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Eine mitreißende, kraftvolle und zutiefst berührende Geschichte um einen schutzlosen Welpen in der Einsamkeit der Natur von der schwedischen Bestseller-Autorin Kerstin Ekman Die Luft ist schneidend, und die Fjällgipfel hüllen sich in Grau. In der einsamen Stille des nordschwedischen Winters verirrt sich ein junger Welpe und ist ohne seine Mutter und seine Menschen hilflos der Natur ausgeliefert. In seinem unterkühlten Körper flattert sein Herz gegen die Kälte und die Nässe wie ein Vogelflügel. Glück und Zufall verhindern, dass er schon in den ersten Tagen verhungert. Bald lernt er Gefahren besser einzuschätzen. Sein Jagdinstinkt erwacht, und es gelingt ihm, den Frühling und den Sommer zu überstehen. Bis er zu Beginn des nächsten Winters einem Menschen begegnet. Ist es vielleicht sein Mensch? »Eine Lektüre, die beglückt.« Die Zeit
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover & Impressum
Wann beginnt ein Ereignis?
Ihr Herr fuhr mit dem Schneescooter …
Ein graues Schneegestöber, ein Sturm …
Wann endet ein Ereignis?
Wann beginnt ein Ereignis?
Es beginnt nicht. Irgendetwas geht immer voraus. Es beginnt, wie der Bach im Rinnsal beginnt und wie das Rinnsal im sickernden Wasser des Moors. Der Regen bringt das Moorwasser zum Steigen.
Im Winter haben die Fichten weite Röcke. Der Schnee ist so hoch, dass er sich mit den untersten Astkränzen verbindet. Wenn der Sturm ihn zusammenfegt, entstehen unter den Fichten Höhlen und Baue. Ein Fuchs kann sich vor Wind und Wetter geschützt dort ein Tageslager suchen. Birkhühner liegen unter den Röcken der Fichten, aber nie unter derselben Wurzel wie der Fuchs. Der kauert sich dort zusammen und wartet auf die Nacht. Auf den Mondschein wartet er und auf den Harsch.
Wo beginnt eine Geschichte?
Unter einer Fichtenwurzel vielleicht.
Ja, unter einer Fichtenwurzel. Dort lag ein kleines graues Wesen. Zusammengerollt, die Schnauze unterm Schwanz. Ein Hund. Aber das wusste er nicht. Er war so klein, dass er unter der Wurzel Platz gefunden hatte. Sie umschloss ihn wie ein knorriger, brauner Arm. Aber sie wärmte nicht.
Eine andere Wärme als die seines Körpers hatte er nicht. In ihm war ein Loch. Er konnte nicht denken: Wärme, Gesäuge, Zitzen, Milch. Er erinnerte sich nicht an den Bauch der Hündin und dessen lichtes weißes Fell und auch nicht an den Glanz ihrer gelben Augen, wenn sie alle saugten.
Er konnte sich nicht erinnern. Es war lediglich ein großes Loch in ihm, ein Nagen, ein Hunger nach Wärme und nach diesem kräftigen Lauwarmen, das das Maul füllte, nach dem Biss der Hündin ins Nackenfell und dem Maulwinkellecken, wenn sie mit fremden Gerüchen im Fell von draußen kam.
Wie war er unter die Fichte geraten?
Daran erinnerte er sich nicht, und er hätte es auch nicht erzählen können.
Ihr Herr fuhr mit dem Schneescooter auf den See. Er wollte angeln. Aber die Hündin hatte ihn die grüne Jacke vom Haken nehmen sehen und meinte nun, sie würden jagen gehen. Es war nicht die rechte Zeit. Das sagte ihr der Geruch der Märzluft. Still und aufmerksam saß sie auf der Vortreppe. Als der Scooter um die Ecke des Holzschuppens gebogen kam, sah sie mit ihren schwachen Augen den Gewehrlauf. Glaubte sie. Es war der Eisbohrer, den ihr Herr am Rucksack festgebunden hatte. Er hatte nicht nach ihr gerufen. Hatte nicht gesagt, wo es hingehen sollte. Doch die grüne Jacke, der Gewehrlauf! Die Ohren nach vorn gerichtet, blieb sie reglos sitzen, bis der Scooter zwischen den Kiefern auf dem Moorsee verschwand. Da lief sie schließlich los. Jagen!
Und der Welpe ihr hinterher.
Es war eine breite Scooterspur mit körnigem Raupenmuster. Sie roch nach Benzin und Öl und nach der Mutter. Er rannte auf kurzen Läufen, watschelte dahin. Bald sah er sie nicht mehr. Den Motor hörte er noch. Dann wurde es still, und er war auf dem langen weißen Band, das auf den See hinausführte, allein.
Der Mann fuhr zum Bootsanleger der Alm hinüber und machte einen Abstecher zur Almhütte, um dort oben nach dem Rechten zu sehen. Dann fuhr er wieder auf den See. Dass die Hündin dabei war, bemerkte er erst, nachdem er angehalten hatte. Sie war abgehetzt, als sie ankam. Mit hängendem Gesäuge. »Dummerchen«, sagte er. »Hast gedacht, es geht auf die Jagd?«
Er bohrte die zugefrorenen Löcher auf, und dann angelte er. Die Luft war scharf, und die Fjällgipfel hüllten sich in Grau. Die Hündin saß neben ihm und blinzelte aus gelben Augen. Mit unruhiger Nase nahm sie Witterung auf, und während sie auf ihn wartete, stapfte sie hin und wieder um die Löcher herum. Er fing nichts. An der Schnur bildete sich Eisschorf, als er sie in dem kalten schwarzen Wasser rauf und runter bewegte.
Ein Schneegestöber zog über den See, ein grauer Wirbel. Sie nieste. Da sagte ihr Herr: »Sollten heimfahren jetzt.« Er fuhr langsam, damit sie nicht so schnell rennen musste. Er machte jedoch einen Bogen und kehrte nicht auf derselben Spur zurück.
Als er nach Hause kam, stand seine Frau auf der Vortreppe, die Hände in den Pulloverärmeln. Der Schnee stob, und von den norwegischen Fjälls her wehte ein heftiger Wind. Sie sagte, ein Welpe fehle. »Der graueste«, sagte sie.
Sie suchten den ganzen Tag in dem grauen Schneegewirbel. Setzten die Hündin auf seine Spur an, die fand ihn jedoch nicht. Der Schnee stob. Und am Abend kam Sturm auf. Da weinte die Frau und sagte, sie würden den Welpen niemals wiederfinden. »Der ist erfroren«, sagte sie.
Ein graues Schneegestöber, ein Sturm, der von den norwegischen Fjälls her kommt, ist wie ein Besen. Er fegt den See und den Wald. Es bleiben keine Spuren, weder von Skiern oder Scooterraupenketten, noch von Pfoten oder Vogelfüßen, keine Prieme rings um die Eislöcher, keine Würmer, kein Blut. Alles ist weiß, rein und eben.
Es war der Morgen nach dem Sturm, und keiner konnte jetzt mehr die Spuren des Mannes mit dem Scooter sehen. Es hatte aufgeklart. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und der Himmel schimmerte grünlich, als es hell wurde. Über dem Björnklumpen verblasste die Mondsichel. Faserig und fragil.
Da stob ein Birkhahn auf. Als er aus seiner Fichtenhöhle brach, wirbelte ihm der Schnee um die Flügel. Er flog in den Wipfel einer Birke, und sofort kam noch einer, und dann noch einer. Wie schwarze Früchte saßen sie in der Birkenkrone, so schwer, dass sich unter ihrem Gewicht die Äste bogen. Dann machten sie sich über die Knospen her.
Der Welpe hatte unter seiner Fichte geschlafen. Er war steif und durstig, als er hinauskrauchte und die Schnauze aus dem Neuschnee reckte. Obwohl das Licht noch sehr spärlich war, blendete es ihn. Er sah die Birkhähne auf dem Baum, wusste aber nicht, was sie für welche waren und ob sie gefährlich waren. Lebendig, das waren sie. Ihre schwarzen Köpfe waren das Einzige, was sich in dem Weiß bewegte. Er kroch rückwärts wieder in seine Höhle und fraß Schnee. Dadurch wurde sein Magen geweckt, und er begann vor Hunger zu schmerzen. Der Welpe wimmerte, aber keiner kam. Er winselte und horchte. Es waren keine Pfoten auf Linoleum zu hören, keine Stiefelschritte, keine Stimme.
Er schlief ein bisschen. Die Magenschmerzen folgten ihm in den Schlaf, und er wimmerte. Als er das nächste Mal aufwachte, glaubte er etwas zu riechen, was nicht von Schnee und Kälte und Luft herrührte, und er begann zu scharren. Es kamen Nadeln und Waldstreu zum Vorschein, und zu guter Letzt stieß er auf die Quelle des Geruchs. Er war lange damit beschäftigt, und als die Sonne aufging und die vereisten Fenster der Almhütte beschien, hatte er zwei Fuchskötel und ein paar Preiselbeeren gefressen.
Als er aufwachte, waren die Birkhähne fort. Das Sonnenlicht wurde vom Schnee zurückgeworfen und tat derart in den Augen weh, dass er sie zusammenkneifen musste. Er blinzelte und fraß Schnee, der im Maul schnell zerschmolz. In seine Höhle rieselte Tauwasser. Er fror nun richtig, denn sein Fell, das die Welpenwolle noch nicht verloren hatte, war nass.
Eine Elster blitzte durch sein Blickfeld und ließ sich ein Stück entfernt nieder, wo er sie schwätzen und schackern hörte.
Dieses Geräusch kannte er. Elsterngeschwätz und das Knurren der Hündin, wenn der blitzende Vogel frech wurde und dem Futter zu nahe kam. Schneidende, scharfe Töne, die auch Gutes bedeuteten: Mutter und Fressnapf. Dorthin wollte er. Doch als er sich auf den Weg machte, sank er im nassen Schnee krauchend ein. Nach einer Weile war alles nur noch durch und durch nass und grauweiß, und er hatte keine Kraft mehr. Er lag lange Zeit im Schnee, und keine Elster war mehr zu hören. Die Erinnerung verflüchtigte sich. Als er mit seinem nackten Bauch im Schlackerschnee ernsthaft zu frieren begann, gelang es ihm trotz schmerzender Läufe umzukehren und sich in die Höhle unter der Fichte zurückzuziehen.
Er schlief, und die Sonne, die hoch am Himmel ihre Bahn zog, drang nie bis zu der Fichtenwurzel durch, wo er lag, an einem Nordhang des waldigen kleinen Fjälls hinter der Almweide. Er dämmerte im Hunger vor sich hin und hatte die Schnauze unter die Schwanzwurzel gesteckt, um sich an sich selbst zu wärmen, an seinem eigenen durchnässten und zottligen Fell und dem leeren Rumpf, in dem sein Herz wie ein Vogelflügel gegen die Kälte und die Nässe flatterte. Unregelmäßig und emsig zuckte es, hungrig nach Leben und Wärme, nach guten Stimmen, nach Milch und Sonne, nach Zungen, Fell, Pfoten, Bäuchen und Läufen flatterte es.
Er war nicht allein auf der Weide. Ein Eichhörnchen knaspelte mit krummen Krallen an der Fichtenrinde. Als der Schnee blau wurde, flogen die Birkhühner wieder in den Baumwipfel. Sie füllten sich in der Dämmerung den Kropf mit Birkenknospen, damit sie gegen die Nacht und die Kälte, die aus den blauen Schatten kroch, etwas im Magen hatten. Den lieben langen Nachmittag hatte er im Sonnenlicht und in der ersten tröpfelnden Frühlingswärme eine Kohlmeise schirken und zirpen hören. Jetzt kam die Kälte, und der Vogel verstummte und verkroch sich unter der Winddiele am Giebel der Almhütte. Dort saß eine kleine Schar und wärmte sich aneinander.
Die Nacht wurde kalt. Sie schliefen mit flatterndem Herzen und pochendem, pulsierendem Blut unter den Winddielen. Und sie schliefen in Spalten und Nestern, in Höhlen und unter Wurzeln. Der Welpe sank tiefer in den Kälteschlaf.
Das schneidend scharfe Lachen der Elster. Immer wieder ihr Geschwätz aus dem Wipfel einer Birke. Es gibt noch mehr Elstern in dem Wald rings um die Weide, und die sollen jetzt wissen, dass sie da ist, dass sie über diesen Baumwipfel herrscht und über alles, was sie von dort aus sieht. Keine antwortet, aber viele hören es. Und in der Tiefe unter den vom Gewicht des gefrorenen Schlackerschnees niedergedrückten Fichtenästen hört der Welpe die Elster. Zu guter Letzt wacht er tatsächlich auf. Das unverdrossen wiederholte Krächzgeschwätz holt ihn aus einem längst gefährlich tiefen Schlaf.