Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Das schrille Läuten des Telefons riß Anne Förster aus ihrem tiefen Schlaf. Noch nicht ganz bei sich, blickte die junge Frau zu dem fahlen Streifen, der durch eine Ritze in der Jalousie fiel. Wieder läutete das Telefon. Anne spürte, wie sich neben ihr Daniel regte. Rasch hob sie den Hörer ab, damit nicht auch er aufwachte. »Förster«, meldete sie sich halblaut. »Hier ist Rosi.« »Rosi?« Anne runzelte die Stirn. Weder Daniel noch sie kannten eine Frau namens Rosi. Sicher handelte es sich um eine falsche Verbindung. Sie nannte noch einmal ihren Namen und fügte ihre Telefonnummer hinzu. Hinter vorgehaltener Hand gähnte sie. »Es handelt sich um Ihren Bruder, Frau Förster.« »Um Hanno?« Mit einem Schlag war Anne hellwach. »Was ist mit ihm?« »Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Förster, gerade deshalb rufe ich ja an. Hanno ist bei mir, er hatte Schwierigkeiten mit der Polizei, aber jetzt ist alles in Ordnung.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 149
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Das schrille Läuten des Telefons riß Anne Förster aus ihrem tiefen Schlaf. Noch nicht ganz bei sich, blickte die junge Frau zu dem fahlen Streifen, der durch eine Ritze in der Jalousie fiel. Wieder läutete das Telefon. Anne spürte, wie sich neben ihr Daniel regte. Rasch hob sie den Hörer ab, damit nicht auch er aufwachte.
»Förster«, meldete sie sich halblaut.
»Hier ist Rosi.«
»Rosi?« Anne runzelte die Stirn. Weder Daniel noch sie kannten eine Frau namens Rosi. Sicher handelte es sich um eine falsche Verbindung. Sie nannte noch einmal ihren Namen und fügte ihre Telefonnummer hinzu. Hinter vorgehaltener Hand gähnte sie.
»Es handelt sich um Ihren Bruder, Frau Förster.«
»Um Hanno?« Mit einem Schlag war Anne hellwach. »Was ist mit ihm?«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Förster, gerade deshalb rufe ich ja an. Hanno ist bei mir, er hatte Schwierigkeiten mit der Polizei, aber jetzt ist alles in Ordnung. Meine Nachbarn haben sich auch wieder beruhigt. War nur ein Sturm im Wasserglas, wie man so schön sagt.« Die Anruferin lachte.
»Was für Schwierigkeiten hatte mein Bruder?« fragte Anne lauter als beabsichtigt. Sie spürte den Schlag ihres Herzens bis in den Hals hinauf. Ihre Kehle fühlte sich seltsam trocken an.
»Was ist denn los?« Daniel Förster richtete sich in seinem Bett auf und schaltete die Nachttischlampe ein. Geblendet schloß Anne für einen Moment die Augen. »Ist etwas passiert?« Er berührte den Arm seiner Frau.
»Einen Augenblick«, sagte Anne zu der ihr unbekannten Frau. Sie drehte sich zu ihrem Mann um und legte eine Hand auf die Sprechmuschel. »Da ruft eine Rosi wegen Hanno an. Er hätte angeblich Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt.« Ihre blauen Augen blickten Daniel entsetzt an.
»Gib mir bitte den Hörer«, Daniel nahm ihr den Telefonhörer aus der Hand. Eine Unmutsfalte hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Seit sie Annes Bruder vor einem Jahr bei sich aufgenommen hatten, waren sie aus Ärger und Aufregungen nicht mehr herausgekommen. Hanno Fritz war dreiunddreißig, zwei Jahre jünger als Anne, aber dennoch alt genug, sein Leben in feste Bahnen zu lenken, doch er benahm sich immer noch, als sei er erst achtzehn und gerade volljährig geworden.
Rosi erzählte noch einmal, was sie bereits zu Anne gesagt hatte. »Es war nicht seine Schuld«, fügte sie hinzu. »Er ist halt in eine Polizeikontrolle geraten. Jedenfalls besteht kein Grund, sich Sorgen zu machen. Und bitte, seien Sie ihm nicht böse, daß er nicht nach Hause gekommen ist. Wir haben den Abend gemeinsam verbracht.«
»Wie kommen Sie eigentlich auf den Gedanken, ich könnte darüber böse sein?« fragte Daniel. »Um ehrlich zu sein, wir hatten nicht einmal bemerkt, daß er nicht da ist. Hanno hat bei uns im Haus seine eigene Wohnung. Wenn er sich endlich selbständig machen will, wir haben nichts dagegen. Meinen Segen hat er.«
»Sei nicht so grob«, flüsterte Anne.
»Ich habe Hanno sehr gern«, erwiderte Rosi. »Wir kennen uns jetzt seit drei Wochen. Er ist ein feiner Kerl, aus ihm kann noch was werden. Tragen Sie es ihm nicht nach. Er meint es nicht so, wenn er manchmal herumtobt. Im Grunde geht das doch alles noch auf das Konto seiner geschiedenen Frau. Von Ihnen und seiner Schwester spricht er jedenfalls immer nur das Beste.«
»Na, wie schön«, bemerkte Daniel ironisch. »Wenn Sie mir jetzt noch sagen würden, in was für Schwierigkeiten Hanno mal wieder steckt, könnten wir alle wieder schlafen gehen.«
»Daniel!« raunte Anne.
»Er kam dazu, als in einem Elektrogeschäft eingebrochen wurde«, erwiderte Rosi unbeeindruckt. »Aber wie gesagt, kein Grund, sich Sorgen zu machen. Der Hanno ist schon in Ordnung Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, daß er die Nacht bei mir verbringt.«
»Nicht das geringste. Kommt er morgen früh?«
»Moment mal, bitte.«
Daniel schüttelte mißmutig den Kopf.
»Ich möchte wissen, was da wieder los war«, sagte er leise zu seiner Frau. »Wenn…«
»Ja, er kommt. Sie können sich darauf verlassen. Entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich dachte, es sei besser, Sie zu benachrichtigen, Gute Nacht!« Rosi legte den Hörer auf, bevor Daniel ihren Gruß erwidern konnte.
Der junge Mann ließ den Hörer geräuschvoll auf die Gabel fallen. Er verspürte ein leichtes Schuldgefühl. Rosis letzte Worte hatten ziemlich vorwurfsvoll geklungen. Dabei hatte er keinen Grund, sich Vorwürfe zu machen.
»Weshalb hatte Hanno mit der Polizei zu tun?« fragte Anne besorgt. Sie lehnte sich gegen die Wand.
»Angeblich ist er gerade dazugekommen, als in einem Elektrogeschäft eingebrochen wurde.«
»Das klingt, als würdest du es nicht glauben«, stellte Anne fest.
»Sei mir nicht böse, Liebling, aber immerhin kenne ich deinen Bruder jetzt bereits seit einer Reihe von Jahren. Nicht, daß ich denke, daß er von sich aus einen Einbruch machen würde, aber er ist der richtige Typ, angeblichen Freunden einen Gefallen zu tun und Schmiere zu stehen. Und zu seinen Freunden zählen ja nun leider fast ausschließlich Leute, die bereits mehr oder weniger oft in derartige Delikte verwickelt waren.«
»Ich kann es mir nicht denken.« Anne strich mit einer hilflosen Gebärde über die Bettdecke.
»Hat er dir jemals etwas von einer Rosi erzählt?« fragte Daniel. »Rosi!« wiederholt er und verzog dabei das Gesicht. »Nicht einmal ihren Nachnamen hat sie genannt.«
»Das ist heute so Sitte.«
»In unseren Kreisen nicht.«
Anne schmunzelte. »Seit wann bist du ein Snob?« Sie stieß ihn in die Seite. »Gib zu, daß du nur wütend bist, weil man dich im Schlaf gestört hat.« Begütigend legte sie die Hand auf seinen Arm. »Nichts als Sorgen hat man mit Hanno. Was hältst du von einem Glas heißer Milch? Ich bin so aufgeregt, daß ich momentan sowieso nicht mehr einschlafen könnte.« Sie schwang die Beine über den Bettrand und stand auf. »Wenn Hanno nur schon da wäre und uns sagen könnte, was passiert ist.« Aufseufzend fuhr sie sich mit beiden Händen durch die blonden Haare.
»Er würde uns doch nur anlügen«, meinte Daniel erbittert. »Oder willst du abstreiten, daß er ständig lügt?«
»Kann ich nicht abstreiten«, erwiderte Anne. »Ich bringe dir ein Glas Milch mit.« Sie trat in den Korridor.
Daniel Förster stand nun ebenfalls auf und ging im Zimmer auf und ab. Er war die ständigen Aufregungen mit seinem Schwager leid. Es verging kaum eine Woche, in der es wegen Hanno nicht irgendwelchen Ärger gab. Wenn er wenigstens mit der Zeit etwas Einsicht gezeigt hätte. Aber alles schien an ihm abzuprallen: Ob seinetwegen der Gerichtsvollzieher ins Haus kam, wieder einmal eine Strafe gezahlt werden sollte, Hanno schien davon völlig unberührt zu bleiben.
Sicher bildet er sich ein, es kann ewig so weitergehen, und wir holen für ihn auch noch die Kastanien aus dem Feuer, wenn er achtzig ist, dachte der junge Mann. Er blieb am Fenster stehen, öffnete etwas die Jalousie und blickte in den schneebedeckten Garten hinaus.
Anne kam mit der Milch zurück. »Mach nicht so ein Gesicht«, forderte sie ihren Mann auf und drückte ihm sein Glas in die Hand. »Irgendwann wird er schon vernünftig werden.«
»Schön, daß wenigstens einer von uns an Wunder glaubt.« Daniel zog sie mit seiner freien Hand an sich. »Warten wir also ab, mit welcher Geschichte unser familieneigener Münchhausen morgen aufwartet.«
*
»Am liebsten würde ich den Mucky behalten«, sagte Angelina Dommin, während sie liebevoll einen kleinen Spitz mit der Bürste bearbeitete, bis sein weißes Fell glänzte. »Schade, daß man immer einen Hund hergeben muß, wenn man sich so richtig an ihn gewöhnt hat.«
»Das ist wirklich schade«, stimmte Angelika Langenbach zu. Sie berührte Muckys lackschwarzes Schnäuzchen.
»Wenn wir alle Fundhunde behalten würden, hätten wir bald keinen Platz mehr in Waldi & Co«, meinte Andrea von Lehn. »Aber ich kann euch verstehen. Mir fällt es auch jedesmal schwer, mich von einem Tier zu trennen, das mir liebgeworden ist.«
»Aber Mucky kommen in sehr gute Hände«, mischte sich der alte Janosch ein, der seit Jahren im Tierheim Waldi & Co als Tierpfleger arbeitete. »Bei den Försters er wird es haben gut.«
»Alle anderen Hunde werden ihn darum beneiden«, stimmte Angelina zu, die wegen ihrer vielen Sommersprossen von den übrigen Kindern und auch von den Erwachsenen meist Pünktchen genannt wurde. Sie steckte die Bürste in ein Täschchen. »Und nun mach dich nicht schmutzig, bis du von deinen neuen Besitzern abgeholt wirst«, ermahnte sie den kleinen Hund. »Sonst überlegen sie es sich vielleicht noch und wählen einen anderen.«
»Wie ich euch kenne, würdet ihr Mucky schon darüber hinwegtrösten.« Andrea von Lehn lachte. »Komm, gehen wir mit Mucky rüber ins Haus. Peterle wartet sicher bereits auf euch.«
»Hast du schon Weihnachtsplätzchen gebacken, Tante Andrea?« erkundigte sich Heidi Holsten, mit ihren fünf Jahren das jüngste der Kinder.
»Die Weihnachtsplätzchen von Magda schmecken immer ganz prima«, erklärte Fabian Schöller.
»Wenn das kein Wink mit einem Zaunpfahl war«, meinte Andrea. »Marianne und ich haben bereits Plätzchen gebacken, und wenn mich nicht alles täuscht, stehen in der Küche welche für euch.«
»Au fein!« Die Kinder strahlten.
»Wo ihr das alles nur immer essen hin«, sagte Janosch Corda. Er strich mit zwei Fingern über seinen hängenden Lippenbart.
Fabian klopfte auf seinen Bauch. »Da geht noch viel rein«, verkündete er.
Mucky im Arm, folgte Pünktchen Andrea von Lehn und ihren Freunden durch den weitläufigen Hof des Tierheims. Am Tor nahmen sie Abschied von dem kleinen Kurzhaardackel Waldi, nach dem das Tierheim benannt worden war. Sein Kläffen folgte ihnen noch, als sie auf das langgestreckte Landhaus der von Lehns zugingen.
»Ist Onkel Hans-Joachim auch da?« erkundigte sich Heidi. Sie bückte sich, formte einen Schneeball und warf ihn gegen einen Baum.
»Nein, er wurde zu einem Bauern gerufen«, erwiderte Andrea von Lehn. »Ich glaube nicht, daß er heute vormittag noch nach Hause kommt. Der Bauer hat Schwierigkeiten mit seinen Schweinen.«
»Was für Schwierigkeiten denn?«
»Oh, das weiß ich nicht«, erwiderte die Gefragte. Sie klopfte sich den Schnee von den Schuhen und öffnete die Haustür.
»Ist auch egal.« Heidi drängte sich an ihr vorbei. »Peterle, wir sind da!« schrie sie. »Peterle, wo bist du denn? Wir wollen mit dir spielen.«
Marianne Weber, das Hausmädchen der von Lehns, trat mit einem kleinen blondgelockten Jungen in den Korridor. Sie stellte ihn auf den Boden. Der Zweijährige rannte an Heidi vorbei und warf sich in Angelikas Arme.
Heidi zog eine Schnute. »Mag er mich nicht mehr?« Ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen.
»Natürlich mag er dich.« Andrea hob Heidi hoch und schwenkte sie durch die Luft. Das kleine Mädchen jauchzte vor Freude.
»Hundi.« Peterle zappelte in Angelikas Armen.
Angelika ließ ihn los. Pünktchen hatte bereits Mucky auf den Boden gesetzt. Peterle ließ sich neben den Spitz plumpsen und schlang die Ärmchen um den kleinen Hund.
»Gefällt er dir?« fragte seine Mutter.
»Er ist lieb.« Peterle hob ihr sein strahlendes Gesichtchen entgegen.
»Eben ist ein Wagen vorgefahren.« Pünktchen ging zur Haustür und öffnete sie einen Spaltbreit. »Es sind die Försters«, verkündete sie, nachdem Anne und Daniel ausgestiegen waren. Sie öffnete die Tür ganz und winkte dem Ehepaar zu.
»Sieh an, die Rasselbande von Sophienlust ist auch da«, sagte Anne zu ihrem Mann. Sie hatte die Haustür erreicht. »Guten Morgen, Pünktchen, und selbstverständlich auch euch anderen.« Sie entdeckte Mucky neben Peterle. »Unser zukünftiger Hausgenosse wartet bereits auf uns.«
»Ich dachte, es ist besser, wir bringen ihn in unser Haus.« Andrea von Lehn trat aus dem Schatten. Sie reichte Anne die Hand.
»Entschuldigung, ich hatte Sie völlig übersehen.« Anne lachte. »Der Flur ist so voller Kinder...« Sie hob die Schultern.
»Und wenn Anne Kinder sieht, bemerkt sie nichts anderes mehr«, scherzte Daniel Förster. Er ergriff Andreas Hand. »Schön, daß Mucky bereits auf uns wartet. Er ist ein reizender kleiner Kerl. Ich freue mich schon richtig darauf, ihn bei uns in der Wohnung zu haben.«
»Wir haben ihn gebürstet«, brüstete sich Heidi.
»Du meinst, Pünktchen hat ihn gebürstet«, verbesserte sie Fabian.
»Ich glaube, ihr macht, daß ihr in die Küche kommt«, schlug Andrea vor. »Vergeßt nicht, dort warten Kekse auf euch.«
»Gibt’s auch heiße Schokolade?« fragte Heidi und leckte sich ihr München.
In ihrem blauen Schneeanzug und mit den blonden Rattenschwänzchen, die rechts und links von ihrem Kopf abstanden, sah sie reizend aus.
»Gibt es«, versprach Marianne. »Auf, in die Küche!«
Pünktchen hob Peterle auf, der sich nicht von Mucky trennen wollte. Erst als ihm Schokoladenkekse versprochen wurden, hörte er auf, sich gegen die Dreizehnjährige zu sträuben. Andrea atmete erleichtert auf, als sich die Küchentür hinter den Kindern schloß.
Daniel Förster hatte sich neben Mucky hingekniet und damit begonnen, den Nacken des kleinen Spitzes zu kraulen. Mucky streckte sich genüßlich.
»Haben Sie es eilig, oder darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen?« fragte Andrea.
»Wir würden gern noch etwas bleiben, aber heute geht es leider nicht. Wir warten auf meinen Bruder. Er wollte heute morgen nach Hause kommen. Bei unserer Abfahrt war er noch nicht da. Und wir müssen unbedingt mit ihm sprechen.« Anne griff nach der Hundeleine, die sie in ihrer Handtasche verstaut hatte.
»Hat er wieder etwas angestellt?« fragte Andrea von Lehn.
»Wir wissen es nicht.« Daniel richtete sich auf. »Wir erhielten heute nacht einen reichlich mysteriösen Anruf und machen uns jetzt natürlich wieder Sorgen. Hätten wir nicht versprochen, Mucky heute abzuholen, wir hätten es noch etwas aufgeschoben.«
»Ein Anruf hätte genügt, Herr Förster«, versicherte Andrea. Die Sorgen, die Hanno Fritz seiner Schwester und seinem Schwager bereitete, waren im ganzen Umkreis bekannt. Mehr als einmal hatte man den jungen Mann bereits angetrunken nach Hause gehen sehen. Er schien jeden Halt verloren zu haben.
»Wir haben uns ja schon so auf Mucky gefreut.« Anne beugte sich hinunter zu dem Spitz, kraulte ihn und befestigte das Halsband, das sie ebenfalls ihrer Tasche entnommen hatte. »Er wird es gut bei uns haben.«
»Da bin ich mir sicher«, erwiderte Andrea. »Rufen Sie mich doch bei Gelegenheit an und sagen Sie mir, wie es Mucky geht«, bat sie.
»Kommt zu uns kein Kontrolleur?« scherzte Daniel.
»Nein, denn immerhin gehören Sie und Ihre Frau zum Ausschuß des Tierschutzvereins.« Andrea brachte die beiden Försters zum Wagen. »Auf Wiedersehen, Mucky!« Sie beugte sich über den Spitz, der in Annes Armen lag, als würde er nie etwas anderes getan haben. »Laß es dir gutgehen.«
Mucky leckte mit seiner rosafarbenen Zunge über die Hand der jungen Frau, dann schmiegte er sich wieder in Annes Arm.
»Er weiß bereits, wo er hingehört«, meinte Daniel und öffnete für seine Frau den Wagenschlag. »Herzlichen Dank, Frau von Lehn. Bestellen Sie bitte Ihrem Gatten einen Gruß von uns.«
»Das werde ich tun.« Andrea tauschte mit Herrn und Frau Förster einen Handschlag.
Anne setzte sich mit Mucky auf den Beifahrersitz. Daniel schlug die Wagentür zu.
»Jetzt gehörst du uns«, sagte sie zu dem Spitz. »Zu Hause erwarten dich bereits ein wunderbares Körbchen, Spielzeug und ein sehr gutes Freßchen.« Zärtlich strich sie über Muckys weiches Fell.
Ihr Mann ließ sich neben sie auf den Fahrersitz fallen. Er warf Mucky einen liebevollen Blick zu, bevor er den Wagen startete. Kurz hob er noch einmal die Hand zum Gruß, dann konzentrierte er sich darauf, den Wagen zu wenden.
»Ich habe immer davon geträumt, eines Tages mit einem Kind heimzukehren«, sagte Anne gedankenvoll. Sie seufzte leise auf. »Ein Kind ist uns
versagt geblieben, aber jetzt bringen wir wenigstens einen Hund nach Hause.«
»Sei nicht traurig, Liebling.« Daniel ließ für einen Augenblick mit der rechten Hand das Steuer los und berührte Annes Arm.
»Bin ich nicht, wirklich nicht, Daniel«, erklärte Anne, doch etwas Wehmut schwang in ihrer Stimme mit. Sie dachte an das leere Kinderzimmer in ihrer Wohnung, das sie knapp ein Jahr nach ihrer Hochzeit mit viel Liebe eingerichtet hatten. Sie hob den Kopf und blickte ihren Mann von der Seite an. »Ich weiß, daß du nicht für eine Adoption bist, Daniel, aber könntest du nicht wenigstens noch einmal darüber nachdenken?«
»Ein fremdes Kind würde mir stets ins Bewußtsein rufen, daß es meine Schuld ist, daß wir keine Kinder haben«, erwiderte Daniel heftig.
»Das ist doch Unsinn, Daniel«, widersprach Anne heftig. »Du hattest an dem Unfall nicht die geringste Schuld. Der Fahrer des anderen Wagens ist betrunken gewesen.«
»Aber es war meine Idee, in die Berge zu fahren«, erklärte er.
*
Die Hände in den Hosentaschen vergraben, den Oberkörper leicht vorgebeugt, überquerte Hanno Fritz die Straße. Früher, als er noch Wert auf sein Aussehen gelegt hatte, war ihm der Blick manch einer Frau gefolgt, doch jetzt war er nachlässig gekleidet, und unter seinen stahlblauen Augen lagen tiefe Schatten. Er strich sich mit zwei Fingern durch seine schwarzen Haare, dann atmete er tief ein und schloß die Haustüre auf.
Mucky, der in seinem neuen Körbchen gelegen hatte, sprang auf den Teppichboden und rannte zur Wohnungstür. Er bellte laut, als er die Schritte auf der Treppe hörte.
»Ich nehme an, unser Sorgenkind kommt«, bemerkte Daniel. »Bin gespannt, was er zu unserem Familienzuwachs sagt.«
»Hanno hat Tiere immer gern gehabt, das weißt du doch, Daniel«, nahm Anne ihren Bruder in Schutz.
Im Schloß drehte sich ein Schlüssel. Hanno stieß die Tür auf und prallte zurück. Das Bellen hatte er zwar gehört, doch nicht mit einem Hund in Verbindung gebracht, der in der Wohnung hinter der Tür warten könnte. »Ach, du meine Güte«, stieß er hervor. »Wer ist denn das?«
Mucky knurrte und zog die Lefzen zurück.
»Laß das, Mucky, Hanno gehört zu uns!« Anne hob den Spitz hoch. »Er muß sich erst noch an dich gewöhnen.«
»Mußte ich ja auch«, murmelte Daniel im Hintergrund. Er quittierte den Blick, den seine Frau ihm zuwarf, mit einem Grinsen.
»Warum habt ihr euch denn einen Hund angeschafft?« fragte Hanno, aber es klang nicht unfreundlich. Er streckte die Hand aus und hielt sie vor Muckys Schnäuzchen. »Na, wollen wir Freundschaft schließen, Kleiner?«
Mucky blickte ihn mißtrauisch an, dann ließ er sich herab, die Hand zu beschnüffeln. Schließlich wedelte er sogar mit dem Schwanz. Anne setzte ihn auf den Boden. Sogleich sprang Mucky an Hanno hoch.
»Sieht aus, als wäre das Eis gebrochen«, meinte Daniel Förster. »Wir hatten dich heute morgen erwartet«, wandte er sich an seinen Schwager. »Jetzt ist es fast drei.«
»Es kam etwas dazwischen.« Hanno verschwand im Badezimmer.