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Auf dem Weg ins Unbekannte
Die Argo ist ein gigantisches Raumschiff, das mit dem verbliebenen Rest der Menschheit an Bord unterwegs ins Herz der Galaxis ist, ständig auf der Flucht vor den künstlichen Intelligenzen, die alles biologische Leben vernichten wollen. Captain Killeen ist getrieben von der Vorstellung, dort, am Rande des Schwarzen Lochs im Herzen der Galaxie, das Überleben der Menschen sichern zu können. Doch je weiter die Argo ins Unbekannte vorstößt, desto gereizter wird die Stimmung an Bord. Eine Meuterei droht ...
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Seitenzahl: 556
GREGORY BENFORD
IM HERZEN DER GALAXIS
»CONTACT«-ZYKLUS
Fünfter Roman
Widmung
Prolog – Das wahre Zentrum
Teilchensturm
Erster Teil – Ferne Vergangenheit
1. Techno-Nomaden
2. Die Segelschlange
3. Die Herrschaft der Zahl
4. Fahle Weiten
5. Alte Gewürze
6. Das Lied der Elektronen
Gefrorener Stern
Zweiter Teil – Der Fresser aller Dinge
1. Die wilde Jagd
2. Der zerrissene Stern
3. Besik Bay
4. Schwächlinge wie ihr
5. Winzige Bewusstseine
6. Blitzleben
7. Ein Geschmack der Leere
8. Der Moment der Öffnung
9. Die Cyaner
Photovoren
Dritter Teil – Das Zeitloch
1. Tiefe Realität
2. Wabenheimat
3. Die ferne Schwärze
4. Ein Tag vor Gericht
5. Transhistorie
6. Der Reiz des Kommerz
7. Geistertiere
Phasenwesen
Vierter Teil – Der Schlund der Gravitation
1. Der Wind der Erzett
2. Im Griff der Zeit
3. Der Fels des Chaos
4. Unstete Bewegung
5. Greller Funke
6. Gehirnchirurgie
Bilder
Fünfter Teil – Böse Absichten
1. Der Schmerz der Ewigkeit
2. Rationales Gelächter
3. Todesopfer
4. Bergung
5. Das Meer aus Sand
6. Fresser des Sturms
7. Versiegende Ströme
8. Phantome
Toby sah, wie sein Vater über die Hülle des Schiffs ging. Killeen erschien als eine silbrige Gestalt. Sein Anzug war so eingestellt, dass er so viel Strahlung wie möglich reflektierte. Ein Spiegelmann. Bei jeder Bewegung spielte Licht über ihn, das durch die phosphoreszierenden Sterne und die galaktischen Gase funkelte. Toby nahm Killeens langsame Fortbewegung als eine wellenförmige Verzerrung des feurigen Hintergrunds wahr.
– Papa! – rief Toby über den Interkom des Hautanzugs.
– Was? Ach … – Trotz des statischen Rauschens des Interkoms hörte er die Überraschung in Killeens Stimme. – Was tust du denn hier draußen? –
– Die Besatzung fragt sich, was du so lange hier draußen tust. –
Als Käpt'n der »Argo« war Killeen natürlich niemandem Rechenschaft schuldig. Doch Toby hatte die zunehmende Unsicherheit der Offiziere gespürt. Jemand musste etwas sagen, etwas tun – also hatte er sich den hautengen Anzug übergestreift und war nach draußen gegangen. In letzter Zeit hatte Käpt'n Killeen sich von der Besatzung isoliert und war über die üppigen Rundungen der Schiffswandung gewandert, wobei er oft sogar den Interkom abschaltete.
– Ich navigiere und spähe –, sagte Killeen entrückt. Das verschwommene Bild des großen Mannes floss wie eine Lichtgestalt, während Killeen über den stumpfen Bug der »Argo« auf Toby zukam. Für einen Moment reflektierte sein Anzug die schwarzen Tiefen einer nahen molekularen Wolke, so dass er vor dem trüben organgefarbenen Glühen des sternengesprenkelten Gases wie ein unheimlicher Schatten-Mann auf Toby wirkte.
– Das kannst du doch auch von der Brücke aus tun –, sagte Toby.
– Hier draußen habe ich aber ein besseres Gefühl dafür –, sagte Killeen und trat so dicht an Toby heran, dass dieser durch den Sehschlitz des Anzugs das ernste Gesicht seines Vaters sah.
Toby wusste, in welcher Stimmung sein Vater sich mit diesem verkniffenen Gesichtsausdruck befand und beschloss deshalb, gleich zur Sache zu kommen. – Es haben sich schon wieder fast ein Dutzend Leute krankgemeldet. –
Killeen presste den Mund zu einem Strich zusammen, sagte aber nichts. Nach anfänglichem Zögern fasste Toby sich ein Herz und sagte: – Papa, wir verhungern! In den Gärten, die wir verloren haben, gedeiht nichts mehr. Du musst dich den Realitäten stellen! –
Mit choreographischer Präzision wirbelte Killeen in der Schwerelosigkeit mit den Magnetstiefeln über die Hülle und wandte sich Toby zu.
– Ich stelle mich den Realitäten! Wir haben keine Techtricks mehr auf Lager. Nicht einmal den Spezialisten, den Leuten mit dem grünen Daumen, gelingt es, die Schiffsgärten wieder fruchtbar zu machen. Sie sind uns auch keine Hilfe. Also denke ich nach, ist das klar? –
Bei Killeens Zornausbruch wich Toby unwillkürlich zurück. Er atmete durch und sagte zögernd: – Sollten wir nicht … können wir nicht … etwas anderes versuchen? –
– Was denn? – fragte Killeen unwirsch.
– Diese Objekte anfliegen? – sagte Toby und wies zaghaft in die entsprechende Richtung.
Weit vor der »Argo« schwebten matte metallische Kleckse aus Licht. Weder Wolken noch leuchtender Staub. Künstlich.
– Wir wissen nicht, was sie darstellen. Handelt sich vielleicht um Maschinen. Ist sogar wahrscheinlich. Die Mechanos haben viel in der Nähe des Wahren Zentrums gebaut. – Killeen zuckte die Achseln.
– Vielleicht sind es doch Menschen, Papa. –
– Das bezweifle ich. Es ist verdammt lang her, seit Menschen im Weltraum lebten. –
– Das sagen die Historiker. Wir werden es aber erst wissen, wenn wir uns selbst davon überzeugen. Wir haben eine Tradition als Pioniere, Papa! Die Sippe brennt darauf, das Schiff zu verlassen und sich einmal die Füße zu vertreten. –
Nachdenklich schaute Killeen auf das Lodern im Zentrum der Galaxis. – Als Käpt'n lernt man unter anderem, die Nase nicht in einen Bienenkorb zu stecken, nur um den Honig zu riechen. Es handelt sich wahrscheinlich um feindliche Objekte, auch wenn sie nicht mechano sind. Es scheint hier alles feindlich zu sein. –
Toby nahm diese Bemerkung ohne Kommentar zur Kenntnis. Es war schon über ein Jahr her, doch Killeen hatte den Tod seiner Frau Shibo noch immer nicht verwunden. Er kam zwar seinen Pflichten als Käpt'n nach, war jedoch oft abweisend und schlecht gelaunt. Bei einem Mannschaftsdienstgrad wäre das noch verzeihlich gewesen, nicht aber bei einem Käpt'n. Die Moral litt stark darunter.
Dennoch sagte Toby sich, dass Killeen wahrscheinlich recht hatte. Sie nahmen Kurs auf das Zentrum der Galaxis, wo gewaltige Energien wirkten. Riesige, lodernde Sonnen. Leuchtende Staub- und Gaswolken. Kräfte, die bei weitem alles übertrafen, was Menschen zu bändigen vermochten. Und irgendwo gab es hier Intelligenzen, die den wilden Reigen der Sterne beherrschten.
Seine Geschichtskenntnisse waren immerhin so fundiert, dass er wusste, die Menschen hatten sich in der Nähe eines Sterns entwickelt, der sich auf zwei Dritteln der Strecke zwischen Zentrum und Rand der galaktischen Spirale befand. Die Galaxis war eine rotierende Scheibe – wie ein Kreisel –, nur dass ihre Größe das menschliche Vorstellungsvermögen bei weitem überstieg. Dort draußen auf der Alten Erde, weit entfernt von den Kataklysmen des Wahren Zentrums, war das Leben angenehm und beschaulich gewesen.
In der Ausbildung sollte er sich einmal einen Würfel mit einer Kantenlänge von einem Lichtjahr vorstellen, die Entfernung, die das Licht in einem Jahr zurücklegt. Dort draußen, in der Nähe der legendären Erde, würde dieser Würfel im Durchschnitt nur einen Stern enthalten.
Hier, im galaktischen Zentrum, enthielt ein solcher Würfel eine Million Sterne.
Sonnen drängten sich wie glühende Murmeln am Himmel und wurden von Luftschlangen aus rotem Gas drapiert. Sterne schwärmten wie emsige Bienen um die Zentralachse – den in weißblauem Licht erstrahlenden exakten Mittelpunkt.
– Wir könnten doch an einem von ihnen längsseits gehen und nachschauen –, sagte Toby leise.
Killeen schüttelte den Kopf. – Damit geraten wir vielleicht vom Regen in die Traufe. –
– Wir verhungern, Papa. Wir müssen etwas unternehmen. –
Verärgert wandte Killeen sich ab und ging über die verschrammte Hülle. Die Magnetstiefel klackten bei jedem Schritt und regten die Hülle zu Schwingungen an, die sich auf Tobys Stiefel übertrugen. Er folgte seinem Vater und hüpfte dabei wie ein Känguru über die Schiffswandung, wobei der Stiefel gerade so lange an der Hülle haftete, bis er genug Drehmoment für den nächsten Hüpfer hatte. Dann riss er den Stiefel los, stieß sich ab und ging wieder in den Gleitflug. Toby beherrschte die Technik zwar recht gut, vermochte jedoch nicht mit seinem Vater Schritt zu halten.
Die »Argo« hatte sie mit hoher Unterlichtgeschwindigkeit hierhergebracht und dabei Plasma in rauen Mengen durch die Ansaugstutzen gezogen. Je näher sie dem Zentrum kamen, desto reichlicher wurden die Brennstoffvorräte. Die Hülle des Schiffs war unterwegs von vereinzelten Meteoriten eingedellt worden. Nun hatten sie die Geschwindigkeit gedrosselt, und Killeen nutzte die Gelegenheit zu einem halbwegs sicheren Spaziergang über die Hülle. Die »Argo« war nun Teil des Materiereigens, der mit einem Tausendstel der Lichtgeschwindigkeit um das Wahre Zentrum wirbelte.
Killeen erreichte einen Buckel in der komplexen Hülle der »Argo« und blieb stehen; als ob er auf dem Grat eines Bergs auf dem Heimatplaneten stünde. Dieses Schiff, groß wie ein Berg, war die letzte große Konstruktion ihrer Vorfahren. Hinter ihm dräute eine riesige Dunkelwolke wie ein Tintenklecks vor den lodernden Sternen.
Killeen drehte sich zu seinem Sohn um. Beim Näherkommen sah Toby, dass Killeen einen Ausdruck der Sehnsucht auf dem Gesicht hatte.
– Wenn es hier nur Planeten gäbe … –
– Gibt's nicht, habe ich mir sagen lassen –, sagte Toby nüchtern, um seinen Vater wieder mit der Realität zu konfrontieren.
– Wieso nicht? – fragte Killeen barsch.
– Sieh dir doch diese Sterne an! Sie fliegen so dicht aneinander vorbei, dass sie die Planeten vom Zentralgestirn wegreißen würden. –
– Gut, dann würden die Planeten eben frei driften. Na und? – sagte Killeen stur.
– Genau, frei. Und gefroren. Zu weit von einer Sonne entfernt. Kein Pflanzenleben. Keine Nahrung. –
Killeen spähte sehnsüchtig in die Ferne. – Dann gibt es an diesem großartigen Ort keinen Platz zum Leben? –
– Jasag. Jedenfalls keinen für uns –, erwiderte Toby in schonungsloser Offenheit, um seinem Vater die Illusionen zu rauben und ihn im Idealfall zu veranlassen, diesen irren Flug ins Wahre Zentrum noch einmal zu überdenken.
Killeen sah ihn ernüchtert, fast traurig an. – Wir müssen weiter. –
– Wieso denn? Die Strahlungswerte sind doch jetzt schon so hoch, dass die »Argo« sie kaum noch abzuschirmen vermag. Allein dadurch, dass du nach draußen gegangen bist, setzt du dich einer hohen Strahlenbelastung aus. –
– Ich sage dir, es ist unsere Pflicht. –
– Papa, in erster Linie bist du der »Argo« und der Besatzung verpflichtet. –
– Da ist etwas in der Nähe des galaktischen Zentrums. Wir müssen herausfinden, was es ist. –
Toby schnaufte frustriert. Killeens Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, doch Toby sagte sich, dass er für die Mehrheit der Besatzung sprach. Das war nämlich seine Pflicht. – Moldys alte Aufzeichnungen enthalten wohl einen Hinweis – Hinweis! – auf irgendetwas –, sagte er bitter. – Das ist alles. Und dafür sollen wir nun … –
Er verstummte, als Killeen ihm den Rücken zukehrte. Der Käpt'n der »Argo« ließ plötzlich den Kopf hängen, bewahrte sonst aber Haltung. Toby sah, dass sein Vater mit sich kämpfte und mit dunklen Dämonen rang, deren Wesen sein Sohn nie ganz verstehen würde.
Toby nahm sie nur flüchtig wahr – durch die Phrasen während der Unterhaltungen, durch vage Gesten, durch die Körpersprache aus Achselzucken, düsterem Gesichtsausdruck und starren Blicken, die streiflichtartig ungefilterte Emotionen enthüllten. Der Käpt'n war nicht in der Lage, sich jemandem zu öffnen, nicht einmal seinem Sohn. Vielleicht nicht einmal Shibo … als sie noch gelebt hatte.
Eine schwere Bürde lastete auf Killeen. Der Verlust von Shibo. Killeens schwieriges Verhältnis zu seinem Sohn. Der näherrückende Mahlstrom des Wahren Zentrums. Toby wusste, dass all das seinen Vater stark belastete. Ein ungesundes Gebräu.
Killeen schaute auf die blauschwarze Masse, die wie eine unüberwindliche Mauer neben der »Argo« aufragte. Es handelte sich um eine tintenschwarze Wolke aus Staub und einfachen Molekülen, sagten die Instrumente des Schiffs. Doch hegte Killeen ein chronisches Misstrauen gegen die nüchternen Diagnosen, die von der Brücke der »Argo« erarbeitet wurden. Irgendwann hatte er sich dann aus der Umklammerung des Schiffs gelöst und die Angewohnheit entwickelt, sich auf der Hülle als Fernspäher zu betätigen. Zumindest sagte er das. Toby vermutete jedoch, dass er hin und wieder eine ›Luftveränderung‹ brauchte. Wie der Vater, so der Sohn.
Das gleißend helle galaktische Zentrum war mit Wolken wie dieser durchsetzt, Rauchzeichen im stellaren Feuer. Killeen hatte den Kurs der »Argo« bewusst so festgelegt, um diese Wolke als Schild gegen die tödliche Strahlung zu nutzen. Während die »Argo« an schemenhaften Wolkenfingern vorbeiglitt, sah Toby, wie das Gesicht seines Vaters sich zu einem Grinsen verzog – und er plötzlich vor Erstaunen förmlich eine Maulsperre bekam.
– Dort! – Killeen wies in die entsprechende Richtung. – Eine Bewegung. –
Toby drückte auf einen Knopf an der Halskrause. Der Helmcomputer vergrößerte das Gesichtsfeld und wechselte in den infraroten Bereich. Die Wolke explodierte förmlich vor ihm.
Etwas schlängelte sich am Rand des gesprenkelten Nebels dahin.
– Geh auf maximale Vergrößerung –, sagte Killeen knapp und geschäftsmäßig. Er hatte sich wieder gefangen.
Toby schaltete auf maximale Vergrößerung. REICHWEITE 23 KM, meldete das Helmvisier.
Das schlangenartige Ding krümmte sich im Zeitlupentempo. Die jadegrün schimmernde Haut reflektierte das Glühen der Sterne. Langsam entfaltete es hauchzarte Hautlappen über die ganze Länge des Körpers.
– Es lebt! – rief Toby.
Die grüne Schlange war mit Segeln bestückt. Mit organischen Segeln, die an Rahen aus Fasern aus dem Körper wuchsen. Die Segel fingen bernsteinfarbenes Sternenlicht ein. Toby wusste, dass in der Schwerelosigkeit schon der schwache Lichtdruck genügte, um für Vortrieb zu sorgen. Ungehindert nahm die krumme Kreatur Fahrt auf.
– Schau –, flüsterte Killeen. – In der Wolke steckt noch mehr. –
Das schlangenartige Geschöpf hatte keinen Kopf, nur einen langen schwarzen Schacht an einem Ende. Toby sagte sich, dass das ein Maul sein musste, denn das geschlitzte Ende zeigte in Flugrichtung. Die Kreatur verfolgte mit geblähten Segeln eine blaue Kugel.
Schweigend beobachteten sie, wie die Schlange aufholte – und das Schachtmaul aufsperrte. Etwas Orangefarbenes schoss heraus und fing die blaue Kugel ein. Dann schnellte die ›Zunge‹ wieder ins klaffende Maul zurück. Mit zwei Schlucken verschwand die Kugel.
– Jäger –, sagte Killeen. – Und Gejagte. –
– Jäger? – sagte Toby verwundert. – Wie ist es möglich, dass etwas in einer Wolke lebt? Im freien Raum? –
Ein Grinsen erschien auf Killeens vom Sternenlicht getönten Gesicht. – Im freien Raum? Gar nichts ist frei, mein Sohn. Molekulare Wolken bestehen aus organischen Molekülen, nicht wahr? Das sagen jedenfalls die Astrotypen. –
– Jasag, ich kenne diese Namen. – Toby hörte wieder die Stimme seines Lehrers Aspekt, Isaac, bei dem er einen anspruchsvollen Unterricht genossen hatte. – Sauerstoff. Kohlenstoff. Stickstoff. –
Killeen machte eine ausladende Geste. – Dann füge man noch das Sternenlicht hinzu und lasse das Ganze für ein paar Milliarden Jahre köcheln. Voilà! –
Toby blinzelte. – Das Leben versteckt sich in dieser Wolke? –
– Ich wette, am Rand der Wolke gibt es gute Jagdgründe. Manche Wesen haben sich wahrscheinlich ins Innere der Wolke zurückgezogen, wo sie geschützt sind. Hin und wieder kommen sie heraus, um im Sternenlicht zu baden und sich aufzuwärmen. –
Toby nickte. Das hatte ihn überzeugt. – Dieses Schlangenvieh weiß das und geht auf Beutezug. –
– Die Segelschlange frisst die blauen Kugeln. Aber was fressen die blauen Kugeln? –
– Etwas Kleineres. Etwas, das wir von hier aus nicht sehen. –
– Richtig. – Killeen kniff die Augen zusammen. – Es muss noch Kroppzeug geben, das sich nur von Sternenlicht und Molekülen ernährt. –
– Pflanzen? – sagte Toby. – Weltraumpflanzen. Ich wette, ein paar von ihnen sind essbar. –
Killeen klopfte seinem Sohn auf den Rücken. – Sollte mich wundern, wenn es nicht so wäre. Wir wissen, dass diese Wolken die gleiche chemische Grundstruktur haben, wie sie überall in der Natur vorkommt. Die wissenschaftlichen Programme der »Argo« haben uns das gesagt, weißt du noch? Also wird von dem Zeug, das sich dort drin verbirgt, mit Sicherheit etwas genießbar sein. –
Toby blinzelte und sah, dass die Jadeschlange noch mehr Segel setzte. War sie so grün wie eine Pflanze, um auch Sonnenlicht in allen Farben außer Grün aufzusaugen? Nun wendete die Kreatur im Zeitlupentempo, wobei sie schwarze Schlangenlinien zeigte. Hatte sie das Schiff etwa gesehen? Vielleicht sollten sie das Vieh erlegen und es kosten. Sein Magen knurrte bei dieser Vorstellung.
Jedoch hatte das Geschöpf mit der glitzernden Haut und den geschmeidigen Bewegungen auch etwas Majestätisches an sich. Wie ein Schwimmer in einem schwarzen Pool. Vielleicht würden sie es leben lassen.
– Von der Brücke aus hätten wir sie nie gesehen. Die Instrumente hätten herausgefiltert, was sie für unwichtig hielten. – Killeen unterdrückte das Staunen und gab sich sachlich und nüchtern. Das war der Preis, den man als Käpt'n zahlen musste.
Toby indes war von der Segelschlange fasziniert und starrte sie mit offenem Mund an. Er wusste, dass sein Vater recht hatte. Wenn sie sich im Schiff aufgehalten hätten, wäre ihnen dieser Anblick entgangen. Doch Killeen war immer wieder nach draußen gegangen und hatte über den Problemen eines Käpt'ns gebrütet. Er war über die Hülle gestiefelt, ohne zu wissen, wonach er eigentlich suchte. Ein paar Besatzungsmitglieder hatten schon an seinem Verstand gezweifelt.
Toby hörte, wie Killeen die Brücke rief und befahl, dass die »Argo« Kurs auf die Wolke nahm. Es dauerte eine Weile, bis die Besatzung sich der veränderten Lage überhaupt bewusst wurde. Er hörte über den Interkom, wie das Schiff von aufgeregten Stimmen widerhallte, in denen Hoffnung und Freude mitschwang.
– Papa? – fragte er schließlich.
Killeen erteilte eine Reihe von Anordnungen. Die Besatzung musste sich darauf vorbereiten, zu jagen, zu räubern und seltsame Spiele in den tintigen Tiefen des Vakuums zu spielen. Sie würden Dinge tun müssen, die sie nie zuvor getan hatten. Sich nicht einmal vorgestellt hatten.
– Jasag? – fragte Killeen nach einer kurzen Pause.
– Wir können uns für eine Weile in der Wolke aufhalten. Ausruhen. Die Position bestimmen. –
Killeen schüttelte heftig den Kopf. – Neinsag. Vorräte aufnehmen, mehr nicht. Dort ist das Wahre Zentrum. Seht hin! Wir sind schon so nah. –
Toby schaute nach vorn, durch Zusammenballungen von Staub, die über die Hülle der »Argo« strichen, während das große Schiff in die Ausläufer der gigantischen Wolke vorstieß. Bei maximaler Vergrößerung erkannte er den exakten Mittelpunkt der Galaxis. Weißglühend. Schön. Gefährlich.
Nun wurde ihm auch bewusst, dass sein Vater sich nie von diesem Ziel würde abbringen lassen. Nicht durch Hunger. Nicht durch tödliche Risiken. Nicht durch Kummer.
Sie würden direkt ins Zentrum dieses kaleidoskopartigen, wirbelnden Chaos hineinfliegen. Auf einer unglaublichen Reise. Auf der Suche nach etwas, von dem sie keine klare Vorstellung hatten.
Killeen grinste breit. – Komm, Sohn, das ist unsere Bestimmung. Wir gehen weiter. Immer weiter. Irgendwo hier draußen liegt die Vergangenheit unserer Sippe. Wir werden herausfinden, was geschehen ist und wer wir sind … –
– Die Besatzung wird das aber gar nicht gern hören, Papa. –
Er runzelte die Stirn. – Wieso nicht? –
– Dies ist ein unheimlicher Ort. –
– Ach ja? Sie haben seine Schönheit nicht gesehen, haben es nicht in letzter Konsequenz durchdacht. Wenn die Zeit kommt, werden sie mir schon folgen. –
– Wir riskieren unser Leben, Papa. –
– Wirklich? – Killeens Grinsen war eine unbeschwerte menschliche Geste vor der überwältigenden Kulisse aus galaktischem Licht. – Das haben wir doch immer schon getan. –
Der Panzer gleitet mit der Gewandtheit einer jagenden Hornisse dahin.
Der Kehlkopf besteht aus schlagfester Steinkeramik. Elfenbeinfarbene Gitter imitieren Rippen. Speicherballons blähen sich wie Lungen, während es Plasma austauscht. Langsam hebt und senkt der Atmungstrakt sich.
Es ist eine Illusion. Sein Körper ist ein Relikt uralter, schwereloser Konstruktionen, die nichts mehr von Planeten wissen. Evolution verläuft unabhängig vom Substrat, sei es organisch, metallisch oder plasmisch. Das Design folgt kühlem konstruktivem Kalkül, das inzwischen zur Gewohnheit geworden ist. Die Funktion folgt der Form. Kommunizierende Röhren, fleischliche Metaphern des Maschinenbaus.
Der riesige, zerklüftete Leib ist mit grauen Auswüchsen besetzt. Konkave Formen in der Farbe angelaufenen Silbers. Linien laufen zusammen, bilden Knotenpunkte schiefer Achsen. Diese Geometrie wäre unmöglich unter dem Diktat der Schwerkraft.
Es verwindet sich. Gravitätisch und gemächlich. Bewegung ist ein verzichtbarer Luxus, wenn das, was sich eigentlich bewegt, Daten sind.
Sein kinästhetischer Sinn ist kaum ausgeprägt. Stattdessen lebt es in codierten inneren Universen. Netzwerke, Logik, Filter. Wahrnehmungen sind rasende Muster zwischen Werden und Vergehen von Sternen und Leben.
Daten fließen durch diese Räume. Digitale Ströme verzweigen sich und suchen nach Rezeptoren. Stockend und zonencodiert, endlos wie der Regen der Protonen.
Unaufhörlich branden die Datenströme gegen milchige Titanschalen. Doch es spürt nicht die Teilchenflut, die vergebens gegen massive Schilde prallt: Schichten von gehärtetem, rotierendem Cismetall.
Masse ist brutal. Im Innern der kristallinen Bollwerke gibt es nichts, das wie eine Maschine aussähe. Weder erkennbare Bewegung noch mechanische Kraftübertragung. Dies ist ein Ort der Statik, der Ewigkeit, ein Drehpunkt starrer Kräfte.
Gedanken sind grenzenlos. Das innere Bewusstsein flitzt durch winzige Noppen aus dunklem Diamant, gefertigt aus den Kernen uralter Supernovas. Codes in Form zerstäubter Atomkerne breiten sich rasend schnell aus und tanzen bis in alle Ewigkeit im Takt der Felder. Elektronen sind die Überbringer brillanter Ideen.
Aus der Ferne kommt spektrales Lametta eines Roten Riesen, der an der Schwelle zur Supernova steht. Plasma wirft stroboskopartiges rubinrotes Licht auf die langsam rotierenden Ebenen. Die zuckenden Lichtblitze erhellen die abgeschliffenen Ränder von Kratern. Sie künden von längst vergessenen Einschlägen. Narben und Schrammen überziehen die massiven Schäfte. Sie erzählen seltsame Geschichten, unlesbar nun.
Der Tod krönt das Rückgrat: quittengelbe Antennen. Sie durchdringen das galaktische Rauschen und schießen elektromagnetische Nadeln in Lichtminuten entfernte Beute.
Im Moment hält es Zwiesprache. Die inneren Selbsts haben den Primat der Selbsterhaltung zurückgestellt. Ihre Aufgabe besteht nun darin, weit in die Zukunft zu denken. Im Reigen der Daten.
Die Anthologie-Intelligenz spricht zu anderen, die weiträumig über die galaktische Ebene verteilt sind – obwohl die Trennung in (selbst, hier) und (andere, dort) eine Konvention ist, eine unerhörte Vereinfachung für dieses langsam rotierende Konstrukt.
Etwas wie eine Auseinandersetzung verdichtet sich. Gleitende Perspektiven mit digitalen Nuancen. Binäre Gegensätze sind hier illusorisch – du/ich, pro/kontra –, doch bestimmen sie die Kommunikation in dem Maß, wie ein Rahmen ein Bild definiert.
Es beginnt. Sprache überbrückt die stürmischen Massen, das wendische Wetter. Schneidet ein. Dringt ein.
Mit Halbintelligenzen sollten
wir uns gar nicht erst abgeben.
Müssen wir aber. Sie sind
ein Störfaktor.
Ihr bezeichnet sie als
›Primaten‹?
Sie gehören zur Klasse
träumender Wirbeltiere.
Ich/Du betrachte/st sie als
irrelevant.
Aber die zugrunde liegende
Problematik ist immer noch akut.
Sie sind gar nichts! Abfall,
Schmutz.
Sie kommen näher. Bald
werden sie das Zentrum
erreicht haben.
Wir/Ihr haben/habt die
Menschen fast ausgelöscht.
Nur versprengte Horden haben
überlebt. Unsere Pläne,
die historisch überliefert sind,
verlangen eine Endlösung
dieser uralten Aufgabe.
Diese Politik ist e›/~*~\‹ alt.
Wir/Ihr sollten/solltet sie
einer Revision unterziehen.
Sie sind fast ausgerottet.
Geben wir ihnen den Rest
Ihre Ausrottung ist jedoch
schwer zu bewerkstelligen.
Sie wehren sich. Deshalb
sollten/solltet wir/ihr
unsere/meine Annahme noch
einmal überprüfen.
Sie sind Ungeziefer. Evolution
auf Kohlenstoffbasis bringt
nur Kroppzeug hervor. Sie
kommunizieren noch immer
linear!
Manch einer würde sagen,
dass sie und ihr/wir relativ auf
der gleichen evolutionären
Stufe steht/stehen.
Blödsinn. Wir/Ihr
gestalten/gestaltet unsere
Veränderungen selbst. Sie sind
dazu nicht in der Lage. Das ist
der entscheidende Nachteil
chemischen Lebens.
Sie waren einmal imstande,
ihre Signatur zu ändern.
Änderungen im Kohlenstoff-
Code vorzunehmen.
Diese Fähigkeit haben sie
verloren, als wir/ihr sie
dezimierten/dezimiertet. Nun
sind sie so dumm wie Tiere –
geformt von zufälligen Kräften.
Einst spielten sie hier eine
wichtige Rolle. Wir/Ihr sollten/
solltet die Bedrohung, die sie
für uns darstellen, begreifen,
bevor wir sie auslöschen.
Möglicherweise verfügen sie
über Informationen, die
uns/euch schaden – das geht
aus unseren stabilsten
Aufzeichnungen hervor.
Sie sind gegen den
Strahlensturm des Masse-
Fressers abgeschirmt
und sollten bleiben, wo
sie sind.
Naturgemäß wissen wir/ihr
nicht, was diese versteckten
Informationen besagen.
Wieso ›naturgemäß‹?
Da gibt es viele Theorien.
Genau. Ist es nicht komisch,
dass etwas in unserer/eurer
Struktur verhindert, dass wir/ihr
erfahren/erfahrt, welche
Informationen diese Menschen
tragen? Dass dieses Wissen
uns verborgen bleibt? Ein
seltsamer Aspekt unserer
profunden Programmierung.
Vielleicht tragen. Diese
alten Aufzeichnungen sind
mit Vorsicht zu genießen.
Wir/Ihr dürfen/dürft nicht ris-
kieren, sie in Frage zu stellen.
Vor langer Zeit hat der
Philosoph [/~] solche Fragen
beantwortet Wir/Ihr sind/seid
in unserem Erkenntnisraum
gefangen. Es wird immer
Dinge geben, von denen
ihr/wir nichts wisst/wissen.
Und wenn diese Dinge uns
betreffen? Beunruhigend.
Mit Ungewissheiten zu leben,
liegt in der Natur der
gehobenen Intelligenz. Und
um diese Unsicherheit zu
verringern, sollten/solltet
wir/ihr die restlichen
Horden exterminieren.
Und ihre Informationen
verlieren?
Na gut – archivieren wir sie
vorher. Ich weise nochmals
auf die Eindringlinge hin –
sie nähern sich bereits
dem Wahren Zentrum.
Ihre Vernichtung ist vielleicht
mit Risiken behaftet.
Unsinn. Ihr/wir habt/haben
schon viele solcher
Expeditionen vernichtet.
Dann schicken wir zuerst
Späher aus, die ihre genaue
Position bestimmen. Die
Primatenjäger-Einheiten
werden sie aufspüren und
vielleicht etwas beschädigen –
schließlich muss man solch
niederen Formen eine
Belohnungs-Struktur geben.
Ihr/wir plädiert/plädieren
für eine Verzögerung?
Nein. Wir sollten Vorsicht
walten lassen. Bedenkt, dass
höhere Formen als wir über
unsere/eure Handlungen
richten werden. Kluges
Handeln verlangt Sorgfalt.
Frühere Ereignisse auf zwei
Planeten, in die diese Primaten
verwickelt waren, haben
Indizien geliefert, dass sie eine
wichtige, wenn auch unscharf
ERSTER TEIL
*
Toby hatte gerade wieder die Luftschleuse betreten und entledigte sich des Anzugs, als Cermo auftauchte. Toby trug nur eine kurze Hose unter dem Anzug, und im Schiff kam es ihm kälter vor als draußen. Bibbernd kramte er im Spind nach dem Overall. »Wo bist du gewesen?«, fragte Cermo.
»Wonach sieht's denn aus?«
Der große Mann überragte Toby. Cermo war in früheren Jahren als Cermo der Langsame bezeichnet worden, doch nun war er schlanker und flinker. Ein breites, von Vorfreude kündendes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Hab von dem ganzen Buhei gehört. Der Käpt'n hat uns was zum Essen besorgt, nicht?«
»Schau'n wir mal.«
»Dadurch ändert sich trotzdem nichts für dich«, sagte Cermo mit einem glucksenden Lachen. Der Mann hatte ein fröhliches Gesicht und sanfte Augen, so dass Toby das Lachen nicht als boshaft empfand.
»Was soll das heißen?«
»Du bist heute für Wartungsarbeiten eingeteilt.«
»Ach ja? Dann werde ich wohl wie gehabt die Biotanks kontrollieren.«
»Heute läuft's aber nicht wie gehabt.« Wieder dieses verschmitzte Grinsen.
»Stimmt etwas nicht?«
»Die Abwasserdichtungen sind defekt.«
»Schon wieder? Das gibt's doch nicht! Sie hatten doch schon den Geist aufgegeben, als ich das letzte Mal in der INST war.«
»Dann bist du der Experte.« Cermo reichte Toby einen Mop. »Wende dein Wissen an.«
Die Dichtungen platzten ständig, weil die Druckregler nicht richtig eingestellt waren. Die Biotanks wurden mit Fäkalien beschickt, die verdichtet und gefiltert wurden. Das Endprodukt wurde dann zu Matten gepresst, die von den Agrar-Teams in den großen schalenförmigen Anbauzonen ausgelegt wurden. Die »Argo« war ein hermetisch abgedichtetes Fernraumschiff, aus dem kein Tropfen Wasser und kein Lufthauch entweichen sollte.
Leicht gesagt. Die meisten Besatzungsmitglieder der »Argo« waren miteinander verwandt – das, was von der Sippe Bishop noch übrig war. Sie stammten von Snowglade, einer öden Welt, die Toby dennoch in ziemlich guter Erinnerung hatte. Toby gehörte der jüngsten Generation der Sippe Bishop an. Dadurch erfreute er sich zwar jugendlichen Elans, doch die Kehrseite war die, dass er nicht für eine leitende Position an Bord der »Argo« qualifiziert war.
Alle Sippen waren Techno-Nomaden gewesen, die sich gerade so viel Wissen angeeignet hatten, um zu überleben, wenn sie auf Wanderschaft waren. Sie waren ständig in Bewegung und schlugen Haken, um die Mechanos abzuhängen. Nicht dass die Mechanos ihnen große Beachtung geschenkt hätten. Menschen im galaktischen Zentrum glichen eher Ratten in ihren Löchern und spielten keine herausragende Rolle.
Die »Argo« bot ihren Passagieren ein Höchstmaß an Komfort. Das Schiff war ein Artefakt aus der Ära der Hohen Bogenbauten. Das Problem war nur, dass die Systeme bei den Passagieren einen Kenntnisstand voraussetzten, über den die Sippe Bishop nicht annähernd verfügte.
Zum Beispiel die Kläranlage: Weder Käpt'n Killeen noch Cermo oder sonst jemand wurde aus der Bedienungsanleitung für das Drucksystem schlau.
Die theoretischen Grundlagen des Handbuchs beruhten auf etwas, das als Allgemeines Gasgesetz bezeichnet wurde. Das faulige Zeug, das stattdessen durch die Röhren strömte, war alles andere als ein ideales Gas und gehorchte auch keinem der üblichen Gesetze. Es trat unversehens aus und kam oft so ungelegen, dass man den Vorgang schon als Affront werten musste. In der Woche zuvor wurde die Sippe von einer übelriechenden braunen Wolke eingenebelt, als sie sich gerade zu einer Hochzeit versammelte. Das verlieh der Feier eine ganz besondere Note.
Toby schloss sich den anderen armen Tröpfen an, welche diese Woche Dienst in der INST schieben mussten. Er atmete durch den Mund, doch das half auch nur solange, bis der Geruch ihm in den Kopf stieg. Er hörte wieder die Stimme seines Lehrers Aspekt, Isaac, während er sich bückte und die stinkende Brühe mit einem Schwammtuch aufwischte.
Ich habe die ältesten Unterlagen befragt, die ihr in der Chipbibliothek habt. Interessanterweise leitet der Begriff, den ihr verwendet, sich vom Namen des Manns auf der Alten Erde ab, der die Toilettenspülung erfunden hat. Der Engländer, so sagt die Legende, hat ein Vermögen gemacht und die ganze Menschheit beglückt. Sein Name, Thomas Crapper, ist zu einem …
»He, halt mal die Luft an.«
Ich sagte mir, dass die Arbeit dir mit etwas Ablenkung vielleicht besser von der Hand geht.
»Wenn ich Ablenkung will, lege ich eine CD mit der Musik von Mose auf.«
Der Name stimmt leider nicht. Es müsste Wolfgang Ama …
Toby verstaute den quasselnden Aspekt wieder im mentalen Speicher. Aspekte waren gespeicherte Personalitäten aus der Vergangenheit der Sippe Bishop, von denen manche – wie Isaac – ziemlich alt waren. Eigentlich handelte es sich dabei um interaktive Informationsbasen auf Chips, die in Tobys Halsschlitzen steckten. Isaac war natürlich nur das Fragment einer realen, seit langem toten menschlichen Persönlichkeit und bestand überwiegend aus »mundgerechten« Datenhäppchen. Isaac hatte immer wieder versucht, Toby das Allgemeine Gasgesetz zu erklären, doch dieser hatte es nie richtig verstanden.
Die Informationen über Thomas Crapper besaßen zwar keinen Nutzwert für Toby, doch zumindest entlockten sie ihm ein Lächeln. Insofern waren sie doch für etwas gut. Die Sippe bediente sich der Aspekte, um Probleme zu lösen und auf das Wissen zuzugreifen, das sie fürs Überleben in einer ansonsten unbegreiflichen HighTech-Umgebung benötigten.
»He, bist du etwa ein Schlafwandler?«
Toby schreckte auf. Die attraktive Besen stand neben ihm. Sie hatte ihren Teil der Arbeit schon erledigt. Toby musste noch den halben Gang wischen. »Äh … ich war ganz in Gedanken versunken.«
Besen rollte die Augen. »Na klar.«
Er wies mit dem Mop auf die braunen Flecken auf dem Boden. »Ich wette, du weißt nicht, wonach dieses Zeug benannt ist.«
Besen schaute skeptisch, als er sie aufklärte. »Ehrenwort«, sagte er.
Besen grinste ihn an. Ihre Schönheit betörte ihn. Obwohl sie das kastanienbraune Haar zu einem Knoten gebunden hatte und einen schmutzigen Overall trug, hatte sie noch immer eine faszinierende Ausstrahlung. Mädchen erblühten nur einmal, bevor sie zur Frau wurden – doch das genügte schon. Besen wirkte frisch, lebendig und lebenslustig.
»Ich habe mich nur an ein paar Stücke erinnert, die wir uns anhören mussten«, sagte er. »Sie treffen hier zu.«
»Wirklich?«, fragte sie skeptisch.
»Du erinnerst dich sicher: ›Gute Nacht, Gute Nacht! Hab Sonne im Herzen und Zwiebeln im Bauch.‹ Das ist wirklich romantisch.«
»›Sonne im Herzen‹ stimmt schon, aber wie kommst du auf ›Zwiebeln im Bauch‹? Du bist mir ein schöner Romantiker!«
Eines ihrer privaten Spiele stammte von einem uralten Chip, den Besen trug. Auf ihm waren Texte von der Alten Erde gespeichert, unter anderem von einem alten Opa namens Schüttelspeer. Ein großer Dichter einer primitiven Jäger-und-Sammler-Gesellschaft, sagte Besen sich. Dieser Schüttelspeer war eines der Relikte, welche die Menschen über den Großen Golf, der sie von den Kulturen der Alten Erde trennte, hinübergerettet hatten. Besen zitierte oft Fragmente aus diesem Kram, nur um sich wichtig zu machen.
»Immerhin war es beinahe richtig.« Er grinste. »Warte, bis ich hier fertig bin. Dann vergnügen wir uns in der Null-G-Sporthalle.«
Toby hielt sich gern in den Null-G-Zonen der »Argo« auf. Die meisten Sektionen des Schiffs rotierten und erzeugten dadurch eine künstliche, zentrifugale »Schwerkraft«. In der Null-G-Sporthalle konnte man sich von Trampolinwänden abstoßen und mit Karacho in schimmernde Sphären aus Wasser eintauchen.
Besen schüttelte den Kopf. »Genau dafür brauche ich dich. Es ist schon wieder eine Dichtung geplatzt.«
»O nein!«
»O doch. Und wir sind als Reinigungskräfte auserkoren worden.«
»Wo?« Er hoffte, dass es nicht in einer schwerelosen Zone war. Was einerseits großes Vergnügen bereitete, erschwerte andererseits das Putzen ungemein. Der Siff pappte nämlich an jeder nur denkbaren und auch an ein paar undenkbaren Oberflächen.
»Auf der Brücke. Spute dich!«
Als sie die weitläufige, schummrige Brücke betraten, hätte Toby angesichts des Lecks fast eine Krise gekriegt. Zäher Schmodder lief an einer Wand herab – zum Glück befanden sich dort weder Elektronik noch Monitore. Es stank bestialisch. Er wusste sogar, wie die Offiziere mit Vornamen hießen. Natürlich waren sie ihm geläufig; immerhin gehörten sie zur Sippe, doch sie ignorierten ihn geflissentlich. Sie standen mit gerunzelter Stirn da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und widmeten sich Aufgaben, die ihrem würdevollen Status als Offiziere angemessen waren.
Die Brücke war ein geheiligter Bezirk der »Argo«, wo – oftmals in Sekundenbruchteilen – Entscheidungen über die Zukunft der Sippe Bishop getroffen wurden. Dabei von übelriechendem Abfall gestört zu werden, betrachteten die Offiziere als einen Affront durch den hämischen Gott des Unrats.
Bilder flimmerten über die Monitore der Brücke. Auf den Bildschirmen erschienen Textblöcke mit Informationen und Prognosen sowie Vierfarben-Projektionen, die von den emsigen Computern der »Argo« erstellt wurden. Bei diesem Grad der Automatisierung wurde die Sippe Bishop auf ihr wahres Format zurechtgestutzt – ein Nomadenstamm, kaum des Lesens und Schreibens mächtig, der das Glück gehabt hatte, in ein komfortables Schiff verfrachtet zu werden.
Dennoch war ihr Aufenthalt nicht spurlos an der »Argo« vorübergegangen. Der Teppichboden hatte einen großen gelben Fleck und war verschlissen. Hier hatte jemand ein Loch in die Wand gebohrt, und dort drüben hatte ein hilfreicher Reparaturtrupp die Wand aufgestemmt und die Lücke nicht wieder geschlossen. Servogeräte und elektronische Bauteile waren wahllos auf den Konsolen verstreut. Als Nomaden waren sie immer auf dem Sprung – bereit, die Zelte abzubrechen und weiterzuziehen. Ordnungssinn wurde von solcher Mentalität nicht eben befördert.
Während Toby und Besen saubermachten, versuchten sie, ein paar Brocken von den Gesprächen auf der Brücke aufzuschnappen. Das Schiff stieß in die molekulare Wolke vor. Ein Brummen ertönte, ein Bass, der durch die Reibung des Staubs der Wolke mit den ballonartigen Lebenszonen des Schiffs verursacht wurde. Es war, als ob das interstellare Gas auf der »Argo« wie auf einem Instrument spielte und ihr traurige Töne entlockte.
»Unheimlich, nicht?«, fragte Besen.
»Wie Trauermusik«, flüsterte Toby.
»Die Stimme der Wirklichkeit«, sagte Besen theatralisch. »Eine Symphonie des Weltalls.«
Auf den Bildschirmen sahen sie scheckige Staubfahnen. Hie und da schossen Strahlen naher Sterne durch den Staub und tauchten den pechschwarzen Nebel in blaues und orangefarbenes Licht.
»Dort ist sie!«, rief ein Offizier.
Andere Offiziere drängten sich um die Bildschirme, um auch einen Blick auf die Segelschlange zu werfen. Das glitzernde Geschöpf wand sich und versuchte, vor der »Argo« zu fliehen. Aus dem Jäger war ein Gejagter geworden. Toby stellte sich auf die Zehenspitzen, doch er sah nichts. Die Menge war zu dicht, und er war zu klein. Dann bemerkte ein Leutnant, wie Toby und Besen den Hals reckten. Er packte die beiden am Schlafittchen und schickte sie wieder an die Arbeit.
Die Bildschirme zeigten ein lichterfülltes Panorama, das durch die Dunkelwolke gefiltert wurde. Schönheit. Staunen. Ehrfurcht. Ein grandioses Schauspiel, das dem Menschen vor Augen führte, wie klein und unbedeutend er doch war.
Toby rückte derweil mit dem Wischmop dem klebrigen und stinkenden Siff zu Leibe.
»Scheiße und Kosmos«, murmelte er.
»Was?«, fragte Besen.
Toby bekam am nächsten Tag die Gelegenheit, die Segelschlange aus der Nähe zu betrachten. Allerdings hatte er nicht mit einer der Jagdgruppen nach draußen gehen dürfen. »Jagen ist etwas für Erwachsene und nicht für Kinder«, hatte Cermo Toby und Besens entsprechende Frage hochnäsig abgeschmettert.
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