und dort seine Erfahrungen gesammelt hatte.
Jones selbst war ein Mann um die Sechzig, verheiratet mit Alma, die ihm vier Kinder geboren hatte, die jedoch alle in größere Städte gegangen waren, weil es dort mehr Gewinn zu machen gab. Jones und seine Frau lebten allein in Tucker Ridge, und er war viel zu beschäftigt, um sich um das Leben und die Einzelheiten seines Stallhelps zu kümmern.
Er war Geschäftsmann und betrieb mehrere Gewerbe, unter anderem hatte er diesen Mietstall an der Main Street und einen weiteren sowie eine Koppel auf der Monroe-Weide. Dann verkaufte er Holz, welches in seiner Sägemühle geschnitten wurde, und auch andere Baumaterialien konnte man bei ihm erwerben. Er musste stets für neues Bauholz sorgen, kaufte zahllose Klafter von Holzfällertrupps auf, sorgte für Kalk, Mörtel, Nägel, Spanner, Riegel, Keile, Werkzeuge und vieles andere mehr, was eine Stadt, die im Wachstum war, ständig benötigte.
Kurz gesagt: Er hatte eigentlich gar keine Zeit, sich um den Mietstall zu kümmern, und war froh um alles, was von alleine lief. Und so ließ er seinen Stallhelp schalten und walten, wie dieser wollte, solange alles klappte und funktionierte und keine Klagen kamen.
Der Stallhelp genoss die Freiheit, die er besaß. Er hatte sich in dem zugigen Gebäude eingenistet, durch dessen Ritzen der Wind blies, und in dem die Pferde die einzige und beste Wärmequelle waren.