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Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Über dem Kinderheim Sophienlust lastete die brütende Hitze eines Sommertages. Es war früher Nachmittag. Die Kinder hatten sich in den Schatten der Parkbäume geflüchtet und dösten vor sich hin. Keines von ihnen hatte rechte Lust zum Spielen. Es war viel zu heiß dazu. Neben Fabian Schöller lag die schwarze Dogge Anglos. Sie hatte alle viere von sich gestreckt, und aus ihrer Schnauze hing schwer die rote Zunge herab. »Es ist langweilig«, meinte Fabian gähnend. »Du sagst es!«, bestätigte Horst Reiher, ein zehnjähriger Junge aus Maibach, der seine Ferien in Sophienlust verbrachte, weil seine Eltern auf einer Geschäftsreise waren, zu der sie ihn nicht hatten mitnehmen können. »Wir könnten zum Ferienlager laufen«, schlug die zehnjährige Vicky Langenbach vor. Wie Fabian Schöller gehörte sie mit ihrer Schwester Angelika, zu den Dauerkindern von Sophienlust. Michael, der große Bruder der beiden, studierte zusammen mit Sascha von Schoenecker in Heidelberg. »O ja!«, rief die kleine Heidi Holsten. Sie sprang von ihrem Platz unter einer alten Linde auf. »Der Herr Gebhardt ist immer so nett.« »Aber erst müssen wir Tante Ma oder Schwester Regine fragen«
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Seitenzahl: 149
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Über dem Kinderheim Sophienlust lastete die brütende Hitze eines Sommertages. Es war früher Nachmittag. Die Kinder hatten sich in den Schatten der Parkbäume geflüchtet und dösten vor sich hin. Keines von ihnen hatte rechte Lust zum Spielen. Es war viel zu heiß dazu.
Neben Fabian Schöller lag die schwarze Dogge Anglos. Sie hatte alle viere von sich gestreckt, und aus ihrer Schnauze hing schwer die rote Zunge herab.
»Es ist langweilig«, meinte Fabian gähnend.
»Du sagst es!«, bestätigte Horst Reiher, ein zehnjähriger Junge aus Maibach, der seine Ferien in Sophienlust verbrachte, weil seine Eltern auf einer Geschäftsreise waren, zu der sie ihn nicht hatten mitnehmen können.
»Wir könnten zum Ferienlager laufen«, schlug die zehnjährige Vicky Langenbach vor. Wie Fabian Schöller gehörte sie mit ihrer Schwester Angelika, zu den Dauerkindern von Sophienlust. Michael, der große Bruder der beiden, studierte zusammen mit Sascha von Schoenecker in Heidelberg.
»O ja!«, rief die kleine Heidi Holsten. Sie sprang von ihrem Platz unter einer alten Linde auf. »Der Herr Gebhardt ist immer so nett.«
»Aber erst müssen wir Tante Ma oder Schwester Regine fragen«, sagte die vernünftige Angelika.
»Ich geh fragen!« Heidi rannte durch den Park zum Haus. Auf einmal schien es nicht mehr heiß zu sein. Sie sprang die Stufen der Freitreppe empor. »Tante Ma!«, schrie sie. »Tante Ma!«
»Was ist denn passiert, Heidi?« Schwester Regine kam aus dem Büro der Heimleiterin, die von den Kindern liebevoll Tante Ma genannt wurde.
Schwester Regine war eine hübsche junge Frau mit blonden Haaren und blauen Augen. Seit sie ihren Mann und ihr zweijähriges Töchterchen Elke verloren hatte, waren die Kinder von Sophienlust ihre Familie.
»Du schreist ja das ganze Haus zusammen, Heidi«, meinte sie.
»Schwester Regine, dürfen wir zum Ferienlager laufen?«, fragte Heidi und schmiegte sich an die Kinderschwester.
»Wer denn alles?« Schwester Regine fuhr der kleinen Heidi, dem jüngsten Dauerkind von Sophienlust, zärtlich über die hellblonden Haare. Obwohl Heidi erst fünf Jahre alt war, hatte sie schon sehr viel Schweres mitmachen müssen.
»Fabian, Horst, Angelika …«, begann Heidi aufzuzählen. »Bitte, Schwester Regine, wir würden so gern ins Ferienlager gehen.« Sie schlug die Hände zusammen.
»Ich habe nichts dagegen, Heidi«, sagte Schwester Regine, »aber kommt nicht zu spät nach Hause.«
»Nein, wir werden pünktlich sein«, versprach das Kind. Es stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte die Arme nach Schwester Regine aus.
Die junge Frau beugte sich hinab und bekam einen schmatzenden Kuss. Danach rannte Heidi aus der kühlen Halle des ehemaligen Herrenhauses wieder in den grellen Sonnenschein hinaus. Ihre Rattenschwänzchen wippten nur so.
Es waren etwa zehn Kinder, die fünf Minuten später auf dem Weg zu dem Ferienlager waren, das auf einer Wiese aufgeschlagen worden war. Diese Wiese gehörte zum Besitz von Gut Schoeneich. Alexander von Schoenecker hatte sie für das Ferienlager zur Verfügung gestellt.
Die Kinder mochten etwa zwanzig Minuten durch die Felder gelaufen sein, als hinter ihnen eine Fahrradklingel schrillte. Sie drehten sich um. »Henrik!«, rief Fabian.
»Hallo, da bin ich!«, schrie Henrik. Er bremste ab und sprang vom Fahrrad. »Ich bin mit meiner Mutti nach Sophienlust gefahren. Schwester Regine sagte mir, dass ihr zum Ferienlager wollt. Da dachte ich, ich muss mit. Also habe ich mir das nächste Fahrrad geschnappt und bin euch nachgeradelt.«
»Fein«, sagte Heidi. Sie griff zum Lenkrad. »Darf ich fahren, Henrik?« Treuherzig blickte sie zu dem neunjährigen Henrik, dem jüngsten Sohn von Denise und Alexander von Schoenecker, empor.
»Natürlich darfst du fahren, Heidi«, sagte Henrik großzügig, »aber ich werde neben dir herlaufen. Das Fahrrad ist noch etwas zu groß für dich.«
»Hm«, machte Heidi und versuchte aufzusteigen. Es gelang ihr aber nicht.
Schnell setzte Angelika die Kleine in den Sattel. »Pass aber auf, dass Heidi nicht herunterfällt«, sagte sie zu Henrik.
»Mach ich!« Henrik lenkte das Fahrrad vorsichtig am Wegrand entlang. »Es ist doch schön, dass es dieses Jahr hier ein Ferienlager gibt«, meinte er zu Fabian, der neben ihm ging.
»Ich spiele so gern mit Sabrina«, sagte Heidi und hielt sich krampfhaft an der Lenkstange fest.
»Ist das die kleine Blonde mit der lustigen Stupsnase?«, erkundigte sich Angelika.
»Ich weiß nicht, ob sie eine Stupsnase hat«, meinte Heidi, »aber sie ist nett.«
Fünfhundert Meter vor ihnen lag die Wiese, auf der das Ferienlager aufgeschlagen worden war. Von den grauweißen Zelten flatterten lustig bunte Fahnen. Die Stimmen der spielenden Kinder schallten weit über die stillen Felder.
Henrik schob das Rad noch die letzten Meter, dann hob Angelika die kleine Heidi aus dem Sattel, und Henrik ließ das Fahrrad ins Gras gleiten. Die Kinder rannten zu den fremden Kindern, von denen sie mit großem Hallo begrüßt wurden.
»Du, Henrik, dein Vater ist auch hier«, sagte ein etwa zwölfjähriger braunhaariger Junge namens Günter. »Sein Pferd steht hinter dem Zelt von Herrn Gebhardt. Es ist wegen Sabrina.« Die Stimme des Buben senkte sich zum Verschwörerton. »Weißt du, eigentlich hätte sie bereits vorgestern abgeholt werden müssen, aber keiner ist gekommen.«
»Vielleicht wollten ihre Eltern, dass sie noch hierbleibt«, vermutete Henrik. »In Sophienlust wird auch oft angerufen, weil die Eltern der Kinder noch keine Zeit haben. Tante Ma ist dann meist damit einverstanden dass die Kinder noch in Sophienlust bleiben.«
»Aber es hat keiner angerufen«, trumpfte Günter auf. »Herr Gebhardt hat doch allen Eltern die Telefonnummer eures Gutes gegeben.«
»Sollen wir lauschen?«, fragte Henrik, wobei seine Augen unternehmungslustig glitzerten.
»Ja, kommt!« Hand in Hand gingen die beiden Jungen zu dem Zelt des Lagerleiters. Mit freudigem Wiehern wurde Henrik vom Rappen seines Vaters begrüßt. Er kramte in einer seiner unergründlichen Hosentaschen nach einem Stück Zucker, fand auch tatsächlich eines, legte es auf die flache Hand und hielt es Mark hin. Die weichen Lippen des Rappen nahmen vorsichtig das Zuckerstückchen von der Kinderhand.
»Irgendetwas an dieser Angelegenheit ist oberfaul«, meinte Roland Gebhardt gerade, ein junger Mann von Mitte zwanzig. Er machte auf Alexander von Schoenecker trotz seines saloppen Aussehens einen sehr sympathischen Eindruck. »Man vergisst nicht einfach, ein Kind im Ferienlager abzuholen.«
»Das kann ich mir auch nicht vorstellen«, sagte Alexander von Schoenecker. Er stand von dem kleinen Hocker auf, auf dem er bis jetzt gesessen hatte. Er war groß und schlank, hatte ein schmales sonnengebräuntes Gesicht, dunkle Augen und braune Haare. Trotz seiner sportlichen Kleidung wirkte er elegant. »Und die Papiere sind in Ordnung?«
»Bis auf die falschen Angaben«, sagte Roland sarkastisch. »Die Papiere wurden korrekt ausgefüllt. Heute Morgen habe ich natürlich gleich versucht, Sabrinas Eltern zu erreichen, aber unter der Telefonnummer, die die Eltern angegeben haben, ist kein Anschluss. Vielleicht hätte ich nicht so lange warten sollen, aber ich dachte, dass ihre Eltern zumindest heute kommen würden.«
»Haben Sie mit der Kleinen bereits gesprochen?«, fragte Alexander
»Nein!« Roland Gebhardt schüttelte den Kopf. »Sabrina ist sechs Jahre alt. Sie weiß zwar, dass sie schon vorgestern hätte abgeholt werden müssen, aber bis jetzt bereitet es ihr keinen Kummer, dass sie noch hier ist. Ich möchte dem Kind nicht das Gefühl geben, zu Hause oder bei uns nicht erwünscht zu sein.«
»Vermutlich hätte ich genauso gehandelt, doch jetzt wird uns nichts anderes übrig bleiben, als Sabrina zu befragen. Und Sie sind auch ganz sicher, dass es in Esslingen keine Heinstraße gibt?«
»Ganz sicher«, sagte Roland Gebhardt. »Nachdem die Telefonnummer nicht stimmte, rief ich zuerst die Auskunft und dann das Einwohnermeldeamt von Esslingen an. Sabrinas Eltern haben falsche Angaben gemacht. Daran ist nicht mehr zu rütteln. Die Frage ist nur, warum.«
»Um sich des Kindes zu entledigen, nehme ich an«, sagte Alexander mit harter Stimme. »Meine Frau und ich werden ständig mit Kindern konfrontiert, die von ihren Eltern aus irgendeinem Grund verstoßen wurden.« Er griff nach den Papieren, die vor ihm auf dem Tisch lagen, und las sie flüchtig durch. »Haben Sie damals mit den Eltern selbst gesprochen?«
»Nein«, sagte Roland Gebhardt. »Das wird alles von Stuttgart aus erledigt. Wie Sie sehen, Herr von Schoenecker, handelt es sich ja auch nur um eine Kopie. Und wie es das Unglück will, ist Frau Schuster, die mit Sabrinas Eltern gesprochen hat, in Urlaub. Ich habe ihre Adresse nicht. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Polizei einzuschalten.«
»Und das Jugendamt!«
»Natürlich auch das Jugendamt. Ich würde Sabrina ja gern hierbehalten, bis die Angelegenheit geklärt ist, aber wir sind bereits überfüllt, und morgen erwarte ich zehn weitere Kinder. Durch eine Panne in der Verwaltung sind auch mehr Kinder angenommen worden, als ursprünglich geplant war.«
»Ich habe nichts dagegen, dass Sie noch weitere Zelte aufstellen.«
»Es handelt sich nicht nur um die Zelte.« Roland Gebhardt lachte. »Wir haben nur drei Betreuerinnen für die Kinder.« Er sah Alexander von Schoenecker bittend an. »Meinen Sie nicht, dass die Möglichkeit besteht, Sabrina in Sophienlust unterzubringen? Sie und Ihre Gattin haben mich letzte Woche durch dieses Kinderheim geführt. Es muss ein wahres Paradies für Kinder sein. Sabrina ist dort sicher besser aufgehoben als in einem anderen Heim.«
»Ich werde mit meiner Frau darüber sprechen, Herr Gebhardt«, versprach Alexander von Schoenecker. »Wie ich sie kenne, wird sie sich sowieso um die kleine Sabrina kümmern. Ich würde auch vorschlagen, dass meine Frau die Kleine ausfragt. Denise gewinnt gewöhnlich sehr rasch das Vertrauen von Kindern.«
»Selbstverständlich bin ich damit einverstanden, Herr von Schoenecker.« Man merkte Roland Gebhardt die Erleichterung darüber, dass er nun nicht mehr allein die Verantwortung für Sabrina tragen musste, an. »Kommt Ihre Gattin ins Ferienlager, oder nehmen Sie Sabrina mit?«
»Meine Frau ist zurzeit in Sophienlust. Ich nehme Sabrina mit zu ihr. Sie kann vor mir auf dem Pferd sitzen. Das wird ihr sicher großen Spaß machen.«
Die beiden Männer traten aus dem Zelteingang. Zugleich kam Henrik mit Günter hinter dem Zelt hervor. »Bleibt Sabrina in Sophienlust?«, fragte er seinen Vater und fasste nach dessen Hand.
»Wie ich sehe, hast du gelauscht, mein Sohn«, sagte Alexander. »Weißt du nicht, dass man nicht lauschen darf?«
»Doch!« Henrik nickte. »Aber es war kein richtiges Lauschen, Vati. Ich habe nicht heimlich gelauscht, ich habe es dir ja hinterher gesagt.«
Gegen diese Argumentation konnte auch Alexander von Schoenecker nichts ausrichten. Er hatte Mühe, sich ein Lächeln zu verkneifen. »Geh spielen, Henrik!«, sagte er und gab seinem Sohn einen liebevollen Klaps.
»Kann ich nicht dabei sein, wenn du mit Sabrina sprichst?« Henrik sah mit flehenden Augen zu seinem Vater empor.
»Nein, Henrik«, schlug Alexander von Schoenecker die Bitte seines Sohnes ab. »So, und nun sei brav!«
»Gut, Vati!« Die Antwort war ein halber Seufzer. »Komm, Günter!« Henrik griff nach dem Arm seines neuen Freundes. Er wusste, wann nichts mehr zu machen war. »Erwachsen müsste man sein!«, sagte er noch laut.
»Der Wunsch eines jeden Kindes.« Roland Gebhardt lachte. Er brachte Alexander von Schoenecker zu Frau Fischer, die die Gruppe der Fünf- bis Sechsjährigen betreute.
Sabrina, ein sechsjähriges Mädchen mit hellblonden, wirr um das Köpfchen hängenden Haaren, saß mit Heidi Holsten auf der Wippe. Rauf und runter ging es. Die beiden kleinen Mädchen lachten vor Vergnügen. Es tat Alexander leid, die Kinder bei ihrem Spiel stören zu müssen, aber es blieb ihm nichts anderes übrig.
Frau Fischer führte ein anderes Mädchen zur Wippe und hob Sabrina herunter. »Heidi, du musst jetzt mit Doris schaukeln«, sagte sie. »Sabrina wird gebraucht.«
»Von Onkel Alexander!« Heidi winkte von ihrem Platz aus Alexander zu, der ihren Gruß erwiderte.
»Onkel Alexander ist lieb«, sagte sie zu der kleinen Doris.
Sabrina sah etwas ängstlich zu dem fremden Mann empor, den sie bis jetzt immer nur von Weitem gesehen hatte. Ihre Augen waren forschend auf sein Gesicht gerichtet. Mit der linken Hand zupfte sie an ihrer weißblauen Bluse, die lose über den blauen Jeans hing, mit der rechten umklammerte sie die Hand von Frau Fischer.
»Du bist also die Sabrina.« Alexander hockte sich neben das Kind. »Siehst du, jetzt bin ich genauso groß wie du.«
»Bist du nicht«, kam es von Sabrina. Sie ließ die Hand der Betreuerin los und hockte sich ebenfalls hin. »Jetzt bin ich wieder kleiner.«
»Da hast du natürlich recht«, meinte Alexander lachend und richtete sich wieder auf. »Wir beide reiten jetzt nach Sophienlust. Du hast doch sicher keine Angst vor Pferden?«
Sabrina nagte an ihrer Unterlippe. »Ein ganz kleines bisschen schon«, kam es zaghaft aus ihrem Munde.
»Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin ja bei dir und halte dich fest.« Alexander streckte die Hand nach dem Kind aus, die vertrauensvoll ergriffen wurde. Er verabschiedete sich von Herrn Gebhardt und versprach ihm, Sabrina noch vor dem Abendessen zurückzubringen. Dann führte er die Kleine zu seinem Rappen.
»Beißt er?«, fragte Sabrina ängstlich und hielt sich dicht bei Alexander von Schoenecker.
»Nein, Mark hat noch nie jemanden gebissen und schon gar nicht ein so kleines Mädchen wie dich«, beruhigte Alexander das Kind. Er hob es hoch und forderte es auf, den Rappen zu streicheln. Zunächst wagte Sabrina das nicht, doch dann wurde sie mutiger.
»Mark ist lieb«, sagte sie und griff in die Mähne des Pferdes.
»So, und nun reiten wir nach Sophienlust!«
»Bin ich eine Prinzessin?« Sabrina hielt sich am Sattelknauf fest, während Alexander hinter ihr aufsaß. »Prinzessinnen werden immer auf Pferden entführt.«
»Gut, Sabrina, du bist eine Prinzessin, und ich entführe dich nach Sophienlust.«
»Und dann kommt ein Prinz und befreit mich«, plapperte Sabrina.
»Also, ein Prinz wird wohl nicht auf uns warten«, meinte Alexander von Schoenecker und umfasste das kleine Mädchen, während er losgaloppierte.
*
»Mutti!« Jubelnd flog ein siebenjähriges blondes Mädchen in die Arme von Renate Rieger. Sie bedeckte das Gesicht der jungen Frau mit Küssen. »Warum habt ihr mich so lange allein gelassen?«
»Du weißt doch, dass Vati sehr viel Arbeit hat, Sabrina.« Gespannt und ängstlich zugleich beobachtete Renate Rieger ihre kleine Tochter.
»Warum nennst du mich Sabrina, Mutti?«
»Weil ich diesen Namen viel schöner finde als Sabine«, behauptete Renate Rieger. Sie stellte das Kind auf den Boden zurück.
»Mir gefällt aber Sabine.« Die Kleine verzog das Gesicht. »Ich will Sabine heißen!«
»Aber Liebling, ist es nicht gleich, wie wir dich nennen? Wir wollen froh sein, dass wir wieder alle beisammen sind. Vati und ich wollen heute Nachmittag mit dir in den Zoo gehen.«
»Wo ist denn der Vati?«
»Er wartet im Auto auf uns, Kleines.« Frau Rieger legte ihren Arm um die Schultern ihrer Tochter. Fast sechs Monate lang hatte sie Sabine nicht mehr gesehen. Diese Monate waren ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen. Aber sie sah ein, dass ihr Mann recht gehabt hatte. Anders wäre das, was sie geplant hatten, gar nicht möglich gewesen.
»Mein Koffer, Mutti«, mahnte die Kleine.
»Ich bringe dich zuerst zu Vati, und dann hole ich deinen Koffer, Sabrina«, sagte Renate Rieger. Sie bemerkte, dass ihre Tochter bei diesem Namen zusammenzuckte, doch sie dachte, sicher wird sie sich schon bald nicht mehr daran erinnern, dass sie früher anders hieß.
Nebeneinander liefen die beiden den schmalen Weg vom Kinderheim zum Parkplatz hinunter.
»Vati! Vati!« Die Kleine löste sich von der Mutter und begann zu rennen. Gleich darauf warf sie sich in die Arme ihres Vaters, der ihr entgegengekommen war.
»Mein Liebling!« Karl Rieger küsste seine Tochter zärtlich auf die Stirn.
»Muss ich jetzt nie wieder fort?«
»Nein, nie wieder, Sabrina! Jetzt bleiben wir für immer beisammen.«
Sabine war viel zu glücklich, ihren Vater wiederzuhaben, um erneut gegen den neuen Namen protestieren zu können. Sie setzte sich mit ihrem Vater auf die Bank, die in der Nähe des Parkplatzes stand, während Renate zu dem Kinderheim zurückging, um die Sachen ihrer Tochter zu holen und die Abmeldung auszufüllen.
»Bitte, verzeihen Sie, aber die Wiedersehensfreude mit meiner Tochter war so groß, dass ich alles andere darüber völlig vergessen habe«, sagte Renate zu Frau Weiß, der Heimleiterin. »Ich habe Sabine gleich bei meinem Mann gelassen.«
»Warum ist Ihr Mann vorhin nicht mit heraufgekommen!«, fragte Frau Weiß.
»Am Wagen war etwas nicht in Ordnung. Mein Mann hat es in der Zwischenzeit repariert. Und jetzt haben sich Sabine und er so viel zu erzählen …« Sie lachte. »Ich bin froh dass Sabine jetzt wieder bei uns sein kann. Sie ahnen gar nicht, wie sehr wir sie vermisst haben.«
»Doch, das kann ich mir denken. Es ist immer schwer, wenn man sich von einem Kind trennen muss, aber manchmal gibt es keine andere Möglichkeit, wie in Ihrem Fall. Ihr Mann konnte diesen Auslandsauftrag ja nicht ausschlagen, und da Sie mit ihm zusammenarbeiten, mussten auch Sie mit nach Kenia fliegen.«
»Schweren Herzens, Frau Weiß, schweren Herzens«, sagte Renate Rieger und unterschrieb die Abmeldung. »Die Unterschrift meines Mannes benötigen Sie doch sicher nicht?«
»Nein, Frau Rieger, Sie haben ja auch allein die Anmeldung unterschrieben. Sabine ist wirklich ein liebes Kind. Sie hat uns sehr viel Freude gemacht. Wir hatten sie gern hier.« Die Heimleiterin reichte Renate Rieger die Hand.
Während die junge Frau mit Sabines Koffer zum Parkplatz ging, grübelte sie, ob sie auch nichts falsch gemacht hatte. Es gab so vieles zu bedenken, und irgendwo konnte sich leicht ein Fehler in ihre Berechnungen eingeschlichen haben.
Karl Rieger nahm seiner Frau den Koffer ab. »Warum machst du ein so sorgenvolles Gesicht, Renate?«, erkundigte er sich.
»Ich weiß nicht, Karl, aber ich habe Angst.«
»Aber Renate! Wir haben in den letzten Monaten alles hundertmal besprochen. Was soll schiefgehen?« Er lachte aufmunternd. »Außerdem ist es unsere einzige Chance, endlich etwas auf die Beine zu stellen. Willst du vielleicht das Leben führen, zu dem wir bis jetzt gezwungen waren? Wir können jetzt nicht mehr zurück.«
Sabine drängte sich zwischen ihre Eltern. »Gehen wir wirklich in den Zoo?«
»Sicher, Darling!« Karl zog die Kleine an sich und küsste sie.
»Warum sagst du dieses komische Wort zu mir, Vati? Was heißt es?«
»Darling ist doch kein komisches Wort, Sabine. Es ist ein englisches Wort, und heißt Liebling. Du wirst jetzt etwas Englisch lernen müssen. Keine Angst, nicht viel, nur einige Worte.«
»Wenn ich in die Schule komme?«
»Noch kommst du nicht in die Schule, Sabrina. Erst im nächsten Jahr«, sagte Renate.
»Aber Mutti!« Sabine sah ihre Mutter erstaunt an. »Ich bin doch schon sieben Jahre alt.«