Es birebitzeli Glück - Jean-Pascal Ansermoz - E-Book

Es birebitzeli Glück E-Book

Jean-Pascal Ansermoz

4,7

Beschreibung

«Es würde ihn schon wundernehmen», fuhr Christian fort, «was aus den Träumen wird, die man in diesem Leben nicht verwirklicht. Was für einen Sinn sie sonst noch haben könnten ...» Tauchen Sie ein, in die kunterbunte Welt des Alltäglichen! Ob Hochzeitstag oder Kindergarten, Schrauben oder Plastiktüten, unsere Welt ist voller überraschender Begegnungen. Mit viel Humor schreibt der Autor von « Auf den Flügeln der Zeit » und « Längt's no zum Pressiere? » von der Vielfältigkeit des Lebens. Satirisches, Besinnliches und Philosophisches aus einem Land, das fasziniert.

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Seitenzahl: 64

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Für mini Groseutere,

Heidi u Fritz Liechti

S'isch glych es Glück,

o we mirs gar nid wei ...

Mani Matter

Inhautsverzeichnis

Es birebitzeli Glück

Hochzeitstag

Kindergarten

Ich lese Thriller

Als wär’s der letzte Herbst

Warum so truurig?

Aus alter Gewohnheit

Mona

Kellergedanken

Schiffbruch

Grüne Gardinen

Das letzte Mal

Der Geburtstag

Zrüggschrube

Magie einer Nacht

Meisenkönig

Bäumig

Tant pis!

Kleine Dinge

Im Büro

Primaballerina

Glossar

Es birebitzeli Glück

Es sei lange her, meinte Christian, dass er den Messerli das letzte Mal gesehen habe. Und er fragte sich, was wohl aus ihm geworden sei.

«Vielleicht hat ihn die Sehnsucht gepackt und er ist samt seinem Cowboyhut ausgewandert. Dorthin wo die Rinder groß sind und die Frauen alle blond. »

«Man sollte viel öfter Mutausbrüche haben.»

Es würde ihn schon interessieren, fuhr Christian fort, was aus den Träumen werde, die man in diesem Leben nicht verwirklicht. Was für einen Sinn sie sonst noch haben könnten. Das habe der Messerli auch immer gesagt, bevor er den letzten Schluck Bier trank. Normalerweise war das immer sehr früh der Fall gewesen.

«Früh am Morgen, ja», beendete Christian seinen philosophischen Exkurs.

«Das kann man so sagen», sagte darauf der andere, der die ganze Zeit über in sein Bierglas gestarrt hatte, welches er mit einer Hand festhielt, als könnte es davonfliegen. «Immer früh am Morgen ist es gewesen, wenn der Messerli zum ersten Mal wieder aufstand und bis zum Ausgang versuchte, seine aufrechten Gedanken irgendwie mit der sich plötzlich bewegenden Horizontale in Einklang zu bringen. Denn Träume hatten bei ihm hohen Seegang in den frühen Morgenstunden.»

«Er war ein guter Matrose ...»

«Ja, hat seine Segel immer selber gesetzt. Kannst du dich noch an den Flugzeugabsturz erinnern, damals, an Weihnachten, und wie er es mit der Angst zu tun bekam? Hat damals immer wieder gemeint, wie das wohl sein musste, die Welt so zu verlassen. Da wurdest du nicht gefragt, als du geboren wurdest, und kannst nicht einmal wählen, wie du gehen möchtest.»

«Sind schlimme Zeiten für ihn gewesen. Er sah aus wie ein alter Baum, so viele Augenringe hat der bekommen.»

Beide schwiegen und hörten einen Augenblick dem Abend zu, der über die Stadt hereingefallen war. Leise und dunkel, wie manche Erinnerungen.

«Wie meinst du das eigentlich?»

«Wie meine ich was?»

«Das mit dem Absturz. Hast du das Gefühl, der Messerli ist abgestürzt?»

«Nein, nein ... um Himmels willen, nein. Aber manchmal brauchst du im Leben einfach ein bisschen Glück.»

«Das ist wahr. Wir haben vielleicht nicht die Wahl, ob wir geboren werden wollen, aber jetzt sind wir nun mal da. Was du wirst, hängt eben von vielem ab.»

«Wie von deinen Träumen zum Beispiel.»

«Ja, und vom Weg, den du einschlägst. Es kommt doch immer darauf an, wie du dich entscheidest.»

«Meinst du, der Messerli ist trotzdem mit dem Flugzeug in die USA?»

«Ich würde es ihm zutrauen. Er war schon immer ein Wilder.»

«Einer von uns halt ...»

«Erinnere mich, dass er nie lange irgendwo bleiben konnte.»

«Mit Ausnahme von hier.»

«Ja, am Tresen verbrachte er mehr als sein halbes Leben. Sagte immer, ein halb leeres Glas sei nicht so schlimm. Das bedeutete nämlich, dass er halb voll sei. »

«Jedes Problem het zwöi siite: die fauschi u üsi.»

«Das war genau so ein typischer Satz von ihm. Der hat’s sicher geschafft.»

Beide nickten.

«Ich mag es ihm gönnen. Auf den Messerli!»

Christian hob sein Glas und der andere prostete ihm zu.

«Auf den Messerli ...»

«... und es birebitzeli Glück!»

Hochzeitstag

Er hatte noch keine zwei Schritte in Richtung Wohnzimmer getan, als das schlechte Gewissen über ihn herfiel, als hätte es hinter der Tür auf ihn gewartet. Plötzlich fiel ihm auch das Post-it wieder ein, das an seinem Bildschirm klebte. Es war genauso gelb wie die Blumen, die nun den Esstisch schmückten, und die am Morgen noch nicht da gewesen waren.

Einen Augenblick überlegte er, ob er sich so leise wie möglich wieder aus der Wohnung schleichen sollte, um noch schnell etwas einzukaufen. In der Küche lief der Dampfabzug. Er hörte, wie mit Geschirr hantiert wurde. Ein köstlicher Duft, eine Vorahnung in der Luft. Er ließ den Gedanken fallen.

Kurz presste Urs die Unterlippe an die obere, unentschlossen, dann ließ er seine Tasche zu Boden gleiten und entledigte sich seiner Schuhe. Er arbeitete viel in letzter Zeit, kam oft erst nach Einbruch der Nacht nach Hause. Er durfte so etwas vergessen. Das war nicht schlimm. Sein Verstand versuchte zu rechtfertigen. Sein Magen fühlte sich mulmig an. Natürlich fühlte er sich ertappt. Natürlich hatte er ein schlechtes Gewissen. Sie hatte daran gedacht, an ihren Hochzeitstag. Sie dachte immer an alles. Die gelben Blumen auf dem Tisch. Das schöne Besteck. Die Weingläser.

Als Urs nun im Eingang stand, wie ein kleines Kind vor Mutter Schuld, fühlte er sich wieder wie das erste Mal, als er ihr begegnet war. Kaum ein Wort hatte er über die Lippen gebracht. Ein ganz kleines Kind vor seinen Gefühlen. Gefühle, die nicht schweigen wollten, aber auch nicht sprechen halfen. Urs hatte die Zärtlichkeit in ihren Augen gesehen, für die er sich hätte ohrfeigen können. Von jener Art, wie man sie Kindern gegenüber verspürt, gleich bevor man zu lächeln beginnt. Eine Wärme des Herzens, nicht ein Herz voller Wärme.

Das war vor zwanzig Jahren gewesen. Und er fühlte sich immer noch, als müsste sie auf ihn aufpassen.

Die Gefühle hatten sich gewandelt. Die Welt war anders geworden. Und irgendwann hatten sie sich voneinander verabschiedet. Es ging nicht mehr um körperliche Eroberung. Man brauchte sich nichts mehr zu beweisen. Der Alltag verlangte schon so viel Energie. Manchmal war man zu erschöpft, zu umgeben von anderen Gedanken und Situationen, von Stimmen und Eindrücken. Und die Zeit hält nicht still.

War es noch Liebe?

Vielleicht gehörte eine Form von Einsamkeit einfach dazu. Urs wollte diesem Gefühl der Zuneigung gemeinsam verbrachter Jahre, das sich schleichend in seinem Kopf eingenistet hatte, eine Form der Liebe geben. Er brachte es nicht ganz fertig. Bemüht, seiner Verantwortung nachzukommen, aber an den Umständen scheiternd, blieb ein unwillkommener Schatten an seiner Idee haften.

Es war noch hell draußen.

Sie hatte den Wunsch geäußert, im Hochsommer zu heiraten, wenn alle Kinder Ferien haben. Eine Form der Romantik, die sie über all die Jahre gepflegt hatte, etwa wie man morgens duscht oder die Bettwäsche alle zwei Wochen wechselt. Und schon damals gab es gelbe Blumen auf den Tischen der Gäste.

«Ach da bist du ja.» Ihre Stimme holte ihn in den schmalen Eingangsbereich zurück, in die Zeit, die ihnen an diesem Abend blieb. Sie schenkte Wein in die Gläser. Ein Südamerikaner. Dunkel und schwer. Dann drehte sie sich zu ihm um. Kein Wort über sein Vergessen. Keins über sein frühes Erscheinen.

Bemerkt hatte sie beides. Sie ließ es ihn spüren. Dazu brauchte es keine Worte. Sie verstanden sich auch ohne.

Während er am Tisch Platz nahm, ging sie zurück in die Küche.

«Wie war dein Tag?», hörte er sie fragen.

Einen Augenblick horchte er der Musik. Sie liebte Jazzmusik. Hatte sie geliebt, bevor sie ihn zu lieben gelernt hatte.

Etwas Liebe blieb immer.

«Ein Tag wie jeder andere im Hamsterrad.»

Später an jenem Abend, zwischen Hauptspeise und Dessert, durch den Wein belebt und einer plötzlichen Eingebung folgend, stand er auf und nahm sie bei der Taille. Überrascht ließ sie sich mitziehen in den Tanz, in den Reigen der Erinnerungen und Gefühle. Die Jahre drehten sich um sie und die Welt ging verloren. Es zählte nur noch ihre Zweisamkeit. Und sie tanzten, bis kein Licht mehr vom Tag übrig war.

Kindergarten