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Monika Helfer entwirft in ihren Gedankenspielen 16 Szenen aus Familien. Sie zeigt Wege, eine Familie zu gründen, sie zu verlassen, zu zerstören und zu retten. In den kurzen, aber großen Erzählungen geht es um Existenzielles, Wende- und Kipppunkte, Liebe und Trennung, Leben und Sterben, um Auskommen und Wegkommen. Sie bewegen sich nuancenreich zwischen Direktheit und Sanftheit und lassen sich nicht auf die eine eindeutige Lesart festlegen. Die Doppelbödigkeit und das Ungewisse sorgen dafür, dass auch nach Ende der Lektüre die empathisch und mit viel Menschenkenntnis geschilderten Familienschicksale weiter im Kopf herumkreisen.
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Seitenzahl: 40
Monika Helfer
Gedankenspiele über die
Familie
Literaturverlag Droschl
Erstensvier Wege, eine Familie zu gründen
1Aus heiterem Himmel
Aus heiterem Himmel fragte mich meine Freundin, ob ich wisse, dass Elsa in der Psychiatrie sei. Gerade heute Morgen hatte ich an sie gedacht.
»Und?«, fragte ich. »Hast du sie schon besucht?«
Elsa lehnte Besuche ab. Sie arbeitete in der Anstaltsküche, und ihre Spezialität waren Zopfmäuse. Die stellte sie mit so einer Geschwindigkeit her, dass man sich nur wundern konnte, und sie schmeckten vorzüglich. Man fühlte sich wie ein Kind, wenn man sie aß. Es hieß, an ihr sei eine Bäckerin verloren gegangen.
So wie ich mich an Elsa erinnere, war sie mir immer ein wenig unheimlich gewesen. Nämlich, weil sie etwas wusste, bevor es geschehen war. Sie sagte, ich hätte einen Engel in der Familie. Erst später wurde mir klar, was sie damit gemeint hatte, als ein Kind von uns gestorben war.
Sie wusste, dass Krieg sein würde, irgendwo auf der Welt. Ich sagte, das weiß jeder, Krieg ist immer und überall auf der Welt. Aber sie meinte den Krieg in der Ukraine, der in zehn Jahren stattfinden würde, zehn Jahre ungefähr. »Nagle mich nicht fest«, hatte sie gesagt.
Sie war uns nicht geheuer. Ich fragte, wann lerne ich einen Mann kennen, für den es sich lohnt. Und sie sagte. »Zuerst wirst du einen Mann haben, für den es sich nicht lohnt, erst dann findest du den zweiten, für den es sich lohnt.« Wieder hatte sie recht.
Als sie ihrem Freund, der sie heiraten wollte, sagte, sie würde im Irrenhaus landen, und es lohne sich nicht, sie zu ehelichen, zog er sich zurück. Nur Schwierigkeiten. »Sich lohnen« war ihre Lieblingsformulierung. Ich merke an mir, dass ich das auch oft sage, so als ob es eine Belohnung gäbe. Es war eine Zeit, da sprach sich herum, Elsa könne Krankheiten voraussagen und ob man sie überleben werde. Autos hielten vor dem Block, in dem sie wohnte. Menschen, die sie nicht kannten, stiegen aus, um etwas zu erfahren. Sie wollten nur Gutes hören. Da fing Elsa an, wie sie mir einmal sagte, Gutes zu erfinden, wenn sie Schlechtes sah. Sie werden es nicht ahnen, aber das hatte einen Placebo-Effekt. Die Krankheiten, die sie bei diesem und jenem gesehen hatte, verzögerten sich. Schlussendlich passierte doch, was passieren musste. Sie starben, aber zumindest hatten sie nicht gewusst, dass sie sterben würden, so bald. Meiner Freundin prophezeite sie einen Mann, der sie vergöttern würde, in Wirklichkeit hatte sie einen, der sie betrog. Aber vergöttert hat er sie trotzdem.
Das ist die Geschichte von Elsa, und ob Sie es mir glauben oder nicht, sie bäckt nach wie vor ihre Teigmäuse und weiß von sich, dass sie hundert Jahre alt werden wird. Und mir hat sie meine gute Ehe vorausgesagt.
2Diese Schlösser
Diese Schlösser an den Brücken, eng aneinander, gerade, dass die Brücken nicht unter der Last zusammenbrechen. Kein einziges hat mehr Platz. Eine Mauer aus Schlössern. Verliebte Paare, die sich der Ewigkeit verschrieben haben, naiv in ihrer Unschuld. Sie halten sich an den Händen, schwören sich Treue und Familie, und zum Zeichen dafür wählen sie ein Schloss, hängen es an das Geländer, sperren es zu, werfen den Schlüssel ins Wasser.
Nie mehr darf das Schloss aufgehen. Sonst ist alles futsch! Nie mehr darf die Liebe unterbrochen werden. Kein Seitensprung. Was haben sich diese jungen Leute überlegt? Beide haben sie noch keine fertige Ausbildung. Kennen sich in der Welt nicht aus. Er sagt, er wenigstens kenne sich in der Liebe aus. Er würde für sie sorgen, sie würden Kinder haben, schöne, kluge, die nicht den ganzen Tag am Handy hängen. Sie fragt, wirst du mich auf Händen tragen, und er zwinkert und sagt, wenn du nicht zu sehr an Gewicht zunimmst, immer.