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Mit gemischten Gefühlen betrachtet Rolf Wagner das Brautpaar, das vor dem Standesbeamten steht. Eigentlich hält er seinen Schwiegersohn für einen anständigen Kerl. Trotzdem glaubt er, dass diese Hochzeit ein Fehler ist. Hinter Julia und Henning liegen schwere Zeiten: Vor drei Jahren hatte die damals so lebensfrohe Frau einen Autounfall. Ihr gemeinsames Baby, das ebenfalls im Auto saß, hat den Unfall nicht überlebt. Die Leiche wurde nie gefunden.
Seitdem ist in Julias Leben nichts mehr so, wie es einmal war. Die junge Lehrerin hat ihren Beruf aufgegeben, leidet unter Panikattacken, Selbstvorwürfen und Depressionen. Die Beziehung zu Henning hatte Julia mehr oder weniger beendet. Und nun das. Hennings Hartnäckigkeit hat offensichtlich Erfolg gezeigt. Er hat immer betont, Julia zu lieben und auf sie zu warten, bis sie bereit wäre, einen Neubeginn mit ihm zu wagen. Schließlich hat er wohl Erfolg gehabt und sie überzeugen können, die Ehe mit ihm einzugehen.
Aber ist das wirklich der richtige Weg für Rolfs Tochter? Wird es nicht immer wieder alte Wunden aufreißen, wenn sie mit dem Vater ihres toten Babys zusammenlebt?
Misstrauisch schaut er seinen Schwiegersohn an, als er ihm nach der Trauung die Hand gibt.
"Pass gut auf mein Mädchen auf", sagt er mit rauer Stimme. "Wehe, du brichst ihr das Herz."
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Seitenzahl: 122
Cover
Impressum
Pass gut auf mein Mädchen auf!
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: iStockphoto/Neustockimages
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5231-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Pass gut auf mein Mädchen auf!
Dem Brautvater fiel es schwer, seine Tochter gehen zu lassen
Mit gemischten Gefühlen betrachtet Rolf Wagner das Brautpaar, das vor dem Standesbeamten steht. Eigentlich hält er seinen Schwiegersohn für einen anständigen Kerl. Trotzdem glaubt er, dass diese Hochzeit ein Fehler ist. Hinter Julia und Henning liegen schwere Zeiten: Vor drei Jahren hatte die damals so lebensfrohe Frau einen Autounfall. Ihr gemeinsames Baby, das ebenfalls im Auto saß, hat den Unfall nicht überlebt. Die Leiche wurde nie gefunden.
Seitdem ist in Julias Leben nichts mehr so, wie es einmal war. Die junge Lehrerin hat ihren Beruf aufgegeben, leidet unter Panikattacken, Selbstvorwürfen und Depressionen. Die Beziehung zu Henning hatte Julia mehr oder weniger beendet. Und nun das. Hennings Hartnäckigkeit hat offensichtlich Erfolg gezeigt. Er hat immer betont, Julia zu lieben und auf sie zu warten, bis sie bereit wäre, einen Neubeginn mit ihm zu wagen. Schließlich hat er sie wohl überzeugen können, die Ehe mit ihm einzugehen.
Aber ist das wirklich der richtige Weg für Rolfs Tochter? Wird es nicht immer wieder alte Wunden aufreißen, wenn sie mit dem Vater ihres toten Babys zusammenlebt?
Misstrauisch schaut er seinen Schwiegersohn an, als er ihm nach der Trauung die Hand gibt.
„Pass gut auf mein Mädchen auf“, sagt er mit rauer Stimme. „Wehe, du brichst ihr das Herz.“
Postkartenwetter! Die Sonne strahlte von einem eisblauen Winterhimmel auf die Zillertaler Berge herab. Der Schnee glitzerte auf den Hängen, als wären sie mit Diamanten gepudert. Weiter unten im Tal zeichnete sich ein Dorf ab, aber der Ort lag schon eine gute Stunde hinter Julia Wagner.
Die junge Lehrerin fuhr mit ihrem roten Kleinwagen eine Serpentinenstraße hinauf. Die Kurven wurden immer enger, der Abgrund zu ihrer Rechten immer abschüssiger. Ein leichter Wind spielte mit den Wipfeln der tief verschneiten Zirben. Hier oben suchte man eine Ansiedlung vergebens.
Julia kniff nachdenklich die Augen zusammen. Schon lange war sie an keinem Wegweiser mehr vorbeigekommen. Stimmte die Straße überhaupt noch? Oder hatte sie sich verfahren?
Sie hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Wenn sie irgendwo eine Abzweigung übersehen hatte, machte das nichts. Sie war nicht in Eile. Ihre Freundin erwartete sie ohnehin erst gegen Mittag. Sie war früher in München losgefahren, weil sie nicht sicher gewesen war, in welchem Zustand die Straßen waren.
Bisher hätte sie sich jedoch nicht sorgen müssen. Die Autobahn war geräumt gewesen, und auch hier in den Bergen schienen die Straßen frei zu sein. In der Ferne sprenkelten Skifahrer die Hänge. Ihre Overalls wirkten wie bunte Farbtupfer auf dem Weiß.
Nicole war vor wenigen Wochen mit ihrem Mann ins Zillertal gezogen. Julia und sie kannten sich seit ihrem gemeinsamen Studium. An diesem Tag wollte sie die Freundin in ihrem neuen Zuhause besuchen. Im Kofferraum wartete ein Zimmergewächshaus als Einweihungsgeschenk. Julia wusste, wie gern ihre Freundin Kräuter und Salat selbst zog.
Von der Rückbank kam ein vergnügtes Glucksen.
Ihr Baby saß in der Autoschale und blickte sich aus großen Kulleraugen um. Belina war ein lieber Sonnenschein. Abgesehen von zahlreichen schlaflosen Nächten, machte sie ihren Eltern nichts als Freude. Julias Herz wurde weit, als sie über den Rückspiegel zu ihrer Tochter blickte. Die Kleine war gerade drei Monate alt und kaute begeistert auf allem herum, was ihr in die winzigen Fingerchen fiel. Gerade war es der Flügel einer Plüschbiene.
„Alles gut bei dir, Bienchen?“, fragte Julia.
Ihre Tochter strahlte als Erwiderung über das ganze Gesicht und machte ihr Herz weit und warm.
Das Handy klingelte in der Freisprecheinrichtung.
„Wagner hier“, meldete sich Julia.
„Hier auch“, erwiderte eine tiefe Männerstimme, in der ein Lächeln mitschwang. Henning! „Geht es euch gut?“
„Bestens. Wir sind gleich da, schätze ich.“
„Das schätzt du nur?“
„Na ja, ich bin nicht sicher, ob ich richtig gefahren bin. Eigentlich sollten wir bereits da sein. Kann sein, dass ich eine Abzweigung übersehen habe.“
„Warum schaltest du nicht das Navi im Handy ein, Liebes?“
„Das ist so umständlich. Ich finde mich schon irgendwie zurecht. Irgendwann muss ein Wegweiser kommen, dann weiß ich wieder, wo ich lang muss.“
„Pass bitte gut auf euch auf, ja?“
„Versprochen, mein Schatz.“
„Wie geht es Little Bee?“
„Prima. Sie schaut sich aus großen Augen um. Das Autofahren gefällt ihr.“
„Warte es ab: In ein paar Jahren wird sie uns in den Ohren liegen, weil sie sich den Wagen leihen will.“
Julia lachte. „Bis dahin dauert es schon noch einige Zeit.“
„Die wird schneller vergehen, als wir uns umschauen können.“
„Jedenfalls ist unsere kleine Biene bis jetzt ganz brav.“
„Gut so. Gib ihr einen dicken Kuss von mir, ja?“
„Das mach ich, sobald wie da sind. Aber wer küsst mich?“
„Ich, sobald ihr wieder daheim seid. Ihr fehlt mir jetzt schon, weißt du das?“
„Heute Abend haben wir uns ja wieder.“
„Ich kann es kaum erwarten.“ Die Stimme ihres Freundes wurde rau und zärtlich.
Tief in ihr begann es zu kribbeln, und Sehnsucht breitete sich in ihr aus. Henning war ebenfalls Lehrer, allerdings nicht für Grundschüler, wie sie, sondern an einem Münchner Gymnasium. Sie hatten sich während einer Fortbildung kennengelernt und auf Anhieb gut verstanden.
Zwischen ihnen hatte es ein Band gegeben, das sie beide gefühlt hatten und das mit jedem Treffen enger und inniger geworden war. Schon nach einem Jahr hatten sie entschieden, dass sie sich nie mehr trennen wollten, und waren zusammengezogen.
Ein Jahr später war Belina zur Welt gekommen. Little Bee, wie Henning sie gern nannte. Ihre kleine Biene.
Allmählich wurde ihre Wohnung zu klein für sie, da Henning und Julia jeder ein Arbeitszimmer brauchten, in dem sie ihre Fachbücher aufbewahren und Klassenarbeiten korrigieren konnten. Aus diesem Grund waren sie gerade auf der Suche nach einem gemütlichen Häuschen. Die Münchner Immobilienpreise explodierten, deshalb waren sie leider noch nicht fündig geworden.
„Du, die Kurven hier oben sind nicht ohne.“ Julia steuerte ihren Wagen um die nächste Straßenbiegung. „Ich muss Schluss machen. Ich rufe dich an, wenn wir da sind.“
„Mach das. Sollte ich gerade im Unterricht sein, sprich mir einfach auf die Mailbox, dann rufe ich in der Pause zurück.“
„Ist gut. Soll ich nachher etwas für das Abendessen mitbringen?“
„Musst du nicht, darum kümmere ich mich. Ich habe bereits einen Plan.“
„Du willst kochen? Oje“, entfuhr es ihr.
„Ich habe nicht gesagt, dass ich kochen will. Ich sagte, ich kümmere mich darum. Und genau das habe ich auch vor: Ich werde dich zum Essen ausführen. Meine Mutter passt derweil auf unsere kleine Biene auf. Ist alles schon besprochen.“
„Ich freu mich auf dich.“
„Nicht so sehr, wie ich mich auf euch freue. Bis später, Liebes.“ Es klickte, als Henning auflegte.
Mit wild klopfendem Herzen setzte Julia ihre Fahrt fort. Henning hatte die Macht, sie mit einem einzigen Blick oder einem liebevollen Wort dazu zu bringen, alles um sich herum zu vergessen. Himmel, wie sehr sie ihn liebte!
Vor ihr machte die Straße erneut eine Biegung. Julia steuerte ihr Auto ruhig um die Kurve und erhaschte aus dem Augenwinkel einen Blick auf die Schlucht, die zu ihrer Rechten gähnte. Wer dort hinunterstürzte … Weiter kam sie mit ihren Gedanken nicht, weil ihr Wagen unerwartet ins Schleudern geriet. Das Heck brach aus.
Zu spät bemerkte Julia das unheilvolle Glitzern auf dem Straßenbelag. Die Fahrbahn war vereist! Oh nein, nein, nein! Erschrocken trat sie die Bremse durch und steuerte gegen, wollte ihr Auto wieder unter Kontrolle bringen.
Zu spät!
Ihr Wagen schlingerte, drehte sich einmal um die eigene Achse und rutschte schließlich langsam, aber unaufhörlich auf den Rand der Fahrbahn zu – und damit genau auf den Abhang!
„Nein, oh, bitte, lieber Gott …“ Julia lenkte panisch dagegen an, aber ihr Auto reagierte nicht mehr. Und dann ging alles ganz schnell. Sie kippten seitlich weg und überschlugen sich mehrfach. Oben und unten vermischten sich. Es krachte metallisch. Etwas bohrte sich tief in Julias Seite. Ein entsetzlicher Schmerz explodierte in ihrem Leib und breitete sich rasend schnell aus. Und dann … Stillstand!
Sie hörte ihr Baby weinen.
Meine kleine Biene, dachte sie noch.
Dann wurde es Nacht um sie.
***
Nebelfetzen waberten vor ihren Augen. Julia blinzelte und versuchte, das milchige Weiß zu durchdringen, aber es gelang ihr nicht. Der Nebel hüllte sie völlig ein. Irgendwo in der Ferne waren Stimmen zu hören. Julia lauschte, konnte die einzelnen Worte jedoch nicht verstehen. Sie waren nur wie ein Rauschen.
Was war mit ihr geschehen?
Warum fühlte sie sich, als würde sie schweben?
Ihr war seltsam schwerelos zumute. Das Gefühl war jedoch nicht angenehm. Im Gegenteil. Es machte ihr Angst! Sie spürte, dass etwas nicht stimmte, aber sie konnte nicht sagen, was es war. Julia versuchte, sich zu konzentrieren, aber ihre Gedanken trieben davon wie Wolken an einem milden Sommertag.
Irgendwann versank sie erneut in der Dunkelheit.
So ging das viele Male. Julia hatte das Gefühl, dicht unter der Wasseroberfläche eines Sees zu treiben und stets kurz davor zu sein, aufzutauchen. Doch es wollte ihr einfach nicht gelingen.
Irgendwann – sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war – schaffte sie es endlich, die Augen zu öffnen. Die weißen Schlieren lösten sich auf, und sie bemerkte, dass sie in einem weiß eingerichteten Zimmer lag. Ein seltsamer Geruch ließ ein flaues Gefühl in ihr aufsteigen. Sie kannte ihn. So roch es in Krankenhäusern.
Kurz vor dem Tod ihrer Mutter hatte sie den Geruch gar nicht mehr aus der Nase bekommen, weil sie von früh bis spät in der Klinik geblieben war. Lag sie nun selbst im Krankenhaus? Über ihrem Kopf piepte etwas monoton. Ein Überwachungsgerät? Außerdem schnürte ihr etwas die Blutzufuhr am linken Oberarm ab. Zischend gab es den Weg für ihr Blut wieder frei. Ein Messgerät!
Die weiße Jalousie vor dem Fenster war zugezogen und machte es unmöglich, zu erkennen, ob es Tag oder Nacht war. Nacht vermutlich, denn die Leuchten über dem Bett brannten und tauchten den Raum in kaltes weißes Licht. Julias Hals fühlte sich rau an, als hätte lange Zeit ein Fremdkörper darin gesteckt. Sie tastete umher und spürte Schläuche, die zu ihrer Bettdecke führten.
Warum war sie so schwach?
Etwas Dunkles schien an ihrem Verstand anzuklopfen und Einlass zu begehren, aber sie kam nicht darauf, was es war.
Julia blickte vom Fenster weg zur anderen Seite ihres Bettes und bemerkte, dass Henning in einem Stuhl bei ihr saß. Er hatte das Gesicht in den Händen vergraben und die Ellbogen auf seine Knie gestützt. Ihr Freund wirkte so verzweifelt, dass es ihr ins Herz schnitt.
Unvermittelt hob er den Kopf, als hätte er ihren Blick bemerkt. Ungläubig musterte er sie, als könnte er nicht glauben, was er sah.
Und ihr ging es ähnlich! Was, um alles in der Welt, war denn mit ihrem Schatz passiert? Er war ja kaum wiederzuerkennen! Hager war er geworden. Sein Kinn stach kantig aus seinem Gesicht vor. Er war so blass, als hätte er seit Wochen keine Sonne mehr gesehen. Schatten lagen auf seinen Wangen. Nun jedoch schien plötzlich Licht aus seinen Augen zu brechen.
„Julia?“, keuchte er. „Du bist wach! O mein Gott! Du bist aufgewacht! Kannst du mich hören, Liebling? Erkennst du mich?“
Ob sie ihn erkannte? Sollte das ein schlechter Scherz sein? Natürlich tat sie das! Julia wollte ihn fragen, warum er so elend aussah. Ihr Körper gehorchte ihr jedoch nicht. Sie versuchte, etwas zu sagen, aber sie konnte die Bewegungen nicht steuern. Panik wallte in ihr auf und sandte eisige Schauder ihren Rücken hinab.
Was war mit ihr geschehen? War sie gelähmt?
Sie brachte nur Laute hervor, die selbst in ihren Ohren fremd und unheimlich klangen.
Henning wurde noch eine Spur blasser.
„Bleib ganz ruhig“, bat er mit rauer Stimme. „Der Arzt hat mich vorgewarnt, dass das passieren könnte. Ich werde es dir erklären, Liebes, aber du musst versuchen, ruhig zu bleiben. Okay?“
Sie kniff die Lider zusammen und öffnete sie wieder. Ein leichtes Nicken brachte sie zuwege. Das waren die einzigen Bewegungen, die sie momentan steuern konnte.
„Erinnerst du dich noch daran, dass du deine Freundin besuchen wolltest? Unterwegs hattest du einen Unfall. Du bist mit deinem Wagen von der Straße abgekommen und einen Abhang hinuntergestürzt. Dabei …“
Er schluckte hörbar.
„Dabei wurdest du schwer verletzt, Liebes. Autoteile haben sich in deinen Körper gebohrt. Es ist ein Wunder, dass du nicht an Ort und Stelle verblutet bist. Du wurdest in die Klinik geflogen und operiert. Die Ärzte haben getan, was sie konnten. Du hattest innere Blutungen, einen Schädelbruch … Es war schlimm. Nach der Operation bist du ins Koma gefallen. Du hast wochenlang geschlafen.“
Julia hoffte inständig, dass sie sich verhört hatte. Wochen? Sie hatte wochenlang im Koma gelegen? Aber … Ein glühend heißer Schreck fuhr ihr durch die Glieder. Henning hatte nur von ihr gesprochen. Davon, dass sie ins Krankenhaus geflogen und operiert worden war. Was war mit dem Baby? Mit ihrem Baby?
Julia wollte rufen, brachte jedoch nur ein Wimmern zustande. Die Dunkelheit in ihrem Hinterkopf breitete sich aus. Etwas Düsteres lauerte dort im Verborgenen, das spürte sie. Sie bekam es nur noch nicht zu fassen.
Unser Baby! Wo ist unser Baby? Sie sah ihren Freund flehend an, hoffte, er würde ihre unausgesprochene Frage verstehen.
Hennings Schultern sanken nach unten.
Schweigend strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Der Arzt sagt, du wirst dich erholen, Liebling. Du brauchst nur Zeit.“
Julia riss die Augen auf.
Unser Baby! Wo ist unser Baby?
Henning schüttelte kaum merklich den Kopf, als würde er ihre Frage verstehen, diese aber am liebsten wegschieben – irgendwohin, wo er sie nicht beantworten musste. In eine dunkle Ecke …
Übelkeit breitete sich in Julia aus.
Unser Baby! Wo ist unser Baby?
Die Frage hämmerte in ihrem Schädel wie ein Pochwerk. Julia konzentrierte all ihre Kräfte darauf, ihre Hand zu bewegen. Sie tastete nach den Fingern ihres Mannes und drückte sie, so sehr sie konnte.
Henning stöhnte auf und rieb sich mit der Hand über das Gesicht.
„Julia“, raunte er. „Ach, mein Liebling.“
Sie ließ keinen Blick von ihm.
Bitte, sag es mir. Wo ist unser Baby?
„Unsere kleine Biene …“
Er stockte und schluckte hörbar. Dabei liefen ihm die Tränen über das Gesicht und verrieten ihr alles, was sie wissen musste. Doch noch weigerte sich ihr Verstand, das Entsetzliche zu begreifen. Sie konnte, nein, sie wollte es nicht wahrhaben.