Ein Mann im Heuhaufen - Maeve Haran - E-Book

Ein Mann im Heuhaufen E-Book

Maeve Haran

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Beschreibung

Eine turbulente romantische Komödie über eine folgenreiche Party, eigenwillige Landbewohner und eine Hochzeit mit Hindernissen!

Aller schlechten Dinge sind drei: Zuerst zu viel irischen Whiskey, dann mit dem falschen Mann ins Bett und schließlich auch noch halb nackt auf der Titelseite der Morgenzeitung ... Flora Parkers Leben versinkt im Chaos. Dagegen hilft nur noch die Flucht aus London und raus aufs Land zur lange verschmähten Verwandtschaft. Doch deren Idyll wird ebenfalls bedroht: Die Farm steht kurz vor der Pleite, die Ehe der Tante steckt in der Krise, und ihre Töchter sind unglücklich. Flora schmiedet Rettungspläne, insbesondere da ein spleeniger Nachbar eine grandiose Wette verkündet: Wer von seinen beiden attraktiven Neffen bis Kirchweih unter der Haube ist, erbt Moreton Manor, ein wunderschönes Gut, mit allem Drum und Dran ...

Mit ihren turbulent-witzigen Geschichten über die Liebe, Freundschaft, Familie und die kleinen Tücken des Alltags erobert SPIEGEL-Bestsellerautorin Maeve Haran die Herzen ihrer Leser im Sturm!

»Maeve Haran erweist sich immer wieder als Spezialistin für locker-amüsante Geschichten mit Tiefgang!« Freundin

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Seitenzahl: 487

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Buch

Aller schlechten Dinge sind drei: Zuerst zu viel irischen Whiskey, dann mit dem falschen Mann ins Bett und schließlich auch noch halb nackt auf der Titelseite der Morgenzeitung … Flora Parkers Leben versinkt im Chaos. Dagegen hilft nur noch die Flucht aus London und raus aufs Land zur lange verschmähten Verwandtschaft. Doch deren Idyll wird ebenfalls bedroht: Die Farm steht kurz vor der Pleite, die Ehe der Tante steckt in der Krise, und ihre Töchter sind unglücklich. Flora schmiedet Rettungspläne, insbesondere da ein spleeniger Nachbar eine grandiose Wette verkündet: Wer von seinen beiden attraktiven Neffen bis Kirchweih unter der Haube ist, erbt Moreton Manor, ein wunderschönes Gut, mit allem Drum und Dran …

Autorin

Maeve Haran hat in Oxford Jura studiert, arbeitete als Journalistin und in der Fernsehbranche, bevor sie ihren ersten Roman veröffentlichte. »Alles ist nicht genug« wurde zu einem weltweiten Bestseller, der in 26 Sprachen übersetzt wurde. Maeve Haran hat drei Kinder und lebt mit ihrem Mann in London.

Von Maeve Haran bereits erschienen

Liebling, vergiss die Socken nicht · Alles ist nicht genug · Wenn zwei sich streiten · Ich fang noch mal von vorne an · Schwanger macht lustig · Und sonntags aufs Land · Scheidungsdiät · Zwei Schwiegermütter und ein Baby · Ein Mann im Heuhaufen · Der Stoff, aus dem die Männer sind · Schokoladenküsse · Mein Mann ist eine Sünde wert · Die beste Zeit unseres Lebens · Das größte Glück meines Lebens · Der schönste Sommer unseres Lebens

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Maeve Haran

Ein Mann im Heuhaufen

Roman

Deutsch von Ariane Böckler

Die Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel »The Farmer Wants a Wife« bei Little, Brown and Company, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright dieser Ausgabe © 2020 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright der Originalausgabe © 2001 by Maeve Haran

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2002 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Buchgewand Coverdesign | www.buch-gewand.de unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © Vadymvdrobot, © karandaev

DN · Herstellung: sam

ISBN978-3-641-26300-3V001

www.blanvalet.de

Für meine geliebte Tochter Georgia

für ihre Leidenschaft und ihren Scharfblick

1. Kapitel

Flora Parker schloss die Augen und kämpfte gegen das unangenehme Gefühl an, dass sie am Abend zuvor etwas richtig Schlimmes angestellt hatte.

Und zwar nicht schlimm auf ihrem gewohnten Niveau: in Nachtlokalen aufgeblasene Finanzfritzen anzumachen oder hirnlose Schnösel mit dicken Schlitten abzuschleppen, die sich einbildeten, sie hätten entsprechende Pimmel. Irgendetwas sagte ihr, dass es diesmal schlimmer war.

Viel schlimmer.

Eine Stimme, die sie dunkel als die ihres Gewissens erkannte, flüsterte ihr zu, dass sie am vergangenen Abend eine schwere Sünde begangen hatte, zumindest aber einen schweren Fehltritt.

Fehler Nummer eins war der Whiskey gewesen. Warum, o warum nur hatte sie auf einmal Geschmack an irischem Whiskey gefunden? Normalerweise verabscheute sie sämtliche Spirituosen, aber Miles hatte nicht lockergelassen. Blackmills Whiskey lancierte eine neue Marke, die trendige junge Leute ansprechen sollte, und Flo war eine der trendigen jungen Frauen, die man eingeladen hatte, um die Kampagne auf Touren zu bringen. Also musste sie das Zeug natürlich auch trinken, nur eben vielleicht nicht in derartigen Mengen. Aber schließlich machte Flo nie etwas nur halb, egal ob es etwas Schlimmes oder etwas Gutes war.

Sie versuchte aus dem Bett zu steigen, doch ihr Kopf fühlte sich an, als sei ein Düsenflugzeug darin gelandet und hätte die Schubumkehr eingeschaltet.

Fehler Nummer zwei lag neben ihr im Bett.

Zwischen ihr und der Wand erhob sich ein großer Klumpen unter der Bettdecke. Wenn es noch einen Gott gab und er sein Herz gegenüber Flo noch nicht ganz verschlossen hatte, würde sich der Klumpen als riesiges Plüschtier entpuppen, von ihr aus auch als eines dieser wirklich scheußlichen ausgestopften, die man auf Volksfesten gewinnen konnte. Flo sah sich nervös im Zimmer um, und ihr Blick blieb erschüttert an einem Paar schwarz-weißer Stiefeletten aus Ponyfell haften.

Sie stöhnte. Nur ein einziger Mensch in ganz London oder vermutlich im ganzen Universum war unsensibel genug, um solche Stiefeletten zu tragen. Was hatte sie denn mit Miles im Bett verloren? Miles war die tonangebende Figur in der Schickeria rund um Flo. Im schäbigen East End geboren, hatte er sein Leben in Walthamstow begonnen und bewohnte nun ein elegantes Haus in der King’s Road. Miles engagierte sich ein bisschen hier und ein bisschen da und verdiente irgendwie einen Haufen Geld. Außerdem kannte er jeden, der auch nur entfernt im Trend lag oder nützlich war, und konnte die Betreffenden dazu überreden, auf Partys zu erscheinen, um ihnen Glanz und Glamour zu verleihen. Und so war es gekommen, dass Flo für die Kampagne für Blackmills Whiskey engagiert worden war. Doch im Moment wurde ihr schon allein von dem Wort übel.

Miles war, seit sie denken konnte, hinter Flo her gewesen, doch bis gestern Abend hatte sie seinen Avancen widerstanden. Er sah auf übertriebene Weise gut aus und konnte witzig und bissig sein. Seine peinlich genauen und doch entsetzlich boshaften Beschreibungen von Leuten, die sie beide kannten, lösten bei ihr oft Lachkrämpfe aus, selbst wenn sie einen schuldbewussten Nachgeschmack hinterließen. Irgendwie hatte Miles etwas an sich, dem sie nicht traute. Seine sinnlich-dunkle Attraktivität erinnerte an den jungen Elvis: der gleiche üppige Schmollmund und die gleiche Extraschicht Fleisch auf dem recht hübschen Gesicht. Allerdings hatte sein Charakter überhaupt nichts Weiches. Miles übersah nie auch nur die kleinste Kleinigkeit.

Flo erschauerte beim Gedanken daran, was sie letzte Nacht womöglich getrieben hatten. Jemand, der mehr von einem Gentleman hatte als Miles, hätte die Situation sicher nicht ausgenutzt, doch Miles war kein Gentleman.

Aber schließlich bist du auch keine Lady, rief Flo sich streng in Erinnerung.

Trotzdem hatte sie ihre Grundsätze, auch wenn es nicht die von Mutter Teresa waren. Flos Maßstäben zufolge war es in Ordnung, mit zwanzig Männern zu schlafen (natürlich nicht gleichzeitig, obwohl das ganz neue Perspektiven eröffnen würde), vorausgesetzt, sie wollte das. Die unverzeihlichste Sünde war es, mit jemandem zu schlafen, mit dem sie nicht schlafen wollte.

Sie versuchte sich damit zu trösten, dass die meisten Frauen so etwas schon mal getan hatten. Entweder hatten sie es nicht fertiggebracht, Nein zu sagen, oder der Typ hatte ihnen leidgetan. Oder (peinlich, das zugeben zu müssen) es war ihnen zu viel Aufwand, sich ein Minicab für den Rückweg nach Clapham zu besorgen. Sex sollte eigentlich ein Garten der Lüste sein, aber manchmal war er eher ein bequemer Hinterhof.

Flo verfügte über keine dieser Ausreden. Sie befand sich in ihrer eigenen Wohnung, unter ihrer eigenen Bettdecke und galt als stark, unerschrocken und hundertprozentig selbstsicher.

Wenn sie aber so stark und unerschrocken war, so fragte ein gehässiges Stimmchen, wie war es dann dazu gekommen, dass sie eine halbe Flasche Whiskey getrunken hatte und mit Miles im Bett gelandet war?

Heiß wallten Scham und Wut in ihr auf und überzogen ihre Haut mit Röte. Selbstsicher zu sein hieß nicht, dass man mit jemandem ins Bett stieg, der einen an eine Boa Constrictor vor dem Mittagessen erinnerte. Jetzt hatte er sein Mittagessen gehabt. Sie selbst war verschlungen worden.

Sie konnte sich Miles’ höhnisches Grinsen, wenn er aufwachte, lebhaft ausmalen, ganz zu schweigen von seinem Eifer, dort weiterzumachen, wo sie letzte Nacht aufgehört hatten. Doch dann kam ihr ein aufheiternder Gedanke: Möglicherweise hatte Miles ja genauso viel getrunken wie sie, und sie war infolge von Blackmills-Schlappheit vor ihrem Schicksal bewahrt worden.

Neben ihr regte sich die Bettdecke, und Miles’ Gesicht kam zum Vorschein. Ein wissendes Lächeln erhellte seine klugen, berechnenden Augen.

»Guten Morgen, Herrlichste. Endlich hast du dich ergeben. Und ich muss zugeben« – er beugte sich besitzergreifend zu ihr – »du warst das Warten wirklich wert.«

Flo musste sich beherrschen, um ihn nicht zu ohrfeigen. Der Widerling bildete sich auch noch ein, sie wäre von dieser Eröffnung geschmeichelt.

Miles setzte sich auf und lehnte sich gegen ihre Lieblingskissen. Seine Haut war bleich und unbehaart, ein starker Kontrast zu seinen fast schwarzen Haaren. Die meisten Frauen in ihrem Dunstkreis waren verrückt nach ihm. Miles’ spezielle Ausstrahlung verwegener Blasiertheit, garniert mit einem Hauch Brutalität, verschaffte ihnen spontane Orgasmen. Doch Flo war keine von ihnen.

Sie sprang aus dem Bett, dankbar dafür, dass ihre wirre blonde Mähne (kein Friseur konnte sie so bändigen, dass es schick aussah) fast ihre Brüste bedeckte und sie wenigstens noch ein Höschen mit Leopardenmuster anhatte.

»Wir haben keine Milch mehr«, verkündete sie zur Erklärung.

Miles lächelte verführerisch. »Das Opfer bringe ich gerne.«

»Lass nur«, sagte Flo lapidar. Sie musste einfach weg. Zum Nachdenken. Um sich eine Ausrede einfallen zu lassen, mit der sie ihn loswurde, ohne ihn massiv zu beleidigen. Miles war nicht der Typ, den man sich zum Feind machen durfte, selbst wenn man ihn nicht als Liebhaber wollte. Außerdem war sie ihm zumindest eine Spur Würde schuldig.

Sie entdeckte einen ihrer zwölf Zentimeter hohen Jimmy-Choo-Stilettos unter dem Bett und hüpfte auf der Suche nach dem anderen umher.

»Traumhafte Schuhe. Du siehst aus wie eine Edel-Stripperin«, lobte Miles. »Oder wie eine Tänzerin aus dem Crazy Horse. Ich sehe dich schon mit Quasten behängt vor mir.«

»Tut mir leid, Junge.« Flo streifte den Schuh ab, da sie sein Gegenstück nicht finden konnte und außerdem Miles nicht die Genugtuung gönnen wollte, zu sehen, wie sie auf der Suche danach den Po in die Höhe reckte. Gott allein wusste, welch niedriges Verlangen das auslösen würde. »Du wirst dich schon mit einem Regenmantel und Turnschuhen zufriedengeben müssen.«

Als sie die Schlafzimmertür öffnete, stürzte sich ein kleines, weißes Wollknäuel auf sie und bedeckte ihre Knöchel mit nassen Küssen. Flo bückte sich und kitzelte ihre winzige Terrier-Dame hinter den Ohren. »Hallo, Snowy. Na, wer ist ein tapferer Wachhund?«

Die liebevolle Verehrung wandelte sich zu einem Knurren, als Snowy Miles im Bett ihres Frauchens entdeckte. Snowy war ein Geschenk eines früheren Gespielen gewesen, der darauf bestanden hatte, dass Flo, wenn sie schon sein Herz nicht wollte, wenigstens sein Hündchen behalten sollte. Zweifellos sah Snowy in Miles den Feind.

»Komm schon, braver Hund«, lockte Flo, »komm und geh mit mir Milch holen.« Snowy, die von Mr Sanjay, dem der Laden an der Ecke gehörte, immer Schokoriegel zugesteckt bekam, kläffte begeistert.

Vor der Wohnung konnte Flo endlich wieder atmen. Miles’ Gegenwart hatte ihr die Kehle zugeschnürt wie Asthma.

Der melancholische Mr Sanjay lächelte ihr zu, als sie näher kam, und stellte sogar sein Radio leiser, eine ungewohnte Ehre.

»Eine wunderschöne gute Morgen, Miss Parker«, begrüßte er sie.

Mr Sanjays Bandbreite an Begrüßungsfloskeln war schillernd.

Bildete Flo sich das nur ein, oder sah er sie heute Morgen wirklich seltsam an? Sie blickte in den Spiegel, den Mr Sanjay wie einen kleinen Schrein zwischen den Rothmans- und Marlboro-Schachteln verbarg, um zu sehen, ob sie einen dicken Pickel hätte, eine weitere Nebenwirkung von zu viel Blackmills. Aber nein, ihre altbekannten Gesichtszüge sahen ihr entgegen: zerzauste blonde Haare, große haselnussbraune Augen, die ausnahmsweise einmal nicht mit drei Tage alter Wimperntusche verschmiert waren, eine kräftige Nase, wie ihre Mutter stets dazu gesagt hatte, und ein entsprechendes Kinn. Nicht schön, aber dafür umso sexyer.

»Sehr schöne Foto«, erklärte Mr Sanjay und starrte nicht auf Flo, sondern in die mittlere Entfernung hinter ihr. »Sehr lebhaft und fröhlich.«

Snowy, die ihr gewohntes Leckerchen vermisste, stellte sich aufmunternd auf die Hinterbeine.

»Was ist ein sehr schönes Foto?«, wollte Flo wissen und nahm eine Tüte Milch aus der Kühltheke.

»Die von Ihnen.« Mr Sanjay wies auf die aktuelle Tageszeitung und versuchte ein respektloses Grinsen zu unterdrücken. »In Zeitung.«

Flo folgte der Richtung von Mr Sanjays Zeigefinger. Und da war sie, auf der Titelseite der Daily Post, entblättert bis auf den Wonderbra und hielt eine Flasche Blackmills in die Kamera. HALLOJUNGS, lautete die Überschrift, LUSTAUFEINEZWEITERUNDE?

Eine heiße Welle der Scham überrollte Flo, und ihr wurde schlecht und schwindlig zugleich. Nun erinnerte sie sich nach und nach an alles. Der Blackmills, der ihr, die sonst Whiskey nie anrührte, so unschuldig erschienen war, und das Aufflackern der Blitzlichter. Warum konnte sie da, verdammt noch mal, nie widerstehen? Sie griff nach der Zeitung und fragte sich, ob ihr Vater das wohl zu sehen bekommen würde. Doch die Post wurde sicher nicht nach Amerika exportiert.

Aber ist das nicht genau das, was du wirklich willst?, fragte eine innere Stimme.

Rührte nicht die Hälfte aller Schlamassel, in die sie geriet, zumindest zum Teil daher, dass es ihrem Vater offenbar egal war, ob sie auch nur auf demselben Planeten lebte wie er? Auf undurchsichtige Weise schien er sie auch noch für den Tod ihrer Mutter verantwortlich zu machen.

»Ach, spar dir das Selbstmitleid, Flora«, schalt sie sich selbst erbarmungslos. »Du hast Mist gebaut, sieh’s ein.«

In diesem Moment wusste Flo, dass sie verschwinden musste. Weg von Miles und der grotesken Schmarotzerwelt, in der sie lebten, wo Image alles bedeutete und man zu einer Art schäbigen Berühmtheit wurde, wenn man in betrunkenem Zustand die Bluse auszog.

Aber wohin konnte sie schon gehen? Wenn sie doch nur einen Bruder oder eine Schwester hätte. Zum millionsten Mal sehnte sich Flo nach einer glücklichen Familie, einer Familie, wie sie es einst gewesen waren, bevor ihre Mutter krank wurde. Seit ihre Mutter tot war, gab es niemanden mehr. Keine liebevollen Verwandten, die sie wegen ihrer Wildheit aufzogen und ihr alles verziehen. Stattdessen besaß sie ein überquellendes Adressbuch voller sogenannter Freunde. Aber abgesehen von Miranda, ihrer Verbündeten und Freundin seit der Schulzeit, würde es im Grunde niemandem ernsthaft etwas ausmachen, wenn sie sich nie wieder meldete.

Eine entfernte Erinnerung drängte sich in ihre Gedanken – ein Familienurlaub im Haus ihrer Tante auf dem Land. Es hatte wie ein glückliches Haus auf sie gewirkt, getaucht in goldenes Sonnenlicht, voller Wärme, Kinder und Hunde, schäbig und doch gemütlich. Das war gewesen, bevor alles anders geworden war. Ob sie jetzt dorthin fahren sollte? Aber wie würde ihr zugeknöpfter Onkel reagieren, wenn seine ungebärdige Nichte, die gerade überall in der Boulevardpresse zu bewundern war, urplötzlich auftauchte und sich in den Schoß seiner Familie stürzte?

Als sie mit Snowy im Schlepptau versuchte, den Laden zu verlassen, wurde sie in einen peinlichen kleinen Tanz mit einem Mann verwickelt, der gerade hineinwollte. Schließlich trat Flo beiseite und ließ ihm den Vortritt. Der Blick des Mannes wanderte von Flo zu der Zeitung, die auffällig auf dem Drahtgestell lag. »Alle Wetter«, murmelte er, »sind das nicht Sie, ich meine …?«

Flo packte Snowy und rannte zu ihrer Wohnung zurück. Die einzige Schwester ihrer Mutter würde ihr doch nicht die Tür weisen, auch wenn sie sich abgesehen von Weihnachtskarten all die Jahre nicht gemeldet hatte?

Der Gedanke an ihre Mutter löste einen plötzlichen Schmerz in ihr aus. Sie hatte nie aufgehört, sie zu vermissen, keinen einzigen Tag. All der Kummer über den Verlust ihrer Mutter und die abweisende Haltung ihres Vaters brach nun über sie herein, und sie würgte an ungeweinten Tränen.

Flos alter Käfer parkte vor der Wohnung. Sie konnte sich nicht dazu überwinden, hineinzugehen und Miles gegenüberzutreten. An der anderen Straßenecke stand der Blumenhändler und rief ihr einen Gruß zu. Er war ein alter Bekannter. Sie kaufte ihm jede Woche einen Strauß Rosen ab, und wenn sie pleite war, was ziemlich oft vorkam, gab er sie ihr billiger und erklärte, ein schönes Mädchen wie sie müsse schöne Blumen haben, vor allem, wenn er an die ganzen alten Schreckschrauben dachte, die Sträuße für dreißig Pfund bei ihm kauften.

»Terry, könntest du mir einen Gefallen tun?«

»Was hast du denn schon wieder angestellt?« Terry genoss es, von Flos jüngsten Abenteuern zu hören.

Sie ignorierte seine Anspielung. Er würde es früh genug erfahren. Sie griff nach einem Strauß roter Rosen. »Könntest du die dem Gentleman in meiner Wohnung bringen? Und ihm ausrichten, dass ich überraschend wegmusste?«

»Und ihm für letzte Nacht danken. Ist das nicht eigentlich Sache des Mannes?«

»Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde. Womöglich verdrischt er dich dann.«

Eilig stieg sie mit Snowy in den Käfer und fuhr um die Ecke. Sie parkte hinter einem Lastwagen, von wo aus sie ihr Haus gerade noch im Auge behalten konnte.

Der Blumenhändler wickelte die Blumen ein, trug sie über die Straße an ihre Haustür und klingelte. Ein oder zwei Minuten später erschien Miles in ihrem Bademantel. Sein erwartungsvolles, durchtriebenes Grinsen verschwand, sobald er Terry sah, und wurde von einem Blick derartiger Abneigung abgelöst, dass sie erschauerte. Miles nahm die Blumen und warf sie voller Zorn in den Kellerschacht der Nachbarn.

»Ach du Scheiße, Snowy«, vertraute Flo ihrem Hündchen an. »Das lief ja gar nicht gut, was? Offenbar hasst er mich jetzt.« Sie gab Gas und erkannte während ihrer übereilten Flucht, dass sie Miles eigentlich keinen Vorwurf machen konnte. »Schließlich habe ich mein Leben bis jetzt ganz schön verbockt, was?«

2. Kapitel

»Hallo, ist dort Tante Prue?« Flo musste brüllen, weil die Telefonzelle, die sie wegen des dortigen Telefonbuches statt ihrem Handy benutzte, vor einer Tankstelle direkt an der Autobahn stand und Lastwagen vorbeidonnerten. »Hier ist Flo, Flora Parker. Deine Nichte.«

Das erstaunte Schweigen sagte ihr, dass ihre Tante tatsächlich völlig baff war, nach so langer Funkstille von Flo zu hören.

»Ich weiß, dass das vermutlich ein ziemlicher Schock für dich ist, aber ich wollte fragen, ob ich kommen und ein Weilchen bei euch bleiben könnte? Ich stecke in einer Art Krise.«

Noch während sie die Worte sprach, wurde ihr klar, dass sie sich damit womöglich nicht als der ideale Hausgast präsentierte. Eine durchgeknallte Nichte, die völlig unerwartet anrief, stand nicht unbedingt ganz oben auf der Wunschliste von Tanten. Trotzdem zögerte ihre Tante diesmal keine Sekunde, bevor sie antwortete.

Prue Rawlings glaubte daran, dass Blut bedeutend dicker war als jede andere Substanz. Ja, sie hatte Flo sogar ein Zuhause bei ihnen anbieten wollen, als die schreckliche Geschichte mit Mary passiert war, doch ihr Ehemann Francis wollte nichts davon wissen. »Wir haben schon genug Mädchen, die wir ernähren und kleiden müssen. Noch dazu sind sie wahrscheinlich alle so dämlich, dass sie auf Privatschulen gehen müssen. Was wollen wir da mit noch einer? Schließlich springt ja kein Geld dabei heraus. Wenn es ein Junge wäre, könnte er wenigstens auf dem Hof mithelfen.«

»Typisch schäbiger, kleingeistiger Bauer«, hatte Prue seinerzeit gedacht. Doch wie üblich hatte sie nichts gesagt. Prue ging so einiges durch den Kopf, was ihren Mann schwer gewundert hätte. Zum Beispiel träumte sie manchmal davon, dass er unter seinen eigenen Mähdrescher fiele und zu ordentlichen Heuballen verarbeitet würde.

»Natürlich kannst du kommen, Liebes. Wann denn?«

Flo war so schnell gefahren, dass sie nur noch eine Stunde entfernt war, doch sie nahm an, dass Tante Prue ein Weilchen bräuchte, um mit dem Schock fertig zu werden, dass das schwarze Schaf ihrer Familie sich in ihrer Mitte niederlassen wollte.

»Gegen vier?«, schlug sie vor.

»Das passt gut. Bis dahin habe ich die lästige Abholerei von der Schule geschafft. Ich freue mich schon, dich zu sehen.«

Flora legte auf und fragte sich, was sie die nächsten fünf Stunden tun sollte. Das verführerische Aroma von Burger King stieg ihr in die Nase. Warum war Fett eigentlich so schädlich und roch dabei so gut? Genau wie alles andere im Leben. Sie verzichtete zugunsten von Pfannkuchen mit Ahornsirup auf einen Doppel Whopper und überlegte, ob Miles sich wohl angezogen hatte und nach Hause gegangen war. War er der Typ, der ihre Wohnung verwüsten, die Daunendecke aufschlitzen und Bücklinge in die Vorhänge nähen würde? Sie vermutete es, aber nicht in so platter Form. Dazu war Miles zu berechnend. Seine Rache würde er kalt anrichten, doch sie wäre umso wirkungsvoller.

Sie tankte bleifreies Benzin nach, aß ein Mars und merkte, dass sie dringend aufs Klo musste. Erst als sie sich beim Kassierer den Schlüssel geholt hatte und dabei seinem Blick ausgewichen war, falls er sie anhand des Zeitungsfotos erkannte, und sich zwischen Stapeln alter Zeitschriften, gefährlich aussehenden Putzchemikalien und Kanistern voller Scheibenreiniger den Weg gebahnt hatte, begriff sie, wie sehr sie in der Tinte saß. Es war ja gut und schön, ganz spontan umwälzende Lebensentscheidungen zu treffen. Das tat sie andauernd. Aber diesmal hatte sie es ohne Kleider unter ihrem Regenmantel getan – vom Höschen einmal abgesehen. Das war Reisen mit leichtem Gepäck in übertriebener Form. Was, wenn sie auf der Autobahn angehalten wurde? Man würde sie verdächtigen, eine Exhibitionistin zu sein, die es darauf abgesehen hatte, andere Fahrer in den Tod zu locken wie eine moderne Scylla – oder war es Charybdis? Sie hatte Berichte über Frauen gehört, die splitternackt mit ihren BMWs die Überholspur der M25 entlangrasten, aber nicht die Absicht gehabt, selbst in einem solchen vorzukommen.

Sie würde unterwegs in irgendeiner Stadt haltmachen und etwas Passendes zum Anziehen kaufen müssen, bis sie ihre Freundin Miranda überreden konnte, ihre Wohnung zu plündern und ihr eine Tasche zu packen.

Das Problem war nur, dass es keine Städte gab. Sie war bereits hinter Swindon, und die nächste Stadt von nennenswerter Größe lag der Landkarte zufolge meilenweit hinter Maiden Moreton, wo Tante Prue lebte. Sie müsste sich mit einem Ort namens Witch Beauchamp zufriedengeben. Seltsamer Name. Sie fragte sich, ob man dort Hexen verbrannte, und hoffte, dass die Bewohner nicht nach frischem Blut lechzten. Witch Beauchamp lag nur acht Kilometer von Maiden Moreton entfernt, aber es sah auf der Karte recht groß aus. Sie brauchte ja nicht viel. Zahnbürste, Nachthemd, Jeans, einen Pulli. Ach, und Gummistiefel. Sogar Flo wusste, dass man auf dem Land Gummistiefel brauchte.

Kurz vor Witch Beauchamp begann Snowy zu jaulen. Das Geräusch kannte sie gut. Noch fünf Minuten, und sie hätte eine Pfütze auf dem Sitz. »Warum bist du denn nicht an der Tankstelle gegangen? Weißt du nicht, was die Queen Mum immer sagt? Geh nie an einem Klo vorüber, wenn sich eines bietet. Obwohl man in deinem Fall wohl eher sagen müsste, geh nie an einem Baum oder einem Paar extrem teurer Schuhe vorüber.«

Sie hielt am Straßenrand. Es war ein herrlicher Frühlingstag. Die Wolken jagten über den Himmel und zeichneten Muster aus Sonnenschein und Schatten auf die Hügel vor ihr. »Munterer Märzwind« hatte John Masefield das mit derartiger phonetischer Perfektion genannt, dass es einem für ewig im Gedächtnis blieb. Als Teenager hatte sie Gedichte geliebt. Was, wenn sie doch auf die Universität gegangen wäre? Ihre Mutter hatte es sich sehnlichst für sie gewünscht, doch der Krebs, der sie schließlich umbrachte, war mitten während Flos Abiturvorbereitungen aufgetreten, und von da an waren ihr Shakespeares Sonette und George Eliots Werke nur noch nebensächlich erschienen. Erstaunlicherweise hatte man ihr trotzdem einen Studienplatz angeboten. Aber sie war so wütend auf ihren Vater gewesen, weil er sich einbildete, das Monopol auf Trauer zu besitzen, dass sie ein ganz anderes Angebot angenommen hatte: als Zigarettenmädchen im Mezzo, diesem riesigen In-Lokal. Ihr gefiele das Kostüm, hatte sie ihrem Vater schamlos eröffnet, außerdem sei die Bezahlung besser. Er war von ihrer Rebellion angewidert gewesen und hatte das als Aufforderung verstanden, nach Amerika überzusiedeln, jedoch nicht ohne ihr zu versichern, dass er immer für sie da wäre, wenn sie ihn bräuchte. Bei den lächerlichen fünftausend Kilometern natürlich wunderbar zu verwirklichen.

Snowy hockte sich schließlich vor einen Brombeerbusch, doch gerade als Flo sie wieder ins Auto befördern wollte, raste das Fellknäuel wie ein Torpedo aufs nächste Feld zu.

»Snowy! Komm zurück, du grässlicher Köter!«, brüllte Flo. Falls Hunde jemandem eine lange Nase drehen können, so tat Snowy genau das. Indem sie die Rufe ihres Frauchens ignorierte, tollte sie weiter in das Feld hinein.

Flo musterte das Stück Land, das von der Straße durch massiven Stacheldraht abgetrennt war. Es schien eine große Weide zu sein, auf der Kühe friedlich wie auf einem Gemälde von Constable grasten. Aber Gott weiß, was die Tiere tun würden, wenn sie Snowy sahen. Wahrscheinlich ausbrechen und derart panisch die Flucht ergreifen, dass ihre ganze Milch sauer würde und der Bauer Snowy erschösse, um ein Exempel zu statuieren. Zuerst konnte Flo keinen Weg durch die Hecke finden, doch bei genauerer Betrachtung stellte sie fest, dass das Feld ein Gatter mit fünf Querstreben hatte. Flo kletterte hinüber. Mitten auf dem Feld stand ein Heuhaufen, den Snowy aufgeregt beschnüffelte. Vielleicht hatte sie eine Ratte oder eine harmlose Feldmaus entdeckt, die sich zitternd darin verbarg. Was auch immer es war, Flo war dem Tierchen dankbar, da es Snowy wie angewurzelt stehen bleiben ließ und Flo sich von hinten an sie anschleichen konnte.

Sie hatte den ungehorsamen Hund schon fast erwischt und war ziemlich stolz auf ihre Anpirschtechnik, als sie direkt hinter ihrer linken Schulter schweres Atmen vernahm. Typisch, dass ausgerechnet sie das Pech haben musste, dem einheimischen Vergewaltiger auf seiner Erkundungstour zu begegnen. Es war doch allgemein bekannt, dass es auf dem Land massenhaft Perverse gab.

Als langjährige Londonerin wusste Flo, dass es nur eine Methode gab, um mit einem Perversen fertig zu werden, und zwar so laut wie möglich zu schreien, um ihn zu verjagen. Sie drehte sich um, um ihrem Angreifer in die Augen zu sehen, doch es war kein Vergewaltiger, ja nicht einmal ein alter Lustmolch. Eine große Gruppe von Kühen war ihr und Snowy gefolgt und schloss sich nun enger und enger um sie wie in einer Szene aus Rosemarys Baby. Zu allem Überfluss erkannte Flo mit heftig pochendem Herzen, dass die Kühe keine Euter hatten! Ja, es wurde immer offensichtlicher, dass es sich überhaupt nicht um Kühe handelte. Nur sie, Flora Parker, die Niete, konnte an ihrem ersten Tag auf dem Land auf einer Weide voller wild gewordener Stiere landen.

In diesem Moment kam ihr eine Eingebung – eine atavistische Erinnerung aus den Tagen, als der Mensch noch Jäger und Sammler war. Vor die Wahl gestellt, zu kämpfen oder zu fliehen, floh sie. Den heißen Atem der Stiere nur Millimeter hinter ihr, flitzte sie mit Rekordgeschwindigkeit auf den Heuhaufen in der Mitte des Feldes zu, packte Snowy und kraxelte hinauf. Die Stiere, nach wie vor schnaubend und blutrünstig, folgten ihr und platzierten sich an dessen Fuß. Vermutlich waren sie von ihren spanischen Vettern aufgehetzt worden und machten einzig und allein sie für den grausamen Sport des Stierkampfs verantwortlich.

Flo versuchte, nicht in Panik auszubrechen und fragte sich, was eine Landbewohnerin wohl in ihrer Lage tun würde. Dummerweise hatte sie keine Ahnung. Stattdessen entschied sie sich für den Weg der Städterin und griff nach ihrem Handy, das sie glücklicherweise außer Höschen, Schuhe und Mantel dabeihatte. In ihrer Angst war der einzige Mensch, der ihr als möglicher Ansprechpartner einfiel, ihre Freundin Miranda. Miranda war wenigstens auf dem Land aufgewachsen, bevor sie es mit achtzehn verlassen und sich aus vollem Herzen geschworen hatte, nie mehr zurückzukehren.

Miranda saß in ihrem schicken Büro mit Blick auf den Kanal im urbanen Camden Town und nahm die dramatische Schilderung mit bewundernswerter Gelassenheit auf. »Diese Stiere. Kannst du sie mir beschreiben? Groß, klein, schwarz-weiß?«

»Miranda.« Flo versuchte ihre Angst mit Sarkasmus zu dämpfen. »Natürlich sind sie nicht schwarz-weiß. Sogar ich weiß, dass die Schwarz-Weißen Kühe sind. Die hier sind alle einfarbig, irgendwie kackfarben und einer oder zwei sind ganz schwarz. Und sie sind absolut riesenhaft!«

»Okay, haben sie Penisse?«

»Also ehrlich, Miranda.« Flo verzweifelte langsam. »Woher zum Teufel soll ich das wissen? Ich bin nicht Katharina die Große auf der Suche nach einem Quickie. Ich hocke hier oben, und sie sind unten und schnauben mich an. Soll ich sie etwa fragen?«

»Wie groß sind sie?«

Flo verlor langsam die Geduld mit ihrer Freundin. Miranda schien die Dringlichkeit der Lage nicht zu begreifen. »Hör mal, Miranda, ich würde ja gern mit dir plaudern, aber das führt doch zu nichts. Ich glaube, ich wähle einfach den Notruf.«

»Nein, ganz im Ernst, Flo. Ich meine, ob sie so groß sind wie Stiere auf Stierkampf-Plakaten, oder ob sie mehr wie zu groß geratene Kälber aussehen.«

Flo musterte die zwanzig oder dreißig Tiere, die nach wie vor um sie herumlungerten. »Ich würde sagen, sie sind nicht wahnsinnig groß«, gestand Flo ein. »Aber es sind unheimlich viele.«

»In diesem Fall«, erklärte Miranda, »erscheint mir das eher wie …«

»Wie der Ochs vorm Berg!«, dröhnte eine lachende Männerstimme wenige Meter hinter ihr. Flo wirbelte auf ihrem luftigen Sitz herum, das Handy nach wie vor ans Ohr gedrückt, und sah zwei junge Männer, die sie von der anderen Seite des Heuhaufens aus beäugten. Einer hatte blonde Haare, grüne Augen und war unglaublich attraktiv wie ein Model aus einem dieser Kataloge für strapazierfähige Outdoorbekleidung – nur, dass deren Models wie schwule Lehrer aussahen, während an diesem Abbild strahlender Männlichkeit, das sie nun anlachte, absolut nichts Schwules war. Der andere war dunkelhaarig und trug ein frisches Baumwollhemd und Jeans.

»Wie kommen Sie dazu, mich in dieser Lage noch zu verarschen?«, fauchte Flo. Wie zur Bekräftigung begann Snowy aufgeregt zu kläffen.

»Ich glaube, was mein Bruder meint«, erklärte der Dunkelhaarige, den sie noch kaum wahrgenommen hatte, da er von seinem goldblonden Begleiter so überstrahlt wurde, »ist, dass diese Tiere keine Stiere sind, sondern Ochsen. Sie sind nicht gefährlich, sondern nur neugierig.« Flo musterte ihn kritisch. Mit seinen dunklen Haaren und den blauen Augen war er nicht ganz so umwerfend wie sein Bruder, der dem Idealbild des gefallenen Engels entsprach, aber man würde ihn an einem kalten Winterabend auch nicht von der Bettkante stoßen. Es sei denn, er hieße Miles, sinnierte Flo schuldbewusst und fragte sich, ob dieser die ihm angetane Demütigung verkraftet hatte oder soeben ihre Dessous zerfetzte.

Flo besann sich ihrer Würde. Sie war hierhergekommen, um ihrem oberflächlichen Leben zu entfliehen, nicht, um einen Vertrag mit einer ländlichen Partnervermittlung abzuschließen. »Tja, für mich sehen sie wie Stiere aus.«

»Flo! Flo, was ist denn los?«, brüllte eine körperlose Stimme aus dem Handy. Flo hatte Miranda komplett vergessen.

»Alles in Ordnung, Miranda. Der Bauer ist gekommen, oder vielmehr zwei Bauern, um diese ausgerasteten Rindviecher auf Kurs zu bringen.«

»Glaubst du also, du wirst die Sache überstehen, ohne auf die Hörner genommen zu werden?« Ihre Freundin lachte. »Da bin ich aber erleichtert. Ich rufe dich später noch mal an. Jetzt muss ich in eine Besprechung.« Die Verbindung wurde unterbrochen.

»Soll ich den Hund nehmen?«, erbot sich der gefallene Engel. »Ich glaube, er macht den ausgerasteten Rindviechern Angst.«

Flo, die schon zum Einlenken bereit gewesen war, wurde erneut wütend. »Ich hoffe, Sie wollen mich nicht für das Benehmen Ihrer Tiere verantwortlich machen.«

»Gott bewahre!«, entgegnete er, und seine grünen Augen funkelten. »Ja, wir werden diese wilden Stiere vorsichtshalber gleich allesamt schlachten lassen, oder nicht, Hugo?« Er fasste nach Snowy, doch der Hund fletschte unerklärlicherweise die Zähne.

»Nimm du ihn, Hugo. Mein Bruder Hugo hat nämlich ein Händchen für Tiere.«

Hugo griff nach dem Hund, der sich zu Flos Überraschung in seine Arme schmiegte wie ein Lamm. »Dafür hat mein Bruder Adam ein Händchen für …«

»Vielen Dank, Hugo«, fiel ihm der blonde Adonis ins Wort. Er klatschte in die Hände, und die Tiere zerstreuten sich in alle vier Ecken des Feldes. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen herunter.« Adam streckte die Arme aus, um sie aufzufangen, und Flo versuchte, sich anmutig hineingleiten zu lassen. Dabei klaffte ihr Regenmantel plötzlich auf und enthüllte das, was Flo in ihrer Panik und Wut vergessen hatte: nämlich, dass sie darunter nichts weiter anhatte als Turnschuhe und ein Höschen mit Leopardenmuster.

Adam grinste nur. Hugo wandte diskret den Kopf ab und tätschelte Snowy. Dann wechselte er einen Blick mit seinem Bruder. »Offenbar zieht man sich in London anders an.«

Flo trat die Flucht nach vorn an, indem sie so tat, als sei ihr Aufzug völlig normal.

»Wie kommen Sie darauf, dass ich aus London stamme?«, wollte sie wissen.

Hugo reichte ihr eine Hand, um ihr über einen gigantischen Kuhfladen zu helfen. »Nur eine vage Vermutung«, sagte er und zuckte die Achseln. »Einfach weil die meisten Mädchen hier aus der Gegend Kleider tragen.«

»Hugo, wo sind denn deine Manieren?«, schalt ihn Adam unvermittelt. »Wir sollten uns erst einmal vorstellen. Ich bin Adam Moreton, und das ist mein vernünftiger Bruder Hugo. Wir betreiben zusammen mit unserem Onkel in Maiden Moreton eine Landwirtschaft. Dieses Feld steht zum Verkauf. Wir haben es nur gerade begutachtet.«

»Genau wie jeder andere Bauer im Umkreis«, fügte Hugo hinzu.

»Und werden Sie es kaufen?«

»Möglicherweise.« Adam lächelte verführerisch, und seine grünen Augen leuchteten auf. »Es wird uns an Sie erinnern.«

»Eine teure Erinnerung«, warf Hugo ein. Flo war sich nicht sicher, ob sie ihn mochte. Er hatte etwas Herablassendes an sich. Vielleicht war ihm das umwerfend gute Aussehen seines Bruders ein steter Dorn im Auge. »Der Besitzer will doppelt so viel, wie es wert ist.«

»Hugo weiß immer, was alles kostet.« Adams Stimme wurde kaum merklich schärfer. »Und dazu noch, wie viel Rendite es übernächstes Jahr abwirft.«

Die plötzlich zwischen ihnen aufgeflammte Gereiztheit machte Flo neugierig.

»Irgendjemand muss es ja wissen«, wandte Hugo ungerührt ein. Flo nahm einen Hauch Stahl hinter der gelassenen Fassade wahr. »Onkel Kingsley weiß es jedenfalls nicht.«

»Unser Onkel«, vertraute Adam ihr an, während er sie an Disteln und Kaninchenbauten vorbeibugsierte, »ist charmant, aber exzentrisch. Er hält nichts von modernen landwirtschaftlichen Methoden, und deshalb haben wir auch den schönsten Hof weit und breit.«

»Und den, der am wenigsten einbringt«, fügte Hugo hinzu. »Es gibt schon seit vierhundert Jahren Moretons in Maiden Moreton. Und Onkel Kingsley glaubt, sie werden auch die nächsten vierhundert da sein.«

»Hoffen wir mal, dass er recht hat«, murmelte Hugo grimmig, »zumindest die nächsten zehn.«

Sie waren wieder an Flos Auto angelangt.

»Sie haben uns noch nicht verraten, wer Sie sind«, bedrängte sie Adam und öffnete ihr mit übertrieben galanter Geste die Tür. Er war wirklich sagenhaft attraktiv.

»Ich heiße Flora Parker und bin auf dem Weg zu meiner Tante und meinem Onkel. Sie kennen sie wahrscheinlich. Prue und Francis Rawlings. Sie leben auf einem Hof namens Hunting Farm.«

Hugo grinste seinen Bruder an. »Allerdings. Zumindest Adam kennt sie. Ihre Tochter Veronica hat eine Schwäche für ihn. Aber das hat schließlich der halbe Landkreis, nicht wahr, Adam? Es ist die Hölle, einen Bruder zu haben, der aussieht wie Michelangelos David in Fußballshorts.«

»Und wer war das im Klartext?«, wollte Adam wissen.

Flo war sich nicht sicher, ob er scherzte oder nicht, aber wer wollte sich bei seinem Aussehen schon beschweren?

»Sollen wir Ihnen bis zum Haus Ihrer Tante vorausfahren?«, bot Adam an, und seine grünen Augen luden sie nicht nach Maiden Moreton ein, sondern ins Paradies. »Wir fahren sowieso in die Richtung, stimmt’s, Huge?«

Flos Tagträume erlitten einen kleinen Einbruch. Konnte sie sich tatsächlich für einen Mann erwärmen, der seinen Bruder »Huge« nannte?

»Danke.« Flo wollte nicht lang und breit erklären müssen, warum sie erst in zwei Stunden dort ankommen wollte. »Ehrlich gesagt muss ich noch in einen Ort fahren und ein paar …«

Sie zögerte, da sie ihnen nicht die Genugtuung gönnen wollte, sie verlegen zu sehen.

»… Klamotten kaufen?«, ergänzte Hugo mit unbewegter Miene.

»Blumen für meine Tante besorgen«, korrigierte sie eisig.

»Wenn ich Sie wäre, würde ich auch eine Leine für den Hund kaufen.« Obwohl sie selbst schon daran gedacht hatte, störte es Flo, dass Hugo den Vorschlag machte. Sie hatte schon öfter Typen wie ihn kennengelernt. Sie sahen hinter jedem Silberstreif dunkle Wolken. »Wenn er ohne Leine herumläuft, so wie heute, dann wird er am Ende noch von einem wütenden Bauern erschossen. Vermutlich von Onkel Kingsley«, fügte er hintersinnig hinzu.

»Ich muss schon sagen, Ihr Onkel klingt ungemein charmant«, erwiderte Flo sarkastisch. »Ich kann es gar nicht erwarten, ihn kennenzulernen.«

»Das werden Sie sicher bald«, erklärte Adam. »Er wittert ein hübsches Gesicht aus zehn Kilometern Entfernung.«

Hugo schob den widerwilligen Adam auf ihren alten, blauen Land Rover zu. »Wie Sie sehen, liegt es in der Familie.«

Flo winkte ihnen nach und wickelte sich dabei den Regenmantel fest an den Körper. Was in London als sonniger Frühlingstag begonnen hatte, war hier im tiefsten Westshire düster geworden. Der vorher noch so blaue Himmel war mittlerweile bleigrau. Doch wenigstens gab es einen Vorteil: Offenbar lasen weder Adam noch Hugo Moreton die Daily Post.

»Na, Snowy, was meinst du? Ob diese beiden wohl Schwung in unseren Aufenthalt bei Tante Prue bringen werden? Aber«, fügte sie hinzu, während sie das kleine Hündchen aufhob und es an seinen warmen Lieblingsplatz im Fußraum setzte, »bild dir bloß nichts ein.« Doch Flo verriet ihr nicht, was sie sich einbilden könnte, und Snowy konnte nicht fragen.

Der kleine Marktflecken Witch Beauchamp entpuppte sich als angenehme Überraschung. Eine Reihe von Weberhäuschen nahm die eine Seite der Hauptstraße ein, fünf oder sechs herrliche georgianische Häuser die andere, und am Ende, gegenüber einem Marktkreuz, gab es in einer Kolonnade mehrere Läden. Eine kleine Herde schwermütiger Kühe stand in einem Pferch aus einem Meter langen Metallstäben gegenüber einem Pub namens »The Sign of the Angel«. Offenbar wurden in Witch Beauchamp immer noch Viehmärkte abgehalten.

Obwohl Flo seit Jahren keinen Fuß mehr aufs Land gesetzt hatte, empfand sie unbegreiflicherweise einen gewissen Trost dabei, dass die Kühe noch versteigert wurden, anstatt direkt in die Fleischabteilung verfrachtet zu werden. Da bekamen sie wenigstens Gelegenheit, etwas von der Welt zu sehen, bevor sie zu Tournedos oder Tafelspitz verarbeitet wurden.

Sie stellte den Käfer auf einem Parkplatz hinter dem Pub ab und ging auf die Läden zu. Sie fand zwei brauchbare cremefarbene Pullover in einem wunderbaren Geschäft für Damenoberbekleidung von der Art, die sie für längst ausgestorben gehalten hatte, dazu zwei langärmlige Unterhemden – auf dem Land war es doch immer so eiskalt –, zog aber die Grenze bei langen Unterhosen. Ihre untere Hälfte stellte ein größeres Problem dar (war das nicht immer so?). Die Damen auf dem Land zogen Röcke vor, die es in einer grässlichen Auswahl aus Tweed, Denim oder gar Polyester gab. Das Einzige mit zwei langen Beinen, das sie in diesem Laden hatten, waren schauderhafte Karohosen für die Golferin. Auf einmal sehnte sie sich nach dem wirren Haufen knallenger DKNY-Jeans, die auf dem Boden in ihrem Schrank lagen. Sie hatte sie nie zu schätzen gewusst und würde sich bei ihnen entschuldigen, wenn sie nach London zurückkam, sowie versprechen, sie mit mehr Achtung zu behandeln. Schließlich wurde sie durch einen Wohlfahrtsladen am Ende der Kolonnaden vor den karierten Scheußlichkeiten bewahrt, da sie dort zwei Jeans entdeckte, von denen eine modisch (na ja, modisch in dem Sinne, dass es erst seit zehn Jahren out war und hier vermutlich noch als in galt) am Knie zerrissen war. Sie tauschte ihre schwarzen Nikes mit dem silbernen Emblem gegen ein Paar Wanderschuhe ein, die erstaunlich schick wirkten, da das Outdoorleben der letzte Schrei in der Modewelt war, selbst wenn die wenigsten Menschen sich tatsächlich in die unberührte Natur hinauswagten.

Dank dem Wohlfahrtsladen hatte sie nicht viel für ihre Country-Garderobe ausgeben müssen. Aber wenn sie lange in Westshire blieb, würde sie ihre Wohnung untervermieten müssen. Es war eine Sache, ihrem oberflächlichen und inhaltsleeren Leben den Rücken zu kehren, doch es war eine andere, dass sie ihrem oberflächlichen und inhaltsleeren Einkommen den Rücken kehrte. Das war schon wesentlich härter.

Sie war bereits auf halbem Weg zu ihrem Käfer, als ihr einfiel, dass sie ausgerechnet das vergessen hatte, was ein Mädchen hier draußen dringend brauchte: Gummistiefel. Direkt am Ende der Kolonnade mit den Geschäften bemerkte sie einen winzigen Laden, vor dem ein Sattel hing und der »Feinste Sattlerwaren und Fußbekleidung« anpries. Aber was war das nun – Fußbekleidung für Menschen oder Pferde?

Flo überlegte, ob sie den recht ungewöhnlich aussehenden Mann, der gerade die Ladentür öffnete, um Rat fragen sollte, hielt sich aber rechtzeitig zurück. Sie hatte sich für einen Tag schon lächerlich genug gemacht. Doch der Mann, der die Tür aufhielt, hatte sie bereits entdeckt. »Nach Ihnen«, erklärte er mit schwungvoller Gebärde und verneigte sich wie der gestiefelte Kater. Er war wesentlich älter, als sie zuerst gedacht hatte, und hatte eine ausgeprägte Stirn, eine große Nase, einen Schnurrbart und üppige weiße Haare. Doch es war sein Aufzug, der den größten Eindruck machte. Der alte Herr trug ein Jägersakko aus Tweed mit Hemd und Halstuch, aber nicht kombiniert mit den eher konventionellen Knickerbockers, sondern mit Jeans und Hightech Turnschuhen. Der Effekt war leicht verstörend, so als ob der altgediente Moderator Patrick Moore Werbung für Guess Jeans machen würde.

Innen war der Laden winzig und wirkte wie aus einem Roman von Dickens. Er war vom Boden bis zur Decke mit zahllosen Schuhschachteln voll gestopft, durchbrochen nur von vereinzelt zur Schau gestellten Reitstiefeln, Kinderschuhen und plüschigen Pantoffeln. Die beiden älteren Verkäuferinnen blinzelten bei ihrem Eintreffen und wechselten genervte Blicke. Der alte Mann, wer auch immer er war, war eindeutig ein Stammkunde, der sich keiner allzu großen Beliebtheit erfreute. »Ich hole Miss Little«, verkündete die jüngere der beiden.

»Kann ich Ihnen helfen, Miss?«, fragte die andere.

Flo setzte sich und war dankbar dafür, dass sie zumindest anständig, wenn auch nicht modisch gekleidet war.

»Ja, gern. Ich hätte gern ein Paar Gummistiefel.«

»Natürlich. Dunlop, Hunters oder Lady Northampton?«

Flo waren die unterschiedlichen Gummistiefel-Marken ein größeres Rätsel, als wenn sie das Gepäck für eine Expedition in den Regenwald des Amazonas hätte zusammenstellen müssen. »Worin besteht denn der Unterschied?«

»Vor allem im Preis. Ich glaube, zu Ihnen würden die von Lady Northampton gut passen.«

»Dann traue ich mal Ihrem Rat.«

Als die Verkäuferin ihr den Stiefel zeigte, sah sie, dass er für einen Gummistiefel erstaunlich schick war.

»Die sind prima.« Flo reichte sie der Verkäuferin, damit sie sie einpacken konnte. In dem Moment kam eine gut aussehende Frau Ende fünfzig hinter dem Vorhang hervor. Sie trug einen eleganten lavendelfarbenen Rock und eine dazu passende Bluse. Selbst ihre Haare waren leicht lavendelfarben getönt. Flo nahm an, dass sie darauf achtete, sich nicht vor Lavendelbüsche zu stellen, sonst wäre sie nämlich unsichtbar geworden.

»Hallo, Kingsley«, begrüßte sie den Neuankömmling fröhlich. »Was führt dich heute zu uns?«

Flo bemerkte, dass in der Stimme der älteren Dame eher Zuneigung als Gereiztheit mitschwang.

Sie blickte verstohlen über die Schulter. Das war also der berühmte Onkel Kingsley.

»Haben Sie noch einen Wunsch, junge Dame?«, fragte die Verkäuferin.

Flo wollte jetzt nicht gehen, es war zu faszinierend. »Hausschuhe«, antwortete sie. »Ich brauche neue Hausschuhe.«

Während die Verkäuferin etliche Paare zur Auswahl holte, lauschte Flo diskret.

»Tja, Joan.« Onkel Kingsley zog mit großer Geste eine Beilage aus Runner’s World aus der Tasche, als handelte es sich um den ausschlaggebenden Beweis in einem Prozess, der ihm vorenthalten worden war. »Du hast mir noch nichts von denen da erzählt. New Balance, acht-fünf-drei. Gerade rausgekommen.«

»Ich habe dir nichts davon gesagt, weil du die Acht-fünfzweier erst seit ein paar Wochen hast. Außerdem haben wir gar keine da, und noch dazu kosten sie ein Heidengeld und sind für einen Bauern völlig ungeeignet. Weiß! Wie lang bleiben sie denn das in der Düngesaison?«

»Ach, Joan, du weißt doch, dass die Zeiten vorbei sind, als ich noch selbst gedüngt habe. Jetzt habe ich Neffen, die für mich den Dünger verteilen.«

»Und wie geht’s deinen düngenden Neffen? Haben sie Angst, dass du ihr Erbe für überflüssige Nikes verschleuderst? Sie hätten guten Grund dazu.«

Kingsley schnaubte. Anders konnte man es nicht beschreiben. »Dämliche Nichtsnutze. Immer noch so ledig wie am Tag ihrer Geburt. Wem soll ich denn den Hof übergeben, wenn sie sich keine nette Frau mit gebärfreudigem Becken suchen, die mir einen Erben zur Welt bringt?« Er tätschelte Joans unauffällig elegantes Hinterteil. »Wenn ich noch jünger wäre, täte ich es selbst.«

»Das kann ich mir vorstellen, Kingsley.«

Unvermittelt lachte der alte Mann los. Es war kein Glucksen oder verhaltenes Kichern, sondern ein dröhnendes Lachen aus vollem Halse, das ihn bis ins Innerste zu erschüttern schien. »Warte nur«, japste er, und seine Augen begannen vor Begeisterung zu tränen, »warte nur, bis meine Neffen erfahren, was für eine kleine Überraschung ich mir ausgedacht habe!«

»Kingsley!«, mahnte Joan, die ihn schon lange gut kannte, »was zum Teufel hast du denn jetzt wieder ausgeheckt? Tu bloß nicht überstürzt irgendetwas, das du hinterher bereuen musst.«

»Natürlich nicht. Außerdem habe ich es bereits getan. Heute Morgen war ich beim Notar. Und jetzt bestell mir diese Turnschuhe.«

Nachdem er, immer noch mit irrem Grinsen im Gesicht, gegangen war, wandte sich Joan den beiden Verkäuferinnen zu, während Flo so tat, als sinniere sie über einem Paar hässlicher, kastanienbrauner Plüschpantoffeln.

»Seine armen Neffen«, entrüstete sich Joan. »Ich mag Kingsley Moreton ja wirklich gern, aber wenn es ihn packt, kann er ein richtiges Ekel sein.«

»Was hat er denn vor?«, fragte die erste Verkäuferin, die offenbar vor Neugier schier platzte.

»Ich weiß es nicht genau«, erwiderte Joan, »aber wenn seine überschwänglich gute Laune ein Gradmesser ist, dann muss es etwas wirklich Diabolisches sein.«

Joan wandte ihre lavendelfarbene Aufmerksamkeit Flo zu. »Guten Tag. Mein Name ist Joan Little. Ich bin die Inhaberin. Es ist sehr unhöflich von mir, das zu fragen, aber Sie kommen mir ziemlich bekannt vor. Ich frage mich, ob wir uns schon mal begegnet sind.«

Flo musterte das Gesicht der Älteren. Sie wirkte nicht wie eine Leserin der Daily Post. Allerdings hätte sie Flos Konterfei auch an einem Zeitungsständer gesehen haben können. Doch das Lächeln, das ihre Frage begleitete, war warm und ehrlich und nicht sarkastisch und neugierig.

»Könnte sein. Meine Tante lebt hier in der Nähe, und ich habe sie als Kind manchmal besucht.« Sie fügte nicht hinzu, dass sie seit zehn Jahren nicht mehr hier gewesen war, nämlich seit dem Tod ihrer Mutter.

»Ach, und wer ist Ihre Tante?«

»Prue Rawlings von der Hunting Farm.«

»Prue!« Im Tonfall der Frau lagen Erstaunen und Zuneigung. »Ich wusste gar nicht, dass sie eine Nichte hat.«

»Ich bin so eine Art schwarzes Schaf der Familie.« Flo sah, wie die beiden Verkäuferinnen so taten, als rückten sie Schuhschachteln zurecht, obwohl sie die erst vor einer Minute eingeordnet hatten. »Stecke ständig in der Klemme.«

Joan lächelte erneut. Ihr Lächeln war wirklich einnehmend. Der breite Mund schwang sich in einem perfekten Bogen nach oben, und ihre Augen strahlten, während sich hundert kleine Fältchen um Augen und Mund ausbreiteten. Sie erinnerte Flo an sehr wertvolles Porzellan, dessen winzige Unvollkommenheiten es nur noch schöner machten. Sie hoffte, sie würde in dreißig Jahren auch wie Joan aussehen.

»Und, wohnen Sie bei Prue?« Sie bemerkte die zwei lauschenden Verkäuferinnen. »Rose. Sally. Würdet ihr bitte ins Lager gehen und noch ein paar Hausschuhe holen?« Sie schaute den beiden mit einem feinen Lächeln hinterher und wandte sich dann wieder Flo zu.

»Ja«, bestätigte Flo nickend. »Ich bin gerade auf dem Weg zu ihr.«

»Wie schön für Prue. Sie braucht alle moralische Unterstützung, die sie kriegen kann.«

»Aber ich dachte, sie hätte drei Kinder und einen Ehemann.«

»Ehemann!«, spuckte Joan verächtlich. »Mühlstein wäre ein treffenderer Ausdruck! Und die fiese Veronica ist ihr auch keine Hilfe.«

Bestürzung breitete sich wie ein Fleck über Flos Bild vom ländlichen Idyll. »Wer in aller Welt ist denn die fiese Veronica?«

»Ihre Älteste. Wie eine Besessene auf der Jagd nach einem Ehemann. Und Mattie, die Nächste, ist zwar ein liebes Mädchen, aber sehr in sich gekehrt, sagt Prue. Sie verbringt ihr Leben mit Lesen in der Wäschekammer. Und dann noch dieser jüngste Fratz …! Ganz zu schweigen davon, dass der Hof am Rande des Ruins steht, und die arme Prue fürchtet, dass sie ihn verlieren könnten.«

Flo nahm ihre Gummistiefel und hielt sie dicht vor die Brust. Zerstört waren die Vorstellungen von einer glücklichen Familie. Offensichtlich ähnelten – ob es Präsident Bush nun passte oder nicht – die meisten Familien doch eher den Simpsons als den Waltons. Von den finanziellen Problemen des Hofes hatte sie natürlich auch keine Ahnung gehabt.

»Na, was soll’s«, fuhr Joan fort, ohne zu bemerken, was für einen Aufruhr sie in Flo ausgelöst hatte. »Auf jeden Fall wird es für uns alle interessant werden, ein bildhübsches Mädchen wie Sie hier zu haben. Das bringt ein bisschen Leben in unseren Alltag. Auf dem Land gerät man leicht in die Isolation. Wir müssen einen netten jungen Mann für Sie finden.«

»Ich bin eigentlich nur gekommen, um mich zu erholen. Mein Leben in London ist ziemlich hektisch. Ich glaube nicht, dass ich an Männern interessiert bin, ob sie nun nett sind oder nicht.«

Die beiden verabschiedeten sich und Joan hielt Flo die Ladentür auf. Sie sah ihr nach, wie sie über den Platz ging. Das Mädchen war ganz und gar nicht der ländliche Typ, viel zu blond und modisch, aber sie hatte etwas Anrührendes an sich, und Joan, die andere nicht leicht liebgewann, hatte sie sofort ins Herz geschlossen. Vielleicht lag es an der Verletzlichkeit, die durch den oberflächlichen Glanz schimmerte. Und der Kampfgeist, den sie in Flo witterte, erinnerte Joan daran, wie sie selbst vor langer Zeit einmal gewesen war. Sie vermutete, dass das Leben nicht so nett mit Flo umgegangen war, wie es ihr Aussehen nahelegte. Joan wusste nur zu gut, was für ein Gefühl das war. Einen Mann zu lieben, der diese Liebe anscheinend nicht erwiderte, war nicht leicht.

Ein wenig aufgeregt war sie aber auch. Irgendetwas sagte ihr, dass die Ankunft von Flora Parker in ihrer Mitte alles ein bisschen aufmischen würde. Und Joan Little hatte gern etwas Aufregung. Das Landleben konnte ja so öde sein.

Flora winkte ihr noch einmal zu. Es war ein ausgesprochen komisches Gefühl: Aber sie hatte den Eindruck, in dieser kurzen Zeit schon eine ganze Menge über die Einheimischen zu wissen.

Es war fast vier Uhr, als Flo in die Einfahrt des Hofes ihrer Tante einbog.

Der Weg zur Hunting Farm führte dem Schild zufolge zwischen zwei oben zusammengewachsenen Holunderhecken hindurch, deren Zweige auf beiden Seiten fast bis auf den Kies herabhingen. Es war wie in einem Tunnel. Vor dem Haus parkte sie und stieg mit Snowy aus. Das Anwesen machte einen stillen und vernachlässigten Eindruck.

Direkt neben dem Haus stand ein beschnittener Baum, der noch erahnen ließ, dass er einmal einen Pfau dargestellt haben könnte, aber jetzt nur noch ein Blättergewirr war. Onkel Francis sorgte offenbar nicht für gestutzte Hecken und gepflegte Rasenflächen.

Das Haus selbst sah etwas besser aus – ein altes, würfelförmiges rotes Backsteinhaus mit gebogenen Giebeln und verzierten Gesimsen und sogar einem kleinen Türmchen mit Wetterfahne. Es hätte entzückend sein können, wenn es nicht gar so kahl gewesen wäre. Die Stallungen schienen hinter dem Haus zu liegen. Eine neugierige Ente tauchte auf, entdeckte Snowy und trat hastig den Rückzug an.

Beunruhigend wirkte vor allem die totale Leblosigkeit, die über allem lag. Irgendwie hatte Flo sich Sonnenschein und Gelächter ausgemalt, Spielsachen auf der Wiese oder eventuell eine Decke und bellende Hunde – und zumindest, dass sie von jemand anderem begrüßt würde als von einer einzelnen Ente. Joans Worte noch im Ohr, verspürte Flo den plötzlichen Drang, zu verschwinden, schnell nach London zurückzufahren und ihr altes Leben wieder aufzunehmen, anstatt hier einem Traumbild nachzujagen. Doch dann fielen ihr Miles und die Zeitung wieder ein, und die Scham übermannte sie.

Sie klingelte. Beim zweiten Klingeln vernahm sie eine Männerstimme, die irgendjemandem zurief, die verdammte Tür aufzumachen. Es erschien ein blondes, eulenhaftes Kind von etwa zehn Jahren, das die Haare zu zwei akkuraten Zöpfen geflochten trug und Flo uninteressiert hinter einer runden Brille hervor musterte. »Ja? Kann ich Ihnen helfen?«

»Hallo. Ist Tante Prue da? Ich bin deine Cousine Flora.«

»O Gott, Daddy«, rief das Mädchen dem Vater im Haus zu, »Mummy hat schon wieder Mist gebaut.«

Flo zog es vor Mitleid mit Tante Prue das Herz zusammen. Was hatte sie getan, um einen so herablassenden kleinen Fratz als Tochter verdient zu haben? »Sie dachte, du würdest mit dem Zug kommen«, erklärte das Kind. »Deshalb ist sie zum Bahnhof gefahren, um dich abzuholen. Typisch. Mein Lunchpaket macht sie auch immer falsch.«

Hinter dem bezopften Fratz tauchte ein zweites Gesicht auf. Es war ein Mädchen Anfang zwanzig mit schulterlangen, blonden Haaren, einem blauen Samthaarband, stahlblauen Augen in einem runden Gesicht über einer Rüschenbluse und einem blauen Pullover mit Applikationen. »Komm rein. Ich bin Veronica, und das ist meine Schwester India-Jane. Du bist also Flora.«

Die Worte waren durchaus freundlich, doch der Blick, der sie begleitete, hätte den Lack von einem Möbelstück abbeizen können. Die fiese Veronica, das merkte Flo gleich, war von dieser Cousinen-Invasion nicht gerade begeistert. Vermutlich dachte sie, das würde sie im Rennen um einen Mann ins Hintertreffen bringen. Flo würde ihr versichern müssen, dass eines, was sie während ihres Aufenthalts hier ganz gewiss nicht suchte, ein Ehemann war.

»Ja, hallo. Das mit Tante Prue tut mir leid. Wahrscheinlich habe ich nicht deutlich genug gesagt, dass ich mit dem Auto komme. Hoffentlich musste sie nicht weit fahren.«

»Ach, vermutlich bis nach Brittenham, so wie ich Ma kenne. Der Zug wird inzwischen wohl angekommen sein, also ist sie in etwa einer Stunde wieder da. Hast du Gepäck?«

Flo konnte ja kaum zugeben, dass sie nur zwei Second-Hand-Jeans, zwei Pullover und ein bereits getragenes Höschen mit Leopardenmuster bei sich hatte. »Ach, nicht viel. Ich hole es später.« Am besten im Schutz der Dunkelheit.

»Okay. Dann komm mal rein. Möchtest du eine Tasse Tee?«

Die Barschheit der fiesen Veronica legte sich ein wenig, als sie überlegte, dass Flos Besuch mit so wenig Gepäck wahrscheinlich nicht von langer Dauer sein würde.

Der Flur, der während der Begrüßung von Frühlingssonne durchflutet gewesen war, lag auf einmal im Dunkeln, als die Tür zufiel. Veronica betätigte einen Schalter, und ein mattes Licht flammte auf.

Der Flur war ein Klassiker seiner Art. Eine riesige chinesische Vase voller getrockneter blauer Hortensien zierte einen Marmortisch mit ägyptischen Klauenfüßen. Wenn man seinen abblätternden Lack restaurieren würde, wäre der Tisch vermutlich ein Vermögen wert. Doch stattdessen bildete er eine Ablage für Zeitungsstapel, alte Briefe und Samenkataloge. Ein Paar Gartenhandschuhe lugte hinter den Hortensien hervor. Hundeleinen, vermutlich von Generationen früherer Hunde, schmückten die Wand wie Bänder an einem Maibaum. Unter dem Tisch kämpften reihenweise Gummistiefel mit Skistiefeln sowie Tennis- und Golfschlägern um Platz. Es war der Typ von Raum, bei dessen Anblick Ralph Lauren vor Begeisterung Hymnen schmettern würde – und den er dann bis zur Unkenntlichkeit aufstylen würde. Du kannst dich auf den Kopf stellen, Ralph, dachte Flo, das hier ist die Wirklichkeit.

»Ist Onkel Francis da?«, fragte Flo.

»Er hackt Holz«, antwortete India-Jane. »Er geht immer Holz hacken, wenn Gäste kommen. Dann braucht er nicht mit ihnen zu reden.«

Veronica warf ihr einen warnenden Blick zu. »Ivy!«, rief sie und steckte den Kopf zur Küchentür hinein. Dort saß eine ältere Frau in einer Nylonschürze mit hochgelegten Füßen und las Zeitung. »Wo ist Flora denn untergebracht?«

»Im Primelzimmer. Ich habe das Bett gerade bezogen. Blöde unerwünschte Gäste, die einfach so aus dem Nichts hereinschneien. Ich hoffe, sie ist nicht auch noch eine blöde Vegetarierin.«

Flo überlegte, wann sie verkünden sollte, dass nicht nur sie zu Gast sein würde, sondern auch Snowy.

Veronica musterte ihre Cousine eindringlich. Sie sah nicht aus wie eine Vegetarierin. Ja, so befand Veronica, vermutlich reichte ihr nicht mal deftiges Fleisch. Flora Parker verspeiste wahrscheinlich Männer zum Frühstück.

Zumindest musste Flora Snowys Anwesenheit nicht erklären. Onkel Francis entdeckte sie, als sie auf das Feld losstürmte, wo seine Kühe friedlich grasten. »Guter Gott«, brüllte er, und seine ohnehin schon rote Nase sah aus, als würde sie vor Zorn gleich explodieren, »wem zum Teufel gehört dieser verdammte Staubwedel?«

Und so verbrachte Flo die nächste halbe Stunde damit, zum zweiten Mal an diesem Tag durch Disteln und Kuhfladen hinter ihrem West-Highland-Terrier herzujagen, beobachtet von Onkel Francis, India-Jane und der fiesen Veronica. Keiner von ihnen erbot sich, ihr zu helfen. Sogar Ivy war aus der Küche gekommen und beäugte Flo und die Situation mit besonders scharfem Blick. »Dieses Mädchen hat irgendwas am Leib …«, sagte sie zu niemand Speziellem.

Snowy hielt es für ein herrliches Spiel und ergab sich erst, als ihr Fell im Stacheldraht hängen blieb.

Flo machte sie vorsichtig los. »Du bist ein böser, böser Hund. Wir sind hier nicht in London, wo du Schülerlotsen jagen kannst, wir sind hier auf dem Land.«

Sie sah zu einem ganz oben im Haus gelegenen Fenster hinauf, an dem eine einzelne Gestalt lehnte und herabspähte. Das musste die distanzierte Mattie sein, die anscheinend den größten Teil ihrer Zeit damit zubrachte, in der Wäschekammer zu lesen. Flo konnte sie verstehen. Manchmal war ihr auch danach, sich an einen warmen, sicheren Ort zurückzuziehen. Das Problem war nur, dass sie gehofft hatte, ihn hier zu finden.

Sie wandte sich um und stellte fest, dass die Blicke aller Anwesenden sich nicht mehr vorwurfsvoll auf sie richteten, sondern auf ein kleines, blaues Auto, das die Einfahrt hinaufgerast kam und den Kies aufspritzen ließ. Die Kühe, die sich nach der Tortur durch den Terrier gerade wieder beruhigt hatten, begannen erneut auseinander zu springen.

Schließlich kam das Auto mit quietschenden Reifen zum Stehen, und eine gehetzt wirkende Frau mit unbestreitbar grässlichem Haarschnitt und schüchternem Lächeln schaute heraus. »Hallo, Flora-Schatz. Wie schön, dich zu sehen. Ich bin echt dumm. Ich dachte, du kämst mit dem Zug. Da muss ich etwas falsch verstanden haben.«

»Wann hast du je etwas richtig verstanden?«, murmelte ihr Mann.

Flo musste gegen die Versuchung ankämpfen, ihren Onkel zu treten oder Snowy dazu aufzuhetzen, ihm auf den Fuß zu pinkeln. Stattdessen lief sie zum Auto, öffnete die Fahrertür, und ihre reichlich aufgelöste Tante stieg aus.

Ein paar Sekunden lang hielten sie sich fest umarmt. Plötzlich brannten Flo Tränen in den Augen. Näher käme sie einer Umarmung durch ihre eigene Mutter nie mehr.

»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, erwiderte Flo mit zitternder Stimme und stopfte das Selbstmitleid rasch wieder in seine Kiste zurück. »Es tut mir leid, dass es so viele Jahre gedauert hat.«

»Hauptsache, du bist jetzt hier. Hoffentlich bleibst du recht lang.«

India-Jane und die fiese Veronica wechselten düstere Blicke. »Gut«, verkündete Ivy. »Ich geh jetzt wieder in meine Küche. Alf kommt gleich auf seine Tasse Tee.«

»Ivys Mann Alf macht für uns den Garten«, erklärte Tante Prue. Wenn das zutraf, dachte Flo, dann war der Mann blind. Der Garten sah chaotisch aus. »Er arbeitet auch auf dem Hof der Moretons«, fuhr Prue fort, als hätte sie Flos Gedanken gelesen.

»Ich bin dem Onkel heute Nachmittag begegnet.« Flo beschloss, fürs Erste zu verschweigen, dass sie auch die Neffen kennengelernt hatte. Das konnte bis später warten. Die Geschichte war einfach zu peinlich.

»Ja? Wo denn?«

»Im Schuhgeschäft in Witch Beauchamp. Ich habe mir gerade Gummistiefel gekauft.«

»Und wie fandest du ihn?«

»Er ist nicht gerade ein durchschnittlicher Bauer, was? Es ist außerdem etwas ziemlich Merkwürdiges passiert. Er hat der Ladeninhaberin erzählt, dass er gerade bei seinem Notar gewesen sei und seinen Neffen bald etwas eröffnen werde, das sie ganz schön aus dem Konzept brächte.«

Die fiese Veronica wurde als Erste hellhörig. »Was könnte das wohl für eine Eröffnung sein?« Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, Adam Moreton zu erobern, denn wenn sein Onkel sich endlich aufs Altenteil zurückzog und den Hof übergab, bräuchte Adam eine Frau. Und sie war die ideale Kandidatin dafür.