Dr. Stefan Frank 2418 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2418 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Seit in der Nachbarwohnung die bildschöne Anne Jakobsen eingezogen ist, geht diese dem Medizinstudenten Kilian nicht mehr aus dem Kopf. Die junge Frau wirft ihn einfach um, sie ist hilfsbereit, charismatisch, bildschön und dabei trotzdem ganz natürlich und überhaupt nicht affektiert. Gerne würde er sie näher kennenlernen, aber das erweist sich als schwierig. Seinen zaghaften Flirtversuchen weicht sie aus, und brüsk erklärt sie, sie sei an Männern nicht mehr interessiert.

Mit viel Geduld und Beharrlichkeit schafft Kilian es schließlich trotzdem, mit der hübschen Nachbarin ein bisschen näher in Kontakt zu kommen. Doch gerade als er denkt, das Eis zwischen ihnen würde langsam schmelzen, wirkt sie plötzlich wieder merkwürdig verschlossen. So verweigert sie ihm in ihrer Wohnung auch kategorisch den Zugang zu einem bestimmten Zimmer. Warum darf er dort nicht hinein? Gibt es da etwas zu entdecken, was er nicht sehen soll? Annes Verhalten erscheint ihm immer rätselhafter.

Erst als Kilian schwer erkrankt, kommt er ihrem Geheimnis langsam auf die Spur. Und das, was er da erfährt, gefällt ihm ganz und gar nicht ...

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Seitenzahl: 127

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Frau von nebenan

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: PhotoMediaGroup/shutterstock

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5495-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Frau von nebenan

Hoffnungslos verliebt sich ein junger Student in seine geheimnisvolle Nachbarin

Seit in der Nachbarwohnung die bildschöne Anne Jakobsen eingezogen ist, geht diese dem Medizinstudenten Kilian nicht mehr aus dem Kopf. Die junge Frau wirft ihn einfach um, sie ist hilfsbereit, charismatisch, bildschön und dabei trotzdem ganz natürlich und überhaupt nicht affektiert. Gerne würde er sie näher kennenlernen, aber das erweist sich als schwierig. Seinen zaghaften Flirtversuchen weicht sie aus, und brüsk erklärt sie, sie sei an Männern nicht mehr interessiert.

Mit viel Geduld und Beharrlichkeit schafft Kilian es schließlich trotzdem, mit der hübschen Nachbarin ein bisschen näher in Kontakt zu kommen. Doch gerade als er denkt, das Eis zwischen ihnen würde langsam schmelzen, wirkt sie plötzlich wieder merkwürdig verschlossen. So verweigert sie ihm in ihrer Wohnung auch kategorisch den Zugang zu einem bestimmten Zimmer. Warum darf er dort nicht hinein? Gibt es da etwas zu entdecken, was er nicht sehen soll? Annes Verhalten erscheint ihm immer rätselhafter.

Erst als Kilian schwer erkrankt, kommt er ihrem Geheimnis langsam auf die Spur. Und das, was er da erfährt, gefällt ihm ganz und gar nicht …

Mit Blaulicht raste der Notarztwagen über die Isarbrücke und bog anschließend in hohem Tempo nach rechts ab. Dr. Stefan Frank saß auf dem Beifahrersitz und stemmte unbewusst die Füße in das Bodenblech, als das Heck des Fahrzeugs auf dem regennassen Asphalt ins Schlingern geriet. Er klammerte sich am Haltegriff über der Tür fest und hoffte, sie würden ihr Ziel einmal mehr unversehrt erreichen.

Die Scheinwerfer des Wagens erfassten einen Radfahrer voraus, der sich unter eine leuchtend gelbe Regenplane duckte und genau in der Mitte der Fahrbahn hielt. Sie schossen auf ihn zu.

Stefan Frank verkrampfte sich. Fluchend wich sein Fahrer nach links aus. Die Scheibenwischer kämpften gegen den unablässig fallenden Starkregen, der die Sicht verschwimmen ließ, als würden sie sich unter Wasser befinden. Die Reifen rasten durch knöcheltiefe Pfützen.

Geschafft! Die Fontäne, die von ihren Reifen aufgewirbelt wurde, verfehlte den Radler knapp.

Der Notarztwagen raste die Münchner Straße entlang – vorbei an der Abzweigung zur Filmstadt, am Hotel Ritterhof und an den gepflegten Villen, die von Hecken flankiert wurden wie von grünen Schutzschilden. Das Martinshorn nötigte alle anderen Autos an die rechte Fahrbahnseite. Sie flogen förmlich vorbei, ihrem Ziel entgegen. Schnell – und doch nicht schnell genug.

Dr. Frank ahnte, dass die Zeit knapp wurde.

Eine Schülerin. Nicht ansprechbar. Auf dem Schulhof des Gymnasiums. Vermutlich Drogenkonsum. So lauteten die wenigen Informationen, die über die Notrufzentrale hereingekommen waren. Ein Mädchen von siebzehn Jahren, das bewusstlos war.

Stefan Frank leitete eine Praxis für Allgemeinmedizin und Geburtshilfe in Grünwald und sprang hin und wieder im Rettungsdienst ein, wenn dieser urlaubs- oder krankheitsbedingt unterbesetzt war. Jetzt, im Herbst, fehlten etliche Kollegen, weil sie selbst krank waren. So fuhr er an diesem Abend im Notarztwagen mit.

Der nächste Einsatzort war das Grünwalder Gymnasium.

„Noch drei Minuten bis zum Ziel“, kündigte sein Fahrer an.

„Dann drück mal drauf.“

„Wenn ich noch mehr Gas gebe, brauchen wir Tragflächen.“ Sam schnaufte hörbar. „Das Wetter verheißt nichts Gutes. Für heute Nacht wurde vom Wetterdienst Nebel vorhergesagt. Da werden wir später vermutlich nach Gehör fahren müssen.“

„So schlimm wird es hoffentlich nicht werden.“

„Ich fürchte doch. Mein Schwager wohnt in den Bergen und sagt, der Nebel zieht von dort zu uns herein. Wir können froh sein, wenn wir uns nicht verfahren.“

„Seit wann bist du denn so pessimistisch, Sam?“

„Ich bin nur realistisch und gern auf alles eingerichtet.“ Samuel Waldenberger winkte ab. Er galt als einer der besten Fahrer im Rettungsdienst. Er konnte auf über zwanzig Dienstjahre und eine unfallfreie Fahrzeit zurückblicken. Dr. Frank vertraute ihm völlig, auch wenn ihm die hohe Geschwindigkeit ein mulmiges Gefühl im Magen bescherte.

Saß er selbst am Steuer, fuhr er nicht gern schnell. Im Notdienst konnte jedoch jede Sekunde zählen, deshalb beschwerte er sich nicht. In dieser Nacht würden Sam und er zusammen Dienst tun. Anstrengend würden die Stunden werden. Zwischen den Einsätzen waren Pausen dünn gesät.

Vor ihnen tauchte das moderne Schulgebäude auf. Ein Flachbau war es. Ocker, Glas und Stahl dominierten den lang gestreckten Bau. Der Sturm wirbelte buntes Herbstlaub über den Vorhof. Unter einem Schutzdach waren zwei Fahrräder angeschlossen.

Sam stoppte den Notarztwagen am Straßenrand und drehte den Kopf.

„Wir sind da.“

„Ausgezeichnet. Warte hier auf den Rettungswagen, ja?“ Stefan Frank sprang ins Freie, angelte seine Notarzttasche vom Rücksitz und stürmte mit wehender Notarztjacke über die Steinplatten zum Innenhof des Gebäudes. Jetzt zählte jede Sekunde, das wusste er.

Hinter einer grünen Hecke lag eine junge Frau auf einer flachen Steinbank. Ihr linker Arm baumelte nach unten. Unter ihrem Jackenärmel blitzte ein Tattoo hervor. Ein Eisvogel? Ihre Augen waren geschlossen, und ihre langen Haare klebten dunkel vor Nässe in ihrer Stirn. Sie war so bleich, dass die Schatten unter ihren Augen deutlich hervortraten.

Neben ihr stand ein hagerer Mann mit grauen Haaren und einer Latzhose, über der er eine Regenjacke trug. Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen.

„Ich bin der Hausmeister“, stieß er hervor. „Hab die Kleine gefunden und die 112 angerufen. Ihre Freunde haben sich aus dem Staub gemacht, als sie umgekippt ist. Schöne Freunde sind das, oder?“

Dr. Frank stellte sich vor und setzte seinen Koffer ab.

„Wie lange ist das ungefähr her?“

„Keine zehn Minuten. Sie waren wirklich schnell da“, erklärte der Hausmeister.

Stefan Frank beugte sich über die Schülerin und untersuchte sie. Es dauerte nicht lange, dann sah er seine schlimmste Befürchtung bestätigt: Sie war in einem komatösen Zustand! Ihr Atem war kaum noch wahrnehmbar, der Blutdruck zu niedrig, die Haut spürbar überwärmt. Und ihre Pupillen waren auffallend geweitet.

Er klemmte ein Pulsoxymeter an ihren Zeigefinger. Es zeigte dramatisch niedrige Sauerstoffwerte an!

Neben ihr auf dem Boden lag eine längliche Kapsel. Er hob sie auf und betrachtete sie auf seiner Handfläche. War das Speed? Höchstwahrscheinlich ein Amphetamin. Drogen also. Herrschaftszeiten. Warum griff so eine junge Frau zu diesem Teufelszeug? Darüber nachzudenken, blieb ihm keine Zeit, denn ihre Atmung setzte aus!

Dr. Frank handelte unverzüglich und intubierte sie. Seine Handgriffe waren hundertfach geübt. Er musste nicht darüber nachdenken. Er sicherte ihre Sauerstoffversorgung, anschließend legte er ihr eine Magensonde und verabreichte ihr Aktivkohle. Der Wirkstoff sollte die Droge binden und neutralisieren, ehe sie den Kreislauf der jungen Frau weiter belasten konnte.

Hoffentlich war es dafür nicht bereits zu spät!

Bei Amphetaminen gab es leider kein Gegengift. Aus diesem Grund waren seine Möglichkeiten darauf beschränkt, ihre Symptome zu bekämpfen. Viel war das nicht, aber es war alles, was er tun konnte. Er legte ihr einen venösen Zugang und führte ihr Kochsalzlösung zu, um ihren Blutdruck zu stabilisieren.

Anschließend blickte der Grünwalder Arzt zu dem Hausmeister hoch.

„Wissen Sie, wie das Mädchen heißt?“

„Freilich. Das ist Natalie Gerstenberg. Ein Ass im Sport. Ich sehe sie häufig mit der Hockey-Mannschaft trainieren. Sie ist richtig gut. Zumindest war sie das mal, bevor sie sich auf diese Pillen eingelassen hat.“

„Hoffen wir, dass sie wieder so gut wird.“ Dr. Frank erwog, etwas gegen Natalies Fieber zu unternehmen, als hinter ihm das Martinshorn des soeben eintreffenden Rettungswagens laut wurde. Endlich! Seine Patientin musste auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus gebracht werden.

Natalie zeigte noch immer keinerlei Reaktion auf äußere Reize. Das war kein gutes Zeichen. Wie viele von den Pillen mochte sie geschluckt haben? Der Hausmeister wusste es nicht, und er selbst noch viel weniger. Er wusste nur eines: dass es auf jeden Fall zu viele gewesen waren. Natalie war erst siebzehn, und ihre Zukunft stand bereits auf Messers Schneide.

So ein junges Leben, ging es ihm sorgenvoll durch den Kopf. Es darf noch nicht vorbei sein! Sie hat sicher Freunde und eine Familie, die sie lieben. Und eine Zukunft, die sie erleben soll …

„Halte durch, Natalie“, beschwor er sie, auch wenn sie ihn vermutlich nicht hören konnte. „Halte durch!“

***

„Um Himmels willen! Kilian! Dein Husten hört sich furchtbar an.“ Sorgenvoll legte Kilians Mutter ihm eine Hand auf die Schulter.

Er hätte sie gern beruhigt und ihr gesagt, dass seine Beschwerden halb so schlimm waren, wenn, ja, wenn er denn ein Wort herausgebracht hätte! Die Hustenattacke schüttelte ihn durch und ließ ihm schmerzhafte Stiche durch die Brust fahren.

Sein Hals fühlte sich an, als hätte er mit brennendem Alkohol gegurgelt, und hinter seinen Schläfen hämmerte es, als säße er im Inneren einer Glocke, die jemand schwungvoll mit einem Vorschlaghammer bearbeitete. Mit wenigen Worten: Er fühlte sich hundeelend!

Endlich ließ der Hustenreiz nach. Kilian schnappte nach Luft und hörte, wie es gleichzeitig in seiner Brust rasselte.

„Damit musst du zum Arzt gehen, Kilian“, mahnte seine Mutter.

„Ach was. Ich bin doch selbst einer“, japste er.

„Kilian.“

Ihr Lächeln war sanft wie damals, als er ihr einen Geburtstagskuchen hatte backen wollen und dabei versehentlich die Küche in Brand gesetzt hatte. Sie hatten das Feuer rasch löschen können, aber das Haus hatte noch Wochen später nach dem Qualm gestunken. Damals konnte er nicht älter als fünf gewesen sein.

„Du studierst noch und hast einen weiten Weg vor dir, bis du ein gestandener Arzt bist. Lass dir helfen. Dein Husten klingt wirklich nicht gut.“

„Ich habe mich nur verkühlt. Das ist nicht weiter schlimm.“

„So hört es sich aber nicht an. Du arbeitest ständig so viel, du lernst und jobbst und unterstützt obendrein deine Schwester und mich. Ich möchte nicht, dass du dich aufreibst, Kilian. Gönn dir eine Auszeit, und kurier dich ordentlich aus.“

„Das mache ich nach dem Stadtlauf, sobald ich das Stipendium für das kommende Jahr errungen habe. Bis dahin muss ich dranbleiben und trainieren.“ Kilian hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.

Er studierte im vierten Jahr Medizin und wollte sich auf Sportmedizin spezialisieren. Ein Stipendium half ihm über die Runden, musste jedoch jedes Jahr neu beantragt werden. Dafür gab es zahlreiche Bewerber, deshalb musste er sich anstrengen, um in die engere Auswahl zu kommen.

Gute Studienleistungen allein genügten nicht. Es wurden auch andere Fähigkeiten verlangt – und die wollte er beweisen, indem er den Grünwalder Stadtlauf gewann.

Aus diesem Grund war er auch an diesem Abend joggen gewesen. Trotz Sturm und Starkregen. Und er hatte es vielleicht ein klein wenig übertrieben, wie er sich nun eingestand, denn ihm zitterten gehörig die Knie.

Seine Mutter seufzte.

„Du bist wie dein Vater, Kilian. Er wollte auch immerzu mit dem Kopf durch die Wand.“

Unwillkürlich schaute Kilian zu dem Hochzeitsfoto seiner Eltern hinüber. Es stand auf dem Bücherregal im Wohnzimmer. Ein glückliches Paar in Tracht war es, das einander fest im Arm hielt und zuversichtlich in die Zukunft lächelte. Doch ihr gemeinsames Leben hatte nur wenige Jahre gewährt.

Sein Vater hatte auf dem Bau gearbeitet. Eines Tages war ein Gerüst eingestürzt. Sein Vater hatte einen Arbeiter unter den Trümmern geborgen und war dann von einem nachstürzenden Teil begraben worden. Er hatte seine Verletzungen nicht überlebt. Das war der Grund, weshalb Kilian unbedingt Arzt werden wollte. Er wollte helfen und heilen.

Das nasskalte Herbstwetter hielt ihn nicht vom Trainieren ab. Er brauchte das Stipendium. Unbedingt! Nur mit seinem Nebenjob im Fitnessstudio konnte er seine Mutter und seine jüngere Schwester nicht unterstützen. Das Geld, das er dort verdiente, reichte gerade mal für die Miete und etwas zu essen.

Seine Mutter saß mit einer Näharbeit am Kamin. Von nebenan drang Musik herüber. Viel zu laut für diese abendliche Stunde. Kilian ging hinüber. Die Tür zum Zimmer seiner Schwester war nur angelehnt.

Lissy saß mit gebeugtem Kopf an ihrem Schreibtisch. Ihr dunkler Zopf fiel über ihre Schulter nach vorn. Sie schrieb etwas in ein Schulheft. Der CD-Spieler stand auf dem Regal über ihrem Bett, die Bässe wummerten aus den Lautsprechern.

Kilian drehte den Lautstärkeregler nach unten.

Der Kopf seiner Schwester ruckte hoch. Vorwurfsvoll blitzte sie ihn an.

„Warum hast du das gemacht?“

„Weil die Nachbarn vielleicht ihre eigene Musik hören wollen. Bei dem Lärm versteht man kaum sein eigenes Wort.“

„Das ist kein Lärm, das ist Jenna!“ Lissy schob die Unterlippe vor.

„Jedenfalls ist es laut. Machst du bei diesem Krach etwa Hausaufgaben?“

„Französisch.“ Ein Seufzer schwang in diesem Wort mit. Lissys Lieblingsfächer waren Kunst und Deutsch. Mit Fremdsprachen stand sie auf Kriegsfuß – vor allem mit der Grammatik. Sie wendete die Regeln sehr „kreativ“ an, wie ihr Lehrer es ausgedrückt hatte.

Kilian schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Dass du bei dem Krawall überhaupt denken kannst …“

„Das ist kein Krawall. Das ist meine Musik!“ In den Augen seiner Schwester blitzte es. „Jenna ist super!“ Sie deutete zu dem Poster, das an der Wand über ihrem Bett angebracht war. Darauf war eine Sängerin abgebildet: in einem silbrigen Glitzerkleid, das kurz genug war, um einem Heiligen den Schweiß auf die Stirn zu treiben.

Ihre dunkelblonden Haare ringelten sich in weichen Locken um ihr Gesicht. Sie hielt ein Mikrofon in der einen Hand und die andere hoch nach oben gereckt, als wollte sie den Himmel selbst ergreifen. Die Geste war kraftvoll, auch ihre Haltung drückte Selbstbewusstsein aus.

Kilian schnaubte. Jenna war der neue Star am Pophimmel. Angeschwärmt von allen Teenagern zwischen elf und neunzehn. Auch seine Schwester war ihr verfallen. Er selbst wäre lieber barfuß auf die Zugspitze geklettert, als sich eines ihrer Konzerte anzuhören, aber Jenna war „in“ und ihre Auftritte immer ausverkauft. Bei seiner Schwester liefen ihre CDs rauf und runter.

Kilian war so oft bei seiner Mutter und Lissy zu Besuch, dass er die Lieder schon mitsingen konnte – auch wenn er sie nicht mochte.

„Was hast du denn gegen Jenna?“, fragte Lissy. „Sie ist klug. Und ihre Lieder haben eine Botschaft! Hör doch mal!“

Kilian kam nicht umhin, weiter zuzuhören.

Aus dem Lautsprecher erklang eine glockenhelle Stimme.

„… du lässt mich nie allein. Auf dich ist auch im größten Sturm Verlass. Du bist mein Vater, mein bester Freund, du leitest mich durchs Leben …“

Die junge Sängerin sang von ihrem Glauben, von Gott und den Prüfungen, die sie erlebt hatte. Ihre Songs besaßen tatsächlich einen tieferen Sinn, das musste er zugeben. Allerdings musste er sie deswegen noch lange nicht mögen.

„Sie singt nur nach, was man ihr vorschreibt. Wie ein Papagei. Jenna ist ein Produkt der Musikindustrie, mehr nicht.“

„Das ist nicht wahr. Sie singt von Dingen, die sie selbst erlebt hat. Der Verlust ihrer Eltern hat sie geprägt. Sie musste schon früh lernen, allein klarzukommen. Und dabei hat ihr Glaube ihr geholfen.“

Kilian legte die Stirn in Furchen. Es überraschte ihn immer wieder, dass sich seine Schwester für christliche Musik interessierte. Sie war von Jenna begeistert. Lissy wäre gern einmal zu einem ihrer Auftritte gegangen und hätte ihr Idol live gesehen, aber das war beinahe unmöglich. Die Karten waren stets im Nu ausverkauft.

Kilian teilte die Begeisterung seiner Schwester ganz und gar nicht. Er konnte sich lebhaft ausmalen, wie diese Jenna in Wahrheit lebte: Von Geld und Ruhm verwöhnt, machte Jenna sicherlich die Nächte durch, schlief jede Woche in einem anderen Hotel und nahm nichts und niemanden ernst – schon gar nicht die Gefühle anderer Menschen.