Homo Serpentes I - Divina Michaelis - E-Book

Homo Serpentes I E-Book

Divina Michaelis

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Beschreibung

Ihre Zeit auf der Überlebensstation ist fast um. Nur noch wenige Tage, dann sollen Dr. Lara Evelyn Douglas und ihre Forscherkollegen zurück auf die Erde gebracht werden. Jedoch wird kurz vor ihrem Aufbruch die Station durch einen Asteroiden zerstört.
Als einzige Überlebende landet Lara Evelyn auf dem Planeten Shabitha, den sie selbst als Hereia kennengelernt hatte und zehn Jahre lang erforschen durfte. Ihr wird bewusst, dass sie nur überleben kann, wenn sie bei den Schlangenmenschen, die sich selbst Canisha nennen, Schutz sucht. Doch die meisten Canisha sehen in der Frau mit der empfindlichen, weichen Haut nur ein lästiges Übel und wollen, dass sie wieder geht. Lediglich einer der Männer, Giona, bietet ihr seinen Schutz an, aber das hat seinen Preis! Für Lara Evelyn beginnt ein neues Leben mit etlichen erotischen Erfahrungen, die sie sich niemals hätte träumen lassen.

„Außergewöhnlich, prickelnd, spannend, überraschend. Es ist schwer, passende Adjektive zu finden, denn der Roman ist viel zu komplex, um ihn mit wenigen Worten zu beschreiben.“ Karin Koenicke (Autorin)

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Divina Michaelis

Homo Serpentes I

Verbotene Welt

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Aufbruchstimmung

 

Zwei Arme umschlangen mich und der dazugehörige Körper lehnte sich gegen meinen Rücken. Freudig kuschelte ich mich in diese Umarmung und genoss das Gefühl seiner Wärme. Mein Blick fiel auf die Gehhilfe, die Paul extra gegen den Tisch gelehnt hatte, um mich in die Arme nehmen zu können. Diese Stütze brauchte er nicht, solange er sich an mir festhalten konnte. Und ich gab ihm diesen Halt nur zu gern.

„Nur noch sechs Tage, Lara, dann brechen wir unsere Zelte hier ab. Wie ungewohnt wird das sein, wenn wir wieder zu Hause auf der Erde sind. Freust du dich?“, fragte er mich in der Sprache Schlangenmenschen, statt in unserer eigenen, und knabberte mit seinen Zähnen an meinem Ohrläppchen. Das machte er gerne, um mich zu ärgern – oder mich daran zu erinnern, dass es noch etwas anderes als Arbeit gab. Mich erregte das, aber dafür hatte ich gerade leider keine Zeit, und das wusste er.

Fast zehn Jahre kreiste unsere Forschungsstation nun schon im Orbit des Planeten, den wir Hereia nannten. Ein Teil unseres Auftrags lautete, das Ökosystem auf Hereia zu erforschen, die verschiedenen Spezies, ihre Anatomie, ihr Verhalten und natürlich ihre Bedürfnisse. Alles sollte genau gelistet werden, zumindest so genau, wie es in zehn Jahren und aus dieser Entfernung möglich war. Und diese Zeit war beinahe um.

Obwohl ich hätte weiterarbeiten müssen, drehte ich mich zu dem Mann um, der mich so liebevoll ablenkte, und drückte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Nase. „Oh Paul, du weißt doch, dass ich die Daten noch sortieren muss. Und vielleicht erziele ich ja doch noch einen Durchbruch in der Frage der Lerngruppen. Schau hin. Die Drohne ist fast da. Können wir uns nicht nachher darüber unterhalten?“ Ich fuhr mit meinen Händen verführerisch über seine Brust. „In der Kabine?“ Gerade er, der sich ebenfalls der Wissenschaft verschrieben hatte, sollte mich verstehen können.

Mein Lebensgefährte zuckte mit den Schultern und machte ein unschuldiges Gesicht. „Natürlich. Aber da würde ich mich lieber anderen Dingen widmen als einem Gespräch. Und du hast meine Frage nicht beantwortet. Nun sag schon, wie du es findest, dass es nach Hause geht.“

„Moment!“

Eine Bewegung im Augenwinkel lenkte mich ab. Zuerst wandte ich nur den Kopf zum Monitor und drehte mich schließlich ganz zu ihm um. Schon wieder hing die Drohne vor der Höhle und kam nicht hinein. Dabei lag mir viel daran, auch dieses Rätsel vor unserer Abreise zu lösen. Konzentriert drückte ich auf dem Bedienpult herum, versuchte zum gefühlten tausendsten und wohl letzten Mal, sie in unterschiedlichen Winkeln reinzubringen, schaltete die eine oder andere nicht unbedingt benötigte Funktion ab. Alles in der Hoffnung, dass ich all die Jahre vorher irgendetwas übersehen hatte, was mir dazu dienlich sein könnte, die unsichtbare Sperre zu überwinden.

Es half alles nichts. Das Mistding war dort nicht hineinzubekommen. Eigentlich hätte ich nichts anderes erwarten dürfen, denn es wäre ein Wunder gewesen, auf einmal etwas zu schaffen, was mir die ganzen zehn Jahre vorher nicht gelungen war. Frustriert fluchte ich leise vor mich hin, ohne noch das Gewicht zur Kenntnis zu nehmen, das Paul in meinem Rücken bildete.

Dank hoch entwickelter Überwachungstechnik brauchten wir für unsere Forschungen nicht einmal die Oberfläche aufzusuchen, was uns sowieso verboten und auch nicht möglich war. Die meisten Daten konnten wir von hier oben ermitteln, Drohnen waren unsere Augen und Ohren in jedweder Hinsicht. Sie waren durchaus in der Lage, detaillierte innere und äußere Körperscans durchzuführen, ohne dass die Bewohner es merkten, wenn man von den Geräuschen, die die Drohne machte, einmal absah. Wir konnten also nicht nur die Oberfläche der Körper betrachten, sondern auch das Innere vergleichen und analysieren, sofern es uns interessant erschien.

„Keinerlei Einmischung“, hieß es von höchster Stelle, denn ein funktionierendes, unbeeinflusstes Ökosystem war nicht zu ersetzen. Und daran hatten wir uns gehalten, die gesamten zehn Jahre. Was passierte, wenn man es durcheinander brachte, konnte man leicht auf der inzwischen fast zugrunde gerichteten Erde feststellen, auf der nicht nur die Tiere und Pflanzen in Massen starben, sondern mit ihnen der Mensch. Natürlich brauchte es eine extrem lange Zeitspanne, bis die Entwicklung so weit fortgeschritten war, dass ein Planet unbewohnbar wurde, aber wo wollte man einen Anfang und wo einen Schlussstrich setzen? Darum lag der Regierung der Erde daran, auf fremden Planeten gar nicht erst mit irgendeiner Form von Entwicklung zu beginnen.

„Lara? Hörst du mir zu?“

„Ja, natürlich“, antwortete ich zerstreut. Ich ließ die Drohne Wartestellung in einiger Entfernung zu der Höhle beziehen. Es sollte nicht lange dauern, bis die Männer, die mit den Kindern darin verschwunden waren, ohne sie wieder herauskamen. Das Bild auf dem Monitor hatte mich dermaßen in seinen Bann gezogen, dass ich Paul nun irritiert anschaute. Was wollte er noch einmal wissen? Ach ja, ob ich mich auf die Erde freute.

„Sollte ich mich freuen?“, erwiderte ich und wechselte dabei ebenfalls in die Sprache der Schlangenmenschen. Ich dachte an kaum atembare Luft, verschmutztes Wasser und sterbende Landschaften auf der Erde. „Es ist so schön hier.“

Mit ‚hier‘ meinte ich unsere Station, die vollkommen autark funktionierte, ein in sich geschlossenes System. Darin bestand der andere, für uns wichtigere Teil unserer Forschung: die Funktionsfähigkeit eines solchen Systems testen. Und in all den Jahren erwies sich das Projekt als hervorragend. Es war also durchaus vorstellbar, mehrere solcher Stationen zu bauen und in der Umlaufbahn anderer, bewohnbarer Planeten unterzubringen. Sogar acht Geburten konnten wir vorweisen, gesunde Kinder, die der Beweis waren, dass das Konzept etwas taugte und mich in meiner Hoffnung bestärkte, selbst einmal Mutter zu werden.

Deswegen waren wir also hier, ein Trupp von dreißig Wissenschaftlern, vier Technikern und mittlerweile acht Kindern, und beobachteten und analysierten diesen Planeten, während wir die Einrichtung bis ins letzte Detail auf ihre Tauglichkeit testeten. Wir lebten hier und waren glücklich. Welchen Grund also sollte es geben, mich über eine Heimreise zu freuen?

Paul kämmte mit seinen Fingern meine langen Haare durch, wobei er mir tief in die Augen schaute. Dann senkte er seinen Blick nach unten in meinen Ausschnitt, öffnete den obersten Knopf meiner Uniform und drückte mir einen Kuss auf den Brustansatz. Leise stöhnte ich. Wie gut, dass wir in meinem Labor alleine waren.

„Ja, es ist schön hier.“ Seine Hände öffneten einen weiteren Knopf und seine Lippen setzten ihren Weg nach unten fort. „Und hier …“

Bevor Paul sich noch weiter über meine üppigen Brüste hermachen konnte, schob ich ihn beiseite, knöpfte das Oberteil wieder zu und haute ihm spielerisch auf den Arm.

„Du Lüstling. Das meinte ich nicht und das weißt du auch“, erklärte ich lachend. Dann blickte ich voller Sehnsucht auf den Monitor, auf dem der Dschungel des Planeten mit all seiner Pracht zu bewundern war. „Schau hin. Das wird mir fehlen, selbst wenn ich ihn niemals betreten durfte.“

Ich war froh darum, dass eine Einnahme und bereits das Betreten bewohnter Planeten keine Option mehr war. Früher waren lange Diskussionen zu diesem Thema geführt worden, aber die Regierung hatte letztendlich eine klare Entscheidung getroffen. Den Menschen war es verboten, ihre Unfähigkeit, mit einem gut eingespielten Ökosystem ordentlich umzugehen, auf andere Planeten auszudehnen. Wie ich an Hereia sehen konnte, wäre ein Überleben der Menschen ohne größere Eingriffe überhaupt nicht möglich. Darum war das Verbot vollkommen in Ordnung.

Ein Aufenthalt an der Oberfläche war äußerst gefährlich, selbst für die Bewohner dieses Planeten. Hier hieß es fressen und gefressen werden, so rein und urtümlich war es. Es herrschten Schnelligkeit, Muskeln und scharfe Zähne. Einzig und allein eine humanoide Spezies, ich gab ihnen aufgrund ihrer Schlangenhaut, entsprechender Körperzeichnung und der teilweise reptilienhaften Augen die wissenschaftliche Bezeichnung ‚Homo Serpentes‘, waren in allen genannten Punkten unterlegen. Ihre Überlebensstrategie bestand in der Bildung von Gruppen, die so gut wie nie angegriffen wurden.

Gerade eben traten wieder vier der Schlangenmenschen aus dem Höhleneingang. Auch noch nach zehn Jahren betrachtete ich ihre nackten Körper voller Faszination. Sie waren so bunt, muskulös und offenbar allzeit bereit. Noch nie hatte ich einen Schlangenmenschen mit einem schlaffen Penis gesehen.

Pauls Atem fühlte sich warm an meinem Ohr an, sodass mir ein wohliger Schauer über den Rücken lief, als er mir zuflüsterte: „Ich kann ja verstehen, dass die Männer etwas Besonderes an sich haben, dass du sie so anschaust. Aber sie sind weit weg und ich bin hier. Du könntest für heute Schluss machen und dich dafür um mich kümmern.“

Das Angebot erschien mir äußerst verlockend. Ein Blick nach unten auf die Ausbuchtung in seiner Hose brachte mich tatsächlich in Versuchung. Mein Herz begann schneller zu schlagen und mein Körper bereitete sich auf kommende Wonnen vor. Ich spürte, wie sich Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen sammelte und nur zu gerne hätte ich Pauls sanfte Lippen auf meinen gefühlt. Doch dann siegte die Vernunft. Ich war mit meiner Arbeit noch nicht fertig und jetzt, wo ich die Männer direkt vor der Linse hatte, sollte ich mich mit ihnen auseinandersetzen und nicht mit meinem Lebensgefährten. Zudem gesellte sich jetzt auch noch eine Frau zu den vier Männern. Sie schien jung und schüchtern. Auf alle Fälle hatte ich sie noch nie zuvor in dem Clan, den ich schon lange Zeit beobachtete, gesehen. Also musste sie frisch aus der Lerngruppe gekommen sein.

„Hmm, süße Schnecke“, kommentierte Paul, als er sie entdeckte. Er zoomte mit der Linse der Drohne direkt auf ihr Gesicht. „Braune Schuppen und grüne Augen sind eine wundervolle Kombination.“

„Hey, willst du mich eifersüchtig machen?“, fragte ich grinsend. Das würde ihm nicht gelingen, denn wie Paul bereits bei dem Anblick der Männer angemerkt hatte, waren sie dort und wir hier. Und da ich Pauls Worten nach zudem eine fantastische Figur vorweisen konnte, musste ich mir sowieso keine Gedanken machen. Außerdem liebte er meine blauen Augen, wie er mir immer und immer wieder versicherte.

Er riss seine Augen auf und hob dabei die Brauen, um ein Bild vollkommener Unschuld abzugeben. „Ich doch nicht. Wo denkst du hin? Aber wenn du die Männer so ansiehst, warum sollte ich mir dann nicht auch die Frau genauer angucken?“

Ich räusperte mich. „Weil es meine Arbeit ist? Deine sind Pflanzen. Such dir ein paar Pilze oder Flechten. Die kannst du von mir aus so anschauen. Dagegen werde ich nichts sagen“, erwiderte ich gönnerhaft mit einem breiten Grinsen.

Da Human- und Neurowissenschaften bereits im Studium meine bevorzugten Bereiche gewesen waren, übernahm ich die umfassende Aufgabe, diese Spezies zu analysieren, nur zu gerne. Natürlich arbeitete ich Hand in Hand mit den anderen Wissenschaftlern, aber zu erforschen gab es genug, sodass speziell dieser Bereich mir zufiel, während sich Pauls Forschungen auf die Flora von Hereia konzentrierten.

Weil ich nicht alle Individuen dieser Humanoiden studieren konnte, konzentrierten sich meine Forschungen über all die Jahre lediglich auf eine bestimmte Gruppe, die nach meinen Beobachtungen den Durchschnitt der mir bekannten Clans dieses Planeten repräsentierte – und zu der die vier Männer gehörten, die sich vor dem Höhleneingang aufhielten.

Die Physiognomie der Schlangenmenschen ähnelte unserer, ebenso wie die Mimik. Es erstaunte mich jeden Tag aufs Neue, menschenähnliche Gesichtszüge und auch die gleiche Gestik bei einer Spezies zu entdecken, die Lichtjahre von unserem Planeten entfernt existierte.

Sie ernährten sich ausschließlich von Pflanzen und töteten nur im Notfall. Ansonsten schienen sie sich nicht viel um ihre Umwelt zu kümmern, fügten sich einfach ein und genossen ihr Leben.

„Oh Mann! Die sind kaum aus der Höhle raus, schon geht es wieder zur Sache“, grummelte Paul, der beobachtete, wie die junge Frau sich auf den Boden legte und die Beine spreizte. „Und ich muss warten, bis mein Weibchen mal Zeit für mich hat.“

„Och du Armer“, lästerte ich. „Aber wenn du ein wenig wartest, siehst du, dass es gleich wieder vorbei ist. Sie begrüßen sich nur, indem sie sie kurz penetrieren, wie du weißt. Das hat mit dem, was du mit mir vorhast, überhaupt nichts zu tun. Wahrscheinlich brechen sie gleich auf, um zu ihrem Clan zu wandern.“

Am Anfang meiner Forschungen sah es für mich so aus, als würden die Humanoiden kaum Regeln befolgen, außer vielleicht der, dass es äußerst ungesund sein konnte, sich alleine von der Gruppe zu entfernen. Auf meine Kollegen machten sie den Eindruck, als wären sie einfach nur nackte Wilde. Der Gedanke lag ziemlich nahe, da sie ähnlich den Bonobos, einer auf der Erde seit langem ausgestorbenen Menschenaffenart, mit allem und jedem kopulierten. Für mich waren sie Eingeborene, ein autochthones, naturangepasstes Volk.

Gebäude, Kleidung, Schmuck, Werkzeuge oder Feuer suchte man bei den Homo Serpentes vergeblich. Lediglich Speere nutzte diese Spezies, gebaut aus stabilen Ästen und scharfen Tierzähnen, um sich und ihre Gruppe vor Tierangriffen bei Wanderungen zu schützen. Alles, was für uns kulturelle Entwicklung bedeutete, war praktisch nicht vorhanden, und getan wurde ausschließlich, was Vergnügen versprach.

Doch dann entdeckte ich, dass sie eine komplexe Sprache benutzten, was auf ein hohes Maß an Intelligenz schließen ließ. Sie konnten sich wie wir Menschen unterhalten, sprachen sich mit Namen an, konnten zählen und rechnen, maßen die Zeit, erzählten sich Geschichten, spielten mit dem, was die Umgebung hergab, und machten Witze. Für manche Belange gab es bei ihnen sogar mehr Begriffe für die gleiche Sache als bei uns. Ihre eigene Spezies bezeichneten sie als Canisha und ihren Planeten als Shabitha. Ich fand es äußerst erstaunlich, dass die Homo Serpentes trotz ihrer offensichtlichen Intelligenz kein Interesse an Entwicklung und Fortschritt zeigten.

Paul und ich hatten uns diese Sprache im Laufe der Zeit zum Spaß angeeignet, auch wenn wir sicher waren, dass wir sie nie würden nutzen müssen. Aber so war es mir möglich, die Gespräche der Canisha zu verfolgen und mehr über sie herauszufinden.

„Ich verstehe immer noch nicht, warum sie nicht mehr aus ihrem Leben machen“, nahm Paul meine gedanklichen Überlegungen auf, als hätte ich sie laut ausgesprochen. „Sie haben keinerlei Ehrgeiz, sich das Leben besser zu machen. Schau hin. Sie treiben es auf dem Boden wie die Tiere. Wenn sie sich wenigstens eine Decke drunterlegen würden. Aber so etwas existiert bei ihnen gar nicht erst.“

„Diese Frage habe ich mir auch schon oft gestellt. Doch im gleichen Atemzug frage ich mich auch, womit sie es besser machen sollten? Was soll ihnen eine Decke bringen, wenn ihre Schuppen dafür sorgen, dass sie sauber bleiben und sie die Unebenheiten im Untergrund gar nicht spüren?“

Alles, was sie zum Überleben benötigten, bot der Dschungel in Hülle und Fülle. Vielleicht war das der Grund, warum sie sich nicht bemühten, mehr aus sich zu machen. Sie waren mit dem zufrieden, was sich ohne größeren Aufwand bekommen ließ und es gab, anders als bei unseren Vorfahren, keine Notwendigkeit, sich mit mehr zu versorgen.

„Sie haben einfach alles“, ergänzte ich aus meinen Gedanken heraus.

„Ja, außer genug Frauen. Wie gut, dass ich meine eigene habe.“ Paul umarmte mich wieder fester, dieses Mal allerdings mehr liebevoll als sexuell, und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Diese kleine Geste machte mich unwahrscheinlich glücklich und unterstrich das Gefühl der Zusammengehörigkeit. So etwas wie unsere Beziehung gab es bei den Canisha nicht.

Es stimmte, dass in den einzelnen Clans immer erheblich mehr Männer als Frauen existierten. Ob der Clan nur fünf oder dreißig Personen umfasste, das traf auf wirklich jede Gruppe der Canisha zu – und offensichtlich war es nicht nur mir ein Rätsel, nach Pauls Äußerung zu urteilen. Allerdings erklärte es das Verhalten der Männer, die jeden Morgen eine Art Ringkampf untereinander austrugen.

In Kleinstgruppen gab es nur kurze Auseinandersetzungen, wonach der Sieger am Ende die Frau, um die es ging, bekam. Er biss sie in den Hals und penetrierte sie gleich darauf, schob sich dabei in sie und hielt im Anschluss still, bis er erschauerte und dann von ihr abließ. In größeren Gruppen liefen die Kämpfe dagegen geregelter ab. Dort wurde ein richtiger Kreis aus Männern und Frauen gebildet, in dessen Mitte die Wettkämpfe stattfanden. Stand ein Sieger fest, wählte dieser sich eine Frau und drang inmitten der Sitzenden in sie ein, noch während die anderen um weitere Platzierungen, und damit um den Rest der Frauen kämpften. Aber auch hier lief die Penetration gleich ab.

Man konnte das keinesfalls mit dem vergleichen, was sich gerade bei mir auf dem Monitor abspielte und was meine Lust trotz der Kürze anfachte: Nachdem die Frau auf dem Boden ihre Bereitschaft signalisiert hatte, drang jeder der Männer kurz in sie ein, um dann nach ein paar Stößen wieder von ihr abzulassen. Anschließend standen sie auf und machten sich gemeinsam auf den Weg. Inzwischen wusste ich, worin der Unterschied der verschiedenen Begattungsvorgänge bestand.

Das Verhalten nach dem Ringkampf hatte von Anfang an Fragen bei mir aufgeworfen. Denn nach dem ersten Eindringen des Tages frönten wieder alle dem Müßiggang und jede Frau ließ sich von jedem Mann in jedweder Form bedienen – auch sexuell, und dann mit reichlich Bewegung. Warum also diese Kämpfe? Worin bestand der Unterschied zwischen dem ersten und allen weiteren Malen?

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich dahinter kam: Die Männer waren als einzige mir bekannte humanoide Art selbstbefruchtend und eigentlich Zwitter. Sie hatten sowohl funktionstüchtige männliche Geschlechtsorgane als auch innere Eierstöcke. Die Samen- und Eizellen fanden durch ein spezielles System zueinander, sodass ständig eine Zygote, also eine befruchtete Eizelle, gebildet wurde. Durch mehrfache Teilung wurde daraus eine Morula, welche anschließend in einer, mit einer Flüssigkeit gefüllten, vorgelagerten Blase verweilte und verhinderte, dass eine neue Zygote gebildet wurde.

Das Handicap der Männer lag darin, dass sie die Kinder nicht selber austragen konnten. Die Morula teilte sich nicht weiter, sondern blieb in diesem Stadium in der Blase bestehen.

Beim ersten Geschlechtsakt des Tages spülten sie den Zellhaufen und die Flüssigkeit, die die Canisha selber als Gudda bezeichneten, direkt in die Gebärmutter einer Frau. Dort entwickelte er sich innerhalb von drei Monaten zum fertigen Kind. Vorausgesetzt natürlich, er nistete sich in ihr ein.

Es ging am Morgen also einzig und allein darum, die Frauen zu schwängern, sein eigenes Erbgut weiterzugeben. Deshalb gab es die Auseinandersetzungen. Und genau deshalb interessierte es niemanden, wenn die Frauen nach dem Befruchtungsversuch mit jedem anderen Mann kopulierten. Danach ging es lediglich um soziale Interaktion – so wie bei diesem Begrüßungsakt der Frau mit den vier Männern.

Pauls Hände befanden sich immer noch an meinem Körper. Er hatte anscheinend nicht vor, nachzugeben. Und ich musste leider zugeben, dass ich seine Berührungen sehr angenehm empfand. Ich konnte mich nicht dazu entschließen, ihn des Raumes zu verweisen und mich meine Arbeit tun zu lassen.

Seine Zähne knabberten an meinem Hals und ein angenehmer Schauer lief mir den Rücken hinunter.

„Weißt du, wie sehr ich die Canisha beneide? Wenn ich ihre Giftzähne hätte, könnte ich dir befehlen, mit mir mitzukommen.“

Ja klar! Das war die Männerfantasie schlechthin. „Du würdest mich also manipulieren und mich von meiner Arbeit abhalten, nur um Sex zu kriegen? Ist das nicht ein bisschen egoistisch? Wo bleibt deine Loyalität unserem Auftraggeber gegenüber?“

„Der sollte sich eine Frau suchen, die mit der Arbeit verheiratet ist, und ihr so verfallen wie ich dir. Dann sollte er mit dem Wissen leben, dass es etwas wie ein Gift gibt, das die Frau jederzeit seinem Willen gehorchen lässt. Wenn er sich dann nicht wünscht, das anwenden zu dürfen, ist ihm wohl nicht mehr zu helfen.“

Das Gift war schon eine Sache für sich. Mit dem Biss in den Hals injizierte der Canisha-Mann der erwählten Frau diesen Giftstoff, der die bewusste Befehlsweitergabe des Gehirns an die Muskeln außer Kraft setzte und sie für eine gewisse Zeit paralysierte, sodass sie ihm bewegungslos zur Verfügung stand. Aus welchem Grund das nötig war, fand ich nicht heraus. Aber es ließ sich durch ein paar einfache Worte seinerseits wieder aufheben. Also war es mehr etwas wie eine Hypnosedroge, wenn ich das richtig interpretierte. Diese Giftzähne blieben alleine den Männern vorbehalten, Frauen besaßen keine.

„Du magst also die Vorstellung, dass ich dir willenlos ausgeliefert bin?“, hakte ich nach und überlegte, ob ich ein paar Seile besorgen sollte, um ihm das zu ermöglichen, nur um seine Fantasie zu befriedigen.

„Wenn du es so sagst, klingt das sehr chauvinistisch. Willenlos ist vielleicht zu hart ausgedrückt. Aber wenn du dich mir willentlich auslieferst, könnten wir darüber reden.“ Pauls Augen strahlten regelrecht und ich konnte mir sehr gut vorstellen, was sich da gerade hinter seiner Stirn abspielte. Zudem rieb er sich an mir und die harte Beule in seiner Hose sprach ganze Bände. „Wir könnten uns auch daran machen, deinem Wunsch Substanz zu geben. Du weißt, wie wenig Zeit uns dafür nur noch bleibt.“

Mein Wunsch. Schon durch die Erwähnung spürte ich die Sehnsucht nach einem Kind in mir aufsteigen. Schwanger war ich schon öfter gewesen, nur halten konnte ich es nie. Spätestens nach acht Wochen ging jeder Embryo wieder ab. Die technischen Voraussetzungen dazu, das Kind zu behalten, hätte ich auf der Erde. Aber dafür müsste ich erst einmal wieder schwanger werden, was auf unserem vergifteten Heimatplaneten wiederum unmöglich war. Also blieben uns nur noch sechs Tage, um mich auf der Station zu schwängern und mich und den Embryo anschließend im Kryoschlaf heil auf die Erde zu bringen.

Paul hätte diese letzten Tage am liebsten mit mir im Bett verbracht, wie er mir immer wieder versicherte. Natürlich nur, um ein Kind zu zeugen. Wer’s glaubt.

„Ja, ich weiß das. Sechs Tage. Aber du erfüllst mir meinen Wunsch nicht schneller, wenn ich meine Arbeit vernachlässige.“ Ich ignorierte die Härte in seiner Hose und verfolgte den Flug der Drohne, die sich auf dem Weg zum eigentlichen Clan befand. Die wandernde Gruppe brauchte ich nicht mehr zu beobachten. Vor der Ankunft im Lager würde sich bei ihnen nichts mehr tun. Anschließend rief ich eine Tabelle auf, in der ich den Clanzuwachs eintrug.

„Fünf Tage, um genau zu sein. Ich denke nicht, dass wir am letztem Tag die Zeit finden werden, uns einander zu widmen.“ Pauls Hände lagen schwer auf meinen Schultern und sein warmer Atem strich über meine Haare. Lange würde er sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Und da seine Überredungskünste bei mir nicht fruchteten, seufzte er frustriert auf und griff nach seiner Gehhilfe.

„Ich weiß das, Paul. Auch ich würde die letzten Tage lieber anders verbringen. Aber glaubst du wirklich, dass es mehr bei mir ausrichtet, wenn wir nicht mehr aus dem Bett kommen? Nur ein Mal zum richtigen Zeitpunkt sollte reichen – und wir treiben es jede Nacht. Und was ist mit meinen Forschungen? Deine Pflanzen laufen dir nicht weg. Die Schlangenmenschen sind da anders.“

Paul schnaubte. „Das ist jetzt unfair. Wenn es danach ginge, müsstest du die Canisha rund um die Uhr beobachten, weil immer irgendetwas passieren könnte. Dann würden wir gar nicht mehr zusammenkommen.“

Ich atmete tief ein und entließ die Luft in einem langen Seufzer. „Du weißt, dass das nicht stimmt. Ich halte mich nur an meine Arbeitszeit. Und die habe ich, ganz im Gegensatz zu dir, für heute noch nicht beendet.“ Mit der Hand wies ich auf einen Stuhl. „Du kannst dich gerne setzen und mir Gesellschaft leisten. Aber ich gehe erst, wenn ich hier fertig bin.“

Das war der Nachteil an unseren unterschiedlichen Forschungsgebieten. Paul richtete sich in seiner Arbeit nach den Spezifikationen der Pflanzen. Darunter befanden sich auch einige, die nachts erheblich interessanter waren als tagsüber. Ich musste mich dagegen an den Tagesrhythmus der Canisha halten, um möglichst viel von ihnen mitzubekommen.

Paul zog den Stuhl zu sich heran und schaute vor sich hinbrütend auf den großen Monitor. Es tat mir leid, sollte ich ihn verletzt haben, aber mir war meine Arbeit wichtig und ich wollte mir keine Nachlässigkeit vorwerfen lassen.

Meine Gedanken glitten zurück zu dem Neuzugang des Clans. Wie lange es bei ihr wohl dauerte, bis sie schwanger werden würde?

Man sollte meinen, dass die Frauen der Canisha dauerhaft schwanger durch die Gegend liefen, aber das war nicht der Fall. Meistens brauchte es viele Monate, bis sie ein Kind trugen. Selbst in größeren Gruppen waren also nur wenige Frauen gleichzeitig tragend.

Interessanterweise hörten die Kämpfe um die Frau sofort auf, sobald sie geschwängert worden war. Die Männer schienen bereits am folgenden Tag zu wissen, wann sie erfolgreich waren und wann nicht, was ich äußerst erstaunlich fand, denn ansehen konnte man es den Frauen da noch nicht. Auch bildeten sie keine für uns typischen Schwangerschaftssymptome wie Übelkeit oder Heißhunger aus.

Die Frau trug das Kind ziemlich knapp über achtzig Tage aus, brachte es lebend zur Welt und stillte es zwei Monate. Dann war der Nachkömmling groß genug, dass er vom Clan getrennt und in einer Art Lerngruppe betreut werden konnte. Um die Kürze der Schwangerschaft beneidete ich die Frauen, nicht jedoch darum, dass sie so schnell wieder von ihren Nachkömmlingen getrennt wurden. Das musste doch furchtbar sein.

Wie es dann mit den Kindern weiterging, konnte ich nicht feststellen. Sie wurden zu dem Höhleneingang gebracht, aus dem die vier Männer und die Frau gekommen waren, und an dieser Stelle endete meine Beobachtung. Es war mir in all den Jahren nicht gelungen, eine Drohne mit hineinzuschmuggeln. Immer wieder versuchte ich es, holte mir Hilfe bei meinen Kollegen, doch auch sie scheiterten. Ständig stießen wir auf einen nicht erfassbaren Widerstand, der sich nicht überwinden ließ. Es war uns lediglich möglich zu beobachten, dass die Nachkommen nach drei Jahren abgeholt wurden oder mit anderen zusammen einen neuen Clan bildeten, wenn sie die Höhle verließen. Zu diesem Zeitpunkt waren sie bereits geschlechtsreif und genauso triebhaft wie die älteren Canisha.

Es musste sich komisch anfühlen, drei Jahre bei anderen zu leben und später von völlig Fremden mitgenommen zu werden. Trotzdem schien nie einer von den Neulingen Probleme mit der Gruppenintegration zu haben.

Wenn auch so einige Fragen über die Verhaltensweisen offen blieben, aufgrund der Körperscans habe ich zumindest ermitteln können, wie sich die beiden Arten von Sex, die die Canisha praktizierten, voneinander unterschieden.

Bei dem morgendlichen Empfängnissex drang der Mann nicht nur mit dem Penis in die Frau ein, sondern schob eine Art röhrenförmigen Tentakel aus dem Penis heraus, der die Muttermundöffnung suchte, dort eindrang und sich bis in die Gebärmutter wand. So konnte die Morula durch den Muttermund direkt am Bestimmungsort eingespült werden.

Wie es sich wohl anfühlte, wenn sich so ein Teil bis in die Gebärmutter schob? Mich schauderte bei dem Gedanken. Ich fand Sex an sich toll und hatte viel Freude daran, selbst wenn Pauls Erektion in seiner Länge an meinen Muttermund stieß, was ab und zu einen dumpfen, aber lustvollen Schmerz hervorrief. Aber musste es nicht sehr unangenehm sein, wenn es noch tiefer ging?

Der nachfolgende Sex, der bei den Canisha über den Tag mehrfach ausgeübt wurde, bildete stattdessen die Grundlage für die soziale Interaktion und fand grundsätzlich ohne das Ausfahren des Tentakels statt. Dass das Spaß machte, konnte ich mir sehr gut vorstellen. Ein Seitenblick auf Paul verriet mir, dass er ebenso dachte. Die Drohne war nämlich mittlerweile beim Clan angekommen und zeigte uns ein Bild, bei dem einem richtig heiß werden konnte.

Es wurde penetriert, kopuliert, gepimpert, was das Zeug hielt, Sex als Belohnung oder wenn sich jemand anbiedern wollte, welcher zur Strafe oder zur Versöhnung. Eigentlich wurde alles darüber geregelt. Der Geschlechtsverkehr dauerte dabei im Regelfall nicht einmal besonders lang, manchmal brauchten sie für den Akt nur ein paar Sekunden. Selten kam es zu trockenen Orgasmen, die aber ziemlich sicher auch nur dem Spaßfaktor dienten. Ein Beobachter musste schon aus Holz sein, wenn ihn das nicht berührte.

Mein Atem beschleunigte sich bei diesem Anblick. Aber ich musste das durchstehen und meine Tabellen ergänzen. Ich konnte mir nicht erlauben, mich davon beeinflussen zu lassen, zumindest jetzt noch nicht. Paul dagegen …

„Tu dir keinen Zwang an“, ermunterte ich ihn. „Wenn du dich befriedigen möchtest, hol ihn raus. Du hast zwei gesunde Hände. Ich werde auch wegsehen.“

„Lara Evelyn Douglas, du bist eine Teufelin! Du hast die Drohne doch mit Absicht dorthin beordert, oder? Du willst mich so scharf machen, bis ich einfach über dich herfalle“, raunte er mit einer Stimme, die in ihrer Erotik meinen Rücken wie ein warmer Regen hinunterprasselte.

Bedauernd seufzte ich und schüttelte den Kopf. „Nein, Paul. Ich meine es ernst. Ich muss meine Arbeit zu Ende bringen. Danach kannst du gerne über mich herfallen.“ Ich zögerte, dann sagte ich: „Glaub mir, im Moment kann ich mir auch etwas Besseres vorstellen, als nur zuzugucken.“

Gequält schloss Paul kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, traf mich sein entschlossener Blick. „Wenn du es aushältst, werde ich es auch tun. Das wird meine Vorfreude noch erheblich steigern. Aber glaub mir, sobald du Feierabend hast, bist du fällig!“

Auweh. Meine Arbeit hielt mich noch mindestens zwei Stunden hier gefangen und ich fand es schon schwer genug, alleine dabei zusehen zu müssen, wie andere sich sexuell austobten. Und Paul wollte sich dem freiwillig aussetzen und nichts gegen seine aufkommenden Gefühle unternehmen? Wie gut, dass die Gruppe gerade keine Gäste hatte, sonst wären es noch erheblich mehr, die sich miteinander ‚austauschten‘.

Selbst wenn sich zwei Clans trafen, rivalisierten sie nie miteinander. Sie mischten sich beide für ungefähr eine Woche, trugen morgens ihre Kämpfe aus und machten dabei und auch anschließend keinen Unterschied zwischen fremd und bekannt. Den genauen Grund dafür kannte ich nicht, vermutete aber, dass es der Verbreitung der Gene dienlich war. Nicht umsonst gab es innerhalb der Gruppen solche Farbvariationen.

Schon der einen Gruppe beim Sex zuzusehen, war ein erregender Anblick. Aber wenn dann auch noch neue Personen dazu kamen, gab es dem Ganzen eine spezielle Würze. Als Zuschauer anderen beim Geschlechtsakt beizuwohnen, setzte mich unter Dauerstrom, selbst wenn es sich bei den sexuell Aktiven um eine andere Spezies handelte. Wie gut, dass es Paul gab, der mir nach der Arbeit nur zu gerne dabei half, entsprechende Spannungen wieder abzubauen. Allerdings fürchtete ich, dass er nach dem heutigen Tag dafür sorgen würde, dass ich morgen Schwierigkeiten mit dem Laufen hätte. Es wäre nicht das erste Mal.

Meine Erinnerungen überfielen mich wie aus dem Nichts. Ich dachte an den Tag zurück, als ich ihn das erste Mal richtig als Freund wahrgenommen hatte. Vorher kannten wir uns zwar vom Sehen, kamen aber aufgrund unserer unterschiedlichen Forschungsgebiete nie dazu, miteinander zu reden. Mir fiel lediglich auf, dass er es offensichtlich ablehnte, seine Beine behandeln zu lassen. Lieber humpelte er mit seiner Gehhilfe durch die Gänge der Station. Erst später erzählte er mir, dass die einzige Alternative eine Amputation und als Ersatz eine Vollprothese möglich gewesen wäre. Ich hätte mich wohl kaum anders entschieden.

Eines Tages hörte er im Vorbeigehen, wie ich die Worte der Schlangenmenschen nachbildete, wobei es sich am Anfang lediglich um die Namen einer kleinen Gruppe handelte. Die Sprache war melodisch, beinahe wie ein Singsang, die fast ohne harte Laute auskam. Die Sanftheit der Töne streichelte die Seele, selbst wenn ich sie anfangs nicht verstand. Bedeutung bekamen die einzelnen Worte erst nach und nach.

Nachdem Paul mir etwas zugehört hatte, setzte er sich zu mir und begann mit mir die Wörter und die Aussprache zu üben. Sein Engagement mir gegenüber beeindruckte mich damals wie heute. So waren wir überhaupt erst zusammengekommen und ein Paar geworden.

Außer uns beiden zeigte niemand der anderen Stationsbewohner Interesse an dieser Sprache. Sie sahen keinen Sinn darin, sie zu lernen. Für uns war es am Anfang einfach nur Spaß. Irgendwann fingen wir an, den Rest der Mannschaft damit zu necken, weil wir uns so miteinander austauschen konnten, ohne dass die anderen wussten, worum es ging. Das führte so weit, dass wir private Unterhaltungen ausschließlich in der Sprache der Canisha führten und wir immer besser darin wurden.

Wir hatten schon den einen oder anderen Spaß in den letzten zehn Jahren. Und nun ging diese Ära zu Ende. Sechs Tage noch und dann folgte eine zweijährige Heimreise im Kryoschlaf.

Ich warf einen nachdenklichen Blick auf Paul, der meinen Stimmungsumschwung mitbekommen hatte und mich neugierig betrachtete.

„Was denkst du, Lara? Was geht in deinem hübschen, klugen Köpfchen vor sich, hm?“

Zu Hause erwartete uns eine triste Welt, wenn es für uns auch aufgrund unserer Verdienste etliche Privilegien gab. Paul hatte recht. Aber es würde mehr als nur ungewohnt sein, es würde mir fehlen. Ob ich froh war, nach Hause zu kommen? Nein, das konnte ich nicht behaupten. Mir gefiel es hier auf der Station mit den wenigen Menschen. Und mir gefiel meine Arbeit. Langsam, aus meinen Gedanken heraus, schüttelte ich den Kopf und beantwortete seine Frage, die er ganz am Anfang gestellt hatte.

„Ich werde das hier sehr vermissen“, sagte ich bedrückt, trat zu Paul, beugte mich über ihn und streichelte seine Hände, „das alles. Zehn Jahre waren abgemacht. Aber die Zeit ist wie im Flug vergangen, und ich wäre gerne noch hiergeblieben. Du etwa nicht?“

„Es ist mir egal“, raunte er in der fremden Sprache und drückte mir einen sanften Kuss auf die Nasenwurzel. „Wo immer du bist, will ich auch sein.“

Seine Aussage brachte mich zum Lächeln. Er konnte ja so romantisch sein. Und das würde mir das Leben auf unserem Heimatplaneten wieder versüßen. Vielleicht gab es sogar eine Möglichkeit, eines Tages zurückzukehren. Man sollte nie die Hoffnung verlieren.

 

Unglück

 

Heute ging alles erheblich hektischer vonstatten. Das Raumschiff, das uns nach Hause bringen sollte, hatte an der Station angedockt und wurde mit allem Möglichen beladen, Daten wurden überspielt. Die Piloten erholten sich derweil in den ihnen zugewiesenen Kojen von dem langen Flug.

Der einzige Ort, an dem es ruhiger zuging als auf dem Rest der Station, war die Plantage. Dort hatte ich mich mit Paul für ein kleines Stelldichein verabredet.

Auf unserer Plantage zogen wir uns nicht nur Obst und Gemüse heran, hier wuchsen sogar spezielle großvolumige Büsche, die uns mit Sauerstoff versorgten. Es handelte sich bei diesem Trakt um einen sehr großen, hohen Raum mit durchsichtiger Kuppel, automatischem Wasser-, Dünge- und Klimasystem und einer Vorrichtung, die die Beleuchtung regulierte. Die Säh- und Ernteanlage verhinderte eine Knappheit an Lebensmitteln. Maschinen und Automatismus waren das A und O dieser Einrichtung. Nichts blieb dem Zufall überlassen, was auch gut war, denn immerhin musste eine ganze Raumstation mit Insassen versorgt werden, die zum größten Teil keine Ahnung von Landwirtschaft hatten.

Paul und ich sahen in der Plantage neben dem Versorgungsgedanken auch einen besonderen Rückzugsort, denn so gemütlich die Kabinen auch waren, konnte nichts über ihre Künstlichkeit hinwegtäuschen. Hier hingegen konnte man sich annähernd einbilden, mitten in der Natur zu sein, und davon gab es auf der Station im Verhältnis zur Gesamtgröße mehr als auf der Erde.

Es machte Spaß, zwischen den Anpflanzungen herumzutoben, sich geheime Ecken zu suchen und sich in diesen sogar dem Liebesspiel hinzugeben. Bequem war Letzteres natürlich nicht, dafür aber so spannend wie romantisch. Fast fühlten wir uns in solchen Augenblicken wie ein Pärchen der Canisha.

Die Überlegung, vielleicht doch noch rechtzeitig vor dem Abflug schwanger zu werden, haftete heute wie eine Klette unerbittlich in meinem Hinterkopf. Viel Zeit blieb uns nicht mehr. Nur noch drei Tage, dann sollte es heimwärts gehen. Ein Grund mehr, unsere sexuellen Aktivitäten auf jede einzelne freie Minute auszudehnen. Irgendwann musste es einfach klappen. Empfängnisbereit war ich jedenfalls, laut der Auswertung meiner Körperdaten.

Das mochte jetzt weniger romantisch klingen, aber glücklicherweise würde der Kinderwunsch in dem Augenblick in den Hintergrund rücken, in dem Paul auf der Bildfläche erschien. Immer wieder schaffte er es, dass sich mein Hirn in Brei zu verwandeln schien, der jeden anderen Gedanken als den an ihn auslöschte. So sehr liebte ich ihn – und so gut war der Sex mit ihm. Schon alleine seine Berührungen sorgten bei mir für wohlige Gänsehaut. Und wenn er dann tiefer ging … Ich mochte jetzt gar nicht darüber nachdenken, denn jeder Gedanke daran war nur ein schwacher Abklatsch der Realität, und schon bald käme ich in deren Genuss.

Was er jetzt wohl gerade machte? Ob er seinen Feierabend auch so herbeisehnte wie ich?

Pauls Arbeit würde dieses Mal länger dauern, sodass zur Abwechslung ich auf ihn warten musste. Und da ich noch etwas Zeit hatte, bis er kommen konnte, machte ich es für uns etwas bequemer und breitete eine Decke auf dem Boden aus. Verträumt strich ich jede Falte glatt, als handele es sich um seinen Körper.

In Shorts, Shirt und leichten Sportschuhen, die zu meiner Lieblingsfreizeitbekleidung gehörten, legte ich mich anschließend darauf und betrachtete den Himmel mit all seinen Sternen und den zwei Monden – einem Pärchen, das Nacht für Nacht gemeinsam seine Runde über dem Firmament zog. Die beiden schienen für immer miteinander verbunden. Ein schöner Gedanke. Auch Paul und ich hatten ein langes, gemeinsames Leben vor uns, ob nun hier oder auf der Erde. Mit einem Kind wäre das Glück perfekt, aber selbst wenn es nicht klappen sollte, war Paul einfach der ideale Partner, mit dem ich mein Leben verbringen wollte.

Es war ein wundervoller und friedlicher Anblick, durch den ich langsam müde wurde. Kein Problem, denn Paul wusste, wo er mich finden konnte. Und er würde es mit Sicherheit auch schaffen, dass meine Schläfrigkeit wieder schnell verflog. Wenn ich nur an die letzte Nacht dachte … Ein lüsternes Grinsen breitete sich in meinem Gesicht aus. ‚Na warte, Paul. Wenn du erst mal da bist, kannst du was erleben!‘ Na ja, wenn er erst einmal da wäre.

Ein Gähnen stahl sich aus meinem Mund. Meine Augenlieder senkten sich Stück um Stück, doch kurz bevor sie sich schlossen, drang etwas in mein Unterbewusstsein, was mich dazu veranlasste, sie wieder zu öffnen. Auf einmal war ich hellwach. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Unruhig suchte ich den Sternenhimmel über der Kuppel ab. Was genau war verkehrt?

Und dann sah ich es: ein Lichtpunkt an einer Stelle, an der keiner hätte sein dürfen. Ich stand auf. Je länger ich ihn beobachtete, desto größer wurde er. Etwas näherte sich in hohem Tempo und so, wie es aussah, nahm es direkten Kurs auf uns. Ein Adrenalinstoß versetzte meinen Körper in Alarmbereitschaft und trotzdem fühlte ich mich zu keiner Bewegung fähig. Mein Herz klopfte wie verrückt. Ein Asteroid?

Kaum zog mir dieser Gedanke durch den Kopf, als schon die Warnleuchten angingen, die alles in ein geisterhaft blinkendes rotes Licht tauchten, und Alarm im schrillen Ton durch die Gänge hallte. Wo war Paul?

Der fremde Himmelskörper sah schon verdammt nah aus und wie gebannt starrte ich nach oben, während der Gesteinsbrocken größer und größer wurde. Er musste riesig sein und näherte sich in rasender Geschwindigkeit.

„Lara!“ Pauls Stimme war voller Panik, als er nach mir rief.

Erst jetzt erwachte ich aus meiner Schockstarre und blickte in die Richtung, aus der Paul in seinem höchstmöglichen Tempo auf mich zuhumpelte. „Paul!“, schrie ich ihm entgegen und machte ein paar Schritte auf ihn zu.

„Los, lauf zu den Rettungskapseln. Jetzt!“, brüllte er, noch bevor er bei mir war. Das stoppte mich zwar, aber noch immer rannte ich nicht in die von ihm angegebene Richtung, sondern wartete darauf, dass er bei mir ankam. Ohne ihn würde ich keinen weiteren Schritt mehr machen.

Eigentlich lautete die Anweisung, dass zuerst die Daten gesichert werden mussten, doch diese Zeit blieb uns garantiert nicht mehr. Wir mussten uns selbst in Sicherheit bringen, und wer wollte uns dafür schon zur Verantwortung ziehen?

Paul nahm meine Hand und trieb mich an. Die Rettungskapseln waren ein Stockwerk tiefer und es bedurfte einer Menge Glück, sie noch zu erreichen, bevor der Asteroid in die Station einschlug.

„Lara, verdammt, du könntest schon längst weg sein“, schimpfte Paul keuchend.

„Nicht ohne dich!“, antwortete ich stur und stützte ihn, sodass auch er schneller vorankam.

Er schüttelte fassungslos den Kopf, während er die Treppe vor mir hinunterhinkte. Auf der letzten Stufe drehte er sich um, um sich zu vergewissern, dass ich noch hinter ihm war und zog mich nach vorne, damit ich vorweglaufen konnte. Dennoch sträubte ich mich. Ich wollte nicht alleine vorrennen.

Die Druckwelle, die der Asteroid vor sich herschob, erschütterte die Station immer stärker. Das Beben ließ die gesamte Konstruktion knirschen und kreischen, sodass es mir kalt den Rücken hinunterlief. Angst umklammerte mein Herz. Die Türen zu den Kapseln waren so nah und trotzdem kam mir der Weg länger vor als sonst. Ich wollte Paul unter die Arme greifen, aber er wehrte mich ab.