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Das wird nicht gutgehen! denkt Wendy noch, dann stimmt sie dem Vorschlag ihres Chefs Jonathon zu. Pro forma werden sie heiraten, damit sie das Sorgerecht für ihre kleine Nichte nicht verliert. Jonathon weiß ja nicht, dass diese Ehe für Wendy viel mehr ist als ein geschäftliches Arrangement. Schon seit Jahren schwärmt sie für ihren Boss, doch er schätzt sie nur als Sekretärin. Hoffentlich kann sie sich beherrschen, wenn sie mit ihm unter einem Dach lebt! Sie darf die liebende Ehefrau nur spielen - und wünscht sich nichts mehr, als dass aus dem Spiel prickelnder Ernst wird …
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Seitenzahl: 213
Emily McKay
Gewagtes Spiel der Leidenschaft
IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH
© 2011 by Emily McKaskle Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1717 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Ralph Sander
Fotos: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format im 06/2012 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86494-159-7
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Jonathon Bagdon wollte nichts anderes, als dass seine Assistentin zurückkam.
Vor einer Woche war Wendy Leland wegen eines Trauerfalls in der Familie nach Hause gereist, und kurz danach hatte sein Unternehmen begonnen, allmählich in seine Einzelteile zu zerfallen. Ein wichtiger Vertrag, den sie vorbereitet hatte, war nicht zustande gekommen. Er hatte einen unaufschiebbaren Termin versäumt, weil die erste Vertretung seinen Online-Terminplaner gelöscht hatte. Die zweite Vertretung hatte den neuesten Prototyp der Forschungs- und Entwicklungsabteilung nach Peking statt nach Bangalore geschickt. Die Personalchefin hatte ihm zweimal gedroht, auf der Stelle zu kündigen, und nicht weniger als drei Frauen waren in Tränen aufgelöst aus seinem Büro gestürmt.
Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, hatte die nächste Aushilfe die Kaffeemaschine kleingekriegt, weshalb er seit drei Tagen keinen anständigen Kaffee mehr zu trinken bekommen hatte. Kurzum: Die Lage war mehr als unerfreulich.
War es unter diesen Umständen und in diesem Augenblick wirklich zu viel verlangt, sich zu wünschen, seine Assistentin würde endlich zurückkehren? Immerhin waren beide Geschäftspartner auf Dienstreise, und er musste letzte Hand an den Entwurf für einen lukrativen Vertrag legen.
Jonathon saß da und starrte in seinen Becher mit Instantkaffee, während er überlegte, ob er wohl seine Personalchefin Jeanell bitten könnte, eine neue Kaffeemaschine zu beschaffen, oder ob sie dann ihre Drohung wahr machen würde. Nicht, das Jeanell bereits im Haus gewesen wäre. Die meisten seiner Mitarbeiter trudelten gegen neun Uhr ein, und jetzt war es noch nicht mal sieben. Natürlich hätte er losziehen können, um sich irgendwo einen Kaffee zu kaufen – oder besser noch: eine neue Kaffeemaschine –, aber da ein Termin den anderen jagte, fehlte ihm für diesen Mist die Zeit. Wäre Wendy bei ihm, dann würde die defekte Kaffeemaschine wie von Zauberhand durch eine neue ersetzt werden. Und der Vertragsabschluss mit Olson Inc. wäre reibungslos über die Bühne gegangen. Wenn Wendy hier war, dann lief einfach alles so, wie es sollte. Wie konnte es sein, dass sie innerhalb von nur fünf Jahren als seine Assistenten für die Abläufe im Unternehmen so unentbehrlich geworden war wie er selbst?
Wenn diese vergangene Woche nicht bloß ein extremer Ausreißer nach unten gewesen war, dann war sie genau genommen noch unentbehrlicher als er – eine ernüchternde Erkenntnis für einen Mann, der mitgeholfen hatte, aus dem Nichts ein Imperium zu erschaffen.
Eines stand jetzt schon fest: Sobald Wendy zurück war, würde er alles daransetzen, sie niemals wieder weggehen zu lassen.
Es war kurz nach sieben, als sich Wendy Leland in die Chefetage des Hauptquartiers von FMJ schlich. Die Bewegungssensoren schalteten sich ein, als sie eintrat, und sofort zog sie den Sonnenschutz des Kindersitzes, den sie bei sich trug, ein Stück nach vorn. Die kleine Peyton, das Baby, das in dem Sitz schlief, verzog zwar ein wenig das Gesicht, wachte aber nicht auf. Stattdessen gab sie ein leises Glucksen von sich, während Wendy den Sitz in eine dunklere Ecke hinter ihrem Schreibtisch stellte.
Sie schaukelte den Sitz sanft vor und zurück, bis Peyton wieder ruhig schlief. Dann ließ sie sich auf ihren Bürostuhl sinken und musste erst einmal schlucken, da ihre Kehle ihr wie ausgedörrt vorkam. Dabei ließ sie ihren Blick durch das Büro schweifen, das fünf Jahre lang ihr Reich gewesen war. Fünf Jahre, in denen sie als Chefassistentin für die drei Männer gearbeitet hatte, die FMJ leiteten: Ford Langley, Matt Ballard und Jonathon Bagdon.
Mit ihrer fünfjährigen Ausbildung an einer Eliteuniversität war sie für den Job eigentlich überqualifiziert, aber möglicherweise war das auch nicht der Fall, hatte sie es doch in keinem ihrer sieben Hauptfächer zu einem Abschluss gebracht. Ihre Familie war nach wie vor der Ansicht, dass sie bei FMJ ihr Talent vergeudete, aber sie empfand die Arbeit als fordernd und abwechslungsreich, und es gab bisher keinen Moment, in dem ihr der Job keinen Spaß gemacht hatte.
Um nichts in der Welt hätte sie FMJ verlassen wollen.
Als sie von Palo Alto nach Texas gereist war, um bei der Beerdigung ihrer Cousine Bitsy anwesend zu sein, da hatte sie nicht ahnen können, was sie dort erwarten würde. Von dem Moment an, als ihre Mutter angerufen hatte, um ihr von Bitsys tödlichem Motorradunfall zu berichten, war in dieser einen Woche ein Schock auf den anderen gefolgt. Ihr war nicht mal bekannt gewesen, dass Bitsy ein Kind hatte, aber davon hatte auch der Rest der Familie nichts gewusst. Und doch war Wendy nun verantwortlich für ein vier Monate altes Waisenkind, das Gegenstand eines Sorgerechtsstreits von epischen Dimensionen sein würde. Wenn sie daran dachte, wie verbissen sich die Familie darum stritt, sich um die kleine Peyton Morgan zu kümmern, hätte man meinen können, das Kind bestünde aus massivem Gold. Um eine Chance zu haben, aus diesem Konflikt als Siegerin hervorzugehen, musste Wendy tun, was sie nie hatte tun wollen, und nach Texas zurückkehren. Und das bedeutete, sie musste ihre Stelle bei FMJ kündigen.
Niemand außer Bitsy konnte einem noch aus dem Grab heraus solche Schwierigkeiten bereiten.
Der Gedanke ließ Wendy schnaubend auflachen, aber gleich darauf regte sich wieder die Trauer. Sie kniff die Augen zu und drückte die Handballen gegen ihre Augen. Die Erschöpfung hatte sie mürbegemacht, und wenn sie jetzt der Trauer nachgab, würde sie für die nächsten Wochen ihre Tränen nicht in den Griff bekommen. Für Tränen hatte sie später noch Zeit genug. Im Moment gab es Wichtigeres zu tun.
Wendy fuhr den Computer hoch. Am Abend zuvor hatte sie ihre Kündigung getippt und den Text als E-Mail an ihre Firmenadresse geschickt. Natürlich hätte sie den Brief auch direkt an Ford, Matt und Jonathon senden können. Gestern hatte sie sich sogar noch mit Ford unterhalten, als der anrief, um ihr sein Beileid auszusprechen. Den Brief in gedruckter, unterschriebener Form zu übersenden war nur eine Formalität. Aber sie wollte ihn Jonathon persönlich aushändigen, weil sie fand, dass sie nur so diesen Abschnitt ihres Lebens angemessen abschließen konnte.
Das war sie ihm oder FMJ insgesamt schuldig. Bevor das Chaos in ihrem Leben Einzug hielt, wollte sie sich einen Augenblick Zeit nehmen, um sich von der Wendy, die sie bis zu diesem Moment gewesen war, und von ihrem Leben in Palo Alto zu verabschieden.
Der Computer erwachte mit dem vertrauten Summen und Surren, das eine beruhigende Wirkung auf sie hatte. Ein paar Tastendrucke später war der Brief geöffnet und der Druckauftrag erteilt. Das Geräusch des Druckers schien im noch menschenleeren und völlig stillen Büro nachzuhallen. Um diese Zeit war außer ihr nur Jonathon im Haus, der unmögliche Arbeitszeiten hatte.
Nachdem sie unterschrieben hatte, ließ sie den Brief auf ihrem Schreibtisch liegen und ging zu der Tür, die ihr Büro mit den Räumlichkeiten ihres Chefs verband. Ein Gefühl tiefen Bedauerns überkam sie. Sie legte eine Hand auf die Tür, dann ließ sie mit einem leisen Seufzer den Kopf gegen das kühle Holz sinken, das sich fest und beständig anfühlte. Eine Weile blieb sie so dort stehen, als könnte die Tür ihr etwas von diesen Eigenschaften borgen.
„Du kannst unmöglich Wendy die Schuld geben“, machte Matt Ballard ihm mit einem mahnenden Tonfall deutlich. Im Augenblick befand sich Matt in der Karibik, wo er seine Flitterwochen verbrachte. Deshalb hatten sie die Telefonkonferenz auch zu dieser frühen Stunde angesetzt, denn Matts Frau Claire gestattete ihm nur ein geschäftliches Telefonat am Tag. „Es ist das erste Mal in fünf Jahren, dass sie aus persönlichen Gründen ein paar Tage freigenommen hat.“
„Ich gebe ihr ja nicht die Schuld …“, sagte Jonathon in den Hörer und bereute bereits, Matt überhaupt angerufen zu haben. Es hatte einen guten Grund dafür gegeben, trotzdem hörte er sich jetzt so an, als wollte er sich nur ausweinen.
„Wann sollte sie denn zurück sein?“, erkundigte sich Matt.
„Das war vor vier Tagen. Sie hat mir gesagt, dass sie für zwei oder maximal drei Tage nach Texas muss. Nach der Beerdigung rief sie mich an, weil sie noch ‚etwas länger‘ bleiben müsse.“ Diese äußerst vage Zeitangabe machte ihn nervös.
„Hör schon auf, dir Sorgen zu machen“, sagte Matt. „Wenn Ford und ich zurück sind, haben wir noch genug Zeit.“ Als ob es nicht schon schlimm genug war, dass Matt mitten in dieser Krise in den Flitterwochen war, hatten sich Ford und seine Familie in ihr zweites Zuhause in New York City zurückgezogen. „Der Entwurf muss erst in knapp einem Monat fertig sein.“
Ja, und genau das machte ihm so zu schaffen. „Knapp ein Monat“ und „genug Zeit“ waren genauso vage Angaben wie „etwas länger“! Jonathon war ein Mann, der klare, präzise Angaben bevorzugte. Wenn er ein Angebot für ein Unternehmen ausarbeitete, dann war es wichtig, ob dieses Unternehmen zehn oder hundert Millionen Dollar wert war. Und auch wenn ihm für diesen Entwurf noch fast ein Monat blieb, wollte er dennoch wissen, wie viel „etwas länger“ war.
Anstatt aber seinen Frust an seinem Geschäftspartner auszulassen, beendete Jonathon lieber das Telefonat. Dieser Vertragsentwurf für die Regierung trieb ihn noch in den Wahnsinn! Schlimmer aber war die Tatsache, dass niemand sonst deswegen beunruhigt zu sein schien. Seit einigen Jahren war man bei FMJ in der Abteilung Forschung und Entwicklung mit der Vervollkommnung von intelligenten Stromzählern beschäftigt, die den Energieverbrauch in einem Gebäude überwachen und regulieren konnten. Das System von FMJ war leistungsfähiger und besaß ein besseres Design als alles, was die Konkurrenz auf den Markt brachte. Seit sie dieses System in ihrer Unternehmenszentrale installiert hatten, war die Stromrechnung um dreißig Prozent niedriger ausgefallen. Der Vertrag mit der Regierung würde zur Folge haben, dass die intelligenten Stromzähler von FMJ in allen staatlichen Gebäuden im gesamten Land Verwendung finden würden, und danach war dann der private Markt an der Reihe. Außerdem würde das den Absatz anderer FMJ-Produkte fördern. Natürlich war er begeistert, dass ein Gegenstand, der Strom zu sparen half, ihrem Unternehmen so viel Geld einbringen würde – warum sollte er das auch nicht sein?
Alles, woran er in den letzten zehn Jahren gearbeitet und geplant hatte, hing von diesem einen Vertragsabschluss ab, der für FMJ das Sprungbrett in die Zukunft bedeutete. Aber zuerst einmal musste der Vertrag unter Dach und Fach sein.
Kaum hatte er seinen Laptop zugeklappt, hörte er ein leises Klopfen an der Tür. Er machte sich keine Illusionen, die Vertretung könnte so früh zum Dienst erscheinen, aber er wollte sich auch nicht unbedingt der Hoffnung hingeben, dass Wendy wieder da war.
Er schob seinen Stuhl nach hinten und ging durch das überdimensionierte Büro, das er sich sonst mit Matt und Ford teilte. Als er die Tür öffnete, fiel im Wendy geradewegs in die Arme.
Auch wenn das unerwartete Mit-der-Tür-ins-Haus-Fallen eigentlich eine sehr zutreffende Metapher dafür war, was sich momentan in ihrem Leben abspielte, war Wendy dennoch überrascht, als es sich tatsächlich ereignete. Jonathon bekam sie im gleichen Augenblick zu fassen und drückte sie an seine breite Brust. Eine Schulter war gegen ihn gepresst, und Wendy hob reflexartig ihre freie Hand, um am Revers seines Jacketts Halt zu finden.
Plötzlich wurden ihr mehrere Dinge gleichzeitig bewusst: wie intensiv die Seife roch, die er benutzte; wie unglaublich breit seine Brust war; wie glatt rasiert sein Gesicht war, als sie den Kopf hob und ihn anschaute.
Normalerweise war sie sehr gut darin, solche Dinge zu ignorieren, aber Jonathon Bagdon stand für den Stoff, aus dem Mädchenträume waren. Er wirkte stets so, als sei er kurz davor, die Stirn in Falten zu legen, was seiner Miene die intensive Aura eines Denkers verlieh. Er lächelte nur selten, aber wenn er es tat, erschienen auf seinen Wangen entzückende Grübchen.
Mit seinen etwas mehr als eins achtzig war er nicht besonders groß, aber seine Statur machte das mehr als wett. Sein Körperbau ließ ihn für Kneipenschlägereien geeigneter erscheinen als für Vorstandssitzungen. Er war stark und muskulös, und auch wenn sie ihn noch nie mit nacktem Oberkörper gesehen hatte, war es seine Angewohnheit, während der Arbeit das Jackett abzulegen, und wenn er dann mit hochgekrempelten Ärmeln in seinem weißen Hemd dasaß, konnte man eine gute Vorstellung davon bekommen, was sich unter dem Stoff verbarg. Ganz offensichtlich hatte sie zu viel Zeit damit verbracht, ihn zu mustern. Doch erst jetzt stellte sie fest, dass sich an der Unterseite seines so makellosen Kinns ein einzelnes Muttermal befand.
Beim Blick in seine grünen Augen sprang irgendetwas zwischen ihnen über, irgendeine Art von Spannung, die sie noch nie zuvor gespürt hatte – oder die sie vielleicht nicht hatte spüren wollen, weil sie wusste, was gut für sie war.
Er schluckte, und sie sah fasziniert mit an, wie sich nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt der Adamsapfel und die Halsmuskeln bewegten. Sie drückte ihre Hand fester gegen seine Brust und befreite sich aus seinen Armen.
Ihr war nur allzu deutlich bewusst, dass seine Blicke jede ihrer Bewegungen genau verfolgten, und noch mehr war ihr bewusst, wie unpassend sie fürs Büro gekleidet war. Er hatte sie noch nie in Jeans gesehen, und schon gar nicht in Kombination mit ihrem liebsten T-Shirt, einem alten Tourshirt der Replacements, das sie als Geschenk zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag im Internet gekauft hatte. Es war alt und ausgefranst, und sie hatte schon vor Jahren den Kragen herausgeschnitten. Aber dieses T-Shirt spendete ihr Trost, und Trost war das, was sie an diesem Tag dringender benötigte als ihre Professionalität.
Wenn er bloß aufhören würde, sie so begierig anzusehen.
Es war nicht das erste Mal in den fünf Jahren als seine Assistentin, dass er sie so angesehen hatte – als sei sie für ihn eine Versuchung, der er widerstehen musste. Aber es war das erste Mal, dass sie sich gestattete, im Gegenzug ebenfalls einen Anflug von Verlangen zu empfinden. Jonathon mochte ein Frauenschwarm sein, aber er war nicht gut für Frauen. Aus nächster Nähe hatte sie miterlebt, wie er einer nach der anderen das Herz brach. Schon vor langer Zeit hatte sie den festen Entschluss gefasst, niemals zu jenen Frauen zu gehören, denen Jonathon Bagdon ein gebrochenes Herz beschert hatte.
Sie konnte nur hoffen, dass es ihre Erschöpfung war, die sie plötzlich so empfinden ließ. Oder vielleicht ihre emotionale Verwundbarkeit. Oder womöglich irgendeine verrückte Hormonfehlfunktion. Egal was, sie würde ohnehin nicht mehr lange genug in seiner Nähe bleiben, um dieser Frage auf den Grund zu gehen.
Am liebsten hätte Jonathon sie wieder an sich gezogen und in seine Arme geschlossen. Natürlich tat er es nicht, aber gewollt hätte er es schon.
Stattdessen hielt er mit einer Hand die Tür, während er die andere tief in der Hosentasche vergrub, damit seine verführerische Assistentin hoffentlich nicht die Wirkung ihrer körperlichen Nähe auf ihn bemerkte. So albern das eigentlich war, hatten doch die wenigen Sekunden genügt, die er sie an sich gedrückt hatte, um seinen Körper so heftig auf sie reagieren zu lassen.
Natürlich hatte er schon früher dieses Verlangen nach Wendy verspürt, aber normalerweise konnte er es besser kontrollieren. Allerdings war sie bislang auch immer so schlicht gekleidet gewesen, wie es ihre Position im Unternehmen erforderte. Heute dagegen trug sie eine hautenge verwaschene Jeans und dazu ein locker sitzendes, weit ausgeschnittenes T-Shirt, das eine Schulter freiließ, sodass er den pinkfarbenen BH-Träger sehen konnte.
Wieder musste er schlucken und sich zwingen, ihr ins Gesicht zu sehen, während er krampfhaft überlegte, was er sagen sollte. „Runter mit dem T-Shirt“ wäre eine denkbar ungeeignete Begrüßung gewesen.
„Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise“, brachte er schließlich heraus.
Sie machte einen Schritt nach hinten und sah ihn irritiert an.
Dann fiel ihm ein, dass sie zu einer Beerdigung geflogen war. Eine solche Reise konnte wohl kaum angenehm verlaufen. „Mein Beileid“, fügte er rasch an. Sie wurde noch ernster. Standen ihr etwa Tränen in den Augen? „Jedenfalls bin ich froh, dass Sie wieder zurück sind.“
Er hörte sich an wie ein Trottel, aber das war nicht weiter verwunderlich. Der Umgang mit gefühlsbetonten Frauen war ihm schon immer schwergefallen.
„Ich …“, begann sie, unterbrach sich aber gleich wieder und drehte sich von ihm weg, die Hände vors Gesicht gelegt.
Wenn er ihre Körpersprache richtig deutete, stand sie unmittelbar davor, in Tränen auszubrechen.
In den fünf Jahren, die sie für FMJ arbeitete, war sie stets absolut professionell aufgetreten. Wenn sie unbedingt in Tränen ausbrechen wollte, warum konnte sie das nicht dann machen, wenn Ford hier war? Er hätte sich um sie kümmern können, immerhin hatte er drei Schwestern, eine Mutter, eine Stiefmutter, eine Ehefrau und eine Tochter. Ganz bestimmt hatten so viele Frauen ihn besser darauf vorbereitet, mit dem weiblichen Geschlecht richtig umzugehen.
Jonathon folgte ihr ins Vorzimmer und legte eine Hand auf ihre Schulter, was als tröstende Geste gemeint war. Allerdings erwischte er dabei die freie Schulter, woraufhin Wendy sich fast erschrocken zu ihm umdrehte und ihn aus großen Augen ansah. In ihnen schimmerten nicht nur bislang unvergossene Tränen, da war auch noch etwas anderes zu erkennen. Ihre Haut fühlte sich unter seinen Fingern warm an, der seidige Stoff des BH-Trägers strahlte etwas Verführerisches aus.
Sie biss sich auf die Unterlippe, dann löste sie sich aus seiner Berührung.
Auf einmal hörte er es. Jemand weinte in diesem Zimmer, aber es klang nicht nach einer Frau, und es kam eindeutig nicht von Wendy. Verwirrt ging er ein paar Schritte weiter und suchte das Vorzimmer nach der Quelle des Geräuschs ab. Eigentlich war es kein richtiges Weinen, mehr ein leises Wimmern oder ein Winseln, so wie von einem jungen Hund. Aber der Raum schien verlassen zu sein. Als er sich dem Geräusch zu nähern versuchte, eilte Wendy an ihm vorbei und stellte sich ihm in den Weg.
„Ich kann das erklären!“, sagte sie und hielt die Hände so, als wollte sie einen Angreifer abwehren.
„Was erklären?“ Er trat einen Schritt zur Seite, damit er um sie und um ihren Schreibtisch herumgehen konnte. Ihr Bürostuhl war nach hinten geschoben worden, und dort, wo Wendy üblicherweise saß, stand ein Kindersitz, wie man ihn in einem Pkw benutzte. Darin befand sich ein winziges blassrosa Bündel.
Er drehte sich zu Wendy um. „Was ist das?“
„Das ist ein Baby.“
Der Schock war Jonathon deutlich anzusehen.
Man hätte fast meinen können, er hätte in seinem ganzen Leben noch nie ein Baby gesehen. Auch wenn er beruflich nicht mit Säuglingen zu tun hatte, musste er irgendwo schon einmal mit einem Baby in Kontakt gekommen sein. Immerhin war Ford Vater, und Jonathon hatte doch sicher das Kind seines besten Freundes zu Gesicht bekommen.
Sie lief um ihn herum und hockte sich neben den Kindersitz, den sie leicht anstieß, damit er schaukelte. Es half aber nichts, da Peyton weiter quengelte, die Augen verschlafen einen Spaltbreit öffnete und dann Wendy ansah.
Wendy hatte das Gefühl, vor Ergriffenheit nicht atmen zu können, so heftig war ihre instinktive Reaktion auf diese leuchtend blauen Augen. Der einzige Mensch, der je bei ihr etwas annähernd Vergleichbares ausgelöst hatte, war Jonathon, als sie vorhin mit ihm zusammengeprallt war.
Natürlich konnte sie Jonathon nicht bekommen, und sie war klug genug, so etwas auch gar nicht erst zu versuchen. Aber dafür hatte sie jetzt ja Peyton, und sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um das Mädchen zu behalten.
Sie löste den Gurt am Kindersitz und nahm das in eine pinkfarbene Baumwolldecke gewickelte Kind hoch, um es an ihre Brust zu schmiegen. Behutsam drückte sie die Lippen an den Kopf der Kleinen und summte eine besänftigende Melodie. Dabei atmete sie das Aroma von Babyshampoo und purer Liebe ein.
Mit einem Mal fühlte sie sich verlegen, und als sie aufsah, stellte sie fest, dass Jonathon sie ratlos anschaute.
Sie versuchte zu lächeln, aber ihre Gefühle wechselten einfach zu heftig die Richtung, als dass sie dieses Lächeln hätte durchhalten können. „Jonathon, darf ich vorstellen? Peyton.“
„Soso.“ Er sah das Baby an, dann sie, gleich darauf schaute er sich um, als würde er nach dem Raumschiff suchen, das das Kind in ihrem Büro abgesetzt hatte. „Und was macht Peyton hier?“
„Peyton ist hier, weil ich sie mitgebracht habe.“ Was womöglich gar kein so kluger Zug gewesen war, aber als sie am Abend zuvor mit dem Mädchen aus Boulder, Colorado, hergekommen war, da konnte sie noch auf keine zweiundsiebzig Stunden Erfahrung im Umgang mit einem Säugling zurückblicken, und sie hatte keine andere Lösung gewusst, als Peyton ins Büro mitzunehmen. „Ich habe niemanden, der auf sie aufpassen könnte. Außerdem glaube ich nicht, dass sie schon so weit ist, um von einem Fremden beaufsichtigt zu werden. Ich meine, ich bin ihr ja auch noch fremd genug, und …“
„Wendy, wieso haben Sie ein Baby dabei?“, unterbrach Jonathon sie und warf einen argwöhnischen Blick auf ihren Bauch. „Das ist doch nicht … Ihres, oder?“
Sie war froh, dass er ihr ins Wort gefallen war, da sie angefangen hatte, wirres Zeug zu reden. Gleichzeitig aber fürchtete sie sich vor der Unterhaltung, die nun folgen würde, da sie wusste, ihm würde nicht gefallen, was sie ihm zu sagen hatte. Doch als sie dann die Kleine ansah, musste sie unwillkürlich lachen.
„Nein, ich bin nicht eine Woche lang weg gewesen, um schwanger zu werden und nach ein paar Tagen ein vier Monate altes Baby zur Welt zu bringen. Sie …“ Ihre Kehle war wie zugeschnürt, trotzdem zwang sie sich, das zu sagen, was sie zu sagen hatte. „Sie ist die Tochter meiner Cousine. Bitsy hatte mich zur Pflegemutter ihres Kindes bestimmt. Deshalb ist sie jetzt bei mir.“
Es folgte ein langes Schweigen, während dem Jonathon völlig reglos dastand und keine Miene verzog, bis Wendy allmählich zu befürchten begann, ihn könnte der Schlag getroffen haben.
„Ich …“, begann er schließlich, dann sah er Peyton an und zog die Brauen zusammen. „Also …“ Er drehte sich wieder zu Wendy um, dabei legte er den Kopf schräg. „Wie sich gezeigt hat, hatte Jeanell recht. Die Kita für die Kinder unserer Mitarbeiter ist eine gute Sache. Ich bin mir sicher, dass sie sich dort wohlfühlen wird.“
Ein ungutes Gefühl erwachte in ihr, begleitet von Traurigkeit und vielleicht sogar einem Hauch von Nostalgie. Sie wollte FMJ nicht verlassen. Auch wenn sie nur eine Assistentin war, hatte sie sich hier geborgen gefühlt – beruflich wie menschlich. Die Arbeit bei FMJ hatte ihrem Leben Sinn und Richtung gegeben, was in ihrer Familie nie jemand verstanden hatte.
„Ich werde Peyton nicht mit ins Büro bringen“, sagte sie und kam zu dem Schluss, dass es sinnlos war, länger um den heißen Brei herumzureden. „Ich komme gar nicht mehr arbeiten. Heute bin ich nur hier, um meine Kündigung zu übergeben.“
„Das ist doch lächerlich!“, fuhr Jonathon sie an, da er zu entsetzt war, um seinen Tonfall zu mäßigen. „Niemand kündigt seinen Job, nur weil er ein Kind hat, erst recht nicht, wenn er es geerbt hat.“
Wendy verdrehte aufgebracht die Augen. „Das ist nicht …“, begann sie, aber er hielt eine Hand hoch, um sie am Weitersprechen zu hindern.
„Ich weiß selbst, wie dumm sich das gerade angehört hat.“ Deshalb brauchte er Wendy. Deshalb war sie so unersetzlich. Denn die meiste Zeit über redete er einfach drauflos, ohne zuvor den Verstand einzuschalten. Mit seinen allzu deutlichen Äußerungen hatte er schon viel zu oft Leute vor den Kopf gestoßen, die auf eine solch direkte Art empfindlich reagierten. Aber Wendy gehörte nicht dazu. Irgendwie schaffte sie es, über seine Fehler und Dummheiten hinwegzusehen.
Die Vorstellung, ohne sie als Assistentin auskommen zu müssen, versetzte ihn in Panik. Nein, er würde sie nicht wegen eines Babys gehen lassen.
„Die Kita von FMJ hat eine der besten Bewertungen in der ganzen Region. Es gibt keinen Grund, warum Sie nicht länger hier arbeiten können.“
„Ich kann nicht länger hier arbeiten, weil ich zurück nach Texas ziehen muss.“ Während sie redete, ging sie zum Vorratsschrank in der Ecke, sortierte etwas um und holte einen leeren Pappkarton heraus.
„Warum um alles in der Welt wollen Sie denn nach Texas ziehen?“
Sie warf ihm einen von diesen vielsagenden Blicken zu. „Sie erinnern sich doch daran, dass ich aus Texas stamme, oder nicht?“
„Genau deshalb begreife ich ja nicht, warum Sie dahin umziehen wollen. Ich habe Sie noch nie ein gutes Wort über Texas sagen hören.“
Ihr Nicken schien das zu bestätigen, was er gesagt hatte, aber dann ging sie mit einem Schulterzucken um den Tisch herum und ließ sich auf ihren Stuhl sinken. „Es ist kompliziert“, antwortete sie, während sie eine Schublade aufzog.
„Vermutlich werde ich Ihnen folgen können.“