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Der junge Steinmetz Jens von Maiden erhält den Auftrag, eine teilweise baufällige Burg zu restaurieren. Dort angekommen bemerkt er schnell, dass sowohl die Burg als auch deren Bewohnerin ein Geheimnis umgibt.
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Die letzten Wochen haben mich dazu veranlasst, diesen Bericht zu schreiben. Ich muss es tun, denn es könnte sein, dass es das letzte Lebenszeichen von mir sein wird. Sollte man mich also suchen, wird er zumindest eine Erklärung liefern, wo ich mich jetzt aufhalte. Obwohl ich es selber nicht genau weiß. Aber vielleicht sollte ich von vorne beginnen, denn es sonst zu verstehen, wird schwierig.
Alles begann vor nicht zu langer Zeit. Wobei es mir eher wie gestern vorkommt. Ich verlor meinen Job und musste mir einen neuen Arbeitsplatz suchen.
Dabei möchte ich betonen, dass ich nicht entlassen wurde, sondern mein damaliger Chef nicht mit Geld umgehen konnte. Sagen wir es mal so. Er gab mehr aus, als er einnahm und das konnte auf die Dauer nicht gut gehen.
Es war nicht leicht, einen neuen Arbeitgeber zu finden, denn ich bin ausgebildeter Steinmetz und Maurer, allerdings wollte ich nicht mehr auf dem Bau arbeiten. Der Betrieb meines vorigen Chefs bestand nur aus drei Personen und stellte hauptsächlich Grabsteine her. Gut, nicht gerade das, was ich für immer machen wollte, aber normalerweise krisensicher. Gestorben wurde immer. In schlechten Zeiten noch eher.
Was mich dabei störte, war, dass es auf den meisten Friedhöfen zu starre Regeln gab, die uns Steinmetze dazu veranlasste, immer wieder die gleichen Steine zu fertigen. Selbst die Inschriften waren reglementiert und das wurde auf die Zeit öde und langweilig. Es war ein kleines Fest, wenn auf den älteren Teilen der Friedhöfe ein neues Grab angelegt wurde. Hier waren die Aufträge meistens aufwendiger. Aber auch das nahm ab. Die Toten waren den Lebenden nicht mehr viel Wert. Wirklich interessante Arbeiten, waren aus diesem Grund selten geworden.
Es klingt seltsam, aber ich halte mich gerne auf Friedhöfen auf. Es ist ein Platz der Ruhe, ein Ort, an dem man tief einatmen und inneren Frieden finden kann. Auch wenn eine Großstadt um einen herumlag. Kaum hatte man das Eingangstor durchschritten, verstummte der Straßenlärm und man trat in etwas ein, was ich wie eine Blase empfand. Es war immer, als wenn man eine dünne Membran durchschritt, die einen von der restlichen Welt abschnitt.
Dabei gab es keine Jahreszeit, die ich bevorzugte. Jede Zeit hatte seine Vorzüge.
Der Frühling brachte neues Leben, was man an den vielen alten Bäumen erkennen konnte. Sie wurde grün, und wenn die Knospen aufprangen und ein betörender Duft über den Totenacker strich, fühlte man, wie die Natur neue Kraft entfaltete.
Im Sommer saß ich zu gerne auf einer der Bänke und schaute den vielen Insekten zu, wie sie sich über die Blütenpracht hermachten. Sie machten keinen Unterschied, ob die Blumen hier wuchsen, oder als letzten Abschiedsgruß für einen Verstorbenen, abgelegt worden waren.
Doch war dieses Schauspiel auf den neuen Abschnitten kaum zu sehen. In den alten Teilen des Friedhofs, umso mehr. Hier wuchsen gerade auf Älteren, manchmal wenig gepflegten Gräbern, verschiedenste Pflanzen, die andernorts entweder als Unkraut ausgerissen, oder einfach übermäht worden wären. Viele Insekten brauchten jedoch gerade Pflanzen wie Brennnesseln, um sich fortzupflanzen. Hier tobte das Leben.
Der Herbst zeigte sich in vielen Farben und wies zugleich die Vergänglichkeit hin. Dies wurde einem auf einem Friedhof erst recht bewusst. Doch trotzdem mochte ich diese Jahreszeit.
Besonders schön wurde es im Winter, wenn es geschneit hatte. Dann legte sich der reine Schnee über die Gräber und deckte alles unter einer weißen Decke zu. Selbst dann wandelte ich zu gerne zwischen den Reihen der Steine hindurch und dachte darüber nach, was die Menschen, die hier lagen, wohl in ihm Leben erlebt hatten. Wie viel Freude und auch Leid war mit ihnen begraben worden und wer dachte noch an sie.
Ich wusste es nicht und manches Mal, gerade im Winter, fragte ich mich, wer an mich denken würde, wenn ich nicht mehr war.
Eine Frau hatte ich nicht, Kinder auch nicht. Mit mir würde die Erinnerung an mich sterben. Dies hatte mich in einem Winter so betrübt, dass ich damit anfing, in die Unterseite jedes Grabsteins meinen Namen einzugravieren. So konnte man dort immer lesen: Gemacht von Jens am …, und dann kam das Datum.
Da es darunter stand, konnte es niemand sehen, aber ich bildete mir ein, dass irgendwann dieser Stein abgetragen wurde und irgendwer würde es lesen. Er kannte mich zwar nicht, aber er würde es lesen und vielleicht einen Moment innehalten und darüber nachdenken, wer ich gewesen war.
Mein Chef hatte zwar etwas seltsam geschaut, wenn ich das machte, aber da es niemand zu sehen bekam, hatte er nichts dagegen, solange ich die Gravur in meiner Freizeit anbrachte.
Aber das war vorbei und wie gesagt, war ich auf der Suche nach einer neuen Arbeit. Hierbei wollte ich am liebsten etwas Anderes, Kreativeres machen, denn nur Grabsteine waren keine Herausforderung. Künstlerisch war ich allerdings nicht sonderlich begabt. Ich hatte mehrmals versucht aus einem Stein etwas Schönes zu machen, aber wenn ich keine Vorlage hatte, kam dabei nichts Ansehnliches raus. Ich bewunderte Bildhauer, die dieses konnten. Dabei sah es so einfach aus. Wie hieß es so schön:
„Wenn du einen Löwen machen willst, nimmst du einen Stein und schlägst alles weg, was nicht nach Löwe aussieht.“
Wenn ich einen Löwen machen wollte, kam dabei nicht einmal etwas heraus, was einem Kätzchen glich. Also ließ ich es und stellte meine gut gemeinten Skulpturen, als moderne Kunst in einen Stadtpark, wenn keiner hinsah. Soweit ich weiß, stehen dort noch ein paar von den Dingern und manches Mal geht vielleicht jemand daran vorbei und fragt sich, was das darstellen sollte. Vielleicht ärgerte sich auch manch einer darüber, denn er vermutete, dass die Stadt oder Gemeinde viel zu viel Geld für so einen Schrott ausgegeben hatte.
Aber auch so blieb ein Teil von mir erhalten, nur wusste keiner, dass ich es gewesen war.
Einen neuen Job zu bekommen, war nicht einfach. Die meisten Steinmetzbetriebe waren Familienunternehmen und übergaben diese später an Söhne oder zumindest Verwandte. Hier konnte ich keinen Fuß fassen. Am liebsten wäre mir natürlich eine Dombauhütte gewesen, aber dafür reichten meine künstlerischen Fähigkeiten nicht aus. Einmal davon abgesehen, dass sie keine neuen Mitarbeiter suchten.
So wurde die Wahl eng und ich musste mir langsam etwas einfallen lassen, denn von Vater Staat wollte ich nicht leben, obwohl es eine Zeit lang aussah, als wenn ich das müsste. Das Tollste dabei war, dass Vater Staat auch nichts für mich hatte und die angebotenen Umschulungen waren ein Witz. In der Richtung, die ich gebraucht hätte, war überhaupt nichts vorhanden und der Rest war reine Verwaltung. Wie viele, sollte ich aus der Statistik.
Über ein Angebot hatte ich mich geradezu amüsiert. Sie meinten tatsächlich, da ich mich aufgrund meines vorherigen Berufs auf Friedhöfen auskennen würde, sollte ich dort Landschaftsgestalter werden, also Gärtner, wie man früher sagte.
Also das hieß für mich, wer Maurer war, der konnte auch als Dachdecker arbeiten, ist schließlich alles auf einem Bau. Eine brüllende Logik, über die ich eigentlich weinen sollte, aber das ließ mein Lachen nicht zu.
So hoffte ich, vor der sogenannten Maßnahme, einen Job zu bekommen, der halbwegs in meine Richtung ging.
Ich hatte Glück. Zwei Tage bevor man mir den Gebrauch von Harke und Schaufel näher bringen wollte, bekam ich über das Netz ein Angebot. Dabei wusste ich nicht einmal, auf welche Anzeige die Person antwortete. Aber ehrlich gesagt, war mir das egal.
Die Person, in diesem Fall eine Frau Genefe von Hochfeldz schrieb mich persönlich an, da sie jemanden suchte, der sich mit Steinen auskannte. Hierbei fiel mir sogleich die wenig professionelle Ausdrucksweise auf. Trotzdem schrieb ich ihr zurück, dass ich mich als ausgebildeter Steinmetz durchaus mit Steinen auskannte, und fragte sie, ob sie mich denn gebrauchen könnte.
Schon zwei Stunden später, bekam ich eine neue E-Mail von ihr. Sie lud mich ein, zu ihr zu kommen, um mir ein Angebot für meine Tätigkeit zu machen. Die Auslagen würde sie mit erstatten.
Was sie nicht sagte, war, was sie überhaupt für eine Tätigkeit für mich hatte. Aber da ich kein Gärtner werden wollte, dankte ich ihr für dieses Angebot und schrieb ihr zurück, dass ich mich am nächsten Morgen zu ihr aufmachen würde. Dazu benötigte ich noch die Angaben, wo wir uns treffen würden.
Danach dankte ich der Agentur für Arbeit für das nette Angebot. Ich wollte es mir noch einmal überlegen, denn ich hätte ein neues Angebot bekommen.
Die Angaben über den Treffpunkt bekam ich eine Stunde später. Es war ein Ort, von dem ich nie etwas gehört hatte. Aber das Netz gab mir die schnelle Auskunft.
Er lag am Ende der Welt und dann nach zwei Kilometern dahinter, scharf rechts abgebogen inmitten eines auslaufenden Gebirges.
Soweit ich das überblicken konnte, würde ich länger dorthin brauchen, als ich gedacht hatte. Von daher schrieb ich zurück, dass ich erst am Nachmittag ankommen könnte.
Frau von Hochfeldz antwortete daraufhin, dass es gut passen würde, da sie mich erst am Abend treffen könnte. Ich sollte mir im Dorfgasthaus ein Zimmer nehmen und es mir schmecken lassen. Die Küche dort sei zwar rustikal, aber schmackhaft. Sie würde mich später aufsuchen.
Nun gut, warum nicht. Es konnte nicht schaden, einmal den städtischen Mief hinter sich zu lassen und ein wenig aufs Land zu fahren. In die Gegend wäre ich jedenfalls niemals in meinem Leben gekommen, es gab dort nichts zu sehen und die nächste Stadt war weit weg.
Also schwang ich mich am nächsten Morgen in mein altes Auto und hoffte, dass es die Strecke schaffte. Dabei kam mir in den Sinn, dass ich ein Neues brauchte, aber das war, aufgrund meiner wirtschaftlichen Lage, nicht drin. Vielleicht brachte mir dieser Job etwas mehr ein, damit ich mir ein Neueres leisten konnte.
Stundenlang fuhr ich über die gut ausgebauten Autobahnen unseres Landes und danach über die ebenfalls noch intakten Landstraßen. Doch irgendwann musste ich abbiegen, zumindest sagte mir das meine Landkarte und ein altes Schild, dass das erste Mal auf das Dorf hinwies. Dabei hätte man es auch übersehen können, denn es stand hinter einem Baum, was nicht gerade sinnvoll war.
Ja, ich fahre noch mit Landkarte, für diese eine Fahrt, wollte ich mir kein Navi kaufen. Normalerweise fuhr ich nur an meinem Wohnort, sprich in meiner Stadt herum und da brauche ich keinen Quälgeist, der mir sagte, wo ich wohne.
Die Straße stieg langsam an und ich konnte jetzt spüren, dass ich mich den niedrigen Bergen näherte, die ich bereits von Weitem gesehen hatte. Nach mehreren Kilometern, machte die Straße einen Knick und ich konnte zum ersten Mal das Dorf sehen, das den Namen trug, welcher auf dem Schild gestanden hatte.
Ich war endlich angekommen und war darüber froh, denn mein Rücken sagte mir seit geraumer Zeit, dass er von dem durchgesessenen Fahrersitz nicht viel hielt.
Das Gasthaus hatte ich schnell gefunden, denn ein vom Wind schaukelndes Schild, mit einem sich am Spieß drehenden Schwein, wies darauf hin. Also parkte ich mein Auto vor dem Gebäude und stieg aus.
Um das Gasthaus standen mehrere malerisch aussehende Fachwerkhäuser herum und alles machte den Eindruck, als wenn hier die Zeit stehen geblieben war. Die Straße und ein kleiner Vorplatz waren mit Kopfsteinpflaster ausgelegt, wobei in der Mitte des Platzes ein kleiner Springbrunnen stand. Es sah sehr malerisch aus, schon fast kitschig. Aus einer Fotografie hätte man Postkarten machen können.
Tief atmete ich die unverbrauchte, kühle Luft ein und blinzelte dabei in die gerade untergehende Sonne, die hinter dem höchsten Berg verschwand. Dabei konnte ich eine Ruine auf der Spitze erkennen, die von einem höheren Turm überragt wurde. Doch die Sonne stach mir so stark in die Augen, dass ich wegsah und mich zur Tür des Gasthauses begab.
Während ich mir noch Gedanken darüber machte, warum ein Dorf von vielleicht fünfzig Häusern ein Gasthaus brauchte, öffnete ich die Tür und trat ein.
Es war, als wenn ich in eine andere Zeit katapultiert worden wäre. In dem Raum, der sowohl Schankraum als auch Gaststätte zugleich war, herrschte dicke Luft. So kam es mir zumindest vor. Die kleinen Fenster ließen wenig Licht durch, und da vor mehreren die Fensterläden zugemacht worden waren, musste ich mich erst an die schwummrigen Lichtverhältnisse gewöhnen.
Der Gastraum war gemütlich. Schwere, schwarze Holzbalken hielten das zweite Stockwerk dort, wo es war und das dazwischen gesetzte Mauerwerk war einmal weiß getüncht worden. Doch mit den Jahren war es von dem Rauch in dem Raum dunkler geworden. Dieser Rauch bestand zum einen aus dem Qualm, den ein großer Kamin erzeugte, der sich an einer Wand befand. Hier brannte ein großes Feuer über, dem sich tatsächlich ein kleines Schwein drehte. Es sah knusprig aus, und immer wenn etwas Fett von ihm in das Feuer tropfte, loderte das Feuer umso höher auf. Doch der Rauch kam nur zum Teil von dem Feuer, denn der andere Teil entstand von den Pfeife rauchenden Menschen, die sich ebenfalls im Raum befanden. Sie saßen an mehreren Tischen und unterhielten sich so lange, bis ich eintrat. Mehrere Köpfe drehten sich zu mir um und es wurde für einen kleinen Moment still. Zu meinem Glück, drehten sie sich wenige Sekunden später in die vorherige Richtung. Sofort wurde es wieder lauter, denn sie unterhielten sich weiter untereinander, als wenn nichts geschehen wäre. War es ja auch nicht.
Also stand ich wenig später vor dem Tresen, hinter dem ein übergewichtiger Wirt seiner Arbeit nachging. Er hatte mindestens einen Zentner zu viel auf den Rippen, aber passte hier gut hin. Sofort wischte er sich die fettigen Finger an seiner Schürze ab und kam zu mir herüber.
„Guten Abend!“, sagte ich mit einem möglichst freundlichen Gesicht.
„Ich hätte gerne ein Bier und ein Zimmer für eine Nacht.“
Wortlos schob er ein Glas unter den Zapfhahn und drehte diesen auf. Während das goldgelbe Gebräu in das Glas strömte, sah er mich aus seinem wenig anziehenden Gesicht an, welches von einem ausgeprägten Doppelkinn unterstützt wurde.
„Ein Zimmer brauchen sie?“, fragte er, wobei ich mir sicher war, dass er mich verstanden hatte. Es war keine Frage, sondern eine Art Feststellung.
„Alles ausgebucht!“, kam jetzt seine Antwort und ich war erstaunt darüber. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass hier jemand nach einem Zimmer fragte. So abgelegen, wie das Dorf war, verirrte sich sichern selten ein Tourist hierher und wenn, dann hatte er einen Rucksack auf dem Rücken.
„Sind sie sich sicher?“, fragte ich ihn zur Sicherheit noch einmal und er nickte langsam mit dem Kopf, wobei er mich mit seinen kleinen Schweineaugen fixierte, die sich nur schwer durch das Fettgewebe darum freikämpfen konnten.
„Eine Frau von Hochfeldz hatte mir gesagt, dass ich hier eines bekommen würde!“, sagte ich, wobei ich mich bereits in meinem Auto übernachten sah.
Ich konnte sehen, wie ein Ruck durch seinen Körper ging, als ich den Namen sagte. Seine Augen wurden auf einmal ein Stückchen größer und es sah aus, als wenn er sich leicht duckte. Merkwürdig war auch, dass auf einmal die Gespräche in der Gaststätte wie abgeschnitten verstummten.
Ich sah mich vorsichtig um und bemerkte, wie mich viele Augenpaare anstarrten, als wenn ich gerade den Weltuntergang eingeläutet hätte. Als ich wieder den Wirt ansah, konnte ich ein gequältes Lächeln in seinem Gesicht erkennen. Er sagte nur noch leise: „Wenn sie mir gleich gesagt hätten, dass sie im Auftrag von Frau von Hochfeldz hier sind, dann wäre es nicht zu diesem Missverständnis gekommen. Natürlich haben wir für sie ein Zimmer, es ist für Gäste von Frau von Hochfeldz reserviert. Bitte setzten sie sich. Sie haben sicher hunger, das Schwein ist bereits gar.“
Ich sah mich um und bekam einen freien Tisch, da sich zwei Gäste erhoben und an einen anderen Tisch wechselten, an dem zwei weitere Gäste saßen. Danach begannen die Gespräche erneut an den Tischen, wobei ich den Eindruck hatte, als wenn sie sich nicht ernsthaft unterhielten, sondern auf etwas warteten. Es lag eine Art Spannung im Raum, die ich nicht greifen konnte.
Wenig später saß ich an diesem Tisch und konnte von hieraus den gesamten Raum betrachten, während der Wirt jetzt mit einem großen Teller, zum sich drehenden Schwein ging und ein großes Stück davon abtrennte. Dann ging er in einen hinteren Raum, in dem sich sicher noch eine Küche befand. Wenig später kam er mit dem Teller zurück und servierte mir mein Mahl.
Alles, was ich mir unter einem deftigen Essen vorgestellt hatte, war vorhanden. Locker aussehende Knödel, die in einer Soße schwammen, der man ansehen konnte, dass sich jemand viel Mühe gegeben hatte. Sie hatte einen würzigen Geruch nach Wein, Nelken und Lorbeerblättern. Dazu leicht in Butter geschwenkter Rosenkohl, verfeinert mit einer Priese Muskat und Mandelstiften. Doch die Krönung war das Schweinefleisch, besonders die krosse Kruste. Sie knackte zwischen den Zähnen und war mit einer leicht süßlich schmeckenden Ummantelung versehen. Eine Komponente dieser Ummantelung war Honig und wahrscheinlich Orangensaft, aber das konnte ich nicht definieren.
Alles war so köstlich, dass ich die überaus große Portion komplett verdrückte. Danach war kein Platz in meinem Magen übrig, den ich noch füllen könnte.
Ich lehnte mich gesättigt zurück und stellte mein Bier so auf den Rand des Tisches, dass ich ohne Mühe herankam. Auch dieses Bier war hervorragend. Würzig und süßlicher als gewohnt. Es lief wunderschön kalt durch meine Kehle, was ich genoss.
Der Wirt kam sofort zu mir und fragte mich: „Ich hoffe, es hat ihnen geschmeckt. Wie ich sehe, haben sie alles aufgegessen. War es nicht genug? Wünschen sie noch etwas nach?“
„Nein danke“, meinte ich und rieb mir den Bauch, „es war alles sehr gut, und selbst wenn ich wollte, ich könnte keinen Bissen mehr herunter bekommen!“
Der Wirt schien mit der Antwort zufrieden zu sein, denn ein Lächeln ließ sein Gesicht freundlicher erscheinen als zuvor. Dann räumte er den Teller ab und meinte, dass ich sagen sollte, wenn mir etwas fehlte. Danach verschwand er hinter seinem Tresen und machte das, was Wirte immer tun, wenn sie nichts zu tun hatten. Er polierte die Gläser und sah sich um, ob irgendwer etwas wünschte.
Währenddessen sah ich mich genauer um.
Ich hatte Zeit, solange Frau von Hochfeldz nicht erschien.
An den Wänden hingen ein paar Bilder mit den unvermeidlichen Landschaftsdarstellungen. Sie zeigten Impressionen aus der Gegend, überall waren Berge darauf.
Das mir am nächsten hängende Bild, zeigte die Ruine, die ich kurz zuvor gesehen hatte und obwohl dieses Bild sehr alt erschien, zeigte es die Burg im jetzigen Zustand, zumindest so, wie ich es beurteilen konnte. So konnte man sehen, dass drei der Zinnen auf der Festungsmauer nicht mehr vorhanden waren. Genauso hatte ich es bei dem kurzen Blick auf das Gemäuer gesehen. Sie sah nicht sonderlich groß aus, doch das konnte täuschen, denn das Bild war in etwa aus dem Winkel des Dorfes, also von unten, gemalt worden. Wer immer dieses Bild gestaltet hatte, wollte einen Eindruck von Bedrohung erzeugen, obwohl es auch daher kommen konnte, dass es ebenfalls, wie die Wände eine dunklere Farbe angenommen hatte, als es zuvor gehabt hatte.
Die Burg machte einen düsteren, verlassenen Eindruck. Nur ganz oben, fast an der Spitze des Burgfrieds, waren zwei schießschartenartige Fenster hell erleuchtet. Dabei hatte man den Eindruck, als wenn der Maler den Blick eines Betrachters darauf lenken wollte. Es waren die einzigen hellen Punkte im Bild und dadurch, dass alles andere dunkel gemalt worden war, wirkten sie heller, als sie waren.
Dann wandte ich meinen Blick von dem Bild ab und genoss mein Bier. Schluck für Schluck trank ich es langsam leer und fragte mich die ganze Zeit, wann meine voraussichtliche Auftraggeberin erscheinen würde. Aber sie kam nicht. Stattdessen erschien ein älterer Mann in dem Raum, sah mich und kam an meinen Tisch.
Wieder wurde es mucksmäuschen still im Raum. Alle schienen den Atem anzuhalten.
Nicht nur der Mann, sondern auch ich, sahen uns um und starrten in viele Augen, die uns anblicken.
Dann drehte der Mann seinen Kopf in meine Richtung und sagte mit einer krächzenden Stimme: „Frau von Hochfeldz lässt sich entschuldigen. Sie bittet euch noch, bis morgen Abend auf sie zu warten. Ich soll euch fragen, ob ihr damit einverstanden seid!“
Es war komisch, wie er mit mir sprach, denn seine Stimme und sein Sprachgebrauch inclusive Betonung klang seltsam. Man konnte allerdings merken, dass er sich viel Mühe gab, um verständlich zu klingen.
Da ich nichts anderes zu tun hatte und der Gärtnerjob warten konnte, willigte ich ein. Immerhin bekam man hier gut zu essen und trinken, was nicht auf meine Kosten ging.
Er nickte und ging mit schleppenden Schritten hinaus. Als die Tür zuschlug, kamen die Gespräche im Raum wieder in Gang. Allerdings nicht lange, denn anscheinend musste die meisten hier sitzenden, am nächsten Tag früh raus. Also verabschiedeten sie sich von dem Wirt und verschwanden einer nach dem anderen.
Industrie oder eine größere Stadt gab es im weiteren Umfeld nicht, also ging ich davon aus, dass die meisten in der Landwirtschaft arbeiteten. Dort wurde normalerweise früh aufgestanden.
Zum Schluss verblieb ich allein im Raum und bekam noch ein Bier. Dieses genoss ich ein Weilchen und beobachtete den Wirt dabei, wie er das geplünderte Schwein vom Feuer nahm und die Tische putzte. Dann war er mit allem fertig. Ich wollte ihn nicht weiter aufhalten und erhob mich von meinem Platz, schnappte mir meinen Koffer und ging Richtung Tresen, um nach meinem Zimmer zu fragen. Der Wirt nickte, kam hinter dem Tresen vor und ging mir voraus.
Da ich das Bild mit der Burg nur von der Seite gesehen hatte, drehte ich mich noch einmal um, um es mir direkt von vorne anzusehen.
Es sah genauso dunkel aus, um nicht zu sagen, dunkler. Als ich genauer hinsah, stellte ich meinen Koffer ab und wischte mir über die Augen. Dann sah ich ein zweites Mal hin und konnte es nicht glauben. Die zuvor hell erleuchteten Fenster waren dunkel. Nichts deutete darauf hin, dass zwei helle Punkte in dem Bild gewesen wären. Dabei war ich mir sicher, dass sie dort gewesen waren. Oder hatten mir meine Augen zuvor einen Streich gespielt?
Ich konnte es nicht mit Gewissheit sagen. Daher nahm ich meinen Koffer und folgte dem Wirt, der sich wartend vor einer Tür postiert hatte. Nun gingen wir ein Stockwerk höher und ich bekam ein altmodisches, sauberes und gemütlich wirkendes Zimmer mit eigenem Bad, worüber ich verwundert war. Es hätte mich nicht gewundert, wenn im Garten ein kleines Häuschen gestanden hätte und im Zimmer ein Waschtisch mit Wasserkrug und Schüssel.
Der Wirt fragte noch, ob ich noch etwas bräuchte, aber ich verneinte. Ich war gesättigt und die lange Fahrt hierher, steckte mir in den Knochen. Ich war mehr als müde und wollte schlafen.
Nachdem der Wirt hinter sich die Tür zumachte, sah ich durch das Fenster, blickte jedoch in eine kohlrabenschwarze Nacht. Hier gab es keine Lichtverschmutzung wie in der Stadt und somit war das Einzige, was man noch sehen konnte, einige, wenige Fenster anderer Häuser, die schwach beleuchtete waren. Dafür waren mehr Sterne am Himmel zu entdecken, die teilweise von den vorbeiziehenden Wolken verdeckt wurden.
Also öffnete ich meinen Koffer und suchte mir entsprechendes Bettzeug. Obwohl es einen Schrank gab, räumte ich den Koffer nicht leer, denn ich wusste nicht, ob ich bleiben würde. Einmal davon abgesehen, dass ich keine Ahnung davon hatte, was ich überhaupt tun sollte.
Doch ich war so müde, dass ich in das weiche, kuschelige Bett stieg und noch einen Moment das Licht brennen ließ, danach löschte ich es und lag einen Moment mit offenen Augen da.
Es war ruhig, so ruhig, wie ich es nicht mehr gewohnt war. In der Stadt hatte man immer einen gewissen Geräuschpegel im Hintergrund, hier hörte man nichts. Hier hätte man eine fallende Nadel hören können.
Das Letzte, was ich bemerkte, bevor ich einschlief, war ein Hund, der einen nicht vorhandenen Mond anheulte. Es klang richtig schauerlich, doch das nahm ich nur noch mit einem Ohr wahr. Es war unter der Decke so kuschlig, dass ich schnell einschlief.