History für Eilige 2 - Matthias von Hellfeld - E-Book

History für Eilige 2 E-Book

Matthias von Hellfeld

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Beschreibung

Nach dem großen Erfolg ihres ersten Buchs "History für Eilige" legen Meike Rosenplänter, Matthias von Hellfeld und Markus Dichmann nach. Sie stellen uns weitere spannende und historische Ereignisse und außergewöhnliche Personen aus der Weltgeschichte vor, mit denen sie auch in ihrem Erfolgspodcast "Eine Stunde History" von Deutschlandfunk Nova ein Publikum hunderttausendfach begeistern:> über 500.000 Hörerinnen und Hörer jede Woche> über 55 Mio. Downloads und Streams insgesamt> Podcast des Jahres 2019> "Unterhaltung auf höchstem Niveau" Werben und Verkaufen Online

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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder Umschlagcollage: Wikimedia commons – Wikimedia commons – © picture alliance / REUTERS / Kevin Lamarque – © rezekibanyakberkah / shutterstock

E-Book-Konvertierung: Arnold und Domnick, Leipzig

ISBN E-Book 978-3-451-82584-2

ISBN Print 978-3-451-39079-1

GEBRAUCHSANLEITUNG

Seit Mai 2016 veröffentlichen wir einmal wöchentlich den Podcast „Eine Stunde History“ bei Deutschlandfunk Nova. Darin widmen wir uns einem historischen Thema, dessen Auswirkungen heute noch zu spüren sind. Dabei stellen wir eine Verbindung zwischen uns und unseren Vorfahren her, die jahrhundertelang auf diesem Kontinent gelebt und gearbeitet haben. Ihre Erfolge und Misserfolge sind die Grundlagen unseres Lebens. Wir, die wir heute leben, sind also nur biologisch ein Zufall. Unsere Kultur, unsere Traditionen und Verhaltensweisen und die Art, wie wir unsere Gesellschaft organisieren, all das ist von der Vergangenheit geprägt. Vieles haben wir aus der Antike wieder ausgegraben und wenden es an: Die Grundlagen unseres Rechtssystems stammen aus der römischen Antike, die Vorstellung, dass das Individuum im Mittelpunkt des politischen Handelns steht, ist zuerst in der griechischen Antike gedacht worden.

Die in diesem Buch versammelten achtzig historischen Ereignisse sind in der einen oder anderen Weise mit unserer Gegenwart verknüpft. Wenn richtig ist, dass die Gegenwart von der Vergangenheit geprägt ist, dann wird die Zukunft von der Gegenwart geprägt sein. Deshalb folgt aus der Beschäftigung mit der Geschichte die Aufforderung, sich an der Politik der Gegenwart zu beteiligen. Dazu gibt es vielfältige Möglichkeiten in demokratischen Parteien, Verbänden, Gewerkschaften oder den vielen Organisationen der Zivilgesellschaft.

Dabei sollte es immer darum gehen, das Erreichte nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Die Europäische Union etwa wird häufig und zu Recht kritisiert. Aber das darf nicht dazu führen, sie zu zerstören. In der Rückschau von 2500 Jahren europäischer Geschichte kann man festhalten: Noch nie haben wir Europäer etwas Besseres hinbekommen als die EU, die Frieden und Sicherheit, steigenden Wohlstand und größtmögliche Freiheiten garantiert. Das darf natürlich nicht über den dringenden Reformbedarf hinwegtäuschen: Die EU muss transparenter und demokratischer werden und braucht eine Verfassung, die neben den europäischen Grundrechten auch ein Sozialstaatsversprechen abgibt.

Diesen Themen kann man hier auf verschiedenen Arten nachspüren. Man kann das Buch von Anfang an lesen und sich überraschen lassen, welches das nächste Thema ist. Man kann aber auch eines der drei Register benutzen, die sich am Ende des Buches finden. Dort kann die Suche mit dem Namen einer Person oder eines Ortes ebenso beginnen wie mit einem historisch-politischen Begriff, über den man etwas erfahren möchte. Wie schon beim ersten Band von „History für Eilige“ findet sich zu jedem Kapitel ein QR-Code, mit dem man direkt zu unserem Podcast verlinkt wird.

Köln, im Sommer 2021

Matthias von Hellfeld  

  Markus Dichmann

Meike Rosenplänter

INHALT

Gebrauchsanleitung

Die Operation Desert Storm – 1991

Wie ein Diktator in die Schranken gewiesen wurde

Der Aufstand von Soweto – 1976

Wie ein Aufstand in einem südafrikanischen Township die Welt erschütterte

Das Unternehmen „Barbarossa“ – 1941

Wie Nazi-Deutschland die Sowjetunion überfallen hat

Der Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika – 1905

Wie deutsche Kolonialpolitik Spuren in Afrika hinterlassen hat

Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung – 1776

Wie dreizehn Kolonien ein Land wurden

Die Schlacht bei Mantzikert – 1071

Wie Christen versuchten, islamisches Gebiet zu erobern

Die Anschläge des 11. September – 2001

Wie der Terror die Welt veränderte

Die Enzyklopädie des Wissens – 1751

Wie aus Wissen Macht wurde

Die Unabhängigkeit von Belarus – 1991

Wie ein Land seine Freiheit bekam

Die Schlacht von Verdun – 1916

Wie die längste Schlacht der Weltgeschichte keinen Sieger fand

Ellis Island öffnet seine Tore – 1892

Wie eine Insel zum Nadelöhr der „Neuen Welt“ wurde

Der Gang nach Canossa – 1077

Wie König Heinrich IV. auf die Knie fiel

Der Aufstand gegen den Atommüll im Wendland – 1977

Wie eine Bürgerinitiative zum Symbol der Anti-Atomkraft-Bewegung wurde

Der Einsatz von Agent Orange im Vietnamkrieg – 1967

Wie Chemie das Leben von Tausenden Menschen zerstörte

Der englische Bürgerkrieg und das Commonwealth of England – 1642

Wie die parlamentarische Demokratie begann

Der Spartakus-Aufstand – 73 v. Chr.

Wie sich ein Sklave gegen ein Weltreich erhob

Der Tod des Benno Ohnesorg – 1967

Wie der Tod eines Studenten zum Symbol der RAF wurde

Der Sechstagekrieg – 1967

Wie Israel gegen die arabischen Staaten kämpfte

Der „Holodomor“ – 1932

Wie die Sowjetunion eine schwere Hungersnot in der Ukraine provozierte

Der Anschlag von Rostock-Lichtenhagen – 1992

Wie Rechtsextremisten gegen vietnamesische Vertragsarbeiter gewalttätig wurden

Die Bartholomäusnacht in Paris – 1572

Wie sich Christen an Christen vergingen

Die Ermordung von Hanns Martin Schleyer – 1977

Wie der Terror den Staat herausforderte

Die Schlacht bei Issos – 333 v. Chr.

Wie ein zerschlagener Knoten zu einem Weltreich führte

Das Lied der Deutschen – 1841

Wie Deutschland eine Hymne bekam

Die große Weihnachtsflut – 1717

Wie Heiligabend die europäische Nordseeküste überflutet wurde

Der Contergan-Prozess – 1968

Wie ein Medikament für Missbildungen bei Neugeborenen sorgte

Der große Lauschangriff – 1998

Wie das Ausspähen der Privatsphäre für politischen Streit sorgte

Die Hinrichtung von Joseph SüSSkind Oppenheimer – 1738

Wie ein Beamter des Herzogs von Württemberg ermordet wurde

Der erste Anschlag auf das World Trade Center – 1993

Wie Islamisten die kapitalistische Welt zum ersten Mal attackierten

Das Massaker von My Lai – 1968

Wie ein Kriegsverbrechen die USA auf die Probe stellte

Die Ermordung von Martin Luther King – 1968

Wie die schwarze Bürgerrechtsbewegung getroffen werden sollte

Die Gründung des Staates Israel – 1948

Wie die Heimstatt der Juden entstand

Die Währungsreform in Westdeutschland – 1948

Wie mit neuem Geld der ökonomische Aufschwung gelang

Die Gründung Nordkoreas – 1948

Wie eine Familiendynastie einen „Arbeiter- und Bauernstaat“ errichtete

Die LEHMAN-BROTHERS-PLEITE – 2008

Wie die Welt vor dem Bankrott stand

Der Marsch von Londonderry – 1968

Wie eine Demonstration einen Bürgerkrieg auslöste

Der Kieler Matrosenaufstand – 1918

Wie Matrosen den Ersten Weltkrieg beendeten

Die Spanische Grippe – 1918

Wie eine Influenza-Pandemie fast fünfzig Millionen Menschenleben forderte

Die Vertreibung der Roten Khmer – 1979

Wie die Welt einen Völkermord übersah

Das Mädchen und die Schlacht von Orleans – 1429

Wie Frankreich von Jeanne d’Arc gerettet wurde

Die Wahl Maggie Thatchers zur Premierministerin – 1979

Wie eine „eiserne Lady“ England umkrempelte

Der Frauenarzt Horst Theissen und der Memminger Prozess – 1989

Wie das Recht auf Abtreibung das Land spaltete

Die Schlacht auf dem Amselfeld – 1389

Wie eine Schlacht zur Keimzelle des Nationalismus wurde

Der Stonewall-Aufstand in der Christopher Street – 1969

Wie die weltweit größte Pride-Parade geboren wurde

Der Amtsantritt des Wladimir Putin – 1999

Wie ein Spion an die Macht kam

Die Tetanusimpfung – 1914

Wie eine Spritze alles veränderte

Der Siegeszug Alexander des Großen – 336 v. Chr.

Wie der König von Makedonien bis zum Hindukusch vordrang

Die Veröffentlichung des ersten Marvel Comics – 1939

Wie Captain America gegen die Nazis kämpfte

Die Gründung der Arbeiterwohlfahrt – 1919

Wie für das Wohl der Arbeiter gesorgt wurde

Kleopatra wird Ägyptens Pharaonin – 51 v. Chr.

Wie der Mythos um eine Herrscherin entstand

Die Erfindung der kriminaltechnischen Untersuchung – 1880

Wie Ernst Gennat in Berlin Mörder jagte

Die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki – 1945

Wie zwei Bomben einen Krieg beendeten und die Welt erschreckten

Die Ermordung von Malcolm X – 1965

Wie der schwarze Bürgerrechtler durch 21 Schüsse hingerichtet wurde

Die Jugendunruhen von Zürich – 1980

Wie „Züri“ wegen eines autonomen Jugendzentrums brannte

Der amerikanische Sezessionskrieg – 1865

Wie die Sklaverei ein Land teilte

Adam Smith und „Der Wohlstand der Nationen“ – 1790

Wie die freie Marktwirtschaft aufgeschrieben wurde

Das Ende des Dritten Golfkriegs – 2010

Wie amerikanische Truppen nach sieben Jahren den Irak verließen

Der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest – 1980

Wie ein rechtsextremistischer Terroranschlag dreizehn Menschen tötete

Die deutsche Wiedervereinigung – 1990

Wie Deutschland wieder eins wurde

Das erste Sklavenschiff von Afrika nach Haiti – 1510

Wie die Sklaverei nach Amerika exportiert wurde

Die Arabellion – 2011

Wie der Arabische Frühling kam und verging

Der erste Friedensnobelpreis für eine Frau – 1905

Wie Bertha von Suttner für ihren Roman „Die Waffen nieder“ geehrt wurde

Das Bosman-Urteil – 1995

Wie Profifußballer zu Millionären wurden

Die Geburt von Jesus von Nazareth – „0“

Wie ein Arbeiterkind eine Weltreligion prägte

Die Varusschlacht – 9

Wie wir heute „die Germanen“ sehen

Die Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs – 1871

Wie im Schloss von Versailles der deutsche Kaiser proklamiert wurde

Die Ehrenerklärung für Soldaten von Wehrmacht und Waffen-SS – 1951

Wie Kriegsverbrechen entschuldigt wurden

Der Streit der Historiker – 1986

Wie die Vergangenheit die Gegenwart einholte

Der Frieden von Lunéville – 1801

Wie die beiden christlichen Konfessionen „Staatsleistungen“ beanspruchen

Der Kapp-Putsch – 1920

Wie die Polizei zum Staatsfeind wurde

Der Konflikt um Bergkarabach – 2020

Wie Armenien und Aserbaidschan um ein Fleckchen Erde kämpften

Der „erste“ Weltkrieg – 1756

Wie der Siebenjährige Krieg an vielen Stellen der Welt stattfand

Die Vereinigung von SPD und KPD – 1946

Wie aus zwei Parteien eine „Einheitspartei“ wurde

Der Mut der Sophie Scholl – 1921

Wie eine Studentin den NS-Staat herausforderte und starb

Der Plattenbau in der DDR – 1976

Wie eine „moderne“ Bauweise Sozialpolitik vorantrieb

Der „Fürst der Humanisten“ Erasmus von Rotterdam – 1467

Wie wir den Humanismus kennenlernten

Die Frau in der RÉSISTANCE: Nancy Wake – 2011

Wie eine Frau gegen NS-Deutschland kämpfte

Der Bau der Berliner Mauer – 1961

Wie Mauer und Stacheldraht 28 JAHRE LANG den Kontinent spalteten

Das Verbot der westdeutschen KPD – 1956

Wie das zweite Parteienverbot in der Bundesrepublik ausgesprochen wurde

Sachregister

Personenregister

Geografisches Register

Über die Autoren, über die Autorin

DIE OPERATION DESERT STORM – 1991

WIE EIN DIKTATOR IN DIE SCHRANKEN GEWIESEN WURDE

Der Irak ist tief gespalten. Im Norden liegt die autonome Region Kurdistan, in der es immer wieder Versuche gibt, sich vom Rest des Landes abzutrennen. Im Westen existieren – auch nach dem Sieg über die Terrormiliz – noch Landesteile, die vom IS besetzt sind. Und selbst in den Gebieten, in denen nicht vor Kurzem noch gekämpft wurde, verfällt die Infrastruktur immer weiter wegen Misswirtschaft und Armut.

Eine Ursache für diese Situation ist die Tatsache, dass sich der Irak im Grunde seit 1980 im Kriegszustand befindet – von einigen kurzen Verschnaufpausen abgesehen. Von 1980 bis 1988 dauerte der Krieg zwischen Iran und Irak, der meist als Erster Golfkrieg bezeichnet wird. 1991 folgte der Kuwaitkrieg, der Zweite Golfkrieg, um den es in diesem Kapitel gehen wird. Der diente als Rechtfertigung für die Terroranschläge auf die Türme des World Trade Centers und auf das Pentagon am 11. September 2001. Als Reaktion darauf griffen 2003 die USA, Großbritannien und eine „Koalition der Willigen“ im Dritten Golfkrieg den Irak an, was zum Sturz des Diktators Saddam Hussein führte.

Warum also haben die Amerikaner Hussein nicht schon zwölf Jahre früher während der Operation Desert Storm verdrängt? Um das zu klären, müssen wir vorne anfangen: Am 2. August 1990 ist der Irak im Nachbarland Kuwait einmarschiert, am 28. August wurde Kuwait vom Irak annektiert. Als Grund hatte Hussein angegeben, das reiche Kuwait habe seine Ölproduktion auf Kosten des Irak ausgebaut, unter anderem durch das Anzapfen irakischer Ölquellen. Außerdem hatte es schon Jahrzehnte Streit um die gemeinsame Grenze gegeben – und damit um die Frage, wem welche Ölfelder gehören. Kurzum: Nach dem Ersten Golfkrieg war der Irak pleite und brauchte Geld, die Ölfelder des reichen Nachbarn waren eine verlockende Beute. Mit den zu erwartenden Einnahmen wollte Hussein die irakischen Schulden aus dem Krieg gegen Iran bezahlen und zum „Big Player“ im Ölgeschäft werden.

Weil aber der Irak mit seinem Einmarsch in Kuwait nicht nur das regionale Gleichgewicht bedrohte, sondern auch die globale Energieversorgung, organisierte der amerikanische Präsident George H. W. Bush ein Militärbündnis aus insgesamt 34 Staaten. Mit Ermächtigung der Vereinten Nationen zieht diese Koalition mit der Operation Desert Storm am 16. Januar 1991 gegen den Irak in den Krieg. Das mit Abstand größte Truppenkontingent stellt die USA. Daneben sind auch Großbritannien, Saudi-Arabien, die Türkei, Ägypten, Syrien und Frankreich wichtige Partner. Deutschland hat sich zwar finanziell mit rund siebzehn Milliarden D-Mark am Krieg beteiligt sowie Rüstungsmaterial geschickt, aber keine Soldaten.

Die „Operation Wüstensturm“ dauert nur knapp sechs Wochen. Zuerst bombardieren die alliierten Truppen strategische Ziele in Bagdad und im Rest des Irak. Am 24. Februar marschieren dann alliierte Bodentruppen in Kuwait ein und besetzen das Land.

Die irakischen Soldaten ziehen sich immer weiter zurück und zünden dabei den Großteil der kuwaitischen Ölfelder an. Auch durch die Bombardements der Alliierten werden Ölbrände ausgelöst. Beides führt zu einer Umweltkatastrophe, die bis heute sichtbar ist. Im Süden des Landes liegen die Reste des Teermeeres, und die Bodenschäden durch das ausgelaufene Öl sind größtenteils nicht wieder zu beheben.

Bei ihrem Rückzug werden die irakischen Streitkräfte massiv aus der Luft bombardiert, auch als sie schon zurück auf irakischem Boden sind. Dadurch kommen mutmaßlich mehrere zehntausend irakische Soldaten ums Leben. Später wird vom ehemaligen US-Justizminister Ramsey Clark und 22 Vertretern aus achtzehn Staaten ein unabhängiges internationales Komitee zur Untersuchung von amerikanischen Kriegsverbrechen einberufen. Sie kommen zu dem Schluss, dass die US-Armee in neunzehn Punkten gegen internationales Recht verstoßen hat, unter anderem wegen des Einsatzes von verbotenen Massenvernichtungswaffen und von uranhaltigen Geschossen.

Vier Tage nach dem Einmarsch der Bodentruppen und einen Tag nach der Eroberung von Kuwait City durch die Alliierten verkündet US-Präsident George H. W. Bush eine Waffenruhe, die auch von Saddam Hussein anerkannt wird. Einen Waffenstillstand gibt es erst am 12. April 1991 – damit ist der Krieg offiziell zu Ende. Saddam Hussein bleibt weitere zwölf Jahre als Diktator an der Macht.

Eine Tatsache, die der damalige ARD-Korrespondent Marcel Pott als klugen Schachzug der Amerikaner bezeichnet. Denn, so Pott im Interview, George H. W. Bush und sein Außenminister James Baker hätten erkannt, dass ein nicht füllbares Vakuum entstanden wäre, hätte man Hussein und sein Regime in Bagdad beseitigt. 2003 sei das zu sehen gewesen, nachdem sein Sohn und Nachfolger im Weißen Haus, George W. Bush, den Diktator hatte festnehmen lassen.

Das Wirtschaftsembargo, das die internationale Staatengemeinschaft gegen den Irak verhängte, wird im Nachhinein häufig kritisiert, weil darunter vor allem die Zivilbevölkerung gelitten habe. Trinkwasser- und Elektrizitätsversorgung, Ölraffinerien, Eisenbahnen, Straßen und Brücken waren während der ersten beiden Golfkriege größtenteils zerstört worden, und es fehlte durch das Wirtschaftsembargo an dem für einen Wiederaufbau nötigen Material.

LITERATUR:

Steven E. Kuhn: Soldat im Golfkrieg. Vom Kämpfer zum Zweifler. Berlin 2003

Saul David: Die größten Fehlschläge der Militärgeschichte. Von der Schlacht im Teutoburger Wald bis zur Operation Desert Storm. München 2006

Sebastian Bruns: Via New York nach Bagdad? Die Vereinten Nationen und die Irak-Politik der USA. Baden-Baden 2008

DER AUFSTAND VON SOWETO – 1976

WIE EIN AUFSTAND IN EINEM SÜDAFRIKANISCHEN TOWNSHIP DIE WELT ERSCHÜTTERTE

Hohe Arbeitslosigkeit und Kriminalität, Probleme im Bildungssystem – Südafrika kämpft bis heute mit den Folgen der Zeit der Apartheid. Rassismus ist weiterhin ein Problem, Korruption innerhalb der Regierung und die Armut im Land. Die Wirtschaft des Landes wird von zwanzig Prozent der Bevölkerung beherrscht, die meisten davon sind Weiße. Knapp 79 Prozent der Bevölkerung leben dagegen noch immer unter der Armutsgrenze. Dabei hatte Nelson Mandela, der 1994 frei gewählte frühere Präsident des Landes, alles versucht, um diese Trennung zwischen Schwarz und Weiß aufzuheben.

Bis zu seiner Wahl war das Land geprägt von einer Vorherrschaft der weißen Minderheit, die noch aus der Zeit der Kolonialisierung stammte, als die Niederlande und Großbritannien im 17. und 18. Jahrhundert über das Land herrschten. Die Bevölkerung war getrennt in vier vermeintliche „Rassen“: „Weiße“, „Schwarze“, „Asiaten“ und „Coloured“. Die Bürgerrechte der nicht weißen Bevölkerung wurden eingeschränkt, ein gleichberechtigter Zugang zu Bildung, Arbeitsmarkt und Rechtsprechung wurde ihnen verwehrt. Viele schwarze Kinder wuchsen in Townships auf und sprachen „nur“ ihre jeweilige afrikanische Muttersprache, nicht aber die beiden Amtssprachen Englisch und Afrikaans. Die sollten, festgelegt durch den Bantu Education Act von 1953, erst in der 2. bzw. 4. Klasse als Fremdsprachen eingeführt werden. Das wurde aber nur selten gemacht. Stattdessen wurden viele Abschlussprüfungen nach der 8. Klasse auch in der afrikanischen Muttersprache abgenommen. An den Schulen für weiße Kinder war die Unterrichtssprache dagegen von Beginn an entweder Englisch oder Afrikaans.

Nachdem es 1974 an der Spitze des Bildungsministeriums einen Wechsel gegeben hat, verschärft sich die Situation. Der neue Amtsträger führt die Behörde nach harten Maßstäben. Der Anteil des muttersprachlich basierten Unterrichts wird massiv gekürzt, die Abschlussprüfungen werden auf die 7. Klasse vorgezogen und müssen verpflichtend in Englisch oder Afrikaans abgelegt werden. Das bedeutet für die Kinder und Jugendlichen, die kurz danach ihre Prüfung ablegen, ein uneinholbares Defizit im Lehrplan. Deshalb kommt es ab Februar 1976 zu zahlreichen Protestveranstaltungen.

So auch am 16. Juni 1976. An diesem Tag versammeln sich tausende Schülerinnen und Schüler in Orlando, einem Stadtteil von Soweto. Wie viele es genau sind, lässt sich später nicht mehr nachvollziehen – die Zahlen schwanken zwischen 10 000 und 20 000 jungen Leuten. Sie ziehen von Schule zu Schule, fordern andere auf, ihnen zu folgen. Durch die Straßen hallen Protestlieder, viele halten selbst gemalte Schilder hoch, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Alles ist friedlich. Dann eskaliert die Situation plötzlich. Weiße Polizisten werfen ohne Vorwarnung und ohne Grund Tränengasgranaten in die Menge. Die Schülerinnen und Schüler reagieren wütend und schmeißen Steine gegen die Sicherheitskräfte. Sofort beginnen die scharf zu schießen.

Einer der ersten Toten ist Hector Pieterson. Er ist zwölf Jahre alt, erschossen von einem weißen Polizisten. Neben ihm gehen Hectors Schwester und ein älterer Junge, der Hector auffängt und in ein Krankenhaus bringt. Diese Szene wird von dem zufällig anwesenden Fotografen Sam Nzima festgehalten, das Bild geht um die Welt und rüttelt viele Menschen auf. Die Situation eskaliert weiter. Am Nachmittag stecken die aufgebrachten Jugendlichen Autoreifen und Busse in Brand, demolieren Verwaltungsämter, Bierhallen und Spirituosenläden. Alkohol ist ihnen verhasst, sie sehen darin das Mittel, mit dem die Weißen versuchen, die Schwarzen ruhigzustellen. Die Protestierenden wollen nicht plündern, sondern ein politisches Zeichen setzen. Die Polizisten aber reagieren rücksichtslos.

Offiziell kommen an diesem Tag 23 Menschen ums Leben. Vermutlich sind es aber etwa 200 Schülerinnen und Schüler, die bei diesem Aufstand von Soweto von der Polizei erschossen werden. Die meisten von ihnen sind zwischen elf und 22 Jahren alt. Die Unruhen breiten sich wie ein Flächenbrand aus, greifen auf andere Townships und schließlich aufs ganze Land über. Acht Monate wird in Südafrika zwischen Schwarzen und der weißen Polizei gekämpft, es ist fast wie in einem Bürgerkrieg. Eine Viertelmillion Menschen beteiligt sich an dem Aufstand, 4000 werden verletzt, fast 6000 festgenommen. Nach offiziellen Angaben sterben beinahe 600 Menschen, die überwiegende Mehrheit durch Polizeigewalt. Die meisten Opfer sind Schwarze, viele werden auf der Flucht erschossen – in den Rücken.

Die internationale Gemeinschaft reagiert sofort. Drei Tage nach Beginn des Aufstandes von Soweto verabschiedet der UN-Sicherheitsrat eine Resolution, in der die südafrikanische Regierung scharf verurteilt wird. Viele Länder verstärken ihre teilweise schon bestehenden Wirtschaftssanktionen. So kommt die Regierung Südafrikas nicht umhin, in den folgenden Jahren immer mehr Forderungen der schwarzen Bevölkerung zu erfüllen. 1992 schließlich spricht sich die weiße Bevölkerung in einer Volksabstimmung für ein Ende der Apartheidspolitik aus. Zwei Jahre später finden die ersten freien Wahlen in Südafrika statt. Es ist der schwarze Rechtsanwalt und Bürgerrechtler Nelson Mandela, der die längste Zeit seiner über 28-jährigen Haft auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island verbracht hat, den die Südafrikaner zu ihrem Präsidenten wählen. Deshalb gilt der Aufstand als Anfang vom Ende des Apartheid-Regimes, und der 16. Juni ist als „Tag der Jugend“ ein Feiertag in Südafrika.

LITERATUR:

Nelson Mandela: Der lange Weg zur Freiheit. Frankfurt am Main 1997

Pumla Gobodo-Madikizela: Das Erbe der Apartheid – Trauma, Erinnerung, Versöhnung. Opladen 2006

Trevor Noah: Farbenblind. München 2017

Albrecht Hagemann: Kleine Geschichte Südafrikas. München 2018

DAS UNTERNEHMEN „BARBAROSSA“ – 1941

WIE NAZI-DEUTSCHLAND DIE SOWJETUNION ÜBERFALLEN HAT

Das Verhältnis Europas zu Russland ist derzeit schwierig, manche sagen, es sei zerstört. Zu groß ist gegenwärtig das Unverständnis für die Politik von Präsident Wladimir Putin, der Russland wieder zu einer Weltmacht pushen will und dabei Kritiker und Gegner im eigenen Land – und wenn es sein muss auch im Ausland – aus dem Weg räumt. Russlandkenner glauben, dass in Russland die Meinung vorherrscht, der große Verlierer des Kalten Krieges zu sein, obwohl die Rote Armee doch maßgeblich am Sieg im „Großen Vaterländischen Krieg“ – wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird – beteiligt gewesen war. Begonnen hat für die damalige Sowjetunion der Zweite Weltkrieg eigentlich Ende August 1939, als die beiden Diktatoren Hitler und Stalin einen Pakt schließen und weite Teile Osteuropas unter sich aufteilen. Nach dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 marschiert Stalins Rote Armee in Ostpolen ein, besetzt das Land und beginnt sofort mit der Kollektivierung der Landwirtschaft, der Enteignung von Großgrundbesitzern und der Verstaatlichung der Industrie. Es entsteht ein Raumgewinn von etwa 200 000 km2 für die UdSSR. Aber dreizehn Monate später ist das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich auf einem Tiefpunkt angelangt. Der „Pakt der Diktatoren“ engt die großspurigen Pläne des deutschen Diktators Adolf Hitler zu sehr ein. Er will „seinen Krieg um den Lebensraum für das deutsche Volk“, und den hat er in Osteuropa ausgemacht.

Am 12. November 1940 kommt der ranghöchste Vertreter der sowjetischen Regierung, Außenminister Wjatscheslaw Molotow, zu einem Staatsbesuch nach Berlin. Die UdSSR hatte, wie im Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 verabredet, die baltischen Länder Lettland, Litauen und Estland sowie weite Teile Finnlands annektiert. Das Deutsche Reich war inzwischen in Frankreich, den Benelux-Staaten, in Dänemark und Norwegen, in den westlichen Teil Polens und in Rumänien einmarschiert. Ende September 1940 hatten Deutschland, Italien und Japan den Dreimächtepakt geschlossen und die Achse Berlin–Rom–Tokio gebildet. Der sowjetische Außenminister will bei seinem Besuch in Berlin nun ausloten, wie eine zukünftige Zusammenarbeit zwischen diesem Dreibund und der UdSSR aussehen könnte. Aber die deutsche Regierung zeigt ihm die kalte Schulter. In Berlin sind die Weichen längst auf einen Krieg gegen die UdSSR gestellt. Schon am 31. Juli 1940 hatte Hitler den Spitzen der Wehrmacht erklärt, sein Entschluss stehe fest, spätestens im Frühjahr 1941 einen Feldzug gegen die Sowjetunion zu führen, um neuen „Lebensraum für das deutsche Volk“ zu sichern.

Tatsächlich beginnt der Krieg gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941. In den frühen Morgenstunden überschreiten rund fünf Millionen Soldaten aus Deutschland und den verbündeten Staaten die Grenze zur Sowjetunion. Mit dem „Unternehmen Barbarossa“ – so das Codewort für den Angriff – beginnt der von Hitler seit Langem propagierte Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen den „jüdischen Bolschewismus“, den Hitler unablässig zum eigentlichen Gegner der Deutschen und der „arischen Rasse“ gebrandmarkt hatte. Die deutschen Truppen rücken in den Anfangsmonaten rasch vor, es scheint, als könnte ihnen ein schneller Sieg über die Rote Armee gelingen. Anfang Oktober 1941 stehen deutsche Heere vor den Toren Moskaus und beginnen mit dem Beschuss der Stadt. Ein Sieg über die Verteidiger und eine auf einem Kremlturm gehisste Hakenkreuzfahne würde die Moral der Russen brechen – so die Hoffnung der deutschen Angreifer.

Aber sie haben den Verteidigungswillen und die Härte des Winters in Russland unterschätzt, sodass die Belagerung von Moskau Ende Januar 1942 unter großen deutschen Verlusten aufgegeben werden muss. Die fehlgeschlagene Belagerung Moskaus ist ein Vorbote der sich anbahnenden Niederlage, die sich acht Monate später in Stalingrad noch deutlicher abzeichnet. Vier militärische Großverbände – die Heeresgruppe B, die Heeresgruppe Don, die 6. Armee und die 4. Panzerarmee sowie rumänische, italienische und ungarische Armeen – treffen mit rund 850 000 Soldaten am 23. August 1942 auf mehr als 1,7 Millionen Verteidiger der Stadt. Fünf Monate kämpfen sie um jeden Straßenzug und jedes Haus. In den Ruinen Stalingrads bringen sich in dieser Zeit rund eine Million Soldaten gegenseitig um. Am Ende kapituliert der Rest der geschlagenen 6. Armee unter dem Oberbefehl von General Friedrich Paulus gegen den erklärten Willen des im Führerhauptquartier vor Wut schäumenden Adolf Hitler.

Die Niederlage in Stalingrad ist gleichzeitig der Beginn des sowjetischen Vormarsches, der Anfang Mai 1945 in der Reichshauptstadt Berlin und einer bedingungslosen Kapitulation Deutschlands endet. Dieser Krieg forderte mehr als siebzig Millionen Menschenleben auf den Schlachtfeldern, in Konzentrations- und Vernichtungslagern, in Kriegsgefangenschaft oder in den Ruinen der zerbombten Städte. Die schwerste Last dieser entsetzlichen Bilanz hatte die Sowjetunion zu tragen. Rund zehn Millionen sowjetische Soldaten der Roten Armee wurden getötet oder starben in Kriegsgefangenschaft. Insgesamt hatte die Sowjetunion über 24 Millionen Tote zu beklagen – mehr als jedes andere in den Zweiten Weltkrieg verwickelte Land.

Als nach dem Ende der Kriegshandlungen die alliierten Sieger über eine neue Ordnung für Europa diskutierten, setzte der sowjetische Diktator Josef Stalin durch, dass zur Abwehr eventueller Angriffe durch die westlichen Länder der kapitalistischen Welt eine Pufferzone zur Sowjetunion eingerichtet wird: Bulgarien, Rumänien, die Tschechoslowakei, Polen, die unter sowjetischer Verwaltung stehende deutsche Ostzone – die spätere DDR – und die schon 1939 annektierten Staaten des Baltikums Estland, Lettland und Litauen. Dieser sogenannte Ostblock avancierte bis 1991 zum Gegengewicht der NATO und des kapitalistischen Westens. Die UdSSR war eine atomare Weltmacht und ein Gegner im Kalten Krieg, der vom Westen ernst genommen wurde. Mit dem Ende der UdSSR durch den Rücktritt des damaligen Staatschefs Michail Gorbatschow am 25. Dezember 1991 verlor der Sieger des Zweiten Weltkriegs diesen Status und wurde u. a. vom US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama zur „Regionalmacht“ degradiert – eine bis heute unvergessene Schmach.

LITERATUR:

Richard Overy: Russlands Krieg. Reinbek 2003

Christian Hartmann: Unternehmen Barbarossa. Der deutsche Krieg im Osten. München 2011

Joachim Käppner: 1941. Der Angriff auf die ganze Welt. Reinbek 2016

Ian Kershaw: Höllensturz. Europa 1914 bis 1949. München 2016

DER MAJI-MAJI-AUFSTAND IN DEUTSCHOSTAFRIKA – 1905

WIE DEUTSCHE KOLONIALPOLITIK SPUREN IN AFRIKA HINTERLASSEN HAT

In vielen afrikanischen Staaten leben die Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts unter schlechten wirtschaftlichen und politischen Bedingungen. Sie leiden unter dem Klimawandel oder unter Regierungen, deren Macht sich auf das Militär stützt. Viele der Schwierigkeiten afrikanischer Staaten sind selbst verschuldet, andere sind aber auf die Folgen einer über Jahrhunderte dauernden Kolonialzeit zurückzuführen, in der europäische Großmächte nahezu jeden Quadratmeter Afrikas ausgeplündert haben.

Am Beginn des 20. Jahrhunderts „besaß“ das deutsche Kaiserreich die beiden afrikanischen Kolonien Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika. Im Süden umfasste das Gebiet das heutige Namibia, im Osten ersteckte sich das Areal auf die heutigen Länder Tansania, Burundi, Ruanda und einen Teil Mosambiks. Zusammen waren beide Kolonien etwa dreimal so groß wie das deutsche Kaiserreich. Damit hatten sich im Deutschen Reich jene politischen Kräfte durchgesetzt, die nach einem „Platz an der Sonne“ gerufen und überseeische Besitzungen gefordert hatten, um mit den europäischen Kolonialmächten Frankreich und England gleichzuziehen. Der deutsch-namibische Historiker Joachim Zeller schränkt allerdings ein, dass diese Region den Teil Afrikas umfasste, den die anderen Kolonialmächte „nicht haben wollten“, weil sie ihn als wertlosen „Streusand“ bezeichneten.

Im Herbst 1884 kamen die ersten Abgesandten der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ mit dem Auftrag in Sansibar an, Gebiete in Afrika in Besitz zu nehmen. Sechs Jahre später lag die Kontrolle eines 995 000 Quadratkilometer großen ostafrikanischen Gebietes in deutschen Händen. Fast gleichzeitig erfolgte die Inbesitznahme von Deutsch-Südwestafrika. Hier war es der Bremer Tabakhändler Franz Adolf Lüderitz, der im Mai 1883 in der nach ihm benannten Lüderitzbucht als erster deutscher Kolonist Fuß fasste. Für den Preis von ein paar Hundert englischen Pfund und einigen alten Gewehren erwarb er von den Herero und Nama, zwei in Südafrika beheimateten Völkern, ein Stück Land. Anschließend legte er ein anderes Längenmaß als im Vertrag ausgewiesen zugrunde, erweiterte so seinen „Besitz“ erheblich und wehrte die Proteste mit der Anwesenheit einiger deutscher Kriegsschiffe ab. Nach und nach verschärfte sich der Konflikt zwischen den Einheimischen und den Kolonisten, die immer mehr Land in Besitz nahmen und dabei von der kaiserlichen Regierung in Berlin unterstützt wurden.

Am 12. Januar 1904 begann der Aufstand der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika. Nachdem sich schnell herausstellte, dass die deutschen Schutztruppen dem Aufstand nicht gewachsen waren, entsandte der Berliner Reichstag ein 15 000 Mann starkes Expeditionskorps, das unter dem Befehl des Generalleutnants Lothar von Trotha in den kommenden Monaten den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts beging. Die Strategie hatte von Trotha in einem Brief an den Generalstabschef von Schlieffen im Oktober 1904 festgelegt: „Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung einer Partei abzuschließen.“ Am Ende dieses Vernichtungskrieges waren nahezu siebzig Prozent der Nama und Herero ums Leben gekommen.

Während die Niederschlagung des Aufstands der Nama und Herero bis 1908 dauerte, begann 1905 in Deutsch-Ostafrika der Maji-Maji-Aufstand, der sich innerhalb kurzer Zeit zu einem zweijährigen Kolonialkrieg entwickelte. Auslöser war die Entscheidung der deutschen Kolonialverwaltung, eine „Hüttensteuer“ in eine „Pro-Kopf-Steuer“ umzuwandeln und damit die Steuerlast für die Einheimischen drastisch zu erhöhen. Im Juli 1905 löste das einen Streik auf einer Plantage aus, der sich nach ersten Erfolgen der Aufständischen auf weitere Gebiete Ostafrikas ausweitete. Die Aufständischen agierten in kleinen, unorthodox agierenden Einheiten und waren für die Deutschen ein schwer fassbarer Gegner. Die Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika begegnete dieser Guerillataktik nicht nur mit einem gnadenlosen Kampf gegen die Zivilbevölkerung, sondern vor allem auch durch die Vernichtung der wirtschaftlichen Basis der Einheimischen. Die Einheimischen nannten sich Maji-Maji, weil dieses Getränk aus Wasser, Mais und Süßgräsern gegen Krieg, Hunger und Vertreibung helfen und Unverwundbarkeit, Reichtum und Glück bringen sollte. Aber gegen die Politik der verbrannten Erde waren sie machtlos. Die Deutschen brannten ihre Dörfer nieder, beschlagnahmten Vieh und Vorräte, vergifteten Brunnen und vernichteten die Ernten auf den Feldern. Inklusive der zivilen Hungertoten gehen Schätzungen von mehr als 100 000 Toten und mehr als 250 000 Vertriebenen aus.

Aber trotz sehr viel höherer Totenzahlen ist der Krieg gegen die Maji-Maji weniger im kollektiven Gedächtnis verankert als der fast gleichzeitig stattfindende Völkermord an den Nama und Herero. Die Nachkommen der Opfer reichten Anfang 2017 in New York eine Sammelklage gegen die Bundesrepublik ein. Sie fordern Entschädigung von den Nachkommen der Täter.

LITERATUR:

Joachim Zeller, Jürgen Zimmerer: Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904–1908) in Namibia und seine Folgen. Berlin 2003

Felicitas Becker, Jigal Beez (Hrsg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika. 1905–1907. Berlin 2005

Andreas Eckert: Kolonialismus. Frankfurt am Main 2006

Jürgen Osterhammel, Jan C. Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen. München 2017

Matthias Häussler: Der Genozid an den Herero. Krieg, Emotion und extreme Gewalt in Deutsch-Südwestafrika. Weilerswist 2018

DIE AMERIKANISCHE UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG – 1776

WIE DREIZEHN KOLONIEN EIN LAND WURDEN

Heute schaut die ganze Welt nach Washington D.C., egal ob ein neuer Präsident gewählt, das Kapitol belagert oder der Leitzins angehoben wird. Denn politisch, wirtschaftlich und militärisch sind die USA eine Supermacht. Dabei gab es sie vor 250 Jahren noch nicht einmal, diese „Vereinigten Staaten von Amerika“.

Boston, am Abend des 16. Dezember 1773: Dreißig, vierzig oder vielleicht sogar fünfzig Mohawks, teilweise mit Beilen bewaffnet, verschaffen sich Zugang zum Bostoner Hafengelände. Sie entern drei große Handelsschiffe und versenken deren Ladung im Hafenbecken: 45 Tonnen Tee im Wert von 9000 Pfund-Sterling – das wären heute fast eine Million Euro. Willkommen auf der berühmten Boston Tea Party! Die Männer, deren genaue Zahl man heute nur schätzen kann, waren aber keine amerikanischen Ureinwohner mit Beilen in den Händen und Federn im Haar, auch wenn sie sich so verkleidet hatten: Sie waren amerikanische Kolonisten.

Vor allem im 17. und 18. Jahrhundert hatte es immer mehr Menschen aus Europa auf den amerikanischen Kontinent getrieben. In Nordamerika etablierten sich dann im Laufe der Zeit zwei Nationen als vorherrschende Mächte: Frankreich und Großbritannien. Aber spätestens im Siebenjährigen Krieg, der zwischen 1756 und 1763 an vielen Orten der Welt tobte, setzten sich die Briten durch und nahmen den Franzosen sämtliche ihrer Kolonien in Nordamerika ab. Insgesamt gab es nun dreizehn britische Kolonien entlang der amerikanischen Ostküste. Am Ende des Kriegs sind die Kassen der Krone allerdings leer. Also denkt sich der britische König George III.: Sollen doch die Neu-Amerikaner dafür aufkommen! 1764 folgt zuerst der „Sugar Act“, besteuert werden Zucker, Kaffee, Wein, Seide und Leinen. Es ist das erste Mal, dass englischen Kolonisten in Amerika direkt Steuern nach London abdrücken sollen, bisher wurden nur Abgaben für die Kosten der Soldaten vor Ort und für die eigene Verwaltung erhoben. 1765 folgt der „Stamp Act“ – dieses Mal besteuert die englische Krone jedes Stück Papier, jede Zeitung, jede Karte, jeden Kalender und jede Urkunde, die in den dreizehn Kolonien Amerikas ausgestellt wird. Beide „Acts“ werden nach heftigen und gewalttätigen Protesten wieder eingestampft, doch der Grundkonflikt bleibt: Die Krone will ans Geld der Kolonialisten, immerhin liegt deren Steuerlast nur bei einem Fünfzigstel von der der Briten zu Hause auf der Insel. Die Kolonialisten wiederum halten dagegen: „No taxation without representation“ – keine Besteuerung ohne Mitsprache im Parlament. Dabei geht es ihnen nicht nur um eigene Abgeordnete, sondern grundsätzlich um das eigene Wahlrecht, das sie über die Distanz eines Ozeans zwischen Amerika und England nicht ausüben können.

Das Ganze eskaliert dann also in Boston: Schon einmal, 1770, im „Massaker von Boston“, bei Straßenschlachten mit fünf Toten. Und dann 1773, nach dem nächsten „Act“, dieses Mal dem „Tea Act“, einem ziemlich rigorosen Eingriff der britischen Krone in den amerikanischen Teehandel. Als die Briten nach der Tea Party hart durchgreifen, unterschätzen sie offensichtlich, was das auslöst: In Philadelphia treffen sich Abgesandte aller dreizehn Kolonien zu einem Kongress. Für Virginia ist der britisch-amerikanische Anwalt Patrick Henry dabei: „Die Unterscheidung zwischen Virginiern, Pennsylvaniern, New Yorkern und Neu-Engländern hat aufgehört! Ich bin kein Virginier, sondern ein Amerikaner!“ Dieser Kongress fordert zwar nicht gleich die Unabhängigkeit, aber er beschließt den Aufbau von Bürgerwehren in allen Kolonien. Schon bald kommt es zum Konflikt mit den britischen Truppen, und es beginnt der amerikanische Unabhängigkeitskrieg.

In Krieg und Kampf wird auch der Wunsch nach einer politischen Lösung immer größer. Angetrieben durch die aus Europa mitgebrachten Ideen der Aufklärung fragen sich die Kolonialisten: Warum sollten wir überhaupt von einem König regiert werden? Können wir das nicht selber? Einer ihrer Vordenker, Thomas Jefferson, Abgesandter aus Virginia, schreibt dann ein Dokument, das wir bis heute kennen: Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung. Am 4. Juli 1776 wird sie vom Kongress in Philadelphia verabschiedet. Der Abgesandte John Adams schreibt in sein Tagebuch: „Ich glaube, dass dieser Tag von den nachfolgenden Generationen als das große jährliche Fest gefeiert wird.“ Recht sollte er behalten, der 4. Juli ist der Nationalfeiertag der USA – von heute allerdings nicht mehr dreizehn, sondern fünfzig Vereinigten Staaten von Amerika.

Diese Unabhängigkeitserklärung ist ideengeschichtlich ein Meilenstein: In ihr wurde erstmals die Freiheit eines Volkes von fremder Herrschaft schlichtweg aufgeschrieben – ein staatsrechtlich bindender Vertrag mit Tinte auf Papier besiegelt! Und genauso vertraglich wurden Werte und Überzeugungen festgehalten, die wir heute für selbstverständlich halten – allen voran: „All men are created equal“, alle Menschen sind gleich. Die Unabhängigkeit und Freiheit als Land, aber auch die eines jeden Einzelnen, kann man als Fundament der USA zum Aufstieg als Weltmacht verstehen.

Aber natürlich waren in den jungen USA nicht alle Menschen gleich. Lange waren sie ein Land der Sklaverei, führten brutal Krieg gegen die amerikanischen Ureinwohner und töteten Millionen von ihnen. Wahl- und Bürgerrechte kamen nur einem kleinen Kreis von Privilegierten zu, Frauen waren außen vor. Auch die Gründerväter und Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung erscheinen uns heute als zwiespältige Charaktere. Und vor allem sind selbst bis heute weder in den USA noch bei uns in Europa noch sonst irgendwo in der Welt „alle Menschen gleich“. Immerhin wurde dieser Anspruch aber 1776 aufgeschrieben, sodass wir heute mehr denn je die Möglichkeit haben, uns an diesen Worten zu messen.

LITERATUR:

Hermann Wellenreuther: Von Chaos und Krieg zu Ordnung und Frieden. Der Amerikanischen Revolution erster Teil, 1775–1783. Münster 2006

Charlotte A. Lerg: Die amerikanische Revolution. Tübingen 2010 Manfred Berg: Geschichte der USA. München 2013

Hermann Wellenreuther: Von der Konföderation zur Amerikanischen Nation. Der Amerikanischen Revolution zweite Teil, 1783–1796. Berlin, Münster 2016

Michael Hochgeschwender: Die amerikanische Revolution. Geburt einer Nation 1763–1815. München 2016

DIE SCHLACHT BEI MANTZIKERT – 1071

WIE CHRISTEN VERSUCHTEN, ISLAMISCHES GEBIET ZU EROBERN

Als zwischen 2015 und 2016 mehr als eine Million Geflüchtete nach Deutschland kamen, um hier Schutz vor Krieg und Armut zu finden, wurden Stimmen laut, die vor einer „Islamisierung des Abendlandes“ warnten. Die Vertreter dieser Meinung sagten, in Deutschland werde bald die Scharia gelten, Frauen müssten verschleiert herumlaufen und Dieben werde die Hand abgehackt, weil das in islamischen Ländern so sei. Dahinter steckte nicht nur Unwissenheit über den Islam, sondern vor allem auch eine ungefilterte Angst vor einer anderen Religion und anderen Lebensgewohnheiten.

Das Verhältnis zwischen Christentum und Islam war von Anfang an konfliktreich und von dem beiderseitigen Unvermögen gekennzeichnet, aufeinander zuzugehen oder zumindest eine friedliche Koexistenz der beiden Religionen zu organisieren. Am 26. August 1071 fand im ostanatolischen Mantzikert eine Schlacht statt, deren Ausgang das Einflussgebiet der islamischen Religion abgesteckt hat. Gleichzeitig war diese Schlacht aber auch Startschuss und Legitimation der christlichen Kreuzzüge, die zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert Tausende Ritter mit dem Kreuz auf ihren Rüstungen in den Nahen und Mittleren Osten führten.

Nicht ganz fünfzig Jahre zuvor hatte das Byzantinische Reich den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Die „Rhomäer“, wie sich die Byzantiner als stolze Nachfahren des Oströmischen Reiches noch immer nannten, beherrschten die Länder von Süditalien und der Balkanhalbinsel bis zur Arabischen Halbinsel und der nordafrikanischen Küste. Hauptstadt dieses Reiches war Konstantinopel, das auch Byzanz genannt wurde. Basileios II., Kaiser von 976 bis 1025 n. Chr., hatte den größten Feind des Byzantinischen Reiches zerschlagen: das Bulgarische Reich, das das Byzantinische Reich in den vorangegangenen rund drei Jahrhunderten immer wieder in Bedrängnis gebracht hatte. Einer seiner Nachfolger war Romanos IV., der mit einem anderen Feind zu kämpfen hatte: den Seldschuken. Bei ihnen handelte es sich um Muslime sunnitischer Ausprägung, die von türkischen Nomadenstämmen aus der heutigen Kasachensteppe abstammten. Ihr Reich erstreckte sich über Mittelasien, Iran, Irak, Syrien, Anatolien und Teile der Arabischen Halbinsel.

In den ersten Jahren seiner Regentschaft konnte Romanos IV. die Seldschuken noch erfolgreich daran hindern, Konstantinopel einzunehmen. Um 1064 änderte sich aber die Situation. In Süditalien bedrohten die Normannen das Byzantinische Reich, im Norden griffen die Petschenegen an, ein Reitervolk aus Zentralasien, und im Osten begann der Vormarsch der Seldschuken unter Sultan Alp Arslan. Deshalb bat Romanos IV. um Hilfe sowohl von christlichen Kriegern aus Europa als auch von Petschenegen, die nördlich des Byzantinischen Reichs siedelten, und von Kumanen, einem heidnischen Reitervolk aus dem kaukasischen Steppenland. Es kamen Normannen und Franken aus Europa, die gemeinsam mit den Petschenegen und Kumanen sein Heer aufstockten, um gegen die Seldschuken anzutreten. Allerdings stagnierten die Soldzahlungen, nicht zuletzt durch korrupte Beamte, und somit war es um die Moral der Söldner nicht gut bestellt. Als Romanos IV. trotzdem Erfolge bei den Schlachten gegen die anstürmenden Heere der Seldschuken vorzuweisen hatte, wollte er die Gelegenheit nutzen und eine entscheidende Schlacht gegen die Seldschuken schlagen. Er brach Anfang 1071 mit seiner Armee in den Osten auf, um in Armenien Festungen von den Seldschuken zurückzuerobern. Als Sultan Alp Arslan davon erfuhr, sammelte er seine Armeen und zog Romanos IV. entgegen. Die beiden Heere trafen nördlich des Vansees, bei der Festungsstadt Mantzikert – dem heutigen Malazgrit – aufeinander.

Obwohl Romanos IV. das größere Heer hatte, ging die Schlacht verloren. Die Gründe dafür waren vielfältig: Im Gegensatz zu den seldschukischen Truppen hatten die Byzantiner im Vorfeld nicht das Gelände ausgespäht, sie wussten also nicht, wo und wie Alp Arslan angreifen würde. Außerdem wurde Romanos IV. von einigen seiner Söldner im Stich gelassen. Die kumanischen und petschenegischen Kämpfer waren in der Nacht vor der Schlacht zum Feind übergelaufen, die europäischen Söldner weigerten sich zu kämpfen, und die Reservetruppe war vorzeitig abgezogen. Kaiser Romanos IV. geriet während der Schlacht in Gefangenschaft, er war damit nach Valerian der zweite Kaiser in der römisch-byzantinischen Geschichte, dem so etwas passierte.

Nach der Schlacht eroberten die Seldschuken zwar nicht Konstantinopel, aber weite Teile Kleinasiens, unter anderem auch Jerusalem. Und: Durch die Schlacht wurde das Einflussgebiet der islamischen Religion abgesteckt. Es gab zwar auch danach immer wieder Versuche, im westlichen Europa Einfluss zu nehmen. Aber alle Bemühungen, ursprünglich christliches Gebiet zu erobern, scheiterten. Das galt übrigens auch umgekehrt für die christlichen Herrscher. Denn nach der Schlacht von Mantzikert war klar, dass diese Region muslimisches Gebiet sein und bleiben würde. Aber die Schlacht in Ostanatolien stachelte die Päpste in Rom aus einem anderen Grund an. Denn durch die Eroberungen der Seldschuken war der Pilgerweg nach Jerusalem verschlossen. Europäische Pilger, die eine christliche Wallfahrt zum spirituellen Zentrum ihrer Religion unternehmen wollten, mussten durch muslimisches Gebiet, waren zahlreichen Drangsalierungen auf ihrem Weg ausgesetzt, und wenn sie schließlich am Ziel ihrer Reise angelangt waren, mussten sie Eintritt bezahlen, um die Grabeskirche und andere heilige Stätten in Jerusalem besuchen zu dürfen.

Als die Klagerufe lauter und die Berichte aus Jerusalem drastischer wurden, rief Papst Urban II. am 27. November 1095 die Ritter Europas auf, ins Heilige Land zu ziehen und Jerusalem von den Muslimen zu befreien. Aber das Vorhaben scheiterte, auch wenn dem ersten Kreuzzug sechs weitere folgten. Es gelang nicht, den Nahen und Mittleren Osten wieder unter christliche Herrschaft zu stellen.

LITERATUR:

John Haldon: The Byzantine Wars. Cheltenham 2008

Michael Grünbart: Das Byzantinische Reich. Darmstadt 2013

Georg Ostrogorsky: Byzantinische Geschichte. 324–1453. München 2019

DIE ANSCHLÄGE DES 11. SEPTEMBER – 2001

WIE DER TERROR DIE WELT VERÄNDERTE

Weißt du noch, was du am 11. September 2001 gemacht hast? Wenn du damals schon gelebt hast, weißt du es wahrscheinlich: Es ist einer dieser Tage, bei dem fast jede oder jeder von uns weiß, was er oder sie gemacht hat. Eine Folge dieser für weltweiten Schrecken sorgenden Anschläge war der Irakkrieg, die Verhaftung und Hinrichtung des irakischen Präsidenten Saddam Hussein. Nach dem Krieg gegen den Irak entstand ein Machtvakuum im Mittleren Osten, das bis heute die Region destabilisiert.

Dieser 11. September 2001 beginnt ganz normal: Menschen fahren zur Arbeit, bringen ihre Kinder zur Schule oder sitzen in einem der unzähligen Flugzeuge am Himmel über Amerika. Was sie nicht wissen: An diesem Morgen haben neunzehn al-Qaida-Terroristen vier Passagiermaschinen entführt, mit denen sie Ziele ansteuern, die von weltweiter Bedeutung sind. Zwei sollen das Zentrum des Welthandels treffen, das World Trade Center in New York. Ein weiteres Flugzeug soll das amerikanische Verteidigungsministerium Pentagon in Washington DC treffen und das Zentrum der amerikanischen Militärmacht lahmlegen. Die vierte Maschine sollte vermutlich das Herz der politischen Macht der USA treffen, entweder den Amtssitz des Präsidenten, das Weiße Haus, das Kapitol, wo Senat und Repräsentantenhaus im gemeinsamen Kongress tagen, oder den Landsitz des US-Präsidenten, Camp David.

Um 8.45 Uhr Ortszeit rast das erste Flugzeug in den nördlichen Turm des World Trade Center. Noch glaubt die Welt an einen Unfall. Deshalb werden auch die Menschen im Südturm aufgefordert, an ihren Arbeitsplätzen zu bleiben. Ab 8.48 Uhr berichten erste Medien über eine Explosion im World Trade Center. Um 9:03 Uhr trifft das zweite Flugzeug von Süden her den Südturm. Ab jetzt ist klar: Das ist Absicht. Das ist auch der Moment, erzählt der ehemalige Washington-Korrespondent Claus Kleber, an dem sich in einer kleinen Grundschule in Florida der Stabschef des Präsidenten über George W. Bush beugt und ihm ins Ohr flüstert „Mr. President, the second tower has been hit. America is under attack.“ Jetzt wird auch die Evakuierung des Südturms angeordnet.

Eine halbe Stunde später, um 9.37 Uhr, stürzt Flug AA 77 ins Pentagon. Es zerstört große Teile des Westflügels des US-Verteidigungsministeriums. Flug UA 93 stürzt um 10.03 Uhr auf einem Feld in Shanksville, etwa 100 Kilometer östlich von Pittsburgh ab. Passagiere an Bord hatten von den Anschlägen in New York erfahren und versucht, die Entführer zu überwältigen. Zwei Minuten später, um 10.05 Uhr, fällt in New York der Südturm des World Trade Centers in sich zusammen. Etwa zwanzig weitere Minuten später kollabiert auch der Nordturm. Eine dicke Rauchwolke liegt über ganz Manhattan.

Etwa 3000 Menschen sterben bei den Anschlägen insgesamt, mehr als 6000 werden verletzt. Bis heute sind etwa 10 000 Körperfragmente, die bei den Aufräumarbeiten geborgen wurden, nicht identifiziert. Noch am Abend des 11. September verspricht US-Präsident George W. Bush, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Dabei werde nicht unterschieden zwischen den Terroristen, die diese Taten begangen, und jenen, die sie beherbergt haben. Als Drahtzieher der Attentate machen die US-amerikanischen Geheimdienste Osama bin Laden verantwortlich, den Kopf des Terrornetzwerks al-Qaida. Unter diesem ersten Schock rückten die USA und die Weltgemeinschaft enger zusammen. Schon am 12. September 2001 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine Resolution, in der die Anschläge einstimmig verurteilt und den USA militärische Selbstverteidigung erlaubt werden. Acht Tage später kündigte George W. Bush einen „Krieg gegen den Terror“ an, sollte das afghanische Regime der Taliban bin Laden nicht sofort ausliefern. Am 7. Oktober begannen die Luftangriffe der USA und Großbritanniens.

Im Zuge dieses „Krieges gegen den Terror“ griffen die USA gemeinsam mit einer „Koalition der Willigen“ auch den Irak an, unter dem Vorwand, Saddam Hussein unterstütze al-Qaida und verfüge über Massenvernichtungswaffen. Laut dem Historiker und früheren Leiter des Berliner Kollegs Kalter Krieg Bernd Greiner war der Krieg gegen den Irak nicht zu rechtfertigen. Das Vorgehen der USA sei politisch maßlos, rechtlich bodenlos, moralisch verwerflich gewesen. Das gelte auch für das umstrittene Gefangenenlager Guantanamo Bay. Durch beides habe die Demokratie in den USA bis heute schweren Schaden genommen.

Saddam Hussein wurde am 13. Dezember 2003 von US-Soldaten festgenommen und in einem Prozess wegen Kriegsverbrechen zum Tode durch den Strang verurteilt. Osama bin Laden wurde in der Nacht zum 2. Mai 2011 von US-Soldaten in seinem Anwesen in Pakistan erschossen. Trotzdem ist der Terror bis heute nicht besiegt, ganz im Gegenteil: Mit dem „Krieg gegen den Terror“ hat sich die Zahl der Dschihadisten vervielfacht. Einzeltäter, Suizidmörder und kleinere, flexiblere Terrornetzwerke sind die Folgen.

LITERATUR:

Cordt Schnibben, Stefan Aust (Hrsg.): 11. September. Geschichte eines Terrorangriffs. München 2002

Jim Dwyer, Kevin Flynn: 102 Minuten. Die nie erzählte Geschichte vom Kampf ums Überleben in den Türmen des World Trade Centers. München 2006

Sid Jacobson, Ernie Colon: The 9/11 Report. A Graphic Adaptation. New York 2006

Bernd Greiner: 9/11. Der Tag, die Angst, die Folgen. München 2011

Mitchell Zuckoff: 9/11. Der Tag, an dem die Welt stehen blieb. Frankfurt am Main 2020