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Eine gesellschaftsbezogene Darstellung von Leben und Werk Fanny Lewalds (1811-1889). Sie war eine der großen Autorinnen des 19. Jahrhunderts und gleichzeitig eine mutige Frauenrechtlerin. Sie musste sich emanzipieren als Frau, Jüdin und Schriftstellerin. Dieses Buch ist auch eine sehr knapp gefasste Darstellung eines der spannendsten Kapitel der deutschen Geschichte: des 19. Jahrhunderts, in dem Fanny Lewald aufwuchs. Wirtschaftliche Entwicklungen, Erfindungen, politische Umwälzungen waren bestimmend für das Leben Fanny Lewalds. Das philosophisch diskutierte Thema Emanzipation beschließt das Buch.
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2025
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I. Kapitel
Veränderungen
Das 19. Jahrhundert
Die Entwicklung
Wirtschaft und Verkehr
Fanny Lewald. Leben und Werk.
Emanzipation als Aufgabe
Literatur
Literatur von Fanny Lewald
I.
1811, als Fanny Marcus in Königsberg geboren wurde, gab es in West- und Ostpreußen keine einzige ausgebaute Chaussee, eine Kutschfahrt von Königsberg nach Berlin dauerte über drei Tage1. Und was heute überhaupt nicht vorstellbar ist: Jeder Ort in Deutschland hatte seine eigene Ortszeit, eine allgemein verbindliche Zeitangabe gab es nicht. Noch lange vor ihrem Tod 1889 in Dresden hätte Fanny Le-wald-Stahr ihre Näharbeiten auf einer Singer Nähmaschine erledigen, abends einen Underberg oder bei Müdigkeit eine Coca-Cola trinken können. Es hatte sich enorm viel getan in dieser Zeit: Von der Weltabgeschiedenheit vieler Landstriche mit der Notwendigkeit der Eigenversorgung zu überall erhältlichen Markenprodukten – und mit der „Weltzeitkonferenz" vom 13.10.1884 gab es eine verbindliche Zeit. Vielleicht war das Tempo der Veränderungen sogar vergleichsweise höher als es uns Heutigen anmutet. Sehr viele von uns werden noch Telefonzellen kennen oder die pünktlichste Pflicht, sich genau um 20.15 Uhr vor dem Fernseher zu versammeln, wenn es ein Familienprogramm gab. Möglicherweise wissen einige auch noch um die Spannung, sich eine Zugfahrkarte für eine längere Reise vorher an einem Schalter bestellen zu müssen. Die Veränderungen zum Händi, zu Netflix und Online-Buchungen gingen wirklich flott, so flott, dass manche Dienstleistungen gar nicht mehr angeboten werden (Wer hilft einer achtzigjährigen Rentnerin bei der Installation eines Telefons oder der ausschließlichen Vorlage ihrer BahnCard auf einem Smartphone?).
Dennoch könnten die wirklichen Sprünge im 19. Jahrhundert geleistet worden sein: Von der völligen Unerreichbarkeit eines Dorfes in Ostpreußen, der Bildungslosigkeit gerade auf dem Lande, der gerade in Preußen noch Lehensherrschaft ähnlichen Machtfülle des Adels, der unbedingt zu gehorchenden Autorität des Vaters über Reisen mit der Eisenbahn, Einführung von Pflichtschulen für alle, soziale Sicherungen bis zur Vertretung der Menschen in Parlamenten und (zumindest außerhalb Preußens) von diesen Parlamenten kontrollierten Regierungen und auch der familiären Emanzipation: alles in einer Lebensspanne.
Die Vornamens-Cousine von Fanny Lewald, Fanny Mendelssohn (ihrerseits benannt nach der Saloniere Fanny von Arnstein), musste auf Anordnung des Vaters Abraham Mendelssohn ihr großes musikalisches Talent als „Zier für zu Hause" zurückhalten, während ihr gar nicht einmal stärker talentierter Bruder Felix sich ausleben durfte.
Erfahrungen mit Ungerechtigkeit dieser Art führten dazu, dass sich Fanny Lewald mit Frauenemanzipation beschäftigte und öffentlich für sie eintrat. Unterstützend wirkte dabei die Stimmung im Lande, die nach den beiden die Welt verändernden Revolutionen (amerikanische Unabhängigkeit und französische Revolution) einen Schrei nach Freiheit und Partizipation ausdrückte. Im Prinzip dauerte diese Revolution bis in den Anfang der 1850er Jahre, als ein massiver Druck der Reformgegner zu einem Jahrzehnte andauernden Verschütten der Freiheitsbewegungen führte. Zur Zeit der Sozialisation von Fanny Lewald waren diese Gedanken aber noch virulent. Als Jüdin hatte Fanny Lewald noch einen weiteren Kampf um Emanzipation zu erstreiten: Den um bürgerliche Emanzipation.
1 Den zweiten Band ihrer Erinnerungen („Meine Lebensgeschichte“ II, S. 3) beginnt Fanny Lewald: „Im Jahr achtzehnhundert zweiunddreißig war das Reisen noch nicht so leicht als in unseren Tagen, und doch sah man es schon als einen ungemeinen Fortschritt an, daß man den Weg von Königsberg nach Berlin, der auf der Chaussee etwa achtzig Meilen lang war, in zweiundsiebzig Stunden zurücklegen konnte.“ Und die Veränderung 1881 („Vater und Sohn“, S. 149): über einen Reisenden: „Der Zug flog pfeilschnell auf den Schienen vorwärts, er kam mit seinen Gedanken nicht vom Fleck.“
Das 19. Jahrhundert wird allgemein als das „lange" bezeichnet. Wenn wir nicht Jahreszahlen, sondern Zusammenhänge berücksichtigen, ist es legitim, das 19. Jahrhundert von 1789 bis 1918 zu beschreiben. Natürlich hatte auch die französische Revolution ihren Vorlauf. Man traf sich nicht zufällig am 14. Juli auf dem Markt und beschloss spontan, „ach, lasst uns heute mal die Bastille stürmen, ist gerade das passende Wetter", zumal dann nicht schon kurze Zeit später am 26. August die Erklärung der Menschenrechte erfolgen hätte können. Dieses Datum markiert aber die Zäsur einer Tat, ab hier änderte sich enorm viel. Die Grundgedanken der französischen Revolution Liberté Egalité Fraternité waren exakte Kontrapunkte des herrschenden Denkens, das von einer obrigkeitsstaatlichen, aus Gottesgnadentum geschöpften Herrschaft ausging. Waren diese Gedanken auf einmal in der Welt, so ließen sie sich nicht mehr unterdrücken. Und so begann mit den beiden Revolutionen die bisherige Welt zu schwanken: Die staatliche Freiheit im Rahmen von sich selbst verwaltenden Bundesstaaten einerseits (die sich formierenden USA) und die individuelle Freiheit andererseits waren Sehnsuchtsziel vieler.
Die Geschichte des 19. Jahrhunderts durchziehen diese Gedanken. Allen Büchern über diese Zeit wohnt ein entsprechender Gedanke inne: Ablehnung oder bejahende Schilderung. Nicht in jedem Satz habe ich weiter unten eine Quelle angegeben, das würde die Lesbarkeit eines Textes dieser Art arg erschweren.
Deswegen vorab eine kurze Zusammenfassung der für mich wichtigsten und hier benutzten Bücher:
Heinrich von Treitschke (1834 – 1896) war ein nationalistischer, antisemitischer Historiker, der nach mehreren Universitätswechseln 1873 als Nachfolger von Leopold Ranke auf dessen Lehrstuhl an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin berufen wurde und ab 1886 Hofhistoriker Preußens wurde. Ein anderer prominenter Historiker, Gustav Droysen, wandte sich gegen Treitschkes Ernennung. Treitschke sah in der preußischen Führung Deutschlands die Geschichte erfüllt, so ist auch sein fünfbändiges Buch aufgebaut. 1879 eröffnete er durch seine Aussage „Die Juden sind unser Unglück" den Berliner Antisemitismusstreit (vergl. Langer). Seine „Geschichte des 19. Jahrhunderts" (1918) wurde auch nach seinem Tod noch häufig aufgelegt.
Franz Schnabel (1887 – 1966) war einer der wenigen Historiker, die ihren Lehrauftrag während des Faschismus verloren. Die Veröffentlichung seines auf vier Bände angelegten Werks wurde dadurch nach Erscheinen des ersten Bandes (1934) verzögert, 1964 aber dennoch komplett möglich gemacht. Schnabel sah im Katholizismus das Ziel der deutschen Geschichte. Er benennt als „die drei Grundelemente des heutigen Europas" (in dieser Reihenfolge:} „Antike – Christentum – Germanentum" (I, S. 19) und konzediert die „folgenreiche Leistung der Kirchenväter", das „Kulturgut der Antike geprüft und an die Lehren des Evangeliums angeglichen" zu haben (I, S. 20).
Beide großangelegte Werke sind in Zielsetzungen und insbesondere Sprache für heutige Bedürfnisse nicht unbedingt aktuelle Basislektüre.
Die von der Anlage als auch vom Sprachduktus her moderneren Bücher platzieren zumeist ein Thema in den Mittelpunkt. Heinrich August Winkler (2020) stellt ausnehmend genau die politischen Entwicklungen dar, während Hans Ulrich Wehler (2008) eine Geschichte der Gesellschaft schrieb. Eric Hobsbawm (2022) und Thomas Nipperdey (2013) beschäftigen sich intensiv mit sozialen und wissenschaftlichen Entwicklungen. Jürgen Osterhammel (2009) schrieb eine imposante Darstellung der gesamten Welt in ihren Bezügen der einzelnen Nationalitäten untereinander. Dieses Buch eignet sich nicht als Lektüre während eines Fluges, denn es ist so umfangreich und schwer, dass damit gewichtsmäßig schon fast das Bordgepäck erschöpft ist. Hingewiesen sei noch auf die beiden Bücher von Christopher Clark (2013) und Brendan Simms (2014), in denen jeweils die Entwicklungen und Verstrickungen der deutschen Politik dargestellt werden, die letztlich zu zwei Weltkriegen führten.
Insgesamt ist das lange 19. Jahrhundert in äußerst unterschiedlicher Sicht sehr umfangreich dargestellt worden, offene Fragen können aus heutiger Sicht erschöpfend beantwortet werden: Nur die hier erwähnten Bücher befriedigen mit ihren zusammen über 18.000 Seiten etliches an Leselust.
Abbildung 1: französische Kokarde. Unter den möglichen Interpretationen für die Farbgestaltung gibt es auch die: Liberté: blau, Egalité: weiß, Fraternité: rot
Zum Ende des 18. Jahrhunderts waren die Staatsfinanzen Frankreichs desolat, der Staat lag finanziell am Boden. Eine der Ursachen war die Beteiligung am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, letztlich um den Konkurrenten England um seine amerikanischen Kolonien zu bringen. Das hat bekanntlich recht gut geklappt, aber um den Preis des eigenen Ruins. Die Kosten waren dermaßen erheblich, dass neue Steuern erforderlich wurden. Wie üblich waren Adel und Klerus steuerbefreit, so dass die schon gebeutelten „dritten Stände" die Last alleine schultern sollten. Zudem kam es ab 1788 zu einer extremen Hungersnot, ursächlich hierfür war wohl ein Vulkanausbruch auf Island vom 8.6.1783, der sich in den Jahren darauf zu einer „kleinen Eiszeit" entwickelte. Während die unteren Stände verhungerten, hatten die oberen genug für ein prassiges Leben. Das war der Treibsatz, der dann in der Revolution explodierte. In 17 relativ knappen Artikeln wurde am 26. August 1789 die „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" verabschiedet. Wie wohl damals üblich, bezogen sich die Artikel nur auf Männer, so dass 1791 die Frauenrechtlerin Marie Gouze, die den Aliasnamen Olympe de Gouge trug, eine „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" veröffentlichte, deren erster Artikel lautete: „Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Mann gleich an Rechten. Gesellschaftliche Unterschiede dürfen nur auf den Gemeinnützen gegründet sein" (de Gouges, S. 28). Damit machte sie sich überhaupt keine Freunde, insbesondere nicht Maximilien Robespierre, der die Forderung nach Egalité offensichtlich nur männlich interpretierte: Am 3. November 1793 wurde Olympe de Gouge guillotiniert. Und mit ihr die Forderungen nach gleichen Rechten der Frauen auch erst einmal. Robespierre hat seinen eigenen Terror jedoch auch nur kurz überlebt: Er wurde am 28.7.1794 ebenfalls guillotiniert – mit selbst zerschossenem Unterkiefer, weil seine Flucht- und Suizidversuche etwas schief gingen. Dass sich die von ihm selbst durchgesetzte Rechtlosigkeit eines Angeklagten gegen ihn wenden könnte, hatte er nicht vorausgesehen, als er am 26.7.1794 mitten in einer Debatte im Wohlfahrtsausschuss verhaftet wurde.
Die französische Revolution aber hatte den Gedanken an die Gleichheit aller Menschen in den Artikel I der Menschenrechte und damit in die Welt gesetzt: „Die Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten." Allerdings mit dem Unterschied: Für Frauen und Juden galt dies (erst einmal) nicht. Der Code civile Napoleon, also das Bürgerliche Gesetzbuch Frankeichs, betonierte ab 1804 die Stellung des Mannes als Haupt der Familie, die Frau stand unter der Vormundschaft ihres Mannes. Und im Geburtsland der Freiheitsrechte, Frankreich, erhielten Frauen erst zum Ende des Weltkriegs in Frankreich am 21.4.1944 das Wahlrecht.
In der verfassungsrechtlichen Entwicklung der Revolution stieg Napoleon Bonaparte zum Ersten Konsul auf und erklärte die Revolution am 13.12.1799 „auf ihre Grundsätze gebracht" und damit für beendet. Vorher hatte er Kriege geführt und das französische Staats- und Einflussgebiet deutlich vergrößert. 1804 krönte er sich nach einem Plebiszit (über 3,5 Millionen Franzosen stimmten dafür, immerhin gab es tapfere 2.500 Gegenstimmen) zum Kaiser Napoleon I von Frankreich. Die alten Mächte schmiedeten Pläne, Frankreich auf die Grenzen von 1792 zurückzusetzen. Hieraus folgten die napoleonischen Kriege, die durch die Schlachten von Jena und Austerlitz 1806 und 1807 vor allem für Preußen vernichtend endeten.
Es endete 1806 durch eine Verzichtserklärung Kaiser Franz II auch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Vorher schon waren die südwestlichen Länder aus dem Verbund ausgetreten und hatten sich unter napoleonischer Vorherrschaft zum Rheinbund zusammengeschlossen. Alles hierzu ist rechtswidrig, problematisch und verwirrend: Zum einen hätten die Rheinbund-Länder überhaupt nicht aus dem Deutschen Reich austreten können, das sahen die Vereinbarungen gar nicht vor. Zum anderen konnte der amtierende Kaiser aus seinem Wiener Kabinett heraus keine Auflösung verkünden, das wäre einem Reichstag vorbehalten gewesen, der aber noch nicht einmal einberufen worden war. Sein Rücktritt bedeutete kaum die Auflösung eines Reiches, wie schon Karl V es vorgemacht hatte. Es gab also einen doppelten Verfassungsbruch zur Auflösung.
Nur: Es interessierte niemanden! Das Reich war beendet. Ein Missverständnis gibt es auch heute noch wegen der Dauer des Hlg. Röm. Reiches Dt. Nation: 1006 Jahre Tradition werden oft gerade von nationalistischer Seite angeführt, gerechnet ab dem Weihnachtstag 800, als sich der fränkische „inzestuöse Massenmörder" Karl (Abulafia, S. 323), von den Nutznießern seines Ausrottens „der Große" genannt, in Rom zum Kaiser krönen ließ. Zu diesem Zeitpunkt von einem „Deutschland" oder auch nur einem Deutschen Reich zu reden ist jedoch eindrucksvoll kühn2. Ein „Regnum teutonicum" wurde etwa seit der Kaiserkrönung Otto I vom 2.2.962 erwähnt. Erstmals wurde ein Sacrum Imperium Romanum Nationis Germaniae 1474 erwähnt, ab 1512 wurde dieser Titel offiziell geführt (Whaley, I, S.40 ff). Es wurde also mitnichten eine tausendjährige Tradition beendet, sondern eine noch nicht einmal dreihundertjährige. Dennoch: Unter französischen Soldatenstiefeln wurden alte europäische Reiche wie Polen oder Venedig zertreten.
Änderungen trafen besonders auf Preußen zu.
In dem traditionell militaristischen Land, das autokratisch mit knochenhartem Drill bei barbarischen Heeresstrafen regiert wurde, gab es mit Immanuel Kant einen Philosophen, der die Aufklärung vorantrieb. „Aufklärung", so schrieb Kant, „ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit." Das ist der so oft zitierte Einführungssatz seines Aufsatzes: „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" Dazu bedürfe es nur ein wenig, so Kant einige Seiten weiter: „Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: Von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlich Gebrauch zu machen" (Kant, [1784], VI S. 50 ff). Das konnte jeder verstehen. Und diese Sätze trafen offensichtlich ein vorhandenes Bedürfnis. Zudem: Kant war der erste Philosoph Deutschlands, der fast ausschließlich auf Deutsch publizierte. Jeder konnte ihn also verstehen. Und diese Sätze, fünf Jahre vor der französischen Revolution geschrieben, verstand jeder. Ob die drei sich ein Zimmer im Tübinger Stift teilenden Freunde Friedrich Hölderlin, Friedrieh Hegel (beide Jahrgang 1770) und Friedrich Schlegel (Jg. 1775), wirklich vor Freude am Jahrestag der Revolution am 14.7.1793 um einen „Freiheitsbaum" auf dem Tübinger Marktplatz tanzten, ist nicht gesichert. Vorstellbar ist es: Das Thema Freiheit lag in der Luft. Hegel und Schlegel erwarben später Philosophie-Lehrstühle in Jena (Schlegel auf Vermittlung Goethes respektabel mit 23 Jahren), Hölderlin scheiterte an einer unglücklichen Liebe, wovon sein Briefroman „Hyperion oder Der Eremit in Griechenland" zeugt. Aber in diesem Zimmer eines ansonsten quälende geistige Enge ausstrahlenden Theologen-Stifts entstand die Keimzelle eine der prägendsten Philosophie-Traditionen Deutschlands: Der deutsche Idealismus.
In Jena trafen Hegel und Schelling nicht nur auf Goethe und Schiller, sondern auch auf Johann Gottlieb Fichte. Zusammen mit Kant bildeten sie für 50 Jahre (gerechnet von Kants ,Kritik der reinen Vernunft' von 1781 bis Hegels Tod 1831) das Zentrum europäischen Denkens. Keiner der Philosophen benutzte den Ausdruck „Idealismus", der entstand erst später durch den bewussten Gegensatz der „Materialisten" (Feuerbach, Marx). Idealisten waren keine mildtätigen Menschen, die ihre Güter freundlich verteilen und alles für andere nur aus Liebe machten (was wir teils heute unter Idealisten verstehen), sondern Anhänger eine Denkrichtung, die Ideen und Geist betonen (während Materialisten keine geldscheffelnden Workaholics sind, sondern Menschen, die Tatsachen und reale Dinge als Grundlage des Seins beschreiben).
Zu den Strömungen der Zeit gehört philosophisches Denken, auch wenn es im täglichen Leben erst einmal nicht den Mittelpunkt bildet. In Jena war Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) für viele Jahre der Star unter den Philosophen: Er zog massenhaft Studenten nach Jena und hielt minutiös vorbereitete Vorlesungen, sogar sonntags. Persönlich mag er weniger einnehmend gewesen sein. So verließ er zwei Verlobte gruß- und wortlos und ließ sie im Ungewissen zurück. Zur einen, Johanne Rahn, die ihn wohl innigst geliebt hatte, kehrte er wieder zurück. Fichtes Biograph kommentierte dies sachlich: „Es ist vielleicht nicht ganz irrelevant, dass sich herausgestellt hatte, dass ein Teil des scheinbar verlorenen Vermögens der Rahns, insbesondere der Teil Johannes, nicht ganz verloren war (Kühn. S. 171)... Es muss ihm gut getan haben, dass es außer ihm selbst noch jemanden gab, der ihn bedingungslos liebte" (ibid., S. 178). Zwei Punkte machen Fichte, unabhängig von seinen sonstigen, schon bald folgenlosen philosophischen Gedanken, für diese Zeit interessant: Seine Moralauffassung und seine Gedanken zu Judentum und Nation. Die allerdings wirkten gerade in Preußen nach.
In seinen „Grundlagen des Naturrechts" schrieb er erschütternd Erstaunliches, das hier einmal länger zitiert sein muss:
„Im unverdorbenen Weib äußert sich kein Geschlechtstrieb, und wohnt kein Geschlechtstrieb, sondern nur Liebe; und diese Liebe