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»Rasant, realistisch und voll augenzwinkernder Lebensklugheit!« Woman's Weekly
Die Wahrheit hat die lästige Angewohnheit irgendwann das Licht der Welt zu erblicken. Egal ob sie den kinderscheuen Arzt für künstliche Befruchtung trifft oder die junge Frau, die sich mit den erstaunlichsten Diäten abplagt. SPIEGEL-Bestsellerautorin Maeve Haran beweist in sechsundzwanzig schwungvollen Geschichten, dass die Wahrheit manchmal unangenehm, oft aber auch romantisch und immer vergnüglich sein kann. Denn ihre Hauptfiguren haben eines gemeinsam: Sie sind lebensbejahend und temperamentvoll, besitzen ein Quäntchen zwerchfellerschütternde Selbsterkenntnis und überlisten mit Witz und Verstand die Widerspenstigkeiten des Alltags ...
Mit ihren turbulent-witzigen Geschichten über die Liebe, Freundschaft, Familie und die kleinen Tücken des Alltags erobert Maeve Haran die Herzen ihrer Leser im Sturm!
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Seitenzahl: 322
Buch
Die Wahrheit hat die lästige Angewohnheit irgendwann das Licht der Welt zu erblicken. Egal ob sie den kinderscheuen Arzt für künstliche Befruchtung trifft oder die junge Frau, die sich mit den erstaunlichsten Diäten abplagt. SPIEGEL-Bestsellerautorin Maeve Haran beweist in sechsundzwanzig schwungvollen Geschichten, dass die Wahrheit manchmal unangenehm, oft aber auch romantisch und immer vergnüglich sein kann. Denn ihre Hauptfiguren haben eines gemeinsam: Sie sind lebensbejahend und temperamentvoll, besitzen ein Quäntchen zwerchfellerschütternde Selbsterkenntnis und überlisten mit Witz und Verstand die Widerspenstigkeiten des Alltags …
Autorin
Maeve Haran hat in Oxford Jura studiert, arbeitete als Journalistin und in der Fernsehbranche, bevor sie ihren ersten Roman veröffentlichte. »Alles ist nicht genug« wurde zu einem weltweiten Bestseller, der in 26 Sprachen übersetzt wurde. Maeve Haran hat drei Kinder und lebt mit ihrem Mann in London.
Von Maeve Haran bereits erschienen
Liebling, vergiss die Socken nicht · Alles ist nicht genug · Wenn zwei sich streiten · Ich fang noch mal von vorne an · Schwanger macht lustig · Und sonntags aufs Land · Scheidungsdiät · Zwei Schwiegermütter und ein Baby · Ein Mann im Heuhaufen · Der Stoff, aus dem die Männer sind · Schokoladenküsse · Mein Mann ist eine Sünde wert · Die beste Zeit unseres Lebens · Das größte Glück meines Lebens · Der schönste Sommer unseres Lebens
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Maeve Haran
Die Scheidungsdiät
Deutsch von Ariane Böckler und Ursula Walther
Die Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel »Assisted Conception – A Collection of Short Stories« bei Little, Brown and Company, London.
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Copyright dieser Ausgabe © 2020 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright der Originalausgabe © 2000 by Maeve Haran
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2000 by Wilhelm Goldmann Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Covergestaltung: Buchgewand Coverdesign | www.buch-gewand.de unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © orangeberry, © Natasha_Pankina, © devitaayusilvianingtyas, © 9george
DN · Herstellung: sam
ISBN978-3-641-26307-2V001
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Rache ist Blutwurst, heißt es. Mein Mann würde womöglich zustimmen. Er hat immer noch Narben am Hintern, seit ich eine Schüssel Pasta über ihn und das Au-pair-Mädchen gekippt habe, als ich sie zusammen im Bett erwischte. Noch dazu war es seine Lieblingspasta, Spaghetti Carbonara – aber offen gestanden glaube ich nicht, dass er das bemerkte.
Er hat es nicht besonders höflich aufgenommen. »Was zum Teufel machst du da, du fette Kuh?«, lauteten seine genauen Worte, soweit ich mich erinnere. Ich sah ein, dass er mit dem Begriff »fett« vielleicht nicht ganz danebengegriffen hatte, als ich die knackigen, knospenden Brüste des Au-pairs ekstatisch auf und ab wippen sah. Meine sehen eher aus wie die Seealpen. Und da ich meine nachgeburtlichen Übungen vernachlässigt hatte, könnte einem weiter unten der Mont-Blanc-Tunnel in den Sinn kommen. »Ich nähe Sie schön eng zu, dann freut sich Ihr Mann«, hatte der Arzt frecherweise nach dem letzten Baby zu mir gesagt. »Das können Sie sich sparen«, fauchte ich. »Sex ist mir schnuppe!«
Natürlich wich ich von dieser extremen Haltung später etwas ab. Einmal im Monat schien mir gerade genug zu sein. Denn ich muss zugeben, Kinder sind mir lieber als Sex. Ich glaube, in Wirklichkeit geht es vielen Frauen so, nur dürfen wir das seit der sexuellen Revolution nicht mehr sagen.
Ja, ich mochte Kinder so sehr, dass wir insgesamt vier bekamen. Die vier Mal, die wir meinem Mann zufolge Sex hatten. Und es stimmt – ich habe zugenommen. Mehr als sechs Kilo pro Kind. Dann kam das Stillen. Die Gesundheitsberaterin meinte, es würde zur Gewichtsabnahme beitragen.
Vielleicht hat sie aber nicht gemeint, dass ich mich dabei durchs gesamte Nachtischsortiment von Marks & Spencer futtern sollte. Na egal – zurück zu meinem Mann. Nachdem er die Spaghetti entfernt hatte, verlangte er die Scheidung. Ich lachte. Er sah so albern aus mit den Nudeln in den Haaren, während neben ihm das Au-pair jammerte, sie wollte zurück nach Oslo, wo die Menschen nicht so engstirnig seien.
Hinterher lachte ich allerdings nicht mehr. Es fiel mir schwer, mich an die frohen Erinnerungen zu klammern, während ich kein Geld hatte, sich die Rechnungen stapelten und die Kinder mir Vorwürfe machten. »Es ist deine Schuld, Mum. Schau dich doch mal an«, schimpfte Samantha, meine Älteste. Von Mutter-Tochter-Solidarität keine Spur.
David, mein abwesender Mann, versprach mir immer wieder Unterhaltszahlungen, doch sie kamen nie. Das Schlimmste war allerdings, dass ich keinen Job hatte. Ich hatte das, was ich scherzhaft als »meine Karriere« bezeichnete, mit Samanthas Geburt an den Nagel gehängt. Wie sollte ein langweiliger Job mit den Freuden mithalten, die einem pausbäckige, auf einer Decke strampelnde Babys, Picknicks im Grünen und kleine Pfoten bereiteten, die sich vertrauensvoll in die eigene Hand schmiegten? Es war rundum herrlich gewesen, und ich bereute es keine Minute. Aber die Kinder wurden groß und brauchten mich im Grunde nicht mehr. Deshalb hatte ich mir ja überhaupt erst dieses dämliche Au-pair besorgt. Um den Versuch zu machen, wieder auf die Karriereleiter zu steigen. Stattdessen hatte Inger meinen Mann bestiegen.
Es war der Brief von der Bausparkasse, der mir endgültig die Augen öffnete. Zwangsvollstreckung, das neue Schreckenswort. Wenn ich nicht bald etwas unternahm, verlören wir das Haus.
Da kam mir die Idee. Ich musste sowohl Geld verdienen als auch abnehmen, also warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Die fette und arme Kuh würde ein Diätbuch verfassen.
Diätbücher zu lesen ist mein Hobby, müssen Sie wissen. Manche Menschen sammeln Kochbücher, obwohl sie nie kochen, oder schwelgen in Prachtbänden vom Landleben, während sie in einem trostlosen Hochhaus wohnten. Ich studiere Diätarten, machte aber nie eine solche. Bis jetzt.
Ich besitze sie alle: die Eierdiät, die Scarsdale-Diät, die Iss-Fleisch-und-bleib-schlank-Diät, die Trennkost-Diät, die Ananas-Diät – aus Kalifornien, wo ohnehin alle bekloppt sind – und die diätlose Diät. Ich habe sogar ein Exemplar von »Diät macht dick«, aber das glaubt echt kein Mensch!
Diät zu halten, so schien mir immer, ist die moderne Version von Religion – Opfer, Buße und Erlösung eingeschlossen. Segne mich, Vater, denn ich habe geprasst und gefastet.
Meine wäre anders. Bei meiner ginge es nicht darum, was man isst, sondern wie man sich fühlt. Jede Frau würde sich von der universellen Wahrheit angesprochen fühlen, dass Ablehnung einen schlank macht.
Bevor ich völlig durchdrehte, setzte ich mich an Samanthas Computer und tippte ein Exposé. Ich nannte es »Die Scheidungsdiät«. Dann ging ich in die Buchhandlung und suchte heraus, welche Verlage Bücher zu diesem Thema veröffentlichten. Erstaunlicherweise ziemlich viele. Während ich die Regale durchforstete, kam mir der traurige Gedanke, dass die eine Hälfte der Welt Diät hielt, während die andere Hälfte Hunger litt. Todtraurig machte mich das allerdings nicht, denn herzloserweise muss ich zugeben, dass es auf einen lebhaften Markt für Diätratgeber schließen ließ.
Ich notierte mir die Adressen von drei Verlagen und schickte allen dreien meinen Entwurf. Dann gönnte ich mir einen Big Mac und große Pommes, machte mich auf den Weg, die Kinder abzuholen und rechtfertigte mich damit, dass ich solche Speisen bald darbringen würde wie Ave-Marias. Bis dahin konnte ich ruhig noch drauflosfuttern.
Ich muss gestehen, dass ich die Möglichkeit in Betracht zog, abgewiesen zu werden, und mir überlegte, wie ich damit umgehen würde. Indem ich aß, zweifellos. Dann würde ich mir doppelt schnell einen nüchternen Bürojob suchen müssen. Einen Monat gab ich mir Zeit. Nicht einmal meiner besten Freundin Sally, der Wuttherapeutin, erzählte ich, was ich vorhatte.
Doch es kamen keine Absagen. Die Verlage waren begeistert, insbesondere davon, dass ich selbst als Hauptfigur auftreten würde. Ob ich es bis Weihnachten schaffen könnte, fragte einer. Weihnachten ist anscheinend ein guter Termin für Diätratgeber. Die Leute kaufen sie, damit sie risikolos prassen können, weil sie wissen, dass sie die Heilung bereits in Händen halten. Oft fühlen sie sich dadurch schon so viel besser, dass sie gar keine Diät mehr anfangen müssen. Dann ist allen gedient.
Der Verlag, bei dem ich schließlich einschlug, wollte das Buch mit einem Fernsehsender zusammen machen, damit ich gefilmt werden konnte, wie ich meine eigenen Tipps befolgte.
Dem Fernsehsender gefiel die Geschichte von meinem Mann und dem Au-pair-Mädchen. Sie fanden, sie sei ganz im Stil von Oprah Winfrey, und filmten mich dreimal, während ich sie erzählte – bis ich an der richtigen Stelle in Tränen ausbrach. Geständnisse kommen offenbar beim Publikum hervorragend an.
Natürlich musste ich trotzdem noch das Buch schreiben, aber das schien niemandem Kopfzerbrechen zu bereiten. Der Verlag hatte mich bereits in der Richard-and-Judy-Show untergebracht, und so lief alles prächtig, teilte man mir mit.
Und dann überfiel mich die Schreibblockade. Oder vielmehr die Essblockade. Blitzartig begriff ich, dass ich tatsächlich aufhören musste zu essen. Kein Hühnchen Dhansak mit Naan-Brot mehr, keine Pizza, ja nicht einmal ein Mars mini. Mir wurde klar, dass ich zusätzliche Motivation brauchte. Die Erniedrigung durch das Au-pair war schrecklich gewesen, aber nicht schrecklich genug.
Ich schluchzte vor unserem Hochzeitsfoto und verbrachte ganze Abende damit, über den Alben zu brüten. Meine Freundin Sally war schließlich diejenige, die das Problem erfasste: »Du willst ihn immer noch zurück. Finde einen Weg, ihn dir aus dem Kopf zu schlagen!« Schließlich hatte sie die Idee, die meinen Durchbruch einleiten sollte.
»Hast du eigentlich ein Foto von David?«, wollte sie wissen. Ob ich ein Foto von ihm hatte? Hunderte hatte ich von ihm. David mit den Kindern, David in der Badehose, David ohne Badehose – nein, jetzt, wo ich daran denke, fällt mir ein, dass sie im Drogeriemarkt einen Aufkleber auf dieses Foto gemacht hatten und wir schon fürchteten, jeden Moment von der Foto-Polizei verhaftet zu werden.
»Ich habe nur seinen Kopf gemeint«, sagte Sally streng. »Den lasse ich nämlich für dich vergrößern.«
Meiner Ansicht nach musste das wohl eine Extremform der Wuttherapie sein, bis Sally erschien, einen Abzug von Davids Gesicht im Großformat in Händen. »Mann«, murmelte ich und vergaß mich einen Moment lang, »er ist wirklich attraktiv, was?«
»Attraktivität ist immer relativ«, fauchte Sally. »Also, wie viel Pfund willst du abnehmen?«
»Sechzig«, antwortete ich, ohne nachzudenken. Das waren dreißig Kilo. Ich war schon immer gut in Kopfrechnen gewesen.
Sie teilte Davids Gesicht mit Hilfe eines Geodreiecks in sechzig Kästchen ein. Die Fernsehleute waren begeistert. Sachen, die die Zuschauer zu Hause mitmachen können, finden sie immer Klasse.
Offen gestanden funktionierte es fantastisch. Jedes Mal, wenn ich ein Pfund abgenommen hatte, ein weiteres Stückchen von Davids attraktiver, aber treuloser Visage auszuschneiden, machte mich regelrecht süchtig. Es spornte mich wirklich an.
Sogar die Kinder bemerkten, dass ich fröhlicher wurde. Ich kochte kleine Mahlzeiten für sie, ohne selbst etwas zu essen, und umschiffte sogar unbeschadet die Keksdose.
Doch eines Tages erlitt ich einen Rückfall. Obwohl er sie seit unserer Trennung vernachlässigt hatte, erbot sich David auf einmal, einen Ausflug mit den Kindern zu machen. Vorübergehend verlor ich den Glauben an seine Widerlichkeit und stopfte mich in einer Konditorei voll. Damit stellte sich ein kniffliges Problem: Wenn ich zunahm, musste ich dann Teile seines Gesichts wieder hineinkleben? Der Feigling klärte selbst die Frage für mich, indem er einfach nicht zu der Verabredung erschien. Die Kinder waren so gekränkt, dass ich laut heulte. Bis Sally mir zu einem weiteren Kapitel riet, und zwar unter der Überschrift »Wie man seinen Schmerz produktiv einsetzt«. Was soll’s, sagten die Fernsehleute, Rückfälle sind ganz normal: wie wenn ein Alkoholiker wieder zur Flasche greift. Sie verstärkten die Dramatik.
Danach fielen die Pfunde von mir ab wie die abgestorbene Haut von einer Schlange. Ich war eine unglaublich schrumpfende Frau.
Der Veröffentlichungstermin nahte ebenso wie das vorläufige Scheidungsurteil.
Du wirst berühmt werden, prophezeiten mir alle. Besorg dir lieber ein paar Klamotten. Gesagt, getan. Größe sechsunddreißig. Ein herrliches, hautenges, knöchellanges Seidenkleid in Mitternachtsblau. Sally meinte, es passe zu meinen Augen.
Und dann, kurz vor dem entscheidenden Moment, gingen mir die Nerven durch. Wie konnte ich ihm das antun? Wir waren fünfzehn Jahre verheiratet gewesen. Er war der Vater meiner Kinder. Wir hatten mindestens vier Mal Sex miteinander gehabt. Vielleicht sollten wir noch einen Versuch zur Rettung unserer Ehe unternehmen?
Sally reagierte fuchsteufelswild. »Das ruiniert dein gesamtes Image«, schnaubte sie. »Du kannst ihn nicht wieder aufnehmen, nach allem, was er dir angetan hat.«
Trotzdem rief ich ihn an.
Wir trafen uns in einem Pub, dem Pub, wo wir zum ersten Mal gemeinsam etwas getrunken hatten. Damals war ich achtzehn gewesen und hatte problemlos in Größe sechsunddreißig gepasst. Jetzt trug ich wieder Größe sechsunddreißig.
Ich hatte nicht daran gedacht, dass David ja nichts von meiner Diät wusste. Also saß ich in meinem eleganten Mitternachtsblau auf einem Barhocker, und er marschierte geradewegs an mir vorbei. Sein Gesicht, als er die Wahrheit begriff, war ein Anblick, der mir unvergesslich bleiben wird.
»Heiliger Bimbam«, sagte er. »Was hast du denn gemacht?«
»Abgenommen.«
»Das sehe ich.« Er ging einmal um mich herum, als wäre ich eine Skulptur in einer Ausstellung. »Du musst unheimlich viel abgenommen haben.«
»Ja. Fast dreißig Kilo.«
Der verblüffte David schnitt eine Grimasse. Dahinter steckte eine Art Freude, wie man sie empfindet, wenn sich unter dem Weihnachtsbaum noch ein letztes Geschenk auftut. Und in diesem Fall war das Geschenk ich.
Er ließ sich auf den Barhocker neben mir gleiten. »Weißt du, du siehst wirklich sagenhaft aus.« Ich muss gestehen, dass mein Herz Purzelbäume schlug.
Dann bestellte er eine Flasche Wein. Legte sich richtig ins Zeug.
»Was macht das Au-pair?«, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.
Er zuckte nicht mit der Wimper. »Ist wieder zu Hause in Oslo.«
Als er sich einige frittierte Happen in den Mund steckte, begriff ich, was sich an David verändert hatte. Er hatte zugenommen. Ziemlich viel sogar. Sein magerer, knabenhafter Körper, der mich so angezogen hatte, war dahin. Sein Gesicht war von Nascherei und zu vielen Fertiggerichten förmlich aufgedunsen. Ein nicht zu übersehender Bauch quoll über seinen Hosenbund. Heißt es nicht, dass eine Scheidung Männer härter trifft? Frauen wahren der Kinder wegen die Fasson, aber Männer verlieren jeglichen Halt – und David sah wie das klassische Beispiel dafür aus. Kein Wunder, dass Inger nach Oslo zurückgeflogen war.
Wir tranken die Flasche Wein aus, und David rückte näher, einen Ausdruck erhitzter Vorfreude in den Augen.
»Weißt du«, flüsterte er, »vielleicht ist das ja ein schrecklicher Fehler, dass wir uns scheiden lassen wollen.«
»Ja.« Ich ließ mich vom Barhocker gleiten, entblößte einen Meter Bein und stellte fest, dass er in fast einer ganzen Stunde die Kinder kein einziges Mal erwähnt hatte. »Wir hätten uns schon vor Jahren trennen sollen.«
David sah mich an, als hätte soeben eine Schneiderpuppe Shakespeare zitiert. »Was sagst du da?«
»Ich sage, wir hätten uns schon vor Jahren trennen sollen.« Sally wäre stolz auf mich gewesen. Aber ich konnte ihn doch nicht so grausam verlassen, ohne ein Wort des Trostes und des Rats, oder?
»Weißt du was, David? Du solltest unbedingt eine Diät machen.«
Vor dem Lokal schaltete der Kameramann seine Lampen aus.
»Fantastisch«, gratulierte er mir. »Wir haben jedes Wort im Kasten. Drei Millionen Frauen werden Sie bejubeln, wenn das gesendet wird.«
Für den Bruchteil einer Sekunde bekam ich Schuldgefühle. Und dann sah ich David durch das Schaufenster, wie er auf einen Barhocker direkt neben einer Dame ohne Begleitung rutschte.
Mein Ex besaß ungefähr die Haut eines Nashorns.
Und darüber konnte er froh sein. Denn nächste Woche würde er ein dickes Fell brauchen.
»Nicko, alter Junge, du könntest mir nicht vielleicht einen Gefallen tun und heute Abend die Sprechstunde für mich übernehmen? Ich gehe nämlich in die Op-pop-oper.« Robin Worths durchdringender Eton-Akzent durchschnitt den Moment der Ruhe, den Nick sich gerade gönnte. »Sie geben Madame Butterfly, und wenn ich meine Frau sitzen lasse, bin ich derjenige, der einen Kopf kürzer gemacht wird.«
Nick sah auf die Uhr an der Wand der Ambulanz. Eigentlich war er selbst darauf erpicht, demnächst zu verschwinden. Arsenal hatte ein Heimspiel, und er wollte es sich gern auf Sky-TV anschauen.
Dieser verdammte Robin mit seiner lauten Stimme und seiner überheblichen Art! Robin wusste ganz genau, dass das Scheckheft der Gefälligkeiten permanent aufgeschlagen war, da er schließlich Nick den Job hier verschafft hatte.
»In Ordnung.« Nick fing den Blick der Ambulanzschwester auf, die ihm verständnisvoll zulächelte, als wollte sie sagen: Er ist ein herzloser Fatzke – ganz anders als Sie, dem wirklich etwas an den Patienten liegt.
Die Schwester war füllig und hübsch. Sie hatte eine Schwäche für ihn, das wusste Nick. Gelegentlich ertappte er sie dabei, wie sie ihn anhimmelte, als wäre er eine Art Heiliger der Letzten Tage. Das war ausgesprochen merkwürdig, denn Nick fühlte sich weiß Gott nicht wie ein Heiliger. Er hatte ein Händchen dafür, mit unfruchtbaren Paaren umzugehen, das ja, und konnte ihr Leid ehrlich nachempfinden; aber er war nur durch Zufall in diesem Fachbereich gelandet. Offen gestanden hatte sich seine Laufbahn nicht seinen Vorstellungen gemäß entwickelt. Während seines Medizinstudiums hatte er hoch hinausgewollt und Ambitionen in der Chirurgie gehabt; aber seine erste Stelle bekam er in Aberdeen angeboten, und seine Frau hatte soeben einen guten Posten hier in der Gegend angetreten. Es hätte bedeutet, gleich zu Beginn seiner Ehe allein dorthin zu ziehen; daher hatte er die schlechtere Stelle angenommen, die näher an seinem Wohnort lag, und irgendwie war er danach nie mehr richtig weitergekommen.
»Wie viele Patienten sind es heute Abend?«, fragte Nick die Schwester.
»Nicht allzu viele. Vielleicht schaffen Sie es sogar bis zum Fußballspiel.«
Diesmal erwiderte er ihr Lächeln mit echter Wärme, erleichtert, dass sie ihn verstand. Dass es möglich war, an den Tragödien von Patienten Anteil zu nehmen und trotzdem ein Privatleben zu führen …
Da er das Spiel unbedingt sehen wollte und ihm klar war, dass sie das auch wusste, achtete er besonders darauf, jedem Fall genügend Zeit zu widmen. Die Leute bekamen so langfristige Termine und erwarteten einiges von ihrem Arzt. Wenn es dann wirklich so weit war, hofften sie auf ein Wunder.
Nick und seine Frau Janey hatte keine eigenen Kinder. Es lag nicht so sehr daran, dass es nicht geklappt hätte – zumindest glaubte er das nicht –, sondern eher daran, dass sie zu wenig Zeit miteinander verbrachten. Nun war er fast vierzig und Janey ein Jahr jünger, also würde auch wahrscheinlich nichts mehr passieren. Janey hatte ihn und sich untersuchen lassen wollen, aber er wäre sich lächerlich vorgekommen, wenn er hätte feststellen müssen, dass er selbst unfruchtbar war; schließlich arbeitete er in der Ambulanz für Fruchtbarkeitsstörungen oder »künstliche Befruchtung«, wie es heutzutage hieß. Er wusste, dass es Janey etwas ausmachte, auch wenn ihre Arbeit ihr Freude bereitete; jedenfalls hatte er geschickte Strategien entwickelt, dem Thema auszuweichen.
Er schob seine gewohnten Schuldgefühle beiseite und brachte das letzte Paar zur Tür. Für diese beiden sah es gut aus. Nach drei Versuchen hatte ihre In-vitro-Fertilisation angeschlagen. Die beiden marschierten an den Fotos mit lächelnden Babys entlang, die an den Wänden im Flur hingen, während sie darüber nachsannen, dass sich schon bald ein Foto von ihnen mit einem Baby im Arm zu den anderen in der Erfolgsgeschichte der Klinik gesellen würde.
Nick rieb sich die Stelle an der Nase, wo ihn die kleine, goldene Halbbrille drückte, die er seit kurzem trug. Er war müde, aber der Gedanke an ein kühles Bier und ein Tor von Ian Wright munterte ihn auf.
Als er sich umwandte, saß das Mädchen hinter ihm. Er starrte sie an, weil er sich sicher war, dass sie vor einer Minute noch nicht da gewesen war und auf seinem Tagesplan keine weiteren Patienten standen. Wo zum Teufel steckte die Schwester?
»Haben Sie etwas auf dem Herzen?«, fragte er. »Die Sprechstunde ist leider für heute beendet. Vielleicht können Sie morgen früh telefonisch einen Termin vereinbaren.« Sie musste sich, so schloss er, auf der Damentoilette versteckt haben. Es war unglaublich, was sich die Leute für einen Termin alles einfallen ließen, getrieben von dem Urwunsch nach einem Baby.
Doch dieses Mädchen passte nicht ins Schema. Sie war zu jung. Gerade mal zwanzig oder so. Und eine umwerfende Schönheit! Sie saß, aber er vermutete, dass sie ihn überragen würde, wenn sie aufstand, obwohl er selbst groß war. Sie trug eine blaue Jeansjacke über einem ganz kurzen, engen, schwarzen Kleid, dicke schwarze Strümpfe und diese aggressiven Doc-Martens-Stiefel, das Markenzeichen ihrer Generation. Ihr Haar war kurz und blond, und sie trug einen Nasenstecker. Nicks erster, reflexhafter Gedanke war die Hoffnung, dass sie es in einem Laden hatte machen lassen, wo »antiseptisch« nicht als Schimpfwort galt.
Unheimlicherweise kam sie ihm irgendwie bekannt vor.
»Wollten Sie einen Arzt sprechen?«
»Offen gestanden dachte ich dabei an Sie.«
»An mich?« Nick brannte vor plötzlicher Beklommenheit der Nacken. Hier bahnte sich irgendetwas Seltsames an. Hübsche junge Mädchen lungerten normalerweise nicht in Klos herum, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Ich könnte es Ihnen auch hier sagen, aber besser wäre es in einem Pub oder so.«
Langsam dämmerte ihm etwas. »Sind Sie Journalistin?« Künstliche Befruchtung war zurzeit bei der Presse ein ganz heißes Thema.
»Nein, keine Sorge«, beruhigte sie ihn. »Ich hasse Journalisten.«
Und wieder beschlich ihn dieses unheimliche Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben. Wie kam es außerdem, dass eine Zwanzigjährige einen derartigen Abscheu gegen Journalisten hegte? Nick musste zugeben, dass er neugierig geworden war.
»Das ist also kein Vorwand? Sie haben kein Kamerateam am unteren Ende der Treppe platziert, und ich finde mich plötzlich in der Sendung von Roger Cook wieder?«
»Sehe ich etwa aus wie Roger Cook? Nein, es geht um etwas Privates.«
Etwas Privates? Nick hätte fast aufgelacht. So etwas passierte ihm doch nicht! Er arbeitete ja nur! Sein Privatleben war ungefähr so bunt wie das eines pensionierten Schülerlotsen.
»Na gut«, willigte er ein. Ian Wright würde eben warten müssen. »Auf der anderen Straßenseite ist ein Lokal. Wir treffen uns dort in zehn Minuten.«
Das Mädchen verschwand im selben Moment, als die Schwester die Tür von den Laborräumen her öffnete. »Gut, fertig für heute«, schnurrte sie eifrig. »Wollte nur noch nach der Eiersammlung sehen, die wir vorhin angelegt haben.« Sie bemerkte Nicks angespannte Miene. »Alles in Ordnung? Vielleicht möchten Sie kurz etwas trinken, bevor Sie nach Hause fahren?«
»Nein danke, ich muss los.«
Sie sah ihm nach. Er schien kein nennenswertes Privatleben zu haben. Hatte keine Kinder. So eine Verschwendung. Dr. Hinton war ein gut aussehender Mann, der sich der Wirkung gar nicht bewusst zu sein schien, die er auf die weiblichen Mitarbeiter ausübte. Im Gegensatz zu Dr. Worth, der ständig Klapse auf den Po verteilte und sich allzu vertraulich gab.
Falls er im Lokal gegenüber auf diskretes Inkognito gehofft hatte, so wurde Nick enttäuscht. Jeder Mann unter achtzig starrte das Mädchen an, das auf ihn wartete. Zwei Gläser, das eine mit Weißwein und das andere mit Budweiser, standen bereits auf dem Tisch. »Ich habe mir gedacht, dass Sie Biertrinker sind.«
Nick durchfuhr erneut das blitzartige Gefühl, sie schon irgendwo gesehen zu haben. »Entschuldigen Sie, aber kenne ich Sie?«
Das Mädchen lachte heiser auf. »Gewissermaßen schon. Sie erkennen mich, weil ich Model bin. Für BHs, wie ich gestehen muss. Zurzeit hängen die Plakate überall. Mein Name ist übrigens Tara Williamson.«
Der Name sagte Nick nichts. »Und was kann ich für Sie tun?«
Er trank einen Schluck von seinem Bier und wartete auf ihre Antwort.
»Tja, es ist so …« Zum ersten Mal schien ihre Selbstsicherheit ins Wanken zu geraten. »Ich glaube, Sie könnten mein Vater sein.«
Das Lokal drehte sich, als wäre es auf einmal in die Fänge von Außerirdischen geraten.
»Entschuldigung, aber sagen Sie das noch mal.«
»Sie haben mich richtig verstanden.« Sie fuhr sich mit der Hand durch ihr kurzes blondes Haar. »Ich habe nicht erwartet, dass Sie die Arme um mich schlingen und ›mein Kind‹ rufen.« Ihr schmerzerfüllter Tonfall ging ihm nahe.
»Hören Sie, Miss … äh?«
»Williamson. Tara. Zwanzig Jahre alt. Geboren als Tochter von Sarah Blake und David Morrison im Krankenhaus Winchester.«
Er durchforstete sein Gedächtnis nach einer Sarah Blake oder überhaupt einer Sarah, doch er stieß auf keine. Dann versuchte er, sich an kurze Affären zu erinnern. Das Problem war nur, dass Nick ein fast abstoßend braves Leben geführt hatte. Janey war das dritte Mädchen, mit dem er geschlafen hatte, und seitdem hatte es überhaupt keine anderen mehr gegeben. Die beiden zuvor waren seines Wissens glücklich verheiratet, und außerdem hieß keine von ihnen Sarah.
»Hören Sie, es tut mir wirklich leid – aber ich habe nie mit einer Sarah geschlafen.«
»Ich weiß. Sie kennen sie ja nicht einmal.«
Nick kam sich langsam vor wie in einem Roman von Kafka. »Wie kann ich dann Ihr Vater sein?«
»Sie haben Ihren Samen gespendet. Meine Mutter war die Empfängerin. Ich wurde durch künstliche Befruchtung empfangen.«
Nick wurde bleich. Das Mädchen log nicht – er hatte tatsächlich Samen gespendet, und das nicht nur einmal. Zwanzig Pfund hatte er dafür bekommen. Unzählige Medizinstudenten machten das, um ihre Stipendien aufzubessern. Einmal gab es sogar einen legendären Studenten mit einer so phänomenalen Potenz, dass er ein eigenes Gefäß für die Lagerung bei minus dreißig Grad gebraucht hatte. Bei den Schwestern rangierte er unter dem Spitznamen »der große Versorger«.
Doch auch wenn er Spender gewesen war, lief die ganze Angelegenheit äußerst vertraulich ab. Man musste zwar seine Eigenschaften und seine medizinischen Daten angeben; aber man bekam wirklich hundertprozentig garantiert, dass die Identität des Spenders nie preisgegeben würde. Sonst wäre aus Angst vor einer Flut von Vaterschaftsklagen der genetische Zapfhahn zugedreht worden, sogar vom großen Versorger. Er wusste, dass in letzter Zeit manchmal in der Presse die Forderung laut wurde, den Kindern die Identität des Spenders mitzuteilen – aber das hatte sich noch nicht durchgesetzt.
»Woher will Ihre Mutter denn wissen, dass ich es war?«
»Eine Freundin von ihr, eine Krankenschwester, hatte an dem betreffenden Abend Dienst. Sie fand Sie sympathisch, also tat sie Mum den Gefallen.«
»Aber es gibt Vorschriften …«, wandte Nick ein und hatte das Gefühl, als ob die Normalität aus ihm ränne wie aus einem umgekippten Bierglas.
»Sie ist sich hundertprozentig sicher, dass Sie es waren.« Tara musterte einen Moment lang sein Gesicht. »Tut mir leid. Das ist sicher ein Riesenschock. Ich hatte mehr Zeit, mich mit dem Gedanken anzufreunden. Hallo, Dad!«
Nick war froh, dass er saß. Vermutlich gäbe es irgendeine Möglichkeit, die Geschichte des Mädchens nachzuprüfen; doch ihm schwante bereits, dass sie wahrscheinlich stimmte. Und was zum Teufel hielt er davon?
Die Bedeutung all dessen traf ihn wie ein Faustschlag. Er hatte eine Tochter. Dieses amazonenhafte Mädchen, das vor Selbstsicherheit zu strotzen schien, könnte tatsächlich sein Kind sein. Ihr genetischer Code war mit der Hälfte des seinen programmiert worden. In gewisser Weise grenzte es an ein Wunder. Er suchte ihre Züge nach Anhaltspunkten ab, doch schienen äußere Einflüsse die Natur in den Hintergrund gedrängt zu haben.
»Warum hast du mich nach so vielen Jahren finden wollen?« Es war eine dumme Frage, das stand fest. Wenn sie sich die ganze Mühe gemacht hatte, dann sicher aus dem Gefühl heraus, dass ihrem persönlichen Puzzle ein Teil fehlte.
»Ich hatte das Gefühl, dich kennen lernen zu müssen.«
Und was kommt als Nächstes, fragte er sich, während ihn Panik überfiel. Er hatte von solchen Begegnungen zwischen Vater und Kind gelesen. Die fallen gelassenen Kinder von Politikern und Schauspielern tauchten hin und wieder in der Boulevardpresse auf, voller Liebe und Nachsicht, und offenbar schrie niemand: Wie konntest du mich weggeben, du herzloses Schwein? Doch hier lag die Sache anders.
Er blickte Tara über den bierbefleckten Tisch des wenig ansprechenden Pubs hinweg an. Ihre strahlende Schönheit leuchtete förmlich in dieser düsteren Welt. Und doch war auch Verletzlichkeit zu erkennen. Wollte sie eine Beziehung, oder wäre es damit getan, dass sie den Ursprung ihrer Gene nun gesehen hatte?
»Treffen wir uns doch in ein, zwei Tagen wieder«, schlug er vor. »Wenn wir Zeit gehabt haben, alles zu verdauen.«
Tara willigte mit offenkundiger Erleichterung ein. Auch sie war unsicher, wie sie sich verhalten sollte, nachdem die Enthüllung jetzt stattgefunden hatte.
Nick sah ihr nach, wie sie durch das Pub schritt, von jedem männlichen Auge verschlungen. Sie blickte sich nicht um.
Auf der Heimfahrt kam ihm die Stadt öde und freudlos vor. Er fühlte sich wie eine Figur, die auf die Bühne geschoben wird, ohne den Text zu kennen. Jetzt, wo er allein war, rätselte er, ob er sich richtig verhalten hatte.
Wie, in aller Welt, sollte er das Janey, seiner Frau, beibringen? »Du kommst nie drauf, was mir heute in der Sprechstunde passiert ist: Ein umwerfendes Mädchen kam herein und hat behauptet, meine Tochter zu sein.«
Janey hatte bereits den Tisch gedeckt, als er heimkam. Sie sagte zwar nichts, aber die Frage, wo er die letzten zwei Stunden gewesen war, loderte durch ihr beleidigtes Schweigen.
Schließlich gestand er es ihr. Sie sah zutiefst verletzt drein. »Wie konntest du«, herrschte sie ihn an, den Tränen nahe, »dich nur all die Jahre gegen ein Baby sperren und andererseits deinen Samen einfach so weggeben?«
Nick wusste keine Antwort. Ihr Schmerz und ihr Leid waren dermaßen bedrückend, dass er es gar nicht mit ansehen konnte.
»Und was willst du jetzt machen? Anfangen, sie sonntags zum Essen zu bitten? Sie an Weihnachten einladen?« Janeys Miene war vor enttäuschter Bitterkeit völlig verschlossen.
»Ich weiß nicht. Vielleicht gar nichts.«
Als er am nächsten Tag zur Arbeit fuhr, kam die Sonne heraus, erhellte die Landschaft und ließ sie leuchten. An der Kreuzung zweihundert Meter vor der Klinik strahlte Taras Werbeplakat auf ihn herab, zehn Meter lang, wie eine Göttin vom Olymp. Venus oder Nemesis?
Die nette Schwester rauschte geschäftig durch die Anmeldung, den Arm voller Akten.
»Da ist jemand für Sie«, flüsterte sie. »Hübsches junges Mädchen.«
Nick stellte fest, dass er zitterte. Sie war tatsächlich seine Tochter, und das musste er anerkennen.
»Hallo, Tara!« Er merkte, wie ihm die Worte nur mit Mühe über die Lippen kamen.
»Dr. Hinton … Nick …« Tara wirkte aufgeregt, und ihre lässige Selbstsicherheit vom Abend zuvor blätterte vor seinen Augen ab. »Auch auf die Gefahr hin, dass ich wie Ihre Assistentin klinge – ich fürchte, es liegt eine kleine Verwechslung vor.«
Nick lauschte, ohne ganz zu begreifen, worauf sie hinauswollte.
»Wissen Sie … das Problem ist … ich wusste nicht, dass Sie gestern Abend für jemand anders eingesprungen sind. Es ist schwierig, Ihnen das zu erklären – aber Dr. Worth soll mein Vater sein, nicht Sie.«
Ihre Worte trafen Nick wie das Messer eines Mörders. Sie war nicht seine Tochter, sondern die von Robin …
»Hören Sie!« Taras große Augen füllten sich mit Tränen und ließen die Wimperntusche in schwarzen Bächen über ihre Wangen rinnen. »Es tut mir unheimlich leid. Falls es Sie irgendwie tröstet, kann ich nur sagen, ich wünschte, Sie wären es. Sie sind viel netter. Und sehen besser aus. Das Komische ist«, fuhr Tara fort, »dass er überhaupt nicht erstaunt war. Ja, er hat nur gelacht und gemeint, dass man ihn als Student den ›großen Versorger‹ genannt hat.«
Nick lächelte bitter. Also war Robin der große Versorger gewesen!
Und dann fiel ihm ein, was für ein Gefühl, das für sie sein musste. »Hat es Sie gekränkt«, fragte er sanft, »dass Robin so reagiert hat?«
Tara zögerte. »Ein bisschen. Irgendwie habe ich schon eher nach meinem geliebten, lange verschollenen Daddy gesucht – nicht nach jemandem, der sich fragt, wie viele Vaterschaftsklagen ihm drohen könnten. Aber vielleicht ist das die bessere Lösung. Mein anderer Vater, der, der mich aufgezogen hat, sieht es sicher so. Er war total dagegen, dass ich hierher-komme.«
»Das wundert mich nicht.«
Tara nahm ihren Matchbeutel und schlang ihn sich über die Schulter.
Nick hielt ihr die Tür auf. »Wissen Sie was? Ich wünschte, Sie wären meine Tochter. Ich wäre wahnsinnig stolz auf Sie!«
»Danke. Das bedeutet mir viel. Aber jetzt auf Wiedersehen.«
Nick setzte sich. Komisch, aber sein Leben hatte sich trotzdem verändert, obwohl sie nicht seine Tochter war. Er hatte, wenn auch nur für einen Augenblick, die Mischung aus Schmerz und Freude entdeckt, und den Stolz und den Beschützerinstinkt empfunden, der Paare veranlasste, weiß der Himmel was auf sich zu nehmen, nur um ein Kind zu bekommen.
Er griff nach dem Telefon. Janey würde in Kürze ins Büro aufbrechen, aber er müsste sie gerade noch erwischen.
»Verlobt! Viv, du Glückspilz. Lass mal den Ring sehen!« Suzie wusste, dass sie zu viel plapperte, aber Verlobungen ließen sie vor Gefühlen überquellen und trieben ihr Tränen in die Augen, als hätte sie eine Scheibenwaschanlage wie ein Auto.
»Du bist erst verlobt, wenn du einen Diamanten hast«, schnurrte ihre Freundin Viv selbstzufrieden. »Das sagt meine Mutter jedenfalls immer.«
Suzie musterte den winzigen Brillantring, den Viv ihr unter die Nase hielt. Suzie wusste alles über Diamanten. Sie wusste, dass die alten Griechen sie für Sternensplitter hielten, die zur Erde gefallen waren, dass man sie am dritten Finger der linken Hand trug, weil die Ägypter glaubten, dass die Liebesader von der Spitze dieses Fingers direkt zum Herzen verlief und dass Diamanten so selten waren, dass im Lauf der Geschichte nur insgesamt 350 Tonnen davon geschürft worden waren. Sie wusste außerdem, dass Vivs Ring von Seite fünf des Argos-Katalogs stammte, ein mickriges Zehntelkarat wog und vermutlich nicht einmal hundert Pfund gekostet hatte. »Ist er nicht sagenhaft«, hauchte sie. »Sieh nur mal, wie er glitzert.«
Brav schwenkte Viv ihren pummeligen Finger, und der Diamant flackerte matt. Vielleicht, so überlegte Suzie insgeheim, war es nur Zirkonia. Dann hatte er nur 29,99 Pfund gekostet. Wie beleidigend.
»Was glaubst du, wann Greg die Frage aller Fragen stellt?«, wollte Viv wissen, indem sie ihrer Freundin eine Krume von der reich gedeckten Tafel ihres eigenen Glücks zuwarf.
»Er ist am Überlegen, das weiß ich. Vielleicht sind Verlobungen ja wie Schwangerschaften: Wenn es bei einer losgeht, ziehen die Freundinnen alle nach.« Auf einmal fiel ihr wieder ein, dass Viv sich genau deshalb verlobt hatte, weil sie ein Baby erwartete, und sie wünschte, sie hätte den Mund gehalten.
In der Intimität ihres kitschigen Schlafzimmers betrachtete Suzie am Abend die Prospekte. Es hieß, man solle ein bis zwei Monatsgehälter für einen Verlobungsring ausgeben. Netto oder brutto, fragte sie sich, während sie mit großen Augen den Solitär von einem Dreiviertelkarat bestaunte.
Ihre Theorie traf tatsächlich zu. Als Greg hörte, dass Viv und Derek heiraten wollten, kniete er sich hin, angespornt von kichernden italienischen Kellnern und einer zweiten Flasche Chianti und bat sie um ihre Hand. Sie erinnerte sich, dass sich das Kerzenlicht auf der Kuppel seines kahl werdenden Schädels gespiegelt und er feuchte Flecke unter den Armen gehabt hatte, aber wen kümmerte das schon? Endlich hatte er es getan.
In dieser Woche wusste Suzie, was Seligkeit war. Sie schwebte durch ihre Arbeit und brachte jeden dazu, nachsichtig über den Traum der jungen Liebe zu lächeln. Oder vielmehr jeden außer Viv, die fand, Suzie hätte einen etwas längeren Zeitraum verstreichen lassen können, bevor sie die gesamte Aufmerksamkeit der Kollegen an sich riss. Suzie konnte es kaum erwarten, sich am Wochenende in die Juwelierläden zu stürzen.
Am Samstag machten sie sich auf den Weg nach Hatton Garden, dem Zentrum der Londoner Diamantenhändler. Der Argos-Katalog taugte nicht für Suzie, und da sie sich Cartier nicht leisten konnten, bekam man auf diese Art das meiste für sein Geld. Suzie wusste natürlich genau, welchen Ring sie wollte. Das wusste sie schon, seit sie dreizehn war, aber nicht, ob Greg ihn sich leisten konnte. Greg hatte immer ein Geheimnis um sein Gehalt als Versicherungsvertreter gemacht.
Nachdem sie den Ring ihrer Träume ausgesucht hatte, hielt Suzie den Atem an. Er kostete fünfhundert Pfund. Einen Moment lang wirkte Greg bleich, als sei jemand auf Zehenspitzen über sein Grab geschlichen, doch dann schmunzelte er, zog eine Rolle Geldscheine hervor und zählte munter fünfhundert Pfund ab. »Wie gewonnen, so zerronnen«, sagte er grinsend. »Soll ich ihn ihr jetzt an den Finger stecken?«, fragte er den Verkäufer, auf einmal unsicher geworden.
»Ja, sicher. Möchten Sie ein Foto haben?« Der Mann zog eine Polaroid-Kamera hervor und knipste.
Suzie verbarg ihren Ring bescheiden vor Vic, protzte aber damit vor dem Rest der staunenden Mädchen aus Personalabteilung und Buchhaltung, die allesamt voller ehrlichem Neid Ooh und Aah machten. Den ganzen Tag lang drehte sie beim Tippen an dem Ring herum, damit er die Sonnenstrahlen einfing, deren Licht sich an jeder seiner sechsundfünfzig Kanten spiegelte und brach, bis in ihm das ewige Feuer erglühte, in das, wie Suzies Buch zu entnehmen war, Eros einst seine lockenden Pfeile getaucht hatte.
Am nächsten Abend war sie mit Greg auf einen Drink verabredet, um Hochzeitspläne zu schmieden. Suzie rühmte sich selbst, nicht an der Uhr zu kleben, aber heute schien sich jede Sekunde endlos hinzuziehen. Sie waren um sechs verabredet, aber um halb sechs gab sie auf und ging einfach früher. Sie wollte ihm sagen, wie sehr sie ihn liebte und dass sein Ring der schönste auf der ganzen Welt war. Nicht einmal Elizabeth Taylors birnenförmiger Diamant reichte an ihn heran. Sie käme zwar zu früh, aber das machte nichts. Würde sie eben ein Glas Weißwein trinken und ihren Diamanten bewundern.
In den dunklen Nischen des Glory Hole saßen nur Faulenzer und Trinker, doch das Mädchen aus Gregs Büro erkannte sie sofort. Sie war sehr jung und sehr, sehr hübsch mit ihrem Schmollmund und dem pfirsichfarbenen Teint, der sie aussehen ließ wie ein Mädchen vom Lande, wo sie doch in Wirklichkeit aus Braintree stammte. Greg störte sich allerdings nicht daran. Im Gegenteil – er hatte sich an sie gedrängt, presste ihren Rücken gegen die Bar und liebkoste ihren Hals. Suzie beobachtete die beiden eine ganze Minute lang, bis die Panik sie überkam und ihr den Atem nahm, als würde auch sie gegen etwas Schweres nach hinten gedrückt. Schließlich rannte sie aus dem Pub und rang keuchend nach Luft, um sich wieder zu beleben. Hatte er sich eingebildet, er hätte sie mit diesem Ring gekauft und könne sich nun aufführen, wie er wollte? Die Erinnerung an die unglückliche Ehe ihrer Eltern, ihren untreuen Vater, ihre Mutter, die ihn beschimpfte, beide in einen geisterhaften Tanz eingekerkert, aus dem offenbar keiner von beiden ausbrechen konnte, kam ihr plötzlich wieder in den Sinn. Sie hatte stets geschworen, dass ihr das nie passieren würde.
Als sie im Freien auf einer Bank saß, setzten die rationalen Erklärungen ein, wie es oft der Fall ist. Vielleicht hatte sie auch alles falsch verstanden. Vielleicht machten sie nur Spaß. Vielleicht. Und vielleicht hatte ihre Mutter sich genau das beim ersten Mal auch gesagt.