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Jeder Moment konnte der letzte sein. Ein ungleicher Kampf trug sich im fahlen Licht des Abends aus. Der Himmel schwarz und schwer hatte den Wind als Vorboten geschickt. Irgendwo ertönte ein erster Donnerschlag. Wie eine letzte Warnung. Die Ruhe vor dem Sturm. Das Leben ist der Anfang des Todes, Aufgeben für ihn aber noch keine Option ... Eine vermisste Katze soll Hans Matter nach dem grossen Unwetter suchen. Währenddessen findet ein Spaziergänger am Flussufer die Leiche eines Mannes, der vor zehn Jahren spurlos aus der Region verschwand. Schliesslich ist da auch noch die Geschichte mit dem Stalker, der seit Kurzem in Neuenegg sein Unwesen zu treiben scheint. Und plötzlich hat Matter alle Hände voll zu tun.
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Seitenzahl: 116
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Der Fahnen Wind erbost
ein sterbend Angesicht -
des Freundes Fächeln bloß
wie kühles Nass erquickt.
Lass mich dein Beistand sein,
wenn Durst dir letztmals brennt,
dir deinen Tau verleihn
und labend Sakrament.
Emily Dickinson
Nach Asche schmeckt die Welt
Diese Geschichte ist frei erfunden. Alle Namen, handelnde Personen und Begebenheiten entspringen der Fantasie des Autors. Jede Ähnlichkeit mit real lebenden oder toten Personen oder Ereignissen ist völlig unbeabsichtigt und reiner Zufall.
Wer die in diesem Buch vorkommenden Orte kennt, wird bemerken, dass ich mir bei der Beschreibung ihrer Geographie und Topographie gewisse Freiheiten erlaubt habe. Dies geschah mit voller Absicht. Zwar existieren diese Orte und Gebiete, doch habe ich sie den Erfordernissen des Romans angepasst. Daher sollten sie als rein fiktiv betrachtet werden.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
EPILOG
Jeder Moment konnte der letzte sein.
Ein ungleicher Kampf trug sich im fahlen Licht des Abends aus. Der Himmel grau und schwer hatte den Wind als Vorboten geschickt. Irgendwo ertönte ein erster Donnerschlag.
Wie eine letzte Warnung.
Die Ruhe vor dem Sturm.
Das Leben war der Anfang des Todes, Aufgeben für ihn aber noch keine Option.
Ein Blitz hellte den Himmel auf.
Irgendwo bellte ein Hund.
Er wollte nicht loslassen und wehrte sich verzweifelt gegen das Unbegreifliche.
Der Wind nahm an Stärke zu. Selbst die Natur hatte sich gegen ihn verschworen. Und diese quälende Angst, nicht alles getan zu haben, was hätte getan werden müssen. Diese ernüchternde Einsicht, dass es nun zu spät war. Sich dann aber trotzdem an diesem Schmerz festzuklammern, obschon – oder gerade weil – die Kräfte plötzlich schwanden, weil das Leben zu entgleiten drohte wie die Wasser der Sense.
Ein letztes Hochheben des Kopfes begegnete den ersten Regentropfen. Ein Donnerschlag wie ein Peitschenhieb. Und dann erschlaffte der Körper.
Im selben Augenblick löste sich ein Blatt vom Ast über ihm. Es vermittelte einem eventuellen Beobachter ein Gefühl der Schwerelosigkeit, eine Form schwebender Illusion, als es sich nur wenige Sekunden zwischen zwei Welten befand. Ungebunden und doch schon entfremdet, hin und her gerissen vom Wind.
Dann betteten es die Schwerkraft und der nunmehr prasselnde Regen in den Lauf des Flusses. Getrieben riss der es mit sich fort. Es ließ sich geschehen. Die Bewegungen des Wassers hauchten ihm noch einmal etwas Leben ein, bevor die wild werdende Sense es an ihr Ufer trieb. Die Reise ging zu Ende, als ein Stein das Blatt in seiner letzten Fahrt auffing.
»Ah, da bist du ja!«
Die Stimme klang nicht wirklich vorwurfsvoll, aber dennoch etwas irritiert, fand Hans Matter, der sich beeilt hatte, die Tür zu öffnen. Eine andere Option war ihm ja nicht geblieben, da die Besucherin den Finger einfach auf der Klingel ließ.
Vor ihm stand eine ältere Dame mit weißem Haar unter einem roten Hut, wachsamen blauen Augen, die eine – im Verhältnis zu ihrer Größe – sehr imposant wirkende Handtasche trug. Matter hatte sie im Dorf auch schon gesehen, konnte sich aber nicht mehr an ihren Namen erinnern. Ein Gesicht vergaß er nie, einen Namen, nun ja ...
»Es stimmt also«, fuhr die Dame unbeirrt fort, »was man im Dorf so sagt.«
»Und was bitte wird im Dorf so gesagt?«
Sie sah ihn einen kurzen Moment an. »Dass der Schriftsteller um diese Zeit zu Hause ist. Ich bin den ganzen Weg also nicht umsonst gegangen. Was für eine Idee auch, sich am Berg niederzulassen!«
Verdutzt folgte Matter ihren Erläuterungen.
»Du musst mir helfen. Es geht um Leben und Tod«, kam sie unverhofft zur Sache. Energisch untermalte sie ihre letzten Worte mit ihrem Stock, den sie immer wieder auf den Boden stieß wie ein kleines Mädchen es mit dem Bein tut, wenn es etwas erzwingen will. Matter blickte sich schnell um. Tagsüber war die Straße verlassen, so auch jetzt.
War das ein schlechter Scherz?
»Was ist denn geschehen?«, fragte er vorsichtig, ganz froh darüber, mit der Frage etwas Zeit gewinnen zu können. Vielleicht fiel ihm der Name ja wieder ein.
»Willst du mich nicht zuerst hereinbitten?«
Etwas verloren kam sich Matter schon vor. Überrumpelt auf jeden Fall. Er räusperte sich: »Aber natürlich. Wo hatte ich denn meine Gedanken.«
»Hoffentlich im nächsten Buch!«
Er machte einen Schritt zur Seite, ohne die Tür loszulassen. Sie seufzte übertrieben dramatisch, drängte sich mit kleinen Schritten an ihm vorbei in den Flur und wartete geduldig, bis er die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Dann folgte sie ihm ins große Wohnzimmer.
»Schön habt ihrs hier.« Sie ließ sich mehr auf das Sofa fallen, als dass sie sich hingesetzt hätte. Da der Weg zu Matters Haus einen selbst für jüngere Menschen steilen Hügel erklomm, konnte Matter sich gut ausmalen, wie müde die Frau jetzt sein musste. Er schätzte sie auf etwas über siebzig.
»Schöne Musik«, kommentierte die Besucherin. Matter blickte zum Tablet hinüber, mit dem er stets Internetradio hörte, während er schrieb. Er hatte schon immer eine Vorliebe für barocke Musik gehabt.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Kaffee oder Tee vielleicht?«, fragte er. Sie nickte schwach.
»Tee wärmt das Herz. Kaffee wärmt die Seele. Einen Kaffee gern. Wieso siezt du mich eigentlich?«
»Mit Milch? Oder Zucker?«
Matter, der weder ihren Namen noch ihren Vornamen präsent hatte, zog sich mit der Gegenfrage in die offene Küche zurück, wo er die Kaffeemaschine anschaltete, um dann zwei Tassen bereitzustellen.
»Heiß und schwarz wie die Nacht.«
»Was für ein Gewitter. Diese Stärke ... wie im Hochsommer.«
Er füllte den Wasserbehälter, während er einen Blick nach draußen warf.
Vom blauen Himmel schien die Sonne. Die Berge versteckten sich in weißen Gewändern. Keine Spur mehr vom Unwetter des Vorabends, das ihn einen Teil der Nacht wachgehalten hatte.
Sie nickte. »Hat viel Schaden angerichtet, auf den Feldern und so. Die Sense kam sogar über die Ufer. Kein gutes Zeichen. Und wir sind erst im April.«
Seine Besucherin folgte jeder seiner Bewegungen. Matter ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Als er endlich mit den zwei Tassen im Wohnzimmer erschien, hatte sich die Frau sichtlich von ihrem Fußmarsch erholt. Dankend nahm sie ihren Kaffee entgegen. Matter setzte sich ihr gegenüber. Während er einen ersten Schluck trank, versuchte er abzuschätzen, was es denn jetzt auf sich hatte, mit der Frage nach dem Leben und dem Tod.
Die alte Frau rutschte auf dem Sofa ein wenig nach vorn, stellte ihre Tasse vorsichtig auf den Tisch, um ihn dann eingehend zu studieren.
»Du arbeitest doch für die Polizei.«
Es war keine Frage, eher eine Einleitung.
»Wer sagt denn so was?«
»Der Mario im Tea-Room sagte mir, du könntest mir sicher helfen.«
Mario war einer der Mitarbeiter in der kleinen Bäckerei, in der auch Matter des Öftern seinen frühmorgendlichen Earl Grey mit Zucker und Milch zu sich nahm. Mit dem musste er ein kleines Wörtchen reden. Doch die Dame ließ nicht zu, dass er sich in Gedanken verlor. »Er ist nicht mehr nach Hause gekommen. Seit zwei Tagen.«
»Wer ist nicht nach Hause gekommen?«, fragte Matter. Sie nahm einen Schluck Kaffee.
»Na, Viktor natürlich!«, empörte sie sich. »Wer denn sonst?«
Ja, wer denn sonst, dachte Matter und stellte seine Tasse ab.
»Hast du die Polizei informiert?« Matter war zum Du übergegangen, obschon er sich ihres Vornamens immer noch nicht erinnerte. Sie wischte seine Bemerkung mit einer energischen Handbewegung vom Sofa.
»Die wollen nichts wissen.«
»Aber ...«
»Du musst mir helfen. Ich mache mir Sorgen, verstehst du. Das hat er noch nie gemacht.«
»Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?«
»Vor zwei Tagen. Hab ich doch eben gesagt. Er ass am Abend in der Küche seine Kroketten ...«
»Kroketten?«
»Natürlich. Die mit Huhn und Truthahn. Die mag er am liebsten.«
Matter musste sich ein Lachen verkneifen, hatte er doch nicht daran gedacht, dass es sich bei Viktor um ein Tier handeln könnte. Das erklärte gleichzeitig das mangelnde Interesse der Polizei. Aber wie konnte er ihr das schonend beibringen?
»Weißt du, seitdem Urs mich vor zehn Jahren verlassen hat, ist Viktor der Einzige, der zu mir steht. Und er ist auch nicht mehr der Jüngste. Hast du Haustiere?«
Matter schüttelte den Kopf.
»Solltest du aber«, mahnte sie ihn.
»Ich werde darüber nachdenken«, versprach Matter. Sie nickte, nahm ihre Tasse zur Hand. Den darauffolgenden Augenblick teilten sie schweigend.
»Also, wo wirst du anfangen?«
Auf der Kommode begann Matters Handy zu vibrieren. Sie sah überrascht zum Möbel hinüber. Matter wollte aufstehen, entschied sich aber dagegen.
»Wo ich … was?«, fragte er.
»Willst du nicht rangehen?« Sie fixierte immer noch das vibrierende Mobiltelefon, das über die glatte Holzoberfläche tanzte. In dem Augenblick, als Matter Antwort geben wollte, hörte es auf.
»Wo wirst du mit der Suche beginnen?«
»Nun, ja ...« Matter hatte sich mit der Idee noch nicht ganz angefreundet.
»Ich lese auch gerne Krimis. In solchen Fällen beginnt man immer am Ort des Verschwindens, nicht?«
»Nun, ja ...«
»Gut.« Sie stellte ihre Tasse auf den Tisch, griff nach ihrer Tasche und entnahm ihr ein Foto, das sie Matter reichte.
Darauf war eine schwarze Katze zu sehen, die zusammengerollt auf einem bestickten Kissen schlief. Sie trug ein rotes Halsband und hatte helle Flecken an den Pfoten.
Die Besucherin stand resolut auf.
»Ich zähle auf dich.« Sie griff nach ihrer Gehhilfe und ihrer roten Tasche. Matter begleitete sie zur Tür, wo sie sich noch einmal zu ihm umdrehte.
»Danke für den Kaffee. Er ist deutlich besser als derjenige bei Mario.«
»Darum trinke ich dort nur Tee«, erwiderte Matter. Sie sah ihn einen Augenblick eingehend an. Es war ihm, als würde in diesem Moment ein Anflug von Heiterkeit durch ihre Augen huschen. Dann nickte sie.
»Ach ja, mein Vorname ist Margret.«
Er schaute sie überrascht an.
»War das so offensichtlich?«
»Ich bin zwar alt, aber keinesfalls naiv, guter Mann.«
Matter blickte ihr mit schlechtem Gewissen hinterher. Wieso hatte er plötzlich das Gefühl, ihr etwas schuldig zu sein?
Nachdenklich räumte Matter die beiden Tassen ab und stellte sie ins Spülbecken. Die Musik war noch dieselbe, aber wirkte plötzlich befremdlich. Im Vorbeigehen drehte er sie leiser, nahm sein Handy an sich. Tina hatte ihn zu erreichen versucht. Auf dem Weg in sein Büro rief er zurück, aber seine Tochter gab keine Antwort. Seufzend legte er das Mobiltelefon auf den Arbeitstisch und ließ sich in den großen Sessel fallen, der ihn in seinen langen Arbeitsstunden stützte. Auf seinem Bildschirm schwirrte ein Satz umher. You should be writing. Du solltest schreiben.
Er bewegte die Maus ein wenig hin und her, bis der Bildschirm den Blick auf sein aktuelles Manuskript freigab. Seite 243. Langsam musste er sich damit abfinden, dass auch dieses Buch seinem Ende entgegenging. Ein Gedanke den er, wie jedes Mal, so lange wie möglich von sich schob.
Matter las den letzten Satz, den er geschrieben hatte. Etwas umständlich versuchte er daraufhin, wieder in die Geschichte einzutauchen. Schließlich speicherte er das Dokument. Seine Inspiration war verflogen. Etwas frustriert blickte er auf die Anzahl Wörter, die das Schriftstück nun enthielt. Sein Tagessoll war noch nicht erreicht. Was nichts zu bedeuten hatte.
Und trotzdem. Ärgerlich.
Etwas melancholisch klappte er den Laptop zu und lehnte sich im Sessel zurück. Was nun? Er setzte den Stuhl mit den Beinen in Bewegung, blickte sich um, während er sich langsam im Kreis drehte. Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit großen Bibliotheken bestückt. Unzählige Bücher zeichneten in seiner Bewegung wechselnde Farbmuster. Zwischenräume gab es kaum. Kein Buch dieser Sammlung hatte er selbst geschrieben. Seine standen in Kartons im Keller.
Die Chaiselongue neben der Tür, eine Stehlampe dahinter, ein kleiner Tisch daneben. Und natürlich auch stapelweise Bücher, die sich wie Kinder darum gruppiert hatten und darauf warteten, gelesen zu werden.
Ihm wurde bewusst, dass dieser Raum den Titel ›Büro‹ eigentlich gar nicht verdiente. Einzig der schmale Tisch unter dem Fenster mit dem Laptop drauf, zu dem er nun zurückkam, erinnerte daran, dass hier Tag für Tag jemand arbeitete.
Matter griff nach dem Handy. Tina hatte nicht zurückgerufen. Es war kurz vor zehn Uhr. Vielleicht Zeit, im Dorf einen Kaffee trinken zu gehen. Er musste mit Mario reden, bevor der noch andere bedürftige Menschen zu ihm schickte. Arbeitete Mario überhaupt heute?
Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.
Minuten später verließ er die Wohnung.
Nur wenige hundert Meter trennten ihn vom Kafi-Egge, wie die Bäckerei die wenigen Tische benannt hatte, die man von außen gut einsehen konnte, da sie das Schaufenster schmückten. Als er den ersten der beiden Verkehrskreisel fast erreicht hatte, sah er den Streifenwagen. Er stand auf einem der Parkplätze vor der Post. Nicht zu übersehen war auch der Uniformierte, der breitbeinig davor Wache hielt.
Matter wechselte die Straßenseite. Im Vorbeigehen sah er in die Bäckerei. Ein Glück, dass die Tische noch nicht besetzt waren. Vielleicht wurde es trotzdem noch ein guter Tag. Eine kleine Glocke kündigte ihn an, als er die Tür des Brotgeschäftes aufstieß. Es roch köstlich. Matter wurde sich bewusst, dass er noch gar nichts zu sich genommen hatte.
»Guete Morge«, grüßte er fröhlich.
»Ah, dr Hans. Lueg ou eine ah. Sobald ein Streifenwagen auftaucht, bist du nicht sehr weit«, sagte Mario. Matter schnitt ihm eine Grimasse.
»Es Tee Crème?«
Matter nickte und drehte sich zur Straße hin. »Was ist denn da los?«
Mario hielt in der Zubereitung kurz inne. »Ein Mann ist am Ufer gestorben.«
Er beugte sich leicht vor, als wollte er Matter ein Geheimnis anvertrauen, und flüsterte mit verschwörerischer Stimme: »Soll nicht eines natürlichen Todes gestorben sein ...«
Das Glöckchen an der Tür unterbrach seine Erläuterungen. Er richtete sich urplötzlich wieder auf, als hätte man ihn bei etwas erwischt und fragte etwas lauter: »Was Kleines dazu?«