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Dieser Coup wird die aufstrebende Weltmacht USA in die Knie zwingen! Der neue Fall für Amerikas Meisterdetektiv Isaac Bell.
1914: Der Privatdetektiv Isaac Bell verhindert ein brutales Attentat auf US-Präsident Woodrow Wilson. Doch dann findet er heraus, dass der Präsident gar nicht das eigentliche Ziel war. Der Killer hatte es auf den ebenfalls anwesenden Vorstand der neu gegründeten US-Notenbank
Federal Reserve abgesehen. Und so stößt Bell auf die Spur des größten Raubs der amerikanischen Geschichte. Ein Meisterdieb und seine mörderischen Komplizen haben die Federal Reserve ins Visier genommen, um sie um eine Milliarde Dollar zu erleichtern. Und sollten sie Erfolg haben, würden sie die USA damit wirtschaftlich vernichten. Ein tödliches Rennen für Isaac Bell beginnt!
Jeder Band ein Bestseller und einzeln lesbar. Lassen Sie sich die anderen Fälle von Isaac Bell, Amerikas fähigstem Privatermittler, nicht entgehen, zum Beispiel die packenden Action-Abenteuer »Das Panama-Attentat« oder »Seewölfe«.
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Seitenzahl: 545
Buch
1914: Der Privatdetektiv Isaac Bell verhindert ein brutales Attentat auf US-Präsident Woodrow Wilson. Doch dann findet er heraus, dass der Präsident gar nicht das eigentliche Ziel war. Der Killer hatte es auf den ebenfalls anwesenden Vorstand der neu gegründeten US-Notenbank Federal Reserve abgesehen. Und so stößt Bell auf die Spur des größten Raubs der amerikanischen Geschichte. Ein Meisterdieb und seine mörderischen Komplizen haben die Federal Reserve ins Visier genommen, um sie um eine Milliarde Dollar zu erleichtern. Und sollten sie Erfolg haben, würden sie die USA damit wirtschaftlich vernichten. Ein tödliches Rennen für Isaac Bell beginnt!
Autoren
Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein New-York-Times-Bestseller. Auch auf der deutschen SPIEGEL-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2020 in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.
Jack Du Brul studierte an der George-Washington-Universität, Washington, D.C. Kaum hatte er seinen Abschluss in der Tasche, veröffentlichte er seinen ersten Roman. Er lebt mit seiner Frau Debbie in Burlington, Vermont.
Liste der lieferbaren Isaac-Bell-Romane:
1. Höllenjagd
2. Sabotage
3. Blutnetz
4. Todesrennen
5. Meeresdonner
6. Die Gnadenlosen
7. Unbestechlich
8. Der Attentäter
9. Teufelsjagd
10. Die Rückkehr der Bestie
11. Die Titanic-Verschwörung
12. Das Panama-Attentat
13. Seewölfe
14. Die Fälscher
Clive Cussler & Jack Du Brul
Ein Isaac-Bell-Roman
Deutsch von
Wolfgang Thon
Die englische Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel »The Heist (IB14)« bei G.P. Putnam’s Sons, New York.
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
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Copyright der Originalausgabe © 2024 by Sandecker, RLLLP
By arrangement with
Peter Lampack Agency, Inc.
350 Fifth Avenue, Suite 5300
New York, NY 10118 USA
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024 by Blanvalet Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkterstr. 28, 81673 München
Umschlagsgestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign;
unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com
(stocker; Pakhnyushchyy; comicsans; I LOVE PNG; Aevan;
4kclips; Uolir; wooddy7; ImageFlow)
Redaktion: Joern Rauser
HK · Herstellung: DiMo
Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss
ISBN 978-3-641-32200-7V001
www.blanvalet.de
DIEDETEKTIVE
Joseph Van Dorn – Legendärer Gründer der Van Dorn Detective Agency
Isaac Bell – Chefermittler der Van Dorn Detective Agency
Archibald »Archie« Abbott – Van-Dorn-Detektiv, Bells bester Freund und Partner
James Dashwood – Van-Dorn-Detektiv und ehemaliger Schützling von Bell
Clint Slocomb – Van-Dorn-Detektiv im Philadelphia-Büro der Agency
Telford Jones – Van-Dorn-Detektiv im Baltimore-Büro der Agency
Bernard Arseneaux – Van-Dorn-Detektiv im New-Orleans-Büro der Agency
ANDERE
Marion Bell – Isaacs Ehefrau und Filmemacherin
Ebenezer Bell – Bostoner Bankier und Isaacs Vater
Lillian Abbott – Archies Frau und Marions beste Freundin
Christoff Tamerlane – Marions zuverlässiger Assistent
William McAdoo – Finanzminister
Rex Smith – Flugzeugeigentümer in Maryland
Tony Jannus – Flugzeugpilot
Charley Briggs – Bauunternehmer für das Bureau of Engraving and Printing Building
Harvey Wanamaker – Schlosser aus Philadelphia
Reggie Hauser – Leitender Angestellter im Eisenbahnwesen
C. Frederick Lawson – Leiter des Sicherheitsdienstes im Bureau of Engraving and Printing Building
Philip Findley – Vorstand der Atlanta Reserve Bank
Vic Carver – Agent des Finanzministeriums
Paul Haygarth – Agent des Finanzministeriums
Jackson Pickett – Newport, Rhode Island, Prominenter
Fedora Scarsworth-Pickett – Ehefrau von Jackson Pickett
Isidor Steinem – Picketts Anwalt
Thomas Lassiter – Detective der Polizei von Newport
Ray Burns – Detective in Newport und Lassiters Schützling
Flynn und Sean O’Conner – Anführer einer Bande im Hafen von Baltimore
Michaleen Riordan – Irischer Killer
Jose – Skipper in Louisiana
WASHINGTON, D.C. AUGUST 1914
Als Woodrow Wilson den prachtvollen Speisesaal an Bord der Präsidentenjacht Mayflower betrat, erhoben sich alle Männer am Konferenztisch und wandten sich ihm in respektvollem Schweigen zu. Der schlanke Präsident trug einen modischen mokkafarbenen Straßenanzug, der seine Größe noch zu unterstreichen schien. Er hatte ein langes Gesicht, manche sagten sogar Pferdegesicht dazu, und seine Haltung sowie sein Ausdruck erinnerten an einen strengen Schulmeister. Doch wenn er den Mund öffnete, erklang eine samtige Stimme, die von Bescheidenheit und Intelligenz kündete und jeden entzückte, der sich in Hörweite befand.
»Gentlemen, bitte nehmen Sie Platz, bevor eine plötzliche Querströmung des Potomac Rivers Sie möglicherweise dazu zwingt.«
Gelächter hallte durch den Raum, während sich die Männer sichtlich entspannten und gemeinsam mit dem Präsidenten ihre Plätze am Tisch wieder einnahmen. Ein Steward mit weißen Handschuhen schloss hinter dem Regierungschef die Türen, während zwei Agenten des Secret Service direkt daneben Stellung bezogen.
»Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute hier sind«, begann Wilson, der sich an das Kopfende des Tisches gesetzt hatte. »Der Kapitän hat mich darüber informiert, dass wir in Kürze ablegen werden. Wir segeln flussabwärts zu unserem geplanten Mittagessen in Mount Vernon, obwohl ich mir sicher bin, dass es nicht wenige in dieser Stadt vorziehen würden, einfach weiter zu segeln, und zwar bis nach Südamerika«, fügte er hinzu und erntete ein breites Grinsen der Anwesenden. »Das hier wäre zwar eine gute Gelegenheit für ein paar Runden Poker und eine gute Zigarre unter neuen Freunden, aber wir haben Geschäftliches zu erledigen.« Kurz legte er den Kopf schief und wandte sich dann an den Steward. »Wenn ich es mir recht überlege, gibt es allerdings keinen Grund, warum wir dabei nicht eine Zigarre rauchen und einen Schluck trinken sollten.«
Wilson war noch ein Neuling in der Politik, denn er hatte das Weiße Haus nur zwei Jahre nach seiner Wahl zum Gouverneur von New Jersey erobert. Zuvor jedoch war er viele Jahre lang Dekan eines Colleges gewesen und wusste, wie man Menschen führt. Und da er in einem Rennen mit drei Kandidaten fast fünfzig Prozent aller Stimmen der Bevölkerung auf sich vereint hatte, verfügte er auch über ein starkes Mandat dafür.
Dem achtundzwanzigsten Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde eine Zigarrenkiste aus Rosenholz gereicht, die er an den Mann zu seiner Linken weitergab. Während die Zigarren im Raum herumgereicht wurden, kam der Steward mit einem Tablett zurück, auf dem Schnapsgläser und eine Flasche mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit standen. Das Etikett darauf war so alt, dass es bereits abblätterte.
»Dies ist unser erstes gemeinsames Treffen, also müssen wir es entsprechend feiern. Diese Flasche Scotch war ein Glückwunsch-Geschenk zu meinem Amtsantritt, und zwar von H. H. Asquith, dem Premierminister von Großbritannien. Mir wurde gesagt, dieser Whiskey sei vierzig Jahre in einem Fass gereift und habe danach weitere fünfzig Jahre in dieser Flasche geruht.«
Die Gläser wurden gefüllt, und schon bald war der Raum in aromatischen Zigarrenrauch gehüllt. Unter den Anwesenden war man sich einig, dass dies der beste Whiskey war, den sie je getrunken hatten. »Ich könnte mich gezwungen fühlen, für eine Wiederwahl zu kandidieren, wenn Asquith mir eine weitere Flasche davon für eine zweite Amtszeit zusagt«, erklärte Wilson und erntete erneut Gelächter.
Dieses Treffen auf der Jacht war der Höhepunkt einer jahrelangen Arbeit und sorgfältiger Verhandlungen über die Parteigrenzen hinweg und unter Beteiligung aller drei Regierungsebenen. Der Präsident wusste, dass er sein Publikum gewonnen hatte und begann damit, seine Rede zu halten.
»Würde ich behaupten, dass heute der absolute Brain Trust des amerikanischen Bankwesens vor mir versammelt ist, würde sich in der gesamten Nation wohl keine einzige Gegenstimme erheben. Jeder von Ihnen verfügt über Dutzende von Jahren Erfahrung in der Leitung einiger unserer erfolgreichsten Banken, und jeder von Ihnen hat sich bereit erklärt, eine der zwölf neu geschaffenen Federal-Reserve-Banken zu leiten. Damit geben wir dem Land endlich das zentralisierte Geldsystem, das nötig ist, wenn wir vorankommen wollen. Ich muss dieser erlauchten Gruppe nicht erst sagen, dass die Vereinigten Staaten wachsen werden – und dass das beginnende zwanzigste Jahrhundert unsere Epoche sein wird. Unter den Nationen der Welt werden wir glänzen. Doch um das ganze Potenzial voll ausschöpfen zu können, müssen wir uns stärker zentralisieren.«
Seine Worte wurden mit zustimmendem Gemurmel aufgenommen.
»Noch vor weniger als fünfundzwanzig Jahren haben wir erlebt, wie die einzelnen Bundesstaaten und sogar einzelne Landkreise ihre eigenen Zeitstandards festgelegt haben. Das hat eine effiziente Planung im Eisenbahnverkehr nahezu unmöglich gemacht, und so ist es regelmäßig zu tödlichen Unfällen gekommen. Darum bedurfte es des Zusammenschlusses aller Eisenbahnbesitzer, um das heutige System der regulierten Zeitzonen zu kodifizieren.« Er sah sich in der Runde um.
»Das ist aber nur ein Beispiel dafür, wie die Bedürfnisse unserer Nation unsere Fähigkeit, sie auf staatlicher oder lokaler Ebene zu erfüllen, übersteigen. Die verheerenden Banküberfälle, unter denen wir regelmäßig leiden, sind ein weiteres Beispiel dafür, wie Amerika dem Rest der zivilisierten Welt hinterherhinkt. Die Banken-Panik von 1907 hätte viele von uns beinahe ruiniert und hat zahllose Unternehmen und Einzelpersonen in ihrem Kielwasser tatsächlich zerstört. Ich stelle mir vor, dass jeder von Ihnen mindestens einen Bekannten oder einen engen Freund hatte, der seinem Leben ein Ende gesetzt hat – und zwar wegen seines Ruins.«
Die Männer am Tisch nickten.
»Die einzelnen Staaten werden zwar auch weiterhin alle in unserer Verfassung verankerten Rechte behalten, die Regierung des Bundes muss dennoch eine stärkere Führungsrolle übernehmen. Das beginnt mit einem privaten, zentralisierten Bankensystem, das von dem von mir eingesetzten Gremium überwacht werden wird.«
Die Männer im Raum hingen an Wilsons Lippen und lauschten auf jedes Wort. Alle bis auf einen Mann. Isaac Bell, der Chefermittler der Van Dorn Agency, blickte gelangweilt aus einem Bullauge an der Seite. Für ihn gab es kaum ein weniger interessantes Thema als das Bankwesen.
»Und dies, meine Herren, soll unser neues Banner sein.« Wilson öffnete eine dünne Ledertasche, die ihm der Mann, der neben ihm saß, gerade gegeben hatte, und zog einen säuberlichen Stapel mit grünem Papier heraus. Es war zu einer rechteckigen Form geschnitten und hatte ungefähr die Größe eines Einladungsschreibens. Etwas theatralisch schob er die Zettel über den Tisch, sodass die Männer sich selbst bedienen konnten. »Dies ist der frisch geprägte Hundert-Dollar-Schein der Federal Reserve.«
Zusammen mit einigen Adjutanten hatte Bell an der Wand der Kabine gestanden. Sein Desinteresse verflog nun schlagartig, und er griff einem ihm unbekannten Bankier über die Schulter, um sich einen der Scheine zu nehmen. Er spürte, wie sich die Motorjacht vom Dock der Washingtoner Marinewerft entfernte und in die träge Strömung des Anacostia Rivers eintauchte, kurz vor dessen Mündung in den Potomac. Außerhalb der Reihe abgeschrägter Glasfenster und an der Reling der Motorjacht vorbei zogen in stiller Majestät die massiven Backsteingebäude einer der bedeutendsten Militärwerften der Nation vorüber.
Bell wandte seine Aufmerksamkeit dem Hundert-Dollar-Schein zu, der mehr oder weniger den Monatslohn eines durchschnittlichen Arbeiters darstellte. Der Schein war mit dunkelgrüner Tinte gedruckt und kunstvoll gestaltet. Es dauerte einen Augenblick, bis er erkannte, dass das Profil der Gestalt in der Mitte des Scheins niemand anderen als Benjamin Franklin zeigte, den vielleicht klügsten und am meisten vorausschauenden der Gründerväter. Rechts davon befand sich ein roter Schriftzug, der von einem lateinischen Satz umgeben war, den Bells Schuljungenlatein grob als »Siegel des Finanzministeriums von Nordamerika« übersetzte. Die Rückseite des Scheins war in einem helleren Grün gedruckt und zeigte Figuren, die in Gewänder der griechischen oder römischen Mythologie gekleidet waren. Das Papier und die Tinte hatten eine eigentümliche Beschaffenheit, die Bell noch nie zuvor gespürt hatte. Fasst sich sehr gut an, dachte er.
Einige der Bankiers fragten ihre Nachbarn, ob sie das Tableau auf der Rückseite des Geldscheins verstanden, und Wilson registrierte die Atmosphäre in dem ganzen Raum sehr genau. »Mir wurde gesagt, dass diese Figuren für Arbeit, Handel, Reichtum und Frieden stehen. Die Figur in der Mitte dagegen soll die USA repräsentieren. Für meinen Geschmack etwas zu ausgefallen, aber was gilt schon die Meinung eines Präsidenten?«
Das brachte Wilson erneut einige Lacher ein. Der Mann unmittelbar rechts neben ihm war William McAdoo, Finanzminister und seit Anfang des Jahres auch der Schwiegersohn des Präsidenten. Er war ein großer, hagerer Mann mit einem Gesicht, das an einen bartlosen Abraham Lincoln erinnerte. Die Eheschließung hatte einiges Aufsehen verursacht, da er doppelt so alt wie Eleanor Wilson und zudem ein hochrangiges Mitglied der Regierung war. Aber die Wogen hatten sich schon wieder geglättet. »Ich muss darum bitten, dass alle Scheine an mich zurückgegeben werden«, sagte McAdoo jetzt. »Einige davon sind zwar bereits verschickt worden, aber wir versuchen, das Aussehen noch so lange geheim zu halten, bis sie endgültig in Umlauf gebracht werden.«
Die meist graubärtigen Bankiers reichten die Scheine über den Tisch, damit McAdoo sie in die Tasche zurücklegen konnte.
Bell ersetzte den untersuchten Schein durch einen ähnlich großen Hundert-Dollar-Schein der Manhattan Bank, den er zwischen zwei der neuen Scheine legte, die von Hand zu Hand an den Finanzminister weitergereicht wurden. Den neuen Hunderter versteckte er in seiner Brieftasche.
Es gab auch einen Grund für diesen kleinen Diebstahl. Er plante, handgefertigte Faksimiles der neuen Währung an alle aktiven Van-Dorn-Detektive zu verteilen. Er wollte nämlich, dass sie sich so gut wie möglich mit diesen neuen Scheinen vertraut machten, denn zweifellos würden bald nach ihrer Einführung clevere Fälscher versuchen, unerfahrenen Bankkassierern und Ladenangestellten Fälschungen unterzuschieben. Bell rechnete mit einem lukrativen Geschäft, wenn die Agency die echten von den gefälschten Scheinen trennte, bis sich die Menschen an die neue Währung gewöhnt hatten.
Jetzt beobachtete er, wie der versteckte Geldschein der Manhattan Bank auf dem Tisch herumgereicht wurde, und gerade als McAdoo ihn in Empfang nehmen wollte, täuschte Bell ein lautes Niesen vor. Der Sekretär blickte bei der Störung auf, während er die Banknoten weiter in die Tasche zurückschob. Er hatte den getauschten Schein nicht bemerkt, und Bell lächelte in sich hinein. Damit war er der erste Mensch, dem ein erfolgreicher Raubüberfall auf die neue Federal Reserve Bank gelungen war. Er ging zu seinem Platz zurück und lehnte sich an das Schott.
Als sich McAdoo hinsetzte und die Ledertasche auf den Boden stellte, betrat ein weiß gekleideter Steward den Speisesaal. Bell dachte, sein Adjutant sei gekommen, um die Geldtasche wegzubringen. Stattdessen wartete der Mann einen Augenblick lang nervös und zog McAdoo dann für ein privates Gespräch zur Seite. Bell bemerkte, wie McAdoo blass wurde, während er zu Wilson blickte. Er holte tief Luft, beugte sich dann zu dem Präsidenten und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Wilson schloss die Augen. Seine Miene verriet einen Schmerz, der sowohl von langem Leid als auch von Resignation zeugte. Er ballte seine Hände zu Fäusten, als könnte diese Geste seine Emotionen im Zaum halten. Nach einer langen Pause drehte er sich um, nickte dem Steward zu, und der Mann verließ den Raum.
Wilson sah sich am Tisch um und musterte der Reihe nach die Männer, die sich auf seinen Ruf hin hier versammelt hatten. »Meine Herren, ich muss mich entschuldigen«, erklärte er, und seine sanfte Stimme wurde heiser. »In ein paar Minuten werden wir zum Washington Arsenal umgeleitet, und dort werde ich von Bord gehen. Ich …« Er zögerte, überlegte, wie viel er erzählen sollte, und entschied, dass eine so gediegene Gesellschaft die Wahrheit verdiente. »Die meisten von Ihnen dürften nicht wissen, dass meine Frau schwer krank ist. Nun versagen ihre Nieren, und die Ärzte können nichts mehr für sie tun. Als ich vor Kurzem zur Marinewerft fuhr, war sie noch guter Dinge und fühlte sich einigermaßen wohl. Ihr behandelnder Arzt hat jedoch gerade eben ein Funktelegramm geschickt. Ihr Zustand scheint eine plötzliche Wendung genommen zu haben, und so bittet er mich darum …«, Wilson kämpfte sich durch die letzten Worte, »… an ihrem Bett zu sein.«
Bell sah seinem Vater Ebenezer in die Augen, der am anderen Ende des Tisches saß. Der ältere Bell leitete die Federal Reserve Bank of Boston, in der die Familie schon seit Generationen erfolgreiche Kreditgeberin gewesen war. Obwohl Isaacs Mutter bereits vor Jahren gestorben war, fühlten er und Ebenezer sofort den Schmerz im letzten Satz des Präsidenten, als hätten sie gerade erst ihre Grabstätte verlassen.
Die Jacht neigte sich nach Steuerbord, als sie ihren Kurs für den außerplanmäßigen Stopp änderte und die Geschwindigkeit erhöhte, um den Präsidenten so schnell wie möglich zu seiner Frau zurückzubringen.
Rasch gewann Wilson die Fassung zurück. Da die First Lady schon seit einiger Zeit krank war, musste er sich längst an den Kummer gewöhnt haben, auch wenn er keineswegs dagegen abgestumpft schien. »Da Sie aus allen Teilen des Landes hierhergekommen sind, gibt es keinen Grund, diese Gelegenheit für ein gemeinsames Gespräch abzusagen. Minister McAdoo wird nun an meiner Stelle als Gastgeber fungieren, und um ganz offen zu sein, er spricht Ihre Sprache auch viel besser als ich. Ich kann nur darum beten, dass ich seinen Bericht über den Verlauf Ihrer Diskussion verstehen werde.«
Rasch verließ er den Raum und verschwand mit seinen bewaffneten Leibwächtern im Schlepptau in dem Gang hinter den Glastüren. Die Maschinen trieben das Schiff weiter an, und das Wasser schlug leise murmelnd gegen den Schiffsrumpf, während die Männer im Speisesaal nach dem abrupten Abgang eine Schweigeminute einlegten.
Minister McAdoo erhob sich schließlich und zupfte unnötigerweise seine Krawatte zurecht. Dann hielt er inne und räusperte sich. »Das war gewiss eine unangenehme Überraschung, aber meine Schwiegermutter besteht darauf, dass ihre Krankheit eine private Angelegenheit bleibt, die allein die Familie betrifft. Wie Sie sich vorstellen können, ist der Präsident wegen ihres Zustandes zutiefst besorgt, setzt sich aber weiterhin voll und ganz für die Gründung der Federal Reserve Bank ein. Er weiß, dass dies ein historischer Moment ist, und er möchte auf keinen Fall, dass wir ihn uns entgehen lassen. Lassen Sie uns also ein paar Minuten innehalten, während Präsident Wilson von Bord geht, und dann zur Sache kommen.«
Während sie noch darauf warteten, dass die Luxusjacht in die Nähe des Docks am Washington Arsenal manövriert wurde, schenkten der Chefsteward und ein Assistent frischen Kaffee aus silbernen Kannen aus und stellten Teller mit Gebäck bereit, das mit Zuckerguss oder Honig beträufelt war.
Einige der Männer am Tisch begannen höfliche Gespräche. Jeder von ihnen besaß oder leitete eine erfolgreiche Bank in seinem Bezirk, aber aufgrund der Organisation dieses Treffens stand keiner von ihnen in Konkurrenz zu einem der anderen. Bell vermutete stark, dass der Bankier aus Minneapolis – laut dem Namensschild vor seinem Teller ein gewisser James Rich – noch nie von dem Mann neben ihm, dem Bankier Weldon Burdett aus Atlanta, gehört oder ihn gar getroffen hatte.
Bells Vater hatte ihm auf der Zugfahrt nach D.C. erklärt, dass die Wahl Atlantas als Sitz einer Federal Reserve Bank für viele der anderen überraschend gekommen wäre. Schließlich war doch bekannt, dass die wirtschaftlich wichtigste Stadt des tiefen Südens New Orleans war, und dennoch hatte man sich für Atlanta entschieden. Das hatte für leichte Misstöne gesorgt, denn sowohl Präsident Wilson als auch sein Finanzminister hatten ihre Wurzeln in Georgia, und man munkelte, dass da ein wenig Begünstigungspolitik im Spiel gewesen wäre.
Die Mayflower legte kurz im Schatten eines der vielen Gebäude am Ufer der Armory erst an und dann wieder ab, um mit der Strömung aus dem Gezeitenbecken den Washington Channel hinunterzufahren, bevor sie in der Nähe von Greenleaf Point wendete. Hinter ihnen lag die Long Bridge, die Washington mit Alexandria, Virginia, verband. Das Stampfen der Maschine änderte sich, als die Kessel hochgeheizt wurden und das schnittige Schiff Kurs auf Mount Vernon nahm und an Geschwindigkeit gewann.
Das Gespräch am Tisch wurde bald intensiver, als jeder Bankier seine Vorstellung von der Funktionsweise der Federal Reserve darlegte. Der grundlegende Rahmen war zwar durch ein Gesetz des Kongresses vorgegeben worden, doch es gab noch jede Menge Details zu klären.
Isaac Bell hatte sich nur deshalb bereit erklärt, seinen Vater zu der Konferenz zu begleiten, weil ihm dies Gelegenheit bot, den Präsidenten zu treffen. Bell hatte kein Interesse an Politik oder Politikern, aber Joseph Van Dorn war ein cleverer Boss, der stets nach Gelegenheiten suchte, wo immer sie sich bieten mochten. Da konnte es nicht schaden, dem Präsidenten ins Gedächtnis zu rufen, dass der Sohn eines seiner neuen Direktoren der Federal Reserve der leitende Ermittler der führenden Detective Agency der Nation war.
Nun war der Präsident jedoch aus diesem traurigen Anlass von Bord gegangen, und Bell hatte gar keine Gelegenheit, seine Bekanntschaft zu machen. Sein Blick richtete sich ins Leere und seine Gedanken schweiften ab, als die Bankiers die Einzelheiten der Abrechnungssätze, der Scheckgebühren, der Aufteilung der Einnahmen und noch allerlei anderes diskutierten. Ganz langsam machte er sich auf den Weg zur Tür. Sein Vater bemerkte, dass er sich immer näher an den Ausgang heranschlich, und runzelte missbilligend die Stirn. Aber die anderen schien das gar nicht zu interessieren.
Zehn Minuten, nachdem Bell die Doppeltüren erreicht hatte, wurde endlich eine davon geöffnet. Vorsichtig wie eine Katze betrat ein Steward den Speisesaal, um nach den Gästen des Präsidenten zu sehen. Bell nahm seine Chance wahr und schob sich noch geschmeidiger um den Türrahmen herum. Dann lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand des Flurs und atmete auf. Nie war er für die Entscheidung, in dem Familienunternehmen nicht in die Fußstapfen seines Vaters getreten zu sein, dankbarer gewesen als in diesem Augenblick.
Er verstand die Herausforderungen der Hochfinanz, und außerdem war er detailorientierter als die meisten Menschen, aber das alles war so langweilig, und der Lohn der Arbeit war uninteressant und kam außerdem viel zu verzögert. Bell mochte das Geld ebenso sehr wie jeder andere, das heißt den Freiraum, den es ihm verlieh, doch immer mehr davon nur um des Geldes willen anzuhäufen, schien ihm kein lohnendes Ziel zu sein.
Um ein erfolgreiches Unternehmen oder eine erfolgreiche Person für eine Investition auszuwählen, brauchte man natürlich Talent und Intuition. Aber ein Bankier wusste erst nach Jahren, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Henry Fords Geldgeber mussten ein halbes Jahrzehnt warten und sahen zu, wie er zwanzig unverkäufliche Prototypen baute, angefangen mit einem Modell namens A, bis er mit dem Modell T schließlich Erfolg hatte.
In Isaacs Beruf dagegen ging es meist um Leben und Tod, und ein Fall dauerte selten länger als eine Woche. Das kam seinem Temperament weit mehr entgegen, als in einem Sitzungssaal zu hocken und so lange über Prozente und Aktien zu sprechen, bis sich seine Augen verdrehten und er vor Langeweile ohnmächtig wurde.
Es war ein wunderschöner Tag. Washingtons berüchtigte Luftfeuchtigkeit hatte dieses Jahr schon früh nachgelassen, und die Luft wurde durch das süße Flusswasser angenehm gekühlt. Bell machte sich auf den Weg zum offenen Deck, um zuzusehen, wie die fruchtbaren Ufer des Potomac Rivers vorbeizogen. Alexandria lag bereits weit hinter ihnen. Früher einmal waren wesentlich mehr Boote nach Mount Vernon gefahren, eine neue Straßenbahnlinie, die aus der Stadt kam, war jedoch schneller und billiger und hatte einen Großteil der lukrativen Touristen abgeworben.
Sie kamen an einem ebensolchen Boot vorbei, und Bell winkte den Kindern zu, die begeistert zurückwinkten. Er nahm an, dass nicht einmal der Kapitän des Ausflugsbootes wusste, dass er flussaufwärts an der Jacht des Präsidenten vorbeituckerte. Doch dann erblickte er den Mann im offenen Steuerhaus des pummeligen Bootes, der zackig salutierte. Bell drehte sich um und warf einen Blick zur Brücke der Mayflower hinauf. Dort erwiderte der Kapitän den Gruß ebenso schneidig. Vierzig träge Minuten vergingen, in denen Bell an der Reling von der sanften Brise, dem Dröhnen der Motoren und dem blendenden Sonnenlicht, das über die sanften Wellen des Flusses tanzte, beinahe in einen tranceartigen Zustand versetzt wurde. Er hatte sich gerade mit dem Gedanken angefreundet, am Mount Vernon von Bord zu gehen und mit der Straßenbahn zurück in die Stadt zu fahren, als er ein neues Geräusch wahrnahm, das sein träges Bewusstsein kitzelte. Seine blauen Augen öffneten sich schlagartig, und eine Sekunde später waren seine Sinne wieder voll da. Zwar nahm er keine unmittelbare Gefahr wahr, aber irgendetwas an dieser idyllischen Szene hatte sich geändert.
Ein Geräusch näherte sich. Schnell erkannte er, dass es sich um ein herannahendes Flugzeug handelte. Er hob den Blick, und sein Hut beschattete seine Augen, aber das Flugzeug kam von Osten und hatte somit die Sonne im Rücken. Gegen das grelle Licht wirkte es nur wie ein undeutlicher dunkler Fleck.
Bell hielt sich selbst für einen Anhänger der Moderne. Er begrüßte alle Veränderungen, die sich um ihn herum vollzogen, sowohl diejenigen, die gesellschaftlicher als auch die, die technologischer Art waren. Der Anblick einer Frau in Hosen oder eines fortschrittlichen Clubs löste nicht einmal einen neugierigen Blick bei ihm aus. Flugzeuge jedoch ließen seinen Puls höherschlagen. Er hatte schon viele Flugzeuge geflogen und nie eine Gelegenheit dazu ausgeschlagen.
Er behielt das Flugzeug im Auge, und als es immer näherkam, bewegte er sich rasch in Richtung Heck, damit er nicht direkt in die Sonne schauen musste und das herannahende Flugzeug erkennen konnte.
Es handelte sich um einen Flugzeugtyp, den Bell noch nie zuvor gesehen hatte, was wenig überraschend war. Es schien, als testete jede Woche ein neuer Luftfahrtingenieur oder sogar ein etablierter Hersteller ein neues Design und lotete die Grenzen von Leistung und Ausdauer aus. Bei diesem speziellen Fluggerät saß der Pilot unmittelbar vor den Doppeldecker-Flügeln, während der Passagier im Bug der Maschine positioniert war. Ein großer Schubmotor war direkt hinter den Flügeln angebracht, und der Propeller dahinter war nur verschwommen zu erkennen. Das Flugzeug hatte ein zweigliedriges Heck mit einem breiten horizontalen Stabilisator dazwischen und normal aussehenden Seitenrudern darauf. Der Motor schien stark genug zu sein, um dem Flugzeug eine beeindruckende Geschwindigkeit verleihen zu können. Bell hatte jedoch den Eindruck, dass sie nur knapp oberhalb ihrer Mindestgeschwindigkeit flogen.
An dem, was Bell da sah, stimmte etwas nicht. Er kannte doch Piloten. Er wusste, wie sie dachten und handelten. Kein Pilot würde so niedrig und so langsam fliegen, es sei denn, er hätte einen guten Grund dafür. Und im Augenblick fielen ihm keine harmlosen Gründe ein.
Das Flugzeug befand sich kaum zweihundert Fuß über der Baumgrenze am Flussufer, und als es über den Fluss steuerte, sank es noch weiter. Fast sah es aus, als würde es in knapp fünfzehn Metern Höhe direkt über der Präsidentenjacht hinwegfliegen.
Bell war allein und konnte niemanden warnen. Reflexartig zog er seine Browning-9-Millimeter-Automatik aus dem Schulterholster. Und wappnete sich für das, was da kommen mochte.
Der Motorenlärm schwoll zu einem donnernden Crescendo an, als das Flugzeug auf die Mayflower zuraste – in Wirklichkeit flog es gerade schnell genug, um sich in der Luft zu halten. Bell zückte seine Pistole noch nicht, obwohl er den starken Drang verspürte, sich gegen eine unbekannte Bedrohung zu verteidigen. Einen Augenblick, bevor die Schubmaschine über ihn hinwegflog, lehnte sich der Passagier über die abgerundete Nase und schleuderte einen Gegenstand auf den Dampfer. Das Flugzeug beschrieb sofort eine steile Linkskurve und schwenkte über die Landschaft von Virginia zurück.
Bell war zu diszipliniert, um wahllos zu schießen. Für einen Augenblick schien es ihm möglich, dass es ein Kunststück sein könnte, das Präsident Wilson für seine Gäste inszeniert hatte.
Das Objekt traf die Mayflower mittschiffs auf der Backbordseite und glücklicherweise nur wenige Meter über der Wasserlinie. Es handelte sich um eine Brandbombe, die in einem Feuerball aufging, als sie gegen den Rumpf des Schiffes prallte. Dieser stieg schnell bis über die Masten des Schiffes auf. Bell warf sich auf das Deck und schützte seinen Kopf mit den Armen, als ein Hitzeschwall über ihn hinwegfegte, als stünde er an der offenen Tür eines Töpferofens. Die Flammen leckten an der Bordwand und breiteten sich in einer gallertartigen Masse auf dem Wasser aus, die sich in immer kleinere Inseln auflöste, während die Mayflower den Ort des Angriffs hinter sich ließ.
Immerhin brannte das Feuer am Rumpf des Schiffes weiter. Bell sprang auf die Füße und ignorierte das brüllende Inferno neben ihm. Die Entfernung war zwar groß, trotzdem hob er die Browning und schoss so schnell, wie er den Abzug betätigen konnte. Dabei konzentrierte er seine Wut auf einen bestimmten Punkt. Doch ein Schrei in seiner Nähe lenkte seine Aufmerksamkeit von dem Flugzeug ab. Ein Matrose war von der Brandflüssigkeit bespritzt worden und loderte wie eine römische Kerze. Er vollführte einen makabren Tanz aus unsäglichen Qualen.
Ein anderes Besatzungsmitglied ignorierte seine eigene Sicherheit und warf sich mit so viel Wucht gegen die brennende Gestalt, dass beide über die Reling stürzten. Das Wasser löschte das Feuer in einer Dampfwolke, und beide Männer tauchten im Kielwasser der Mayflower wieder auf. Ein dritter Matrose schnappte sich ein Paar Rettungsringe aus Kork und sprang über die Reling, um seine Kameraden zu retten.
Immer mehr Matrosen hasteten auf das Deck. Bell richtete seine Aufmerksamkeit wieder in den Himmel und suchte nach dem Flugzeug, das über ihm zu kreisen schien. Die Männer waren sich nicht darüber bewusst, dass ihr Angreifer aus der Luft zu einem weiteren Bombenangriff zurückkehrte. Sollte der Bombenschütze diesmal besser zielen, würden die Männer, die die Flammen mit tragbaren Feuerlöschern bekämpfen wollten, auf der Stelle verbrennen.
Bell wusste, dass seine Pistole gegen das Flugzeug kaum etwas auszurichten vermochte. Die Maschine schien zu robust zu sein, und Pilot und Passagier waren einfach ein Ziel mit allzu geringfügiger Größe in einem Flugzeug, das mehr als sechzig Knoten schnell flog. Deshalb benutzten Vogeljäger ja auch Schrotflinten. Er brauchte eine Möglichkeit, den Himmel mit Blei zu füllen.
Er beobachtete das Flugzeug eine Sekunde lang und sah, dass es seine Wende fast beendet hatte. Er hatte bestenfalls eine Minute Zeit, bevor es erneut in Position war, um eine weitere Bombe abzuwerfen. Als er vorhin an Bord gegangen war, war er an einem Schrank vorbeigekommen, auf dem mit einer Schablone fein säuberlich das Wort Waffenschrank aufgemalt war. Dorthin eilte er jetzt, während andere Männer an Deck kamen. Einer von ihnen rollte einen Schlauch aus, dessen anderes Ende an einer Pumpe tief im Rumpf des Schiffes angeschlossen war.
Im Laufen wechselte Bell das leergeschossene Magazin der Browning aus.
Die Metalltür des Schranks, die bündig mit der Wand abschloss, befand sich genau an der Stelle, an der er sie in Erinnerung hatte. Der Griff war mit einem Schloss gesichert, aber er hatte jetzt keine Zeit, den Waffenmeister mit dem Schlüssel zu suchen. Er wandte sich von dem Schrank ab, zielte, schoss zweimal auf das Schloss und sprengte den Griff ab.
In diesem Augenblick quoll eine Rauchwolke aus dem Eingang zum Speisesaal, wo er seinen Vater und die anderen Minuten zuvor verlassen hatte. Die Wolke wurde von dem schrecklichen Schreien von Männern begleitet, die Schmerzen litten und jeden Augenblick drohten, in Panik zu geraten.
Bell ignorierte den Waffenschrank. Sicherheit mochte das oberste Gebot jeder Schiffsbesatzung sein, aber sie war doppelt wichtig, wenn der bedeutendste Passagier der Präsident der Vereinigten Staaten war. Zwischen ihm und dem Speisesaal befand sich ein weiterer Schrank mit einer in rotem Metall eingefassten Glastür. Darin befand sich ein Schlauch, der an das Hochdruck-Feuerlöschsystem des Schiffes angeschlossen war. Bell riss den Schrank auf, drückte auf die Bronzedüse, um eine ausreichende Menge des Segeltuchschlauchs abzurollen, und drehte das vorlegeplattengroße Rad auf.
Das Wasser strömte mit mehr Kraft aus der Düse, als er erwartet hatte, und so verlor er fast das Gleichgewicht. Er stemmte die Füße auf das Deck, beugte sich so weit vor wie nötig und stürmte in den Speisesaal.
Die Fenster waren geborsten, und Flammen tanzten in den leeren Rahmen, während der Rauch über die Decke rollte. Die Flammen hatten im Schiff zwar noch nicht Fuß gefasst, aber das konnte nur eine Frage der Zeit sein. Viele Bankiers saßen oder lagen auf dem Boden. Ihre Gesichter und Hände waren von dem Hagel zerbrochenen Glases, das wie eine Kartätschenladung durch den Raum geflogen sein musste, blutverschmiert.
»Vater?«, schrie Bell in den Lärm hinein. »Vater!«
Er marschierte durch den Raum, ohne auf die Verletzten zu achten, und war dennoch so konzentriert, dass er nicht auf den ausgestreckten Arm eines Mannes trat. Der Wasserstrahl spülte den gelierten Brandbeschleuniger eher von den Fensterrahmen ab, als dass er direkt das Feuer löschte. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurden mehr Flammen unterdrückt oder in den Fluss geschwemmt. Und Bell wusste außerdem, dass das Flugzeug mit jeder Sekunde näherkam.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Er drehte sich um und blickte in das vertraute Gesicht seines Vaters. Er schien bei der Explosion auf den ersten Blick nicht verletzt worden zu sein.
»Vater, nimm den Schlauch!«, forderte Bell ihn auf. »Die Attacke ist noch nicht vorbei.«
Er reichte die bronzene Düse weiter und vergewisserte sich, dass sein Vater sie richtig hielt und den Körper korrekt angewinkelt hatte, damit er nicht umgeworfen wurde. Er hätte sich jedoch keine Sorgen machen müssen, denn im selben Augenblick eilte ein anderer Bankier an Ebenezers Seite. Gemeinsam bekämpften sie mit dem pulsierenden Wasserstrahl die Flammen so wirksam wie möglich.
Bell rannte zurück zum Waffenschrank und riss die Tür auf. Darin befanden sich mehrere Gewehre, antiquierte Entermesser und – in einem Regal mit Munitionskisten – auch Pistolen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich jedoch sofort auf das leichte Maschinengewehr, das an der Rückwand des flachen Schranks lehnte. Es war ein Hotchkiss M1909. Die von den Franzosen entwickelte Waffe hatte normalerweise ein Kaliber von 8 Millimetern, aber als sie die Lizenzrechte an die Vereinigten Staaten verkauft hatten, wurde das Gewehr so umgerüstet, dass es Standardgeschosse vom Kaliber .30 abfeuern konnte, die über einen vierundzwanzigschüssigen Zuführungsstreifen von rechts nach links durchgezogen wurden.
Bell schnappte sich die fast dreißig Pfund schwere Waffe sowie eine Schachtel mit Munitionsstreifen. Normalerweise war die Waffe auf einem Zweibein oder einem kleinen Stativ befestigt, dieses Hotchkiss besaß jedoch eine dünne Metallstange an einem kardanischen Gelenk, an dem die traditionellen Halterungen angebracht wurden. Er vermutete, dass diese Stange in Löcher oder Schlaufen an der Reling der Jacht eingesteckt würde, um der Waffe Stabilität zu verleihen.
Zurück an Deck sah er, dass die Flammen inzwischen gelöscht worden waren und die Männer nun das Flugzeug beobachteten, das einen weiteren Angriff flog. Sie schienen die Gefahr nicht zu begreifen.
»In Deckung!«, brüllte Bell, während er zur Reling rannte und ein angeschweißtes Rohrstück fand, das genau die richtige Größe hatte, um das Einbeinstativ des Hotchkiss zu halten. Er schob die Stange in das Rohr, während er das Flugzeug im Auge behielt, das über die spiegelglatte Oberfläche des Flusses auf sie zugerast kam. Es sah aus, als würde es direkt vom Bug aus angreifen.
Bell griff in die Munitionsschachtel und holte einen der steifen Streifen heraus. Er war mit dieser Art von Waffe einigermaßen vertraut und wusste, wie man sie auflud und das Verschlussgehäuse öffnete, um den Munitionsstreifen einzuschieben. Das wütende Dröhnen des Motors des herannahenden Flugzeugs wurde immer lauter, bis es fast ohrenbetäubend war. Die Luft vibrierte, und es fühlte sich fast an, als befände sich das Flugzeug bereits über ihm, aber Bell ließ sich davon nicht ablenken. Er stellte die Waffe auf Vollautomatik, drückte seine Schulter gegen den Schaft und schob seinen Finger in den Abzugsbügel. Dann blickte er auf und ging leicht in die Hocke, um den Lauf der Waffe anzuheben und das Eisenkorn auf das sich schnell nähernde Flugzeug zu richten.
Mit einer Pistole in der linken Hand eröffnete der Pilot das Feuer auf das Schiff, während er mit der rechten den Steuerknüppel festhielt. Das Schiff war ein viel zu großes Ziel, um es zu verfehlen, auch wenn er nicht auf einzelne Matrosen zielen konnte. Die Kugeln prallten von dem Metall ab und schwirrten den Männern wie wütende Hornissen um die Ohren. Sie zwangen sie, Deckung zu suchen, wo sie nur konnten.
Bell stand so still wie eine Statue und feuerte eine zehnschüssige Salve ab, als der Bombenschütze am Bug des Flugzeugs nach oben griff, um einen weiteren Sprengsatz auf die Jacht zu werfen. Das elektrisierende Geräusch des automatischen Feuerstoßes entlockte den in Deckung kauernden Matrosen Jubelschreie. Der Pilot riss hart am Steuerknüppel, gerade als sein Schütze die Bombe warf. Obwohl sie die Jacht verfehlte, explodierte sie, als sie im Fluss aufschlug. Ein Geysir schoss in die Luft, als wäre die Luxusjacht torpediert worden, und er traf das Deck wie der Regenguss eines tropischen Zyklons. Auf dem Weg zur Waffenkammer hatte Bell seinen Hut verloren und musste sich das Wasser von seinem durchnässten Gesicht und Haar abwischen. Sein Anzug war bis auf die Haut durchnässt. Er ignorierte das Unbehagen, schwenkte das Hotchkiss und zielte über das Heck der Jacht, als das seltsame Zwei-Mann-Flugzeug zu entkommen versuchte.
Der Pilot hätte geradeaus über die Länge des Bootes fliegen und flussaufwärts verschwinden können, ohne sich unnötig zu exponieren. Doch die Schüsse, die sein Flugzeug getroffen hatten, schienen ihn erschreckt zu haben, und so schwenkte er ab, um nach Osten zu fliegen, vermutlich in Richtung Heimat. Die Entfernung wurde zwar größer, aber er präsentierte dadurch unwissentlich die Seite des Flugzeugrumpfes als einladend großes Ziel.
Bell verfolgte den Doppeldecker wie ein Jäger einen fliegenden Vogel und wusste, wo das Flugzeug in den Mikrosekunden sein würde, die seine Salve brauchte, um die Strecke zurückzulegen. Er verschoss den ganzen Streifen, hörte aber nicht, wie er automatisch ausgeworfen wurde und auf das Deck fiel. Seine Ohren waren durch die Explosion der Bombe und das stakkatoartig peitschende Knallen von vierundzwanzig Kaliber-.30-Geschossen nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt wie taub.
Draußen auf der Maryland-Seite des Flusses durchschlugen die Kugeln die Segeltuchplane des Flugzeugs und zerfetzten unterschiedslos Holz und Gewebe. Der Pilot wurde in die Beine, den Unterleib und in die Brust getroffen. Zwar wurde er nicht auf der Stelle getötet, hustete aber bald so viel Blut aus seiner durchlöcherten Lunge, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Der Passagier dagegen war überhaupt nicht verletzt worden. Bell hatte auf den Motor und den Piloten gezielt und beides nahezu perfekt getroffen.
Der Bombenschütze blickte nach hinten, um zu überprüfen, ob der Pilot auch wie durch ein Wunder gerettet worden war. Er sah, wie aus dem Mund seines Partners scharlachrote Blutfäden in den Windschatten spritzten. Ebenso beunruhigend war die Rauchfahne, die aus dem Motor aufstieg und sich plötzlich in eine ölige schwarze Fontäne verwandelte.
Der Bombenschütze hatte also nur die Möglichkeit, über die Außenseite des Rumpfes zu kriechen, um das Cockpit zu erreichen. Doch selbst wenn er dies schaffte, wusste er nicht, wie er das Flugzeug fliegen sollte. Mit wachsendem Entsetzen beobachtete er, wie der Lebensfunke nach und nach aus den Augen des Piloten schwand. Er blieb zwar aufrecht sitzen, vom Wind in das Polster gepresst, aber seine Hand rutschte vom Steuerknüppel ab. Mehrere Minuten lang hielten sich die aerodynamischen Kräfte, die auf das Flugzeug einwirkten, im Gleichgewicht. Es blieb stabil und gewann sogar etwas an Höhe, sodass es über Felder und unberührte Wälder schwebte, während es sich vom Potomac entfernte.
Dann jedoch traf es auf ein Luftloch, ein unsichtbares Schlagloch am Himmel, und unvermittelt rollte das Flugzeug nun scharf nach Steuerbord, und die Schnauze senkte sich ab, als der schwere Motor das Flugzeug in einen unkontrollierten Sturzflug trieb. Der entsetzte Schrei des einsamen Überlebenden übertönte selbst das kehlige Brummen des Sechszylindermotors und das immer lauter werdende Kreischen des Windes, der über die Segeltuch- und Holzflügel und durch die vibrierenden Metallverstrebungen strich. In den letzten Augenblicken schloss er die Augen, um nicht mitansehen zu müssen, wie das Flugzeug durch ein paar Bäume krachte und so hart auf dem Boden aufschlug, dass der Motor aus seiner Halterung gerissen wurde und seinen bereits leblosen Körper zerquetschte.
Der Motor polterte so weit vom Flugzeug weg, dass seine Hitze und das brennende Öl das Benzin, das gleichzeitig aus dem gerissenen Tank auslief, nicht berührten. Sekunden nach dem Absturz wurde es wieder still im Wald.
Bell wusste, noch während er schoss, dass er das Flugzeug getroffen hatte, und beobachtete, wie es sich vom Fluss entfernte. Die Matrosen waren aufgestanden und verfolgten zusammen mit ihm, wie der behelfsmäßige Bomber anscheinend unversehrt entkam. Doch kurz bevor er außer Sicht geriet, kennzeichnete eine dünne Rauchfahne die Flugbahn an dem ansonsten wolkenlosen Himmel. Die Männer brüllten triumphierend, als sich der graue Strich in einen aufgeblähten schwarzen Fleck verwandelte, der verhieß, dass ihre Angreifer nicht entkommen würden.
Bell stand still da, den Arm über das heiße Verschlussgehäuse des Hotchkiss gelegt, und blinzelte in Richtung Osten, wo das Flugzeug jetzt endgültig verschwunden war. Er kannte diesen Teil von Maryland zwar nicht, aber er wusste, wenn er das Wrack erst gefunden hatte, würde er sich wahrscheinlich perfekt auskennen.
Er quittierte den Applaus der jungen Matrosen, die ihm anerkennend auf die Schultern klopften. Der Jubel der Überlebenden, die ihr eigenes Leben feierten, verstummte jedoch schnell, als der Kapitän der Mayflower neben Bell an der Reling erschien. Das Schiff wurde bereits langsamer, um die drei Matrosen, die über Bord gegangen waren, zu bergen.
»Unter anderen Umständen«, sagte er, nachdem er sich vorgestellt hatte, »würde ich Sie wegen Störung des Betriebs eines Regierungsschiffes zur Rechenschaft ziehen, da Sie aber mein Schiff, meine Besatzung und meine Gäste gerettet haben, begnüge ich mich einfach damit, mich ebenfalls bei Ihnen zu bedanken.«
»In solchen Situationen handele ich normalerweise, ohne mir über die Konsequenzen Gedanken zu machen.«
Der Kapitän nickte. »Außerdem sehen Sie so aus wie jemand, der sich öfter als ein durchschnittlicher Mann in solchen Situationen wiederfindet.«
Bell lachte leise. »Sie haben ja keine Ahnung!«
Sie schüttelten sich die Hände, und der Kapitän ging mit seinem Ersten Offizier davon, um die Schäden zu inspizieren, die die Bombardierung an seinem Prachtstück angerichtet hatte.
Bell wartete eine Minute, bis das Adrenalin aus seinem Blutkreislauf verschwunden war, bevor er sich wieder auf den Weg nach unten in den Speisesaal machte. Die unverletzten Bankiers liefen ziellos umher oder versorgten ihre verwundeten Kameraden, die auf dem Boden lagen. Die meisten Verletzungen schienen allerdings nur oberflächlicher Natur zu sein. Bell war nicht sonderlich überrascht, seinen Vater in der Nähe der Tür zu sehen, wo er eine wachsame Position eingenommen hatte.
Bell teilte die Affinität seines Vaters für das Finanzwesen zwar nicht, aber beiden Männern waren natürliche Führungsqualitäten und ein starkes Pflichtbewusstsein gemeinsam.
»Isaac!«, rief der ältere Bell, als er seinen Sohn den Speisesaal betreten sah. »Geht es dir gut? Was ist passiert?«
»Mit mir ist alles in Ordnung.« Isaac schenkte sich Wasser aus einem Glaskrug ein. Er leerte das Glas in einem Zug und goss sich ein weiteres ein. »Wir sind von einem Flugzeug angegriffen worden. Sie haben zwei Bomben abgeworfen, eine davon war eine Brandbombe, die den Rumpf traf und das Feuer hier drinnen entfachte. Die andere war ein Sprengsatz, der das Schiff aber knapp verfehlte.«
»Wir haben Schüsse gehört?« Einer der neuen Bundesbankiers formulierte den Satz wie eine Frage.
»Das bin ich gewesen. Ich habe mir ein Maschinengewehr aus dem Waffenschrank am Ende des Flurs geschnappt. Das Flugzeug zog eine Rauchfahne hinter sich her, als es über Maryland nach Osten flog, also habe ich ihm zumindest einen Streifschuss verpassen können. Ich werde danach suchen, falls es abgestürzt ist.«
»Unvorstellbar, dass jemand so viel Mühe auf sich nimmt, um Präsident Wilson zu töten«, warf Minister McAdoo etwas atemlos ein.
»Es ist wie damals in Buffalo«, meinte ein anderer und spielte auf die Ermordung William McKinleys dreizehn Jahre zuvor an.
»Und es passiert unmittelbar nach dem tödlichen Attentat auf den Habsburger Thronfolger Ferdinand in Europa«, bemerkte ein dritter Mann. »Glauben Sie, dass es da eine Verbindung gibt? Wenn ich mich recht erinnere, ist der König von Italien von einem Anarchisten ermordet worden, kurz bevor McKinley auf der Pan-American-Ausstellung erschossen wurde.«
Ebenezer zog seinen Sohn zur Seite, um unter vier Augen zu sprechen. »Das frage ich mich auch«, sagte er mit leiser Stimme. »Könnten die Deutschen dahinterstecken oder jemand, der mit ihrer Sache sympathisiert?«
»Jedenfalls ist das nicht von der Hand zu weisen. Die Deutschen wissen bestimmt, dass unser Engagement den Demokratien Englands und Frankreichs gelten würde. Ich glaube aber nicht, dass sie uns früher als nötig in diese Richtung drängen wollen.«
»Da hast du wahrscheinlich recht. Zum Glück ist der Präsident nicht an Bord gewesen. Ich kann mir nur nicht vorstellen, wer sonst seinen Tod wollte.« Ebenezer Bell zuckte mit den Schultern, während sich in seinem Kopf die Zahnräder zu drehen begannen.
Irgendetwas an dem Anschlag fühlte sich nicht richtig an, das spürte Isaac Bell in seiner Magengrube, aber es war noch zu frisch, um alles klar zu sehen. Irgendwie konnte er den Gedanken nicht abschütteln, dass es einfachere und sicherere Wege gegeben hätte, den Regierungschef zu ermorden, wenn das die Absicht des Anschlags gewesen war.
In diesem Augenblick betrat der Kapitän der Mayflower den Raum, seine weiße Sommeruniform war rußverschmiert und schweißnass. »Gentlemen, wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten darf! Wie Sie inzwischen wahrscheinlich wissen, sind wir aus der Luft angegriffen worden. Zwei Bomben wurden auf uns abgeworfen, und es sieht zum Glück so aus, als hätten sie kaum mehr als ein paar kosmetische Schäden angerichtet, dank meines Brandschutzteams und unseres Mr.Bell hier, der sich offenbar gut mit einem Hotchkiss-Maschinengewehr auskennt.«
Sein Blick streifte Bell. »Das Schiff befindet sich nach wie vor in einem so guten Zustand, dass es aus eigener Kraft zur Marinewerft zurückkehren kann – wir werden also nicht auf einen Schlepper warten müssen. So geht es schneller und ermöglicht auch zügiger die notwendige medizinische Versorgung unserer Verwundeten. Außerdem wird der Sicherheitsdienst des Präsidenten zweifellos eine Untersuchung einleiten und muss dafür so schnell wie möglich Zeugen befragen.«
Bells Erfahrung sagte ihm, dass es noch Stunden dauern würde, bis der Secret Service dazu käme, die Matrosen zu befragen. Und er bezweifelte, dass diejenigen, die den Angriff gesehen hatten, sich bis dahin noch korrekt an die Größe, Farbe oder den Aufbau des Flugzeugs erinnern würden. Aussagen von Augenzeugen waren in solchen Situationen oft ausgesprochen widersprüchlich, hatte er festgestellt.
Er wusste aber auch, dass das jetzt alles keine Rolle spielte.
Anderthalb Stunden später kehrte die Mayflower an ihren Liegeplatz am Navy Yard im Südosten von Washington, D.C. zurück. Der Kapitän hatte über Funk bereits Meldung gemacht, also wurden sie von Krankenwagen mit Sanitätern sowie von vier grimmig dreinblickenden Männern erwartet, die in der Nachmittagssonne schwitzten – die Ermittler des Secret Service. Zwei sahen auffallend kompetent aus, dachte Bell, die anderen beiden punkteten vor allem mit ihren Muskeln. Er nahm an, dass dahinter eine Doktrin des Secret Service stand. Ein paar kluge Männer, die den Präsidenten bewachten und Bedrohungen frühzeitig erkennen konnten, und ein paar Schläger, die diese Bedrohungen eliminierten.
Das mochte eine gute Methode sein, um das Leben eines Mannes zu schützen, aber eine lausige Art, eine Untersuchung durchzuführen. Bell beschloss, dass er mit diesem Tamtam nichts zu tun haben wollte. Die Agenten wussten bereits, dass sich die Bankiers und ihr Gefolge unter Deck befanden und nichts zu berichten hatten – und dass ihre wertvolle Zeit nicht verschwendet werden musste.
Der verletzte Seemann wurde auf einer Trage zum Dock hinabgebracht und sogleich von den Sanitätern umringt. In wenigen Augenblicken befand er sich an Bord eines Krankenwagens und war auf dem Weg in ein Krankenhaus, wo ihn eine lange, schmerzhafte Genesung erwarten mochte. Die leichter verletzten Opfer wurden bald in die anderen Krankenwagen verfrachtet, die sich ebenfalls auf den Weg machten.
Die vier Agenten bestiegen das Boot, sobald der Krankenwagen abfuhr, und schenkten der Gruppe alter Bankiers und ihren jungen Adjutanten, die darauf warteten, von Bord zu gehen, kaum Beachtung. Die Testosteron-Typen wandten sich sofort an Minister McAdoo, der ihr oberster Chef war, und an den Kapitän. Bell sorgte dafür, dass sich zwischen ihm und ihrer kleinen Gruppe eine Menge Menschen befanden, und trottete an der Seite seines Vaters die Gangway hinunter.
»Vater, fahr mit einem der anderen«, bat ihn Bell, als sie den Steg erreichten. »Ich muss so schnell wie möglich von der Basis verschwinden. Wenn der Kapitän merkt, dass ich nicht gewartet habe, bis sie mich verhören, macht er vielleicht den ganzen Laden dicht.«
»Aber sicher, mein Sohn.«
Bell entfernte sich von der Gruppe der Bankiers, die nur im Schneckentempo vorankamen, weil einige am Stock gingen und andere unter Schwächeanfällen litten, weil sie noch nicht zu Mittag gegessen hatten. Die Autos waren eine Viertelmeile vom Pier entfernt geparkt. Bell fuhr einen Wagen aus dem Fahrzeugpool von Van Dorn, ein Modell T in anonymer schwarzer Lackierung. Doch unter seinem faden Interieur hatte das Fahrzeug eine deutliche Verbesserung erfahren. Er führte die Vorzündungsrituale automatisch aus und ließ dann den Hochleistungsmotor aufheulen. Als Isaac sich hinter den Volant setzte, zuckte er zusammen, weil der schwarze Ledersitz die seit Stunden angesammelte Hitze Virginias auf die Rückseite seiner Oberschenkel abgab.
Ein paar Minuten später erreichte er das Haupttor. Es gab ein kleines Wachhaus und einen Wachmann, der gerade einen Lieferwagen abfertigte. Das Tor des Stützpunkts stand weit geöffnet. Als Bell hindurchfuhr und auf die M Street einbog, hörte er das leise Läuten eines Telefons in der Wachhütte.
Zu spät, Kapitän, dachte er und fuhr an dem hochzeitstortenähnlichen Latrobe Gate vorbei, dem förmlichen Haupteingang der Marinewerft.
Bell überquerte den Anacostia River über die nahe gelegene 11th Street Bridge, fuhr durch die verschlafene Stadt, die sich entlang des Ostufers des Flusses erstreckte, und erreichte bald fruchtbares Ackerland. Sein Ziel lag nur etwa zehn Meilen entfernt, und die Route verlief größtenteils geradewegs. Die Stadt College Park war erst vor einiger Zeit von einer Tragödie erschüttert worden, als alle Gebäude der Universität von Maryland bis auf wenige Ausnahmen niedergebrannt waren. In den zwei Jahren seither war zwar einiges wieder aufgebaut worden, aber ein paar Studenten lebten immer noch bei gastfreundlichen Familien in der Gegend.
Nicht weit vom Campus entfernt befand sich eines der ersten in den Vereinigten Staaten gebauten Flugfelder. Hier brachte Wilbur Wright persönlich zwei Fernmeldeoffizieren der Army das Fliegen auf einem Wright Model A bei und schuf so das erste Fliegerkorps der Nation.
Bell war noch nie von dem Flugfeld gestartet oder dort gelandet und kannte das Gebiet, in dem es errichtet worden war, daher nur oberflächlich. Er war gezwungen, zweimal anzuhalten und nach dem Weg zu fragen, bevor er auf die Graspiste einbog. Am Rand befanden sich zwei Hangars. Einer davon war weiß gestrichen und trug auf dem Dach in großen Druckbuchstaben die Aufschrift »Rex Smith Aeroplane Company«. Der andere wirkte eher nüchtern und zweckmäßig, und er vermutete, dass er für die Army gebaut worden war. Die Start- und Landebahn selbst war ziemlich lang und wurde am Ende von Wäldern gesäumt.
In der Nähe der offenen Tür von Rex Smiths Hangar stand ein fahrbarer Wassertank. Er war rot gestrichen, hatte Messingbeschläge und war auf zwei hölzernen Speichenrädern montiert. Männer konnten ihn an zwei langen, daran befestigten Stangen über das Flugfeld ziehen und mit einem Schlauch Wasser auf ein brennendes Flugzeug spritzen. Bell war sich der Gefahren eines Brandes nach einem Absturz bewusst. Wurde der Pilot dabei bewusstlos, würde er bei lebendigem Leibe verbrannt sein, bis die Helfer ihren Wassertank auch nur in Position gebracht hätten.
Im Inneren des Hangars stand auf dem Holzboden ein Doppeldecker. Das Flugzeug ähnelte den frühen Wright-Flugzeugen ziemlich stark, mit Flügeln, die sich eher verzogen, statt mit richtigen Querrudern, und ohne Windschutz für den Piloten oder den Passagier, der neben ihm saß.
Ein Mann in einem Mechaniker-Overall bemerkte ihn und näherte sich. »Kann ich Ihnen helfen, Mister?«
»Sie sind nicht zufällig Mr.Smith?«
»Nein.« Der Mechaniker zeigte auf drei Männer, die vor dem Büro des Hangars standen. Zwei waren Zivilisten, einer trug eine Armeeuniform. »Das ist der da.«
Piloten liebten es nach dem Fliegen am meisten, über das Fliegen zu reden, und den Handbewegungen und der Körpersprache nach zu urteilen, diskutierte das Trio gerade ihre jeweiligen Heldentaten in der Luft.
Bell machte sich auf den Weg und rief Smiths Namen. Der ältere der drei hob die Hand, trennte sich von seinen Gesprächspartnern und kam Bell auf halbem Weg zwischen dem Flugzeug und seinem Büro entgegen. »Was kann ich für Sie tun, Mister …?«
»Bell. Isaac Bell.« Sie schüttelten sich die Hände.
Der Soldat hörte, wie Bell sich vorstellte. Er rief Isaacs Namen und kam eilig heran.
Bell erkannte ihn sofort. »Lieutenant Henry Arnold. Mein Gott, Hap, wie schön, dich zu sehen.«
Sie schüttelten sich die Hände mit der Freude von Männern, die gedacht hatten, dass sich ihre Wege wahrscheinlich nie wieder kreuzen würden und sich dennoch gewünscht hatten, sie würden es tun.
»Rex, das ist Isaac Bell. Ein hervorragender Detektiv, ein ausgezeichneter Flieger und ganz allgemein ein guter Mann.«
»Ich dachte, du wärst in Übersee«, sagte Bell zu dem jungen Soldaten.
»Ich bin schon wieder bei meinem Chef. Er hat gestern eine Präsentation für das Kriegsministerium gehalten – über die Situation auf den Philippinen. Und heute Abend fahren wir mit dem Zug nach Kalifornien zurück. Ich hatte noch etwas Zeit, also habe ich einen Abstecher in mein altes Revier gemacht.«
»Fliegst du wieder?«
»Leider nicht.«
»Verstehe«, antwortete Bell. Er kannte eine Reihe von Piloten, die das Fliegen aus Angst aufgegeben hatten. Zumeist nach einem schrecklichen Absturz oder nachdem sie den Tod eines Freundes miterlebt hatten. In Arnolds Fall war es beides gewesen. »Aber ich sage dir, Hap, Luftfahrt wird ein wichtiger Teil der Zukunft unseres Militärs werden, genauso wichtig, wie es die Marine ist. Deshalb brauchen sie solche Führungskräfte wie dich, die das durch und durch verstehen.«
»Ich weiß, dass es so kommen wird.«
»Dann kehr ins Cockpit zurück.«
»Ich denke darüber nach«, räumte der West-Point-Absolvent ausweichend ein.
»Woher kennen Sie beide sich?«, erkundigte sich Rex Smith.
»Vor ein paar Jahren hat Hap die Stunts für einen Film gemacht«, antwortete Bell, »an dem meine Frau arbeitete … Verdammt, wie hieß der noch mal?«
»Der militärische Luftaufklärer«,antwortete Hap Arnold. »Nicht sonderlich großartig, aber Isaac und ich hatten eine Menge Spaß mit dem Wright Model B. Was führt dich nach College Park?«
»Ja, Mr.Bell, wie kann ich Ihnen helfen?« Smith war von Beruf Anwalt und hatte den Spürsinn eines Rechtsanwalts für Geld. Das Luftfahrtgeschäft war nur eine neue Nebenbeschäftigung.
»Vor etwa drei Stunden hat es einen Luftangriff auf die Jacht des Präsidenten gegeben, die Mayflower.« Das sicherte ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit der beiden Männer, und nachdem der erste Schock abgeklungen war, fuhr Bell fort. »Präsident Wilson war allerdings nicht an Bord, und nur ein Mann wurde verletzt, aber es hätte verheerend enden können. Es gelang mir, das Flugzeug abzuschießen, und als ich es über der Landschaft von Maryland aus den Augen verlor, hat es schon eine ziemlich dichte Rauchfahne hinter sich hergezogen.«
»Und jetzt wollen Sie das Wrack suchen«, folgerte Arnold.
Bell nickte. »Es ist doch viel einfacher, es aus der Luft zu entdecken, als über die Felder der Bauern zu fahren.«
»Also sind Sie ein Flieger?«, erkundigte sich Smith.
Aus seiner Brieftasche holte Bell sein Zertifikat der Fédération Aéronautique Internationale, der weltweiten Lizenzgesellschaft für den Flugsport. »Ich hatte gehofft, dass es hier draußen ein Flugzeug gibt, das ich mieten oder ausleihen könnte.«
Das dritte Mitglied des Trios war während des gesamten Gesprächs anwesend gewesen, hatte aber noch nichts gesagt.
Rex wandte sich ihm zu. »Wie sieht es aus, Tony? Lust auf einen Flug?«
Er war jung, zierlich gebaut, hatte dunkles Haar und ein breites Kinn. Er streckte Bell die Hand entgegen. »Tony Jannus.«
»Isaac Bell«, erwiderte er automatisch, und dann erst wurde ihm klar, mit wem er sprach. »Moment, Ihren Namen kenne ich doch. Sie sind die Strecke von St. Pete nach Tampa geflogen, oder?«
Der junge Pilot lächelte. »Ja. Der erste planmäßige Passagierflug in den Vereinigten Staaten. Vielleicht sogar auf der ganzen Welt.«
»Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen«, versicherte ihm Bell.
»Ach, das war doch nicht der Rede wert. Haben Sie denn eine ungefähre Ahnung, wo die Maschine abgestürzt sein muss?«
»Ich kenne den Ausgangspunkt ihres Fluges, als sie vom Fluss abkamen, und den Kurs, den sie genommen haben, aber ich weiß nicht, wie lange sie dann noch in der Luft geblieben sind.«
Jannus rieb sich das Kinn. »Mit zweien von uns an Bord können wir in Rex’ Vogel etwa anderthalb Stunden in der Luft bleiben.« Er deutete auf das Flugzeug auf der anderen Seite des riesigen Hangars. »Er wurde vor drei Jahren gebaut, aber in diesem Frühjahr hat Rex eine Menge Geld in einen stärkeren Motor und einen größeren Kraftstofftank investiert.«
»Die Maschine sieht aus wie ein Entwurf von Glenn Curtiss«, bemerkte Bell.
»Sie kennen sich aber gut aus«, erwiderte Smith. »Glenn hat mir tatsächlich geholfen, sie zusammenzubauen. Kennen Sie ihn?«
»Unsere Gruppe von New Yorker Fliegern ist eine verschworene kleine Gemeinschaft.«
»Wie sieht es aus, Rex, lassen Sie ihn fliegen?«, fragte Hap Arnold.
»Werden Sie das auch bezahlen?«, wollte Smith von Bell wissen.
»Stellen Sie mir eine Rechnung über das Doppelte dessen aus, was Sie für angemessen halten, und ich lege Ihnen morgen um diese Zeit einen Scheck des Finanzministeriums vor.«
Smith lächelte und streckte seine Hand aus. »Abgemacht.«
»Bevor wir losfliegen«, sagte Bell, »würde ich Sie gern noch nach dem anderen Flugzeug befragen.«
Bell beschrieb die Maschine detailliert, aber weder der Pilot noch der Geschäftsinhaber erkannten es.
»Ich glaube, die Franzosen haben ein Flugzeug, wie Sie es beschreiben«, meinte Tony Jannus, »aber ich bin mir nicht sicher. Ich weiß nur, dass ich es selbst noch nicht gesehen habe.«
»Hoffentlich gibt es ein paar Hinweise an Bord, wenn wir es finden.« Während Smith davonging, um Bell eine Fliegerjacke, einen Helm und eine Schutzbrille zu besorgen, rollten die anderen drei das Flugzeug aus dem Hangar. Zwar sah es so zerbrechlich wie eine Florfliege aus, aber Jannus spulte einen unaufhörlichen Monolog darüber ab, wie robust und wendig es sei. Er gab zu, dass es Rex auch nach der Aufrüstung nicht gelungen war, die Armee zum Kauf der Maschine zu bewegen, und befürchtete, dass das Geschäft bald dichtmachen musste.
»Hoffen wir, dass dies dem Unternehmen neues Leben einhauchen wird«, meinte Bell.
Zehn Minuten später gab der Pilot Gas. Tony Jannus saß am Steuerknüppel und Bell auf einem behelfsmäßigen Notsitz neben ihm. Der Motor heulte auf und der hölzerne Propeller schlug in einem ohrenbetäubenden Wirbelwind durch die Luft. Das Flugzeug setzte sich in Bewegung, polterte über die Graspiste und legte – als die breiten Tragflächen allmählich Auftrieb erzeugten – an Geschwindigkeit zu. Sie holperten und hüpften, bis das Flugzeug einen erhöhten Punkt auf dem Flugfeld erreichte, in die Luft geworfen wurde und den Boden nicht mehr berührte.
Sie steigerten zügig Fluggeschwindigkeit und Höhe, wenn sie auch längst nicht so schnell wurden wie ein paar der neueren Maschinen, die Bell schon geflogen hatte. Das Design von Rex Smith mochte erst ein paar Jahre alt sein, war aber schon hoffnungslos überholt, neuer Motor hin oder her.
Abgesehen von ein paar Wattewolken, die meilenweit über der Landschaft schwebten, war der Himmel klar und die Luft unglaublich ruhig. Das hatte Bell auf dem Deck der Mayflower nicht wahrgenommen, als sie nach Süden in Richtung Mount Vernon tuckerte.
Jannus pendelte sich bei bequemen tausend Fuß Höhe ein und brachte sie bald über den Anacostia River und auf etwa sechzig Knoten. Mit der Schutzbrille und dem Lederhelm, der Kopf und Ohren schützte, musste Bell dem Wind nur an Wangen und Kinn trotzen. Da es ein sonniger Tag war, kühlte er nicht sonderlich aus, sondern wurde vom Wind lediglich leicht aufgescheuert.
Wenige Minuten nach der Landung passierten sie den District of Columbia. Das Washington Monument war bei Weitem das auffälligste Bauwerk, aber auch die Kuppel des Kapitols ragte hoch auf und das Weiße Haus war deutlich zu erkennen. Am anderen Ende der Mall klaffte bereits die Baugrube für das Fundament des Lincoln Memorial.
Der Anacostia mündete südlich der Marinewerft in den Potomac, und Jannus hielt das Flugzeug in der Mitte über dieser deutlich größeren Wasserstraße. Sie flogen so niedrig, dass sie sahen, wie ihnen die Menschen auf einer der Passagierfähren, die zurück nach Washington tuckerten, zuwinkten. Jannus wackelte zur Antwort mit den Flügeln des Flugzeugs.
Wofür die Mayflower eine ganze Stunde gebraucht hatte, legte das Flugzeug von Rex Smith in einem Bruchteil dieser Zeit zurück.
»Wir sind schon nah dran!«, überschrie Bell das gewaltige Getöse von Propeller, Motor und Wind.
Jannus nickte.
Bell achtete auf die Orientierungspunkte, die er sich eingeprägt hatte, und war sich sicher, dass sie sich bereits genau über der Stelle befanden, auf die der Bomber nach dem Angriff auf die Präsidentenjacht auf seiner Flucht zugesteuert war. Er tippte dem jungen Piloten auf die Schulter, dann zeigte er in die Richtung, in die sich das andere Flugzeug zurückgezogen hatte, und Jannus drehte in diese Richtung ab. Er kam jedoch ein wenig zu früh aus der Kurve, deshalb forderte Bell ihn auf, den Kurs anzupassen, bis er in etwa mit der Flugbahn des angeschossenen Doppeldeckers übereinstimmte.