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Eine gewaltige Wegstrecke vor ihm ... eine beträchtliche Geldsumme in seinen Satteltaschen ... sieben Männer hinter ihm – Rance Turco ist auf dem einsamen Trail. Tausend Meilen nach Norden durch die Hölle, verfolgt von einer Bande skrupelloser Banditen.
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Seitenzahl: 153
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Einsamer Trail
Western
Ein Roman von
Logan Kenison
Das Buch
Eine gewaltige Wegstrecke vor ihm, eine beträchtliche Geldsumme in seinen Satteltaschen, sieben Männer hinter ihm – Rance Turco ist auf dem einsamen Trail. Tausend Meilen nach Norden durch die Hölle, verfolgt von einer Bande skrupelloser Banditen.
Der Autor
Logan Kenison (vormals Joe Tyler) ist Autor von Western-, Abenteuer- und Spacegeschichten. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.
Inhalt
Impressum
Einsamer Trail (Roman)
Weitere Titel von Logan Kenison
Copyright © 06/2014 by Logan Kenison
Lektorat: Carola Lee-Altrichter
Das Cover wurde gestaltet nach Motiven der Episode »Tödliche Kälte« (Orig.: »Winter Kill«, USA, 1971) der Bonanza-Komplettbox. Im Handel auf DVD erhältlich. Mit freundlicher Genehmigung von www.fernsehjuwelen.de
Abdruck auch auszugsweise
nur mit Genehmigung des Verlags oder Autors.
Einsamer Trail
Western von Logan Kenison
An jenem Abend war alles so verdammt schiefgelaufen. Keiner der Anwesenden hatte eine Chance gehabt, einzugreifen. Die Gewalt brach urplötzlich aus, und bevor irgendjemand etwas hätte unternehmen können, war sie vorüber – und eine Person tot.
Der Zwischenfall fand am 12. Dezember 1879 im Congress Saloon in Tombstone statt. Die Stadt existierte erst seit neun Monaten, weil der Geologe Ed Schieffelin vor etwas mehr als einem Jahr in der Nähe eine reiche Silberader entdeckt hatte. Seither waren hunderte von Männern und Frauen in die Gegend gekommen, um an dem Segen mitzuverdienen.
Ob sie nun in den Mienen arbeiteten oder Frachten transportierten, ob sie für Nachschub an Lebensmitteln und anderen Gütern, die das tägliche Leben angenehm machten, sorgten, oder in gewissen Etablissements die Menschen bedienten, ob sie die Ausbeute aus den Mienen verwalteten, vereinnahmten, bewachten oder anderen Tätigkeiten nachgingen – sie alle waren hierhergekommen, weil es hier viel Geld gab, weil die Dollars sprudelten und jeder daran mitverdienen konnte – auf die eine oder andere Weise. Mit jeder Tonne Silbererz wurden zweitausend Dollar zutage gefördert. Eine gewaltige Summe. Und dabei fiel für jeden etwas ab.
Virginia Carlyle hatte im Spielzimmer des Congress Saloons für die fantastische Summe von 400 Dollar pro Monat einen mit grünem Filz bezogenen Tisch gemietet – das war fast das Zwanzigfache dessen, was ein Cowboy im Monat verdiente. Sie war professionelle Spielerin und musste gewinnen, um diese Miete bezahlen zu können.
Und sie gewann. Jeden Abend brachte sie, bewacht von ihrem Bodyguard, neue Dollars in ihr Hotelzimmer. Sie gewann von allen, die gegen sie antraten, und die meisten nahmen es ihr nicht übel.
Virginia war eine blonde Tennessee-Schönheit von 172 Zentimetern Größe. Man sah ihr die dreiundvierzig Lebensjahre nicht an. Sie achtete sehr auf ihr Aussehen, ihre Ausstrahlung, ihre Kleidung. Sie rauchte nicht, trank kaum Alkohol und ernährte sich gesund mit viel frischem Obst, Gemüse und Salat. Und sie behandelte die Männer gut – auch jene, die stinkend und in abgewetzter Kleidung zu ihr an den Tisch kamen, um Whisky zu trinken und zu spielen. Wenn diese Männer verloren, schenkte sie ihnen mit ebenmäßigen und gepflegten Zähnen das schönste Lächeln, das es in Tombstone zu sehen gab, und sie gingen, wenngleich um ihre Barschaft erleichtert, fast schon wieder frohen Herzens des Weges.
Sie führte ihren »Betrieb« mit großer Akkuratesse. Jede Einnahme wurde notiert. Sie war mit einem Startkapital von 10 000 Dollar nach Tombstone gekommen, doch jetzt, zwei Monate später, besaß sie bereits 25 000 Dollar.
An jenem Abend setzte sich einige Lokalgrößen wie Ike Clanton, William Pearce und Frank Ruff an Virginias Tisch. Auch John Clum, der fünf Monate später damit beschäftigt sein würde, die erste Ausgabe des Tombstone Epitaph herauszubringen, war anwesend. Sie spielten bereits eine Stunde. Nun hatte Virginia neu ausgegeben und die ersten beiden Runden des Setzens waren vorüber.
Ike Clanton warf sein Blatt verdeckt auf die Tischplatte, erhob sich und murmelte einen Fluch und ein »Ich bin weg«. Er ging durch den Segmentbogendurchgang in den Saloon hinüber und bestellte sich an der Theke ein neues Bier, während die anderen das Spiel fortführten.
Will Pearce studierte Virginias Lächeln, dann entschied er sich. Er schob einen Stapel abgezählter Double Eagles in die Tischmitte. »Ihre Fünfzig – und weitere Zweihundert«, sagte er.
Virginia ließ sich nichts anmerken. Ihr Blick wanderte weiter zu John Clum, der erste Anzeichen des Unbehagens zeigte. Sein Kragen schien ihm plötzlich zu eng zu werden, und er steckte den Zeigefinger hinein und zog daran. Erfolglos. Er wollte einfach keine Luft bekommen.
Plötzlich umklammerte er den Henkel seines Bierglases, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Er hatte bisher recht gut mitgehalten und war ohne größere Gewinne oder Verluste im Spiel geblieben, aber nun wurde es ihm zu brenzlig. Er hatte gespürt, dass mit der Erhöhung Pearce’s der Wettstreit auf eine neue Stufe gehoben wurde.
Er warf die Karten hin.
»Nein«, sagte er. »Auch weg.«
Virginias Lächeln wurde für einen Moment eine Spur breiter, als wollte sie dem bärtigen Mann sagen: Gut, dass du so vernünftig warst. Dieses Spiel ist nichts mehr für dich. Gut, dass du das verstanden hast. – Sie meinte es gewiss nicht herablassend, denn den kleinen, drahtigen Zeitungsverleger hatte sie längst ins Herz geschlossen. Er hatte gleich zu Beginn des Abends ein paar Witze gemacht, die seine Intelligenz aufblitzen ließen. Keine plumpen Zoten oder Albernheiten, wie sie bei Besoffenen oft anzutreffen waren, sondern funkensprühende Bonmots und zynische Bemerkungen, die das Leben des Westens reflektierten und parodierten. Virginia hatte sofort gespürt, dass dieser Mann einen scharfen Blick für die Realitäten besaß, und das würde seinem Ziel, eine Tageszeitung zu gründen, sehr dienlich sein.
Der Mann neben John Clum hüstelte. Das Geräusch lenkte die Aufmerksamkeit auf Frank Ruff. Ruff war ein schmaler Mann, der in einem blaukarierten Hemd am Tisch saß, das bis zum obersten Knopf zugeknöpft war. Darüber trug er ein olivgrünes Cordjackett, das er anscheinend nie auszog. Es war verknittert, fleckig und stank nach Schweiß. Trotz seiner leicht verwahrlosten Erscheinung war Ruff einer der größten Rancher der Umgebung. Er war ein Mann, der genau wusste, was er wollte, und wie er es erreichen konnte. Nun schob er mit dem Daumen den weißen Stetson aus der Stirn. Sein Sichelbart zuckte. Er wägte seine Chancen ab – zu offensichtlich, wie Virginia fand.
War da ein leichtes Zögern, als er den geforderten Betrag in die Tischmitte schob? War er sich des Blattes nicht sicher?
Vielleicht. Vielleicht war seine Unsicherheit nur gespielt. Doch der Schweißtropfen, der ihm den Hals hinab lief, war echt. So etwas kann man nicht bluffen. Und das leichte Vibrieren seiner Nasenflügel, wenn er einatmete – als wagte er nicht, Luft zu holen.
Irgendetwas verbirgt er, dachte Virginia. Einen Straight flush? Einen Four of a kind? Ja, vielleicht zittert er, weil er ein solches Blatt in der Hand hat. Doch vielleicht haben das Zittern und die Anzeichen der Nervosität ganz andere Gründe …
Und während sie noch über Ruff nachsann, forderte Will Pearce sie auf, ihren Einsatz zu bringen. Es lag an ihr, weiterzumachen, zu erhöhen oder ein Aufdecken zu fordern.
Sie forderte nicht – sie erhöhte.
Sie brachte Pearce’s Zweihundert und erhöhte um weitere dreihundert Dollar. Mit demselben freundlichen Lächeln, das sie beim Pokern stets zeigte, schob sie fünfhundert Dollar in die Tischmitte.
Man hörte ein leises Knarren aus der Dunkelheit des Raums hinter Virginia. Dort stand, im Halbdunkel, ihr Leibwächter. Gerade hatte er sich bewegt. Sein Name war Rance Turco, ein vierunddreißigjähriger Revolvermann. Er beobachtete seine Chefin aufmerksam. Er kannte die Art ihres Spielens aus vielen vorhergegangenen Nächten, in denen sie an diesem oder einem anderen Tisch in einer anderen Stadt gesessen hatte, um die Glücksgöttin herauszufordern. Inzwischen wusste er, dass Virginia stets genau wusste, was sie tat.
Doch diesmal hatte er kein gutes Gefühl bei der Sache.
Diesmal nicht.
Hätte man ihn gefragt, Rance Turco hätte es nicht erklären können. Er spürte einfach, dass etwas in der Luft hing. Eine knisternde Spannung, die sich plötzlich über die drei im Spiel verbliebenen Personen gelegt hatte. Blitzende Augen, rasche Seitenblicke, ein Hüsteln, das Fortwischen eines Schweißtropfens …
Solche Tage hatte es oft schon gegeben, ja beinahe jede Nacht waren ganz normale Partien plötzlich zu einem brutalen Kampf um Stolz, Macht und Gier ausgeartet.
Rance Turco, der Virginia kannte wie niemand sonst, hatte an der leichten Versteifung ihres Rückgrats gemerkt, dass es wieder einmal so weit war.
Doch wer war ihr Gegner?
Pearce oder Ruff?
Der kühle Geschäftsmann oder der reiche Rancher?
Pearce ging mit, schob mit leicht verzerrtem Mundwinkel das Geld in die Tischmitte. Plötzlich hatte man das Gefühl, dass er sich seiner Sache nicht mehr sicher war, sich nicht mehr wohl fühlte. Er versuchte, den Schein zu wahren, doch geschah es zu offensichtlich, zu steinern. Virginia wusste plötzlich, dass Pearce die nächste Runde nicht mehr mitgehen würde – trotz des Geldes, das er bereits gesetzt hatte und dabei verlieren würde.
Und da kristallisierte sich ihr Gegner heraus. Es war Frank Ruff.
Frank Ruff, der so unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte, dessen halb irrer, flackernder Blick immer wieder auf sein Kartenblatt fiel, der die Karten dann zusammenschob und sie dann doch wieder auseinanderfächerte, um sich nochmals ihres Inhalts zu vergewissern. Er hatte ein Höllenblatt. Virginia wusste es. Doch sie selbst auch.
Der Einsatz stieg nun auf eintausend, dann auf zweitausend Dollar. Pearce war weggegangen, nun spielte sich alles zwischen Virginia und Frank Ruff ab.
Dem Rancher war der Schweiß ausgebrochen. Er war nicht der kühle, überlegen wirkende Pokerspieler, der er gern gewesen wäre. Er flucht stumm in sich hinein. Da hatte er einmal ein gutes Blatt, und da verrät ihn sein Körper durch einen Schweißausbruch und dadurch, dass er die Hände nicht mehr ruhig halten konnte.
Als er dreitausend Dollar in die Tischmitte schob, sahen alle sein Zittern. Der Pot war inzwischen auf fünfzehntausend angestiegen.
Virginia konnte es sich kaum leisten, diesen Betrag zu verlieren. Sie würde Ihre Reserven angreifen müssen, wenn sie hier verlor. Dennoch war sie von den vier Achten überzeugt, die sie auf der Hand hatte.
Beim Fünf-Blatt-Poker lag die Wahrscheinlichkeit, dass man einen Four-of-a-kind auf die Hand bekam, bei 0,024 Prozent. Virginia wusste sehr gut, wie selten solch ein Blatt war. Dass sie es nun bis zum letzten ausreizte, stand für sie außer Frage.
Doch was hatte Ruff auf der Hand? Selbst mit einem guten Full House käme er nicht an ihren Vierling heran. Und dass er gar einen Flush hatte, daran mochte Virginia nicht glauben.
Der Rancher hatte sein Spiel wohl überreizt. Das spürte sie instinktiv. Und als Virginia auf sein Angebot nicht einging, sondern Rance Turco mit einem Handzeichen ins Hotelzimmer schickte, um noch mehr Geld zu holen, um zu erhöhen und ihn gefährlich nahe an den Rand des Ruins zu treiben, da rissen ihm die Nerven.
Was dann im Einzelnen nach Turcos Weggang geschehen war, konnte nicht zweifelsfrei nachvollzogen werden. Jemand, vermutlich Ruff, schrie: »Falschspiel!«, Münzen klirrten, Banknoten flatterten durch die Luft. Plötzlich hielt Ruff seinen Sechsschüsser in der Hand. Er war aufgesprungen und hatte hinter John Clum Deckung gesucht. Die Mündung zeigte auf Virginia.
Virginia hatte den Rancher scharf im Blick gehabt, als sie plötzlich eine Veränderung seiner Gesichtszüge bemerkte. Sie wusste, was das bedeutete, und im selben Moment hatte sie den kleinen Derringer von ihrem Handgelenk in die Handfläche springen lassen. Sie spürte, dass der Mann völlig unberechenbar geworden, dass ihm die Sicherung gerissen war. Doch als Frank Ruff hinter John Clum in Deckung gegangen war, konnte sie nicht mehr schießen.
Sie zögerte einen Moment, weil sie den erschrockenen Clum nicht treffen wollte – und dann war es zu spät.
Frank Ruffs Kugel traf sie in den Hals. Mit einem ungläubigen Blick zuckte sie zurück gegen die Stuhllehne, griff sich an die Gurgel und blickte mit geweiteten Augen auf Ruff. Blut quoll zwischen ihren Fingern hervor und rann auf das spitzenbesetzte Oberteil ihres Kleides. Dann rutschte sie ganz langsam von der Sitzfläche. Ihr Rock bauschte sich auf, als sie am Boden lag. Ihre Hand sank neben den Hals und Blut floss aus der Wunde, aus dem grässlichen zerrissenen Loch.
Ihre blauen Augen starrten nach oben, an die Decke, auch in die Gesichter der Anwesenden, die sie um sie drängten. Sie röchelte eine Minute lang, dann wurde ihr Blick starr, die Atmung erlahmte.
Die Männer hatten das Geschehen schockiert verfolgt. Sie konnte nicht glauben, was sich vor ihren Augen abgespielt hatte. Gerade noch war Virginia lächelnd am Tisch gesessen, hatte Karten ausgegeben, Quellwasser getrunken – jetzt lag sie tot im Sägemehl.
Ein Sturm der Entrüstung brach los. Immer mehr Männer aus dem angrenzenden Saloon stürmten herein. Man hatte Frank Ruff gepackt und ihm die Waffe entwunden. Jemand brüllte unverhohlen nach einem Seil, um den Mörder aufzuknüpfen.
Als Rance Turco mit der Geldtasche ins Spielzimmer zurückkam, fand er seine Chefin tot vor. Er brüllte auf, und jeder im Raum konnte seinen Schmerz und den Schock verstehen.
Er ließ sich von Clum und Pearce schildern, was vorgefallen war, dann wandte er sich in blinder Wut an Frank Ruff, der von vier Männern festgehalten wurde. Er schlug ihm ins Gesicht, zweimal, dreimal, viermal.
Frank Ruff winselte wie ein getretener Köter. Er stieß die Worte »Falschspiel« und »Betrug« hervor. Das machte Turco noch wütender. Er wusste, dass Virginia keine Betrügerin war; dass sie alles, was sie jemals gewonnen hatte, regulär gewonnen hatte. Er wollte Ruff die Faust ins Gesicht hämmern, da spürte er, wie ihn Hände packten und festhielten.
Es war vielleicht gut so, denn er hätte Ruff sonst zu Tode geprügelt.
»Sie war keine Falschspielerin!«, brüllte er dem Rancher ins Gesicht und zerrte an den Händen, die ihn festhielten, doch sie ließen sich nicht abschütteln.
»Das können wir leicht nachprüfen«, sagte Greg Massenburg. Massenburg war der Besitzer des Hotels, des dazugehörigen Saloons und des Spielzimmers. Der Tumult und die Schüsse hatten auch ihn angelockt. Er war Mitte vierzig und hatte in Tombstone innerhalb weniger Wochen einen nagelneuen Laden hingestellt.
Massenburg gab William Pearce, der neben Virginia stand, ein Zeichen. »Die Ärmel«, sagte er.
Pearce kniete sich neben Virginia ins Sägemehl und hob ihre Arme, einen nach dem anderen, schob die Ärmel ihres Kleides zurück. Alle sahen die Arretierung, in der der Derringer gelegen hatte. Doch sie fanden keine Spielkarten in ihren Ärmeln.
»Ich will, dass er ebenfalls untersucht wird«, forderte Turco und deutete mit dem Kopf auf Ruff.
Ruff wand sich im Griff der Männer, die ihn festhielten. Sein Kopf war glühend rot geworden. »Nein!«, schrie er. »Nein! Nein! Lasst mich los, ihr Schweine. Ich will hier raus.«
Massenburg trat selbst vor Ruff und schob dessen Ärmel hoch.
Da fiel eine Kreuz Fünf heraus und segelte auf den Boden.
Ein Raunen ging durch die Menge.
Empörte Stimmen wurden laut.
»Er war der Falschspieler!«
»Hängt ihn!«
»Jawohl, hängt ihn!«
Ein Ruck ging durch die Menge. Jemand stieß Massenburg zur Seite. Männer zerrten den sich windenden und in Todesangst schreienden Ruff aus dem Raum. Alle Männer, die Barmädchen und alle, die hier arbeiteten, folgten der Meute. Jemand warf ein Seil über den Giebelbalken eines in der Nähe stehenden Stalls. Man legte Ruff die Schlinge um den Hals und kräftige Hände zogen. Er verlor den Boden unter den Füßen und begann zu röcheln und mit den Beinen zu strampeln. Er baumelte hin und her, strampelte und gab erstickte Laute von sich. Mit den Armen versuchte er, das Seil zu halten, das ihm die Luft abschnürte.
Sein Todeskampf dauerte lange Sekunden, doch eine Minute später war er nur noch ein erschlaffter, im Wind baumelnder Leichnam.
Rance Turco hatte die Lynchjustiz nicht verfolgt. Er war im Spielzimmer bei Virginia geblieben, hatte, nachdem man ihn losgelassen hatte, stumm auf sie hinabgeblickt. In seinen Augenwinkeln standen tatsächlich Tränen. Er hatte sich für einen harten Burschen gehalten, dem schlimme Dinge nichts ausmachten. Aber die Art, wie Virginia gestorben war, setzte ihm zu.
Als Revolvermann, als ihr Leibwächter, hatte er völlig versagt. Gerade in dem Moment, als es darauf angekommen war, war er nicht da gewesen, hatte nicht das tun können, was sie so oft miteinander besprochen, was sie abgesprochen hatten.
Er malte sich aus, wie es anders hätte laufen können, wenn er nicht von Virginia ins Zimmer hinauf geschickt worden wäre, wenn er nicht …
Dann brachen seine Gedanken ab. Es war sinnlos. Die Fakten waren geschaffen. Virginia war tot. Nicht konnte daran noch etwas ändern. Auch der Tod Frank Ruffs nicht.
Er hörte durch die Fenster, wie die Meute draußen grölte. Morgen schon würden sie bereuen, den Rancher aufgehängt zu haben. Doch jetzt waren sie noch so voller aufgepeitschter Emotionen, dass sie nicht zu bändigen waren. Die Sachlage war klar gewesen: Ruff hatte falsch gespielt, ihm drohte der Ruin und da hatte er Virginia erschossen. Es war ein klarer Mord gewesen. Das Hängen ohne lange Verhandlung von den Menschen, die die Tat miterlebt hatten, war vielleicht die ehrlichste Form von Gerechtigkeit, wenn es keine Unschuldigen traf.
Dennoch würde ihnen morgen bewusst werden, dass ein reicher Mann nun tot war. Sein Einfluss war beträchtlich gewesen. Er hatte vielen Cowboys Arbeitsplätze gegeben, hatte die Stadt mit Fleisch versorgt und auch viele Dollars im Store und in den Saloons gelassen.
Sein Tod würde die Verhältnisse hier – wenn auch nicht zum Wanken bringen – so vielleicht doch einschneidend ändern.
Doch auch hier waren die Tatsachen nun geschaffen. Ruff war tot, und politische Überlegungen über Vor- und Nachteile, Auswirkungen und Konsequenzen erübrigten sich. Was geschehen würde, würde geschehen.
Die ersten Männer strömten in den Saloon zurück und verlangten lautstark nach Whisky. Die Barkeeper sprangen hinter die Tresen und begannen, Gläser zu füllen.
Andere kamen ins Spielzimmer und bauten sich um Virginias Leichnam auf.
Nur einer trat neben Rance Turco und fragte, ob er Hilfe brauche, die Tote zum Boot Hill zu schaffen.
*
Am nächsten Tag um die Mittagszeit saß Turco in Virginias Hotelzimmer und blickte auf die Unordnung; auf ihre Sachen, die überall verstreut lagen: Kleider, Strümpfe, ein Korsett, hochhackige Schnürschuhe, Make-up-Utensilien, zwei Haarbürsten (eine grobe und eine feine), eine Schere zum Nagelschneiden, eine Schere um die Haarspitzen zu schneiden, Puder, Duftwasser und das Schwefelpulver, das ihr bei ihrem Leiden hätte helfen sollte, jedoch nur wenig Wirkung gezeigt hatte.
Ihr Vermögen hatte Virginia in einem kleinen Tresor deponiert, der auf Anweisung des Hotelbesitzers eigens für sie ins Zimmer geschafft worden war. Turco fluchte stumm in sich hinein, als sein Blick auf diesen Tresor fiel.
All das Geld dort drin konnte Virginia nicht zurückbringen. Am Vormittag hatten sie sie beerdigt. Ein Grab auf dem Boot Hill trug nun ihren Namen. Es war so schnell und endgültig gekommen, und er hatte gar nichts tun können.
Ein verheerendes Gefühl hatte sich in ihm breitgemacht.
Nun war er so etwas wie der Erbe von Virginias Sachen – zumindest ein Erbverwalter.
Was sollte er mit all dem Weiberkram anfangen?
Verkaufen?
Verschenken?
Verbrennen?
Er hatte keine Ahnung.