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Gewinnt den Deutschen Gartenbuchpreis/Leserpreis "mein schöner Garten" 2018 Ein "UN"-Ding sind Unkräuter ganz bestimmt nicht – sie spielen eine wichtige Rolle als Heil- und Nutzpflanzen, sind Nektarspender für Nützlinge und oftmals auch eine Zierde in jedem naturnahen Garten. Wolf-Dieter Storl lässt uns in "Die 'Unkräuter' in meinem Garten"an seiner Liebe zum wilden Kraut teilhaben und portraitiert 21 einheimische Pflanzenpersönlichkeiten: Die charakteristischen Merkmale der Pflanzen, ihre Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten als heilende oder essbare Pflanzen und ihre Bedeutung als Teil des Gartenbiotops werden dargestellt. Eine Löwenzahn-Invasion im Gemüsebeet muss man aber nicht tolerieren – der Kultautor gibt daher Tipps für ein Leben im Gleichgewicht. Auch die Fotografie würdigt die "Begleitflora" im Garten angemessen: Um die Pflanzen in ihrer vollen Schönheit zu zeigen – und die Bestimmung auch in frühen Stadien zu erleichtern – werden Brennnessel und Co. in verschiedenen Wachstumsstadien gezeigt und der Aufbau der Pflanze detailliert dargestellt.
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Seitenzahl: 265
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Lerne deine pflanzlichen Verbündeten kennen
»Unkraut wächst immer« (Mauvaise herbe pousse toujours), sagt ein französisches Sprichwort. Nicht nur im Garten, unter der Hecke oder auf dem Feld findet man es, sondern auch überall in der Großstadt. Egal in welcher Stadt ich unterwegs bin, aus den Mauerritzen leuchten mir Ruprechtskraut oder Schöllkraut entgegen, deren Samen irgendeine Ameise dort deponiert hat; zwischen den Gehwegplatten und Pflasterritzen zwängt sich ein Wegerich hervor, eine Gänsedistel oder ein Vogelknöterich. Und mitten in München sehe ich, wie ein frecher kleiner Löwenzahn die harte Betonplatte direkt vor einer Feuerwehreinfahrt sprengt und seine zarten Blätter und Blüten der Sonne entgegenstreckt. Für mich ist das ein Wunder, ein Zeichen der Hoffnung, dass sich das Leben nicht unterkriegen lässt, dass die Natur das letzte Wort hat und dass – wie es der weise Lao-Tse im Tao Te Ching verkündet – das Weiche, Lebendige stärker ist als das Tote, Verhärtete. In diesem Sinn sind Wildkräuter meine Lehrer und Gurus. Sie nehmen mir meine Depressionen und vertreiben den Pessimismus.
Es gibt Abertausende sogenannte Unkräuter. Gerne hätte ich noch mehr in dieses Buch aufgenommen, denn alle sind interessant und haben – wenn man ihnen mit dem Herzen zuhört – viele Geschichten zu erzählen und Geheimnisse zu verraten. Aber wenn ich darüber noch weiter schreiben würde, dann würde das viele Jahre dauern. Und wer weiß, wie viele Bände es am Ende wären?
Anhand der kurzen Beschreibungen einiger ausgewählter einheimischer Garten- und Ackerbegleitpflanzen werden wir erkennen, dass die sogenannten »Unkräuter« eine wichtige ökologische wie auch kulturelle Rolle spielen.
Für die Landwirte sind die hartnäckigen Begleitkräuter lediglich Pflanzen, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort befinden. Sie stören. Dennoch: Ohne sie wäre die Natur nicht denkbar. Ohne sie wären wir viel ärmer.
Wir sollten uns Zeit nehmen, sie besser kennenzulernen. Wenn wir unsere Sinne und Herzen öffnen, werden sie uns neue Dimensionen unseres Seins offenbaren. Und umgekehrt sind unser bewusstes Interesse und unsere Bewunderung eine Kraft, die der Natur zugutekommt.
Für den Gärtner und Landwirt noch ein Rat: Du solltest alle Pflanzen rund ums Haus, im Garten und auf deinem Acker kennen! Und für den Wildpflanzenkoch: Du solltest auch die giftigen und eher unbekömmlichen Kräuter gut kennen!
»Unkraut! Nein, wie kannst du das Unwort überhaupt in den Mund nehmen? Du hast doch immer davon geredet, dass Pflanzen besondere Wesen sind, dass das Leben auf der Erde ohne sie gar nicht möglich wäre; sie nähren uns, heilen uns und geben uns sogar die Luft, den Sauerstoff, zum Atmen. Du hast ja geschrieben, dass man sogar mit ihnen reden und kommunizieren kann, dass sie so etwas wie einen Geist oder eine Seele haben und nicht auf bloße Botanik reduziert werden können. Unkräuter! Das ist doch regelrecht diskriminierend – Ackerbegleitkräuter, Beikräuter, Beigrün, Spontanvegetation oder zumindest unerwünschte Wildkräuter sind das!«
♦ Unkräuter gibt es in Wirklichkeit nicht, nur in der Vorstellung des Menschen.
So wies mich eine gute Bekannte, die gerne Engelbücher liest und sich Mühe gab, ihre Umwelt mit positiven Gedanken zu beglücken, enttäuscht zurecht. Ich vermochte ihr auch nicht zu widersprechen. Es stimmte, was sie sagte. Und dennoch bleibe ich dabei, einige der kraftstrotzenden Gewächse, die mir im Gemüsegarten die Reihen mit den frisch gekeimten Möhren, Pastinaken oder Roten Beten überwuchern und bedrängen, mit dem Unwort zu bezeichnen. Die Zaunwinde etwa, deren Triebe sich im Frühling so zart und elfenhaft aus dem Boden erheben, um sich dann kurz darauf in würgende Schlangen zu verwandeln, die meine Blumen und Stauden gnadenlos strangulieren. Oder die kleine Kartoffel und die Topinambur- Knolle, die bei der Ernte im Herbst übersehen wurden, im Beet blieben und nun im Frühling mit überbordender Vitalität aus der Erde hervorbrechen und dabei den jungen Salat und die Radieschen-Sämlinge gnadenlos beiseitedrücken. Ein weiteres »Unkraut« in meinem Gemüsegarten ist sogar die Kamille. Ein besseres Heilkraut gibt es zwar kaum, aber bei mir tritt sie massenhaft auf. Vielleicht, weil ich diesen sonnigen Korbblütler so sehr mag; meine Oma konnte ja fast alles mit Kamillen heilen: »Kamillen statt Pillen« war ihre Devise. Besonders die Wege zwischen den Gemüsezeilen mag das schmucke Kräutlein, obwohl man da ständig auf ihm herumtrampelt. Ein pflanzlicher Masochist? Nein, ganz im Gegenteil. Das ständige Getreten- und Getrampeltwerden durch emsige Gärtnerfüße gibt der Kamille einen Überlebensvorteil gegenüber Konkurrenzvegetation. Im Gegensatz zu empfindlicheren Pflanzen kann dieser kleine Korbblütler das wegstecken. Die Kamille ist, wie auch der Vogelknöterich, der Breitwegerich und die Knopfkamille, Teil der sogenannten »Trittgesellschaft«, deren reife Samen – wenn es feucht ist – klebrig werden und an den Fußsohlen haften. Auf diese Weise finden viele solche Pflanzen Verbreitung.
Eigentlich ist mir das Jäten, Hacken und brutale Herausrupfen der Spontanvegetation zuwider. Die Pflänzchen sind einfach zu schön, und im Vergleich zu konventionellen Gemüsegärtnern lasse ich viel zu viele davon stehen. Aber wenn man auf das Jäten verzichtet, kann man das Gärtnern vergessen.
Jede Pflanze, die dort im Garten wächst, wo der Gärtner sie nicht haben will, ist also ein potentielles »Unkraut«. Wir sehen, Unkräuter an sich gibt es in Wirklichkeit nicht, außer in der Vorstellung des Menschen.
»Was gibt uns das Recht, einen Pflanzenreichtum als Unkraut abzuwerten?...Täglich, wo ich gehe, wo ich stehe, gibt es grüne Naturflecken. Ich staune und habe gelernt, die Formen- und Farbenvielfalt zu erkennen, zu schätzen. Heute ist für mich das Un-Kraut ein Gut-Kraut.«
Gottfried Honegger1
Wenn sie sich nicht vordrängeln und mir die Aussicht auf Erntefreuden vermiesen, dann stören mich die Begleitpflanzen überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich mag sie – nein, besser gesagt, ich liebe sie geradezu, liebe ihre oft unerkannte Schönheit, liebe ihre potentielle Heilkraft, ihren Geschmack als Wildgemüse oder Würze, liebe die Geschichten, die sie umranken und die sie erzählen können. Man muss sich nur auf sie einlassen.
»Pflanzen verraten dir alle ihre Geheimnisse ... vorausgesetzt, du liebst sie genug!« Das sagte einmal der Pflanzenfreund George Washington Carver (1860-1943), der als schwarzer Sklave in Missouri geboren wurde und schon als kleiner Junge ein »Hospital« für seine grünen Lieblinge unterhielt. Nachbarn brachten ihm ihre »kranken« Topfpflanzen, damit er sie heile. Später wurde er zu einem bedeutenden Wissenschaftler und es gelang ihm, die von der einseitigen Baumwollmonokultur ausgelaugten Böden der Südstaaten durch den Anbau von Erdnüssen, Süßkartoffeln, Augenbohnen, Soja und anderen Leguminosen zu sanieren. Auch die Erdnussbutter soll er erfunden haben. »Ein Unkraut«, sagte er, »ist nichts anderes als eine Blume, die am falschen Ort wächst«.
Einige berüchtigte Unkräuter habe ich mir sogar absichtlich in den Garten gepflanzt, etwa den Japanischen Staudenknöterich, den man überall als aggressiven Neophyten mit Flamme, Machete und Gift bekämpft. Warum habe ich das getan? Weil die zarten, saftigen Frühjahrssprossen – sie wachsen in lauen Nächten 30 bis 40 Zentimeter pro Nacht – so lecker sind. Die angenehm säuerlichen Sprossen kommen bei uns mit in die Gemüsepfanne; auch einen »Rhabarber«kuchen kann man aus ihnen backen.
Letztes Jahr entdeckte ich im Spätherbst auf dem Bahnhofsplatz in Kempten das Franzosenkraut (>) – in einer schmalen Gehsteigritze. Der kleine Korbblütler bringt bis zu 30 000 Samen pro Pflanze hervor, die ungefähr zehn Jahre lang keimfähig bleiben. Schon vier Wochen nach der Keimung erscheinen die ersten Blütenknospen, die bald darauf wiederum eine neue Generation hervorbringen. Es ist ein wahrlich gefürchtetes Garten- und Feldunkraut!
Ich zog einige Pflänzchen samt Wurzeln aus der Spalte heraus und setzte sie in meinen Gemüsegarten. Sie waren schon verwelkt und ich glaubte, sie würden wahrscheinlich nicht anwachsen; aber schon am nächsten Morgen sahen sie wieder frisch aus. Welcher vernünftige Gärtner würde ein dermaßen gefährliches Unkraut in seine Beete setzen? Wahrscheinlich keiner. Aber für mich ist auch diese Beipflanze ein hervorragendes, schmackhaftes Wildgemüse. Man könnte das Pflänzchen auch als Bodendecker verstehen, der den Boden unter hoch wachsenden Gemüsen, wie etwa dem Zuckermais, feucht hält und schützt. Wo es zum Problem wird, muss man es einfach hacken und jäten; dann wird es zum wertvollen Futter für Regenwürmer und Bodenkleinlebewesen.
Ringelblumen und bunte Sommerblumen gedeihen zwischen den Gemüsen im Garten.
»Ein Unkraut ist nichts anderes als eine Blume, die am falschen Ort wächst.«
George Washington Carver
Als die Menschen noch Jäger und Sammlerinnen waren – und das waren sie schon vor über einer Million Jahren, noch ehe sie sich zum Homo sapiens entwickelten – gab es noch keine Unkräuter, da waren alle Pflanzen Wildpflanzen. Und praktisch alle diese Wildpflanzen, viele, die heute als Unkräuter gelten, hatten irgendeinen Nutzen. Sie waren:
IN RESONANZ MIT DEN PFLANZEN
Als ich mit Bill Tallbull, dem bekannten Medizinmann der Cheyenne, in den Rocky Mountains unterwegs war, kostete er immer wieder von dieser und jener Pflanze. »Jede Pflanzenart hat ihren bevorzugten Standort, ihren arteigenen Wachstums- und Fortpflanzungsrhythmus, jede hat ihr eigenes Bewusstsein. Indem wir sie essen, lässt sie uns teilhaben an ihrem Bewusstsein, wir treten in Resonanz mit ihr und sie schenkt uns eine Botschaft«, erklärte er, »wenn man nur Supermarktgemüse isst, bleibt unser Bewusstsein beschränkt.« Ein breit gefächertes, differenziertes Nahrungsangebot lässt uns wacher, aufmerksamer, lebendiger und gesünder werden. Aus diesem Grund essen viele Schamanen und Medizinmänner ganz bewusst »breit gefächert«, indem sie eine Vielfalt von Wildpflanzen in ihre Diät aufnehmen.
Wer jeden Tag eine Handvoll Wildkräuter unter seinen Salat mischt, nimmt viele wertvolle Bioaktivstoffe auf.
Wertvolle Inhaltsstoffe
Wildkräuter, unter ihnen echte »Unkräuter«, sind voller bioaktiver Pflanzenstoffe2.
So enthalten sie:
Noch immer haben Jäger- und Sammlervölker eine ganze Palette wild wachsender Pflanzen auf ihrem täglichen Speiseplan. Wenn man – zum Beispiel als Völkerkundler – mit einer Gruppe der wenigen noch verbliebenen Wildbeuter bei ihren Streifzügen unterwegs ist, dann sieht man, wie sie ständig links und rechts einige Blätter, Kräuter oder Wildfrüchte abzupfen und essen. So machen es auch die Khoi-San, die in der unwirtlichen Kalahari-Wüste im südlichen Afrika leben. Sie ernähren sich von rund 200 verschiedenen Wildpflanzen. Das ist eine vollkommenere Diät als die, von der der Großteil der Weltbevölkerung abhängig ist. Die vier wichtigsten Kohlenhydratspender – Weizen, Reis, Mais und Kartoffeln – ergänzt durch diverse Arten von Gemüse und Leguminosen ernähren heute 90 Prozent der Weltbevölkerung.
Die Tabelle zeigt den Vergleich im Mineralstoffgehalt. Beim Vitamingehalt und den Proteinen ist der Unterschied noch gravierender, da schneiden die Wildgemüse besser ab. So liefert die Brennnessel dreimal so viel Vitamin C wie der Grünkohl und der Giersch doppelt so viel Eiweiß. Zudem enthalten sie die für die Verdauung und eine gesunde Darmflora so wichtigen Bitterstoffe.
MINERALSTOFFGEHALT VON WILDKRÄUTERN UND KULTURGEMÜSE
Angaben in mg pro 100 g
Wasser
(g pro 100 g)
Kalium
Phosphor
Magnesium
Kalzium
Wildgemüse
Bärenklau
79,8
540
125
75
320
Brennnessel
84,8
410
105
71
630
Gänseblümchen
87,5
600
88
33
190
Guter Heinrich
81,7
730
95
66
110
Huflattich
84,8
670
51
58
320
Knopfkraut
87,8
390
56
56
410
Löwenzahn
89,9
590
68
23
50
Schlangenknöterich
84,0
580
74
69
100
Schmalblättriges Weidenröschen
75,0
450
94
81
150
Vogelmiere
91,5
680
54
39
80
Weißer Gänsefuß
86,9
920
80
93
310
Wilde Malve
82,0
450
95
58
200
Kulturgemüse
Blumenkohl
91,6
328
54
17
20
Chicorée
94,4
192
26
13
26
Chinakohl
95,4
202
30
11
40
Endiviensalat
94,3
346
54
10
54
Feldsalat
93,4
421
49
13
35
Grünkohl
86,3
490
87
31
212
Kopfsalat
95,0
224
33
11
37
Mangold
92,2
376
39
80
103
Rosenkohl
85,0
411
83
22
31
Rotkohl
91,8
266
30
18
35
Spinat
91,6
633
55
58
126
Weißkohl
92,1
227
28
23
46
Wildkräuter suchen sich gern den Platz aus, an dem sie sich wohlfühlen: am liebsten in einer bunten Gemeinschaft – hier eine kecke Echinacea purpurea.
Auch bei vielen der einfachen Gartenbauvölker und Hackbauern in Südamerika, Südasien oder Afrika ist der Begriff »Unkraut« nicht vorhanden.
Oft erkennen westliche Touristen, die in Kerala oder Guatemala unterwegs sind, gar nicht, dass die wilde, dschungelartige Landschaft, durch die sie fahren, in Wirklichkeit intensiv genutzte Gärten sind. Da stehen unbekannte Gemüsepflanzen in bunter Mischung zwischen höherwachsenden Stauden; der Boden ist bedeckt mit allerlei grünen Kräutern und Blütenpflanzen, die als Heilkräuter, Bienenweide, Sakralpflanzen, Gewürze oder Salatgrün geschätzt werden; dazwischen ragen verschiedene Obst- und Nussbäume empor. Überall flattern Schmetterlinge und Vögel. Nirgends findet man eintönige Monokulturen, wo Pflanzen der gleichen Art wie Soldaten in Reih und Glied auf entblößten, von Beikräutern gesäuberten Böden strammstehen müssen. Solche Gärten sind kleine, der wilden Natur nachempfundene Biotope, in denen es kaum zu Schädlingsplagen, zum Verlust der Bodenfruchtbarkeit oder ähnlichen Disharmonien kommt. Die Erosion des Bodens ist wegen der flächigen Verwurzelung auch kein Thema. Diese Mischkultur ist relativ arbeitsintensiv, aber es werden mehr Nahrungsmittel pro Flächeneinheit geerntet als in den energieaufwendigen, ökologisch problematischen Monokulturen. Beim Ernten schließen sich die Lücken durch den Wuchs der Nachbarpflanzen und Beikräuter schnell.
Brennnesselsamen erntet man im September – Empfindliche tragen dabei Handschuhe.
Für die Urvölker, die Jäger und Sammlerinnen, auch für unsere heidnischen Vorfahren hatte jedes Wesen seine guten und weniger guten Seiten. Nichts war ausschließlich gut oder ausschließlich böse. Feuer kann wärmen, aber auch brennen; Schlangen konnten beißen und töten, aber ihr Erscheinen konnte auch Heilung bedeuten. Auch die Götter und Geister waren weder gut noch böse, sie waren ambivalent. Der griechische Sonnengott Apollo wie auch der indische Rudra konnten Segen spenden, aber ihre Pfeile konnten Mensch und Tier ebenso Verderben und Siechtum bringen. Die alte Erdgöttin – wir kennen sie noch aus dem Märchen der Frau Holle – galt als Ernährerin und Heilerin, aber zugleich war sie die Göttin des Todes. Genauso verhielt es sich mit den Pflanzen, auch in ihnen erkannte man sowohl positive als auch weniger angenehme Eigenschaften. Diese althergebrachte Sichtweise sollte sich jedoch dank eines Propheten namens Zarathustra (griechisch: Zoroaster) radikal ändern.
Niemand weiß genau, wann der einflussreiche persische Prophet lebte; es könnte vor mehreren tausend Jahren gewesen sein oder, wie einige Historiker meinen, 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Eines ist jedoch sicher: Mit seiner Vision, die er als Kamelhüter im östlichen Iran empfing, hat er die Welt verändert. Judentum, Christentum, Islam und auch säkulare Weltanschauungen wie der Marxismus sind Teil seines Erbes. Für ihn war die Schöpfung keine bunt durcheinandergewirbelte Mischung, in der jedes Wesen positive wie auch negative Seiten aufweist. Er teilte alles Existierende in zwei diametral entgegengesetzte Kategorien: in Gut und Böse. Gemäß seiner Kosmologie erschuf der gute Gott, der weise lichtvolle Herr Ahura Mazda – der übrigens keine Göttin an seiner Seite braucht – alles. Seine Schöpfung war gut, die Erde ein Paradies. Doch dann drang ein düsterer Gegengott, der arge Ahriman mit seinen Dämonen – es handelt sich um die alten heidnischen Götter – in dieses Paradies ein, um es zu verwüsten. Ein kompromissloser Kampf zwischen Gut und Böse entbrannte. Der Mensch, lehrte der Prophet, steht in der Mitte und muss sich individuell entscheiden, auf welcher Seite er steht. Am Ende der Zeit, am Jüngsten Tag, würden die Toten auferstehen und gerichtet werden; das Gute würde obsiegen, das verlorene Paradies wiederhergestellt und die Dämonen in den Abgrund gestürzt.
Wir sehen also, die Welt zerfällt nach dieser Vision in zwei ganz gegensätzliche Teile:
Es gibt gute Menschen. Das sind die Bauern, die fleißig den Acker bestellen und das Vieh hüten. Im Gegensatz dazu gibt es »Un-Menschen«; das sind die herumstreifenden kriegerischen Nomaden, die die Bauern bedrängen und die den Dämonen – den Daevas, den alten Göttern – anhängen.
Es gibt gute Tiere. Das sind die Haustiere: Hunde, Kühe, Schafe, Ziegen, Kamele und auch die honigspendenden Bienen. Und es gibt die lästigen »Un«-Tiere, die der Teufel Ahriman in die Welt gesetzt hat: Raubtiere wie Wölfe und Tiger, lästige Nager wie Mäuse und Ratten, dann die Schlangen, Echsen, Lurche und sämtliche »unreinen« Tiere: die Raupen, Käfer, Fliegen und all das krabbelnde, stechende, kriechende Ungeziefer, das Saat und Vorräte verdirbt. Für die Anhänger Zarathustras galt es als Gottesdienst, diese Schädlinge zu töten und zu vergiften.
Und schließlich gibt es die guten Pflanzen – Getreide, Obst, Heilpflanzen und Gewürze – und die nutzlosen »Un-Kräuter«, Disteln, Dornensträucher, Nesseln und Giftgewächse. Diese auszurotten, sie wegzujäten, galt als gottgefällig.
Was wir in diesem Zarathustrismus vor uns haben, ist nicht mehr die Vision der alten paläolithischen Jäger und Sammlerinnen – diese Sicht gehört zum Weltbild der »neolithischen Revolution«, welche die Menschheit sesshaft werden ließ und zur Arbeit auf dem Acker und der Viehweide bestimmte. Zarathustras Vision – er predigte, dass die Erde sich freue, beackert zu werden, so wie sich die Frau freut, vom Mann geliebt zu werden – passt zum Lebensbild der bäuerlichen Gemeinschaft.
♦ Nach Zarathustra zerfällt die Welt in Gut und Böse – und so gibt es angeblich auch gute und böse Pflanzen.
Alant, seit der Antike als Heilpflanze bekannt, wird heute bei uns kaum mehr verwendet.
Das Unkraut in der Bibel
Die Bibel nimmt diesen zarathustrischen Gedanken des »Unkrauts« auf. Schon im ersten Buch Mose (3,17-18) verkündet Gott: »... verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen.« Auch das Neue Testament (Matth 13,25-30) bewegt sich in dieser Vorstellungswelt. Da erklärt Jesus: »Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind,« – gemeint ist natürlich der Teufel – »säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.«
In diesen Worten kommt das dualistische Weltbild zum Ausdruck. Das Böse – zu dem auch die Unkräuter gehören – muss vernichtet werden. Bis zum heutigen Tag lebt diese Einstellung fort und hat sich in der Sprache niedergeschlagen: Mauvaise herbe (böses Kraut) sagt man im Französischen zum Begleitkraut; erbacce (nutzloses, hässliches Kraut) heißt es im Italienischen, maleza oder mala hierba (böses Kraut) im Spanischen, Onkruid im Holländischen. Die englische Bezeichnung weed suggeriert als Zeitwort »ausjäten« oder »ausmerzen«.
Sprache programmiert, auch wenn es uns nicht bewusst ist, das Denken. Man hat dann weniger Hemmungen, zur chemischen Keule zu greifen oder sich der genetischen Manipulation zu bedienen.
Gundermann erfreut uns dank seiner langen Ausläufer auch an widrigen Standorten mit seinen Blüten.
Heute ist die Welt im Umbruch. Immer weniger sind es die kleinen Bauern und Gärtner, die uns in früheren Zeiten mit Lebensmitteln versorgten und dabei das Land und den Boden verehrten und pflegten. Immer mehr sind es global agierende Agrarkonzerne, die unsere Nahrung produzieren. Riesige Maschinen brausen über chemiegedüngte Äcker, die manchmal so weit reichen wie das Auge sehen kann. Trotz aller Modernität bleiben die Denkstrukturen bestehen: Noch immer ist Unkraut für die meisten ein Feind, den es auszurotten gilt. Und die Waffen gegen ihn sind schärfer als je zuvor.
Gegen die sogenannten »Schadpflanzen« haben Wissenschaftler effektive Herbizide entwickelt, die oft auch in Kleingärten zum Einsatz kommen. Raffinierte Stoffe sind das. Manche wirken wie Hormone, die das Wachstum anregen, sodass sich die Pflanzen regelrecht zu Tode wachsen; andere verätzen die Begleitpflanzen.
Die neueste Generation von Pflanzenkillern sind Breitbandherbizide, wie etwa glyphosat-haltige Unkrautvernichter, die jedes zweikeimblättrige Kraut abtöten. Die Gifte werden eingesetzt, um Plätze, Gehwege, Straßenränder und die Ritzen zwischen den Platten »sauber« zu halten. Mit Round-up kann man auch den Garten oder das Feld vor der Aussaat oder der Bepflanzung behandeln, um die lästigen Begleitkräuter loszuwerden, ehe diese voll auskeimen. Auch nach der Ernte kann man das Herbizid einsetzen: etwa zur Sikkation – wörtlich: Austrocknung – von Raps und Getreide, also um die noch grünen, lebendigen Teile, zwecks leichterem Erntemaschineneinsatz, abzutöten und auszutrocknen. 5400 Tonnen des Giftes werden jährlich auf deutschen Feldern ausgebracht.
In einigen Ländern, etwa in Nord- und Südamerika, kommt Glyphosat sogar während der Wachstumsphase zum Einsatz. Allein die gewünschten Nutzpflanzen – Mais, Soja, Baumwolle, Zuckerrüben, Luzerne, Raps – überleben den Sprüheinsatz. Wie ist das möglich? Weil man mittels Gentechnologie den Nutzpflanzen ein Gen für Herbizid-
Resistenz eingebaut hat – ein Gen, das einem Bodenbakterium entstammt.
All das klingt effizient, es spart Arbeit und Zeit. Doch inzwischen zeigt sich der Pferdefuß. Das Grundwasser wird verseucht, Fische und Lurche in angrenzenden Gewässern werden geschädigt, Bodenorganismen, die für die Fruchtbarkeit der Erde zuständig sind, werden angegriffen. Durch das Abtöten der Wildkräuter nehmen auch die Insekten ab, die auf die Kräuter angewiesen sind. Weniger Insekten bedeutet weniger Singvögel, die diese Kerbtierchen auf dem Speiseplan haben. Unsere Welt wird stumm und weniger bunt. Nach der vorsichtigen Einschätzung der WHO könnte Glyphosat auch krebserregend sein. Unabhängige Forscher, wie der Franzose Gilles-Éric Séralini, haben empirische Beweise geliefert, die den Verdacht erhärten. Rückstände des Unkrautvernichters finden sich auch in der menschlichen Ernährung, in Brot und Bier, und wirken sich auf unsere Darmbakterien negativ aus. Bei Rindern und Wildtieren vermindern die Herbizid-Rückstände die wichtigen Zellulose abbauenden Bakterien im Pansen4.
LIEBLING DER INDIANER
Für das Agribusiness ist er ein großes Problem, für die Indianer dagegen galt der Amarant immer als ergiebige Nahrungspflanze – das Grün als Gemüse, die Samen als Getreide.
Mutter Natur ist weiser als die lieblosen Zauberlehrlinge, deren Manipulationen vor allem den Zweck haben, Profit zu machen. Es zeigt sich, dass immer mehr Ackerbegleitkräuter spritzmittelresistent werden. In den USA gibt es schon 145 Arten, denen die Herbizide nichts anhaben können; in Mitteleuropa sind es immerhin inzwischen 32 Arten, und es werden mehr. 25 Millionen Hektar Ackerland sind in Amerika an diese Superunkräuter verloren gegangen. Das schlimmste von ihnen ist eine Fuchsschwanzart, der Palmer Amarant – nach einem Spiegel-Bericht »ein Unkraut aus der Hölle«! Mit drei Metern Höhe überwuchert das schnell wachsende, zähe, trockenheitsresistente Superkraut Mais, Baumwolle und andere Monokulturen. Pro Pflanze produziert dieser Amarant eine halbe Million Samen. Wenn nur 1000 dieser Kräuter auf dem Feld wachsen, entsteht eine Samenfracht von einer halben Milliarde. Unter dieser halben Milliarde ist bestimmt ein Freak, eine Mutation, die gegen die nächste Generation von Unkrautvernichtungsmitteln unempfindlich sein wird.
Zu den zunehmend giftresistenten Ackerbegleitkräutern, die sich bei uns auf den Feldern breitmachen, gehören das Ackerhellerkraut, das Franzosenkraut, Gänsefußarten, Greiskräuter, das Kletten-Labkraut, Knötericharten, der Schwarze Nachtschatten, die Vogelmiere, Windenarten und der Zweizahn; dazu kommen solche »Un-Gräser« wie der Ackerfuchsschwanz und der Flughafer. Im Anmarsch sind auch mächtige amerikanische Wildpflanzen wie das nordamerikanische Große Traubenkraut (Ambrosia) und das Kanadische Berufkraut. Mutter Erde ist keusch, sie will nicht entblößt dastehen, sie möchte immer ein grünes Kleid tragen. Damit das geschieht, kommen ihr die schnell wachsenden, äußerst vitalen und nahezu unverwüstlichen Pionierpflanzen zu Hilfe. Und wenn die Menschen mit Gift anrücken, dann mutieren diese Pflanzen eben und werden widerstandsfähig.
Ackerbegleitkräuter an den Feldrändern erfreuen Spaziergänger und Bienen.
Genau betrachtet sind die Unkräuter keine eigentliche Wildflora. Ohne menschliches Wirken, ohne Rodung, Garten- und Ackerbau gäbe es sie nicht, wenigstens nicht in der Form, in der sie uns heute begegnen. Sie sind, wie die Kulturpflanzen selber, entstanden aus dem wechselseitigen Aufeinandereinwirken menschlicher Kultur und der Natur. Botaniker unterscheiden drei Gruppen von Unkräutern:
Apophyten
Die Wurzel der Wilden Möhre ist essbar, wegen fehlender Karotine aber weißlich, nicht orange wie bei der Speisemöhre.
Archäophyten
♦ Alle nichteinheimischen Pflanzen, die nach 1492 zu uns kamen, bezeichnet man als Neophyten.
Neophyten
Als Neophyten5 bezeichnet man alle nichteinheimischen Pflanzen, die seit Oktober 1492 eingebürgert wurden. Warum dieses exakte Datum? Weil da Kolumbus nach der Entdeckung der Neuen Welt zurückkehrte und mit ihm – absichtlich oder zufällig – die Samen einiger Exoten mitkamen, die nun als Begleitvegetation unsere Gärten und Felder besiedeln. Zu den aus Amerika eingewanderten Pflanzen, die unsere heimische »Unkraut«-Flora bereichern, gehören das Kanadische Berufkraut, das Einjährige Berufkraut oder Feinstrahl, das Franzosenkraut, die Nachtkerze, mehrere Fuchsschwanz-(Amaranthus-)Arten, das Beifußblättrige Traubenkraut (Ambrosia), die Strahlenlose Kamille, Winterpostelein (Claytonia) und viele andere. Aus Asien kamen als Neophyten der Persische Ehrenpreis, das Frühlingskreuzkraut und verschiedene Gänsefuß- und Knötericharten.
Schon lange bevor sie zu Bauern wurden, kannten die Eingeborenen Mitteleuropas die Apophyten, die »heimatlos gewordenen Pflanzen«. Diese Kräuter waren nicht nur Teil ihrer natürlichen Mitwelt, sondern spielten auch in ihrer Kultur eine wichtige Rolle. In der Aufzählung links (>) sehen wir, dass viele essbare Wildgemüse unter ihnen zu finden sind. Sicherlich waren diese Pflanzen schon für die Jäger und Sammler der eiszeitlichen Steppe eine wichtige Vitaminquelle. Auch einige unserer beliebtesten und ältesten Heilkräuter befinden sich unter ihnen. Sie werden in Volksmedizin und Phytotherapie noch heute verwendet. Erfahrungswissen, weitergegeben von kräuterkundigen Frauen über eine Zeitspanne von mehreren tausend Jahren, ist mit ihnen verbunden. Die intime Beziehung zu diesen einheimischen Pflanzen hat sich im Bewusstsein der indigenen Europäer in zahlreichen Märchen, Sagen, magischen Anwendungen, in der Symbolik und im »Aberglauben« niedergeschlagen.
Die Borstenhirse gilt bei Landwirten als ertragsminderndes Unkraut, doch Vögel freuen sich über die Samen.
In den Roggenfeldern blühten früher bunte Ackerwildkräuter – hier ist der Braune Waldvogel zu Besuch.
Auch auf dem Kaffeetisch eine Augenweide: blühende Kräuter.
Unsere wichtigsten Ackerunkräuter
Wie sich die Ackerwildkraut-Flora gestaltet und welche Beikräuter auftreten, ist natürlich abhängig von Umweltbedingungen wie der Beschaffenheit des Bodens, der Witterung und der Bewirtschaftungsart. Ökologen machen zwischen 150 und 350 Arten solcher Ackerbegleitkräuter in Mitteleuropa aus. Darunter befinden sich folgende:
Wegen moderner Agrartechnologie – effizienter Saatgutreinigung, tiefem Pflügen, Einsatz von Herbiziden und Kunstdünger – und der Eliminierung von Grenzflächen findet seit den 1950er Jahren eine schleichende Artenverarmung auf den Feldern Mitteleuropas statt. Damals waren rund 40 Prozent der Pflanzen auf den Äckern Wildkräuter, heute sind es im Durchschnitt lediglich 4 Prozent. Von den altherkömmlichen hübsch blühenden Begleitkräutern befinden sich viele auf der Roten Liste, einige sind schon ausgestorben, andere dümpeln in Samenbanken dahin.