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Realdoku in Tagebuchform. Der Leser ist dazu eingeladen, eine Geigerin drei Monate lang auf ihrem Lebenswege zu begleiten, und an den Schicksals-verknüpfungen und Dramen zu partizipieren, die das zweite Quartal 1999 zu einem Wimmelbild, einem Lied oder gar einer Symphonie machen. Das Leben selber diktiert die Handlung.
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Seitenzahl: 170
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Für Dich!
Franziska (Kika) mit ihrer Violine – fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute Bott aus Rottweil.
„Wenn ich dereinst verstorben bin, so schweigt auch meine Violine!“ sagt sie.
Und drum bringt Franziska alle vier Wochen ein schlankes bis vollschlankes Taschenbuch heraus.
Erzählt werden Geschichten aus ihrem Leben, die von erhöhtem Interesse sein dürften.
Jeden vierten Dienstag um 18.05 wird das fertige Manuskript in die Umlaufbahn entsandt.
Die meisten Vorkömmlinge
finden sich im Personenverzeichnis
am Ende des Buches
Hier die Familie vorweg:
Opa, (*1909) Opa mütterlicherseits in Ofenbach (Niederösterreich)
Omi, Mobbl, (*1910) Oma mütterlicherseits
Oma Ella, (*1913) Omi väterlicherseits in Hessen
Buz (Wolfram), unser Papa (*1938) Professor für Violine an der Musikhochschule in Trossingen
Rehlein (Erika), meine Mutter (*1939)
Ming (Iwan), mein Bruder (*1964)
Ein Buch ohne Vorwort.
Sie können gleich anfangen zu lesen…
April 1999
Donnerstag, 1. April
Freitag, 2. April
Samstag, 3. April
Sonntag, 4. April
Montag, 5. April
Dienstag, 6. April
Mittwoch, 7. April
Donnerstag, 8. April
Freitag, 9. April
Samstag, 10. April
Sonntag, 11. April
Montag, 12. April
Dienstag, 13. April
Mittwoch, 14. April
Donnerstag, 15. April
Freitag, 16. April
Samstag, 17. April
Sonntag, 18. April
Montag, 19. April
Dienstag, 20. April
Mittwoch, 21. April
Donnerstag, 22. April
Freitag, 23. April
Samstag, 24. April
Sonntag, 25. April
Montag, 26. April
Dienstag, 27. April
Mittwoch, 28. April
Donnerstag, 29. April
Freitag, 30. April
Mai 1999
Samstag, 1. Mai
Sonntag, 2. Mai
Montag, 3. Mai
Dienstag, 4. Mai
Mittwoch, 5. Mai
Donnerstag, 6. Mai
Freitag, 7. Mai
Samstag, 8. Mai
Sonntag, 9. Mai
Montag, 10. Mai
Dienstag, 11. Mai
Mittwoch, 12. Mai
Donnerstag, 13. Mai
Freitag, 14. Mai
Samstag, 15. Mai
Sonntag, 16. Mai
Montag, 17. Mai
Dienstag, 18. Mai
Mittwoch, 19. Mai
Donnerstag, 20. Mai
Freitag, 21. Mai
Samstag, 22. Mai
Sonntag, 23. Mai 1999
Montag, 24. Mai
Dienstag, 25. Mai
Mittwoch, 26. Mai
Donnerstag, 27. Mai
Freitag, 28. Mai
Samstag, 29. Mai
Sonntag, 30. Mai
Montag, 31. Mai
Juni 1999
Dienstag, 1. Juni
Mittwoch, 2. Juni
Donnerstag, 3. Juni
Freitag, 4. Juni
Samstag, 5. Juni
Sonntag, 6. Juni
Montag, 7. Juni
Dienstag, 8. Juni
Mittwoch, 9. Juni 1999
Donnerstag, 10. Juni
Freitag, 11. Juni
Samstag, 12. Juni
Sonntag, 13. Juni
Montag, 14. Juni
Dienstags 15. Juni
Mittwoch, 16. Juni
Donnerstag, 17. Juni
Freitag, 18. Juni
Samstag, 19. Juni
Sonntag, 20. Juni
Montag, 21. Juni
Dienstag, 22. Juni
Mittwoch, 23. Juni
Donnerstag, 24. Juni
Freitag, 25. Juni
Samstag, 26. Juni
Sonntag, 27. Juni
Montag, 28. Juni
Dienstag, 29. Juni
Mittwoch, 30. Juni
Personenverzeichnis
Wunderschön.
Ein erfüllend sonniger Tag voller Süße
Buz hatte sich zum 60. Geburtstag seiner Ehefrau ein Späßlein ausgedacht:
Er stopfte einen 50-Mark-Schein in ein Kuvert, und fügte ein Kärtchen hinzu:
Liebe Erika!
Herzlichen Glückwunsch zu Deinemn
60. Geburtstag. Kauf Dir etwas Schönes!
Dein treuer Ehegatte
Das Kuvert legte er in einen herumliegenden Eso-Schmöker über die Macht des Deltamuskels von John Diamond, und ich wiederum verpackte das Büchlein, das mir einst mein Verehrer Herr Reimer geschenkt hat, in Rosenpapier.
Wenig später kam Rehleins Teekränzchenfreundin Frau Schulze zu Besuch. Eine schlanke, hochgewachsene Dame mit vielen kleinen, schmückend angeordneten Wuckerln auf dem Kopf, die sich zu diesem Jubiläum fein herausgeputzt hatte, wie für einen Operettenbesuch.
Frau Schulze hatte zu Rehleins rundem Geburtstag mit viel Liebe und Müh´ allerlei vorbereitet, und gerührt bedachte Rehlein die wunderschönen Geschenke mit ergriffenen Ausrufen des Entzückens.
Ein kleines Sträußlein, ein gedeckter Apfelkuchen und eine prall gefüllte Mappe, worin Frau Schulze über Jahre hinweg alle möglichen Zeitungsartikel gesammelt hatte, die Rehlein interessieren könnten: Z.B. über uns als musizierende Familie.
Nachdem all dies ausgiebigst bestaunt worden war, griff Rehlein nach Buzens vergleichsweise dürftigem Geschenk, las das Kärtchen vor, und steckte den 50-Mark-Schein ein.
„So was!“ sagte Rehlein, und wandte sich fragend an ihre Freundin: „Was würdest du dir davon kaufen?“
Frau Schulze war so entgeistert von Buzen als Ehemann, daß sie auf diese Frage gar keine Antwort gab. „Da würde mein Jürgen ja was zu hören bekommen!“ stellte ich mir vor, das sie dächt´.
Buz machte vor, wie Gidon Kremer zum 60. Geburtstag seiner Mutter den Geburtstagssong raffiniert und verfeinert interpretiert vortrug, doch dann besann er sich darauf, daß Rehlein solche Parodien lächerlich findet, und beendete den Scherz verschämt.
Verzückt blätterten wir das neue Fotoalbum durch, das ich zu Ehren der Jubilatorin liebevoll gestaltet hatte.
Hernach gab´s Tee mit Kluntje & Sahne, und Frau Schulzes köstlicher Kuchen mundete ungeheuerlich.
Erst ganz zum Schluß der kleinen Feier lotste Buz die Damen an den Flügel, wo die Blicke alsbald von dem schönen neuen roten Fahrrad angesogen wurden, das wir malerisch auf die Terrasse gestellt hatten. Es stand da, als hätte es der Osterhase gebracht, wirkte lebendig wie ein Nutztier, und nun standen wir alle drum herum, und bestaunten das wunderschöne Rad, auf dem Rehlein nun bis auf weiteres durch die Zukunft getragen werden würde.
Abends kam der junge Cellist Marcel G., den Buz heimlich bestellt hatte, zum Streichquartettspiel. Ein Herr, der oftmals einen Zylinder auf dem Kopf zu tragen pflegt, so daß er wirkt, als sei er einem alten Roman entstiegen.
Wir spielten das dritte Quartett von Beethoven, und Rehlein war so glücklich über diese gelungene Überraschung, denn Rehlein liebt nichts mehr auf der Welt als Streichquartett zu spielen.
Im Streichquartettroge sitzend, scheint Rehlein artgerecht gehalten.
„Wieso machen wir dies nicht öfters!“ rief Rehlein aus.
Draußen sah man goldgelb den Vollmond leuchten.
Der Marcel blieb noch zum Abendessen und darüber hinaus bei uns haften, da er so ungern zu seiner Schwiegermutter zurückzukehren pflegt.
Heute habe er sich mit seiner Schwiemu gar angeschrien, erfuhren wir, und ich malte mir aus, wie der Marcel seine Schwiemu sogar verdrischt, weil sie auf dem Grab von Marcels kleinem Söhnchen ein Schild angebracht hat, auf dem zu lesen steht:
„Du starbst durch Mörderhand!
WARUM???“
Ich male mir oftmals Unsinn aus: z.B. daß Herr Krüger aus heiterem Himmel beim Abendessen wegen Mordes an einer Prostituierten verhaftet wird, und dererlei…
Freitag, 2. April
Wunderbar sonnig
Morgens blickte ich aus dem Fenster in die zarte einsame Dämmerung, und links über dem Haus Nummer 22 konnte man noch immer käseartig den Vollmond stehen sehen, so als habe er sich seit meinem letzten Blick aus dem Fenster nicht mehr hinfortbewegt.
Rehlein und ich beobachteten Frau Priwitz durch´s Fenster.
Mit ihren 87 Jahren schien sie noch immer mit erstaunlicher Lebenskraft befüllt, stak in einem hübschen Frühlingskleid, und hatte sich die Sahnefrisur zum Vorteil derer, die einen Blick auf ihren Balkon werfen, frisch aufgeschäumt. Behende wie ein junges Fräulein goss sie die Blumen in den Blumenkästen.
Ich schrieb einen Brief an die Margarethe, in welchem ich anbot, daß sie, sollte ihr Mann denn mal anfangen sie zu verdreschen, gerne zu uns ziehen und für immer bleiben dürfe. Wir verschonen sie auch gewiss mit jenen Worten, die es einem jungen Menschen verunmöglichen, im Falle eines Falles reuevoll zerknirscht zu den Eltern zurückzukehren:
„Man hat es kommen sehen! Haben wir es nicht gleich gesagt??“
Doch die Margarethe macht´s grad andersrum. Alle Nas lang taucht sie bei den Eltern auf und sagt: „Ihr hattet recht!“ Und dabei haben die Eltern noch nie etwas gegen den Schwiegersohn gesagt, und sind todfroh, daß ihre Tochter unter der Haube ist.
(„So daß unser ohnehin schmaler Geldbeutel net weider belaschdet wird!“)
„… nicht weiter belastet wird.“
(In leisem Humor gewälzte Alltagsgedanken eines Schwaben)
Beim Üben hatte ich Angst, Rehlein nebenan sei in der Nacht überraschend verstorben. Später erzählte ich Rehlein, daß ich morgens immer Angst habe, sie könne verstorben sein.
„Seit du 60 bist!“ sagte ich, „also seit zwei Tagen.“
Weil Huberts Mutti ja auch bloß 60 wurde.
Zum Frühstück hörten wir Buzens Debussy-Sonate mit der Li-Pi. Eine Aufnahme aus dem Jahre 1970, als die Lipi ebenmal 17 Jahre alt war.
„Mäßig!“ sagte unser süßer Papa ohne erkennbare Anteilnahme, da er Abstand zu sich als Jüngling gewonnen hat, und sich einbildet, heut als reifer Herr, mit diesem unreifen jungen Spund von damals nichts mehr gemein zu haben.
Dann sprachen wir über Sprödheitsgrade beim Küssen: Rehlein z.B. hat immer Probleme damit, sich bei einem Kuß Buzens ganz fallen zu lassen, weil sie immer so gerne „Klarheit“ gehabt hätte.
Buz hingegen hat immer versucht, Unklarheiten mit Küssen hinwegzubusseln.←(Natürlich. Wie denn sonst?)
Rehlein hatte vor, den Kollegen in der Musikschule einen Abschiedsbrief zu schreiben. Durchtränkt mit feiner Ironie („Haben Sie überhaupt schon bemerkt, daß ich nicht mehr da bin??“).
Und ich solle ihr dabei helfen.
Ich fänd´s so lustig, wenn Rehlein den Brief nett begänne, sich dann jedoch in Rage schriebe, und gegen Ende hin immer wüster und deutlicher wird: Zum Schluß schreibt Rehlein nur noch jenen abscheulichen Satz, den ein erboster Theologe dem Opa mal über die „Alternative Bibel“ um die Ohren hieb: „Ich könnte, wenn ich zurückdenke, nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte!“
Buz erzählte von Onkel Hartmuts Sohn Gerhard, der ein Lotterleben führt, statt zu studieren.
Klassische Merkmale eines mißratenen Sohnes.
Wir scherzten sehr verbindend darüber, daß der Onkel Hartmut keinen anderen Ausweg sähe, als den Herrn Sohn zu dessen Onkel Wolfram auf´s Land zu schicken, auf daß er doch noch auf rechte Pfade zurückgelenkt werden möge.
Auch Rehlein gefiel die Idee, daß der Gerhard oben in Mings Burschenzimmer einzieht, denn mit diesem Gast aus der Verwandtschaft ließe sich doch die Lücke stopfen, die das Lindalein demnächst in unserem Leben hinterlassen wird.
Rehlein, so allergisch sie gegen einen Großteil von Buzens Spezis ist, liebt Dauergäste aus der Verwandtschaft, denen man doch sehr gerne eine Platz in seinem Herzen einrichtet, so daß man sie nach Jahresfrist nicht mehr gerne ziehen lässt.
Vor unsrem geistigen Auge entfaltete sich eine fesselnde Wilhelm Busch Geschichte:
„Der mißratene Sohn“
Sonnig, stickig.
Mit einem leisen Nebel unter der Sonne.
Gegen Abend schwand der Sonnenschein nach Art
eines Lächelns aus dem Gesicht eines
frisch entgeisterten Menschen
Heute wurde uns unsere Beethoven CD geliefert, und ich dachte im ersten Schreck, es wäre wieder irgendetwas falsch, weil das neue CD-Gerät keine Töne mehr absonderte. Als Rehlein hinzutrat, dachten wir dies gar im Duett, doch dann klärte sich der Irrtum auf:
Ich hatte die CD falschherum hineingebettet!
Am Nachmittag war ich plötzlich lahm und schwer depressiv. Alptraumartig hatte ich das Gefühl, am Boden angeleimt zu sein, und nicht mehr vom Fleck zu kommen.
Zunächst stickiges, hellbleiches Waschküchenwetter
– am Nachmittag
rosa dunstig getönter Sonnenschein
Im „Watt“ (einem Journal) lasen wir die Konzertankündigungen:
Auch der Musikschulleiter Herr Siebert hatte bombastische Wortgeschosse für sein friesisches Jugendsymphonieorchester aufgefahren:
„Eine echte Alternative zum Discobesuch, wo die Post abgeht!“ (Bißl zweideutig formuliert)
Ich stellte mir vor, wie ich hingehe, und Herrn Siebert so überschwenglich gratuliere, daß es ihm fast ein wenig unangenehm ist: Ich schwenke seine Hand auf und ab, und sage ein ums andere Mal: „Vor Ihnen ziehe ich tief den Hut! Reschpekt! Gratuliiiere! Chapeau! Schappöööchen! Glückwunsch! Was Siiie aus dem musikalischen Ödland Ostfriesland gemacht haben!“
Feucht nieselndes Waschküchenwetter
Man weiß ja, wie die Frühstücke mit Rehlein sind:
Ich drohe jedes Maß zu verlieren, weil ich mich nicht aus Rehleins Aura lösen kann. Manchmal scheint´s sogar direkt so, als ob Rehlein sich von ihrer eigenen Aura nicht lösen könne – und das ist auch einer der Hauptgründe, warum wir uns keine Gäste mehr einladen:
Die Gäste fühlen sich nämlich bei uns so wohl, daß sie nicht mehr gehen.
Wir sprachen über Rehleins Kollegen:
Rehlein deutete an, daß man sich mit der einen Cellolehrerin nicht gescheit unterhalten könne. Sie hat in Moskau studiert, und es schwingt immer jenes: „Was wisst denn IHR??“ unhörbar und doch schmerzhaft fühlbar durch ihre Worte.
Einmal hatte das so rüührend engagierte Rehlein Unterschriften gegen den Pershing-Wahn gesammelt, und dabei deutlich gemerkt, wie die Kollegen wohl ticken: Bis auf Herrn Siebert, der fast feurig unterschrieb (Hut ab!) verfielen alle in eine schleimig-duckende Teils-teilshaltung und drückten sich aus einem jämmerlichen Kleingeist heraus vor der Unterschrift, die doch so wichtig gewesen wäre! Wolfram D., der karpfenartige Klavierlehrer sagte gar:
„Ich unterschreibe GRUNDSÄTZLICH nichts!“
Rehlein telefonierte ganz lange mit Ruth L.:
Man psychologisierte über den kleinen Pascal, bzw. darüber, daß er ein kleiner Psychopath sei.
Mutti Ruth ist stolz und gleichzeitig sehr besorgt.
Stolz, weil er so klug ist, und in der Schule praktisch nur Einsen schreibt. Aber neulich bekam er einen wüsten Schreikrampf, so daß man Angst bekommen mußte, er sei vielleicht geisteskrank?
Die Ruth als wunderfitzige Mutter wühlte heimlich in seinem Schulranzen und stellte dabei fest, daß er neulich doch nur einen Dreier bekam. Vielleicht hat er deswegen so geschrien, mutmaßte sie ratlos, wo´s doch praktisch der einzige Sohn ist!
Gestern hat er ein Buch mit 230 Seiten geschenkt bekommen, und heute morgen hatte er es bis auf zehn Seiten schon zuendegelesen!
Trübe und nieselig
Rehlein schaute immer entzückt nach ihren frischgepinselten Bildern hin. Doch das Erste, was Rehlein nach dem Frühstück tat, war, meinen Brief an die Margarethe abzutippen und den Verwandten hinüberzumailen:
In zärtlicher Rührung beobachtete ich meine kleine Mamah, wie sie so behende am Computer klimperte wie eine echte, reife Sekretärin. Dankbarkeit umhüllte mich, und ich dachte darüber nach, daß Buz im Grunde doch alles hat: Ehefrau und Sekretärin in einem. Bloß leidet die Sekretärin am Dalton-Syndrom*, indem sie meine Briefe abtippt, statt irgendwas für die Adam-Classics aufzuschäumen.
*Der Dalton-Gepeinigte wird ständig auf seinem Lebenspfade aufgehalten, und von sinnvollem Tun hinweggepustet
Am Nachmittag kehrte Buz von seinem Kurzurlaub aus Grebenstein zurück. Buz zog ein Köfferlein hinter sich her, und lachte so freundlich wie im Januar die kleine Maika vom Friedel, als man sich kennenlernte. (Still, bescheiden und in ehrlichster Freundlichkeit.)
Ich malte mir aus, wie der Herr mit dem Maulkorbbart uns ein Brieflein unter der Türe durchschiebt, worin genau meine Gedanken stehen:
Hallo Fam. König!
Ich halte das kaum noch aus:
seit Jahren leben wir so quasi Aug in Aug,. Wir sehen uns mindestens zehnmal am Tag, und wissen doch nichts voneinander! Ich brenne darauf,alleszu erfahren, was sich hinter der Fassade der Familie König wohl so verbirgt, und lade Sie daherherzlichstheute abend um 20 Uhr zu einem Umtrunk bei uns ein.
U.A.w.g. bis 19 Uhr 59.
Ihr Maulkorbbartträger vom Haus Nr. 22 .
Daheim war ich überrascht und erfreut:
Beate & Jesse waren zu Besuch gekommen.
Die Tante Bea kam mir bildhübsch vor, weil sie das Haar anmutig mit einer güldenen Spange zurückgesteckt hatte, und außerdem in einem äußerst zierenden Kostüme stak.
Der Onkel wiederum kam mir etwas kahlrasiert aber/und sehr nett vor.
Rehlein redete wie ein Wasserfall. Dankbar für Anekdotenmunition, mit der Rehlein selber regelrecht beschossen zu werden schien, denn wenn man sich sooo lange nicht gesehen hat wie die beiden Schwestern, dann muß man sich erstmal mit Anekdoten bewerfen, um sich auf die Schnelle wieder anzuwärmen.
Rehleins mitreißende Geschichten führten über Stock und Stein, führten Rehlein bis nach Hofgeismar, und blieben schließlich bei Tante Marie und Onkel Alfred, und deren erbwütigen Kindern hängen.
Das Beätchen frug so süß: „Haben die nette Nachbarn!“
Abends gab´s in Anbetracht dessen, daß Buz & Rehlein heut ihren 37. Hochzeitstag feierten, eine noble Käseplatte, und dazu wurde Sekt ausgeschenkt.
Rehlein mit ihrer mageren Rente hatte sich für die Verwandten tief in Unkosten gestürzt.
Unerfreulich grau
Rehlein wirkte ein wenig hyperaktivisiert und nervös, weil wir doch jetzt zu fünft sind.
Natürlich freut sich Rehlein über den Besuch, aber man möchte doch alles perfekt machen, wie das schöne, neue, weiße Tischtuch unten verriet. Und um diesem Anspruch gerecht zu werden, muß man sich sehr anstrengen.
Dann zeigte sich das Beätchen, und erzählte von der Eigenurinkur, die derzeit auch in Amerika sehr in Mode sei, da sie Wunder aller Art bewirke. So manch einer unter uns war mit einem Schlage seine Zipperlein los.
Ich pochte darauf, daß wir schnell losfrühstücken sollten, bevor die Herren kommen, weil sich dann ja wieder die lästige Sprachbarriere ausbreitet.
Sogar ein großes Glas mit frischer Hochglanznutella konnten wir den Gästen bieten.
Bei Jesses Morgenbegrüßung kam die Esslinger Oma in Rehlein zum Ausdruck, indem Rehlein ihrem eigenen Schwager in leicht befremdlicher Weise nur die Hand hinhielt, so, als wenn´s ein Fremder sei, und nicht der Mann, der allnächtlich neben ihrer Schwester nächtigt.
Doch diese scheinbare Sprödheit lag an Rehleins vielen, verunsichernden Erfahrungen, und wir wissen ja gottlob, wieviel Gefühl in Wirklichkeit in Rehlein schlummert.
Als das Telefon schrillte, sprang Buz seinem Naturell gemäß wie eine Tarantel auf, und schien quasi vom Überschall hinweggesogen.
Ich bescherzte die Bea damit, daß Buz derothalben zum Telefon hurtelt, weil er immer damit rechnen muß, vielleicht überraschend Vater geworden zu sein? Ich parodierte eine neurotisch-säuerliche Stimme wie vom bösen Uschilein, die Buzen ein hohnverdrehetes „Gratuliere!“ durch den Hörer entgegenschleudert.
In der Tat war mir heut schon die Idee gekommen, die Hilde könne womöglich schwanger sein, da mir Buz so in sich gekehrt schien?
Auf einem Spaziergang durch den Egelser Forst: Rehlein schien mir etwas stimmungsarm, und ich hatte das Gefühl, daß Rehlein von ihrer Schwester Bea, die leider nicht so recht zu ihr passen will, geradezu ungeheuerlich angestrengt war?
Unsere Fünfergruppe hatte sich dahingehend zerklüftet, daß die beiden Herren vorausliefen. Ab und zu verloren wir Damen und in Tripelküssen, aber eine Stimmung an verbindender Harmonie, wie sie allen vorschwebte, konnte auch damit nicht heraufbeschworen werden.
Jede von uns bemühte sich auf ihre Weise um Stimmung, und keiner gelang´s!
Wir überlegten, was Buz seinem Schwippschwager Jesse wohl grad erzählt? Etwas herzlos vermutete ich frei von der Leber weg, er würde bullschitten, aber vielleicht war´s ganz anders, und mein süßer Papa erzählte dem Jesse die Geschichte von seiner allerersten Liebe?
Dann kamen die Herren zurück. Rehlein und Beätchen breiteten für ihren Mann je die Arme aus, und das Beätchen rief: „Wer kommt in mein Gärtchen?“ Bloß auf mich wartete so wie immer: Niemand. Doch es war mir egal, und ich erzählte den Damen gleichmütig, daß mich Herren eigentlich nur verlegen stimmen würden.
Im Grunde verstehe ich mich überhaupt nur noch mit älteren Damen.
Abends litt Rehlein wieder an ihrem hohlen Zahn, so daß wir fast den Jörg angerufen hätten. Ich war ärgerlich, daß GOTTES Zorn immer ausgerechnet unser süßes Rehlein trifft.
Herbe.
Sehr grau
Buz versuchte der Bea zu erklären, was ihm mit seiner privaten Musikschule, die demnächst zu gründen er gedächte, wohl so vorschwebe, und in Rehlein bildeten sich wüste Stacheln gegen den Herrn Gemahl, weil er am Eßtisch immer so virtuose Zunge schwingt, und weltfremd daherredet. Diese ganzen Wortgeschosse habe er doch schon in Weimar verballert, und was ist daraus geworden?
Ich schleppte einen Stoß Noten für´s Emder Konzert herbei, um Buzen vorzuspielen, doch leider ist es ein wenig so, daß Buz lieber redet, und das bloße Abhören eines Geigers erfüllt ihn mit Ungeduld, weil´s ihn schon beim ersten Ton in allen zehn Fingern juckt, eine pädagigische Zurechtformung durchzunehmen. Ähnelnd einem strengen Literaturkritiker, der schon nach dem ersten Buchstaben mit seinen Schmähungen loslegen möchte. Ich wiederum spiele lieber, als daß ich mir die Lehren anhöre.
Ich spielte die Mozart Sonate in e-moll. Gleich nach dem ersten Satz sagte Buz bloß: “Wollen wir darüber reden?“
Ich hab´s dann aber noch zuende spielen dürfen, und Buz sagte, ohne den Blick aus den Noten abzuwenden: „Mhm…pass mal auf…“
Dann sprach Buz darüber, daß es ein anderes Tempo bräuche und dererlei mehr. Ich kapiere immer alles sofort, was Buz sagt, und das multiple Variieren der einzelnen Kritikpunkte strengte mich sehr an.
Mittags gab es Hühnchenkeulen und unzählige Kartoffeln. Kunstvoll zubereitet in Rehleins Da-Tong-Topf – einem überdimensionalen Eisentopf aus Taiwan.
Dem Onkel Jesse hat Rehlein gleich zwei Hühnerbeine auf den Teller gelegt, weil sie wahrscheinlich instinktiv dachte: „Ein Mann aus Norwegen ist sicherlich ein Vielfraß?“
Und über Buz wiederum denkt Rehlein, er sei ein Vielschwatz.
Es ist nicht bös gemeint, doch der Ausdruck ist so lustig, daß man sich nicht bremsen kann, dies zu denken!