9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €
Zwei hoch entwickelte Alien-Völker sind auf dem Weg in unsere Galaxis – die einen, um uns zu warnen, die anderen, um uns zu vernichten
Als die Anführer einer hoch entwickelten Spezies der Erde einen Besuch abstatten, kommen sie in Frieden. Sie bringen Geschenke – und bitten die Menschen nur um einen kleinen Gefallen: Im All gehen die Antags auf Kriegszug, Aliens, die offenbar nur auf Eroberung aus sind und alles zerstören, was ihnen in die Quere kommt. Nun haben sie es auf den Mars abgesehen. Die Menschen sollen helfen, den Roten Planeten zu schützen. Ein Routineauftrag für den erfahrenen Sergeant Michael Venn und seine Mannschaft. Doch sobald sie auf dem Mars landen, ahnt Venn, dass er die Situation völlig unterschätzt hat …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 442
Das Buch
Als die Gurus, eine hochentwickelte Alien-Spezies, auf der Erde landen, bringen sie eine Technologie mit, die die menschliche Zivilisation entscheidend voranbringt. Die Sache hat nur einen Haken: Die Gurus werden von den feindlich gesinnten Antags verfolgt und erwarten nun als Gegenleistung für ihre Hilfe, dass die Menschen sie gegen die Antags verteidigen, die sich bereits auf dem Mars in Angriffsposition gebracht haben. Also wird Mars-Veteran Sergeant Michael Venn mit seiner Crew auf den Roten Planeten geschickt, um den Antags den Garaus zu machen. Doch kaum haben Venn und seine Leute einen Fuß in den Sand des Mars gesetzt, wird ihnen klar, dass sie ihre Mission völlig falsch eingeschätzt haben. Denn der Mars birgt zahlreiche Geheimnisse. Geheimnisse, die noch viel tödlicher sind als die Antags …
Der Autor
Greg Bear wurde 1951 in San Diego geboren und studierte dort Englische Literatur. Seit 1975 als freier Schriftsteller tätig, gilt er heute als einer der ideenreichsten wissenschaftlich orientierten Autoren der Gegenwart. Etliche seiner Romane wurden zu internationalen Bestsellern. Im Wilhelm Heyne Verlag sind zuletzt erschienen: Die Stadt am Ende der Zeit, Das Schiff und Äon.
Mehr über Greg Bear und seine Romane erfahren Sie auf:
GREG BEAR
DIE
FLAMMEN
DES
MARS
DIE WAR-DOGS-TRILOGIE
Erster Roman
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Titel der amerikanischen Originalausgabe
WAR DOGS
Deutsche Übersetzung von Andreas Brandhorst
Deutsche Erstausgabe 04/2015
Redaktion: Rainer Michael Rahn
Copyright © 2014 by Greg Bear
Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung von shutterstock/Igor Zh.
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN 978-3-641-14391-6
www.diezukunft.de
Unten auf der Erde
Ich versuche, nach Hause zu kommen. Wie der Dichter sagte: Wenn man nicht weiß, wo man ist, weiß man nicht, wer man ist. Zu Hause kriegt man all das auf die Reihe.
Ich latsche hier außerhalb der Skybase Lewis-McChord und bin ziemlich sicher, dass ich mich im Staat Washington befinde und dem Verlauf des Pacific Highway folge. Außerdem zweifle ich kaum daran, im einundzwanzigsten Jahrhundert zu sein, es sei denn, dies ist ein verfutschter Film …
Doch dann zerreißt ein heulendes Donnern die Luft, und ein breiter Schatten streicht über die Straße, über Cafés, Leihhäuser und Kreditbuden, Sekunden später gefolgt von einem Dunst aus Raketentreibstoff, der einem Tränen in die Augen treibt. Ich drehe mich auf schmerzenden Füßen und beobachte, wie eine Doppeleikröte vom Himmel herabbrennt und einen bunten Schweif über McChords Landefeld hinterlässt …
Es macht einen nachdenklich.
Ich bin mit einem solchen Ding unterwegs gewesen, nach acht Monaten im Vak, vier hin und drei zurück. Sieben glückselige Monate im Timeout, in einer dunklen Röhre voller Kosmolin.
Alles für drei Wochen in der Scheiße. Ziemlich harte und verwirrende Wochen.
Mir schwindelt. Ich senke den Blick, blinzele das Brennen weg und gehe weiter. Das Kosmolin verfutscht noch immer meine Sinne.
Hier auf der Erde sagen wir nicht mehr fuck und verfickt und so, denn das mögen die Gurus nicht. Stattdessen sagen wir »Futsch« und »verfutschen«. Gehört zum Preis der Freiheit. Draußen auf dem Roten sagen wir fuck, sooft wir wollen. Die Engel filtern unsere Worte, damit die Gurus nichts Ungebührliches hören.
AVOHI.
Joe kennt da eine verrückte Geschichte über fuck. Ich erzähle sie später, aber derzeit bin ich mit Joe nicht besonders glücklich. Wir sind mit verschiedenen Schiffen heimgekehrt, er ist nicht im Mobzentrum aufgekreuzt, und mein Cougar parkt noch immer beim Skyport Virginia. Ich könnte mich von einem Shuttle in die Stadt bringen lassen, aber Joe hat mir geraten, mich bedeckt zu halten. Außerdem brauche ich unbedingt Zeit für mich allein, um die Beine zu strecken, die Füße mal in die Ecke zu stellen. Hier kann ich mich über einen blauen Himmel freuen, wenn ich es schaffe, nach oben zu sehen, ohne umzukippen. Offene Luft ohne Helm – und ohne den Gestank von Raketentreibstoff – ist neu für die Nase und Balsam für die Lunge. Doch schon nach zwei Kilometern kriege ich Krämpfe in den Waden; nach so langer Zeit zieht die Erde mächtig an einem. Mir ist nach Kotzen zumute. Ich ziehe die Schultern hoch, reiße mich zusammen, schließe den Mund, schüttele den Kopf … und schaffe es gerade so, den Inhalt meines Magens bei mir zu behalten.
Plötzlich habe ich nicht mehr das Bedürfnis, den ganzen Weg nach Seattle zu Fuß zu gehen. Ich hebe den Daumen und setze ein angemessen trotteliges Lächeln auf. Nach einer halben Stunde ohne Erfolg überlege ich, ob ich mein Glück in einem kleinen Starbucks versuchen soll, als sich eine kleine blaue Elektromühle von hinten anschleicht, so leise wie ein schlechter Furz. Leise ist nicht gut.
Ich wirbele herum und versuche, mit dem Zittern aufzuhören, als die Fenster heruntersurren. Die Fahrerin ist gut fünfzig und hat rötliches Haar mit grauen Strähnen. Für einen mulmigen Moment denke ich, dass Madigan sie geschickt haben könnte, dass sie vielleicht von der MGB kommt. Joe hat mich gewarnt: »Um Himmels willen, nach all dem, was geschehen ist, halte dich bloß von Ärzten fern.« MGB ist die Abkürzung von »Militärische Gesundheitsberatung«. Aber die Fahrerin kommt nicht von Madigan. Sie fragt, wohin ich will. In die Innenstadt von Seattle, sage ich. Steigen Sie ein, sagt sie. Wie sich herausstellt, ist sie die Sekretärin eines Colonels in Lewis, eine ganz gewöhnliche Großmutter, doch sie hat seltsame graue Augen, die mich eine Zeit erahnen lassen, in der ihre Verachtung das Leben von Männern formte.
Ich frage sie, ob sie mich zum Pike Place Market bringen kann. Alles klar, sagt sie, und ich steige ein. Nach einer Weile erzählt sie mir, dass sie einen Sohn wie mich hatte. Auf dem Titan zum Helden geworden, sagt sie. Aber das kann sie eigentlich nicht wissen, denn wir waren doch noch gar nicht auf dem Titan, oder?
»Tut mir leid, dass Sie ihn verloren haben«, sage ich. Ich sage nicht: Bin froh, dass es jemand anderen erwischt hat.
»Wie läuft der Krieg da draußen?«, fragt sie.
»Keine Ahnung, Ma’am. Bin gerade zurück und noch ziemlich groggy.«
Wir haben viele Fragen, aber sie werden nicht alle beantwortet, nicht annähernd. Sie lassen uns nur das wissen, was wir unbedingt wissen müssen, aus Sorge, dass wir andernfalls zu spekulieren beginnen und dadurch an Konzentration verlieren.
Danach reden wir nicht viel, die Frau und ich. Verfutschter Titan. Klingt alt und kalt. Welche Art von Schutzanzügen würden wir dort tragen? Wäre alles in Kälte erstarrt? Der Mars ist schlimm genug. An den Roten haben wir uns fast gewöhnt. Man bleibe wachsam in Staub und Fels. Unsere Scheiße liegt dort. Den Rest überlassen wir den Generälen und Gurus.
Gehört alles zum Deal. Zum großen Deal.
Titan. Jesus.
Die Großmutter im zu leisen Elektrowagen bringt mich nach Norden zur Spring Street, dann nach Westen zur Pike und First, wo sie mich mit einem freundlichen Lächeln und einem warmen, traurigen Händedruck absetzt. Als ich mich umdrehe und den Markt sehe, habe ich sie auch schon vergessen. Nichts hat sich geändert seit der Vak-Ausbildung in der SBLM, als wir die Kneipen vor Ort satthatten und nach Norden fuhren, auf der Suche nach Randale. Und dann verschlug es uns hierher. Der Markt gefiel uns. Das große Leuchtschild. Die große runde Uhr. Touristen, Händler und noch mehr Touristen, und vorn das zeitlose Bronzeschwein.
Ein kleines Mädchen in rosarotem Kleid sitzt grinsend auf dem Schwein und klopft auf seine glänzenden Flanken. Wofür wir kämpfen.
Ich trage Zivil, aber das Kosmolin gibt der Haut eine Färbung, die erst nach Tagen verschwindet, wenn man das Zeug rausgepisst hat, und so kann man mir ansehen, dass ich im Timeout gewesen bin. Zivilisten sollen keine bohrenden Fragen stellen, aber sie lächeln wie wissende Schafe. He, Raumfahrer, willkommen daheim! Sag mal, wie ist das Vak?
So läuft das.
Eine hübsche Laotin verkauft zusammen mit ihren Söhnen und Töchtern Obst, Gemüse und Blumen. Ihr Stand ist eine Kaskade aus Paprikaschoten: große und kleine, scharfe und süße, gelbe, grüne und rote. Hinzu kommen Walla-Walla-Süßigkeiten, dicke braune und frische grüne Zwiebeln, rote, goldgelbe, blaue und rostbraune Kartoffeln, Jamswurzeln und Süßkartoffeln, Stangenbohnen – grün, gelb, violett und gefleckt –, Rote Beete und Rüben, in Bündeln zu verkaufen, mit reichlich grünen Blättern dran. Hinter der Ecke des Stands sehe ich alle Arten von Pilzen, allerdings von der komischen Sorte. Das riesige Angebot verwirrt mich. Ich bin an Braun und Rot gewöhnt, an Dunkelblau und sternenbesetztes Schwarz.
Eine Landschaft aus Kohl erstreckt sich vor mir. Ich denke ernsthaft daran hineinzuspringen und zum Tresen zu kraulen, mich durch die dicken Blätter zu kauen, die Farbe in mich aufzunehmen, violett und grün zu reiern. Stattdessen kaufe ich Sellerie und verlasse den Strom der Touristen. Ich lehne mich an eine Wellblechtür, trete vom einen schmerzenden Fuß auf den anderen, bis ich schließlich mit dem kühlen Metall im Rücken in die Hocke gehe und den Sellerie verschlinge, mit Blättern, Schmutz und allem, bis zum knusprigen Kern. Wundervoll. Genau das Richtige gegen die Timeout-Übelkeit.
Nach dem Sellerie geht es mir besser. Wird Zeit, den Weg fortzusetzen. Noch anderthalb Kilometer bis zum Schlafen.
Ich bezweifle, dass ich groß schlafen kann.
Skyrines bleiben meistens in der Nähe der großen Raumhäfen und kommen in irgendwelchen Affenkästen oder sicheren Absteigen unter. Meine Lieblingspenne ist ein niedliches Apartment in Virginia Beach. Dorthin könnte ich jetzt unterwegs sein, am Steuer meines Cougar auf der Chesapeake Bay Bridge, mit offenem Verdeck, die warme Meeresluft genießend. Aber dank der jüngsten Ereignisse – und dank Joe – ist das nicht der Fall. Diesmal nicht. Vielleicht nie wieder.
Ich richte mich auf und schlängele mich durch die Menge, aber mir zittern noch immer die Knie. Vielleicht schaffe ich es nicht zu Fuß, und deshalb winke ich ein Taxi heran. Der Taxifahrer ist ein Weißer in mittleren Jahren, aus Texas. Die meisten Typen, die hier früher Taxi fuhren – Libanesen, Äthiopier und Sikhs, zumindest die jüngeren von ihnen –, sind in den Krieg gezogen. Sie kommen mit dem Timeout gut zurecht, besser als weiße Texaner. Braune beherrschen das Vak, heißt es. Dort draußen gibt es reichlich Braun, Schwarz und Beige: Inder, eingewanderte Kenianer, Nigerianer und Somalis, Mexikaner, Philippiner, Malaysier, Jamaikaner, Puerto Ricaner, alle Arten von Asiaten. Mit Spaceframes ins All geschickt, die Stangen zu Bündeln zusammengefasst – und dann auseinandergeworfen, puff, eine Wolke, die auf dem Roten niedergeht. Vielleicht weniger gefährlich als huckepack, und wird eindeutig besser bezahlt.
Ich hab nichts Braunes an mir. Werd nicht mal in der Sonne braun. Ich bin ein weißer Junge aus Moscow, Idaho, ein IT-Genie, das die Nase voll davon hatte, in irgendwelchen Nischen zu malochen, in der Gesellschaft von Mistkerlen wie er selbst. Hab mich bei den Skyrines verpflichtet (das wird »Skairiens« ausgesprochen), alle Prüfungen abgelegt, Grund- und Wüstenausbildung absolviert, den ersten Orbital überlebt, ebenso den ersten Sprung auf den Roten, bin lebend und einigermaßen heil heimgekehrt … und verdiene jetzt gutes Geld. Fluggeld, Kampfgeld, »Gefechtsbonus« genannt, und Kosmolin-Extra.
Manche sagen, der ganze Kram mit der Zellensuspension, die wir »Timeout« nennen, verkürzt das Leben, zusammen mit Sonneneruptionen und Gammastrahlung. Die Militärärzte leugnen das, aber viele von ihnen wurden vor meinem letzten Einsatz in einen Skandal verwickelt, der sie ihren guten Ruf kostete. Ein ganzer Haufen von ihnen in Madigan bekam sein Fett weg, wegen Vernachlässigung unserer Raumleute. Ihre Docs neigen dazu, Raumleute – insbesondere Skyrines – für Faulenzer und Nörgler zu halten. Ein weiterer Grund, die MGB zu meiden. Wir verdienen mehr als sie, und trotzdem beklagen wir uns. Sie hassen uns. Sollen sie jeden Tag Sandlatscher bekommen.
»Wie viele Absprünge?«, fragt der texanische Taxifahrer.
»Zu viele«, antworte ich. Seit sechs Jahren bin ich dabei.
Er mustert mich im Spiegel. Das Taxi fährt sich selbst; er sitzt nur der Schau wegen am Steuer. »Haben Sie sich jemals nach dem Warum gefragt? Haben Sie sich jemals gefragt, was Sie ihretwegen aufgeben? Es sind nicht einmal Menschen.« Einige meinen, wir sollten gar nicht dort draußen sein; vielleicht gehört er zu ihnen.
»Haben Sie sich das jemals gefragt?« Der Taxifahrer schaut noch immer in den Spiegel.
»Ich frag’s mich die ganze Zeit über«, sage ich.
Angefressen richtet er den Blick nach vorn.
Das Taxi bringt mich nach Belltown und lässt mich auf einer halbrunden Zufahrt aussteigen, im Schatten eines Hochhauses namens Sky Tower One. Ich zahle in bar. Der Taxifahrer belohnt mich mit einem verdrießlichen Blick, obwohl ich ihm reichlich Trinkgeld gebe. Auch ihn vergesse ich, kaum bin ich aus dem Taxi raus. Mistkerl.
Der Tower-Aufzug hat eine Glaswand, damit man die Aussicht genießen kann. Alkoven säumen den geschwungenen Flur meiner Etage, alle leer um diese Zeit. Ich gebe den Zahlencode ein, es klickt, die Tür öffnet sich, und das Apartment begrüßt mich mit einigen fröhlichen, aufsteigenden Tönen. Extrem retro, traditionelles Seattle, keine Spur von Guru-Tech. Dies stammt aus der Zeit vor meiner Geburt.
Halte dich bedeckt. Errege keine Aufmerksamkeit.
Himmel. Ich bin nicht daran gewöhnt, ein Schatten zu sein.
Die Wohnung ist genau so, wie ich sie in Erinnerung habe: hübsch und kühl, die Wände grau, Teppich und Einrichtung grau und mattblau, wie der Erdhimmel mit einem Wolkenschleier, ein bisschen Holz und weiße Emaille bei den Installationen. Couch und Sessel sind mittedesjahrhunderts-modern. Der Weihnachtsbaum des letzten Jahrs steht noch; vom Wasser ist nur Dreck übrig, und die Zweige sind nackt, aber Roomba hat die Nadeln aufgesaugt. Liebe Roomba. Ist ebenfalls prä-Guru. Kommt aus ihrem Platz in der Treppe und beschnüffelt wie ein glücklicher grauer Trilobit meine Zehen.
Ich beende meine Tour – jedes Zimmer zweimal überprüft, so verlangt es die tief in mir verwurzelte Vorsicht; niemand da –, ziehe einen Eames-Sessel vor das deckenhohe Fenster, lehne mich zurück und starre über den Sund. Der große Himmel beduselt mich, also senke ich den Blick auf die grünweißen Fähren, die kommen und gehen, beobachte dann die endlose Schlange aus Tankern und großen Frachtschiffen. Gut zu wissen, dass Hanjin und Maersk noch immer blaue, orangefarbene und braune Stahlcontainer transportieren, zusammen mit Hogmaw, Haugley und wie sie alle heißen. Jeder Container ist ein Siebtel so groß wie ein gewöhnlicher Spaceframe und zweifellos gefüllt mit schlauen Waren, hergestellt mithilfe von Guru-Geheimnissen, die unsere Wirtschaft wie mit einer Prise Meth auf Schwung bringen.
Auch dafür kämpfen wir, für sie.
Hintergrund, Teil 1
AWM. Alles Wahrer Mist. So heißt es jedenfalls.
Die Gurus, deren wahrer Name, wenn es wirklich ihr wahrer Name ist, von Menschen kaum ausgesprochen werden kann, gaben sich vor dreizehn Jahren auf der Erde zu erkennen. Sie kamen aus der jemenitischen Wüste, wo ihr erstes Scoutschiff gelandet war. Sie wollten einen Brückenkopf bilden und sicherstellen, dass die Menschen sie nach der Entdeckung nicht einfach überrannten.
Den Erstkontakt stellten sie mit einigen Kameltreibern her, die sie für Dschinns hielten, für Geister. Als die Fremden die Zeit schließlich für reif hielten, präsentierten sie sich dem Rest der Menschheit. Wie es in der Geschichte heißt, hackten sie sich in Telekommunikationsnetze und Satellitenverbindungen, sammelten mit anonymen Handelskonten einen Haufen Geld an und veröffentlichten online einige erstaunliche Rätsel, mit denen sie die Aufmerksamkeit der Neugierigsten und Intelligentesten weckten. Sie rekrutierten einige von ihnen und erzählten von einem angeblichen weltweiten Braintrust, der Büros in wichtigen Hauptstädten eröffnen wollte. Mit dieser Story schickten sie die Angelockten um den ganzen Globus, mit der Aufgabe, Niederlassungen zu gründen.
Bei einer zweiten Online-Aktion veranstalteten die Gurus und ihre neuen Rekruten für eine zweite Gruppe von Auserwählten ein fröhliches Geocache, eine Suche nach etwas, das auf eine große Gefahr für die nationale Sicherheit hindeutete. Eine solche Gefahr existierte natürlich, und zwar in Gestalt der Gurus.
Indem sie auf diese Weise vorgingen, wurde einigen besonders klugen Köpfen nach und nach klar, dass sie es nicht mit einem exzentrischen reichen Eremiten zu tun hatten, der über einen besonders schrulligen Sinn für Humor verfügte. Und es gab echte Belohnungen, üppig gefüllte Ostereier, die darauf warteten, geöffnet zu werden. Die logische Verbindung der interessantesten Rätsel führte zu einigen wichtigen mathematischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Eine von ihnen, die Quantenverflechtung, hatte das Potenzial, die Bandbreite jedes Shannon-konformen Netzwerks millionenfach zu vergrößern.
Erst dann ließen die Gurus die Maske fallen, wieder mithilfe einer speziell vorbereiteten Gruppe von Mittlern. Sie kamen in Frieden. Natürlich. Sie beabsichtigten, zu gegebener Zeit noch mehr zu helfen. Ihre Enthüllungen legten sie häppchenweise auf den Teller, um die proprietären Pferde nicht scheu zu machen.
Die Regierungsoberhäupter der Erde merkten, wie das große Spiel nach und nach geändert wurde, mit bemerkenswert viel Takt und politischer Weisheit. Den Bürgern wurde es einige Monate später klar, nach einigen sorgfältigen Vorbereitungen. Die Gurus schienen unsere Psychologie und Soziologie ebenso gut zu verstehen wie die Regeln des Universums. Sie wollten einen allmählichen Übergang.
Im Lauf von sechs Monaten zeigten sich die Gurus, nach und nach. Einzeln oder zu zweit verließen sie ihren Brückenkopf in der jemenitischen Wüste, in der Region Hadramaut, besuchten Hauptstädte, Wirtschaftszentren, Universitäten und Thinktanks, verwandelten sich dabei sowohl in Geiseln als auch unentbehrliche Berater.
Die Gurus erklärten, dass nur wenige von ihnen bei uns weilen, weil interstellare Reisen äußerst schwierig und teuer sind, selbst mit ihrer Technik. Das hatten unsere Wissenschaftler bereits vermutet. Wir wissen noch immer nicht, wie viele Gurus ursprünglich zur Erde kamen, aber derzeit dürften es – nach den Schätzungen unserer Regierungen, beziehungsweise nach den Schätzungen, an denen sie die Öffentlichkeit teilhaben lassen – etwa dreißig sein. Es scheint ihnen nichts auszumachen, voneinander und vom Rest ihres Volkes getrennt zu sein, aber sie beschränken ihre menschlichen Kontakte auf einige Dutzend. Manche nennen diese ausgewählten Emissäre »Bedienpersonal«.
Es dauerte eine Weile, bis die Gurus die nächste große Überraschung präsentierten. Im Rückblick wird der Grund dafür klar. Es war eine ziemlich große Überraschung, und nicht unbedingt von der angenehmen Art.
Als wir uns gerade an die neue Weltordnung gewöhnten – als wir dabei waren, uns als würdig zu erweisen –, gestanden die Gurus, dort draußen in all den dunklen Weiten nicht die Einzigen zu sein. Todfeinde hätten sie von Stern zu Stern gejagt, erklärten sie, und dadurch seien sie jetzt sehr geschwächt und fast wehrlos.
Die Gurus waren nicht einfach großzügig mit ihren technischen Geschenken. Sie brauchten unsere Hilfe, und wir mussten antreten und ihnen helfen, denn ihre Feinde befanden sich bereits am eisigen Rand unseres Sonnensystems und schickten sich an, ihren eigenen Brückenkopf einzurichten. Aber nicht auf der Erde.
Auf dem Mars.
Einige Gelehrte begannen damit, den Feind »Antagonisten« zu nennen, kurz »Antags«. Der Name blieb hängen. Wir erfuhren nur wenig über sie, abgesehen davon, dass sie durch und durch böse waren.
Und so legte man uns die erste Rechnung vor, und die Skyrines mussten sie bezahlen, wie üblich.
Eine wässrig gelbe Sonne geht im grauen Dunst von Seattle unter. Die Nacht zieht heran; Schiffslichter schwimmen und tanzen in meinen Tränen. Ich scheide noch immer schleimigen Mist aus. Während der ersten Tage können Raumleute keine Medikamente nehmen, weil unsere Leber voll und ganz damit beschäftigt ist, Reste abzubauen. Das Zeug kommt aus unserer Haut und strömt in unserem Atem, wie billiger Gin und alter Schweiß. Zivile Ladys mögen den Gestank nicht, bis wir sie an das Geld erinnern; dann sind einige von ihnen bereit, ihn hinzunehmen.
Die Wohnung ist still. Still und leer. Raumleute sind nur selten allein, wenn sie kommen oder gehen oder in der Scheiße stecken. Wenn wir nicht im Timeout sind, haben wir immer eine leise Stimme im Ohr, entweder von einem anderen Skyrine oder von unserem Engel. Aber es stört mich nicht, allein zu sein. Nicht wenn es nur einige Stunden sind. Nicht wenn Joe zurückkehrt und mir erklärt, wie alles gelaufen ist. Was es mit dem wahren Geheimnis auf sich hat, mit den Muskis und dem Drifter, der Siliziumseuche und dem Turm der klugen Diamanten.
Mit Teal.
Und den Voors, fiesen, habgierigen Hurensöhnen, die fast alles verloren und es vielleicht verdienten, noch mehr zu verlieren. Aber uns haben sie nicht verdient.
Ich rolle mich im Eames-Sessel zusammen und ziehe die Decke hoch. Ich bin so müde, aber mir gehen auch viele Gedanken durch den Kopf. Es dauert nicht lange, bis ich einschlafe, und der Traum bringt mich in die Scheiße zurück.
Es ist alles ganz deutlich.
Ich hasse Physik
Physik ist das, was einen umbringt, doch Biologie ist das, was dich töten will.
Wir sind gerade aus dem Timeout gekommen und hellwach im Drucktank, der sich in der Mitte unseres Spaceframes befindet. Enthusiasmus erfüllt uns, während rotierende Lappen das Kosmolin von uns putzen, wie in einer Autowaschanlage, nur in Schwerelosigkeit.
An diesem Sprung, so hören wir, nehmen sechs Spaceframes teil, die in einen Landeorbit fallen. Die ersten beiden Frames enthalten zwei Bündel, jedes Bündel ein rotierender Zylinder mit drei Stangen wie Projektile. Wir nennen sie Rotisserien. Jede Stange befördert eine Skyrine-Abteilung. Damit sind wir zweihundertvierzig bei diesem Sprung. Die Frames Nummer fünf und sechs transportieren Schlitten mit schweren Waffen, Fahrzeugen und zwei Fontänen. Den Kram kriegen wir erst zu Gesicht, wenn wir auf dem Roten sind.
Nach dem Reinigen ziehen wir hautenge Anzüge an, nehmen eine letzte Integritätskontrolle vor, schnallen Handfeuerwaffen um, empfangen handtellergroße Kartuschen mit abgebauter Materie, streifen Bauschpakete über und klettern wieder in die Stangen. Alles präzise und schnell, keine Zeit zum Nachdenken. Das Warten in den Stangen ist nicht gut. Die Röhren sind eng und dunkel. Unsere Engel spielen beruhigende Musik, aber das macht es nur noch schlimmer.
Ich beginne zu zucken.
Warum dauert es so lange?
Dann zischt, heult und quietscht alles, und ich meine wirklich alles. Ich werde in meiner Röhre zur einen und zur anderen Seite gedrückt, nach oben und nach unten, und alle zusammen singen wir Halleluja!, denn wir sind unterwegs.
Die Bündel drehen sich fort vom Frame, die Bremstriebwerke zünden, und die Ablösung der Stangen steht unmittelbar bevor. Ich sehe nichts von all dem, aber ein Diagramm wird hübsch bunt an die Innenseite meines Visiers projiziert. Alles in bester Ordnung.
Unser Sprung hat begonnen.
Die Stangen lösen sich hintereinander von den Rotisserien. Die Atmosphäre packt nicht sofort zu, und das fühlt sich falsch an. Kurz darauf geht es los: das Brüllen des Eintritts. Als der Lärm außerhalb meiner Stange unerträglich wird, schießen dreißig von uns aus ihren Röhren, aus dem Ende der Stangen. Rasch gehen wir in Formation und klammern uns an die Luftschilde.
Die Schilde bocken in der oberen Atmosphäre.
Über dem Mars.
Der Himmel ist rot.
Jeweils zehn von uns reiten auf einem Schild, der uns während des mehrere Minuten dauernden freien Falls ordentlich durchschüttelt. Dann rollen wir ab. Es folgt ein Moment mit weißem Licht und Backofenhitze. Eine Seite meines Hautengen flattert und legt sich mir auf die Haut. Angenehm kuschelig.
Mein Sprungpaket spinnt Millionen von Fäden, so dünn, dass sie fast unsichtbar sind. Wir sprechen von »Bausch«. Die Fäden dehnen sich zu einem fünfzig Meter großen Ball aus, der nach der dünnen, dünnen Atmosphäre des Mars greift und an anderen Bällen festklebt, an anderen Skyrines in Bäuschen.
Um uns herum verbrennen die Spitzen der vielen Fäden. Wir stecken im Innern der Bäusche, wie Larven in brennender Zuckerwatte. Es ist spektakulär: ein greller, künstlicher Sonnenaufgang. Ich schnaufe wie ein Rennpferd am Ende seines Rennens. Mein Visier beschlägt. Ich kann kaum etwas sehen, bin mir aber sicher, dass Ärger im Anmarsch ist. Der große Ball hat sich zu früh geöffnet. Nur drei Skyrines befinden sich in meinem kirschroten Glühen. Andere sind in feurigen Klumpen fortgewirbelt. Wer weiß, wo sie landen werden.
Das Glühen brennt immer näher zu mir herab, wird heller und heller. Mehrmals schlägt eine Faust auf mich ein, immer dann, wenn wir langsamer werden, von vier Kilometern pro Sekunde auf einen, schließlich auf einen pro Minute, und dann, als auch die letzten Bauschreste verbrannt sind, als sich die Pakete von uns lösen und Separationsdüsen sie forttragen, leer und verbraucht …
Wir drei beugen die Knie und landen alles andere als sanft.
Ich komme wieder auf die Beine und bin überrascht, noch am Leben zu sein. Schlechte Sprünge enden meistens fatal. Ein schneller Blick in die Runde. Alles flach und weit.
Willkommen auf dem Mars.
Auf dem Roten.
Keine unmittelbare Gefahr.
Eine gute Gelegenheit, ungehindert Fuck! in meinem Helm zu rufen und herauszufinden, was zum Teufel schiefgelaufen ist.
Ich bin mit Tak und Kazak heruntergekommen. Vermutlich waren es DJ, Wee-Def und Michelin, die im letzten Bauschleuchten davongerauscht sind. Vielleicht trennen uns nicht mehr als ein oder zwei Kilometer von ihnen. Die Bündel haben unsere Stangen offenbar schon im Orbit gestartet statt tiefer in der Atmosphäre. Das bedeutet: Wir sind vom Rest unseres Zugs getrennt, und ich habe keinen blassen Schimmer, wie groß die Entfernung sein könnte. Vermutlich kamen die anderen in einem Nord-Süd-Fächer herunter, der sie hundert Kilometer weit verstreute.
Unter solchen Umständen dauert es vielleicht Tage, bis wir wieder alle zusammen sind.
Es gibt keine Transportschlitten in der Nähe, also keine Fahrzeuge: keine Skells, Tonkas oder Deuces.
Allem Anschein nach sind wir auf unsere Füße angewiesen.
Und große Waffen fehlen ebenfalls.
Was von unseren Bauschpaketen übrig ist, liegt noch immer qualmend einige Hundert Meter weiter im Norden. Ich meine den GPS-Norden – der Rote hat kein Magnetfeld. Gut, denke ich. Die Satelliten funktionieren noch. Wir können also die letzten taktischen Infos empfangen und uns geordnet neu gruppieren. Doch dann verliert mein Engel das Signal. Das Gyro funktioniert allerdings noch, und durchs Helmgitter beobachte ich die Sonne.
Die Antags holen immer wieder unsere Installationen aus dem Orbit, sowohl die Navigations- und Spähsatelliten als auch den anderen Kram. Neu eingetroffene Spaceframes spucken das Zeug aus, zusammen mit Skyrines und Transportschlitten, aber wenn wir ankommen, wissen wir oft nicht, wo wir sind und was wir tun sollen. Man rät uns, in Bewegung zu bleiben, weil mobile Ziele schwerer zu treffen sind. Wir nennen es »Weg des Betrunkenen«, doch die meisten von uns Betrunkenen haben vor allem Gebete intus: dass wir in Reichweite des Rests der Kompanie sind, dass wir einen intakten Schlitten und vielleicht sogar eine Fontäne finden, oder dass wir wenigstens über einen Zeltkasten stolpern.
Nach vier Transvak-Monaten sorgt der aus Epi und Histaminen bestehende Cocktail vor dem Sprung dafür, dass ich mich großartig fühle, von einem leichten Flatterich mal abgesehen. Aber ich achte nicht darauf, wie ich mich fühle, und Tak und Kazak ebenso wenig. Wir alle sind Sergeanten und nicht zum ersten Mal hier. Unsere Engel koordinieren mit einigen schnellen, zirpenden Signalen, die höchstens zwei, drei Dutzend Meter weit reichen. Kein Glück. Niemand hat den Plan. Keine aktuellen Aufklärungsdaten. Unteroffiziere unter sich.
Derzeit wissen wir alles, das es zu wissen gibt. Aber wir wissen nicht einmal, wo wir gelandet sind.
Wir halten die Helme aneinander.
»Welche Stärke?«, fragt Tak.
»Eine Abteilung, mehr nicht«, sage ich. »In diesem Sektor.«
»Welcher verfickte Sektor ist das?«, fragt Kazak.
»Nordwestliches Tiefland«, vermute ich. »Der Druck kommt ungefähr hin.« Mit dem Stiefel kratze ich braunen Staub vom flachen Ortstein und deute nach Norden. »DJ und ein paar andere sind dort runtergekommen.«
Mit DJ meine ich Engineering Sergeant Dan Johnson.
»Machen wir uns auf die Suche nach ihnen«, sagt Tak.
»Hier gibt’s nichts, wofür es zu bleiben lohnt«, pflichtet ihm Kazak bei. »Mieser Ort für einen Kampf: kein hohes Gelände, keine Deckung. In diesen Scheißfels kann man sich nicht mal eingraben. Wo sind wir, im verfickten Hellas? Warum hat man uns mitten im Nichts abgesetzt?«
Die Frage bleibt unbeantwortet.
Wir gehen los, ausgestattet mit Luft und Wasser für etwas weniger als fünf Stunden und bewaffnet nur mit Blitz-und-Kugel-Pistolen, die aussehen wie .45er mit dicken Läufen. Tak Fujimori hat einen orangefarbenen Streifen an seinem Helm. Er stammt aus Oakland und hat zusammen mit mir die Vak- und Sprung-Ausbildung bei SBLM und Hawthorne hinter sich gebracht. Er hat eine gedrungene, kräftige Statur und ist sehr religiös, allerdings weiß ich nicht, welche Religion es ihm angetan hat, vielleicht alle.
Timur Nabijew – Kazak – trägt einen blauen Streifen. Er kommt aus Kazachstan, von der Eurasischen Verteidigung. Er ist mit Chinesen und Uiguren in der kalten Taklamakan-Wüste ausgebildet worden, mit Spezialisierung auf staubigen Kampf, und dann mit Italienern und Franzosen im Bereich des Vesuv und auf den Kanarischen Inseln. Kazak ist nur religiös, wenn er auf dem Roten ist; dann wird er zum Baptisten oder vielleicht Orthodoxen.
Auf dem Roten sind wir alle religiös, der eine mehr, der andere weniger. Die Sowjets haben einmal gesagt, sie seien im All gewesen, ohne Gott zu finden. Offenbar sind sie nie aus einer hohen Umlaufbahn gefallen, umgeben von Feuer.
Der Rote ist hier eine große, flache orangefarbene Wüste, durchsetzt mit ein bisschen Violett und Grau. Im Nordwesten zeigt sich eine kleine Kammlinie, niedrig und rund. Abgesehen davon bleibt der Horizont ohne besondere Merkmale. Alles ist auf geradezu monströse Weise flach.
Hautenge sind an den Oberschenkeln und am Oberkörper mit Deflektorschichten ausgestattet, die Projektile abwehren, wenn sie nicht größer als 9mm sind. Vor Antag-Blitzen und ähnlichem Mist schützen sie nicht, und genau damit könnten wir es zu tun bekommen. Nicht einmal unsere Transporter sind ausreichend gepanzert; es würde sie zu schwer machen. Unsere stammen natürlich von Jeep, hauptsächlich ausklappbare Skells mit großen Rädern, aber auch Tonkas, Deuces und mobile Waffenlaster, die »Lastesel« genannt werden oder »Chestys« von denen, die sie besonders mögen. Bei wichtigen Einsätzen, wenn noch größere Waffen gebraucht werden, transportiert man sie auf Plattformen, die wir »Schollen« nennen.
Wenn doch nur ein Schlitten mit Fahrzeugen heruntergekommen wäre. Wenn wir doch nur einen finden könnten.
Der Himmel bleibt leer und still.
Keine weiteren Sprünge.
Funk ist uns verboten. Selbst Laser-Uplinks sind nicht möglich, solange keine neuen Satelliten in die Umlaufbahn gebracht werden. Wenn das geschieht, bekommen wir Datenupdates und Karten per Lasercode aus dem Orbit, es sei denn, es gibt Staubwolken, die das Licht brechen und die Datenübertragung beeinträchtigen. Mikrowellen können fast jede Art von Staub durchdringen, doch dem Führungsstab sind direkte Lasersignale lieber, und Antags könnten Sensoren auf jedem Höhenzug und jedem Hügel haben. Wenn Staub unsere Übertragungssignale streut, verstehen sie sich gut darauf, mit umgekehrtem Fourier unsere Positionen bis auf wenige Meter genau zu bestimmen und uns wie Fliegen auf einem Backblech zu grillen. Also gehen wir still und leise, abgesehen vom Zirpen der Engel und Helmkontakt.
Wenn eine Fontäne es geschafft hat, so schläft sie gut getarnt und wartet auf unsere magische Berührung. Schwer zu finden. Aber wenn wir eine finden, können wir unsere Vorräte auffrischen und vielleicht ein bisschen schlafen, bevor wir in der Scheiße sitzen.
Oder es gibt keine Scheiße.
Schwer zu sagen, was geschehen wird.
Nach all der Zeit wissen wir fast nichts über den Feind, außer dass er ungefähr so groß ist wie wir, Helme mit schnabelartigen Erweiterungen trägt, zwei lange Arme mit weiten Ärmeln sowie drei Beine – oder zwei Beine und einen Schwanz – hat und nicht von hier ist. Nur einmal habe ich ein paar Reste von ihnen aus der Nähe gesehen.
Wenn wir siegen, bleiben nur Fetzen und Flecken von ihnen. Wenn sie siegen …
Alles Physik.
Während wir unterwegs sind, beobachte ich immer wieder den Horizont. Eine nervöse Angewohnheit. Die dortige dünne Linie der Atmosphäre zeigt ein bräunliches Rosarot und ist leer, abgesehen von einer hellbraunen verschwommenen Stelle beim fernen Höhenzug, einem Etwas, das stationär zu sein scheint. Habe ich es das letzte Mal übersehen? Ich weise die anderen darauf hin. Könnte ein Fahrzeug sein oder eine abgesetzte Fontäne. Oder Antags.
Erst suchen wir DJ und die anderen. Wenn wir sie gefunden haben, machen wir uns dorthin auf den Weg. Immer mit der Ruhe.
Mein Engel über dem linken Ohr folgt meinem Blick mit leisem Surren, erstellt Raster und vergleicht das belanglose Terrain mit gespeicherten Profilen. Ich sehe erst Tak und dann Kazak an. Ihre Engel stimmen meinem zu. Wir sind über Marte Vallis im südlichen Elysium abgesprungen, einige Sol-Märsche von einem kleinen Podestkrater entfernt, den die Engel unter der Bezeichnung EM2543a kennen, lokal »Bridger« genannt, vermutlich nach irgendeinem Muski, der dort gestorben ist.
Der Löss reicht in kleinen, schlangenartigen Wellen über den Ortstein. Wir überqueren ein X, ein Y und dann ein W aus langen, breiten Markierungen, die wie Straßen aussehen. Wir haben sie aus der Umlaufbahn und der Luft gesehen und wissen, dass einige von ihnen Hunderte Kilometer lang sind. Natürlich sind es keine Straßen, sondern Windkringel, geheimnisvolle Nachrichten, von Millionen Staubtromben auf die weite Ebene gekritzelt.
Nach unseren Engeln sind wir auf einem niedrigen Plateau aus uraltem Olivin unterwegs. Eine zweite Schicht aus Flutbasalt überlappt diese einige Dutzend Kilometer weiter südlich. Wenn wir Touristen spielen würden und dorthin gingen, sähen wir, dass sich die Ränder des oberen Plateaus abgelöst haben. Dadurch sind zerklüftete Klippen entstanden, etwa zehn Meter hoch und mit reichlich Schutt zu ihren Füßen, alles recht frisch, weniger als fünfzig Millionen Jahre alt.
Mein Stiefelsensor funktioniert zur Abwechslung und teilt mir mit, dass der lokale Staub pH-neutral ist. Keine Hinweise auf Wasserabfluss. Dennoch, die Basaltschichten liegen auf tiefen, stark gebrochenen und verkanteten Platten aus uraltem Sandstein, vermutlich die Reste eines noachischen Meeresbodens. Was bedeutet, dass es unterirdische beziehungsweise untermarsianische Flüsse geben könnte, Wasser, das in großer Tiefe fließt, ohne in unserer Epoche jemals die Oberfläche zu erreichen. Kein Tropfen für uns, darauf läuft es hinaus. Der Mars ist selten großzügig.
Der Hautenge injiziert mehr Enthusiasmus. Himmel, das liebe ich. Und ich brauche es. Wir erleben unseren ersten Sol! Wie aufregend. Ein Sol ist ein Tag auf dem Roten, nur ein bisschen länger als ein Tag auf der Erde. Während der nächsten sieben oder acht Sols dürfen wir nicht mit Abholung rechnen. Es könnte noch viel länger dauern, wenn sie nicht wissen, wo wir sind, was ich für wahrscheinlich halte. Mit ziemlicher Sicherheit sind wir am Arsch.
Aber für den Moment schert sich niemand von uns darum.
Liebe find’t zuletzt ihr Stündlein
Wir marschieren nach Norden und reden kaum miteinander.
Skyrines überleben selten mehr als vier Absprünge. Dies ist mein fünfter. Bisher mache ich mir kaum Gedanken darüber, aber mein Hautenger zieht die Ermutigungen bereits zurück.
Ich hasse Übergänge.
Als die Wirkung des Cocktails nachlässt, denke ich zu viel. Das Gehirn ist nicht mein Freund. Schatten mit ledrigen Schwingen liegen in meinem Hinterkopf auf der Lauer. Vielleicht bin ich übersinnlich begabt, vielleicht auch nicht, aber ich fühle, dass sich noch mehr Ärger anbahnt. Ich fühle es mit einem Stechen wie von einem Messer, dessen Spitze sich mir langsam in die Haut bohrt.
Mit seinen neuen Augen sieht Tak den Körper als Erster. Er hebt einen Arm, und ich gebe das Warnzeichen an Kazak weiter. Wir schwärmen aus und laden unsere Waffen.
Wir gehen langsam, wir springen nicht in der niedrigen Schwerkraft, und nach einigen Minuten sind wir bei dem Körper. Ein weiterer liegt etwa zehn Meter entfernt, und ein dritter zwanzig Meter hinter dem zweiten. Insgesamt drei. Die Uniformen sind russisch, vermutlich mit französischer Ausrüstung. Tak beugt sich über den ersten und dreht ihn auf den Rücken. Der Hautenge ist noch bauschig. Scheußliches klebt am Visier. Ob Mann oder Frau lässt sich nicht feststellen.
Tak deutet auf seinen eigenen Helm und deutet mit den Händen eine Art Explosion an. Platsch! Keimnadeln. Der arme Kerl muss innerhalb weniger Sekunden fieberkrank gewesen sein, worauf vier oder fünf Minuten Wahnsinn folgten. Vielleicht hat er oder sie vor der Gärung den Rest der Truppe erschossen. Tak findet die Stelle, wo sich die kleine Nadel durch den Stoff gebohrt hat, und – Tada! – zeigt aufs fedrige Leitwerk. Er versucht nicht, sie herauszuziehen. Mit den Dingern ist nicht zu spaßen. Können selbst dann noch stechen, wenn sie eigentlich nicht mehr stechen sollten. Sie werden von Aerostats abgeworfen, großen Ballons, oder vom Orbit, mit Kapseln, die sich in einer bestimmten Höhe öffnen. In beiden Fällen werden silbergraue Wolken freigesetzt, mehrere Quadratkilometer groß. Die etwa vier Zentimeter langen Nadeln suchen ihre Ziele und finden sie auch. Wenn man von ihnen getroffen wird, verwandelt man sich in einen Ballon voller Knochensplitter und Eiter.
Albtraumhaftes Zeug.
Unsere Engel bezirpen den angeschwollenen Anzug, für den Fall, dass der tote Soldat darin Lust auf ein Schwätzchen hat. Pech gehabt. Er hat gar nichts mehr, mit dem er reden könnte. Da wir nach dem Sprung kein Uplink hatten, wissen wir nichts über diese Typen und warum sie hier waren. Sie müssen viele Sols vor uns eingetroffen sein, vielleicht Wochen. Warum? Vor unserer Ankunft sollten keine größeren Einsätze stattfinden. Vielleicht hat sich das jemand anders überlegt, als wir die Erde bereits verlassen hatten. Möglicherweise sind diese Jungs mit schnellen Frames losgeschickt worden und haben den Roten schon nach ein oder zwei Monaten erreicht, nicht nach vier … Sie trafen vor uns ein, und jetzt sind sie tot, und wir haben keine Ahnung, was sie hierher gebracht hat.
Es fällt immer schwerer, konzentriert zu bleiben.
Wir finden, dass Funkstille keinen Sinn mehr hat. Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir andere Skyrines erreichen und feststellen können, ob sie was Nützliches gefunden haben.
Wir teilen uns, gehen in drei verschiedene Richtungen.
Erst dann sehe ich Engineering Sergeant Dan »DJ« Johnson, als er winkt und über einen kurzen Hang mit vielen Steinen herunterkommt. Er rutscht, aber es gelingt ihm, auf den Beinen zu bleiben. Erneut winkt er und gibt uns mit Gesten zu verstehen, dass er einen Zeltkasten gefunden hat. Wir begrüßen ihn mit Schulterklopfen und echter Freude. Sein Engel zirpt mit unseren, und jetzt sind wir nicht mehr drei, sondern vier.
»Hat jemand Funkel gesehen?«, fragt DJ. »Hab beobachtet, wie Funkel runterkam, oben und draußen.«
Wir sind uns alle einig, dass wir kein Funkel gesehen haben. Funkel ist übel – so nennen wir aus der Ferne beobachteten Raumkampf. Spaceframes und Stangen, die vom Himmel geblasen werden.
»Der Bausch war total verfickt«, sagt Kazak. »Wie konntest du da was erkennen?«
»Ich hab was gesehen«, beharrt DJ, lässt es aber dabei bewenden. Wir wollen nicht einmal darüber nachdenken. Er hat einen Zeltkasten gefunden und führt uns dorthin. Der Kasten steht auf Bridgers Podest. Krater auf dem Mars sitzen oft auf Anhöhen – die Wucht des Aufpralls hat den Regolith in der Nähe gehärtet und dadurch der Erosion gegenüber widerstandsfähiger gemacht. Wissenschaftler nennen die Anhöhen »Podeste«, und dieses erhebt sich zwei Meter über den Ortstein.
Wir werden müde, als wir den Kasten erreichen und einmal um den Pudding gehen. Der Kasten ist mindestens einen Monat alt, wahrscheinlich russisch oder französisch, und hat noch seine violetten Streifen: Nichts hat ihn angerührt, seit er herunterkam; es gibt keine Fallen oder Keimnadeln, durch die er nutzlos würde. Darauf achten wir besonders. Eine sichere Zuflucht. Wir sind mitten im unwichtigen Nichts, umgeben von unwichtiger Leere, letztendlich dazu verdammt, einen unwichtigen Tod zu sterben, aber wenigstens können wir der Nacht entkommen, die ziemlich schnell heranrollt und natürlich sehr kalt und trocken sein wird.
Dennoch, wir schicken uns an, in einem Zelt zu schlafen, das für eine tote Gruppe bestimmt war. Ich bin nicht davon begeistert, aber bei meinem letzten Sprung ist etwas Ähnliches passiert, und wir haben alle überlebt und um die sechzig Antags erledigt – aus einer Entfernung von hundert Metern haben wir sie in den Sand gebrannt. Zwei Wochen in der Scheiße, und so nahe bin ich der Antwort auf die Frage, wie Antags aussehen, nie zuvor gekommen.
Blitze lassen nach dem Kampf nicht viel für die Autopsie übrig: tassenartige Helmstücke, gefüllt mit grauen Schädelteilen, ohne Zähne; Fetzen von leichter Panzerung und Schutzanzug, weite Ärmel und Leggings gefüllt mit bröckeligen Knochen und vielleicht Teile vom Rückgrat. Unser Gunny achtete nicht auf das Gewebe, sammelte etwas von Stoff und Tech zusammen und packte den Kram für den Transport nach Hause ein. Wir haben nie wieder was davon gehört. Es ist Tradition im Corps, uns Landsern nichts über den Feind zu sagen, gegen den wir kämpfen. Das soll ihn entmenschlichen, obwohl mir das in diesem Fall unnötig erscheint, da die Antags ja gar keine Menschen sind.
DJ und Tak brechen das Siegel des Zeltkastens. Die Streifen ändern ihre Farbe, werden erst orangerot und dann braun – alles in Ordnung. Dann bläst sich das Zelt auf. Es hat genug Luft für die Nacht und vielleicht auch für einige Stunden des nächsten Tages, denn immerhin ist es für fünf Personen bestimmt. In einem Beutel an der Außenseite finden wir einen Behälter mit EPAs, Wasserbeuteln und sechs Ampullen Wodka. Die Einmannpackungen enthalten Hartwurst (aus Finnland, heißt es auf dem Etikett; wahrscheinlich Rentier) und Tuben mit einer Art Borschtsch. Ein Festschmaus für uns. Wir stopfen den Wodka in unsere Hüfttaschen und behalten den schwarzen Himmel im Auge, während das Zelt wächst und die Sonne sinkt.
Wir sprechen, ohne dass sich unsere Helme berühren, können uns in der superdünnen Luft aber kaum hören. Es gibt ohnehin nicht viel zu sagen. Der Fleck am Horizont hat sich nicht verändert, wenn man davon absieht, dass er eine hübsche violette Tönung gewonnen hat. Vielleicht ist es nur eine große Staubtrombe. Wenn das stimmt, sind die Windverhältnisse dort seit Stunden stabil.
Ich blicke höher, neige den Kopf nach hinten und schaue zum Zenit. Die meiste Zeit leuchten Sterne über dem Roten heller und gleichmäßiger als auf der Erde. Ihre Schönheit offenbart sich mir nicht. Sie urteilen. Schlimmer noch, sie schicken Antags. Die Sterne warten darauf, dass ich Mist baue.
Nachdem wir den Wächter eingeschaltet und programmiert haben, ist das Zelt bereit. Wir schöpfen Sand mit den Handschuhen und streichen ihn auf das gestreifte Plexanyl, damit es die Farben der Umgebung gewinnt. Dann ziehen wir Staubwedel aus den Oberschenkeltaschen und reinigen uns gegenseitig, wobei wir insbesondere auf die Falten in den Achselhöhlen und bei den Instrumentengürteln achten. Niemand möchte die ganze Nacht im Zelt damit verbringen, sich zu kratzen, und nichts juckt mehr als staubfeiner marsianischer Löss. Zuerst bemerken wir es vielleicht gar nicht. Sechs oder sieben Stunden nach einem Sprung blockiert Kosmolin den Juckreiz und viele andere Wahrnehmungen, wodurch alles glatt und wunderbar babypuderweich erscheint. Während dieser Stunden fühle ich mich wie ein wandelnder Geist oder wie ein körperloses Arschloch. Aber wenn das echte Gefühl zurückkehrt – und früher oder später kehrt es immer zurück –, kann Marsstaub eine armselige Nacht auf dem Roten in echtes Elend verwandeln.
Als wir sicher sind, einigermaßen sauber zu sein, quetschen wir uns nacheinander durch den Zugangskanal in unsere kleine Gebärmutter, wie Babys, die in den Mutterleib zurückkriechen. Als wir alle drinnen sind, ich das Siegel überprüft habe und damit zufrieden bin, öffne ich das Visier. Wer das Siegel kontrolliert, nimmt immer den ersten Atemzug. Die Zeltluft ist in Ordnung, sauber und kalt wie die russische Steppe.
Ich schlafe seit kaum einer Stunde und träume von irgendwelchen irren, gemeinen Kids, als das Zelt einen Alarm flüstert. Wir schrecken alle hoch. Etwas kommt durch den Eingang und plumpst zwischen uns heimgekehrte Babys. Licht blitzt auf. Kazak flucht laut in seiner Muttersprache. Dann fällt das Licht seiner Lampe auf einen Helm, und darin auf ein Gesicht, auf ein grinsendes menschliches Gesicht. Wir erkennen die breite Nase hinter dem Visier, die buschigen Brauen, fast zu einer großen zusammengewachsen, die dunkelblauen Augen und den ernsten, geraden Mund.
»Himmel, es ist Wee-Def«, sagt Tak. Wir regen uns ab, und DJ reicht Gunnery Sergeant Leonard Medwedew etwas Wasser und eine EPA.
Wir sind noch immer ein Klub von Unteroffizieren.
»Hat jemand Infos?«, fragt Medwedew beziehungsweise Wee-Def.
Vager Dunst erscheint im Licht von Kazaks Lampe und sagt uns, dass wir Staub im Zelt haben. Wee-Def ist hereingekommen, ohne sich richtig abzuputzen. Echter Mist.
»Ist alles eine Riesenscheiße«, sagt Kazak.
»Niemand hat Infos«, fügt Tak hinzu.
»Hat jemand einen Schlitten runterkommen sehen?«, fragt Wee-Def.
Die Frage ist so dumm, dass niemand antwortet. Wir befinden uns in einem russischen Zelt.
»Wie viele Zelte?«, will er wissen.
»Wie viele siehst du?«, erwidert Tak.
Wieder folgt Stille.
»Die Stangen waren verfickt«, murmelt Wee-Def, nachdem er einen Schluck getrunken hat. Seine Augen sind groß und besorgt. »Ich bin allein runtergekommen. Der verfickte Bausch brannte!«
»Er soll brennen, Mann«, sagt DJ.
»Nein, ich meine, es gab Funkel, und die Stangen haben was davon abgekriegt. Auch einige Spaceframes. Vielleicht sind nur wir übrig.«
Wir schweigen einige Sekunden.
»Von wegen«, sagt Tak.
»Ich hab’s auch gesehen«, erinnert uns DJ mit einem vorwurfsvollen Blick.
Wenn man auf dem Roten ist, brauchen schlechte Nachrichten eine Weile, bis sie tief sacken, denn schon eine kleine schlechte Nachricht kann bedeuten, dass man stirbt, und dies ist eine große. Wee-Def fühlt vielleicht die Last des Überbringers schlechter Nachrichten, denn er bietet uns seine Hartwurst an.
Niemand nimmt sie. Wir kratzen uns verächtlich.
Dann beginnt Kazak zu kichern. »Ist das dein Schokoriegel, Mann? Oder bist du einfach nur froh, uns zu sehen?«
Es klingt blöd und ist nicht besonders komisch. Aber derzeit haben wir es warm, wir kratzen uns, wir leben, und Wee-Def macht, was er am besten kann: Er steckt sich die Wurst in die Nase und niest, und die Wurst fliegt mit jeder Menge Rotz und ist nur noch für den Hund der Familie gut, den wir leider nicht mitgenommen haben.
Das Ergebnis ist kein tolles Lachen. Es klingt rau und müde und zornig. Aber es ist ein Lachen, und das dürfte bei diesem Einsatz Mangelware sein. Doch das sagt niemand. Selbst Wee-Def ist nicht so dumm, ein Wort darüber zu verlieren.
Wir hocken im vielleicht vor Monaten abgeworfenen Zelt einer toten Gruppe, unsere Stangen sind verstreut, es gibt keine Transportschlitten, unsere Spaceframes haben vielleicht Funkel abbekommen, wir haben praktisch keine Informationen, und die Kommunikation ist offenbar überall ausgefallen – sogar unsere Engel schweigen.
Wir könnten die »letzte Patrouille« sein.
Morgen wird es sich herausstellen.
Der Mars wird ein Paradies sein, eines Tages
Ich kann einfach nicht schlafen. Muss immer wieder daran denken, wie sehr wir am Arsch sind.
Der Rote ist ziemlich extrem. Der Druck beträgt nur ein Millibar, was nicht viel mehr ist als Vakuum, und es ist immer verdammt kalt. Zwar gibt es Wasser auf dem Mars, sogar recht viel, aber man kommt nur schwer heran. Es befindet sich an den Polen, im Gestein unter alten Meeresböden oder verborgen in tiefen Aquiferen. Das gibt Wasser eine große strategische Bedeutung. Die dünne Luft enthält ein wenig Wasserdampf, gerade genug für hohe, eisige Wolken. Wenn im Marssommer die Polkappen schmelzen, was mit monotoner Regelmäßigkeit geschieht, gibt es mehr Wasser in der Luft. Der Rote kann zu einer recht wolkigen Welt werden. Ich habe es auf ihm schneien sehen, auch wenn die Schneeflocken kaum den Boden erreicht haben. So was nennt man Virga auf der Erde, und für den Mars verwendet man dieselbe Bezeichnung.
Im großen Maßstab ist das Wetter auf dem Roten vollkommen vorhersehbar. Doch wenn man die Dinge aus der Perspektive eines Soldaten betrachtet, sehen sie etwas anders aus. Immer wieder kommt es zu Staubtromben, und große Stürme können das Licht der Sonne für Monate verdunkeln: Sie hüllen den ganzen Planeten in dunkelbraunen Dreck, der so dicht ist, dass man die Hand nicht vor den Augen sieht. Aber die Luft wird wärmer, wenn der Staub das Sonnenlicht absorbiert.
Die Herstellung von Sauerstoff, darauf kommt es an. Die Spaltung von Wasser – Hydrolyse – ist relativ einfach; bei CO2 und oxidiertem Staub braucht man mehr Energie und mehr Zeit. Deshalb benötigen wir Fontänen, die so groß wie Laster sein können. Normalerweise haben wir bei einem Absprung zwei dabei, aber manchmal werden sie auch einige Wochen vor unserer Ankunft abgesetzt, mit Stealth-Schirmen, die mehrere Hundert Meter durchmessen, und nachts. Sie fallen auf den Roten, und wenn der Staub tief genug ist – wenn es keinen undurchdringlich harten Ortstein gibt –, graben sie sich ein, fahren Sonnenkollektoren und Extraktionsschaufeln aus und drehen die Schaufeln, um Feuchtigkeit aus der Luft zu gewinnen.
Im Lauf von einigen Wochen können Fontänen genug volatile Stoffe ansammeln, um eine Kompanie zwei oder drei Monate lang am Leben zu erhalten. Eine große Fontäne kann eine halbe Kompanie sechs bis acht Monate in Kampfbereitschaft halten und die Hautengen der Soldaten mit Wasser und Luft versorgen.
Der Führungsstab kann auch entscheiden, eine Fontäne in ein Treibstoffdepot zu verwandeln, ihren Wasserstoff und Sauerstoff nicht für Menschen zu verwenden, sondern für Triebwerke. Wir alle haben von Fontänen gehört, die Soldaten auf dem Roten ersticken ließen, für irgendein übergeordnetes strategisches Wohl – damit jemand anderer nach Hause zurückkehren konnte. Was braucht man mehr? Eine Rückfahrkarte oder genug Luft zum Atmen? Ein scheußliches Abwägen. Ich muss wohl nicht extra darauf hinweisen, dass Skyrines Fontänen mit einer Art Hassliebe begegnen.
Was die ganze Angelegenheit noch interessanter macht: Je länger sich eine Fontäne auf der Oberfläche befindet, desto mehr wird sie zu einem primären Angriffsziel für die Antags. Manchmal lassen die Antags eine Fontäne wochenlang in Ruhe arbeiten, und wenn Soldaten eintreffen und sich einrichten … dann schlagen sie zu. Echter Sinn für Humor. Gerade wenn wir mit der Party beginnen wollen … Fetzen und Flecken auf dem Roten.
Wenn eine Fontäne einen nahen Aquifer oder verstecktes Eis findet, wird sie zu einer strategischen Reserve und hält sich vielleicht auch vor Skyrines verborgen – sie meldet ihre Entdeckung dem Oberkommando und wartet auf weitere Anweisungen. Dann ist sie zu wertvoll, um an uns Landser vergeudet zu werden.
Draußen ist es vollkommen dunkel, und die Luft ist klar. Es wird nicht so kalt wie auf dem südlichen Hochland, aber es sind doch achtzig Grad minus. Im Innern des Zelts liegen wir wie junge Hunde zusammengerollt und aneinander geschmiegt, um uns gegenseitig zu wärmen – wahre Gebärmutter-Brüder. Freudianisch, aber die meisten Skyrines verstehen einen Dreck von Freud. Also reißen wir meistens miese Pornowitze, wenn wir uns so zusammenrollen. Es sei denn, wir sind zu müde. Auf der Großen Blauen Murmel hat sich ein abgefahrenes Porno-Genre entwickelt, das sich nur dem einen Thema widmet, wie man es mit Gurus oder Antags treibt. Man sagt uns nicht, wie die Gurus aussehen, und wir wissen nicht viel über die Antags, weshalb sie praktisch alles sein können, was wir von ihnen erwarten. Warum nicht hübsche grüne Muschis? Manche Leute auf der Blauen Murmel sind schräger als schräg. Erstaunlicherweise scheint es die Gurus nicht weiter zu kümmern.
Im matten Licht eines einzelnen Strahls in der Mitte des Zelts, auf ein schwaches Orangerot gedimmt, beobachte ich meine Kameraden. Sie scheinen zu schlafen. Ich beneide sie darum.
Tak ist mein Freund, wir kennen uns seit einer halben Ewigkeit, aber ich bin bei ihm nie völlig sicher. Er ist ruhig, so attraktiv wie ein Filmstar, schlank und schlau, stärker und scharfsinniger als ich. Seit Hawthorne, und in allen unseren gemeinsam bestrittenen Kämpfen, habe ich das seltsame Gefühl, dass er mich eines Tages überleben wird. Na ja, bisher leben wir beide noch, was wir vor allem Taks Scharfsinn verdanken. Er ist verdammt gut auf dem Roten und ein echter Kracher im Kampf.
Bei Kazak sieht die Sache ganz anders aus. Er ist unser Scheunentor-Austauschschüler, ein kleiner, untersetzter Bursche mit erstaunlich schrägen Augen und schwarzem Flaum auf der Birne, vorn mit spitzem Ansatz. Er kam vor ein paar Jahren aus Kasachstan und wurde befördert, bevor die Skyrines herausfanden, dass er ein tatarischer Scheißkerl ist, woraufhin sie das Scheunentor schlossen. Perfekte Zähne, die Eckzähne recht lang. Ein echter Canis lupus mit wildem Lächeln. Nicht der Hellste, aber vielleicht der Ruhigste und Beständigste bei einem Kampf oder in einer ernsten Situation. Er urteilt schnell über andere Leute, nicht immer richtig, und er hat was Mongolisches, das wir anderen kaum verstehen. Ich kann mir leicht vorstellen, wie er sich rohes Fleisch unter den Sattel seines Ponys legt und darauf kaut, wenn er zwischen parthischen Verbundbogenschüssen eine Pause einlegt. In meiner Familie gibt es polnisches und deutsches Blut. Kazak streitet mit Nachdruck ab, dass seine Vorfahren einst meine überfallen und niedergemetzelt haben. »Mongolen sehr hübsch, Mutterfrauen herumkommen und Kinder kriegen«, sagt er. Na schön. Kazaks Humor kann ziemlich verschroben sein, und seine Streiche grenzen an Schwerverbrechen. Gefreite sollten in seiner Nähe besser gut aufpassen.
Trotz allem mögen wir ihn, denn er ist unser Scheißkerl, und wenn’s um Scheißkerle geht, ist er eine ganz besondere Nummer. Ich bin zweimal mit Kazak gesprungen, und manchmal hat er diesen Blick, der uns mit großer Zuversicht sagt: He, ich mag ein tatarischer Scheißkerl sein, aber ich bringe euch alle nach Hause. Und dann hat er diesen Glanz in den Augen, der in mir den Wunsch weckt, ebenfalls seine Kinder zur Welt zu bringen.
In dieser Nacht liegt er mit verkniffenem Gesicht da, schnarcht leise und sieht aus wie ein ängstliches Baby. Aber er schläft wenigstens, und darum beneide ich ihn.
Sympathisch zu sein ist eine Fähigkeit, die ich nicht unbedingt besitze. Manchmal kann ich sie einschalten, aber ich weiß Bescheid, wenn das geschieht, und dann fühle ich mich schuldig. Die Leute sollten wissen, dass ich der gute Kerl ohne jeden Charme bin. Andererseits, vielleicht bin ich gar nicht so gut. Niemand behandelt mich als etwas Besonderes, und so ist es mir recht. Niemand außer Joe und Tak, und vielleicht auch Kazak. Sie sind meine besten Freunde in diesem ganzen staubverfickten Krieg.
Eine Stunde oder mehr vergeht. Ich schlafe fast, oder vielleicht träume ich, noch wach zu sein, doch dann bin ich eindeutig wach, weil nämlich erneut der Alarm losgeht. Tak wartet auf den Knien an der Membran, bereit dazu, alles zu erwürgen, was zu uns hereinwill. Er verzieht enttäuscht das Gesicht, als ein blau gestreifter Helm erscheint. Nur ein weiterer Skyrine, und diesmal ist es Corporal Lindsay »Mitch« Michelin, sein Gesicht blau von Kälte und Hypoxie.