0,99 €
Der Hilferuf – von einer alten Hexe. Der Übeltäter – ein betrunkener Adliger. Die Retter – ein ungleiches Diebesduo. Das erste Abenteuer von Hadrian und Royce, lange bevor sie den berüchtigten Titel »Riyria« annehmen. Hadrian ist zwar seit Neuestem ein Dieb, aber er hat noch Ideale. Also überredet er seinen viel durchtriebeneren Partner Royce, einer alten Frau zu helfen, in deren Scheune sich ein Landstreicher breitgemacht hat. Aber Royce hat wenig Lust, sich die Probleme der Bäuerin aufzuhalsen. Und Hadrian hätte besser auf ihn gehört – denn die gute Tat bringt die beiden Diebe schon bald in größte Schwierigkeiten. Dieses E-Book-Original enthält neben einer Erzählung aus der Riyria-Welt Leseproben zu allen Bänden der Reihe.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 135
Michael J. Sullivan
Hadrian & Royce
Ein Riyria-Abenteuer
Aus dem Englischen von Wolfram Ströle
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Figuren und die Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit existierenden Personen, lebenden oder toten, sind rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.
Alle Rechte an diesem Werk sind vorbehalten. Es darf in keiner Form ganz oder auszugsweise, reproduziert, vervielfältigt und vertrieben werden, ohne die ausdrückliche Erlaubnis der Rechteinhaber.
Hobbit Presse
www.hobbitpresse.de
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Viscount and the Witch« im Verlag Ridan Publishing, Washington, DC
© 2011 by Michael J. Sullivan
Für die deutsche Ausgabe
© 2015 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Umschlag: Roland Sazinger
Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
E-Book: ISBN 978-3-608-10110-2
Dieses E-Book ist eine deutsche Erstausgabe und nur in digitaler Form erhältlich.
Inhalt
Hadrian & Royce
Leseproben
Eine Frau rannte mit erhobenem Besen auf sie zu. Für Hadrian sah sie aus wie der Inbegriff einer Hexe: Verfilzte schwarze Haare fielen ihr in wirren Locken ins Gesicht und ließen nur ein Auge und die Nasenspitze frei. Der bäuerliche Rock, den sie trug, verfing sich ständig an den Ästen der Büsche und hatte so viele Risse und Flecken, dass sie damit bestimmt schon mehr als einmal hingefallen war.
»Halt! Ich brauche Hilfe!«, schrie sie ihnen so verzweifelt entgegen, als galoppierten er und Royce die Straße entlang. In Wirklichkeit ritten sie in einem gemächlichen Fußgängertempo. Hadrian hielt an, während Royce noch eine kurze Strecke weiterritt und sich dann mit einem fragenden Blick nach ihm umdrehte. Hadrian kannte diesen Blick seit vergangenem Jahr zur Genüge und wusste aus Erfahrung, die Verwunderung würde zu Ungeduld werden, sobald sein Partner merkte, dass er wegen der alten Frau stehengeblieben war. Dann kam das Stirnrunzeln dazu. Hadrian war sich nicht sicher, was es bedeutete – Missbilligung? Als Nächstes würde Royce in offener Verachtung die Augen verdrehen und ärgerlich die Arme verschränken. Zuletzt würde er sich wütend die Kapuze über den Kopf ziehen. Wenn er die Kapuze aufsetzte, war das immer ein schlechtes Zeichen, wie der gesträubte Nackenpelz eines Wolfs. Es war eine Warnung und in der Regel die einzige, die man bekam.
»Ihr müsst mir helfen«, rief die Alte, bog das Gebüsch auseinander und kletterte aus dem Graben am Straßenrand. »In meiner Scheune ist ein Fremder und ich fürchte um mein Leben.«
»In deiner Scheune?« Hadrian blickte über den Kopf der Frau hinweg, sah aber nirgends eine Scheune.
Er war zusammen mit Royce auf der Heerstraße in der Nähe der Stadt Colnora unterwegs. Am Vormittag waren sie noch an zahlreichen Gehöften und Hütten vorbeigekommen, aber nun hatten sie schon seit Längerem keine menschliche Behausung mehr passiert.
»Der Hof von meinem Mann und mir liegt hinter der Biegung.« Sie zeigte die Straße entlang.
»Wenn du einen Mann hast, warum sieht er nicht nach dem Fremden?«
»Mein lieber Danny ist verreist. Er will in Vernes unsere Frühlingslämmer verkaufen und kehrt frühestens in einem Monat zurück. Der Mann in der Scheune ist betrunken und nackt, und er schimpft und tobt wie ein Wahnsinniger. Wahrscheinlich hat ein kranker Hund ihn gebissen und ihn mit seiner Tollheit angesteckt. Ich traue mich nicht in die Nähe der Scheune, aber ich muss doch das Vieh füttern. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Er bringt mich bestimmt um, sobald ich die Scheune betrete.«
»Du hast ihn noch nie gesehen?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Wenn Ihr mir helft und ihn verjagt, mache ich Euch etwas Gutes zu essen. Eure Pferde bekommen auch etwas. Ich gebe Euch sogar noch Proviant mit auf den Weg. Ich kann wirklich gut kochen.«
Hadrian stieg ab und warf Royce einen Blick zu.
»Was tust du da?«, fragte Royce.
»Es dauert doch nur eine Minute«, sagte Hadrian.
Royce seufzte, was er bisher noch nie getan hatte. »Du kennst die Frau doch gar nicht. Sie geht dich nichts an.«
»Ich weiß.«
»Warum willst du ihr dann helfen?«
»Weil man das tut. Menschen helfen einander. Wenn du jemanden mit einem Pfeil in der Brust auf der Straße liegen siehst, würdest du doch auch anhalten.«
»Natürlich«, sagte Royce, »jeder würde das. Ein Verwundeter ist schließlich eine leichte Beute. Es sei denn, man sieht schon vom Pferd aus, dass ihm bereits jemand anderes die Geldbörse abgenommen hat.«
»Was? Nein! Niemand würde einen Verwundeten ausrauben und ihn anschließend sterben lassen.«
Royce nickte. »Stimmt, du hast vollkommen recht. Wenn er eine Geldbörse hat und du sie ihm abnimmst, solltest du ihm danach die Kehle durchschneiden. So mancher Verwundete hat dann doch überlebt, und du willst ja nicht, dass er sich an dir rächt.«
Die alte Frau sah Royce entsetzt an.
Jetzt war es an Hadrian, zu seufzen. »Hör ihm nicht zu, er ist unter Wölfen aufgewachsen.«
Royce verschränkte die Arme. Seine Augen funkelten böse.
»Es ist ein so schöner Nachmittag und wir haben keine Eile«, fuhr Hadrian fort. »Außerdem jammerst du doch immer über meine Kochkünste. Bestimmt schmeckt dir ihr Essen besser.« Leiser fügte er hinzu: »Ich schaue mir diesen Kerl nur schnell an. Er sucht wahrscheinlich verzweifelt ein Dach über dem Kopf. Wenn ich die beiden dazu bringen kann, miteinander zu reden, finden wir sicher eine Lösung. Vielleicht kann die Frau ihn als Knecht einstellen, solange ihr Mann weg ist. Dann hat sie eine Hilfe und er einen Platz zum Schlafen. Und wir bekommen eine warme Mahlzeit, also profitieren alle davon.«
»Aber wenn deine gute Tat danebengeht, hörst du das nächste Mal auf mich und mischst dich nicht in die Probleme anderer Leute ein.«
»Abgemacht. Aber was soll schon passieren? Der Kerl ist allein. Selbst wenn er ausrastet, werden wir mit einem betrunkenen Landstreicher doch wohl noch fertig.«
Der Frühling war eben erst angebrochen und die Straße war ein einziger Morast. Im Schatten der Felsen lag stellenweise noch Schnee, und die Bäume fingen gerade erst an, auszutreiben. Die Vögel allerdings waren schon zurückgekehrt. Hadrian war wie jedes Jahr überrascht, sie zwitschern zu hören – er merkte nun erst, wie sehr sie ihm gefehlt hatten, und auch, dass sie überhaupt weg gewesen waren.
Der Bauernhof lag wie angekündigt gleich hinter der nächsten Biegung, wenn man überhaupt von einem Bauernhof sprechen konnte. Die Häuser, an denen sie bisher vorbeigekommen waren, waren frisch gekalkt und ihre Strohdächer hoben sich leuchtend gelb vom ersten frischen Grün des Jahres ab. Die Felder waren umgepflügt und eingesät. Der Hof der Frau dagegen bestand aus einem verwahrlosten Gebäude inmitten einiger windschiefer Zäune. Hadrian stellte sich in die Steigbügel, doch er entdeckte nirgends ein gepflügtes Feld.
»Die Scheune liegt gleich hinter der Kuppe.« Die Alte streckte den Arm aus. »Ihr könnt das Dach sehen. Wenn Ihr wollt, versorge ich inzwischen Eure Pferde mit Getreide und Wasser und mache Euch etwas zu essen.«
»Du sagst, es war nur der eine Mann?« Hadrian stieg vom Pferd und gab der Frau die Zügel.
Sie nickte.
Hadrian, an dessen Gürtel bereits zwei Schwerter hingen, schnallte einen langen Zweihänder von seinem Pferd los und zog das Wehrgehänge über die Schulter, so dass ihm das Schwert den Rücken hinunterhing. Es konnte nur so getragen werden. Es war die Waffe eines Ritters und für den Kampf zu Pferde gedacht. An der Hüfte getragen, hätte die Spitze über den Boden geschleift.
»Ganz schön viel Eisen für einen Landstreicher«, sagte die Frau.
»Macht der Gewohnheit«, erklärte Hadrian.
Royce stieg ebenfalls ab. Er trat zuerst mit dem rechten und dann vorsichtiger mit dem linken Fuß auf. Dann öffnete er seine Satteltasche und suchte nach etwas. Die Frau wartete, bis er fertig war, bedankte sich für die Hilfe und führte die Pferde zum Haus, ohne sich noch einmal nach Royce und Hadrian umzudrehen.
Ein aus Feldsteinen gemauerter Brunnen nahm die Mitte des Hofes zwischen Haus und Nebengebäuden ein. Die Scheune stand weiter hangabwärts. Alles war mit kniehohem Gras und wilden Blumen überwuchert. Royce sah sich kurz um, dann setzte er sich auf die Steine eines Fundaments, auf dem offenbar einst ein Schuppen gestanden hatte – der Größe nach zu schließen höchstens ein Hühnerstall. Er hob den linken Fuß und betrachtete ihn. Durch das weiche Leder seines Stiefels zog sich eine Reihe von Löchern.
»Wie geht es deinem Fuß?«, fragte Hadrian.
»Tut weh.«
»Er hat ihn richtig fest gepackt.«
»Und mich durch den Stiefel gebissen.«
»Ja, das sah ziemlich schmerzhaft aus.«
»Warum hast du mir eigentlich nicht geholfen?«
Hadrian zuckte mit den Schultern. »Es war ein Hund, Royce, ein niedlicher, kleiner Hund. Was hätte ich tun sollen, ein unschuldiges kleines Tier töten?«
Royce legte den Kopf schräg und sah seinen Freund an. Die Augen hatte er gegen die späte Nachmittagssonne zusammengekniffen. »Soll das ein Witz sein?«
»Es war ein Welpe.«
»Das war kein Welpe, er wollte meinen Fuß fressen.«
»Gut, aber er hat sich ja auch von dir bedroht gefühlt.«
Royce runzelte die Stirn und ließ den Fuß sinken. »Gehen wir zur Scheune und sehen nach deinem Bösewicht.«
Sie stiegen den grasbewachsenen Hang hinunter. Ein Meer weißer und gelber Wildblumen schwankte in der sanften Brise, und die ersten Honigbienen summten geschäftig zwischen Schneeglöckchen und wilden Narzissen hin und her. Hadrian lächelte. Wenigstens die Bienen taten noch ihre Arbeit. Sie näherten sich der Scheune, die genauso verfallen war wie das Haus.
»Du hättest ihn wirklich nicht aus dem Fenster werfen müssen«, sagte Hadrian.
Royce, der in Gedanken immer noch mit seinem Fuß beschäftigt war, blickte auf. »Was hätte ich mit dem Köter denn sonst tun sollen? Ihn hinter den Ohren kraulen, während er mir die Zehen wegfrisst? Und wenn er angefangen hätte zu bellen? Das wäre eine schöne Sauerei geworden.«
»Gut, das unter dem Fenster ein Graben war.«
Royce blieb stehen. »Ein Graben?«
Jetzt runzelte Hadrian die Stirn. Manchmal wusste er nicht, ob Royce es ernst meinte oder nicht. Sie arbeiteten jetzt seit fast einen Jahr zusammen, aber er hatte immer noch Probleme, seinen neuen Partner zu verstehen. Eins stand jedenfalls fest: Royce Melborn war der bei Weitem interessanteste Mensch, den er je kennengelernt hatte – und leider auch der am schwersten zu verstehende.
Sie waren an der Scheune angekommen, einer Konstruktion aus Holzbalken und Feldsteinen mit einem Strohdach. Das Gebäude neigte sich zur Seite und lehnte mit dem Dachtrauf am Stamm eines alten Ahorns. Viele der Schindeln, mit denen die Wände verkleidet waren, fehlten, und auch das Strohdach war voller Lücken. Das zweiflügelige Tor stand einen Spalt offen, aber drinnen war es so dunkel, dass man nichts erkennen konnte.
»Hallo?«, rief Hadrian. Er drückte das Tor ganz auf und spähte hinein. »Ist da jemand?«
Royce stand nicht mehr hinter ihm. Er pflegte bei solchen Gelegenheiten zu verschwinden. Er konnte sich lautlos bewegen und benutzte den geräuschemachenden Hadrian gern als Ablenkung.
Niemand antwortete.
Hadrian zog ein Schwert und trat ein.
Drinnen sah es aus wie in jeder Scheune, nur dass diese vollkommen vernachlässigt wirkte – und zugleich aber bewohnt; eine seltsame Mischung. Der durchhängende Dachboden war mit fauligem Heu gefüllt. Die wenigen Gerätschaften, die an den Wänden lehnten, waren rostig und von Spinnweben überzogen.
In dem Licht, das durch die Löcher im Dach und in den Wänden fiel, sah man einen Mann schlafend auf einem Heuhaufen liegen. Er war dünn, unglaublich schmutzig und lediglich mit einem Nachthemd bekleidet. In seinen Haaren hing Gras und sein Gesicht verschwand fast vollständig hinter einem wuchernden, struppigen Bart. Er hatte die Beine angezogen, und ein alter Leinensack diente ihm als Decke. Sein Mund stand weit offen und er schnarchte laut.
Hadrian steckte das Schwert wieder ein und stieß vorsichtig gegen den nackten Fuß des Mannes. Der Mann brummte nur etwas und drehte sich. Auf einen zweiten Stoß hin flatterten seine Augenlider auf. Als er Hadrian sah, fuhr er erschrocken hoch und kniff die Augen zusammen. »Wer seid Ihr?«
»Hadrian Blackwater.«
»Und was wünscht Ihr?« Die gewählte Ausdrucksweise passte nicht zu seinem heruntergekommenen Äußeren.
»Die Bäuerin schickt mich. Sie will wissen, was Ihr in ihrer Scheune zu suchen habt.«
»Ich fürchte, ich kann Euch nicht folgen.« Der Mann kniff die Augen noch stärker zusammen.
Eloquent, aber nicht allzu helle, dachte Hadrian. »Fangen wir mit Eurem Namen an. Wie heißt Ihr?«
Der Mann stand auf und klopft das Heu von seinem Nachthemd ab. »Ich bin Vicomte Albert Tyris Winslow, Sohn des Armeter.«
»Ein Vicomte?« Hadrian lachte. »Habt Ihr getrunken?«
Der Mann sah ihn so traurig an, als hätte Hadrian nach seiner verstorbenen Frau gefragt. »Ich wünschte, ich hätte das Geld dazu.« Plötzlich hellte sich seine Miene hoffnungsfroh auf. »Dieses Hemd ist alles, was ich noch besitze, aber es ist aus feinstem Leinen gefertigt. Ich würde es Euch für einen Bruchteil seines Wertes verkaufen. Für nur einen Silbertaler, einen schlappen Taler. Habt Ihr einen übrig?«
»Ich brauche kein Nachthemd.«
»Aber Ihr könntet es wieder verkaufen.« Albert spuckte auf einen Fleck und rieb den Stoff zwischen den Fingern. »Man braucht es nur gründlich zu waschen, dann sieht es wieder aus wie neu. Es könnte Euch leicht zwei Silbertaler einbringen, vielleicht sogar drei. Ihr hättet Euren Einsatz verdoppelt.«
Royce sprang geräuschlos vom Dachboden herab und landete neben ihnen. »Er ist allein.«
Albert fuhr erschrocken zurück und starrte Royce ängstlich an. Die meisten Menschen reagierten ähnlich – sie hatten Angst vor Royce. Er war zwar kleiner als Hadrian und trug keine Waffe, zumindest nicht offen, wirkte aber trotzdem auf Andere bedrohlich, vielleicht mit Ausnahme einiger besonders Mutiger. Seine schwarzen und grauen Kleider und die dunkle Kapuze mochten diesen Eindruck verstärken, vor allem aber war diese Angst durchaus berechtigt und die Menschen spürten das. Royce roch nach Tod, wie ein Seemann nach Salz roch oder ein Priester nach Weihrauch.
»Jetzt verstehe ich … Ihr wollt mich ausrauben, ja?«, rief Albert. »Tut mir leid, reingefallen.« Er blickte auf seine Füße und gab ein wimmerndes Geräusch von sich – ein klägliches Lachen. »Ich habe nichts … keinen Heller.« Er fiel auf die Knie, schlug die Hände vor das Gesicht und begann zu schluchzen. »Und ich habe keine andere Bleibe. Die Scheune schützt zwar nicht viel mehr vor Regen als der Baum, an dem sie lehnt, aber wenigstens bietet sie ein Dach über dem Kopf und eine weiche Unterlage zum Schlafen.«
Royce und Hadrian betrachteten ihn stumm.
»Das ist also dein Bösewicht, ja?« Royce grinste spöttisch.
»Wenn Ihr nur einen Platz zum Schlafen braucht, warum habt Ihr dann die Frau des Bauern bedroht?«
Albert wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sah Hadrian verwirrt an. »Wen?«
»Die Besitzerin dieses Bauernhofs. Warum habt Ihr sie nicht einfach gefragt, ob Ihr hier schlafen dürft?«
»Ich weiß nicht, von wem Ihr sprecht.«
»Von der alten Frau, die aussieht wie eine Hexe. Sie wohnt in dem Haus auf der Anhöhe und sagt, Ihr hättet sie bedroht.«
Albert sah zuerst Hadrian und dann Royce an, als müsste er ein Rätsel lösen. »Hier wohnt niemand. Habt Ihr das Haus nicht gesehen? Ich schlafe hier, weil das Haus eine noch größere Bruchbude ist. Die Bodenbretter sind durchgefault und zwischen den Deckenbalken hängt ein riesiges Wespennest. Der Hof wurde schon vor Jahren verlassen, das sieht doch ein Blinder.«
Royce blickte zu Hadrian, doch der war bereits aufgesprungen und rannte aus der Scheune und den Hang hinauf.
Die Sonne stand tief über den Bäumen und warf lange Schatten über die Felder und das Bauernhaus. Das Haus war eine Ruine, wie Albert gesagt hatte. Aus dem Küchenboden wuchs ein junger Baum. Mit hängenden Schultern kehrte Hadrian zur Scheune zurück. Royce sammelte inzwischen Holz für ein Feuer.
»Siehst du«, sagte er, »ich habe dir doch gesagt, dass es schiefgeht. Sie ist weg, ja? Die nette alte Frau, der du helfen wolltest, ist mit unseren Pferde und Sachen durchgebrannt.«
Hadrian ließ sich fluchend auf einen umgefallenen Eichenbalken fallen.
»Mach der Frau keine Vorwürfe, es war alles deine Schuld. Du hast sie praktisch angefleht, uns auszurauben. Hör das nächste Mal lieber auf mich.«
»Ich kann einfach nicht glauben, dass jemand so etwas tut.« Hadrian schüttelte den Kopf.
»Ich weiß. Deshalb musste ich es dir ja zeigen.«
Hadrian hob den Kopf. »Du wusstest, was kommen würde?«