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Hatschepsut: Die ägyptische Königin, die den Titel Pharao erfand, die als Frau einen fast nur Männern vorbehaltenen Thron bestieg und gewaltige Bauwerke schaffte. Warum hat sie eine jahrtausendalte Tradition gebrochen und ist nicht Regentin geblieben, sondern zur Pharaonin aufgestiegen? Aus Liebe. Aus Liebe zu ihrer Familie. Deswegen diskutiert der Autor parallel zur Darstellung Hatschepsuts das Thema Liebe aus philosophischer und psychologischer Sicht.
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Seitenzahl: 79
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Für die Schönste
Suche Dein Glück nicht anderswo als überall
„Dich habe ich lieben können, dich allein unter den Menschen. Du kannst nicht ermessen, was das bedeutet. Esbedeutet den Quell in einer Wüste, den blühenden Baumin einer Wildnis. Dir allein danke ich es, dass mein Herznicht verdorrt ist, dass eine Seele in mir blieb, die von der Gnade erreicht werden kann.“
Hermann Hesse, Narziss und Goldmund
Wenn ich, dies vorab, mich meinem eigenen Berufs und Bildungsleben tendentiell sehr fremden Themen wie Geschichte und Philosophie widme, so tue ich das bewusst als Dilettant und Amateur. Ich „dilettiere“ mich am Thema (abgeleitet vom Lateinische delectare: [sich] erfreuen, wobei das Substantiv delectatio sogar Genuss bedeutet) und ich tue dies als Liebhaber - am Thema (Amateur stammt ursprünglich auch aus dem Lateinischen, amare: lieben, amatio: Lieb oder Leidenschaft). Es gibt kaum etwas Spannenderes, als sich mit völlig Neuem zu beschäftigen, auch wenn dieses Neue uralt ist. Gerade als Dilettant der altägyptischen Geschichte und Amateur der Philosophie.
Es fällt jedem von uns schwer, sich vorbehaltlos in die Gedanken und Gefühle der Menschen hineinzuversetzen, die vor hunderten oder gar tausenden Jahren lebten. Zu trennend sind die geistigen, seelischen, sozialen, empathischen und wissensbasierten Unterschiede. Allein wie schnell sich der Inhalt von Worten ändert, ist ein Hinweis. So ist die „Festplatte“ heutigen Verständnisses ein Speichermedium in einem elektronischen Gerät zur Verwaltung von Daten und Anwendungen. Das Erbstück „Festplatte“ aus dem Hause meiner Urgroßeltern war eine festlichen Anlässen mit mehreren Gästen vorbehaltene größere Porzellanplatte zum Vorlegen von Speisen. Oder erzählen wir heute Zehnjährigen von der biblischen Geschichte, in der Moses das Meer „teilt“, so sehen die Heutigen in einem inneren Bild einen Mann an einem Gestade, der ein Selfie von sich vor dem Meer macht und dieses dann seiner Community oder seinen Followern zur gemeinsamen Ansicht vorträgt – sein Erlebnis Meer also „teilt“1.
Wie schwer mag dann ein Sprung sein, der nicht nur zwei oder drei Generationen umfasst, sondern etwa 120, also fast 4.000 Jahre?
Wir sind in einem deduktiven Gedankensystem aufgewachsen. Mit Ausnahme von Karl Popper und seiner Schule verfolgen wir im Prinzip seit Aristoteles ein deduktives Gedankenmodell: Aus beobachtbaren Phänomenen allgemeine Schlüsse zu ziehen. Unser Denken ist damit linear. Zusätzlich sind wir in einem monotheistischen Weltbild erzogen worden: Es gibt nur wahren und falschen Glauben, Wahrheit und Unwahrheit, richtig und falsch. Damit leben wir zwar auf einem ethisch und wissensbasiert schmalen Grat, haben dafür aber Wohlstand, Gesundheit und allgemeinen Reichtum in einem vorher unbekannten Maß erworben – allerdings auch die Atombombe und die völlige Verletzbarkeit durch pandemisch auftretende verwüstende Krankheiten wie vor einer Generation AIDS oder aktuell CoViD. Der Weg, von immer weniger immer mehr wissen und umsetzen zu wollen, hat uns zum Verständnis unserer submolekularen Strukturen geführt. Aber wir haben nie die geistige Auffassungsgabe dafür erlangt, dass sehr viel Wissen nicht gleichzeitig die Befähigung beinhaltet, dieses Wissen auch anwenden zu können.
Menschen, die nach anderen Regeln lebten, verstehen wir kaum2. Wir haben eine Zeitrechnung: Sie ist, unserem Denken zufolge, linear. Etwas anderes ist auch für uns kaum vorstellbar. Bei allen Versuchen, sich anderes vorzustellen, kommen wir immer wieder auf unsere Ansicht einer Zeitenfolge zurück: Der Morgen folgt der Nacht, der Mittag dem Morgen, der Winter folgt dem Herbst und der Frühling dem Winter – wie sollte es anders sein?
Auch dies hängt mit unserer Erfahrungswelt zusammen, wenngleich wir dies überhaupt nicht bewusst erleben. Für Augustinus war mit dem Tod Christi die zyklische Zeit beendet, denn Christen würden mit diesem Tod dem Ziel der Erlösung entgegengehen. Die Nichtchristen verliefen sich hingegen in einem Zirkel: „Im Kreise herum werden die Gottlosen wandeln“ (12. Buch, Kap. 14). Wir können uns eine zirkuläre Zeit nicht vorstellen. Alle Mythen deuteten jedoch eine kreisförmige Abfolge von Ereignissen: Eine „Wiederkehr urgeprägter Muster“ (Assmann, 2018a, S. 28). Geschichtliches Denken sehe die Zeit als Linie.
Ägyptisches Denken lebte eine zyklische (Neheh) und eine nicht-zyklische Zeit (Djet).
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Neheh
ist die rotierende Wiederkehr des Ewigen, sie unterliegt dem Lauf der Sterne und der Sonne. Der Zyklus symbolisiert letztlich das Werden. Das Alte bleibt im Neuen ist die ungefähre Aussage des Neheh.
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Djet
ist die Dauer und das Bleiben. Letzten Endes, so Assmann (a.a.O., S. 32), ist Djet auch nicht die lineare, also zweidimensionale Zeit, sondern eher als ein Raum vorstellbar.
Es mag auf den ersten Blick uninteressant sein, sich mit diesen Spitzfindigkeiten zu beschäftigen. Wollen wir hingegen andere Menschen verstehen, so müssen wir auch deren Erlebniswelt verstehen. Aus der Existenz zwei sich unterscheidender Zeiten ergibt sich: Das ägyptische Denken hat das Werden im Auge, nicht in erster Linie das Sein. Denn Djet ist Stillstand, Neheh ist Veränderung. Sehen wir diese Unterscheidung als gegeben an, so verstehen wir vielleicht eher, weshalb Hatschepsuts Nachfolger auf dem Thron sich erst 30 Jahre nach ihrem Tod die Mühe machte, Andenken an sie zu löschen. Und dies offensichtlich eher gelangweilt als mit Verve.
Drei andere Punkte sind noch zu berücksichtigen: Da ist zum einen die Besiedelung des Landes. Während in fast allen Ländern rings um Ägypten urbane Gesellschaften entstanden, die von Zentralstädten aus regiert wurden, wobei oft die Städte die einzigen etwas dichter bewohnten Bestandteile eines Landes waren (wir kennen ähnliche Gegebenheiten im Deutschland des Mittelalters oder in den Stadtrepubliken Italiens der Renaissance), gab es in Ägypten die territoriale Besiedelung: Über lange Strecken reihten sich entlang des Nils kleinere Ortschaften, selten nur abgelöst von größeren Städten mit regionaler Verwaltung. Es war also eine völlig andere Lebensweise, die natürlich auch das Denken prägte.
Für ägyptisches Leben spielten vier Bezugspunkte die wichtigste Rolle: das Haus, der Tempel, der Pharao und das Grab. Es waren demnach die Orte für das tägliche Leben; den Glauben; die Macht der Gerechtigkeit, die der Pharao als Hüter der Ma’at zu garantieren hatte, und das ewige Leben.
Ein anderer Punkt ist die ungeheure Dauer des ägyptischen Reiches. Über 3.000 Jahre lang bestand dieser Staat in unterschiedlichen Formen. Auffällig dabei ist die Wiederkehr von Blütezeiten (ausgedrückt in der Phasen des Alten, Mittleren und Neuen Reiches) und dazwischen liegenden Phasen von Auflösung und Wirrnissen, den Zwischenzeiten. Insofern ist die ägyptische Geschichte selbst ein Ausdruck der Neheh.
Und dann müssen wir als dritten Punkt den grundsätzlichen Dualismus im ägyptischen Leben berücksichtigen (Shaw, S. 144, spricht gar von einer „Dualismuswut“ und Hornung, 2011, S. 256, beschreibt ein „Denken in Zweiheiten“). Zu jedem Aspekt gab es einen Gegenaspekt – wie es schon bei den zwei Zeiten zu bemerken war. Beides zusammen war die Vollendung. Zum Leben gehört der Tod, zum Tag die Nacht, zum Recht (symbolisiert durch den Gott Horus) gehört die Gewalt (Gott Seth), es gibt Ober- und Unterägypten, es gibt den schrecklichen Aspekt einer Gottheit (Göttin Sachmet) und den gnädigen (Göttin Bastet), es gibt die beiden Formen der Seele, den Ka, der nach dem Tod bei der menschlichen Hülle verbleibt, und den Ba, der durch die Finsternis fliegt und zurück zum Körper finden muss, es gibt die Ma’at als Ausdruck für Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit und ihren Gegenpol, die Isfet, die Sünde, Lüge, Krieg oder Gewalt symbolisiert. Ma’at war als personifizierte Göttin die Tochter des Sonnengottes Re. Es war Aufgabe nicht nur des Pharao, sondern des ganzen Volkes, die Ma’at zu verwirklichen. Sie war die erste kodierte Form einer Gesellschaftsordnung, in der der Schwache nicht schutzlos dem Starken ausgeliefert war. Nach dem Tode und einem langen Marsch durch die duat, eine gefährliche, dunkle Einöde, wurde von einem Gottesgericht unter der Leitung von Osiris überprüft, ob man geholfen habe, die Ma’at zu verwirklichen. Dazu gab es im 125. Buch des Totenbuchs ein negatives Sündenbekenntnis mit sehr vielen Zeilen. Es wurde im Gegensatz zum christlichen Sündenbekenntnis, das oft eine Aufzählung begangener oder auch nur gedachter Sünden ist, das berichtet, was nicht getan wurde. Diese Aufzählung war ein Bekenntnis eines rechtschaffenden Lebens:
Nicht habe ich bewirkt das Leiden der Menschen, noch meinen Verwandten Zwang und Gewalt angetan. Nicht habe ich das Unrecht an die Stelle des Rechts gesetzt,
noch Verkehr gepflegt mit den Bösen.
Ich habe kein Verbrechen begangen,
ließ nicht die anderen sich abmühen über Gebühr… (Kolpaktchy, S. 189 f). Es folgt eine lange Aufzählung all dessen, was der Ma’at zuwider laufen könnte und was der Tote bekundet, nicht begangen zu haben. Es gibt aus einem anderen Papyrus noch ein „Negatives Glaubensbekenntnis II“, das deutlich umfangreicher ist und in einem Dialog mit „O du, geistig Wesen“ ein Erhören erbittet.
Diese Angaben wurden im Totengericht überprüft und dabei das Herz gewogen: Es durfte nicht schwerer sein als Ma’ats Symbol, die Feder. Sank die Waage zuungunsten des Toten, so stand sofort die dauerhungrige
„Fresserin“ bereit, den Toten zu verschlingen und damit auszulöschen. Der König und die Königsfamilie wurden später von dieser Prüfung befreit, sie galten per se als Schützer der Ma’at, gegen die sie nicht verstoßen konnten.
Dieser Dualismus fand Niederschlag in der Grammatik: Es gab Singular, Dual und Plural, wobei der Dual als Paar geführt wurde, z.B. beim Wort ‚Gong‘ oder bei Seths Symbol, den Hoden. Oder senet ist die Schwester, senet im Dual sind die beiden Schwestern: Isis und Nephthys. Er führte dazu, dass der eigentliche Plural im Ägyptischen erst bei der Zahl drei beginnt. Das schriftliche Pluralzeichen waren drei parallele Striche unter oder neben dem zu bezeichnenden Wort. Der „Plural des Plurals“ ist demnach neun. Und deswegen kann „die Neunheit“ der Götter wie meist sowohl die Ursprungsgötter Atum, der sich selbst erschaffen hat, seine Kinder Schu (Luft) und Tefnut (Feuer) sowie in der Folgegeneration Geb (Erde) und Nut (Himmel, Abb. 1, S. →), die sich wie ein Gewölbe über den auf dem Boden Geb spannt, sowie zuletzt deren Kinder Osiris (Ordnung),