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Besondere Fähigkeiten sind es, die dafür sorgen, dass der Straßenmusiker Ruben sich von seiner Umwelt distanziert. Als Waise aufgewachsen lebt er in dem Glauben, der Einzige seiner Art zu sein - ein Grund, warum er niemanden an sich heranlässt.
An dem Tag, an dem Bianca seinen Weg kreuzt, verliebt er sich augenblicklich in sie. Aufgrund seiner Besonderheit würde er lieber Abstand von ihr halten, doch der Wolf in ihm ist anderer Meinung. Auf einmal steht Ruben vor Problemen, die er nicht mehr alleine lösen kann. Als dann noch seine Angebetete in Gefahr gerät, ist er gezwungen zu handeln.
Dieser Kurzroman geht über 73 Normseiten, besteht aus 17.468 Wörtern und 106.246 Zeichen (mit Leerzeichen). Im Anschluss daran findet Ihr noch als kostenlose Bonusgeschichte "Verdammte Liebschaften - Zwei Frauen, zwei Geschichten".
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Fasziniert hielt Ruben seine Nase in den Wind und sog tief die Luft ein. Der Duft, der ihm um die Nase wehte, wirkte frisch, jung, weiblich, erregend – alles zusammen. Doch noch etwas teilte ihm dieser Geruch mit, etwas, das er nicht kannte und seine Sehnsucht entfachte: Zuhause.
Nur einen kurzen Blick wollte er auf dieses Wesen werfen, das es schaffte, seine Sinne dermaßen zu verführen, also beschleunigte er seine Schritte. Dunkle, hüftlange Haare erblickte er von hinten, Kurven an den richtigen Stellen und wohlgeformte Beine in blauen Jeans. Es war nicht viel, was er von ihr sehen konnte, doch es bestätigte, was ihr Duft ihm versprach.
Alles in ihm fühlte sich zu ihr hingezogen. In seinem Bauch flatterte es wie verrückt, sein Herz schlug wild in seiner Brust und sein Schwanz pochte hart gegen die Enge seiner Hose an. Der Drang, sie an sich zu reißen, sich mit ihr zu vereinigen und sie nie wieder loszulassen, wurde unwahrscheinlich stark. Es war das erste Mal, dass ihm so etwas passierte.
Noch nie hatte er Gefühle in solcher Intensität gegenüber einer Frau gespürt. Es bedurfte normalerweise erheblich mehr, um ihn in Stimmung zu bringen. Zudem hatte er von keiner anderen Frau je mehr gewollt als eine Nacht körperlicher Freuden.
Mehr konnte er auch gar nicht verlangen, denn er war ein Freak, ein Monster, ungeeignet für eine tiefere Beziehung oder dazu, Nachkommen zu zeugen.
Selbst seinen Pflegeeltern war er nicht geheuer gewesen. Immer, wenn sie in seine hellen Augen gesehen hatten, konnte er beobachten, wie sie Gänsehaut bekamen. Dabei hatten sie nicht einmal gewusst, wozu er wirklich fähig war. Niemand wusste das, nur er.
Das erste Mal war es ihm mit zehn Jahren passiert, als ein Kaninchen auf dem Grundstück des Kinderheimes seinen Jagdtrieb ausgelöst hatte. Zuerst war er erschrocken, wusste nicht, was das bedeuten sollte. Aber ihm war klar, dass es niemand wissen durfte. Er wusste, was mit Kindern geschah, die anders waren. Oft genug hatte er gesehen, wie solche Kinder zu Opfern wurden, gehänselt, geschlagen und getreten. Als wenn die nicht schon so genug Probleme gehabt hätten.
Zum Glück hatte er es schnell unter Kontrolle bekommen, konnte seinen Wolf ohne Probleme unterdrücken, sodass auch niemand davon wissen musste. Aber die jetzige Situation verwirrte ihn über die Maßen.
Gerade sah er noch, wie die Frau in eine schmale Einfahrt einbog und dort im Nebeneingang eines Ladens verschwand. Dann schnitt die sich hinter ihr schließende Tür ihren Duft ab und Reste davon verwehten im Wind.
Ein Gefühl des Verlustes überfiel ihn, das er sich überhaupt nicht erklären konnte. Was war nur los mit ihm? Wie konnte man sich überhaupt so sehr nach etwas sehnen, das man nie gehabt hatte? Frustriert schnaufte er und versuchte, seine Gefühle ins Lächerliche zu ziehen. Das wäre ja wohl ein Witz, dass sich jemand wie er Hoffnungen machte, irgendwann einmal eine Frau für sich zu finden, eine, die nicht nur sein dunkles Geheimnis kannte, sondern es auch akzeptierte, eine, die für ihn auf Kinder verzichtete, damit er nicht noch mehr Monster in die Welt setzte. Diesen Gedanken musste er sich abschminken.
Entschlossen, sich diese Frau aus dem Kopf zu schlagen, zog er die Kapuze seines Sweaters über den Kopf, versank in der Anonymität seiner absolut gewöhnlichen Kleidung. Mit einem Blick auf die billige Armbanduhr drehte sich um und machte sich auf den Weg in die Stadt. Er war sowieso schon zu spät.
Die Töne einer folkloristischen Weise drangen an seine Ohren, noch bevor er die beiden sah. Der Platz, auf dem sie ihre Lieder spielten, sorgte für eine hervorragende Akustik. Sergej, mit seinem runden Gesicht, dem Stoppelhaarschnitt und seiner in Brauntönen gehaltenen Kleidung, fiel kaum auf, denn er saß auf einer alten, zusammengefalteten Decke mit zwei Bongos auf dem Boden. Der dürre Falco zog dagegen mit seiner bunten, eigenwillig geschneiderten Kleidung alle Aufmerksamkeit auf sich. Er trug neben einem roten, langen Rock einen ebenso langen, grünen Stehkragenmantel, der mit doppelten Knopfreihen, goldenen Epauletten und ebensolchen Paspeln ausgestattet war. Das weiße Hemd darunter wies dichte Rüschen auf – ein sehr ausgefallener Kleidungsstil. Dicht neben Sergej stehend spielte er auf seiner alten, abgeschabten Akustikgitarre eine fröhliche Melodie. Falcos zylinderförmiger, mit bunten Bändern verzierter Hut lag auf dem Pflaster vor ihnen.
Um sie nicht mitten im Lied zu stören, hielt Ruben sich zunächst im Hintergrund. Erst als sie geendet hatten, trat er zu ihnen.
Stilistisch passte Ruben zwar weder zu den beiden noch zu den Liedern, die sie spielten, aber er fühlte sich in diesen Klamotten am wohlsten und er hatte dafür die Stimme, die sie brauchten.
„Ey Alter, wo warst du?“, begrüßte ihn Falco prompt. „Wir haben schon mal ohne dich angefangen“, beschrieb er das Offensichtliche. Er zog seine Gitarre beiseite, um Ruben mit einem freundschaftlichen Schlag auf die Schulter begrüßen zu können. Sergej hob lediglich seine Hand hoch und nickte. Von ihm hörte man nie besonders viel, außer er bearbeitete gerade seine Bongos.
Bei Falcos Frage blitzte das Bild der Frau in Rubens Gedanken auf, und er erinnerte sich an ihren Duft, die Gefühle, die dieser in ihm ausgelöst hatte. Er spürte, wie sich sein Pulsschlag beschleunigte – etwas, das er nicht gebrauchen konnte.
„Ist doch egal“, wehrte er ab. Er wollte nicht über sie reden und sie dadurch in seiner Erinnerung lebendig halten, sondern sie ganz schnell vergessen. „Ich bin ja jetzt da. Wir sollten loslegen“, schlug er vor, was Sergej mit einem weiteren Nicken zur Kenntnis nahm. Falco ging mit einem „Wie du willst“ zurück auf seinen Platz und Ruben nahm seine Position neben ihm ein.
Die drei spielten alte Volksweisen nach Melodien und Texten, die Falco auf dem Dachboden seiner Großeltern entdeckt hatte. Zwischendurch erfand er Lieder im gleichen Stil, sodass niemand erkennen konnte, was nun alt und was neu war.
Nachdem Falco sein von Sergej begleitetes Intro hingelegt hatte, begann Ruben zu singen. Er sang von Freiheit, der Vergangenheit, von der Hölle auf Erden und stillen Nächten.
Dass seine Stimme nicht schlecht war, wusste er, aber es reichte offenbar nicht, dass die Leute auf Dauer stehen blieben. Die ganze Zeit über gingen Passanten vorbei, hielten kurz an. Manche warfen etwas Kleingeld in den Hut, blieben noch ein Weilchen und gingen dann weiter – ein ständig wechselndes, aber gewohntes Bild.
Das letzte Lied auf der Liste handelte von vergeblicher Liebe, und auf einmal schwang sein Herz mit und wurde schwer. Ruben schloss die Augen. Erneut tauchte ihr Bild in seinem Kopf auf, während er weiter sang. Nur dieses Mal drehte sie sich zu ihm um. Ein perfektes Gesicht starrte ihm entgegen, sie kam auf ihn zu. Sie war so wunderschön, so weiblich und sprach zu seinem Herzen. Ganze Schmetterlingsschwärme brachten seinen Magen durcheinander und er konnte nur noch an sie denken. Doch kurz darauf weiteten sich ihre Pupillen vor Entsetzen. Sie erkannte, was er war, das Ungeheuer in ihm, und wendete sich erschrocken von ihm ab, wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er ließ sie ziehen. Immerhin wusste er selbst um die Bestie in sich, konnte sie nur zu gut verstehen, doch sein Herz wurde wund. Dieses Gefühl schwang in den Tönen, die seine Kehle verließen, mit.
Am Ende dieses Liedes öffnete Ruben die Augen. Nachdem er die letzten Worte gesungen und Falco seinen Schlussakkord gesetzt hatte, sah er, wie Falco wie in Zeitlupe seine Hände von der Gitarre sinken ließ und ihn erstaunt anschaute. Dann wandte er seinen Blick nach vorne. Vor ihnen stand eine unglaubliche Menschenmenge. Manche von ihnen hatten Tränen in den Augen, einige schnäuzten in ihr Taschentuch. Es war totenstill, zumindest etliche Sekunden, die die Leute dazu brauchten, um sich zu sammeln. Dann brandete dem Trio ein riesiger Applaus entgegen und es landeten jede Menge Scheine im Hut.
Falco zog sich den Gitarrengurt von der Schulter, sodass jeder sehen konnte, dass die Band nicht mehr weiterspielen würde. Sergej ließ die Bongos stehen und nahm den Hut an sich. Nur langsam verlief sich das Publikum.
„Also dass du singen kannst, wussten wir ja, aber das … Sag mal, kannst du das wiederholen? Das war phänomenal, Ruben“, meinte Sergej, der einen ungläubigen Blick auf das gesammelte Geld warf. „Noch zwei, drei Mal und wir haben unsere Miete zusammen.“
„Was ist passiert, Alter? Hast du unterwegs eine Fee getroffen und die hat dir den Wunsch erfüllt, deine Emotionen auf der Zunge zu tragen, oder was? Das ist das erste Mal, dass du so aus dir herausgekommen bist und Gefühle gezeigt hast – und dann noch in dieser Intensität. Ich hätte beinahe geheult“, flachste Falco. Dass das mit dem Heulen sehr nah an der Wahrheit war, konnte man ihm trotz seines Tonfalls ansehen.
Ruben zuckte nur mit den Schultern. Er hatte keine Lust, den beiden irgendetwas auf die Nase zu binden. Es reichte ihm schon, dass er mit ihnen zusammen wohnte und Musik machte. Selbst wenn sie ihn als Freund betrachteten, ihnen gegenüber hatte er nie so empfunden, vielleicht auch deshalb, weil er noch nie Freunde hatte. Die beiden waren ein Mittel zum Zweck, damit er nicht auf der Straße leben und sich von Abfällen ernähren musste. Musik machen, den nächsten Auftritt besprechen, Lieder einüben, zusammen wohnen und ab und zu ein paar Worte wechseln, das war alles, was Ruben mit ihnen verband. Ansonsten ging er ihnen aus dem Weg. Eigentlich ging er jedem aus dem Weg – meistens zumindest.
„Etwas wortkarg heute, was?“, zog Falco ihn auf und wies auf ein nahe gelegenes Café, in dem es belegte Brötchen zum Mitnehmen gab. „Lass uns zusammenpacken und dann gehen wir etwas essen. Du bist ein wenig blass um die Nase.“
„Ich muss noch wohin“, antwortete Ruben und ließ die beiden einfach stehen.
„Tu nichts, was deiner Stimme schaden könnte, Goldkehlchen“, rief Falco ihm hinterher, sodass die Leute sich nach ihm umdrehten. Die Aufmerksamkeit war Ruben peinlich. Er zog seinen Kopf zwischen die Schultern, versteckte sich hinter seiner Kapuze und verschwand, so schnell er konnte.
Eigentlich hatte er kein bestimmtes Ziel. Das Ganze war lediglich eine Ausrede gewesen, um seinen Mitbewohnern zu entkommen. Allerdings führten ihn seine Beine automatisch zu dem Laden, in dem er sie vermutete. Wenn jemand durch den Nebeneingang hineinging, konnte man davon ausgehen, dass dieser Jemand dort auch arbeitete, oder?
Ganz entgegen seines vorigen Entschlusses, sie sich aus dem Kopf zu schlagen, musste er sie einfach wiedersehen. Entsprach ihr Gesicht dem aus seiner Vorstellung? Er musste es wissen!
Unschlüssig stand er vor dem Schaufenster, sah sein Spiegelbild in der Scheibe der Boutique. Auf die meisten Leute wirkte er leicht verwahrlost mit seinem verwaschenen Sweater, den zerschlissenen Jeans und den billigen Turnschuhen. Die schwarzen Haare standen verstrubbelt von seinem Kopf ab und sooft er sich auch rasierte, der Bartschatten blieb. Folglich sah er nicht aus wie jemand, der sich für die Schaufensterauslage in Boutiquen interessieren würde, schon gar nicht, wenn sie Braut- oder Abendmoden führten. Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, durch die Scheibe zu spähen. Vielleicht konnte er ja einen Blick von ihr erhaschen. Wenigstens ein einziges Mal wollte er sie von vorne sehen und sich dann verziehen. Sie sollte gar nicht erst wissen, dass er existierte.
Das Problem an der Sache war allerdings, dass er sie tatsächlich sah und ihr Anblick warf ihn um – im wahrsten Sinne des Wortes. Er spürte, wie er die Kontrolle über sich verlor, fühlte mit Entsetzen das Prickeln in seinem Gesicht, das seine Verwandlung ankündigte.
Panisch blickte er nach unten, hoffend, dass die Kapuze ihm ausreichend Deckung gab, bis er in die Einfahrt geflüchtet und damit aus dem Blickfeld der Passanten verschwunden war. Beim Laufen rempelte er aus Versehen eine Frau an, murmelte ein „Entschuldigung“, was mittlerweile fast gebellt klang. Warum musste ihm das jetzt passieren?
Natürlich ahnte er, dass ihm einige Blicke folgten, doch er lief bis in den Hinterhof und ging hinter zwei Müllcontainern in Deckung. Immer wieder versuchte er, sich unter Kontrolle zu bringen, doch jedes Mal, wenn er schon erleichtert aufatmen wollte, kam ihm ihr Bild in den Kopf und schon passierte es erneut. Zu allem Unglück hörte er, wie sich die Tür zum Seiteneingang öffnete, ihr Duft wehte ihm in die Nase und Schritte näherten sich seinem Versteck. Es war alles zu spät.
Innerlich seufzend ergab er sich seinem Schicksal, streifte sich schnell die Klamotten vom Leib, bevor er das nicht mehr konnte, und verwandelte sich vollends. Die Sachen scharrte er mit den Hinterläufen unter den Container und hoffte, dass sie dort niemand fand – und ihn natürlich auch nicht. Ein schwarzer Wolf mitten in der Stadt war nicht gerade das, was man als alltäglich bezeichnen durfte.
So eng wie möglich drückte er sich an die Containerwand und versuchte mit den Schatten zu verschmelzen. Vielleicht ging sie an ihm vorbei, ohne ihn zu sehen, oder blieb schon vorher stehen. Er schloss zitternd die Augen, horchte.
Ihre Schritte näherten sich. Sie ging auf den Container zu, hinter dem er saß, und öffnete den Deckel. Etwas fiel hinein und prallte dumpf auf den Boden. Es hallte. Dann der Rumms, mit dem sie den Deckel wieder schloss.
Der Wind wehte ihren Duft genau in seine Richtung und seine Nasenflügel bebten, als er ihn tief in sich einsog, ihn praktisch verinnerlichte. Ihm war nach seufzen, doch das, was seinem Maul entwich, war ein leises Winseln. Vor Schreck riss er die Augen auf. Hoffentlich hatte sie das nicht gehört.
Das Herz wummerte in seinen Ohren, dabei musste er doch auf ihre Schritte achten, horchen, dass sie sich entfernten. Nur tat sich nichts dergleichen. Stattdessen wurde ihr Duft intensiver. So klein wie möglich versuchte er sich zu machen, was sich bei seiner Größe schwierig gestaltete. Dann sah er ihren Kopf an dem Container vorbeischauen und hörte ihr überraschtes „Oh!“
Nun war wirklich alles zu spät! Wäre er doch nur nicht hergekommen, schalt er sich selber. Eigentlich erwartete er, dass sie das Weite suchen und den Tierschutzverein anrufen würde. Immerhin war er ein Wolf, ein recht großer noch dazu. Doch sie überraschte ihn, indem sie sich vorsichtig näherte und leise auf ihn einredete, während sie seine Reaktionen genau beobachtete.
„Du bist aber ein hübscher Kerl“, raunte sie. „So wunderschöne Augen und tolles Fell.“
Er konnte nicht anders, als sich über ihr Lob zu freuen. Sein Schwanz wedelte von ganz alleine. Dabei waren gerade seine hellen, wasserblauen Augen etwas, das Menschen normalerweise verunsicherte. In Verbindung mit seinen schwarzen Haaren wirkte er auf die meisten eher unheimlich. Nur wenige Leute konnten für längere Zeit seinem Blick standhalten, zumindest bei ihm als Mensch.
Verdammt! Alles lief schief. Sie hätte ihn gar nicht erst bemerken sollen, und nun schaute sie ihn mit so strahlenden Augen an und redete mit ihrer entzückenden Stimme auf ihn ein. Ihre Hand näherte sich, berührte ihn erst vorsichtig und begann schließlich, ihn hinter den Ohren zu kraulen. Und er genoss es nicht nur über die Maßen, es erregte ihn auch. Bilder blitzten durch sein Hirn, heizten ihm in seinem dicken Fell zusätzlich ein. Er wollte sie küssen, sie zum Keuchen und Schwitzen bringen, ihr den Schweiß vom Körper lecken, wilden Sex mit ihr haben, sich mit ihr und ihrer Seele vereinen und sie als seine Gefährtin markieren. Böser Wolf!
So einem wundervollen Geschöpf durfte er niemals so etwas wie sich zumuten. Er glaubte einfach nicht, dass sie ihn würde lieben können.
Gut, sie mochte den Wolf. Aber doch nur, weil sie in ihm das Tier sah und nichts von seinem anderen Ich wusste. Außerdem – was für ein Leben hätte er ihr zu bieten? Er konnte praktisch nichts vorweisen außer sich selbst. Sie durfte ihn gar nicht mögen!
Er sollte sie anknurren, ihr Angst machen, damit sie schnellstens Reißaus nahm und er sich wieder zurückverwandeln und verschwinden konnte. Doch alles in ihm weigerte sich, der Vernunft zu gehorchen.
Zu allem Überfluss forderte sie ihn nun dazu auf, ihr zu folgen. Er zögerte. Seine Erektion war deutlich sichtbar. Keinesfalls wollte er sie damit konfrontieren, doch sie schaute nur in seine Augen und winkte ihm zu. Er klemmte seinen buschigen Schwanz zwischen die Beine. Selbst wenn sie das falsch interpretieren sollte, so war es ihm dadurch wenigstens möglich, seine Erregung vor ihr zu verstecken.
Zögernd ging er ihr nach, schaute noch einmal zu seiner Kleidung zurück, bevor er ihr durch die Tür in den Lagerraum folgte.
Die ganze Zeit redete sie auf ihn ein und er hörte ihr zu. Leider behandelte sie ihn wie einen Hund, aber sie konnte nicht wissen, dass er nicht nur ihre Worte vernahm, sondern auch den Sinn dahinter verstand. Andererseits könnte sich das durchaus als nützlich erweisen.
Doch dann schalt er sich wieder für seine Dummheit. Er durfte nicht noch mehr über sie in Erfahrung bringen, denn das band ihn nur fester an sie. Er musste sich von ihr fernhalten, also sollte er die nächste Chance nutzen und fliehen!
Noch immer rechnete er damit, dass sie den Tierschutz anrufen würde. Das wäre fatal, denn dann wäre es noch schwieriger, abzuhauen. Keinesfalls würde er sich die Blöße geben und sich in einem Käfig in einen nackten Menschen zurückverwandeln. Niemand sollte wissen, dass ein Freak wie er durch Hamburg lief. Also blieb ihm nur die Möglichkeit, in dieser Gestalt zu bleiben, bis die Luft rein war und er an seine Klamotten kam.
„Du hast sicher Durst“, sagte sie und stellte ihm eine Schüssel mit Wasser vor die Nase.
Nun ja, seine Kehle fühlte sich trocken an. Da er sich aber die überwiegende Zeit als Mensch bewegte und handelte, war es für ihn ungewohnt, so aus einer Schüssel zu trinken. Die Vorstellung, wie ein Hund aus dem Napf zu schlabbern, kam ihm dermaßen grotesk vor, dass er das Wasser nicht anrührte. Stattdessen setzte er sich hin und schaute sie an. Niemals würde er ihres Anblicks überdrüssig werden, und doch wusste er, dass das hier einmalig bleiben musste. Noch immer pochte sein Herz hart in seiner Brust und er war sich ihrer Nähe nur allzu bewusst.
„Nicht? Na ja, ich lass es stehen. Meine Pause ist um und ich muss wieder arbeiten. Lauf nicht weg!“, meinte sie und strubbelte noch einmal über sein Fell. In dem Augenblick ging die Tür auf und eine Frau schaute herein. Noch hatte sie ihn nicht gesehen.
„Bianca, wo bleibst du denn?“, drängelte sie und reckte neugierig den Hals. Die nächste Frage, die ihr auf der Zunge lag, schluckte sie dagegen sofort wieder herunter und auf ihrem Gesicht zeigte sich höchste Alarmbereitschaft.
„Komm von dem Wolf weg, ganz vorsichtig. Keine hektischen Bewegungen machen“, raunte sie leise und wunderte sich, dass Bianca hell auflachte.
„Keine Angst. Der tut nichts, Gitta“, behauptete sie und streichelte ihm noch einmal demonstrativ über den dicken Schädel. „Der scheint Menschen gewohnt zu sein. Schau doch, wie lieb er ist.“