Hat meine Mutter mich nicht mehr lieb? - Anne Alexander - E-Book

Hat meine Mutter mich nicht mehr lieb? E-Book

Anne Alexander

0,0

Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Sabrina Heister fuhr durch das Tor von Sophienlust. Sie kannte Fotos von dem Kinderheim, trotzdem war sie jetzt angenehm überrascht, als das weiße schloßähnliche Gebäude vor ihr auftauchte und sie den großen Spielplatz sah, der etwas abseits lag. Langsam fuhr sie die Auffahrt entlang und hielt auf dem Parkplatz. »Na, habe ich dir zuviel versprochen, Jasmin?« fragte sie und wandte sich ihrer kleinen Tochter zu, die im Kindersitz im Fond saß. »In Sophienlust kannst du dich wie eine Prinzessin fühlen. Dir wird es hier ganz gewiß gefallen.« Die Fünfjährige gab keine Antwort. Trotzig preßte sie die Lippen zusammen, während sich ihre braunen Augen mit Tränen füllten. »Wer wird denn weinen, Jasmin?« fragte Sabrina und stieg aus. Sie öffnete die Fondtür und hob ihre kleine Tochter heraus. »Du weißt doch, daß ich dich nicht in die Kur mitnehmen kann. Glaube mir, Liebling, ich trenne mich nicht gerne von dir.« »Ich möchte nicht, daß du fortgehst, Mama«, schluchzte Jasmin und schlang die Ärmchen um Sabrinas Hals. »Ich mag nicht hierbleiben, auch nicht für kurze Zeit.« »Hast du schon den schönen Spielplatz gesehen?« fragte Sabrina und drehte sich mit ihrer Tochter auf dem Arm so, daß die Kleine den Spielplatz vor Augen hatte. »Schau mal, die vielen Kinder.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 119

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sophienlust – 203–

Hat meine Mutter mich nicht mehr lieb?

Warum nur kümmert sie sich nicht mehr um die kleine Jasmin?

Anne Alexander

Sabrina Heister fuhr durch das Tor von Sophienlust. Sie kannte Fotos von dem Kinderheim, trotzdem war sie jetzt angenehm überrascht, als das weiße schloßähnliche Gebäude vor ihr auftauchte und sie den großen Spielplatz sah, der etwas abseits lag. Langsam fuhr sie die Auffahrt entlang und hielt auf dem Parkplatz. »Na, habe ich dir zuviel versprochen, Jasmin?« fragte sie und wandte sich ihrer kleinen Tochter zu, die im Kindersitz im Fond saß. »In Sophienlust kannst du dich wie eine Prinzessin fühlen. Dir wird es hier ganz gewiß gefallen.«

Die Fünfjährige gab keine Antwort. Trotzig preßte sie die Lippen zusammen, während sich ihre braunen Augen mit Tränen füllten.

»Wer wird denn weinen, Jasmin?« fragte Sabrina und stieg aus. Sie öffnete die Fondtür und hob ihre kleine Tochter heraus. »Du weißt doch, daß ich dich nicht in die Kur mitnehmen kann. Glaube mir, Liebling, ich trenne mich nicht gerne von dir.«

»Ich möchte nicht, daß du fortgehst, Mama«, schluchzte Jasmin und schlang die Ärmchen um Sabrinas Hals. »Ich mag nicht hierbleiben, auch nicht für kurze Zeit.«

»Hast du schon den schönen Spielplatz gesehen?« fragte Sabrina und drehte sich mit ihrer Tochter auf dem Arm so, daß die Kleine den Spielplatz vor Augen hatte. »Schau mal, die vielen Kinder. Glaube mir, Jasmin, hier ist es schön. Die Kinder und die anderen Leute werden alle nett zu dir sein, und wir werden jeden Tag miteinander telefonieren.«

»Nimm mich mit, Mama. Bitte, nimm mich mit.« Jasmin preßte sich fester an ihre Mutter. »Ich hab’ dich doch so lieb.«

»Ich dich auch.« Sabrina küßte ihr Töchterchen auf den braunen Schopf und stellte es zu Boden.

»Jetzt reden wir erst einmal mit Frau von Schoenecker.« Sie nahm ihre Handtasche aus dem Wagen und wandte sich mit Jasmin der Freitreppe zu.

In diesem Moment kam Schwester Regine aus dem Haus. »Frau Heister?« fragte sie.

»Ja, ich bin Sabrina Heister. Frau von Schoenecker erwartet mich«, erwiderte die junge Frau.

»Willkommen in Sophienlust.« Schwester Regine reichte ihr die Hand, dann wandte sie sich Jasmin zu, die sich ängstlich an ihre Mutter schmiegte. »Wie heißt du denn?« fragte sie, obwohl sie den Namen des kleinen Mädchens von Denise bereits erfahren hatte. »Ich bin Schwester Regine.« Sie schaute Sabrina an. »Entschuldigen Sie bitte, ich hatte völlig vergessen, mich Ihnen vorzustellen.«

»Oh, das macht nichts, Schwester Regine.« Sabrina drückte ihre kleine Tochter an sich. »Nun sag schön guten Tag.«

»Guten Tag«, wisperte Jasmin. Sie schaute auf. »Bist du eine nette Tante?«

»Das möchte ich doch hoffen, Jasmin«, sagte Schwester Regine lachend. Sie streckte der Kleinen die Hand entgegen. Zögernd ergriff Jasmin sie. »Na, siehst du. Ich wette, dir wird es bei uns gefallen.«

»Weiß nicht«, kam es von Jasmin. Brav folgte sie den beiden Frauen zum Empfangszimmer.

Denise von Schoenecker stand auf und ging Sabrina und Jasmin entgegen. »Schön, daß Sie pünktlich sind, Frau Heister«, sagte sie, als sie Sabrina die Hand reichte. »Na, und du mußt Jasmin sein«, wandte sie sich an das kleine Mädchen.

»Jasmin ist etwas ängstlich«, erklärte Sabrina.

»Du mußt bei uns keine Angst haben, Jasmin.« Denise lächelte der Kleinen zu. »Ich bin Tante Isi.« Sie schaute über Jasmins Schulter hinweg zu Heidi Holsten und Kim Son Re, die gerade aus dem Bastelzimmer kamen. »Weißt du was, Jasmin? Du läßt dir jetzt von den anderen Kindern alles zeigen, was bei uns in Sophienlust wichtig ist. Wir haben hier viele Tiere, darunter auch einen Papagei, der sehr schnell lernt und schon bald deinen Namen nachsprechen kann.«

»Einen richtigen Papagei?« Jasmin hob den Kopf. »So einen wie im Zoo?«

»Unser Habakuk ist viel schöner als alle Papageien im Zoo«, meldete sich Heidi Holsten zu Wort. »Und wir haben nicht nur einen Papagei.« Sie ergriff Jasmins Hand. »Komm, gehen wir erst einmal in den Wintergarten. Ich bin übrigens die Heidi«, stellte sie sich vor. »Und das da ist Kim. Er kommt aus Vietnam, das ist ein Land am anderen Ende der Erde.«

»Ich aber schon sprechen gut deutsch«, erklärte der Fünfjährige. Seine dunklen Augen blitzten. »Ich sein sehr gescheit.«

Heidi lachte spöttisch auf. »Dabei kann er noch nicht mal lesen und schreiben. Ich gehe schon zur Schule, und du?«

»Ich komme erst nächstes Jahr in die Schule«, sagte Jasmin, »aber ich kann schon meinen Namen schreiben. Habe ich im Kindergarten gelernt.«

»Und lesen und rechnen?«

»Halt, Heidi«, rief Denise von Schoenecker lachend. »Überfalle unseren Gast nicht gleich mit deinen Fähigkeiten.« Sie legte eine Hand auf Heidis Schulter. »Und wenn ihr im Wintergarten wart, dann besucht Magda in der Küche. Sie hat sicher ein paar Plätzchen für euch.«

»Magdas Plätzchen sein gut.« Kim rieb sich sein Bäuchlein. »Ich können immerzu essen. Hmm.«

Jasmin zögerte. Sie schaute sich zu ihrer Mutter um.

»Du kannst ruhig mit den Kindern mitgehen«, sagte Sabrina.

»Und du fährst nicht weg?«

»Natürlich fahre ich nicht ohne dich weg, Liebling«, versprach Sabrina. »Heute mußt du ja auch noch nicht in Sophienlust bleiben. Heute wollen wir uns nur erst alles ansehen.«

Denise von Schoenecker machte die junge Frau noch mit Else Rennert bekannt, dann lud sie den Gast zu einer Besichtigungstour durch das Haus ein. So lernte Sabrina während der nächsten halben Stunde das ganze Gebäude kennen. Die Zimmer der Kinder gefielen ihr, aber noch mehr begeisterten sie die Spielmöglichkeiten, die in Sophienlust vorhanden waren. Da gab es nicht nur ein großes Eisenbahnzimmer, einen Bastelraum und einen Aufenthaltsraum, sondern auch noch den Wintergarten, ein Musikzimmer, die große Halle mit einem Kamin und den Spielplatz vor dem Haus.

»Natürlich können die Kinder auch auf dem Dachboden kramen«, sagte Denise, nachdem sie Magda einen Besuch abgestattet hatten. »Im hinteren Teil des Parks liegen Koppeln. Justus, unser Faktotum, versorgt die Tiere. Wenn ein Kind es möchte, kann es auf unseren Ponys reiten lernen. Die meisten können gar nicht genug davon bekommen. Ganz in der Nähe liegt das Tierheim Waldi und Co. Auch dort sind die Kinder höchst willkommen. Und dann haben wir noch ein Forsthaus mit einem alten Oberförster, der wunderschöne Geschichten erzählen kann, einen See, zu dem die Kleinen allerdings nicht alleine gehen dürfen, und jede Menge Radwege.«

»Ein richtiges Kinderparadies«, sagte Sabrina, als sie später mit der Gutsbesitzerin im Biedermeierzimmer beim Kaffee saß. »Sieht aus, als wäre Jasmin in Sophienlust gut aufgehoben, trotzdem trenne ich mich nicht gerne von ihr. Ich wünschte, dieser Kuraufenthalt wäre nicht nötig.«

»Das glaube ich Ihnen gerne, Frau Heister«, meinte Denise von Schoenecker, »aber manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als sich kurzfristig von den Kindern zu trennen. Und denken Sie daran, daß diese Kur für Sie sehr wichtig ist. Immerhin dreht es sich um Ihre Bandscheiben, und wenn da nicht rechtzeitig etwas unternommen wird, werden Sie Ihr ganzes Leben lang daran zu tragen haben.«

»Das sagte meine Ärztin auch.« Sabrina nickte. »Und mein Chef ist auch der Meinung, daß ich die Kur nicht aufschieben darf.«

»Sie können froh sein, einen so verständnisvollen Chef zu haben.« Denise von Schoenecker füllte Sabrinas Tasse zum zweitenmal. »Und nehmen Sie noch von den Plätzchen. Unsere Magda ist eine leidenschaftliche Köchin.«

»Das schmeckt man.« Sabrina griff erneut zu. »Ja, mit der Firma, bei der ich arbeite, habe ich wirklich Glück gehabt«, bestätigte sie. »Davon abgesehen, daß es dort auch eine Kinderkrippe gibt, in der Jasmin während meiner Arbeitszeit gut untergebracht ist, setzt sich mein Chef auch sehr für die Gesundheit seiner Betriebsangehörigen ein. Er war es, der mich wegen meiner ständigen Rückenschmerzen zum Arzt geschickt hat. Ich hatte sie gar nicht so ernst genommen. Ich dachte, irgendwann würden sie mal wieder vergehen.«

»Sie leben alleine?«

Sabrina nickte. »Mein Verlobter ist kurz vor ihrer Geburt bei einem Unfall ums Leben gekommen. Wir hatten uns so auf das Kind gefreut.«

»Entschuldigen Sie, es geht mich nichts an, aber warum haben Sie nicht geheiratet?«

»Weil wir glaubten, unsere Liebe nicht noch mit einem Trauschein besiegeln zu müssen«, sagte Sabrina. Sie lehnte sich zurück. »Glauben Sie mir, Frau von Schoenecker, später habe ich es oft bereut, daß Marc und ich nicht rechtzeitig geheiratet haben. Doch damals sah das alles anders aus.«

»Und gibt es einen neuen Mann in Ihrem Leben?«

Sabrina hob überrascht die Augenbrauen. »Neugierig sind Sie gar nicht«, bemerkte sie belustigt.

»Ich würde es nicht Neugier nennen, Frau Heister«, widersprach Denise. Sie nahm Sabrina ihre Bemerkung nicht übel. »Mich interessiert alles, was mit dem Umfeld meiner Schützlinge zusammenhängt.«

»Nein, es gibt keinen neuen Mann in meinem Leben«, erwiderte die junge Frau. »Es ist nicht so, daß ich nach Marcs Tod jedem Mann aus dem Weg gegangen wäre, aber ich habe mich niemals wieder verliebt. Zudem befürchte ich auch, daß Jasmin dann zu kurz kommen würde. Jasmin ist und bleibt das Wichtigste in meinem Leben.«

»So sollte es auch sein. Trotzdem sollten Sie nicht Ihres Kindes wegen verzichten, falls Sie sich doch wieder verlieben, Frau Heister«, meinte die Gutsbesitzerin. »Sehen Sie, mir erging es ähnlich wie Ihnen. Mein Mann ist kurz vor der Geburt meines Sohnes gestorben. Ich stand mit Nick völlig alleine da. Ich war Tänzerin, konnte Nick nicht bei mir behalten. Deshalb wuchs er die ersten Jahre seines Lebens in einem Kinderheim auf. Es war eine harte Zeit.«

»Sie sind zum zweitenmal verheiratet?«

»Ja, und ich bin sehr glücklich«, sagte Denise. »Sophienlust und der Grundbesitz, der dazugehört, sind Dominiks Eigentum. Die Großmutter meines verstorbenen Mannes hat ihm hier alles vererbt. Sie schlug in ihrem Testament vor, aus Sophienlust ein Kinderheim zu machen. Meinem zweiten Mann gehört Gut Schoeneich, dort leben wir.«

»So ein Kinderheim ist eine wundervolle Aufgabe«, bemerkte Sabrina.

»Ja, eine Aufgabe, die ich nicht missen möchte.« Denise schaute zur Tür. Jasmin, Heidi, Kim und einige der anderen Kinder kamen ins Biedermeierzimmer. »Na, hast du dir alles angeschaut, Jasmin?« fragte sie.

»Hier ist es schön«, sprudelte Jasmin hervor. Sie rannte zu ihrer Mutter. »Hier gefällt es mir, Mama. Den Papagei solltest du sehen. Er ist schon alt, und er kann wirklich sprechen.«

»Ich habe ihn bereits gesehen.« Sabrina zog ihre Tochter auf den Schoß. »Na, bist du nun einverstanden, daß du für einige Wochen in Sophienlust bleibst?«

Jasmin schlang die Ärmchen um den Hals ihrer Mutter. »Ja, aber du mußt wirklich jeden Tag mit mir telefonieren, Mama.« Sie schaute zu ihr auf. »Großes Ehrenwort?«

»Großes Ehrenwort«, versprach Sabrina froh und drückte ihre Kleine an sich.

*

Sabrina Heister trat auf die Aussichtsplattform und blickte über die umliegenden Berge. Tief unten im Tal schlängelte sich ein Fluß durch die Felder. In einiger Entfernung von ihm lag der kleine Ort, den sie hin und wieder aufsuchte, um etwas einzukaufen. Die junge Frau hielt sich jetzt schon seit über drei Wochen im Haus Bergried auf. Die Kur tat ihr wohl. Auch wenn es oft etwas mühsam war, all die Anwendungen durchzuhalten, die man ihr verordnet hatte, sie war fest davon überzeugt, daß sie ihr nützten. Schon jetzt ging es ihrem Rücken entschieden besser.

»Sie machen gewaltige Fortschritte, Frau Heister«, hatte Dr. Cortmann erst wieder am Morgen zu ihr gesagt. Ein feines Lächeln umspielte Sabrinas Lippen, als sie an Erik Cortmann dachte. Vom ersten Tag an waren sie und der junge Arzt wunderbar miteinander ausgekommen. Sie fühlte sich heftig zu ihm hingezogen und spürte, daß auch sie ihm nicht gleichgültig war. Ab und zu hatten sie sich auf Spaziergängen getroffen. Man konnte sich wunderbar mit ihm unterhalten, er hatte mit ihr über seine Liebe zu den Bergen gesprochen und ihr von den Reisen erzählt, die er während der letzten Jahre unternommen hatte. Er schien an allem und jedem interessiert zu sein.

Sabrina ging zu der schmalen Bank, die in der Nähe der Aussichtsplattform stand, und setzte sich. Vor noch nicht einer Stunde hatte sie mit Jasmin telefoniert. Ihre kleine Tochter fühlte sich in Sophienlust ausgesprochen wohl, vermißte sie jedoch. Und sie vermißte Jasmin, aber sie mußte noch mindestens drei Wochen ohne sie auskommen. Sie hatte ihr versprochen, ihr etwas besonders Schönes mitzubringen.

Nachdenklich schaute sie zu den Wolken hinauf. Warum hatte sie Dr. Cortmann nichts von Jasmin erzählt? Jasmin war das Wichtigste in ihrem Leben, und trotzdem hatte sie ihm bis jetzt ihre Tochter verschwiegen.

»So alleine?«

Sabrina wandte den Kopf. »Oh, Doktor Cortmann!« sagte sie erfreut. »Setzen Sie sich doch.« Sie wies auf den Platz neben sich. »Ich wollte noch etwas den Abend genießen, bevor ich zu den anderen ins Fernsehzimmer gehe. Es ist so wunderschön hier.«

»So, als sei man der einzige Mensch auf der Welt.« Erik Cortmann setzte sich. »Ja, ich liebe diesen Ort auch.« Er sah sie an. »Wir haben viel gemeinsam.«

»Wir stellen es immer wieder fest.« Verlegen strich sie sich ihre langen dunkelblonden Haare aus dem Gesicht.

»Wissen Sie, daß Sie wunderschöne Augen haben?« Er berührte ihr Gesicht, zuckte dann jedoch zurück. »Verzeihen Sie, Frau Heister.«

»Schon gut.« Sie lächelte ihm zu.

Er schaute zum gegenüberliegenden Berg. »Schon als kleiner Junge träumte ich davon, eines Tages Arzt zu werden«, sagte er. »Meine Schwestern können ein Lied davon singen. Ständig kassierte ich ihre Puppen, um sie zu verarzten. Ich ging dabei nicht immer gerade sanft mit ihnen um. Zuerst mußten sie ja mal krank sein. Einer Lieblingspuppe meiner Schwester Beate brach ich sogar den Arm.« Er verzog das Gesicht. »Mein Vater erklärte mir sehr handgreiflich, daß ich so etwas in Zukunft zu unterlassen habe. Die Erklärung hatte eine nachhaltige Wirkung. Ich begnügte mich damit, bei den Puppen nur noch Infektionskrankheiten zu kurieren.«

Auch Jasmin spielte gerne Arzt. Jetzt wäre eine Gelegenheit gewesen, ihm von Jasmin zu erzählen. Und trotzdem tat es Sabrina nicht. »Leben Ihre Eltern noch?« fragte sie.

»Ja, in Norddeutschland, auch meine Schwestern. Sie sind längst verheiratet und haben selbst Kinder.« Er lachte leise auf. »Ich bin der Älteste, inzwischen dreißig und immer noch ledig.«

»Mögen Sie Kinder?«

»Meine Nichten sind von mir begeistert.« Er wandte ihr wieder das Gesicht zu. »Hätten Sie Lust, am Samstagabend mit mir nach Berchtesgaden zu fahren und tanzen zu gehen?«

»Sogar sehr gerne«, erwiderte Sabrina spontan. Dann errötete sie. »Das heißt, so spät werde ich das Sanatorium gar nicht mehr verlassen dürfen.«

»Das lassen Sie nur meine Sorge sein«, meinte er lachend. »Ich kenne da Mittel und Wege…«