Dinkelsbühl Geschichte light - Gerfrid Arnold - E-Book

Dinkelsbühl Geschichte light E-Book

Gerfrid Arnold

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Beschreibung

Die erste Darstellung sämtlicher Hexenprozesse der Reichsstadt Dinkelsbühl bietet mit Quellentexten und Bildmaterial eine authentische Kriminalgeschichte mit Einblick in das Alltagsleben. Sie umfasst alle vor den Rat gebrachten Anklagen und räumt mit dem Klischee einer maßlosen Verfolgung auf. In Dinkelsbühl war es anders. Die Obrigkeit kam ihrer Schutz- und Rechtspflicht nach, wichtig aber war der soziale Friede. Die Ratsherren bestimmten nach reiflicher Überlegung den Prozessverlauf im Sinn der Reichsgesetzordnung. Eine Dinkelsbühler Besonderheit der Folter war der "Spitzige Stuhl", der eigens angefertigt wurde. Man nahm Rücksicht auf Schwangere und Kranke, ließ Bußgeld nach, leichtfertige Bezichtiger_innen mussten Abbitte leisten - ein Prozess gegen Frauen von Ratsherrn wurde unterdrückt. In der Reihe "Dinkelsbühl Geschichte light" sind bisher "Die Judenschaft" und "Die Stadtgeschichte" erschienen.

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Inhalt

Das Hexenwerk lebt

Christoph von Schmid erzählt von seiner Tante

In Dinkelsbühl war es anders

Das Phänomen.

Geringe Macht der Kirchen.

Die Innenpolitik hat Vorrang.

Das Dinkelsbühler Ratsgericht.

Rechtsgrundlage war das „Peinlich Halßgericht“.

Wie man in Dinkelsbühl verhörte.

Die Dinkelsbühler Kriminalmittel.

Was der größte Dinkelsbühler Hexenprozess 1655/56 kostete.

Ein aufschlussreicher erster Fall

1557 Agatha Dietrich und ihre Töchter

… solche Krankheit von Gott oder bösen Leuten …

Die ersten Hexenprozesse

1611 und 1613

1611 Margrete Hürlbach

… wöll sich nacket usziehn und besichtigen lassen …

1611 Frau Lienhardt; Frau Englhardt

… sie einander der Hexerei bezeigen …

1613 Der Fall der Schwestern Gaßner und Gurr, (Kellerin, Dienstmagd Barbara, zwei Alte, Nachbarin, Wirtin, Tuchmacherin)

… wegen des leidigen Wesens der Hexerei …

1613 Catharina Gaßner

… von ihrer Mutter verführt worden …

1613 Maria Gurr

… mit dem bösen Feind wöchentlich zu schaffen gehabt …

1613 Die Kellerin

… weil sie Übles stiften müssen …

1613 Dienstmagd Barbara

… hinter einen Holderbusch …

1613 Zwei Alte

… bei einem teuflischen Tanz gesehen …

1613 Die befreundete Nachbarin

… dass er morgens nicht harnen können …

1613 Die Wirtin und die Tucherin

… bei teuflischer Gasterei …

Hexerei im Dreißigjährigen Krieg

1623, 1627, 1645

1623 Ein Hexenfall

1627 Ein Hexenfall

1645 Hebamme Euphrosina

… geköpft und hernach verbrannt …

Vor der Hinrichtungswelle

1650, 1654

1650 Frau des Martin

… eine Hexe tituliert …

1654 Frau von Bierbrauer Simon Buckel

… seine Nahrung hierdurch gesperrt …

Die Hinrichtungswelle

von 1655 bis 1663

Stadtverfassung und Konfessionsverhältnisse. Die Gerichtsorgane. Zu den Quellen.

1655/56 Der große Hexenprozess

… vom Leben zum Tod und auf den Scheiterhaufen gebracht …

1655/56 Sibilla Bidermann

… von Jugend auf bösen Rufs …

1655/56 Margaretha Link

… sei alles wahr, bittet nur um ein gnädiges Urteil …

1655/56 Johann Peter Bidermann

… der Besten keiner …

1655/56 Ratsfrauen Ursula Strölein und Laur

… dass diese beiden Frauen die meisten indicia haben …

… in das Trühlein in der Ratsstube verwahrlich getan …

1655/56 Lichtermacherfrau Margaretha Susanna Buckel

… keine Empfindlichkeiten an der Tortur empfunden …

1655/56 Catherina Rieger

… in Augenschein …

1655/56 Tuchschererfrau Walburga Mangoldt (Goggelhopfin) Hirtenfrau Susanna Stadtmüller (Segringer Hirtin)

… die Weiber hätten sie falsch angeben …

… ihr ihre Kindlein zukommen lassen …

1656 Totengräberfrau Eva Peter (Totengräberin) Kellerin Anna Strauß (Lange Anna)

… den Leuten Unrecht getan …

… darauf zu leben und sterben begehrt …

1655/56 Schneeballenmacherin Catharina Deubler (Hascherin)

… liebes Töchterlein mit Gift in einem Apfel umgebracht …

1656 Landuntertanen Georg Kerzer; Melchior Erpf

… dergleichen nimmermehr gegen den andern zu gedenken …

1656 Goldschmied Hans Peter Bidermann; Schuster Zacharias Kern; Schreiner Melchior Setzer

… zu einem Teufelsbanner gegangen …

1656 Frau von Metzger Jacob Braittenbicher

… Wann man noch weiters gebrannt hätte, so wäre die Braittenbicherin die erste gewesen …

1657 Zweite Ehefrau von Goldschmied Hans Peter Bidermann

… gehexet und geflätlet …

1657 Frau von David Bauer und ihre Mutter

… Hexen und Drutten geheißen …

1658 Häfner Sebastian Zierer

… dass sie nicht allein ausdorren, sondern auch gar sterben …

1658 Häfner Mathes Pichler und seine Frau

… sie für Hexenleut ausschreien …

1660 Stricker Hans Beuerlin und Familie

… mit ihrem Lumpenhändel wohl daheim verbleiben …

1660/61 Schusterfrau Barbara Hukler

… zur Tortur gezogen, erstlich leer, dann secundo wieder aufgezogen und ihr einen geringen Stein an die Füß gebunden …

1661 Frau Drechsel

… in der Hexerei angetroffen …

1661 Schuster Simon Hukler sein Sohn Schuster Hans Caspar Hukler dessen Schwiegervater Stricker Hans Schütz

… teufelsbannerische Sachen …

1661 Alte Weberin Maria Riss

… der Weberin einen Widerruf tun …

1661 Jüngste Tochter des Stadtknechts Friedrich Sorrein

… mit dem leidigen Satan besessen …

1663 Zieheltern Georg Pölsterer und Familienmitglieder

… bei ihnen das Hexenwerk gelernt …

1663 Bienendieb Michel Mayr

… mit dem Strang zu Tod richten und sich in Acht nehmen …

Keine Hinrichtungen von Hexen, Zauberern und Teufelsbannern

ab 1664

1664 Ehepaar Keller; Tochter, Frau Graf; Tochter, Frau Mayer

… nachts auf dem Zimmerplatz getanzt …

1664 Margaretha Schmätzer (Finken Maigel)

… Rettung ihres ehrlichen Namens …

1666 Witwe Anna Hirlbach

… auch eine Abbittung getan …

1666 Witwe Apolonia Tarrant

… der sie injuriert und gehexet …

1666/67 Säcklerfrau Barbara Müller Ehemann Säckler Stephan Müller Schwägerin Zimmermannsfrau Jacobina Müller Catharina Grüber (Schmelzerin)

… ihr in Brandwein ein Neiglein Gift zu trinken gegeben …

1667 Witwe Mannberger

… Gefährlicher Reden, Hexerei wegen …

1667 Anna Magdalena Textor

… gehext und gedrutet …

1669 Eheleute Jörg Kübler

… zwei Kälber zu Tod geritten …

1671 Catharina Mack

… eine Hex und Trutt geheißen …

1678 Wirtssohn von Oberbach

… könne sich unsichtbar machen …

1679 Leonhard Kraus

… das Vieh zu Tod reiten …

1680 Frau des Goldschmieds Georg Goldtbach

… sich zu einer schwarzen Katz gemacht …

1682 Susanne Beck

… ein Hex …

1687 Küsterfrau in Crailsheim

… das Vieh zugrund gerichtet …

1687 Eheleute Thomas Engelhard

… Schinder, Puter und Hexenleut gescholten …

1688 Eva Rumpler

… der Hexerei halben nit …

1689 Stockgräber Hans Wimmer; die Segringer Hirtin Maria Keyser; ihre Töchter

… Namen Gottes vielfältig entunehrt …

1689 Margaretha Saidel

… das Fieber bekommen …

1690 Dienstmagd von Dr. Ulner

… Trudt, Hex etc. …

1691 Gold Engele

… eine Hex gescholten …

1696 Töchterlein von Bürgermeister Held

… junges Hexlein und Teufelein geheißen …

1697 Mallebäuerin

… von bösen Leuten zu Tode geritten …

1699 Tochter des Steuerschreibers Stromer Frau des Tuchmachers Matthes Michel; der Posthalter; der junge Bortenwirker Discher; der Bezichtiger selbst; dessen Mutter Barbara Müller

… geist- und weltliche Obrigkeit belogen und betrogen, auch den Leuten die Ehr abgeschnitten …

Texthinweise.

Fotos.

Dinkelsbühler Publikationen zum Thema.

Das Hexenwerk lebt

Der böse Blick ist gefürchtet, der Hexenschuss ist jedermann bekannt, Magier treten in Shows auf, Halloween ist bei den Kids voll cool, Hexen und Zauberer haben in Märchen und Film einen festen Platz, okkulte Karten- und Phantasie-Spiele sind Zeitvertreib, im modernen Hexenkult sind spirituelle Zirkel und Satanisten über Ländergrenzen hinweg im Netz verbunden, die katholische Kirche hält am Exorzismus fest, eine Existenz des Teufels wird weltweit anerkannt.

Im Dämonenstaat, der Obrigkeit und Kirche schädigt, verlieh der Teufel Zauberern und Hexen mit dem Teufelspakt übernatürliche Kräfte. Noch vor einem Jahrhundert waren in Franken Abwehrpraktiken gegen den Schadenzauber der Druden üblich, und die unheimlichen Wesen, vor denen man sich hüten musste, hielten Sagen in Erinnerung. Wie stark der Hexenglaube um das Jahr 1775 in Dinkelsbühl verwurzelt war, berichtet der Jugendschriftsteller Christoph von Schmid in seinen Erinnerungen aus meinem Leben.

Christoph von Schmid erzählt von seiner TanteNoch viel größer als vor Gespenstern war die Furcht der guten Base vor Hexen. Ihr, damals fast allgemein herrschender Aberglaube war in dieser Hinsicht grenzenlos. Sie glaubte, ein Weib, das eine Hexe sei, könne sich in jede beliebige Gestalt verwandeln, ja sich so klein machen, dass sie durch das Schlüsselloch in eine Stube hereinschliefen könne; sie könne zu Nacht durch den Kamin hinausfahren, und auf einem Besenstiel hoch durch die Lüfte auf den Blocksberg reiten. Die Tante hatte manches bissige, als bösartig verschriene Weib in der Stadt im Verdacht der Hexerei. Als ich einst als ein kleines Knäblein, mit der Tante an einem Bäckerhause vorbei kam, flüsterte sie mir sehr leise in das Ohr, sie vermute, die Katze, die eben vor dem Fenster auf dem Bäckerladen an der Sonne lag, sei die Bäckerin, die sich so verwandelt habe, um sich recht bequem zu sonnen.

Am Abende vor der Walpurgisnacht, sagte sie vertraulich und geheim zu mir, sie möchte in dieser gefährlichen Nacht, in der alle Hexen ausfahren, doch ruhig und ohne Furcht und Ängsten schlafen. „Sei also so gut“, bat sie mich, „und stelle des Vaters Degen so auf dem Küchenherde auf, dass die Spitze hinauf gegen den Kamin gekehrt sei. Dann wagt es nicht leicht eine Hexe durch den Kamin herabzufahren und durch das Schlüsselloch in meine Kammer zu kommen, und mich in die Füße zu zwicken, wie es mir schon einmal eine gemacht hat.“ […] Ich tat, was sie verlangte. Am folgenden Morgen sagte sie zu mir sehr erfreut: „Alles ist glücklich abgelaufen! Du darfst mir aber glauben, dass ich mit erschrockenem Herzen in die Küche gegangen bin; ich fürchtete, es könnte sich dennoch eine Hexe durch den Kamin herein gewagt, und sich dann an dem Degen angespießt haben. Gottlob, dass es nicht geschah! Da hast du den versprochenen Groschen.“

Drei Hexen brauen einen Sud, eine Hexe reitet auf dem Teufel in Bocksgestalt zur Versammlung (17. Jh.).

In Dinkelsbühl war es anders

Das Phänomen

Das Phänomen der nachmittelalterlichen Hexenhysterie ist vielschichtig, unter anderem verursacht durch Klimaverschlechterung und einhergehenden Missernten, die Erfindung des Buchdrucks und die Angst vor dem Weltende. Unerklärliches, wozu plötzliche Erkrankungen und die Wirkung von Giftstoffen zählten, wurde mit Zauberei und Hexerei begründet. Für Ärzte unerklärliche körperliche Gebrechen, eigentümliches Verhalten und ein schlechter Leumund trugen dazu bei, als Hexe oder Hexer zu gelten. Frauen waren wegen ihrer natürlichen Anziehungskraft, der Monatsblutungen und der mysteriösen Schwangerschaft, aber auch wegen ihres Sozialverhaltens und ihrer Kenntnisse von Haus- und Heilmitteln verdächtiger als Männer.

Allgemein wird von Jagd auf Hexen, von Frauenfeindlichkeit mit sexuellen Übergriffen, vom Verbrennen bei lebendigem Leib, der Hinrichtung missliebiger Personen, von sadistischer Folter, fanatischen Geistlichen und einer Bereicherung an Hab und Gut der Verurteilten berichtet. In der Reichsstadt Dinkelsbühl gab es weder eine Hinrichtungsautomatik noch Schauprozesse. Die Ratsherren urteilten in einem gründlichen Verfahren und nach damaliger Rechtsauffassung. Die Ratsjuristen richtete sich nach den Reichsgesetzen der Carolina, Folterungen fanden erst nach mehrmaligen Verhören, ausreichenden Verdachtsmomenten und nach Ratsbeschluss statt, Geldbußen wurden gemindert, wobei die Stadtkasse manchmal einen Teil der Unkosten trug, Kranke und Schwangere erhielten eine Schonhaft, Betten und Nahrung konnten auch von der Familie gestellt werden, von Verwandtenbesuchen wird berichtet. Frauen bekamen bei der Folterung besondere Kittel angezogen, eine einzige Frau wurde lebend verbrannt. In Dinkelsbühl ist statistisch keine Frauenfeindlichkeit erkennbar. Männer bezichtigten etwa genauso viele Männer wie Frauen der Hexerei, während Frauen doppelt so viele Frauen als Hexen angaben. Allerdings starben zehn Frauen, dagegen nur zwei Männer. Der Dinkelsbühler Hexenwahn hatte seinen Schwerpunkt im 17. Jahrhundert, wobei es innerhalb eines halbes Jahrhunderts besagte 12 Todesurteile gab.

Geringe Macht der Kirchen

Der Glaube an Magie und Geistermacht wurde durch die katholische und protestantische Lehre gestützt. Die Höllenangst vor dem Teufel und seinen menschlichen Helfern, die Mensch und Tier Schaden zufügten, saß tief. Dagegen halfen nicht nur Kirchgang und Gebet, sondern im Volksglauben auch ein Gegenzauber oder Teufelsbannerei. Die Heilung körperlicher Gebrechen war mit dem Glauben wie mit dem Aberglauben verquickt.

Während im allgemeinen Kirche und Obrigkeit bei der Hexenverfolgung eng zusammenarbeiteten, war die konfessionelle Einflussnahme in der evangelisch-katholisch gemischten Bürgerschaft der Reichsstadt Dinkelsbühl sehr begrenzt.

Bei den ersten Verfolgungsprozessen 1611-1613 regierte ein katholischer Rat, der sich gegenüber der überwiegend protestantischen Bürgermehrheit zu vorsichtigem Vorgehen gezwungen sah. Während die vom Rat unabhängige Evangelische Landeskirche Dinkelsbühl sich selbst verwaltete, unterstand die katholische Gemeinde dem Augsburger Bischof, beide Gemeinden hatten auf die reichsstädtische Politik kaum Einfluss.

In der Verfolgungswelle 1655-1663 waren die bikonfessionellen Kirchenverhältnisse dieselben, zusätzlich verhinderte der paritätische Friedensvertrag nach Beendigung des Dreißigjährigen Kriegs jeglichen kirchlichen Einfluss auf die Ratsregierung: Die Reichsstadt wurde von zwei gleichberechtigten, sich argwöhnisch beobachtenden Konfessionsparteien regiert, die dennoch den Stadtstaat funktionsfähig halten mussten.

Die Innenpolitik hat Vorrang

Die Untertanen des Reichstadtstaats Dinkelsbühl glaubten an die Existenz Gottes, des Teufels und seiner Helfer, und im nachbarlichen Zusammenleben gab es Eifersucht und Ehebruch, Neid, Streit, üble Nachrede und Beleidigung „Hexe“ als alltägliche Schimpfwort. Auch auf dem Land konnten nachbarlicher Unfriede oder ein Gesundheitsproblem zu einer Hexereibezichtigung führen.

Für die Verfolgung von Hexerei und Teufelsbannerei war die obrigkeitliche Politik verantwortlich. In der katholischen Nachbarstadt Ellwangen war ein fanatischer Fürstpropst Gerichtsherr, und die Stadt Crailsheim wurde von Beamten des protestantischen Markgrafen von Brandenburg-Ansbach verwaltet. Dagegen saß in Dinkelsbühl der Innere Rat mit bürgerlichen Räten zu Gericht über Stadt und Land. Sie berieten im Sitzungssaal des Alten Rathauses, ob eine Anklage als Hexenwerk galt, sie entschieden über den Prozessverlauf, die Anwendung der Folter und das Strafmaß. Die soziale Verflechtung der Bürgerschichten und die verwandtschaftlichen Beziehungen zu Amtsinhabern und Ratsherren trugen zu milden Urteilen bei.

Für den Reichsstadtstaat Dinkelsbühl war der Hexenwahn ein Regierungsproblem, der Magistrat hatte eine Schutz- und Rechtspflicht gegenüber den Stadtbürger_innen innerhalb der Stadtmauern einschließlich der Stadtmark wie auch gegenüber seinen Landbürger_innen des territorialen Streubesitzes. Bei einer berechtigten Anklage forderte der Kläger vor dem Rat die Bestrafung wegen eines erlittenen Schadens, während im Gegenzug zu Unrecht Bezichtigte auf der Wiederherstellung der Ehre bestanden. Dem musste die Obrigkeit gerichtlich nachkommen. Bei den konfessionell kritischen Verhältnissen mit einer verfeindeten Bürgerschaft musste oberstes innenpolitisches Ziel sein, die Rechtsordnung einzuhalten und zugleich den brüchigen Sozialfrieden nicht zu gefährden. Der Rat reagierte mit maßvoller Zurückhaltung, nicht mit dogmatischer Verfolgung des Hexen- und Teufelswerks.

Gedankenloses Gerede verhandelte das Ratsgericht nicht als kriminelle Hexerei, sondern als ziviles Vergehen, weil kein nachweisbarer körperliche Schaden vorlag. Den zu Unrecht Verschrienen musste man wenigsten öffentlich Abbitte leisten und sich entschuldigen und deren Ehre und guten Namen wiederherstellen. In schwerer wiegenden Fällen wurden die Bezichtiger_innen mit dem Pranger und der Halsgeige bei der Ratstrinkstube gegenüber vom Münsterportal oder mit Narrenhaus und Gefängnis bis hin zur Verbannung aus dem Staatsgebiet bestraft.

Die Dinkelsbühler Prozesse mit Todesfolge kamen unter Fremdeinfluss aus Ellwangen ins Rollen. Von den in einen Prozess verwickelten Personen verurteilte der Dinkelsbühler Rat etwa ein Zehntel zum Tod. Laut Dinkelsbühler Archivalien von 1550 bis 1700 erhielten 10 Frauen und 2 Männer das Todesurteil. Allein im großen Hexenprozess 1655/56 waren es sechs Frauen. Zählt man diesen Prozess, der von einer Frau ausging, als einen Prozess, waren es sieben Prozesse mit Hinrichtungen: Eine Frau wurde bei lebendigem Leib auf dem Scheiterhaufen verbrannt, acht Frauen und ein Mann wurden nach der Enthauptung zu Asche verbrannt, ein Mann durch den Strang hingerichtet, eine Frau starb vor ihrer Hinrichtung in ihrer Zelle.

Das Dinkelsbühler Ratsgericht

Im Reichsstadtstaat Dinkelsbühl gab es keine Gewaltenteilung, es lagen die Gesetzgebung (Legislative), die richterliche Gewalt (Judikative) und auch die Durchführung (Exekutive) in der Hand der regierenden Ratsherren, dem Inneren Rat.

Das dinkelsbühlische Ratsgericht bestand ab der 1552 von Kaiser Karl V. aufgezwungenen oligarchischen Verfassung bis zum Friedensschluss des Dreißigjährigen Kriegs – unterbrochen durch die schwedische Stadtherrschaft 1632-1634 – aus 15 katholischen Ratsherren mit drei sich abwechselnden Bürgermeistern. Sie waren für die Hinrichtungen der ersten Prozesse von 1611 und 1613 sowie 1645 verantwortlich.

Nach dem Friedensschluss bestand ab 1649 eine paritätische Stadtverfassung mit zwei gleichberechtigten konfessionellen Ratsfraktionen. Zwei evangelische und zwei katholische Bürgermeister wechselten sich quartalweise in der Amtsführung ab, sodass es immer nur einen „Amtsbürgermeister“ gab. Zwei Bürgermeister und zwei evangelische und zwei katholische Geheimräte bildeten den Geheimen Rat. Dem Inneren Rat, der in der wöchentlichen Ratssitzung auch zu Gericht saß, gehörten weitere fünf evangelische und fünf katholische Ratsherren an. Demnach setzte sich das Ratsgericht aus insgesamt 18 Herren zusammen.

Rechtsgrundlage war das „Peinlich Halßgericht“

Zwei deutsche Dominikaner und Hexenjäger definierten das Hexenwesen 1486 im Druckwerk Hexenhammer, der über Jahrhunderte maßgeblich war. Ein Jahr später gestattete Kaiser Maximilian I. das Verfolgen von Hexen, und auf den Reichstagen zu Augsburg und Regensburg unter Kaiser Karl V. wurde dann 1530/1532 die Carolina, die peinliche Gerichtsordnung, ausformuliert und verabschiedet. Sie regelte im Heiligen Römischen Reich unter anderem die gesetzliche Folterung bei Verhören.

DasTitelblatt der „Carolina“ in der Ratsbibliothek hat den handschriftlichen Eintrag Gehört uff das Rathhaußen (Ausgabe von 1569).

Dieses Strafgesetzbuch mit Strafprozessordnung bildete in der Reichsstadt Dinkelsbühl die Rechtsgrundlage bei Kapitalverbrechen, zu denen ab 1530/32 auch alles Hexenwerk, alle Zauberei und Teufelsbannerei zählte.

Ein auf das Wort Hexe weisender Zeigefinger, Zeichnungen und Unterstreichungen belegen die einschlägige Benutzung der Carolina.

Aus der Carolina

Gefängnis Einzelhaft war bis zur Verurteilung üblich. In Dinkelsbühl konnten die Angehörigen sogar Bettzeug in das Gefängnis bringen, in einem Fall den Inhaftierten verköstigen und besuchen. Und ist dabei sonderlich zu merken, dass die Gefängnis zu Behaltung und nicht zu schwerer, gefährlicher Peinigung der Gefangnen sollen gemacht und zugericht sein.

FolterDie peinlich Frag soll nach Gelegenheit [Art] des Argwohns der Person viel, oft oder wenig, hart oder linder Ermessung eines guten, vernünftigen Richters vorgenommen werden. Und soll die Sag [Aussage] des Gefragten nicht angenommen oder aufgeschrieben werden, so er in der Marter, sondern soll sein Sag tun, wo er von der Marter gelassen ist.

Eine gültige Aussage sollte gütlich erfolgt sein. Nach der peinlichen Befragung fand deshalb nachfolgends weiter außerhalb Marter eine gütliche Befragung statt.

Widerruf Widerrief eine Person die erfolterte Aussage, erfolgte eine erneute Folter: So der Gefangen der vorbekannten Missetat leugnet und doch der Argwohn […] vor Augen wär, so soll man ihn wieder in Gefängnis führen und weiter mit peinlicher Frag gegen ihm handeln.

Am Rand zeigt eine Hand mit den Worten „casum so“ (dieser Fall ist so) auf eine, die gütliche Aussage betreffende, Zeile. Bei Bezichtigung weiterer Personen wurde auch gefragt, ob damit keinem Unrecht getan werde.

Leumund Der schlechte Leumund eines Verdächtigen spielte eine Rolle: Wenn man kein Geständnis hatte, so soll man Erfahrung haben nach … argwöhnigen Umständen. Erstlich, ob der Verdacht ein solche verwegen oder leichtfertige Person von bösem Leumund und Gerücht sei, dass man sich der Missetat zu ihr versehen möge.

GiftBekennt der Gefragt, dass er jemand vergift hab oder vergiften wöllen, man soll ihn auch fragen aller Ursachen und Umstände […] und wer ihm dazu geholfen oder geraten hab. Zum Strafmaß eines Giftmords heißt es: Tät aber ein solche Missetat ein Weibsbild, die soll man ertränken oder in ander Weg nach Gelegenheit vom Leben zum Tod richten. Doch zu mehr Furcht andern, sollen solche boshaftige, misstätige Personen vor der endlichen Todesstraf geschleift oder etlich Griff in ihre Leib mit glühenden Zangen gegeben werden.

Zauberei (Hexerei) Zum Strafmaß heißt es: So jemand den Leuten durch Zauberei Schaden oder Nachteil zufügt, soll man ihn strafen vom Leben zum Tod und man soll solch Straf mit dem Feuer tun.

Die Verurteilung zum Schwert mit Körperverbrennung war ein Gnadenakt.

Schriftliche Anklage Man wollte leichtfertige Anklagen vermeiden. Es heißt, dass er, der Ankläger, seine Artikel, die er beweisen will, ordentlich aufzeichnen lasse und dem Richter in Schriften überantwort.

Wie man in Dinkelsbühl verhörte

Bei Kriminalverbrechen, als solches wurde die Schadenhexerei angesehen, wurde das Geständnis Schritt für Schritt abgepresst. In Dinkelsbühl ist eine peinliche Befragung eines Verbrechers 1502 aktenkundig und erfolgte damit bereits vor in Kraft treten der Halsgerichtsordnung des Reichs. Sadistische Grausamkeiten sind in Dinkelsbühl nicht bekannt. Körperfolter wurde hier bis zur Strengen Frag angewendet, einer Winde zum schmerzhaften Hochziehen des Körpers. Dabei nahm man Rücksicht auf Kranke und Gebrechliche. In Dinkelsbühl lassen sich Verhörstufen feststellen, die im Einzelfall wohl nicht immer eingehalten wurde.

1. Zuerst wurde die verdächtigte Person in der Kanzlei des Alten Rathauses oder im Amthaus am Rothenburger Tor befragt. Kam es zur Untersuchungshaft, legte man sie in eine Kellerzelle des Amthauses oder in eins der drei Narrenhäuslein, die unter der einstigen Freitreppe des Alten Rathauses, bei der Ratstrinkstube und im Verwaltungshaus des Hospitals waren.

2. Sagte die Person nicht sofort aus, folgte das gütliche Verhör. Man machte deutlich, ohne Geständnis sei die von Gott eingesetzte Obrigkeit gezwungen, andere Mittel einzusetzen.

3. Als Druckmittel wurde bei einer weiteren gütlichen Befragung der Scharfrichter hinzugezogen. Gab die Person trotzdem auf den Fragenkatalog keine befriedigenden Antworten, wurde sie in Ketten gelegt.

4. Danach wurde die Angst vor Schmerzen gesteigert. Das nächste Verhör fand im Folterraum statt, dem Drudengewölbe über der Rothenburger Tordurchfahrt, wo der Scharfrichter die bereitgelegten Folterwerkzeuge zeigte und ihre Anwendung deutlich machte.

5. Üblicherweise wurden bei starkem Hexereiverdacht sämtliche Haare geschoren und der Körper auf Hexenmale untersucht, insbesondere auf der Herzseite und an den Geschlechtsteilen. In auffällige Hautverfärbungen stach der Scharfrichter eine Nadel: Trat kein Blut aus, war die Person mit dem Teufel im Bund. Letzteres ist in Dinkelsbühl nicht belegt.

In Dinkelsbühl erklärte sich 1611 eine Angeklagte bereit, ihren Körper nackt untersuchen zu lassen. Von einer anderen Frau ist bekannt, dass ein Augenschein in der Zelle vorgenommen wurde. Einmal ist das Abscheren der Haare als Vorschlag eines Stadtjuristen belegt.

6. Um ein Bekenntnis zu erzwingen, begann danach das peinliche Verhör. Hatte sich der Verdacht erhärtet, konnte der Hexe vor der Folterung einen Torturrock angezogen werden, ein schwarzes Kleid ohne Taschen, damit sie nichts Teuflisches verbergen konnte.

7. Die Gefangenen mussten durch Folterung neben ihrer Hexerei und Teufelsbuhlschaft auch die Namen ihrer Verführer_in und der Teilnehmer angeben. Vermutlich mussten sie beim Verhör auf dem Dinkelsbühler