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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Neben den alltäglichen Sorgen nimmt sie sich etwa des Schicksals eines blinden Pianisten an, dem geholfen werden muss. Sie hilft in unermüdlichem Einsatz Scheidungskindern, die sich nach Liebe sehnen und selbst fatale Fehler begangen haben. Dann wieder benötigen junge Mütter, die den Kontakt zu ihren Kindern verloren haben, dringend Unterstützung. Denise ist überall im Einsatz, wobei die Fälle langsam die Kräfte dieser großartigen Frau übersteigen. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Auf dem Nachttisch Alexander von Schoeneckers klingelte das Telefon. Schlaftrunken hob der Gutsbesitzer den Hörer ab und meldete sich. »Was ist?« flüsterte Denise. Sie richtete sich auf und schaltete das Licht ein. »Das ist ja furchtbar, Herr Kirsch«, sagte Alexander entsetzt. »Einen Moment bitte!« Er wandte sich zu seiner Frau um. »Der Hof der Richters ist bis auf die Grundmauern abgebrannt. Das Ehepaar Richter ist tot, nur die kleine Tochter konnte gerettet werden.« »Kann ich mit Herrn Kirsch sprechen?« Denises Hand zitterte, als sie zum Hörer griff. »Ist die Kleine verletzt, Herr Kirsch?« fragte sie. »Verletzt nicht, aber sie hat einen Schock. Frau Doktor Frey hat sich bereits um sie gekümmert. Kann Janina in Sophienlust aufgenommen werden?« »Selbstverständlich«, erwiderte Denise.
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Seitenzahl: 150
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Als die Sonne sich im Osten über die karstige Spitze des Bacher schob, lag das schmale Seitental noch im dichten Nebel. Leise und weit entfernt drang das kratzige Lied eines Rotschwanzes durch den Dunst wie eine verlorene, vergessene Melodie. So erschien es Alexander von Jost jedenfalls in seiner weltabgeschiedenen Einsamkeit. Der ehemalige Diplomat seufzte. Wie war es nur dazu gekommen, wie hatte er sich in eine solch verflixte Lage bringen können? Noch immer erschien ihm seine Situation wie ein schlechter Traum. Er öffnete den Reißverschluss seiner Wetterjacke, denn mit der steigenden Sonne wurde es allmählich wärmer. Er hatte eine empfindlich kalte Oktobernacht hinter sich und fühlte sich völlig steifgefroren. Doch es empfahl sich nicht unbedingt, dies mittels einiger Freiübungen zu ändern. Sein verstauchter Fuß war nicht zu gebrauchen, stark angeschwollen und schmerzte bei der kleinsten Bewegung höllisch. Der schlanke, große Mann mit den klaren, rehbraunen Augen blickte sich aufmerksam um. Der Nebel löste sich allmählich auf, Konturen wurden sichtbar, das Vogelkonzert intensivierte sich. Die Lärchen am gegenüberliegenden Berghang leuchteten in tiefem Gold, dazwischen das intensive Grün der Bergkiefern. Graues Geröll, das sich im Bachbett am Fuß des Hanges fortsetzte, bildete dazu einen aparten Kontrast. Die Natur in den schmalen und oft abgelegenen Tälern rund um den Wörthersee hatte auch im Herbst ihren besonderen Reiz. Aus diesem Grund war er am Vortag zu einer längeren Wanderung gestartet, einem gut beschilderten Steig gefolgt und allmählich wieder mit sich selbst und der Welt in Einklang gekommen. Doch er hatte sich verschätzt, was die Entfernungen anging. Und er hatte nicht berücksichtigt, wie früh die Sonne im Oktober sank und die Dämmerung kam. An einer unübersichtlichen Stelle war er im abendlichen Zwielicht gestolpert und einen Hang hinabgestürzt. Nachdem Alexander den ersten Schrecken überwunden hatte, war ihm bewusst geworden, dass er seinen rechten Fuß nicht benutzen konnte.
Auf dem Nachttisch Alexander von Schoeneckers klingelte das Telefon. Schlaftrunken hob der Gutsbesitzer den Hörer ab und meldete sich.
»Was ist?« flüsterte Denise. Sie richtete sich auf und schaltete das Licht ein.
»Das ist ja furchtbar, Herr Kirsch«, sagte Alexander entsetzt. »Einen Moment bitte!« Er wandte sich zu seiner Frau um. »Der Hof der Richters ist bis auf die Grundmauern abgebrannt. Das Ehepaar Richter ist tot, nur die kleine Tochter konnte gerettet werden.«
»Kann ich mit Herrn Kirsch sprechen?« Denises Hand zitterte, als sie zum Hörer griff. »Ist die Kleine verletzt, Herr Kirsch?« fragte sie.
»Verletzt nicht, aber sie hat einen Schock. Frau Doktor Frey hat sich bereits um sie gekümmert. Kann Janina in Sophienlust aufgenommen werden?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Denise. »Wir kommen sofort! Wo ist das Kind jetzt?«
»Bei einem Nachbarn. Die Ärztin hat ihr eine Spritze gegeben, sie schläft jetzt. Frau Doktor Frey hätte Sie selbst angerufen, aber sie muß bei einigen Verletzten Erste Hilfe leisten.«
»Wir sind in zwanzig Minuten bei Ihnen, Herr Kirsch«, versprach Denise erschüttert. Sie fühlte, wie eine Gänsehaut über ihren Rücken lief.
»Das ist nicht notwendig, wir bringen Ihnen Janina nach Sophienlust. Frau Doktor Frey meinte, es sei besser, das Kind sofort wegzubringen. Es soll das zerstörte Elternhaus vorläufig nicht mehr sehen.«
»Ja, das ist richtig!« Denise wechselte noch einige Worte mit dem Polizeimeister, dann legte sie auf. Sie sah, daß sich ihr Mann bereits angezogen hatte.
»Ich fahre zum Hof der Richters. Vielleicht kann ich noch irgendwie helfen«, sagte er.
»In Ordnung!«
Alexander beugte sich über seine Frau und küßte sie auf die Stirn. »Bis später, Liebling!« Rasch verließ er das Schlafzimmer. Denise hörte seine Schritte auf der Treppe, während sie in Sophienlust anrief, damit alles für Janinas Ankunft vorbereitet wurde.
Keine zehn Minuten später verließ Denise ebenfalls den Raum. Leise, um ihre Söhne nicht zu wecken, wollte sie die Treppe hinuntersteigen. Sie hatte gerade die erste Stufe betreten, als sich die Tür von Henriks Zimmer öffnete.
»Was machst du denn, Mutti?«
Denise drehte sich um. Ihr jüngster Sohn stand im Schlafanzug auf der Schwelle und rieb sich verschlafen die Augen. »Ich muß weg, Henrik, bis zum Frühstück bin ich aber bestimmt zurück.«
»Ist was passiert?«
»Ja, auf dem Richterhof hat es gebrannt.«
»Da gehört doch die Janina hin«, rief der Neunjährige erschrocken aus. »Ist ihr etwas passiert?«
»Nein!« Denise ging zu ihrem Sohn und fuhr ihm durch die Haare. »Und nun mach, daß du wieder ins Bett kommst, Sohnemann. Ich habe es eilig.«
»Gut, Mutti!« Henrik schlang seine Arme um Denises Hals, dann gab er sie frei und kehrte in sein Zimmer zurück.
»Schlaf gut, Henrik«, wünschte Denise. Sie schloß die Tür und huschte leise die Treppe hinunter.
Von Gut Schoeneich nach Sophienlust war es nicht weit. Die große Uhr in der Halle schlug zwei, als Denise von Schoenecker das Kinderheim betrat. Else Rennert und Schwester Regine kamen ihr entgegen. Sie hatten über ihre Nachthemden Morgenröcke gezogen.
»Ich habe für die Kleine ein Bett in mein Zimmer gestellt«, sagte die Kinderschwester. »Bezogen ist es auch bereits.« Fröstelnd zog sie den Bademantel enger zusammen. »Bei dem Gedanken an das Schicksal von Janinas Eltern wird es mir richtig kalt.«
»Es ist auch furchtbar«, erwiderte Denise. Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Augenblick hörte man draußen einen Wagen vorfahren. Sie öffnete das Portal. »Polizeimeister Kirsch!« rief sie den beiden Frauen zu und stieg die Freitreppe hinunter.
Der Beamte, ein in Wildmoos und seiner Umgebung sehr beliebter Mann, öffnete die Fondtür, beugte sich in den Wagen und nahm ein in eine braune Decke gehülltes Bündel heraus. Vorsichtig trug er es zur Freitreppe.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte Denise.
»Nein, nein, Frau von Schoenecker, das schaffe ich schon allein.« Herr Kirsch umklammerte das Bündel etwas fester. »Ich bin froh, daß sie schläft, das arme Würmchen.«
»Ich gehe voraus, Herr Kirsch«, sagte Schwester Regine und stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf.
Regine Nielsen bewohnte eines der größten Zimmer in der ersten Etage.
»Soll ich die Kleine gleich ins Bett legen?« fragte der Polizeimeister. Mit dem Kopf wies er zu dem Klappkinderbett.
»Nein, legen Sie sie bitte auf mein Bett«, bat die Kinderkrankenschwester. »Wenn sie aufwacht, soll sie nicht gleich den Brandgeruch in der Nase haben, deshalb werde ich ihr einen anderen Schlafanzug anziehen.«
Der Beamte legte Janina behutsam auf Schwester Regines Bett. Die braune Decke fiel auseinander. Die Erwachsenen blickten auf ein etwa
sechsjähriges Mädchen mit kurzen blonden Haaren. Es trug einen rosafarbenen Frotteeschlafanzug. Der leichte Rauchgeruch, mit dem Herr Kirsch umgeben war, verstärkte sich.
»Armes Würmchen«, wiederholte der Polizeimeister. Er berührte kurz Janinas Wange. Die Kleine regte sich im Schlaf. Erschrocken zog er die Hand zurück.
»Brauchen Sie mich noch, Schwester Regine?« erkundigte sich Denise.
»Nein!« Die Frau schüttelte den Kopf.
»Bevor ich nach Schoeneich zurückfahre, sehe ich noch einmal nach ihr«, versprach Denise. »Müssen Sie gleich wieder gehen, oder haben Sie noch etwas Zeit, Herr Kirsch? Ich hätte gern mit Ihnen einige Worte gesprochen.«
»Eine Tasse Kaffee könnte ich vertragen«, sagte der Angesprochene ehrlich. »Das heißt, wenn es Ihnen nicht zuviel Mühe macht.«
»Ich brühe ihn schnell selbst auf. Unsere Köchin möchte ich nicht wecken«, meldete sich nun die Heimleiterin, Else Rennert, zu Wort.
Denise von Schoenecker und Herr Kirsch gingen in das gemütliche Empfangszimmer hinunter. Denise von Schoenecker bot dem Polizeimeister Platz an. Dankbar setzte er sich und streckte die Beine erschöpft von sich. »Das ist vielleicht eine Nacht«, meinte er. »Nicht einmal die Feuerwehr von Maibach konnte etwas ausrichten. Zuletzt ging es nur noch darum, die Nachbargehöfte zu schützen.«
»Weiß man schon, warum das Feuer ausgebrochen ist?« fragte Denise.
»Nein, bisher noch nicht«, erwiderte der Beamte. »Vielleicht ein Kurzschluß. Das Haus der Richters war schon sehr alt. Die elektrischen Leitungen sind alle schon vor Jahrzehnten gelegt worden. Brandstiftung scheidet meiner Meinung nach aus. Es sei denn, ein krankhafter Brandstifter wäre am Werk gewesen, aber so etwas ist bei uns ja schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen.«
»Trotzdem nicht auszuschließen«, meinte Else Rennert. Sie brachte den Kaffee und stellte das Tablett auf den Schreibtisch. Geschickt schenkte sie ein. »Bitte, Herr Kirsch!« Sie reichte dem Polizeimeister eine Tasse.
»Danke!« Herr Kirsch nippte an seinem Kaffee. »Das tut gut!« Er nahm erneut einen Schluck und lehnte sich wieder zurück. »Scheinbar ist das Feuer lange nicht entdeckt worden, in den Nachbargehöften hat man jedenfalls nichts gemerkt. Erst gegen elf Uhr ist eine Frau darauf aufmerksam geworden. Sie war mit dem Hund draußen und hat Rauch gesehen. Kurze Zeit später wurde das Hoftor aufgebrochen. Aus den untersten Fenstern schlugen bereits die Flammen. Da der Hof von einer hohen Mauer umgeben ist, hat man sie vorher nicht gesehen.«
»Sind die Richters verbrannt?« erkundigte sich Denise.
»Nein, sie sind am Rauch erstickt. Janinas Zimmer lag über dem ihrer Eltern. Die Feuerwehrleute, die durch ihr Fenster in das Haus eindrangen, fanden sie starr vor Entsetzen im Treppenhaus vor.« Polizeimeister Kirsch holte tief Luft. »Sie hat bisher noch kein Wort gesprochen und auch nicht geweint. Sie hat uns, bevor sie einschlief, nur mit großen Augen angesehen.«
»Gab es Mägde und Knechte auf dem Hof?« erkundigte sich Denise von Schoenecker. Sie hatte die Richters nie persönlich kennengelernt. Der Besitz lag rund fünf Kilometer von Wildmoos entfernt. Janina besuchte die erste Klasse der Wildmooser Volksschule.
»Sie hatten eine Magd und zwei Knechte, die aber nicht auf dem Hof wohnten. Sie leben bei ihren Familien in Bachenau und Wildmoos«, erwiderte Herr Kirsch. »Ich weiß nicht einmal, ob die Richters Verwandte haben. In der Umgebung jedenfalls nicht.«
»Das werden wir morgen früh herausfinden«, meinte Denise. »Wichtig ist vor allen Dingen jetzt erst einmal das Mädchen. Wir müssen ihm über die ersten schwierigen Tage hinweghelfen.«
»Es wird nicht leicht sein«, meinte der Beamte. Er stand schwerfällig auf. »Für mich wird es Zeit, danke für den Kaffee!«
Die beiden Frauen brachten ihn zum Wagen. Sie warteten, bis er Sophienlust verlassen hatte, bevor sie ins Haus zurückkehrten. Lautlos stieg Denise die Treppe zum ersten Stock hinauf, um noch einmal nach Janina zu sehen.
*
»Terry, komm, ich habe heute morgen noch anderes zu tun, als dir ständig nachzulaufen.« Cornelia Strieter, eine junge Frau von fünfundzwanzig, schwang die Hundeleine, die sie in der rechten Hand hielt. Wie ein Blitz schoß ein kleiner Terrier aus einem Gebüsch auf sie zu. Begeistert sprang er an ihr hoch.
»Du Unikum, du!« Cornelia streichelte seinen Kopf, dann machte sie die Leine an dem Halsband fest. »Sollst du immer so lange wegbleiben? Zu Hause wartet jede Menge Arbeit auf Frauchen.«
Terry bellte und leckte ihr rasch über die Hand.
»Pfui, du Ferkel! Tu nicht so, als ob du mich verstanden hättest.«
»Wuw!« Das Tier wedelte mit dem Schwanz.
»Was sollte ich nur ohne dich machen«, meinte Cornelia. »Komm, gehen wir nach Hause. Wenn du brav bist, werde ich mich vielleicht erweichen lassen und dir von den Büffelhautknochen geben, die ich gestern gekauft habe.«
Das Wort »Knochen« hatte Terry verstanden. Er begann an seiner Leine zu zerren. Plötzlich konnte es ihm nicht schnell genug gehen.
Cornelia Strieter lebte in einem Mehrfamilienhaus am Stadtrand Maibachs. Das Wäldchen, in dem sie mehrmals täglich mit Terry spazieren ging, befand sich etwa zweihundert Meter davon entfernt. Um diese frühe Stunde begegneten ihnen nur selten andere Leute. Es kam höchstens einmal vor, daß ein Jogger ihren Weg kreuzte.
Im Haus war es noch ruhig, als sie zurückkam. Die meisten Bewohner standen erst um sechs Uhr auf. Leise stiegen sie die Treppe zum dritten Stock hinauf.
Vergnügt jagte Terry vor seinem Frauchen die letzte Treppe hinauf.
Cornelia schloß ihre Wohnungstür auf. Die Zeitung, die sie im Vorbeigehen aus ihrem Briefkasten geholt hatte, legte sie auf die Flurgarderobe.
Terry schoß in die Küche. Kläffend blieb er vor dem Schrank sitzen, in dem die Büffelhautknochen waren. Als Cornelia ihm nicht schnell genug folgte, begann er, an der Schranktür zu kratzen.
»Still, Terry!« Die junge Frau drohte mit dem Finger.
Das Tier hockte sich wie ein Häufchen Elend auf seine Hinterpfoten. Traurig blickte es zu ihr auf.
»Schon gut.« Sie nahm einen Knochen aus der Packung und gab ihn ihm. Sofort verzog sich Terry damit ins Wohnzimmer hinter die Couch.
Cornelia begann aufzuräumen. Da sie allein lebte, war nicht viel zu tun. Dann setzte sie Kaffeewasser auf und machte ihr Frühstück. Um halb neun Uhr erwartete sie die Besitzerin einer Boutique, für die sie ab und zu exklusive Kinderkleidung nähte.
Sie saß bereits an der Nähmaschine in ihrem Arbeitszimmer, als es klingelte. Terry schoß hinter der Couch hervor und jagte in den Flur. Kläffend baute er sich vor der Tür auf.
»Terry, still!« Cornelia drückte auf den Türöffner. Wenig später hörte sie Schritte auf der Treppe. Sie klinkte die Wohnungstür auf. »Sie, Herr Baumgart?« rief sie überrascht aus. Terry, der neben ihr stand, knurrte und zog die Lefzen zurück.
»Nehmen Sie erst mal den Hund weg, Fräulein Strieter.« Dieter Baumgart trat einen Schritt zurück.
»Er tut Ihnen nichts.«
»Das sieht mir aber nicht danach aus.«
»Terry, marsch in die Küche!« befahl Cornelia. Erleichtert atmete sie auf, als der Hund ihr sofort folgte. »Bitte, Herr Baumgart!« Die junge Frau machte eine einladende Handbewegung.
»Nehmen Sie bitte Platz. Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
»Nein, danke!« Der Mann setzte sich auf die Couch. »Als ich Ihnen vor zwei Jahren diese Wohnung vermietete, unterschrieben Sie einen Vertrag, in dem Hundehaltung ausdrücklich untersagt wird.«
»Terry stört doch keinen«, erwiderte Cornelia erschrocken. Sie hatte sich schon gedacht, daß es sich wieder einmal um ihren Hund handelte.
»Das meinen Sie!« Dieter Baumgart blickte sie an. »Wenn ich an das Bellkonzert denke, mit dem ich empfangen wurde, kann ich mir alles Weitere ausmalen. Falls Ihr Hund jedesmal so einen Krach macht, wenn es bei Ihnen klingelt, ist es kein Wunder, daß sich die Nachbarn beschweren.«
Der Hauswirt legte die Hände mit gespreizten Fingern auf seine Knie. »Um Sie nicht länger als nötig aufzuhalten, Fräulein Strieter, möchte ich nur das eine sagen: Der Hund muß weg!«
»Nein!«
»Ich will mich nicht mit Ihnen streiten. Als Sie vor sechs Monaten kamen und wegen des Hundes anfragten, sagte ich Ihnen gleich, daß es nur vorübergehend sein kann. Wollten Sie sich nicht nach einem neuen Herrchen für ihn umsehen?«
»Ja«, gab Cornelia zu. »Ich habe auch eine Anzeige in die Zeitung gesetzt, aber es hat sich niemand gemeldet. Und dann gewann ich das Tierchen so lieb, daß ich ihn einfach nicht mehr hergeben konnte.«
»Es wird Ihnen aber nichts anderes übrigbleiben, Fräulein Strieter.«
»Ich werde mich nicht von ihm trennen«, sagte die junge Frau entschlossen.
»An Ihrer Stelle würde ich mir das sehr genau überlegen. Sollten Sie auf Ihren Standpunkt beharren, würde ich mich leider gezwungen sehen, Ihnen die Wohnung zu kündigen.«
»Bitte, Herr Baumgart, das steht Ihnen frei«, erwiderte Cornelia, obwohl sie sich schon jetzt fragte, wo sie so schnell eine neue Wohnung finden sollte.
»Fräulein Strieter, bitte seien Sie vernünftig«, bat Dieter Baumgart. »Dieser Hund ist Ihnen zugelaufen, er kann Ihnen doch nicht wichtiger sein als die Wohnung.«
»Terry ist mir wichtiger, Herr Baumgart! Er und ich werden schon ein neues Zuhause finden.«
»Sie müssen wissen, was Sie tun.« Herr Baumgart stand auf. »Noch haben Sie Zeit, darüber in Ruhe nachzudenken. Geben Sie Terry in ein Tierheim, dort wird man sich um ihn kümmern.«
»So etwas kann nur jemand sagen, der kein Herz für Tiere hat.« Cornelia brachte ihren Vermieter zur Tür. »Auf Wiedersehen, Herr Baumgart.«
»Auf Wiedersehen, Fräulein Strieter. Meine Telefonnummer kennen Sie, falls Sie es sich doch noch anders überlegen sollten.«
Energisch schloß Cornelia die Tür hinter ihm. Terry kam aus der Küche getippelt. Er sah zu ihr auf. »Jetzt haben wir den Salat, Terry.« Sie beugte sich zu ihm hinunter und kraulte ihn. »Wo sollen wir so schnell einen neuen Vermieter finden?« Sie richtete sich seufzend auf. »Es liegt nicht allein an deinem Bellen, Terry, die Müllers hatten schon immer etwas gegen mich.«
Sie ging in die Küche, um die Zeitung aus der Papierkiste zu holen. Jetzt hieß es, die Anzeigen studieren. Cornelia brühte sich eine zweite Tasse Kaffee auf und setzte sich, das Lokalblatt in der Hand, an den Tisch.
*
Janina Richter schlug die Augen auf. Sie starrte zu der weißen Decke hinauf. Ihre Hände tasteten über das Leintuch. Es dauerte einige Sekunden, bis ihr bewußt wurde, daß sie nicht in ihrem eigenen Bett lag. Sie richtete sich auf und blickte sich im Zimmer um.
»Mama!« rief sie leise. Niemand antwortete ihr. Schwester Regine hatte gerade für einen Augenblick das Zimmer verlassen.
Das Mädchen rieb sich die Augen. Bestimmt war sie mit ihren Eltern weggefahren. Sie erinnerte sich daran, daß sie mit ihr schon lange einmal zu den bayerischen Königsschlössern fahren wollten. Ob sie in einem Schloß war? Sicher würde gleich die Mama kommen.
Die Kleine legte sich zurück und schloß die Augen. Plötzlich sah sie wieder die Flammen. Die Treppe brannte. Das Feuer kam immer näher. Gellend schrie sie auf.
Schwester Regine stürzte ins Zimmer. Janina schrie und schrie. Die Hände hatte sie vor die Augen gepreßt.
»Es ist alles gut, Kleines, es ist alles gut.« Sie hob das Kind aus dem Bett und setzte sich mit ihm in einen Sessel. Liebevoll wiegte sie es. Leise ging die Tür auf. Heidi Holsten, das jüngste der Dauerkinder in Sophienlust, stand auf der Schwelle. »Haben wir ein neues Kind?« fragte sie entgeistert.
Regine Nielsen antwortete nicht. Sie war damit beschäftigt, Janina zu trösten. Unablässig flüsterte sie der Kleinen Koseworte zu.
»Wer ist das?« Heidi war ins Zimmer gekommen. Sie deutete mit dem Zeigefinger auf Janina. »Warum schreit sie so? Tut ihr was weh?«
Die Kinderschwester hob den Kopf. »Später, Heidi, sei jetzt ein liebes Mädchen und geh wieder hinaus. Im Speisesaal wartet sicher längst das Frühstück auf dich.«
Heidi zögerte, dann nickte sie. »Gut, Schwester Regine«, sagte sie. »Aber du mußt mir nachher erzählen, warum sie so geschrien hat.«
Die junge Frau kümmerte sich nicht länger um Heidi. »Es ist alles gut, Janina, du brauchst keine Angst mehr zu haben«, flüsterte sie der Kleinen zu. »Du bist jetzt bei uns, niemand wird dir etwas tun.«