Hoffnung am Irrawaddy - Sigrid Grabner - E-Book

Hoffnung am Irrawaddy E-Book

Sigrid Grabner

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Beschreibung

Was sagen Ihnen die Namen Myanmar und Aung San Suu Kyi? Der erste ist der neue Name für das alte Burma, der zweite ist der Name der Friedensnobelpreisträgerin (1991) und prominentesten Gegnerin der Militärjunta, die sich im Februar 2021 an die Macht geputscht hatte. Nach jüngsten Nachrichten wurde die inzwischen 77-jährige Ex-Regierungschefin Ende Juni 2022 in ein Gefängnis in der Hauptstadt Naypyidaw gebracht – in Einzelhaft. Und damit sind wir bei dem Buch von Sigrid Grabner. Denn Aung San Suu Kyi ist die Tochter von Aung San, Kommandeur der Burma Independence Army (BIA) und Präsident der Anti-Fascist People’s Freedom League (AFPFL) sowie Vorkämpfer für die Unabhängigkeit des damaligen Birmas vom Vereinigten Königreich. Ihre Mutter, Ma Khin Kyi, war die erste Botschafterin Birmas in Indien. Ihr Vater, Aung San, wurde vor nunmehr 75 Jahren, während einer Kabinettssitzung ermordet. Und genau damit beginnt das spannende Buch: Das Attentat Am Morgen des 19. Juli 1947 rasten zwei Militärfahrzeuge durch die Straßen Ranguns, dem Zentrum entgegen. In Sichtweite des Regierungsgebäudes in der Dalhousie Street hielten sie an. Junge Männer in den dschungelgrünen Uniformen der burmesischen Armee, bewaffnet mit Maschinenpistolen, sprangen auf die Straße. Vorübereilende Passanten beachteten sie kaum. Der Krieg war in der Erinnerung der Menschen noch zu lebendig, als dass sie bewaffnete Soldaten als etwas Außergewöhnliches angesehen hätten. Die Soldaten verschwanden in dem großen grauen Gebäude. Ihre Stiefeltritte hallten durch die langen Korridore. Der wachhabende Soldat vor dem Eingang zum Konferenzzimmer blickte den vier jungen Männern neugierig entgegen. Sicher kamen sie mit einem Sonderauftrag vom Armeehauptquartier. Ehe er noch fragen konnte, wurde er brutal zur Seite gestoßen. Die Männer rissen die Tür zum Konferenzzimmer auf, einer schrie: „Alle sitzen bleiben! Keiner rührt sich von der Stelle!“ Im Konferenzzimmer tagten die Minister der Provisorischen Regierung Burmas. Unter ihnen der zweiunddreißigjährige Regierungschef Aung San. Sie alle schauten die Eindringlinge entgeistert an. Aung San sprang auf, um etwas zu sagen. In diesem Augenblick eröffneten die Männer das Feuer. Die Schießerei dauerte etwa eine halbe Minute. Dann liefen die Attentäter mit schnellen Schritten die Haupttreppe hinunter. Sie sprangen in einen wartenden Jeep vor dem Eingang. Der Fahrer gab Gas. Die Bremsen kreischten, als das Fahrzeug aus dem Tor raste und in die Sparks Street einbog.

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Impressum

Sigrid Grabner

Hoffnung am Irrawaddy

Burma im Aufbruch

ISBN 978-3-96521-648-8 (E-Book)

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

Das Buch erschien 1980 im Verlag Neues Leben, Berlin.

2022 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

Das Attentat

Am Morgen des 19. Juli 1947 rasten zwei Militärfahrzeuge durch die Straßen Ranguns, dem Zentrum entgegen. In Sichtweite des Regierungsgebäudes in der Dalhousie Street hielten sie an. Junge Männer in den dschungelgrünen Uniformen der burmesischen Armee, bewaffnet mit Maschinenpistolen, sprangen auf die Straße. Vorübereilende Passanten beachteten sie kaum. Der Krieg war in der Erinnerung der Menschen noch zu lebendig, als dass sie bewaffnete Soldaten als etwas Außergewöhnliches angesehen hätten.

Die Soldaten verschwanden in dem großen grauen Gebäude. Ihre Stiefeltritte hallten durch die langen Korridore. Der wachhabende Soldat vor dem Eingang zum Konferenzzimmer blickte den vier jungen Männern neugierig entgegen. Sicher kamen sie mit einem Sonderauftrag vom Armeehauptquartier. Ehe er noch fragen konnte, wurde er brutal zur Seite gestoßen. Die Männer rissen die Tür zum Konferenzzimmer auf, einer schrie: „Alle sitzen bleiben! Keiner rührt sich von der Stelle!“

Im Konferenzzimmer tagten die Minister der Provisorischen Regierung Burmas. Unter ihnen der zweiunddreißigjährige Regierungschef Aung San. Sie alle schauten die Eindringlinge entgeistert an. Aung San sprang auf, um etwas zu sagen. In diesem Augenblick eröffneten die Männer das Feuer. Die Schießerei dauerte etwa eine halbe Minute. Dann liefen die Attentäter mit schnellen Schritten die Haupttreppe hinunter. Sie sprangen in einen wartenden Jeep vor dem Eingang. Der Fahrer gab Gas. Die Bremsen kreischten, als das Fahrzeug aus dem Tor raste und in die Sparks Street einbog.

Der Sekretär Aung Sans hatte die Schüsse im Nebenraum gehört und sich auf den Boden geworfen. Er hielt sie für Detonationen von Handgranaten. Nach einer Minute, als alles still war, schaute er nach, was geschehen war. Lähmendes Entsetzen überkam ihn und alle anderen, die jetzt in das Konferenzzimmer stürzten:

Aung San und sechs seiner Minister lagen in ihrem Blut am Boden.

Im Zentralen Krankenhaus von Rangun kniete Daw Khin Kyi neben der Leiche ihres Mannes Aung San. Stunden vergingen, und keine Träne trat in ihre Augen, während ein ganzes Land weinte. Sie sah den Toten an, als wollte sie sich seine Gesichtszüge für alle Zeiten unverlierbar einprägen. Aung San war ihr Leben gewesen. Sie hatte ihn gekannt, wie ihn keiner je gekannt hatte. Sie war die Mutter seiner Kinder, die Vertraute seiner Träume. Von jetzt an musste sie für ihn mitleben. Das brauchte Kraft.

Daw Khin Kyi wusste, dass sie sich in ihrem Schmerz nicht verlieren durfte. Der Tod Aung Sans überstieg ihr persönliches Leid, er konnte zu einer nationalen Katastrophe führen und das Vermächtnis des Toten gefährden. Wie Daw Khin Kyi dachten viele Burmesen in jenen Stunden.

Wer war dieser junge Aung San, dessen Leben sich durch einen Mordanschlag jäh vollendete? Seine Geschichte, die zugleich die Geschichte des burmesischen Unabhängigkeitskampfes ist, begann in dem Städtchen Natmauk in Mittelburma. Hier wurde Aung San am 13. Februar 1915 geboren. Nach unseren Begriffen ähnelte Natmauk Anfang dieses Jahrhunderts mehr einem großen Dorf als einer Stadt. Einstöckige, manchmal auch zweistöckige Häuser aus Teakholz, mit Schilf gedeckt, lagen inmitten grüner Reisfelder. Am Horizont steigen Berge in den Himmel, und bei klarer Sicht kann man in der Ferne den breiten Kegel des heiligen Berges Popa sehen. An den Hängen dieses Berges sammelte im elften Jahrhundert der erste Einiger Burmas, König Anawrahta, sein siegreiches Heer, mit dem er die Dynastie von Pagan begründete. Viele Sagen von Königen, Göttern und Geistern ranken sich um den Popa. Schon früh beschäftigten sie die Fantasie der Kinder von Natmauk.

Am Morgen, ehe noch das bunte Treiben auf dem Basar begann, schob sich aus den Klöstern die lange Reihe der buddhistischen Mönche. In ihren safranfarbenen Gewändern, in der einen Hand den altertümlichen Schirm aus rotem Ölpapier zum Schutz vor Regen und Sonne, in der anderen den Almosennapf aus schwarzlackiertem Bambus, sammelten sie schweigend die Gaben der Gläubigen ein: etwas Reis, Huhn oder Fisch. Mit diesen Geschenken erwarben sich die Spender religiöse Verdienste, und deshalb gaben sie gern und reichlich. Die Mönche genossen hohes Ansehen im Volke. An religiösen Festtagen begaben sich die Einwohner von Natmauk mit Geschenken, der eine mit einer Schlafmatte, der andere mit einem Paar Sandalen oder einem Korb Früchten, zu den Klöstern. Vor dem Eingang streiften sie ihre Schuhe ab, schritten ehrfürchtig ins Betzimmer, legten ihre Gaben ab und setzten sich in einigem Abstand um den Klostervorsteher nieder. Schweigend lauschten sie den Worten des heiligen Mannes über Buddha und seine Lehre, um dann gestärkt und vom Lichte des Glaubens erhellt davonzugehen und sich irdischen Vergnügungen hinzugeben. Keine wichtigen Dinge geschahen in Natmauk, ohne dass die Alten den Rat eines Klostervorstehers einholten. Seit altersher verehrten die Gläubigen Buddha, dharma (die Lehre Buddhas) und sangha (die Gemeinschaft der Jünger). Die Mönche lebten nach dem Gelübde der Armut. Ihr safrangelbes Gewand zeigte an, dass sie dieser Welt entsagt hatten, um auf dem vorgeschriebenen Pfad des Glaubens zu wandeln.

In der Klosterschule lernten die Kinder unter Anleitung der Mönche lesen und schreiben, die lithurgische Sprache des Buddhismus, das Pali, ein wenig Mathematik, ein wenig Geschichte. Auch der kleine Aung San besuchte die Klosterschule von Natmauk. Er war der jüngste von sechs Geschwistern und der Liebling der Mutter. Den Vater bekam er selten zu sehen. Der stille, weltabgewandte U Hpa übte seinen Beruf als Rechtsanwalt nicht mehr aus. Er vergrub sich in die heiligen Schriften des Buddhismus, und manchmal verschwand er für längere Zeit, um als Laienmönch in ein Kloster einzutreten. Die energische Do Su kümmerte sich allein um das Haus, um die Bestellung der Reisfelder und um den Verkauf der Ernte. Und da war noch die greise Do Tin Shwe, die Großmutter. Aung San konnte ihr stundenlang zuhören, wenn sie über den Goldenen Jaung sprach, den Freiheitskämpfer, der hier in Natmauk geboren war, drei Jahre lang tapfer gegen die britischen Eroberer gekämpft hatte und schließlich doch unterlegen war. Dieser Goldene Jaung war Aung Sans Großvater gewesen. Bewundernd schaute Aung San die Großmutter an, wenn sie erzählte, wie sie an der Seite des Goldenen Jaung mit der Waffe in der Hand gekämpft hatte. Sein Herz schlug höher, wenn sie von den heldenhaften Kämpfen berichtete, und er weinte heiße Tränen bei der Vorstellung, wie die Briten den Kopf des Goldenen Jaung auf einen Pfahl gespießt und ihn in Natmauk zur Schau gestellt hatten.

Wunderbar waren die lauen Abende, wenn eine Theatergruppe auf dem großen Platz des Städtchens das indische Heldenepos Ramayana aufführte. Bis tief in die Nacht saß Aung San dann unter den Zuschauern und verfolgte mit brennenden Augen die Abenteuer und Schlachten des Königssohnes Rama gegen den Dämonenkönig Ravana. Die Faszination hielt Tage an und bestimmte die Spiele Aung Sans und seiner Freunde.

Seit Hunderten von Jahren vollzog sich das Leben in Natmauk wie in den meisten Städten Burmas nach dem gleichen Rhythmus. Er wurde bestimmt von Geburt, Hochzeit und Tod, von Aussaat und Ernte, von den religiösen Festen. Hin und wieder drang in dieses abgeschlossene Gemeinwesen Kunde von fernen Städten und Ländern. Sie kamen von den Zügen, die auf dem Bahnhof außerhalb von Natmauk hielten. Ihnen entstiegen Engländer, die die Polizeigewalt in der Stadt ausübten und nachprüften, ob die Steuern pünktlich und ausreichend bezahlt wurden. Auf dem Bahnhof erwartete Aung San aber auch seine Brüder, die in dem nahen Yenangyaung die Schule besuchten. Sie lasen Bücher in einer ihm fremden Sprache, in Englisch, und manchmal unterhielten sie sich in dieser Sprache. Sie erzählten von Boykott, von Unterdrückung und schüttelten zornig die Fäuste. Aung San hörte ihnen neugierig zu, ohne etwas zu verstehen. Dann fuhren sie für lange Zeit fort, um in Rangun zu studieren.

Nur Ba Win, Aung Sans Lieblingsbruder, blieb. Stundenlang redete er auf die Mutter ein. Er wollte Aung San mit sich nach Yenangyaung nehmen, wo er mehr lernen konnte als in der Klosterschule von Natmauk. Die Mutter wusste immer neue Einwände vorzubringen. Aung San war für sein Alter recht klein und häufig krank. Ihm würde die mütterliche Pflege fehlen. Insgeheim hoffte sie, wenigstens Aung San zu behalten, nachdem die anderen Kinder das elterliche Haus verlassen hatten. Ba Win ließ nicht nach. Schließlich überzeugte er die Mutter. Schweren Herzens willigte sie ein, ihren Jüngsten gehen zu lassen. Sie wusste, dass Ba Win wie ein Vater für ihn sorgen würde.

Lehrjahre in Yenangyaung

Der achtjährige Aung San lief an der Hand Ba Wins durch die breiten Straßen von Yenangyaung. Er schaute und staunte und stellte immer neue Fragen. Warum waren die Häuser hier aus Stein und nicht aus Teak und Schilf wie in Natmauk? Was waren das für eiserne Türme, die sich außerhalb der Stadt erhoben? Wozu brauchten die Engländer so viel Erdöl? Wohin fuhren die schimmernden weißen Dampfer auf dem Irrawaddy? Ba Win hatte Mühe, alle Fragen zu beantworten. Der kleine Aung San schien die Mutter und Natmauk völlig vergessen zu haben.

An der Nationalen Mittelschule von Yenangyaung, die Aung San ab 1923 besuchte, eröffnete sich ihm eine erregende Welt. Zwar erfuhr er hier nichts von der Geschlechterfolge des britischen Königshauses, dafür umso mehr über die burmesische Geschichte vom Großreich von Pagan bis zur Gegenwart. Aung San erinnerte sich an die Erzählungen seiner Großmutter vom Goldenen Jaung. Was er von ihr gehört hatte und was er in der Schule lernte, das zusammen ergab ein vollständiges Bild von der britischen Eroberung Burmas. Und dieses Bild sah ganz anders aus, als es die britischen Missionsschulen vermittelten. Aung San erfuhr von jenen fernen Novembertagen des Jahres 1885, als der britische General Prendargast in der alten Königsstadt Mandalay einmarschierte und König Thibaw gefangennahm. In einem Gartenpavillon des Königspalastes erwartete König Thibaw die Eroberer. General Prendargast und sein Adjutant, Hauptmann Sladen, ließen nicht auf sich warten. Mit ihren schweren Armeestiefeln schritten sie unbekümmert über den kostbaren Fußboden. Der General verschwendete keine Zeit mit Höflichkeiten. Militärisch knapp erklärte er dem König, dass er die Stadt innerhalb von fünfundvierzig Minuten zu verlassen und sich in den Gewahrsam der Briten nach Indien zu begeben habe. Der entsetzte Thibaw bat, man möge ihm wenigstens gestatten, auf einem Elefanten aus Mandalay herauszureiten. Prendargast lächelte über das ihm unsinnig vorkommende Verlangen. Eine Königsparade war in seinen Anweisungen nicht vorgesehen. Der König und seine Familie – insgesamt achtundsechzig Personen – wurden kurzerhand in geschlossene Ochsenfuhrwerke verfrachtet. Am Fluss erwartete sie bereits der britische Dampfer „Thuryia“.

Trotz größter Geheimhaltung hatte sich das Ereignis unter den Bewohnern der Stadt herumgesprochen. Männer, Frauen und Kinder säumten den Weg zum Fluss. Als sie die Ochsenkarren, umringt von mehr als hundert rotgekleideten, bärtigen Soldaten, erblickten, hinter dem Fenster das blasse, hilflose Gesicht ihres Königs, überkam viele der Zuschauer Verzweiflung, nicht so sehr über das Schicksal des Königs wie über ihre eigene Schmach und Schande. Frauen warfen sich wehklagend in den Staub, die Männer aber verließen die Stadt, um das Unrecht an ihrem Lande zu rächen.

Am 1. Januar 1886 erfuhren die Burmesen durch eine Proklamation: „Auf Befehl der Königin wird hiermit bekanntgegeben, dass alle von König Thibaw bisher regierten Gebiete nicht länger unter seiner Herrschaft stehen, sondern Teil des Herrschaftsgebietes Ihrer Majestät geworden sind …“ „Ihre Majestät“ war die dicke Königin Victoria im fernen London. Das goldene Burma mit seiner tausendjährigen Geschichte, seinen schimmernden Tempeln und Pagoden, seinen reichen Bodenschätzen und seinen stolzen, selbstbewussten Bewohnern verlor nach dem Willen der Briten an diesem 1. Januar 1886 seine Unabhängigkeit an die Profitinteressen der herrschenden Schicht Großbritanniens.

Der Januar war kaum vergangen, als es Lord Dufferin, Generalgouverneur von Indien und nun auch von Burma, verlangte, seine neue Eroberung zum Ruhme Großbritanniens aus der Nähe zu besehen. Umgeben von prächtigem Gefolge, zog er mit Glanz und Glorie in Mandalay ein. Die Bewohner, eingedenk des schmählichen Auszugs ihres Königs, zeigten sich wenig beeindruckt von der bombastischen Zurschaustellung britischer Macht. Ihre finsteren Blicke und ihre Gleichgültigkeit zeigten deutlich, was sie von der neuen Herrschaft hielten. Den stolzen Lord Dufferin kümmerte das wenig. Die Gewalt der stärkeren Waffen bedeutete ihm Recht und Gesetz genug. Schließlich brachte sie ihm den Titel eines Marquis von Dufferin und Ava (das war der Name der Königsresidenz von Mandalay) ein. Der alte Herrschersitz wurde nüchtern in Fort Dufferin umbenannt.

Die Briten gaben sich nicht damit zufrieden, ihren unumschränkten Herrschaftsanspruch zu verkünden. Sie zerstörten viele Gebäude des Palastes und vernichteten damit Schätze von unersetzlichem kulturhistorischem Wert. Der Gartenpavillon, in dem die letzte Seite der Herrschaft von König Thibaw geschrieben worden war, diente von nun an als englischer Klub. Hier regierten jetzt das Bridgespiel und der Whisky. Rangun wurde zum Zentrum der britischen Macht in Burma. Die neuen Herrscher richteten sich ein.

In London erklärte Lord Randolph Churchill, Staatssekretär für Indien und Vater des späteren Premierministers Winston Churchill, unter dem Beifall begeisterter Imperialisten und Aktienbesitzer in Glasgow und Edinburgh, Manchester und London triumphierend: „… die Arroganz und Barbarei des einheimischen Hofes, die Unterdrückung britischer Staatsbürger, die Behinderung des britischen Handels, die Intrigen ausländischer Nationen haben in Burma für immer ein Ende gefunden.“

Mister Churchill verschleierte den Kern seiner Rede nicht mit den üblichen Beteuerungen, die Zivilisation in die Welt tragen zu wollen, sondern sagte kurz und klar, worum es Großbritannien bei seinen Eroberungen ging: um handfeste kommerzielle Interessen und um die Ausschaltung der ausländischen, vor allem der französischen Konkurrenz, die von Indochina her begehrliche Blicke auf das Land am Irrawaddy geworfen hatte.

Aber so ohne weiteres fanden sich die Burmesen mit den ihnen aufgezwungenen Verhältnissen nicht ab. Wenn König Thibaw auch nicht viel Sympathie im Volke genossen hatte, so war seine Herrschaft den Burmesen doch noch lieber gewesen als die der arroganten ungläubigen Ausländer, die sie als Menschen zweiter Klasse behandelten und ihre Heiligtümer entweihten.

In den Jahren 1886 bis 1889 entbrannte in ganz Burma ein heftiger Partisanenkrieg gegen die britischen Eroberer. Einer ihrer Führer war der Adlige Maung Jaung, der Großvater Aung Sans. Als er von der Proklamation der Königin Victoria hörte, sagte er: Niemals! Er sammelte eine Armee von mehreren tausend Mann und nahm den Kampf auf. Die Briten reagierten, wie überall auf der Welt Eroberer auf die Freiheitsbestrebungen der von ihnen unterworfenen Völker reagieren: mit blutigem Terror. Geübt im Einsatz gegen indische Freiheitskämpfer, entfesselten die Briten eine Gewaltherrschaft ohnegleichen. Sie folterten, erschossen massenhaft Gefangene und spießten die Köpfe toter Partisanen zur Abschreckung der Bevölkerung auf Zaunpfähle. Maung Jaung und seine Armee widersetzten sich drei Jahre. Die Männer griffen britische Festungen an, überfielen Posten und beschossen Kriegsschiffe auf dem Irrawaddy. Doch die Briten besaßen die stärkeren Waffen. 1889 fingen sie Maung Jaung, den Unbeugsamen, und richteten ihn hin.

Mehr als vierzig Jahre später lernte sein Enkel, der junge Aung San, begreifen, warum das burmesische Königreich zerbrochen war. Der Feudalismus als einstmals einigende Kraft des Landes konnte der kapitalistischen Macht Großbritannien nicht standhalten. Es fehlte die vorwärtsweisende Idee, die dem Kampf einen Sinn geben konnte. Freiheit von der Fremdherrschaft, ja, aber was kam dann?

Die Bauern wollten ihr Leben nicht für eine korrupte Königsherrschaft oder für ehrgeizige Ambitionen eines Feudalherrn hergeben. Um so weniger, da seit alters her im Bewusstsein des Volkes die Könige und ihre Höfe zu den fünf Übeln (Feuer, Wasser, Diebe, Krankheitsbeschwörer) gehörten, von denen man besser verschont blieb. So erstarb der Kampf unter dem Pfauenbanner des Königs nicht allein an der Übermacht des britischen Kolonialheeres. Er ging zu Ende, als die breiten Massen des Volkes keinen Sinn mehr in ihm sahen.

Solche Kenntnisse erwarb Aung San in einer der vielen nationalen Schulen Burmas. Enthusiastische junge Leute, Studenten vor allem, hatten sie Anfang der Zwanzigerjahre gegründet, um ein Gegengewicht zu den britischen Missionsschulen zu schaffen. Nicht länger mehr wollten sie kritiklos englisches Bildungsgut übernehmen und sich zu willfährigen Dienern der britischen Verwaltung ausbilden lassen. Sie strebten Reformen an, die den Burmesen das Recht auf eine eigene Kultur zugestanden. Aung Sans Bruder Ba Win und seine Freunde opferten viel Zeit und Geld für diese nationalen Schulen, an denen eine neue, selbstbewusste Generation junger Burmesen heranwachsen sollte.

Als Aung San fünfzehn Jahre alt war, nahm ihn sein Bruder zu den Zusammenkünften der jungen Reformer mit – Lehrer, Beamte, Studenten. Hier stritt man über Bücher, die es in keiner Buchhandlung zu kaufen gab und die illegal von Hand zu Hand gingen: Bücher von Marx, von Lenin, über die irische Unabhängigkeitsbewegung Sinn Fein. Man redete sich die Köpfe heiß über die sozialen Zustände in Burma. Aung San begann das Leben in der Erdölstadt Yenangyaung mit anderen Augen zu sehen. Unter seinen Mitschülern saßen Kinder, deren Väter zwölf bis vierzehn Stunden für die British Oil Company Erdöl förderten und kein Geld besaßen, um Öl für die Lampe zu kaufen. Den indischen Arbeitern wurde noch weniger bezahlt als ihren burmesischen Kollegen. Mehr als einmal kam es vor, dass Inder und Burmesen aufeinander losgingen, weil die Inder jede Arbeit zu den niedrigsten Löhnen verrichteten. Was sollten sie auch tun? Sie waren hierhergekommen, um zu arbeiten. In ihrer Heimat fanden sie keine Arbeit. Die burmesischen Arbeiter sahen in den Indern gemeine Lohndrücker. Genau das bezweckten die Unternehmer, denn sie profitierten von diesen Streitigkeiten. Keine Gewerkschaft vertrat die Interessen der Ölarbeiter, keine Partei interessierte sich für ihre Lage.

Aung San nahm die Ereignisse und Aktivitäten um sich herum mit wachen Sinnen auf: die Unruhe unter der Bauernschaft, das Elend der Arbeiter, die Suche der lernenden Jugend nach neuen Wegen. Die Erfahrungen während seiner Schulzeit in Yenangyaung wurden bestimmend für sein weiteres Leben. Von Natmauk brachte er die lebendige Erinnerung an seinen Großvater mit, in Yenangyaung lernte er die Kultur und die Geschichte seines Landes lieben und verstehen. Und hier kam er erstmals mit jener Kraft in Berührung, in deren Händen die Zukunft Burmas lag. Aung San betonte später mehrmals, dass nicht so sehr das rebellische Aufbegehren seiner Vorfahren seinen Weg zum Revolutionär bestimmt hätte wie die sozialen Kämpfe seiner Zeit.

Sturm über Tharrawaddy

Ende der Zwanzigerjahre erreichten die sozialen Spannungen in Burma ihren Höhepunkt. Das Land lebte nicht mehr abgeschieden von der Welt wie vor hundert Jahren, als die gewaltigen Bergmassive im Norden und Osten, der weite Indische Ozean im Westen und Süden eine natürliche Barriere gegen die Außenwelt bildeten. Das technische zwanzigste Jahrhundert kannte keine unüberwindbaren Grenzen. Die Erschütterung des „Schwarzen Freitag“ lief wie eine Flutwelle um den Erdball, sie war in Indonesien genauso zu spüren wie in Südafrika und Deutschland. Als am 25. Oktober 1929 an der New Yorker Börse die Kurse der Wertpapiere schlagartig fielen und die Weltwirtschaftskrise offen ausbrach, ruinierte dieses Ereignis viele Bauern in Burma. Zwei Drittel der Ackerfläche des Landes wurden mit Reis bestellt. Reis stand auf der Ausfuhrliste an erster Stelle. Fast die Hälfte der burmesischen Ernte floss in die Länder des britischen Kolonialreiches, weshalb Burma auch die „Reiskammer des Britischen Empire“ genannt wurde. Nun stürzte der Weltmarktpreis für Reis ins Bodenlose, aber die Steuerlasten blieben unverändert hoch. Viele Bauern verschuldeten und verloren schließlich ihr Land an die indischen Geldverleiher, die verhassten Chettyars. Die gnadenlose Ausbeutung, der Hunger und die Verzweiflung ließen sie Zuflucht in Träumen suchen. Prophezeiungen häuften sich, dass große Ereignisse bevorstünden und ein König für kurze Zeit die Macht im Lande übernehmen würde. An die äußerste Grenze ihrer Existenz gedrängt, waren die Bauern zum Kampf bereit, wenn dieser König ihrer Hoffnung kommen sollte. Und er kam. Als der fünfzehnjährige Aung San ihn im Frühjahr 1930 vor der Burmesischen Vereinigung in Yenangyaung über die Lage der Bauern sprechen hörte, fand er an dem kleinen schlanken Mann nichts Besonderes. Er hatte ein halbes Jahr später, als der Name dieses Mannes in aller Munde war, große Mühe, sich an ihn zu erinnern. So viele Redner zogen durch das Land.

Saya San war eine schillernde Persönlichkeit, ein Mann mit vielen Namen und Berufen. Er hatte ein Buch über die burmesische Heilkunde geschrieben, sich als Lehrer, Alchemist, Prediger und Heilpraktiker versucht. Aus Shwebo in Nordburma, der Heimat des Begründers der letzten burmesischen Dynastie, Alaungpaya, gebürtig, fühlte sich Saya San zu Großem berufen. Er schloss sich dem Generalrat der Burmesischen Vereinigungen an und leitete in ihm ein Komitee, das die Lage der Bauern erforschte. Dieser Generalrat der Burmesischen Vereinigungen war tief im Buddhismus verwurzelt. Wie jede Religion, die vorgibt, sich nicht um weltliche Dinge zu kümmern, übte auch der Buddhismus als Institution seit jeher Einfluss auf die politischen Geschicke Burmas aus. Die britische Kolonialherrschaft löste die engen Bande, die zwischen Buddhismus und Staat während der burmesischen Königsherrschaft bestanden hatten. Konflikte blieben nicht aus. Vor allem die jungen Mönche wehrten sich gegen das ignorante Verhalten der Briten gegenüber der burmesischen Kultur und den buddhistischen Heiligtümern. Jeder Burmese zog die Schuhe aus, bevor er eine Pagode betrat. Die Briten hielten das ihrer unwürdig. Das Land gehörte ihnen, also auch die Pagoden. In ihnen bewegten sie sich, wie es ihnen passte, ohne auf die religiösen Gefühle der Burmesen Rücksicht zu nehmen. Die „Schuhfrage“ wurde zum Politikum. An ihr entzündete sich der burmesische Nationalismus.

1906 gründeten buddhistische Mönche die Young Men’s Buddhist Association (Y.M.B.A.) und schrieben die Pflege burmesischen Kulturgutes auf ihr Panier. Im Jahre 1920 wurde diese Organisation unter dem Namen General Council of Burmese Associations (Generalrat der Burmesischen Vereinigungen) zur mächtigsten politischen Kraft des Landes. Buddhismus war in den Zwanzigerjahren gleichbedeutend mit Nationalismus. Als unbestrittener Führer der politischen Mönche trat der Mönch U Ottama auf. Er hatte während eines Aufenthaltes in Indien die politischen Methoden der Nationalbewegung kennengelernt. Die Unabhängigkeit Burmas, argumentierte er, sei unerlässlich für die Erhaltung des Buddhismus und der nationalen Bildungstradition. Sein Kampf galt den Missionsschulen und der Missachtung der buddhistischen Lebensweise durch die britischen Kolonialherren. Er predigte offenen Aufruhr. Keiner vor ihm hatte so klar erkannt, dass eine politische Bewegung nur dann Aussicht auf Erfolg hatte, wenn sie in der Vorstellungswelt des Volkes wurzelte. Und diese war in Burma von alters her durch den Buddhismus geprägt. U Ottama stieß bei den konservativen Mönchen und bei den britischen Behörden auf erbitterten Widerstand. Er wurde bald verhaftet und verbrachte den Rest seines Lebens fast ununterbrochen im Gefängnis.

Ab Mitte der Zwanzigerjahre verloren die buddhistischen Organisationen an Einfluss auf die politische Bewegung Burmas. Die ökonomischen und sozialen Veränderungen im Gefolge der britischen Kolonialherrschaft begannen sich auszuwirken. Auf den Ölfeldern von Chauk und Yenangyaung, in den Häfen von Rangun und Moulmein und in den Städten nahm der Anteil der Arbeiter an der Bevölkerung zu. Aus den Dörfern drängten landlose Bauern in die Städte. Das jahrhundertealte soziale Gefüge zeigte tiefe Risse. Die Studenten an den Hochschulen und Universitäten Burmas begnügten sich nicht mehr damit, die eigene Kulturtradition zu pflegen, sie suchten nach Wegen, die sozialen Spannungen im Land zu lösen.

Die Ansätze, die der Generalrat der Burmesischen Vereinigungen mit seinem Bauernkomitee dazu machte, befriedigten Saya San nach kurzer Zeit nicht mehr. Er wurde der unfruchtbaren Diskussionen müde, ihn verlangte nach der Tat. Ruhelos trieb er durch das Land. In Unterburma, der Reiskammer des Landes und dem Zentrum der Unruhe unter den Bauern, begegneten ihm unsägliche Armut und tiefe Verzweiflung. Vor die Wahl gestellt, zu kämpfen und zu sterben oder zu verhungern, entschieden sich die Bauern für den Kampf.

Saya San fand die Worte, die die Herzen seiner Zuhörer entzündeten. Er erzählte den Bauern, dass die Engländer das Land hatten nur besiegen können, weil sie die Gegensätze innerhalb der herrschenden Klasse Burmas geschürt hatten, dass die Fremdlinge Burma schamlos ausbeuteten und Burmesen und Inder mit Versprechungen täuschten. Nur ein heiliger Krieg gegen die Eroberer könnte die Lage der Bauern verbessern.

Die Hingabe und die Begeisterung seiner Anhänger veranlassten Saya San, sich am 28. Oktober 1930 in einer Pagode nahe der Stadt Insein zum König von Burma auszurufen. Er nannte sich von nun an Thupannaka Galon Raja. Das Symbol seiner rasch anwachsenden Armee war der galon, ein mythischer Adler, der Feind der Schlangen, der naga, die die Fremdlinge darstellten.

Bald ergab sich ein Anlass für die Bauern, zu den Waffen zu greifen. Der derzeitige englische Generalgouverneur, Sir Charles Inns, hatte sich am 12. August 1930 für vier Monate nach England begeben, um seine durch das Regieren strapazierte Gesundheit wiederherzustellen. Die Regierungsgeschäfte führte zu dieser Zeit erstmals ein Burmese mit dem stolzen Namen Sir Joseph Augustus Maung Gyi. Er wollte seinem Chef beweisen, dass er sein Vertrauen keinem Unwürdigen geschenkt hatte. Er gab sich britischer als ein Brite und zog die ohnehin straffen Zügel noch mehr an. Der weltgewandte und ämtererfahrene Rechtsanwalt war ein Meister des Wortes und der Intrigen. Von seinem Land und seinem Volk verstand er nichts. Diese Fähigkeit wurde von einem Mitglied der Kolonialregierung ohnehin nicht verlangt.

Am 20. Dezember 1930 besuchte Maung Gyi das stille Städtchen Tharrawaddy, ein Zufluchtsort für erschöpfte britische Regierungsbeamte, die sich auf dem weitläufigen Golfplatz und bei der Jagd auf den bewaldeten Hügeln östlich der Stadt neue Kräfte holten. Eine angenehme Unterbrechung der Regierungsgeschäfte für Maung Gyi, den hiesigen örtlichen Größen Titel und Orden für loyale Dienste zu verleihen. Dazu wunderbares Wetter, wie geschaffen, hier ein wenig auszuspannen und seine Sorgen zu vergessen. In seiner leutseligen Stimmung wurde Maung Gyi jäh durch eine Abordnung von Bauern der Provinz gestört. Sie hatten die Gelegenheit für günstig gehalten, einem Mann ihres Volkes ihre Sorgen vorzutragen. Sie baten ihn, sich dafür einzusetzen, dass die drückenden Steuern gestundet wurden. Die Ernte war schlecht gewesen, ihre Familien hungerten und liefen in Lumpen herum. Maung Gyi reagierte unwillig. Die Steuern würden pünktlich und notfalls mit Gewalt eingetrieben werden. Die Bauern brauchten nur zu arbeiten, dann könnten sie auch ihre Steuern bezahlen, fuhr er die Abordnung barsch an. Den Anwesenden verschlug es den Atem. Wie konnte ein Burmese die Dorfältesten so beleidigen! Sir Joseph hatte die Feder überspannt.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von der zynischen Antwort des amtierenden Generalgouverneurs in der Umgebung. Die Bauern rasten vor Empörung. Saya San hielt die Stunde für gekommen. Am 21. Dezember sammelte er seine Anhänger in seiner Residenz Alantaung, wenige Kilometer von Tharrawaddy entfernt. Ein Chronist berichtet: „Am 21. Dezember … zog Thupannaka Galon Raja in seinen Palast auf dem Berg Alaungtaung in der Provinz Tharrawaddy ein und speiste mit seinen fünf Königinnen im Beisein seiner vier Minister. Dann setzte er sich auf seinen Thron, der auf einem aus Feigenbaumholz geschnitzten, mit Rubinaugen verzierten Löwen ruhte, und ließ seine Truppen an sich vorbeimarschieren. Zum Schluss wurde folgende Proklamation verlesen: ,Ich, Thupannaka Galon Raja, erkläre hiermit den heidnischen Engländern, die uns unterjocht haben, im Namen unseres Herrn und zum Ruhm unseres Glaubens den Krieg!‘“

In den frühen Morgenstunden des 22. Dezember, als das einhundertzwanzig Kilometer entfernte Rangun noch in tiefem Schlaf lag, kam die Galon-Armee von den bewaldeten Bergen östlich Tharrawaddys in die Ebene. Angetan mit schwarzen Jacken, sackartigen Schuhen, bewaffnet mit Schwertern und Speeren, schlugen die Aufständischen ihre Zaubergongs, schwenkten das Pfauenbanner, sangen religiöse Lieder und vertrauten auf die Zauberkraft ihrer Amulette, die sie vor den tödlichen Kugeln schützen würden.

So dilettantisch dieser Aufstand auch geführt und so wenig er organisiert war, die Aufständischen überrannten ihre Gegner mit einem unvorstellbaren Mut, den nur die Verzweiflung hervorbringen kann. Der eilig zurückgekehrte Generalgouverneur Charles Innes, der Kommandeur des burmesischen Militärbezirkes, Generalmajor Coningham, und der Kommandeur des Ranguner Bezirks, Brigadier C.F. Watson, mussten die ganze Macht des Britischen Empire in Indien und Burma mobilisieren, um der Lage Herr zu werden. Flugzeuge und zwei Divisionen Soldaten aus Indien wurden zur Verstärkung herangeholt. Die Flamme des Aufruhrs breitete sich schnell über das Gebiet Tharrawaddy in ganz Unterburma aus. Sie erfasste die Gebiete von Prome, Insein, Thayetmyo, Yamethin, Henzada, Pegu, das Delta, aber sie erreichte auch Oberburma, vor allem die Shan- Staaten. Ausgerüstet mit Speeren und wenigen primitiven Gewehren, befangen in einer magischen Vorstellungswelt, starben Tausende einen Tod, in den sie die Hoffnungslosigkeit trieb. Sie rannten gegen todbringende Technik im Vertrauen auf ihre Amulette an, sie starrten, Zaubersprüche flüsternd, auf die Flugzeuge und warteten darauf, dass sie herunterfielen. Dennoch brauchte die Regierung fast zwei Jahre, um den Aufstand niederzuschlagen. Ihre Soldaten und Polizisten spießten die Köpfe der Aufständischen wie vierzig Jahre zuvor an den Polizeistationen auf. Die Beamten versprachen Amnestie für jene, die die Waffen niederlegten, und Kopfprämien für gefangene Rebellen. Fünftausend Rupien sollte erhalten, wer Saya San tot oder lebendig auslieferte. Der gejagte Rebellenführer flüchtete, als Mönch verkleidet, in die Shan-Berge. Am Oberschenkel verwundet und von Malaria geschüttelt, hoffte er, die chinesische Grenze überschreiten und dort Waffen und Hilfe organisieren zu können. Seine Hoffnung war vergebens. Am 2. August 1931 wurde Saya San im Dorf Hokho gefangengenommen und in Ketten unter strenger Bewachung nach Tharrawaddy abtransportiert.

Als der letzte Funke des Aufstands verloschen war, hatten Tausende von Menschen ihr Leben gelassen und ihre Freiheit verloren, Hunderten drohte der Tod am Galgen. Erbarmungslos verfolgte die britische Justiz jeden Rebellen. Gnadengesuche lehnte Sir Arthur Page, der Oberste Richter in Burma, mit den Worten ab: „Es soll in ganz Burma bekannt sein, dass das Leben jeder Person, die den Krieg gegen den englischen König und Kaiser von Indien aufnimmt, dem Staat verfallen ist und dass bei einer Verurteilung nur das Todesurteil gefällt wird. Es darf keine Illusionen geben.“ Urteile auf lebenslängliche Haft wurden in die Todesstrafe umgewandelt. Wer die Macht des Staates angriff, durfte weder auf Gerechtigkeit noch auf Gnade hoffen. Der sechzehnjährige Aung San sah auf dem Markt von Yenangyaung die Köpfe hingerichteter Freiheitskämpfer ausgestellt.

In ganz Burma wusste man, dass die Männer dem Tod durch den Strick ebenso mutig entgegengegangen waren wie früher den Truppen. Einer der Führer der Aufständischen, der über sechzig Jahre alte U Aung Hla, wurde gemeinsam mit seinem Sohn gehängt. Bevor sie die gegeneinander aufgestellten Galgen bestiegen, verbeugte sich der Sohn vor seinem Vater und bat ihn um Verzeihung für alle seine Sünden. Der Alte erwiderte würdevoll: „Sei nicht traurig, mein Sohn. Du und ich, wir sterben einen vornehmen Tod. Das Verdienst, für die Nation und für die Religion zu sterben, bringt uns von Wiedergeburt zu Wiedergeburt immer neue Belohnungen. Denk daran, mein Sohn.“

Der Prozess gegen Saya San fand in Tharrawaddy statt. Dort, wo alles begonnen hatte, sollte nach dem Willen der Briten auch der Schlussstrich gezogen werden. Das Urteil stand schon vorher fest. Das wusste Saya San, und er weigerte sich, auch nur ein einziges Wort zu seiner Verteidigung zu sagen. Es gab keine Gerechtigkeit, nur das Recht des Stärkeren. Er hatte gekämpft und verloren, er wollte keine Gnade. Augenzeugen beschrieben ihn so: „Niemand, der ihn nicht kannte, würde ihn für einen Führer gehalten haben; aber was ihm an Umfang und Größe fehlte, erschien in seinen Augen und in seinem Gesicht. Er hatte ein willensstarkes, entschlossenes Gesicht, und seine Augen glühten.“ In seinem Schlusswort sagte Saya San: „Ich widersetze mich nicht dem Sterben. Ich wusste, dass ich, wenn ich gefangengenommen würde, früher oder später das Todesurteil zu erwarten hätte. Aber ich habe meine Pflicht erfüllt und glaube, dass meine revolutionären Nachfolger bis zum siegreichen Ende kämpfen werden.“

Seine Anwälte rieten ihm, sich an den Staatsrat in London zu wenden, um dort Gerechtigkeit zu erlangen und die burmesische Sache an die Öffentlichkeit zu bringen. Saya San winkte ab. „So viele meiner Anhänger und Freunde sind getötet oder gehängt worden, ich sollte auch ihren Weg gehen.“ Er ging ihn in der Morgendämmerung des 28. November 1931. Erhobenen Hauptes und den Anwesenden zuwinkend, stieg er die Stufen zum Galgen hinauf. Vor dem Gefängnis von Tharrawaddy warteten zur selben Zeit mehrere tausend Menschen, um Saya San ein letztes Mal zu sehen. In der Furcht, das Gefängnis würde gestürmt, wenn man dem Verlangen der Massen nicht nachgäbe, gestatteten die Behörden, Saya Sans Leiche hinauszubringen. Die Wartenden konnten von dem toten Saya San Abschied nehmen, bevor ihn die Briten in einem unmarkierten Grab beisetzten. Nichts sollte mehr an diesen Mann erinnern. Doch das Volk vergisst seine Helden nicht, solange der Traum von der Freiheit ihn ihm lebt.

Saya San starb mit einer großen Hoffnung im Herzen. Im Gefängnis hatte er begonnen, sozialistische Literatur zu lesen. Seine Verteidiger spielten sie ihm zu. Hier endlich eröffnete sich dem ruhelos Suchenden ein Weg, den er selbst nicht mehr gehen konnte. Aber er fand noch eine Möglichkeit, seinen Beitrag für die künftigen revolutionären Kämpfe zu leisten. Während des Prozesses erfuhr Saya San, dass sein Buch über die burmesische Heilkunde mit dem Titel „Symptome von Krankheiten“ von einem Verlag in Rangun verlegt wurde. Er beauftragte zwei an dem Prozess teilnehmende Journalisten, für das Honorar, etwa hundert Rupien, eine Bibliothek fortschrittlicher Literatur zu begründen, die allen interessierten jungen Leuten zugänglich sein sollte. Unter den Büchern befanden sich Werke von Marx, Lenin und Nehru. Studenten und Schüler von Rangun suchten und fanden in diesen Büchern Antwort auf die sie bedrängenden Fragen. Und sie waren es auch, die das Vermächtnis Saya Sans erfüllten, als sie den Kampf des burmesischen Volkes um seine Freiheit zu einem siegreichen Ende führten.

Trotz der Bewunderung für die heldenhaft kämpfenden Bauern erkannten die heranwachsenden jungen Revolutionäre in den Städten, dass so die Gesellschaft nicht verändert werden konnte, dass der Traum von einem burmesischen Königreich für alle Zeiten ausgeträumt war. Eine neue Zeit stellte neue Ziele, verlangte neue Methoden: Organisation, Aktionseinheit von Arbeitern, Bauern und Studenten, Streiks, Demonstrationen, Boykott. Der mittelalterlich geprägte Bauernaufstand in Burma, der letzte seiner Art in Asien, wies den Weg in die Zukunft.

Während in den Dörfern die Bauern mit Schwertern und Speeren gegen die kapitalistische Kolonialmacht Großbritannien anrannten, trugen die sozialen Auseinandersetzungen in den Städten ein völlig anderes Gesicht. Die Weltwirtschaftskrise brachte auch für Burma Arbeitslosigkeit in noch nie dagewesenen Ausmaßen. Die landlosen Bauern strömten in die Städte. Der Reispreis, der von hundertvierundneunzig Rupien je hundert Körbe im Jahre 1927 auf siebenundsiebzig Rupien im Jahre 1931 fiel, nahm ihnen die Existenzgrundlage. Die Betriebe, die noch arbeiteten, zogen mehr als bisher die billigen indischen Arbeitskräfte den Burmesen vor. Und selbst dieser geringe Lohn wurde noch unerträglich gekürzt. Im Mai 1930 traten im Hafen von Rangun sechstausend indische Arbeiter für drei Wochen in den Streik. Sie forderten fünfundzwanzig Prozent mehr Lohn. Die Hafenbehörden wussten sich zu helfen. Sie besetzten die leeren Arbeitsplätze mit Burmesen. Die Inder mussten beigeben, sie beendeten erfolglos ihren Streik. Jetzt hatten die Behörden nichts Eiligeres zu tun, als die Burmesen wieder zu entlassen und indische Hafenarbeiter einzustellen. Zum „Lohn“, dass sie den Streik hatten beenden helfen, wurden die Burmesen von einem Tag auf den anderen auf die Straße geworfen. Die Inder konnten ihre Schadenfreude nicht verbergen. Der aufgestaute Zorn der burmesischen Arbeiter entlud sich in blutigen Metzeleien an den Indern, die für die Misere der Burmesen verantwortlich gemacht wurden. Sie drückten die Löhne, sie nahmen die niederen Beamtenstellen ein, sie gehörten einer anderen Religion an. Noch durchschauten die Arbeiter nicht, dass eben dies die wohlkalkulierte Politik der britischen Kolonialmacht war, das bewährte Rezept des „teile und herrsche“ im sozialen Bereich. Diesmal aber überstiegen die Unruhen die Kalkulation der Behörden. Es gab zweihundert Tote und mehr als tausend Verletzte. Die Behörden lenkten ein und erließen eine Verfügung, nach der im Hafen jeweils zur Hälfte Burmesen und Inder zu beschäftigen waren. 1933 musste die Kolonialregierung ein Gesetz über die Zulassung von Gewerkschaften verabschieden. Als erste organisierten sich noch im selben Jahr die Erdölarbeiter von Yenangyaung. Ihnen folgten die Chauffeure und Eisenbahner. Die Zahl der registrierten und nicht registrierten Gewerkschaften stieg sprunghaft an. Die Arbeiterklasse Burmas tat ihre ersten tastenden Schritte auf dem Gebiet der Organisation.

Aufbruch der Studenten

Die Studenten der Ranguner Universität verfolgten mit brennendem Interesse die Vorgänge im Lande. Die radikalsten unter ihnen schlossen sich zu einer Organisation zusammen, die die politische und ökonomische Freiheit Burmas anstrebte. Zum ersten Mal trennten sie in ihrer Organisation die Religion von der Politik. Buddhismus war das eine, politischer und ökonomischer Kampf das andere. Diese Studenten nannten sich Thakins und ihre Organisation, die sich so völlig von allen anderen Parteien unterschied, Dobama Asi-ayone. Mit „Thakin“ sprachen die Burmesen die Briten an, es bedeutete so viel wie „Herr“. Ein Student der Ranguner Universität brachte den Vorschlag ein, alle Mitglieder der Organisation sollten sich künftig „Thakin“ nennen. Dazu erzählte er folgende Geschichte: 1927 hatte ein englischer Regierungsbeamter eine Burmesin aus Wekhate, einem Dorf an der Straße von Prome nach Taungdwingyi, geheiratet. Die stolzen Verwandten des Mädchens prahlten ständig und überall mit ihrem „Thakin“. So viel Würdelosigkeit widerte die Bauern des Dorfes an. Sie gingen zum Klostervorsteher und beschwerten sich über die Unruhe, die die Verwandten des Mädchens in das Dorf brachten. Der Mönch wurde seinem Ruf als weiser Mann gerecht. Er sprach: Lasst euch nicht anfechten von dieser Prahlerei. Die wahren Herren des Dorfes sind die Bauern, die die Felder bestellen und die Steuern bezahlen. Das leuchtete den Bauern ein, und fortan nannten sie einander Thakin.

Dobama Asi-ayone bedeutete soviel wie „Wir, die Burmesen-Partei“. Diese Bezeichnung entlehnten die jungen Nationalisten der irischen Unabhängigkeitspartei Sinn Fein. Die Thakins, die einmal die politischen Geschicke des Landes in ihre Hände nehmen sollten, waren am Anfang nicht mehr als eine Handvoll zorniger junger Männer: der sehr selbstbewusste und originelle Ba Sein, Gandhibewunderer und Übersetzer des Kommunistischen Manifestes ins Burmesische, der glänzende Redner Ko Nu, der später als Ministerpräsident U Nu bekannt wurde, Ko Thant, der spätere Generalsekretär der Vereinten Nationen U Thant. Der politisch erfahrenste unter ihnen war der Schriftsteller und Mitbegründer der modernen burmesischen Literatur Kodaw Hmaing. Mit den Thakins kündigte sich lautstark eine neue Kraft an. Anfangs noch ohne festes Programm, traten sie als glühende Nationalisten auf. Sie bewunderten die indischen Nationalisten Gandhi, Nehru und Bose, studierten die Geschichte Japans, lasen marxistische Bücher. Ein Thakin schrieb über jene Jahre: „Wir lasen alle Bücher, derer wir habhaft werden konnten. Wir machten Anmerkungen, tauschten die Bücher mit unseren Freunden, diskutierten. Wir legten lange Strecken in der Stadt zurück – wir waren arm und konnten den Bus nicht bezahlen –, um ein Buch zu borgen oder ein paar Stunden in einer Bücherei zuzubringen. Ideen erregten uns. Eine packende Redewendung oder ein einprägsames Wort in einem Buch hielten uns nächtelang wach.“

Die Thakins brachten neuen Wind in die Universität. Sie erregten Anstoß mit ihrer geraden, alle Höflichkeitsfloskeln entbehrenden Ausdrucksweise, ihren klappernden Holzsandalen, der aufreizenden Dobama-Hymne. Die Söhne und Töchter der reichen Rechtsanwälte, Politiker, Kaufleute rümpften die Nase ob dieses plebejischen Gehabes. Andere belächelten es als Modeerscheinung und meinten, das werde sich schon geben, wenn die Zeit käme, sich einen lukrativen Posten zu suchen.

Zu Beginn des neuen Studienjahres im Sommer 1932 erschien im Zimmer der Aufnahmekommission der Ranguner Universität ein schmaler siebzehnjähriger Bursche. Man sah ihm an, dass er aus der Provinz kam. Er trug die Haare länger als es hier üblich war, sie fielen ihm bis auf die Schultern. Gekleidet in ein weißes Hemd und einen handgewebten karierten Longyi, einen knöchellangen Wickelrock, den in Burma Männer wie Frauen tragen, sah er aus wie ein Fünfzehnjähriger. Der Sekretär vertiefte sich in die Zeugnisse und las: „Besondere Erfolge konnte Aung San in Mathematik, Pali und Englisch verzeichnen.“ Befriedigt nickte er und fragte: „Welche Vorlesungen möchten Sie denn belegen?“

„Englische Literatur, Geschichte und politische Wissenschaften“, erwiderte der Junge.

Immer dasselbe, dachte der Sekretär seufzend. „Arbeitslose Literaten und Politiker haben wir genug“, meinte er freundlich, „studieren Sie doch lieber Mathematik, wenn Sie schon dafür begabt sind.“

Selbstbewusst antwortete Aung San: „Ich werde kein arbeitsloser Politiker sein.“

„Sie werden es bereuen“, warnte der Sekretär, trug Aung San in die Vorlesungslisten ein und händigte ihm den Schlüssel zu seinem Zimmer im Studentenheim aus. Dann wandte er sich dem Nächsten zu. Er hatte es gut gemeint. Wenn die Burschen sich nicht raten lassen wollten, mussten sie eben sehen, wie sie zurechtkamen.

Aung San warf den Beutel, der alle seine Habseligkeiten enthielt, über die Schulter und machte sich auf den Weg ins Camp. Kaum einer der vielen plaudernden, lesenden, in Gruppen diskutierenden Studenten beachtete ihn. Aung San störte das nicht. Obwohl er mit weit offenen Augen die neue Umgebung musterte, war er viel zu sehr in seine eigenen Gedanken vertieft, als dass er das herablassende Lächeln des einen oder anderen über sein dörfliches Aussehen bemerkt hätte.

Eintausend Studenten zählte die Universität von Rangun. Alles war größer als in Yenangyaung, von Natmauk ganz zu schweigen. Schon während der Fahrt vom Bahnhof hierher hatte Aung San die breiten Straßen und hohen Häuser im viktorianischen Stil bewundert. Und dann die Shwedagon-Pagode! Jedem Burmesen war sie ein Begriff. Aung San kannte die Geschichte dieser Pagode und ihrer mächtigen Bronzeglocke. Die Pagode symbolisierte gleichermaßen die lange Geschichte Burmas wie den Widerstandswillen des Volkes. Ihr Alter lag im Dunkel der Zeit verborgen, es gab sie, seitdem es Burma und den Buddhismus gab. Über die Zeitläufte hinweg war sie Zeuge der wechselvollen Geschicke des Landes gewesen. Ihre Spitze, einem schlanken, umgestülpten Pokal gleich, ragte mehr als hundert Meter in den Himmel. In der Sonne funkelte und schimmerte die goldene Kuppel weithin über die Stadt. So stand sie viele hundert Jahre. Dann kamen die Engländer. Als ihr Expeditionskorps 1853 zum ersten Mal Rangun besetzte, hatten die auf kostbare Trophäen besessenen Briten die Idee, die fünfundzwanzig Tonnen schwere Glocke der Pagode, die Maha Ganda, von ihrem Platz zu holen und mit nach Hause zu nehmen. Sie boten all ihre Technik auf, um die Glocke zum Fluss zu bringen und zu verladen. Mit finsteren Blicken verfolgten die Einwohner Ranguns das schändliche Treiben der Soldaten. Es durfte doch nicht wahr sein, dass man das Heiligtum Burmas entweihte! Als das schwer beladene Schiff auf die Mitte des Flusses zudrehte, geriet die Glocke ins Rutschen, das Schiff neigte sich bedrohlich, und unter dem befreienden Gelächter der Zuschauer am Fluss stürzte die Glocke ins Wasser. Die Briten, in ihrem Stolz als überlegene Rasse gekränkt, setzten alles daran, die Glocke zu heben. Vergeblich. Sie rutschte nur noch tiefer in den sandigen Untergrund des Flusses. Verärgert ließ der Befehlshaber der britischen Truppen das Unternehmen abblasen. Die Einwohner Ranguns frohlockten: Die Glocke können die Engländer nicht unterwerfen.

Eines Tages erschien vor dem britischen Gouverneur eine Abordnung der Stadt. Ein Mönch in seiner gelben Robe trat vor und bot an, die Glocke zu heben. Unter einer Bedingung: Sie müsste an ihren alten Platz in die Shwedagon-Pagode zurückgebracht werden. Mehr aus sportlichem Ehrgeiz denn aus Großmut stimmte der General zu. Nie würde den Burmesen gelingen, woran britische Soldaten gescheitert waren.

Mehrere tausend Menschen fanden sich am Ufer und auf dem Fluss mit Seilen, Booten und Flößen ein. Sie hoben die Glocke und brachten sie in die Shwedagon-Pagode zurück. Von nun an erwiesen sich die britischen Eroberer geschickter in der Auswahl dessen, was sie aus dem Lande schleppten. Edelsteine, Öl, Hölzer, Reis ließen sich leichter transportieren und brachten Profit.

Den siebzehnjährigen Aung San zog es zum Studium der Politik und der Geschichte. Ämter und Würden von Britanniens Gnaden lockten ihn nicht. Er verachtete jene, die sich von den Eroberern Burmas korrumpieren ließen.