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»Bleib sitzen und schau. Das meiste versäumst du sowieso.« - Für seinen neuen Gedichtband hat Matthias Politycki die Tresenhocker und Dauergrantler zusammengerufen; die gegen ihre Wehmut Anschweigenden sind mit Liebesbekenntnissen verschiedenster Art dabei; aber auch »Freund Hein und andere Gefährten« mit ihren dunklen Versen: Ein ganzes Panoptikum an lyrischem Personal feiert sein Weltgericht in freien und gebundenen Versen, in Balladen, Sonetten, Liedern oder Haikus: Sie erzählen vom Böhmischen Wind, vom Trost der Dinge und vom Soundtrack des Frühlings.
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Seitenzahl: 60
Matthias Politycki
Dies irre Geglitzer in Deinem Blick
111 Gedichte
Hoffmann und Campe
Wenn ich die Augen schließe, bist du da
in deiner ganzen zärtlich wilden Pracht
und bringst mich Nacht für Nacht für Nacht
um meinen Schlaf. Wie ich dich hasse, pah!
Dich schönste aller möglichen Schimären,
nach deren Hebungen ich mich verzehre
und deren Senkungen erst recht begehre,
du schlimmste aller möglichen Affären –
Erlösung bringt mir erst die schwarze Schwelle
und gleich dahinter dann das gleißend Helle,
dort endlich wirst du deine Macht verlieren,
und würdest du dich noch so glänzend präsentieren!
Auch das Vollkomm’ne muß im Licht der Ewigkeit verblassen.
Ich aber werde dich auch dort noch hassen.
Vier Sorten Schmerz
Dies irre Geglitzer in deinem Blick,
beim Abschied wird es verläßlich ein Glimmern
und schließlich ein großes glasiges Schimmern.
Getrennt sein ist unser Geschick.
Einen Sommer lang hast du gefragt:
Du denkst doch an mich? Kommst wieder?
Heut schlägst du die Augen stumm nieder.
Es ist ja alles gesagt.
Ein schiefes Lächeln, das du mir schenkst.
Das Schimmern im Auge ist dir geblieben.
Ich lächle zurück und weiß, was du denkst.
Wir haben gelernt, Lebewohl zu sagen
und nichts zu beteuern und nichts zu beklagen.
So haben wir uns aus dem Sommer vertrieben.
Wenn du den Schmerz gibst, schwarzer Engel,
gib ihn ganz.
Und halt mich bloß nicht auf
mit halben Sachen.
Versuch auch ja nicht, auf den allerletzten Metern
mich noch mal anzulachen.
Heul lieber los,
schau schlank und schäbig dabei aus
und gib dir Mühe,
’ne schöne Abschiedsszene mir zu machen.
Streich mir noch mal die Stirn,
wie du’s so oft getan,
und dann dreh ab, verpiß dich, Mensch,
und fahr zur Hölle.
Von dort kamst du ja schließlich her,
mich zu versuchen.
Und kannst mich dort also auch gern
als vorerst letztes Opfer jetzt verbuchen.
Ich aber werde mich
auf dieser Stelle hier
in etwas Schauriges verwandeln
und dich noch oft und oft,
du bittrer Engel,
verfluchen.
schlägt dein Herz –
in dieser Sekunde –
schlägt auch für mich.
Du fühlst es. Ich fühl’ es
jetzt! und jetzt! und
so weiter, trotz allem.
Du weißt es. Ich weiß es.
Das ist alles.
die Sehnsucht nacheinander
die Lust aufeinander
den Kummer miteinander
dann gibt es nichts zu bereuen
Wie auf der Altonaer Straße der Verkehr zum Erliegen kam
Es war an einem ganz normalen Tag im März,
fast schon Frühlings Erwachen, fast,
ein Tag ohne brennende Mülleimer oder Dornbüsche
oder sonst irgend Zeichen, die Höheres ankündigten.
Ich kam aus der Weidenallee,
auf meinem Weg ins Schanzenviertel,
stand mit den andern an der Ampel und
wartete darauf …
wartete nicht darauf, daß sich
von der gegenüberliegenden Straßenseite
eine Frau hüftschwingend in Bewegung setzte,
keinesfalls eilig, oh nein,
obwohl die Fußgängerampel
ja auch für sie rot leuchtete und
auf sämtlichen Spuren der Altonaer Straße
die Autos Schlange fuhren.
Doch siehe, es geschah, daß jedermann anhielt,
und kein einziger lästerte ihrer und hupte,
als sie durch den Verkehr wandelte wie durchs Rote Meer,
das sich bereits bei ihrem ersten Schritt
für sie geteilt.
Und das Weib ging hindurch
ganz ohne Wolken- oder Feuersäule vorweg,
als wäre es von der Vorsehung gesandt oder vielmehr
die Leibhaftige, als Heilige getarnt,
gleichgültig die Miene derer zeigend, die’s gewohnt sind,
daß man sie als Erscheinung bestaunt,
daß man die Faust in der Tasche ballt und
Götzendienst treibt. Jählings ein Fremder in meiner Stadt,
sah ich ihr nach voller Hoffnung,
der Anblick der Beine von hinten
könnte Linderung schaffen.
Doch diese Hoffnung
wurde bitter enttäuscht,
und also würde das Wunder
ganz ohne jeden Makel
und für alle Tage,
würde an dieser Kreuzung
für mich aufbewahrt werden als Fluch
und als Verkündigung in eins.
Ihr Makel ist, ganz ohne Fehl zu sein.
Des Tages Strahl’n verblaßt in ihrem Schatten.
Die braune Nacht erstrahlt in ihrem Leuchten.
Gut, da geht eine schöne Frau,
das ist ärgerlich,
keine Frage,
an dir vorbei.
Doch stell dir mal vor,
sie trüge zu Hause Schlappen
mit Noppen, die ihre Sohlen
bei jedem Schritt massieren,
stell dir vor, sie wäre
Liebhaberin von Katzen oder
hätte ihre Zunge
mit Perlen bestückt,
stünde auf Lady Gaga, Foucault,
Das Phantom der Oper!
Daß sie vorübergeht
macht sie so schön und,
keine Frage,
erspart dir viel Ärger.
Auch diesen Sommer regnete es
dutzendweis schöne Frauen aufs Pflaster.
Wenn sie vor mir aufschlugen,
zerplatzten sie mit einem Seufzer.
Wenn ich mich nach ihnen umdrehte,
zerdampften sie in einem Lächeln.
Es regnete den ganzen Sommer lang. Doch
es war einfach zu heiß in dieser Stadt.
Jahr für Jahr blasser wir beide und
vielfältiger, einsilbiger, herber.
Deine Hand immer leichter,
wenn sie auf der meinen liegt.
Dein Blick immer schwerer,
wenn er auf den Dingen
so lange ruht, bis er
auch deren Rückseite sieht,
die Leere auf der Rückseite der Dinge.
Aber an unseren großen Tagen,
da strahlen wir wie eh und je –
Und als ob du nach all den Jahren sogar
meine ungeschriebnen Gedichte lesen könntest,
stürmst du plötzlich herein
und blitzt mich mit
all deinem Übermut an:
»Wär’s nicht toll, du, wenn heut abend
so ein richtig großes Gewitter käm’?«
Heut früh,
durch Jalousettenritzen drang ein allererstes Licht,
heut früh verschlug es mir so gründlich
die Sprache, weil du nicht neben mir,
weil du nicht mit mir aufgewacht warst,
daß mir mucksmäuschenstill,
Zeile für Zeile,
das endgültige Gedicht aufdämmerte.
Es hieß »Baldurs Blau«,
das weiß ich noch,
und es begann damit,
daß ich dir eine Insel schenken wollte,
obwohl ich noch nicht mal das Geld hatte,
dir die Yacht zu kaufen,
ach was: die Überfahrt mit ’nem Kanu,
um überhaupt hinzukommen.
Ich hatte nur das Gedicht.
Irgendwo kam darin vor, daß deine Augen
so blau wären –
so blau waren –
so blau sind wie –
Wie gern hätte ich dir
zumindest das Gedicht geschenkt.
Doch als ich schließlich auf Zehenspitzen
zum Fenster ging und die Jalousette kippte,
polterte die Sonne ins Zimmer.
Ich hatte es gründlich vermasselt.
Gerade eben träumte ich offenen Auges
von meiner Yuccapalme. Sah sie
in all ihrer mäßigen Pracht vor mir steh’n,
wo sie die letzten zwanzig Jahre
gestanden. Bis sie eines Tags dann doch,
ganz ohne Sang und Klang,
für immer verschwand.
Wie ich erwachte, standest du vor mir,
die mir die Palme einst geschenkt,
und strahltest mich so übermäßig an,
daß ich mit einem Male wußte,
wie ich dich sehen würde, wenn du –
wenn du nicht mehr mit mir –
wenn du mal nicht mehr bist.
das Vertrauen ineinander
die Sorge umeinander
das Lachen übereinander
dann gibt es noch immer nichts zu bereuen
St. James’s Park, an einem 24. Februar von Queen Anne’s Gate aus betreten
Ich hatte noch ’ne Viertelstunde Zeit, weißt du,
und weil mir nichts Besseres einfiel,
ging ich rüber in den Park,
es war so ’n richtig knallharter Frühlingstag,
mindestens dreizehn, vierzehn Grad,