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Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. »Wie gedenken Sie den heutigen Abend zu verbringen, Monsieur Hollstein?« erkundigte sich Pierre Carot. Er klappte seine Aktenmappe zu. »Monsieur Brown und Mademoiselle Fischer haben einen Ausflug nach Monte Carlo geplant. Ich werde mich ihnen auf jeden Fall anschließen. Wenn Sie mitfahren wollen, sind Sie uns herzlich willkommen.« Thorsten Hollstein ahnte, daß dieser Ausflug wieder im Spielkasino enden würde. Er hatte für Glücksspiele noch nie etwas übriggehabt. Freundlich lehnte er ab. »Ich brauche dringend Entspannung, und die finde ich am besten draußen am Strand«, sagte er. »Vielleicht werde ich später auch noch etwas lesen, aber spätestens um zwölf werde ich dann wohl im Bett liegen.« Pierre Carot lachte. »Also werden Sie sich einige gemütliche Stunden machen, wie man bei Ihnen in Deutschland sagt. Nein, das ist nichts für mich! Seit dem frühen Vormittag waren wir in diesem muffigen Raum eingesperrt, und ich sehne mich jetzt nach einer anderen Atmosphäre. Zudem möchte ich meinen gestrigen Verlust wieder wettmachen. Mal sehen, vielleicht gelingt es mir!« Er fuhr sich durch die welligen schwarzen Haare. »Auch wenn Sie sich nicht am Spiel beteiligen wollen, könnten Sie mit uns mitfahren, Monsieur Hollstein.
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Seitenzahl: 153
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»Wie gedenken Sie den heutigen Abend zu verbringen, Monsieur Hollstein?« erkundigte sich Pierre Carot. Er klappte seine Aktenmappe zu. »Monsieur Brown und Mademoiselle Fischer haben einen Ausflug nach Monte Carlo geplant. Ich werde mich ihnen auf jeden Fall anschließen. Wenn Sie mitfahren wollen, sind Sie uns herzlich willkommen.«
Thorsten Hollstein ahnte, daß dieser Ausflug wieder im Spielkasino enden würde. Er hatte für Glücksspiele noch nie etwas übriggehabt. Freundlich lehnte er ab. »Ich brauche dringend Entspannung, und die finde ich am besten draußen am Strand«, sagte er. »Vielleicht werde ich später auch noch etwas lesen, aber spätestens um zwölf werde ich dann wohl im Bett liegen.«
Pierre Carot lachte. »Also werden Sie sich einige gemütliche Stunden machen, wie man bei Ihnen in Deutschland sagt. Nein, das ist nichts für mich! Seit dem frühen Vormittag waren wir in diesem muffigen Raum eingesperrt, und ich sehne mich jetzt nach einer anderen Atmosphäre. Zudem möchte ich meinen gestrigen Verlust wieder wettmachen. Mal sehen, vielleicht gelingt es mir!« Er fuhr sich durch die welligen schwarzen Haare. »Auch wenn Sie sich nicht am Spiel beteiligen wollen, könnten Sie mit uns mitfahren, Monsieur Hollstein. Ich kenne auf dem Weg nach Monaco ein Restaurant, da...« Er verdrehte die Augen.
»Herzlichen Dank, Monsieur Carot, aber nicht einmal das beste Restaurant lockt mich heute abend aus Nizza fort!« Thorsten schmunzelte. »Aber wie wäre es, wenn Sie mich an den Strand hinunter begleiten würden – statt nach Monte Carlo zu fahren?«
Pierre Carot schüttelte so heftig den Kopf, daß seine Haare nach allen Seiten flogen. »Danke, aber die Zeit, die ich an der Cóte d’ Azur bin, möchte ich nutzen. Und wo könnte ich das besser, als im Casino von Monte Carlo?« Lachend griff er nach seiner Aktenmappe.
Die beiden Männer verließen den Konferenzraum. Während sich der kleine drahtige Franzose der Bar zuwandte, ging Thorsten zum Rezeptionstresen. »Ist Post für mich gekommen?« fragte er auf französisch.
Der Portier reichte ihm zwei Briefe und den Zimmerschlüssel.
»Und dann war da noch ein Anruf von Madame Hollstein aus Maibach«, sagte er. »Sie möchten bitte zurückrufen.«
»Merci bien!« Thorsten nickte ihm zu. Schlüssel und Post in der Hand, durchquerte er die Halle und blieb vor den Aufzügen stehen. Während er auf den Lift wartete, riß Thorsten ungeduldig den ersten Brief auf. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er die ungelenken Buchstaben sah, die den Briefbogen bedeckten. Tiefe Sehnsucht nach seinem kleinen Sohn ergriff ihn.
Etwas später schloß der junge Mann sein Zimmer auf. Erleichtert ließ er die Tür hinter sich zufallen und schlüpfte aus den unbequemen Schuhen. Auf Strümpfen lief er zum Fenster, um die Aussicht über Park und Strand zu genießen, dann griff er wieder nach dem Brief, den er auf einem Tischchen abgelegt hatte. Tobias ging noch nicht zur Schule, doch im Kindergarten hatte er bereits etwas schreiben gelernt.
Thorsten mußte sich gewaltsam von dem Brief losreißen. Er meldete ein Gespräch nach Deutschland an, dann schlüpfte er aus seinem Geschäftsanzug und zog einen Bademantel über. Als das Telefon klingelte, setzte er sich in den danebenstehenden Sessel und lehnte sich bequem zurück.
Die Sonne war schon untergegangen, als Thorsten Hollstein das Hotel verließ und zum Strand hinunterging. Die Familien waren dabei, ihre Badesachen zusammenzupacken.
Lachend rannten die Kinder durch den Sand. Etwas abseits entdeckte er ein Pärchen, das Arm in Arm an einem Felsen lehnte und den Blick auf das Meer genoß, das plätschernd ans Ufer schlug. Von irgendwoher klang Musik.
Thorsten zog seine Sandalen aus und lief durch das seichte Wasser am Strand entlang. Ab und zu grub er seine Zehen tief in den Sand. Als er einen kleinen blonden Jungen sah, mußte er wieder an seinen Sohn denken. Er wünschte, Tobias hätte jetzt bei ihm sein können. Wie hätte der Kleine das alles hier genossen!
Bald lag der belebte Teil des Strandes hinter ihm. Ein Park tauchte auf, dessen Bäume fast bis zum Wasser hinunterreichten. Ein betäubender Duft nach Myrte und Lavendel hüllte ihn ein, als er seinem Lieblingsplatz, einer Steinbank unter einem Mandelbaum, zustrebte. Genußvoll lehnte er sich zurück und blickte auf das Meer. In weiter Ferne konnte er die Lichter einer kleinen Jacht ausmachen. Es war so ruhig, daß er das Zirpen der Insekten hören konnte.
Plötzlich wurde die friedvolle Stille von einem Schrei unterbrochen. Thorsten sprang auf. Er drehte sich um. Wieder schrie jemand auf. Es klang wie der Schrei einer Frau. Schnell drang er in den Park ein. Die Zweige peitschten sein Gesicht, aber er spürte es kaum. Bis zum äußersten angespannt, bewegte er sich in die Richtung, aus der er die Schreie gehört hatte.
Halblaute, französische Worte drangen an sein Ohr. Sie waren jedoch so leise, daß er sie nicht verstehen konnte. Vorsichtig bog er die Zweige eines Lorbeerstrauches beiseite und blickte auf eine kleine Lichtung. Zwei Männer beugten sich über eine Frau. Einer hielt sie fest, während sich der andere an ihrer Kleidung zu schaffen machte. Verzweifelt versuchte die Frau, sich zu wehren.
Mit einem wütenden Aufschrei stürzte Thorsten auf die Lichtung. Erschrocken ließen die Männer von ihrem Opfer ab und flüchteten. Er überlegte, ob er ihnen nachrennen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Er trieb zwar viel Sport, aber mit zwei Halunken mochte er es doch nicht aufnehmen. Wichtiger war es, sich um ihr Opfer zu kümmern.
»Das war knapp«, meinte er und wandte sich der jungen Frau zu, die mühsam auf die Füße kam. Er reichte ihr die Hand. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?« In der Aufregung hatte er deutsch gesprochen, jetzt wechselte er ins Französische und stellte dieselbe Frage noch einmal.
»Danke, das war Hilfe in letzter Minute!« Die junge Frau schenkte ihm ein leicht verlegenes Lächeln, während sie sich bemühte, ihre Kleidung in Ordnung zu bringen.
»Oh, Sie sprechen ja Deutsch!« rief Thorsten erfreut aus.
»Ich komme aus Stuttgart«, erwiderte sie. »Ich verbringe hier nur meinen Urlaub.« Sie bückte sich nach ihrer Handtasche. »Man sollte eben nach Einbruch der Dunkelheit keine einsamen Orte mehr aufsuchen. Ich hatte selber schuld!«
»Aber wer rechnet denn auch mit so etwas«, meinte Thorsten. Er stellte sich vor. »Maibach ist gar nicht so weit von Stuttgart entfernt. Allerdings bin ich geschäftlich in Nizza. Mein Urlaub liegt noch vor mir!«
Die junge Frau hatte sich wieder gefangen. »Ich heiße Marion Wörner«, sagte sie. »Würden Sie mich wohl bis zur Straße begleiten? Ich wohne im Nizza-Park-Hotel.«
»Wenn das kein Zufall ist!« Thorsten lachte. »Da wohne ich auch... Sagen Sie, haben Sie schon gegessen? Ich für meinen Teil könnte einen halben Ochsen verspeisen.«
Marion zögerte, dann erwiderte sie: »So, wie ich im Moment aussehe, kann ich bestimmt nicht in ein Lokal gehen.«
»Also ich finde, Sie könnten gar nicht besser aussehen«, stellte Thorsten fest. »Hier ganz in der Nähe gibt es ein kleines Gartenrestaurant, das man auch in Freizeitkleidung betreten kann. Ich würde Sie gern einladen. Auf den Schrecken hin haben wir uns doch zumindest ein Glas Wein verdient!«
Marion zauderte noch immer. Sie sah Thorsten an. Trotz der schlechten Beleuchtung konnte sie erkennen, daß er etwa sechsunddreißig Jahre alt war, schwarze Haare und braune Augen hatte. Sein markantes Gesicht machte auf sie einen äußerst sympathischen Eindruck. Hinzu kam, daß er sie immerhin vor einer Vergewaltigung gerettet hatte.
»Danke, ich nehme Ihre Einladung gern an«, antwortete sie schließlich.
»Sie brauchen sich mir aber nicht verpflichtet fühlen.«
»Nun, Sie waren schließlich mein Retter in der Not«, entgegnete Marion mit einem kleinen Lachen. »Aber davon abgesehen, meldet sich jetzt auch bei mir der Magen. Also, worauf warten wir noch?«
Gemeinsam verließen sie den menschenleeren Park. Erst als sie auf die Uferpromenade hinaustraten, begegneten ihnen wieder Leute. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erhoben sich die großen Hotels. Portiers standen vor ihren Eingängen, liefen diensteifrig herbei, wenn ein Wagen vorfuhr, verbeugten sich.
»Was hat Sie nach Nizza geführt?« fragte Thorsten. »Ich will ehrlich sein, für meinen Urlaub würde ich mir ein ruhigeres Plätzchen aussuchen.«
Marion schreckte aus ihren Gedanken auf. »Ich mir an und für sich auch«, gestand sie. »Ich habe diesen Urlaub in einem Preisausschreiben gewonnen. Eigentlich hatte ich ihn mir auszahlen lassen wollen, denn mit dem Geld hätte ich auch irgendwo anders einen herrlichen Urlaub machen können, aber meine Eltern waren dagegen. Sie meinten, ich könnte ruhig einmal ein bißchen Luxus genießen.«
»Also habe ich es Ihren Eltern zu verdanken, daß ich Sie kennenlernen durfte, Fräulein Wörner«, stellte Thorsten fest. Er fühlte sich in der Gesellschaft der jungen Frau außerordentlich wohl. Sie erschien ihm ganz anders als die Frauen, die er bisher kennengelernt hatte. Seine geschiedene Frau eingeschlossen. Daß sie ihm von dem Preisausschreiben erzählt hatte, gefiel ihm. Immerhin hätte sie auch versuchen können, ihm vorzumachen, daß sie zum Jet-Set gehörte.
»Mehr oder weniger«, gab Marion zu. »Sie sind sowieso der Meinung, daß ich zu wenig unter Menschen komme. Dabei stimmt das gar nicht! Wir besitzen einen Buchladen auf der Königsstraße. Da...« Sie unterbrach sich und fragte sich verblüfft, warum sie das alles einem wildfremden Mann erzählte.
»Da ist schon das Restaurant!« Thorsten wies auf ein rosafarbenes Bauwerk, das inmitten eines prächtigen Gartens lag. Eine steile Treppe führte von der Straße aus hinunter. Er bot Marion seinen Arm, und ohne Zögern nahm sie ihn.
Im Garten duftete es nach Rosmarin und Oleander. Die Äste eines Johannisbrotbaums reichten bis über den kleinen Tisch, an dem sie saßen. Zwischen den Blättern hing eine kleine Lampe, deren weiches Licht die Umgebung verzauberte.
Thorsten griff nach seinem Weinglas. Wie hübsch dieses Mädchen ist, dachte er. Halblange blonde Locken umrahmten Marions zartes Gesicht wie ein kostbares Gemälde. In ihren blauen Augen spiegelte sich das Licht. »Trinken wir auf diesen Abend«, schlug er vor.
Marion hob ihr Glas. »Und auf den Erfolg Ihrer Geschäfte!« fügte sie hinzu.
»Danke, das ist lieb von Ihnen!« Thorsten stieß leicht mit ihr an. »Wäre schlimm, wenn ich meinem Chef gestehen müßte: außer Spesen nichts gewesen!«
»Was machen Sie beruflich?«
»Ich bin Prokurist und vertrete hier auf einer Fachtagung meine Firma«, erwiderte Thorsten. »Natürlich versuche ich dabei auch, neue Geschäftsverbindungen zu knüpfen.« Er seufzte leise auf. »So eine Tagung ist ein ziemlicher Streß. Wir fangen gewöhnlich morgens gegen halb zehn Uhr an und können froh sein, wenn wir gegen sechs, halb sieben fertig sind. Da bleibt nicht viel Zeit für private Interessen.«
»Das kann ich mir denken«, sagte Marion. Sie setzte ihr Glas ab. Ein Kellner stellte einen Teller mit dem Vorgericht auf ihren Platz. »Merci.« Sie nickte ihm zu und wandte sich dann wieder Thorsten zu. »Haben Sie Kinder?«
»Einen kleinen Sohn, er heißt Tobias und ist sechseinhalb Jahre alt«, erzählte der junge Mann. Er ließ sein Besteck sinken und griff nach seiner Brieftasche. »Das ist er.« Stolz reichte er ihr ein Foto über den Tisch. »Mögen Sie Kinder?«
»Ja, sehr«, erwiderte Marion und betrachtete das Foto. »Er sieht älter aus als sechs«, meinte sie. Das Foto zeigte einen bildhübschen blonden Jungen in T-Shirt und Jeans. Aus seinen blauen Augen blitzte der Schalk.
»Tobias ist ziemlich groß für sein Alter«, sagte Thorsten. »Sie werden feststellen, daß er mir überhaupt nicht ähnlich sieht. Er geht im Aussehen ganz nach meiner geschiedenen Frau. Das Grübchen in der Wange hat er allerdings von meiner Mutter.«
»Lebt Tobias bei Ihnen oder bei Ihrer geschiedenen Frau?« fragte Marion teilnehmend.
»Er lebt bei mir und meinen Eltern«, erwiderte Thorsten. »Ich wurde vor zwei Jahren geschieden. Zum Glück hat es keinen Kampf um ihn gegeben. Brigitte hat sich nie sonderlich für Tobias interessiert. Schon die Schwangerschaft empfand sie als Zumutung, und später war ihr der Junge nur lästig. Im Grunde waren es von Anfang an meine Eltern, die ihn großgezogen haben.«
Marion gab ihm das Bild zurück. »Ich begreife nicht, wie eine Frau ihr Kind als lästig empfinden kann«, sagte sie nachdenklich. »Es gibt doch nichts Schöneres, als ein Kind zu haben.«
»Schön, daß Sie so denken, Fräulein Wörner.« Thorsten bedachte sie mit einem warmen Blick. »Aber leider gibt es viele Frauen wie Brigitte. Ich habe jedenfalls immer wieder diese Erfahrung gemacht.« Er deutete auf die Artischockenherzen. »Wie schmeckt Ihnen der Salat?«
»Sehr köstlich«, erwiderte Marion und spießte mit der Gabel ein Artischockenherzchen auf.
»Ich prophezeite Ihnen ja, daß das Essen hier ganz hervorragend ist«, meinte Thorsten zufrieden. »Aber dieser Salat ist noch gar nichts gegen die Perlhuhnterrine und die Hechtklößchen, die man uns danach servieren wird.«
»Klingt, als hättten Sie ein Attentat auf meine Linie vor.«
Thorsten schüttelte den Kopf. »An Ihrer Linie ist nicht das geringste auszusetzen, Fräulein Wörner«, sagte er. »Seit meiner Ehe habe ich etwas gegen Frauen, die wie ein wandelnder Bleistift aussehen.« Vergnügt lachte er auf.
*
»Hallo, Opa!«
Walter Hollstein, gerade dabei, Unkraut zu jäten, richtete sich auf. »Hallo, kleiner Quälgeist«, erwiderte er. »Was verschafft mir denn das Vergnügen?«
Tobias grinste. »Oma hat mich in den Garten geschickt«, sagte er und kauerte sich hin. »Sie ist dabei, Berliner zu backen und hat Angst, daß ich den Fettopf umstoße.«
»Eine berechtigte Angst«, meinte Walter Hollstein. Er wischte sich mit einem Lappen über die Stirn.
»Warum heißen Berliner Berliner?«
»Weil dieses Gebäck früher besonders viel in Berlin gegessen wurde.«
»Aber vielleicht wird es jetzt in Maibach viel öfter gegessen«, sagte Tobias. Er griff mit beiden Händen in die Pflanzen. »Dann müßte es doch eigentlich Maibacher heißen.«
»So einfach kann man einen Namen nicht ändern«, sagte Walter Hollstein. Wieder fuhr er sich über die Stirn. Er verstand das einfach nicht. Es war weder zu heiß, noch schwül, und doch schwitzte er bereits den ganzen Tag. Dabei hatte es ihn noch nie angestrengt, Unkraut zu jäten.
»Kann ich dir helfen, Opa?«
»Heute nicht, Tobias. Du bist noch zu klein, um zwischen Unkraut und nützlichen Pflanzen unterscheiden zu können«, erwiderte Walter Hollstein. Er richtete sich auf. Wahrscheinlich war es besser, sich etwas auszuruhen. Das Unkraut lief ihm schließlich nicht davon.
»Und woher weißt du, was nützliche Pflanzen sind?« Tobias folgte seinem Großvater zu der Bank, die unter einer Birke stand, und setzte sich neben ihn.
»Nützliche Pflanzen sind alle Pflanzen, die man essen kann«, versuchte der Großvater seinem Enkel zu erklären. »Salat, Bohnen, Blumenkohl...«
»Blumenkohl mag ich nicht!«
»Trotzdem brauchen wir ihn.«
»Ich nicht«, kam es von dem kleinen Jungen. Er ließ die Beine baumeln. »Opa, ich muß dir was sagen!«
»So, was denn, Tobias?«
»Der Michael hat von seinem Papa ein Kettcar bekommen. Warum kriegen wir kein Kettcar?«
»Weil du noch zu klein bist, um auf der Straße herumzukutschieren«, erwiderte Walter Hollstein. »Wir haben schon sehr oft darüber gesprochen, junger Mann, hast du das vergessen?«
»Der Michael ist erst fünf, ich bin schon viel älter als er. Ich komme im Herbst zur Schule.«
»Trotzdem finden wir, daß du nicht unbedingt ein Kettcar brauchst, Tobias«, sagte Walter Hollstein. »Wir leben zwar in einer ziemlich ruhigen Gegend von Maibach, aber Unfälle passieren hier auch. Wir haben dich viel zu lieb, um dich schon den Gefahren der Straße auszusetzen. Und sag jetzt bitte nicht, du würdest mit dem Kettcar nicht auf die Straße fahren. Es braucht dir nur jemand vorzumachen, und schon bist du vom Bürgersteig runter.«
»Und wenn ich dir mein Ehrenwort gebe, daß ich...«
»Tobias, bitte, mir ist nicht gut. Wir unterhalten uns ein anderes Mal darüber, ja?«
»Was hast du denn, Opa?« fragte Tobias erschrocken. Er strich leicht über den Arm seines Großvaters. »Tut dir der Kopf weh? Soll ich zur Oma laufen und ihr sagen, daß du eine Tablette brauchst?«
»Nein, so schlimm ist es nicht«, versuchte Walter Hollstein seinen Enkel zu beruhigen. »Mir ist nur etwas schwindlig. Geh ein bißchen spielen, nachher kannst du wieder zu mir kommen.«
Tobias rutschte von der Bank. »Soll ich nicht doch die Oma rufen?« fragte er besorgt.
»Nein, nein, geh nur spielen«, wehrte Walter Hollstein ab. Er lehnte sich erschöpft zurück.
Tobias blieb noch einen Moment unschlüssig stehen, dann drehte er sich um und rannte zu dem Spielplatz, den ihm sein Vater und sein Großvater in einem Teil des Gartens eingerichtet hatten. Er sprang auf die Wippe und blickte zurück. Sein Großvater hatte die Augen geschlossen. Vielleicht schläft der Opa, dachte er, und bewegte mit den Beinen die Wippe im gleichmäßigen Rhythmus.
Bald wurde es ihm langweilig und er beschloß, ins Haus zu gehen und nachzuschauen, ob Oma die Berliner schon fertiggebacken hatte. Er wollte nur seinem Großvater Bescheid sagen. Schwungvoll sprang er von der Wippe und rannte zur Bank zurück.
»Opa, ich...«
Mit einem leisen Aufschrei griff Walter Hollstein nach seinem Herzen. Ein plötzlicher, heftiger Schmerz schien seine Brust zerreißen zu wollen. Stöhnend beugte er sich vor. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte schwer zu Boden.
Tobias starrte seinen Großvater entsetzt an. »Opa, was hast du?« fragte er und rüttelte an der Schulter des alten Mannes. »Opa, was ist denn?« Er drehte sich auf dem Absatz um und rannte schreiend zum Haus.
Agnes Hollstein hörte ihren Enkel schreien. Automatisch schaltete sie die Friteuse ab, bevor sie die Küche verließ, um nachzuschauen, was passiert war. Sie hatte gerade die Haustür erreicht, als Tobias sie von außen aufriß und in ihre Arme stürzte.
»Oma, schnell!«
»Was ist denn, Liebling?« fragte Agnes Hollstein. »Hat dich etwas gestochen?«
»Der Opa!« Tobias Augen standen voller Tränen. »Er hat geschrien und dann ist er hingefallen. Schnell, Oma, komm!« Er zerrte an ihrer Hand.
Ohne weitere Fragen zu stellen, folgte Agnes Hollstein dem kleinen Jungen in den Garten. Erschrocken stand sie wenige Minuten später vor ihrem Mann. Schon auf den ersten Blick sah sie, daß er bewußtlos war. Sie wagte nicht, ihn zu berühren, aus Angst, etwas falsch zu machen.
»Was hat denn der Opa?« schluchzte Tobias. Er klammerte sich an ihr fest.
»Tobias, lauf rüber zu Frau Großmann. Sag ihr, daß dein Opa bewußtlos ist. Sie soll sofort kommen. Ich lauf ins Haus und ruf das Krankenhaus an.«
»Muß der Opa sterben, wie der Opa von Susi?«
»Tobias, hol Frau Großmann!« Agnes Hollstein gab ihrem Enkel einen leichten Stoß, dann kümmerte sie sich nicht weiter um ihn, sondern stürzte zum Haus.
Tobias kroch durch die Lücke im Zaun, die es schon gegeben hatte, als sein Vater selbst noch ein kleiner Junge gewesen war. Quer über den Rasen jagte er zu dem Einfamilienhaus der Großmanns. »Tante Lisa, Tante Lisa!« schrie er.
Lisa Großmann erschien in der Tür zum Garten. »Was ist denn, Tobias?« fragte sie und trocknete sich die Hände an der Schürze ab. »Hast du etwas angestellt?«