Dr. Stefan Frank 2427 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2427 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Verzweifelt sitzt Sophie am Krankenhausbett ihrer siebenjährigen Tochter. Die kleine Anna liegt im Koma auf der Intensivstation der Waldner-Klinik und reagiert nicht auf die Außenwelt. Gestern war bei dem Mädchen sogar minutenlang keine Gehirntätigkeit mehr feststellbar.

Dr. Stefan Frank, der Anna in die Waldner-Klinik hat bringen lassen und regelmäßig nach seiner Patientin schaut, weiß, was diese Diagnose bedeutet: Es ist ungewiss, ob Anna je wieder erwachen wird. Und wenn sie es doch tut - in welchem Zustand wird sie dann sein?

Ernst betrachtet er das Kind. Weder er noch die junge Mutter ahnen, was Anna gerade erlebt. Von Schmerzen und Angst befreit, befindet sie sich nämlich gerade ganz woanders.

Aber wird sie ihrer geliebten Mama je davon erzählen können?

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Seitenzahl: 128

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Inhalt

Cover

Impressum

Manchmal werden Träume wahr

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Rido/shutterstock

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5805-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Manchmal werden Träume wahr

Im Koma erlebt Anna eine andere Welt

Verzweifelt sitzt Sophie am Krankenhausbett ihrer siebenjährigen Tochter. Die kleine Anna liegt im Koma auf der Intensivstation der Waldner-Klinik und reagiert nicht auf die Außenwelt. Gestern war bei dem Mädchen sogar minutenlang keine Gehirntätigkeit mehr feststellbar.

Dr. Stefan Frank, der Anna in die Waldner-Klinik hat bringen lassen und regelmäßig nach seiner Patientin schaut, weiß, was diese Diagnose bedeutet: Es ist ungewiss, ob Anna je wieder erwachen wird. Und wenn sie es doch tut – in welchem Zustand wird sie dann sein?

Ernst betrachtet er das Kind. Weder er noch die junge Mutter ahnen, was Anna gerade erlebt. Von Schmerzen und Angst befreit, befindet sie sich nämlich gerade ganz woanders.

Aber wird sie ihrer geliebten Mama je davon erzählen können?

Sophie Seidlbacher stand am Fenster im Obergeschoss ihres kleinen Holzhäuschens und sah zu, wie der Himmel langsam heller wurde. Es war Ende September, und im Tal war es noch dunkel, da die Sonne morgens mittlerweile um einiges länger brauchte, bis sie den Aufstieg über die Berggipfel geschafft hatte.

Der gesamte Kurort Bad Geißenbrunn lag noch unter feuchtkaltem Morgennebel – und mit ihm die Gebäude des Seidlbacher Gehöfts: das kleine Austragshäusl, in dem Sophie seit dem Tod der Schwiegereltern mit ihrer Tochter wohnte, der alte Pferdestall, die zur Bar umgebaute Scheune sowie das Haupthaus, in dem sich die Pensionsgäste in ihren weichen Betten sicherlich gerade noch einmal umdrehten.

Sophie gähnte leise und öffnete das Fenster. Ein Schwall feuchtkalter Morgenluft strömte ins Zimmer und ließ die Temperatur im Handumdrehen um einige Grad sinken. Die junge Frau fröstelte. Schnell nahm sie ein paar tiefe Atemzüge und schloss das Fenster wieder, wobei sie sich vorsichtig zum Bett umwandte. Dort schlummerte ihre kleine Tochter Anna. Sieben Jahre alt war sie jetzt.

Anna war gegenwärtig der einzige Sonnenschein im Leben der jungen Mutter. Sophie nahm sie seit dem Tod ihres Mannes Maximilian und ihrer älteren Tochter Lisa oft mit zu sich ins Bett, zumal das Mädchen nachts nicht mehr allein in seinem Zimmer schlafen wollte, weil es dort häufig von Albträumen geplagt wurde.

Auch jetzt zuckten die Lippen in dem zarten Gesichtchen wieder, als müsse Anna einen schweren Traum abwehren.

Sophie seufzte und strich sich mit einer langen Bewegung durch ihr seidenweiches dunkelblondes Haar. Sie trug es während der Arbeit in der Pension nach Anweisung ihres Schwagers Stanislaus meist in einem langen, mehrfach um den Kopf gewundenen Zopf, was ihr sehr gut stand.

Überhaupt war Sophie – nach Stanislaus’ Meinung – trotz ihrer siebenundzwanzig Jahre noch ein ziemlich fescher Feger mit einer knackigen Figur, wunderschönen tiefdunklen Augen und einem überaus attraktiven Gesicht.

Stanislaus selbst, der Bruder ihres verunglückten Mannes Maximilian, wohnte mit seiner Frau Vroni und den beiden Töchtern Zenzi und Mirl im Haupthaus, von wo aus er auch die Pension verwaltete.

Leider gehörte zu seiner Vorstellung von optimaler Gästewerbung neben einem gut geführten Haus auch die unablässige Demonstration zünftig bayrischer Lebensart, weshalb Sophie stets in einem enggeschnürten Dirndl herumlaufen musste, wenn sie die Pensionsgäste im großen Speisesaal bewirtete.

Langsam begann sich der Nebel jetzt ein bisschen zu lichten. Es war schön, die stillen Morgenstunden auf diese Weise zu erleben. Das Städtchen war noch ganz ruhig, denn zu dieser Zeit war noch keiner der vielen Kurgäste aus den zahlreichen kleinen Hotels auf der Straße. Nur die Tiere in den umliegenden Ställen begannen sich langsam zu regen.

Das Seidlbacher Gehöft befand sich ziemlich am Rand von Bad Geißenbrunn. Es verfügte neben den Wohn- und Wirtschaftsgebäuden auch über einigen Weidegrund, der jedoch im Moment zu achtzig Prozent an die umliegenden Bauernhöfe verpachtet war.

Früher, als die Seidlbachers noch selbst Milchvieh besessen hatten, hatten die eigenen Kühe auf den Wiesen gestanden.

Nun aber waren vom gesamten Viehbestand nur noch fünf Haflinger und ein paar Ziegen übrig geblieben, die bei gutem Wetter auf den verbliebenen zwanzig Prozent Weidefläche standen – was Stanislaus wiederum zum Anlass nahm, die Pension auch unter dem Motto „Ferien auf dem Reiterhof“ zu vermarkten.

Nun begann sich Anna in Sophies großem Bett zu regen. Sie schniefte ein paarmal leise, schlug die Augen auf und blickte sich verwirrt im Zimmer um. Als sie Sophie am Fenster stehen sah, sank sie erleichtert wieder in ihr weiches Kissen zurück.

Mit einem schnellen Schritt war Sophie am Bett.

„Na, Mäuschen, bist du wach?“ Liebevoll strich sie ihrer Tochter über den blonden Haarschopf. Anna gähnte herzhaft und nickte. Ihre Haare waren im Farbton heller als die von Sophie und fielen ihr verwuschelt in die Stirn. Mit verschlafenen Augen sah sie zu Sophie hoch.

Sophie spürte zum wiederholten Male einen Kloß im Hals. Eindeutig hatte Anna Maximilians dunkle Augen geerbt. Das kleine Mädchen war das Einzige, das Sophie noch mit ihrem verunglückten Mann und ihrer Tochter Lisa verband, wenn man einmal von dem Häuschen absah, in dem sie mit Anna immer noch wohnte.

Ursprünglich als Austragshäusl für die alten Seidlbachers gebaut, hatte Stanislaus nach dem Tod seiner Eltern seinen jüngeren Bruder Maximilian und dessen Familie sofort aus dem Hauptgebäude in das Häuschen verbannt.

Die frei gewordene Wohnung im Haupthaus hatte er umgehend zu einer Ferienwohnung umgebaut, sodass die Pension jetzt über zehn Gästezimmer plus eine komplette Wohnung verfügte. Im Erdgeschoss befanden sich zusätzlich die Küche und der große Gastraum, im Keller waren die Waschküche und die Vorratsräume für Lebensmittel und Getränke untergebracht.

Stanislaus’ Familie bewohnte die großzügig geschnittene Wohnung im hinteren Flügel des Haupthauses.

„Na, komm jetzt raus aus den Federn!“ Sophie gab Anna einen liebevollen kleinen Stups. „Wenn du noch länger trödelst, verpasst du den Schulbus. Das willst du doch nicht, oder?“

„Nein!“ Mit einem raschen Schwung hatte Anna die Decke beiseite geworfen und sprang aus dem Bett. „Huh, kalt!“, ächzte sie dabei, während sie auf Zehenspitzen – und natürlich mal wieder ohne Hausschuhe – zähneklappernd ins Bad huschte.

Sophie lächelte. Anna war erst in diesem Herbst eingeschult worden, ein Jahr später als ihre Freundinnen von den umliegenden Höfen, da sie nach Maximilians Unfall eine lange Zeit sehr verstört auf ihre Umwelt reagiert hatte.

Sogar die Hilfe eines Kinderpsychologen hatte in Anspruch genommen werden müssen, denn schließlich hatte Anna bei dem Umfall nicht nur den Vater, sondern auch ihre große Schwester Lisa verloren, an der sie sehr gehangen hatte.

Drei Jahre war das jetzt her. Aber Sophie erinnerte sich an den Tag, als sei es gestern gewesen. Seitdem hatte sie zwar versucht, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, aber es war eine verdammt harte Zeit gewesen – und war es immer noch.

Während Anna jetzt im Bad mit gurgelnden Geräuschen kundtat, dass sie sich tatsächlich die Zähne putzte, stieg Sophie schon die schmale Holztreppe hinunter zur Küche, um Kakao zu kochen.

Das ganze Haus war klein und sehr eng, eben ein Austragshäusl, wohin hier in der Gegend normalerweise die Altbauern verfrachtet wurden, sobald sie nicht mehr arbeiten konnten und die ältesten Söhne den Hof übernahmen. Häufig ging es dabei nicht allzu freundlich zu.

Auch die Seidlbachers hatten sich schwergetan mit ihrer Entmachtung, besonders der alte Alois, der ein Familientyrann sondergleichen gewesen war.

Aber im Grunde hatte er sich gar nicht zu wundern brauchen, dass sein ältester Sohn Stanislaus genau in seine Fußstapfen getreten war und seither ein ähnlich hartes Regiment auf dem Hof führte.

Jetzt kam Anna oben aus dem Bad und polterte die Treppe hinunter. In der Küche angekommen, sprang sie wie ein aufgezogenes Federmännchen um Sophie herum. Obwohl bei solchem Bewegungsdrang durchaus mal altes Steingut zu Bruch ging, hütete sich Sophie, ihre Tochter zur Ordnung zu rufen.

Mit diesem Überschwang drückte Anna lediglich ihre Vorfreude auf die Schule aus, und diese Begeisterung wollte Sophie ihr auf keinen Fall nehmen, solange sie noch vorhanden war. Außerdem war sowieso jeder Augenblick, den Anna auf solch unbeschwerte Weise erlebte, überaus kostbar.

Nachdem sie mit dem Frühstück fertig waren, brachte Sophie ihre Tochter zum Schulbus, der kurz vor dem Ortsausgang ein letztes Mal stoppte, um die Kinder der umliegenden Bauernhöfe einzusammeln.

Dort trafen sie wie jeden Morgen auf Mirl und Zenzi, Stanislaus’ Töchter, welche es seit Kurzem als unzumutbar betrachteten, ihre kleine Cousine zur Bushaltestelle mitzunehmen. Schließlich waren sie schon acht beziehungsweise neun Jahre alt und keine Schulanfängerinnen mehr.

Sophie vermutete allerdings, dass hinter der hartherzigen Einstellung der Mädchen eigentlich deren Mutter, ihre Schwägerin Vroni, steckte.

Aber was sollte sie machen? Sophie seufzte. Nichts mehr war für sie hier einfach seit Maximilians Tod, und Vronis ständige Zänkereien waren dabei noch das Geringste.

***

Inzwischen hatte sich der Nebel weitgehend gelichtet, und die ersten zaghaften Sonnenstrahlen ließen das prächtige Herbstlaub der Bäume in wunderbarer Intensität aufleuchten. Durch die bunten Blätter summten einige verspätete Insekten, und die Luft wurde merklich wärmer. Sophie tat ein paar Schritte und atmete tief durch. Die klare Morgenluft war einfach köstlich.

Ein paar Minuten hatte sie noch, bevor sie zum Küchendienst im Haupthaus erscheinen musste. Diese Zeit hatte sie sich hart erstritten, denn immerhin arbeitete sie anschließend fast den ganzen Tag ohne Pause bis in den späten Abend durch.

Die schwere Arbeit in der Pension hatte sie auch schon verrichtet, bevor Maximilian den Unfall gehabt hatte, aber damals waren ihr Stanislaus und Vroni wenigstens noch mit etwas Respekt begegnet.

Seit sie aber auf dem Seidlbacher Anwesen ohne männlichen Schutz dastand, wurde sie von Stanislaus nur noch wie eine billige Dienstmagd behandelt. Und seine Frau stand ihm da in nichts nach.

Tatsächlich wurde Sophie beim Betreten der Küche sofort wieder beschuldigt, die ihr zugestandene Zeit in unverschämter Weise überzogen zu haben. Zeternd stand Vroni am Herd – das teigige Gesicht vor Hitze gerötet – und wollte sich gar nicht wieder beruhigen. Sophie ließ den Wortschwall still über sich ergehen.

Früher war Vroni einmal das schönste Mädchen im Ort gewesen. Mit langen blonden Haaren, hübschen blaugrünen Augen und einem Vorbau, den sie im Mieder durchaus vorteilhaft zur Geltung zu bringen gewusst hatte, hatte sie sämtlichen Burschen den Kopf verdreht.

Stanislaus, der schon damals über die Ortsgrenzen hinaus als Schürzenjäger bekannt gewesen war, hatte sich entsprechend keine Gelegenheit entgehen lassen, mit dem hübschen Madl anzubandeln. Dieses wiederum war seinen Gunstbezeugungen nicht abgeneigt gewesen, und so hatte der alte Alois die beiden einmal zu vorgerückter Stunde in der alten Scheune ertappt.

Die Standpauke, die er seinem ältesten Sohn daraufhin gehalten hatte, war in allen Nachbarshäusern zu hören gewesen. Sie wurde nur noch von dem Donnerwetter übertönt, das über die beiden hereinbrach, als sich herausstellte, dass das Herumpoussieren in der Scheune nicht ohne Folgen geblieben war.

Dabei hätte sich der alte Alois eigentlich ausrechnen können, dass sein ältester Sohn auch in dieser Hinsicht ganz nach ihm kam.

Das Ende vom Lied war gewesen, dass Stanislaus und Vroni heiraten mussten, bevor die Klatschbasen im Ort Wind von der Sache bekamen, ihre Zungen wetzten und die Seidlbachers womöglich in Verruf brachten. Außerdem war Vroni nicht gerade eine Dahergelaufene; ihrem Vater gehörte das Gasthaus „Zum goldenen Hirschen“, was immerhin mal eine reiche Erbschaft versprach.

Und genau diesen Hintergedanken hatte Vroni den Seidlbachers nie verziehen. Aufgrund der erhofften Erbschaft saß sie jetzt auf diesem Hof fest, was für sie ein ganz schlechter Handel gewesen war, weil sie sich eigentlich zu Höherem berufen gefühlt hatte.

Aber mit einem Kind im Bauch hatte sich nicht nur diese Hoffnung ganz unvermittelt zerschlagen; auch die Dorfjugend hatte plötzlich nichts mehr von ihrer ehemaligen Prinzessin wissen wollen. Und dieser gnadenlose Abstieg in der Gunst der feschen Burschen hatte Vroni fast noch mehr zugesetzt als die geplatzte Superkarriere.

Reichlich desillusioniert hatte sie nach der eilig anberaumten Hochzeit Quartier auf dem Seidlbacher Hof bezogen. Dem ersten Kind, Zenzi, war in kürzester Zeit das zweite, Mirl, gefolgt, und nachdem Vroni sich bei der schweren Arbeit in Pension und Wirtschaft auch noch Hände und Figur ruiniert hatte, war nun sowieso schon alles egal.

Mit nachlässig zusammengebundenen strohigen Haaren, mürrischem Gesichtsausdruck und allzeit schlechter Laune versah sie seither ihren Dienst und ließ vor allem Sophie ständig ihre Enttäuschung über ihr misslungenes Leben spüren. Mit ihren achtundzwanzig Jahren war sie zwar nur ein Jahr älter als Sophie, fühlte sich aber mittlerweile, als hätte sie schon die goldene Hochzeit hinter sich.

Hinzu kam, dass Stanislaus sich mit den Jahren natürlich nicht geändert hatte. Noch immer stieg er allem nach, was einen Rock trug, und ließ seine Frau dadurch spüren, dass sie für ihn schon lange keinen erotischen Reiz mehr besaß. Stattdessen verlangte er von seiner Schwägerin Sophie, dass diese vor aller Augen in einem höchst aufreizenden Dirndl herumlief!

Ohne etwas auf Vronis Gezänk zu geben, machte sich Sophie jetzt an der Spülmaschine zu schaffen. Sie räumte das saubere Geschirr in die alten Eichenschränke und deckte anschließend die Tische im Gastraum. Dann begann sie unter Vronis kontrollierendem Blick mit der Herrichtung des Frühstücksbuffets.

Mit raschem Schritt brachte sie frische Semmeln, Brot, Milch, Käse, Marmelade und Obstsalat sowie heiße Getränke in den Speisesaal. Für ein zünftiges bayrisches Frühstück trug sie außerdem Weißwürste, Laugenbrezeln, süßen Senf, Kümmelbrot, Schinken und Leberkäs auf. Auch das Weizenbier durfte natürlich nicht fehlen.

Die ersten Gäste erschienen im Speisesaal. Sophies Aufgabe bestand nun darin, an den Tischen Brot und Brötchen zu reichen, Kaffee, Tee, Wasser und frischen Obstsaft nachzuschenken und am Buffet für Nachschub zu sorgen. Außerdem galt es, die Hausgäste auf kurzweilige Art zu unterhalten.

Danach war das Buffet wieder abzuräumen, die verderblichen Vorräte in den kühlen Keller zurückzubringen und das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen. Und dann waren die Zimmer dran.

Heute war neben den zehn Gästezimmern, die seit Tagen von denselben Gästen belegt waren, zusätzlich die Ferienwohnung neu herzurichten, denn für den Mittag hatte sich ein Ärztepaar aus München angekündigt.

Es war ungewöhnlich, dass Gäste an einem Donnerstag anreisten, die meisten kamen am Wochenende und blieben dann entweder sieben oder vierzehn Tage. Aber die beiden Ärzte hatten sich anscheinend nur ein verlängertes Wochenende freischaufeln können.

Nachdem die Vormieter ausgecheckt hatten, stieg Sophie unwillig mit Putzzeug und frischer Bettwäsche zu der Wohnung hinauf. Sie mochte es nicht, sich in diesen Räumen aufzuhalten, denn jedes Mal wurde sie dabei an die Zeit erinnert, in der sie hier mit Maximilian, Lisa und Anna glücklich gewesen war – kurz bevor Stanislaus die kleine Familie ins Austragshäusl umgesiedelt hatte.

Obwohl sie natürlich auch das Holzhäuschen, das immerhin etwas Abstand zum lärmigen Haupthaus bot, sehr mochte. Nur dass Maximilian und Lisa nicht mehr da waren …

Die Tür öffnete sich, ohne dass es vorher geklopft hätte. Sophie, die gerade unter dem großen Doppelbett Staub gesaugt hatte, richtete sich erschrocken auf. Vor ihr stand Stanislaus und taxierte sie mit glasigem Blick.

„Mei, Sophie, du hast tatsächlich noch ganz hübsche Haxen. Denkst du nicht, dass deine Trauerphase mal langsam zu Ende sein sollte? Den Max macht niemand mehr lebendig, aber es gibt hier doch auch noch andere anständige Mannsbilder. Oder?“

Mit einem anzüglichen Grinsen trat er näher an sie heran.

„Meinst du nicht, dass wir’s mal miteinander probieren sollten? Schau mich an, da kriegst du doch was geboten“, startete er einen weiteren plumpen Versuch, sie von seinen Vorzügen zu überzeugen.