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Die SunSeeker befindet sich auf der größten Mission in der Geschichte der Menschheit: Erstmals verlässt ein Expeditionsteam unser Sonnensystem, um die Weiten des Universums zu erforschen. Doch auf dem Weg zu den Sternen stößt die Besatzung der SunSeeker auf einen künstlichen Stern, der um ein Vielfaches größer als die Erde ist – und außerdem bewohnt! Das Team macht sich auf, das gigantische Objekt zu erkunden, und stößt dabei auf Geheimnisse, die die Rolle der Menschheit im Universum grundlegend infrage stellen.
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Seitenzahl: 634
Gregory Benford
Larry Niven
STERNENFLÜGE
Roman
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG
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SHIPSTAR
Deutsche Übersetzung von Alexander Brockholt
Deutsche Erstausgabe 10/2014
Redaktion: Rainer Michael Rahn
Copyright © 2014 by Gregory Benford und Larry Niven
Copyright © 2014 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von shutterstock/Emelyanov
Satz: Schaber Datentechnik, Wels
Dieses Buch ist für John Varley, Arthur C. Clarke, Bob Shaw, Paul MacAuley, Alastair Reynolds, Iain M. Banks, Robert Reed und andere von der Große-Objekte-Gruppe.
Auf zu größeren Dingen!
PERSONEN
SUNSEEKER, BESATZUNG
Captain Redwing
Cliff Kammash – Biologe
Mayra Wickramsingh – Pilotin, Beth-Gruppe
Abduss Wickramsingh – Ingenieur, Beth-Gruppe
Glory – Zielplanet
SunSeeker– das Bussardkollektor-Schiff
Beth Marble – Biologin
Eros– das erste Landeschiff
Fred Ojama – Geologe, Beth-Gruppe
Aybe – Ingenieur, Cliff-Gruppe
Howard Blaire – Systemingenieur, Cliff-Gruppe
Terrence Gould – Cliff-Gruppe
Irma Michaelson – Pflanzen-Biologin, Cliff-Gruppe
Tananareve Bailey – Beth-Gruppe
Lau Pin – Ingenieur, Beth-Gruppe
Jampudvipa (Jam genannt) – indischer Unteroffizier
Ayaan Ali – arabische Navigatorin/Pilotin
Clare Conway – Kopilotin
Karl Lebanon – Technischer Offizier
ASTRONOMEN-VOLK
Memor – Aufmerksame Anwesende Astronomin
Bemor – Entwerfer und Persönlicher Emissär der Eisgeister
Asenath – Weisheitsprinzipalin
Ikahaja – Ökosystem-Savant
Omanah – Ökosystem-Gruppenmeisterin
Ramanuji – Biologie-Savant
Kanamatha – Biologie-Gruppenmeisterin
Thaji – Richter-Savant
Unajiuhanah – Seniormeisterin, Hüterin der Gewölbebibliothek
ANDERE PHYLA
Fingerschlangen – Thisther, männlich; Phoshtha, weiblich; Shtirk, weiblich
Eisgeister – kaltes Leben, sehr alt
Aufgenommene – fremde Wesen, mit denen bereits ein Kontakt stattfand und die in die »Schale« integriert sind Diaphane
VOLK-BEGRIFFE
Analytiker – künstliche Intelligenz, die Schalen-Daten lokal überwacht
TransSprache
Lange Aufzeichnungen
Letzte Eindringlinge
Untergeist
Dienstler
Die Erbauer – die verschiedenen Spezies, die die Schalenwelt erbauten
Dritte Variante – Astronomen-Variante
Astronauten – Astronomen-Variante
Quicklands – Schnellland
Kahalla
ERSTER TEIL
EIN IRRTUM
»Es ist besser, sich zu irren, als vage zu sein. Bei Versuch und Irrtum kommt es auf den Irrtum an.«
FREEMAN DYSON
1
Memor beobachtete die fliehenden Primaten durch das schmale Kamerasichtfeld einer der alten mobilen Sonden. Affenartige Geschöpfe tanzten und tollten durch die Unteretage der Spiegelzone, auf dem Weg … wohin? Offenbar zur lokalen Expressstation der Magnetbahn. Gut. Damit befanden sich die Fremden genau dort, wo Memor sie haben wollte. Aufgeregt klickte sie mit den Zähnen, steckte sich ein zappelndes kleines Wesen in den Mund und zerbiss es genüsslich.
Die seltsamen Letzten Eindringlinge krochen ängstlich umher und schienen vollkommen verwirrt zu sein. Eigentlich hätte man mehr erwarten sollen von Wesen, die mit einem Raumschiff gekommen waren, das über einen interessanten Antrieb verfügte. Aber sie hatten sich auf und davon gemacht, in ihrer schnellen, hüpfenden Art und Weise. Und leider war es der anderen Gruppe gelungen, Memors Tötungsabsichten zu entkommen, als sie Kontakt mit einer Dienstlerspezies hergestellt hatten, mit den Sil. Eine gewisse Schlauheit ließ sich ihnen also nicht absprechen.
Genug mit diesen Ärgernissen! Memor musste sich konzentrieren und schnell handeln, um die Fremden unter Kontrolle zu bringen. »Abfangvektor!«, befahl sie dem Piloten. Das Brummen des Schiffes schwoll zu einem Donnern an, und es wurde schneller. Memor lehnte sich zurück und gab Feder-Signale der Erleichterung.
Sie rief eine Situationsgrafik auf den Schirm, um festzustellen, ob sich irgendwo etwas verändert hatte. Das schien nicht der Fall zu sein. Das Raumschiff der Letzten Eindringlinge flog noch immer in der Nähe der Schale und hielt sich unterhalb der Verteidigungswaffen am Rand. Seine elektromagnetischen Emissionen deuteten darauf hin, dass es versuchte, den Weg der beiden Gruppen durch die Schalenwelt zu verfolgen. Aber es gewährte ihnen keine direkte Unterstützung. Gut. Die Fremden in dem Schiff ließen klugerweise Vorsicht walten. Es wäre sicher interessant gewesen, das Raumschiff auseinanderzunehmen und seine technischen Einzelheiten zu untersuchen, aber dazu gab es später noch Gelegenheit.
Memor schätzte sich glücklich, dass die Suchsonde diese Gruppe gefunden hatte, die durch die Lücken hinter der Spiegelsektion unterwegs war. Sie beobachtete vage orangefarbene Flecken, bei denen es sich um mehrere affenartige Gestalten zu handeln schien und vielleicht noch um mehr. Bei genauerem Hinsehen glaubte sie, auch Geschöpfe mit Tentakeln zu erkennen, offenbar eine Subspezies-Variante, drahtig und schnell. Schlangen?
Memor fühlte eine Vibration des Schiffes, als es ein Rufsignal empfing, von Asenath. Der Ruf vibrierte auch in Memors Bewusstsein. Sie musste darauf reagieren, denn das Oberhaupt der Weisheit war ihre Vorgesetzte. Leider verband sie keine Freundschaft; etwas in Asenath verhinderte das.
In Lebensgröße erschien die Weisheitsprinzipalin an der Sichtwand, mit leuchtend bunten Federn, die ein Violett der Dringlichkeit und regenbogenfarbenen Zorn zeigten. »Memor! Haben Sie die Letzten Eindringlinge gefangen?«
»Fast.« Memor achtete darauf, dass ihr eigenes Gefieder Farben der Unterwerfung zeigte, durchsetzt von einem Orange des Jubels. »Beinahe. Ich sehe sie. Die Primatin namens ›Beth‹ leitet eine Gruppe, und ihr gehört das Wesen an, dem ich das Sprechen beigebracht habe. Ich nähere mich ihr. Irgendwie ist es den Fremden gelungen, Verbündete zu gewinnen, aber ich bin gut bewaffnet.«
Asenaths Farben veränderten sich, brachten spöttischen Tadel zum Ausdruck. »Es ist die Gruppe, dieSieentkommen ließen, nicht wahr?«
»Nun, die Eindringlinge sind geflohen, als ich …«
»SiesindIhnen also entkommen, Aufmerksame Anwesende Astronomin. Sie haben sie entwischen lassen.«
Memor unterdrückte ihren Ärger. Asenath benutzte gern den vollen Titel, um sie einzuschüchtern und auf ihren eigenen höheren Rang hinzuweisen, wobei sie häufig – wie auch jetzt – die Federn sträubte. »Sie sind nur für kurze Zeit entkommen, Weisheitsprinzipalin. Ich musste mich auch um die anderen geflohenen Primaten kümmern, wie Sie sich vielleicht erinnern, Eure Richtigkeit.«
»Geben Sie alles andere auf, und holen Sie uns das Geschöpf, das sprechen kann! Wir brauchen es. Eröffnen Sie nicht das Feuer. Wenn die Geschöpfe sterben, so ist das auch Ihr Tod.«
Memor musste ihre Reaktion kontrollieren. Keine farblichen Veränderungen bei den Federn, der Kopf bewegungslos. »Weisheitsprinzipalin? Was hat sich verändert?«
Keine Antwort. Asenaths Federfarben zeigten kurz so etwas wie Furcht.
Sie verbarg etwas. Aber was? Memor musste es herausfinden, aber nicht jetzt. Sie blickte auf den Entdeckungsschirm, ohne dem Piloten Beachtung zu schenken. Beths Gruppe war in einem Irrgarten aus Maschinenanlagen verschwunden. An mehreren Stellen gab es Infrarotspuren, die … zu den Docks führten. Ja! Zu einer weiteren Möglichkeit der Flucht.
Insgesamt sechs Letzte Eindringlinge waren entkommen, aber die Wärmespuren zeigten nur fünf, abgesehen von den Gleitprofilen anderer Spezies. Hatte einer von ihnen das Leben verloren oder sich verirrt? Dies war eine gesellige Spezies, mit hierarchischer Struktur. Memor hielt es für unwahrscheinlich, dass solche Wesen einen Artgenossen einfach zurückließen.
»Veest Blad«, wandte sie sich an den Piloten, »fliegen Sie zu den Docks. Wir fangen sie dort ab.Schnell.«
3
Redwing blickte ins All und runzelte die Stirn.
Weit »unten« erstreckten sich Kontinente und Ozeane, wie eine Mahlzeit in der gewaltigen Schale vor der wärmenden Sonne ausgebreitet. Eine riesige künstliche Welt, in der alles größer und großartiger war, und seltsam.
Die blauen Meere der Schalenwelt waren größer als Jupiter, eingefasst von braunen Rändern. Über diese gewaltigen Ozeane rollten Wellen, die ebenso grandiose Ausmaße hatten und vermutlich Jahre unterwegs waren, bevor sie auf eine Küste trafen. Höhere Auflösung zeigte Sedimentfahnen, die sich lehmbraun in flachen maritimen Regionen ausbreiteten, und dort ließ sich das reife, wuchernde Grün von Algen und Tang beobachten. Es gab Hügelketten größer als Asien. Sie wurden nicht von Kontinentalverschiebung hervorgerufen und reichten über noch viel größere Kontinente, durchzogen von Flüssen, die sich nicht tiefer fressen konnten als bis zur Schalenhülle. Wenn Redwing genau hinsah, bemerkte er hier und dort Stellen, wo Wind oder Wasser Fels und Erde fortgeweht oder weggespült hatten, und dort kam rostiges Metall zum Vorschein. Nahaufnahmen präsentierten Reparaturgruppen an solchen Orten.
Auch die Wüsten waren enorm. Lohfarbenes Grasland erstreckte sich über Distanzen größer als die Entfernung zwischen Erde und Mond, durchsetzt von grünen Flecken, die auf Oasen hinwiesen. Das ausgedehnte Trockenland endete dort, wo es genug Wasser für feuchte Wälder gab. Unwettergebiete zogen als gewaltige weiße Spiralen über Meere und Kontinente, über Wüsten größer als Planeten und über so ausgedehnte Wälder, dass kein lebendes Wesen sie jemals durchqueren konnte.
Warum war eine solche Welt geplant, entworfen und gebaut worden? Mit einer Atmosphäre, die in Kraftfeldern gefangen war, mit planetengroßen Ozeanen und Seen so groß wie Kontinente, aber ohne hohe Berge, was vielleicht einen Hinweis bot. Ein Mount Everest in der Schalenwelt hätte mit seiner Masse das strukturelle Gleichgewicht gestört. Da es keine Plattentektonik gab, fehlten Vulkane, aber was bestimmte den Kreislauf von Kohlenstoff und Wasser in der Biosphäre? Auf der Erde existierte dafür ein Zyklus, der etwa hundert Millionen Jahre dauerte. Außerdem zwangen die irdischen Gebirge die Luft über sie hinweg oder an ihnen vorbei, was zu dem Chaos führte, das die Menschen Wetter nannten. Für die Bewohner der Schalenwelt gab es keinen Windschatten von Bergen und keinen beschleunigten Wind in den natürlichen Kanälen schmaler Passagen. Berge stellten Unwetterschmiede auf der Erde dar; die Schalenwelt schien in dieser Hinsicht sanfter zu sein.
Aber warum ein so kolossales Konstrukt bauen, mit ungeheurem Aufwand, wenn man sich einfach irgendwo in den Tropen oder Subtropen niederlassen könnte?
Das war nicht nur eine rhetorische Frage. Wenn sie eine Antwort darauf fanden, wer die Schalenwelt gebaut hatte, und warum, so ergab sich vielleicht eine Möglichkeit, mit den Erbauern zu kommunizieren.
Ping.Das akustische Signal erinnerte ihn ans Mittagessen.
Der offizielle Flottenbegriff für die Kantine lautete »Offiziersmesse«, aber Redwing nannte sie schlicht und einfach Speiseraum. Wie üblich entschied er sich für Nummer 47: Truthahn klassisch, mit cremiger Soße und Preiselbeeren. Er verdrängte den Gedanken daran, dass das Essen aus jahrhundertealten Substanzen bestand. Immerhin galt das auch für ihn selbst.
Er erinnerte sich daran, was Mayra Wickramsingh bei jeder Mahlzeit gesagt hatte.Nasch für mich– so hatte es geklungen. Nachdem sie und ihr Mann Abduss zur Schalenwelt aufgebrochen waren, hatte Redwing die Bordbibliothek konsultiert. Die linguistische KI verfügte über eine Vergleichsfunktion und konnte nach ähnlich klingenden Begriffen suchen. Die KI fand den indischen Ausdrucknaush faramaiye, der so viel bedeutete wie »bitte akzeptieren Sie das Vergnügen, diese Mahlzeit zu kosten« – die indische Art, »guten Appetit« zu sagen.
»Naush faramaiyeeuch allen«, sagte Redwing, als er den Speiseraum betrat. Er nickte den Besatzungsmitgliedern zu, die sein Nicken erwiderten. Clare richtete einen verwirrten Blick auf ihn.
»Ich habe ein Problem mit der Artilekt-Kohärenz, Captain«, sagte Jampudvipa.
Redwing benutzte noch immer das Kürzel KI für die Bordsysteme, die geduldig alle Funktionen des Schiffes überwachten – alle hatten sie so genannt, als er aufgewachsen war. Doch die Flotte benutzte die Bezeichnung »Artilekt« und meinte damit integrierte künstliche Intelligenzen, die einen kollektiven Intellekt bildeten. Man konnte sich die einzelnen Bordsysteme als unterschiedliche Personen vorstellen, die ständig miteinander redeten und über den aktuellen Status des Schiffes sprachen.
»Wo liegt das Problem?«, fragte Redwing.
»Die Artilekte wollen in vollen Ramscoop-Modus zurückkehren.«
»In einem Sonnensystem? Hier haben wir nicht die nötige Plasmadichte.«
»Ich weiß.« Jampudvipa zuckte die Schultern. »Ich glaube, die Artilekte leiden an Einsatzerschöpfung.«
»Hast du versucht, den einzelnen Systemen eine Ruhepause zu gönnen?«
»Davon wollen sie nichts wissen.«
»Erzwing es. Sag ihnen, dass sie einen psychischen Reboot brauchen. Drück es nur etwas freundlicher aus.«
Das brachte dem Captain den einen oder anderen Lacher ein. »Diplomatie – nicht unbedingt unsere starke Seite«, kommentierte Clare Conway. Sie war umgänglicher als die meisten Piloten und gehörte deshalb zu den Wachen. Vor der Entscheidung, sie zu wecken, hatte sich Redwing ihre Datei angesehen.
Ayaan Ali runzelte die Stirn. »Artilekt-Kohärenz ist ein ernstes Problem. Wenn die einzelnen Systeme eigene Ideen entwickeln und unterschiedlicher Meinung sind … Dann gibt es Schwierigkeiten.«
»Sie wollen etwas, das unmöglich ist«, sagte Karl Lebanon. Er faltete die Hände und lehnte sich zurück. Als Tech-Offizier führte er Artilekte durch ihre täglichen Probleme und kümmerte sich auch um technische Angelegenheiten. »Wir können nicht in den interstellaren Modus zurückkehren.«
Clare nippte an ihrem Kaffee. »Für die Optimierung müssen sie die Ramscoop-Aufnahme in Zehn-Sekunden-Intervallen anpassen. Das erfordert erhöhte Aufmerksamkeit, wodurch die subjektiven Einsatzzyklen länger werden. Mit anderen Worten: Die einzelnen Artilekte sind erheblichem Stress ausgesetzt.«
»Wir haben einen Systemkonflikt bei den Ramscoop-Magnetfeldern«, sagte Karl. »Das ermüdet die Artilekte, woraus sich zusätzliche Belastungen für die übrigen Systeme ergeben.«
»Ein Problem mit den Feldspulen?«
»Ja. Das System muss ziemlich viel leisten. Es ist nicht für dieses ständige Manövrieren bei niedriger Geschwindigkeit geschaffen. Und wir haben keinen Zugang zu den Magneto-Komponenten, um Anpassungen vorzunehmen.«
»Also ein mechanisches Problem, das lösbar ist«, sagte Clare. »Aber nur, wenn wir einen Roboter in die Induktionskammer bekommen. Mit den Robotern, die uns derzeit zur Verfügung stehen, können wir in dieser Hinsicht nichts anfangen.«
»Und wenn wir den Systemen mehr Downtime geben?« Redwing kannte die Antwort, aber wenn er seine Leute redenließ, fühlten sie sich besser. Sie alle nannten ihre Versionen unumstößlicher Tatsachen. Ein für interstellare Flüge gebautes Schiff ließ sich in einem planetaren Orbit nur sehr schwer kontrollieren, da es ihm an entsprechender Manövrierfähigkeit mangelte. Und die Hauptlast trugen die Artilekte.
Redwing hörte zu, als die anderen sprachen, während er in Gedanken seine eigene Liste durchging.
Nach einer Weile spürte er Schmerz in den Knien. Bei densportlichen Übungen an diesem Morgen hatte er übertrieben. Ein Warnsignal: Zu große Anstrengungen deuteten darauf hin, dass er voller Sorgen steckte und versuchte, sich physisch abzureagieren. Er konzentrierte sich auf Clares technische Beschreibungen, nickte immer wieder und dachte an die Crew. Sie arbeiteten so gut zusammen, wie es das Psych-Artilekt vor dem Wecken der betreffenden Besatzungsmitglieder vorhergesagt hatte. Wie gut würden sie zurechtkommen, wenn Beths Gruppe an Bord zurückkehrte? Nur vier von sechs waren übrig. Trotzdem, es würde enger werden, und das konnte zu Gereiztheit führen. Es gab ein Zeitfenster für Redwing, in dem er entscheiden musste, ob dieSunSeekerihren interstellaren Flug fortsetzen sollte oder … was? Oder sollte er noch mehr Leute hinabschicken auf die Schalenwelt, um die Vorräte des Schiffes zu erneuern?Und dann?Zu viele Unwägbarkeiten.
Während die Crewmitglieder ihre jeweiligen Standpunkte erläuterten, bemerkte Redwing, dass ihre Uniformen zerknittert waren, das Haar ungekämmt und die Bärte mehrere Tage alt. Er musste für etwas mehr Disziplin sorgen, und dies war vielleicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Die Crew sollte besser aussehen, wenn Beth und ihre Gefährten heimkehrten. Die Schlafplätze mussten sie sich dann teilen. Arbeitsmoral und Ordnung würden schwerer aufrechtzuerhalten sein. Eine Uhr würde zu ticken beginnen.
»Wenn die Artilekte launisch werden, Jampudvipa …«, sagte Redwing sanft. »Sollten wir ihnen die Brücke überlassen, während wir hier zu Mittag essen?«
Ein Blinzeln, ein reumütiges Nicken. Jampudvipa stand auf. »Ja, Sir. Derzeit sind die Systeme im Modus des kollektiven Einvernehmens, aber … ja.«
Redwing wandte sich den anderen zu. »Beths Gruppe kommt in wenigen Stunden an Bord. Das heißt, wenn wir Glück haben und die derzeitigen Probleme lösen können. Ich möchte, dass alle geschniegelt und gebügelt sind: sauber und rasiert, wach und mit einem strahlenden Lächeln.« Die Crewmitglieder nickten, einige von ihnen ein wenig betreten. Redwing sah Karl an. »Das Hauptproblem ist: Wie holen wir Beth und ihre Begleiter an Bord?«
»Ich habe Fotos von dem Schiff, das sie hierherbringt. Es handelt sich im Grunde genommen um einen Magnetzug-Waggon, der mit einer Schleuse ausgestattet ist«, sagte Karl. »Aber Beth und die anderen haben keine Raumanzüge. Die wurden ihnen von den Vogel-Leuten abgenommen, als sie in Gefangenschaft gerieten.«
Redwing überlegte. »Können wir ein Rendezvousmanöver durchführen und die beiden Schiffe mit einem Drucktunnel verbinden?«
»Nicht so ohne Weiteres.« Karl schürzte die Lippen und dachte nach. »Natürlich haben wir Ausrüstung für Außeneinsätze, aber sie ist für eine Person bestimmt, für Reparaturen.«
»Was ist mit derBernal?«, warf Clare ein. »Sie ist für den Transport von Fracht vorgesehen, aber vielleicht können wir sie zu einem Flexi-Tunnel umrüsten.«
»Ich bin skeptisch, ob etwas Flexibles den Zug- und Drehkräften standhalten kann«, sagte Karl. »Aber wenn wir etwas in der Art versuchen, ist dieBernalunsere beste Wahl, ja.«
Kurz nach Erreichen des Schalen-Systems hatte Redwing die Außenhülle derSunSeekervon Reparaturrobotern untersuchen lassen, und insgeheim pflichtete er Karl bei. Im interstellaren Modus hatten die starken Magnetfelder das Schiff vor dem Bombardement aus Neutronen und Staub geschützt. Doch während dieSunSeekermit vergleichsweise niedriger Geschwindigkeit über der Schalenwelt manövrierte, war sie stärkerer Erosion ausgesetzt. Ihre Außenflächen waren jetzt schartig und zerkratzt, und Redwing fragte sich, ob sie darauf vertrauen durften, dass Roboter Schäden fanden, die sich beim Transfer von Personen als fatal erweisen konnten. Oder ob Bruchstücke irgendeiner Art eine Gefahr für einen Flexi-Tunnel darstellten.
»Wir könnten eine Anpassung unserer dorsalen Schleuse versuchen«, sagte der Captain. »Dafür müssten wir eine Art Andockkragen schaffen.«
Das gefiel den anderen. Während sie darüber sprachen, fragte sich Redwing, wie eine derartige Konfiguration funktionieren konnte. Ayaan Ali hatte bislang wenig gesagt, aber er bemerkte eine Veränderung in ihrem Gesicht, nickte ihr zu und hob die Hand, woraufhin es still wurde.
»Ich … habe eine Idee«, sagte Ayaan leise. »Aber wir müssen uns beeilen.«
4
Beth beobachtete, wie die Außenhülle der Schalenwelt an ihnen vorbeiraste. Selbst Vorsprünge so groß wie Wolkenkratzer waren nur vage graue Schemen. Die Sterne und interstellaren Nebel blieben die ganze Zeit über unbewegt, trotz der hohen Rotationsgeschwindigkeit der Schalenwelt, die an ihrer Oberfläche viele Kilometer pro Sekunde betrug. Selbst Geschwindigkeiten im interplanetaren Maß bedeuteten nichts, wenn man sie auf ferne Sterne bezog.
Die zylinderförmige Frachtdrohne flog an der Außenseite der Schale entlang, dicht über magnetisch verankerten Führungsschienen. Beths Blick glitt über gewaltige Ebenen aus grauem Stahl und gebrochener weißer Keramik. Einzelheiten huschten so schnell vorbei, das sich nicht feststellen ließ, was wichtig war und was nicht. Eine Wand mit madenartigen Robotern, die irgendwelchen Wartungsarbeiten nachgingen. Eine dahingleitende Kaskade aus flüssigem Metall, das im Vakuum dampfte, als es in pechschwarze Klötze glitt, dann in tränenförmige Objekte, die anschließend im Gewirr aus Installationen verschwanden, neue Komponenten für etwas, das rätselhaft blieb. All das nahm Beth innerhalb weniger Sekunden auf – dies erschien ihr wie eine gewaltige Industrieanlage, dem kalten Vakuum des Alls ausgesetzt, weit vom warmen Licht der Schalenwelt-Sonne entfernt. Hier wimmelte es von robotischem Leben. Dämpfe stiegen auf, dehnten sich aus und verschwanden schließlich, vom Vakuum verschlungen.
Kurze Zeit später kamen sie an Gerüsten so groß wie Berge vorbei. Beth beobachtete Gitter und tassenförmige Gebilde, deren Zweck sie nicht einmal erraten konnte. Es fiel ihr schwer, sich ein Gefühl für die Perspektive zu bewahren, und die Geschwindigkeit nahm weiter zu. Die Beschleunigung hatte jetzt ein laterales Element, denn Beth fühlte sich ein wenig zur Seite gedrückt. Sie saß in einem Sessel, der für ein anderes Wesen bestimmt war, offenbar für ein breiteres und größeres Geschöpf. Hinter den Fenstern zu beiden Seiten flogen von Maschinen dominierte Landschaften vorbei, erhellt von Sternenlicht und einem gelegentlichen Aufblitzen zwischen seltsam geformten Gebäuden. Von oben kam ein Klirren und Rasseln, die Stimme des Magnet-Antriebs.
»All diese industrielle Infrastruktur …«, sagte Fred, der neben Beth saß. »Sie haben sie hier untergebracht, außerhalb der Lebensbereiche.«
»Ja.« Beth blickte weiterhin nach draußen. »Bisher haben wir keine großen Städte gesehen.«
»Die Landmassen der Schalenwelt sind gewaltig, aber der mechanisch-maschinelle Teil der hiesigen Zivilisation ist an der Außenseite untergebracht. Das verdoppelt den Platz.«
Beth sah zum »Himmel« hoch, wo das Metall der Hülle in unbeständigem Licht glänzte. »Und für die hier lebenden Geschöpfe ist alles verkehrt herum. Die Zentrifugalkraft drückt sie von der Hülle fort, weshalb sie die Schale immer über ihren Köpfen haben und die Sterne zu ihren Füßen.« Beth lachte leise. »Eine zweite verkehrte Welt.«
»So verkehrt eigentlich nicht.« Fred sah ebenfalls nach draußen. »Wenn die industrielle Produktion hier stattfindet, kann man die Abfälle dem Vakuum überlassen.«
Beth rief sich zur Ordnung. »He, wir befinden uns in einer Frachtdrohne. Wir müssen bereit sein, für den Fall, dass die Drohne anhält und neue Passagiere aufnimmt.«
»Keine Sorge. Wir bemerken sicher, wenn ein Bremsmanöver eingeleitet wird. Dann bleibt uns noch Zeit genug für Vorbereitungen.«
»Wir sollten wenigstens nach Nahrungsmittelspendern suchen. Dieses Passagierabteil ist für die Leute bestimmt, die die Fracht begleiten …«
»Pflanzen, ja«, sagte Fred geistesabwesend, noch immer abgelenkt von dem, was draußen zu sehen war. »Die Fingerschlangen haben dafür gesorgt, dass wir die Pflanzen begleiten können. Nicht schlecht.«
Beth lächelte. Fred hatte in wenigen Worten tagelange Verhandlungen zusammengefasst. Dabei war es immer wieder zu Übersetzungsfehlern und anderen Problemen gekommen. Selbst mit einer gemeinsamen Sprache, einer Mischung aus Vogel und Anglisch, gab es Mehrdeutigkeiten, zurückzuführen auf unterschiedliche Sichtweisen und Blickwinkel. Mit schlängelnden Bewegungen und geringfügigen mimischen Veränderungen in ihren übergroßen Gesichtern vermittelten die Schlangenwesen bestimmte Bedeutungen, und es hatte lange genug gedauert, bis den Menschen das klar geworden war. Worte bekamen einen anderen Inhalt, wenn sie von einem Linksschlängeln oder Rechtsschlängeln begleitet wurden. Und den Schlangen fiel es schwer, die »primatischen Gesichtsbewegungen« zu deuten, wie sie es nannten.
Fred wandte sich ihr zu. »Du machst dir Sorgen um Tananareve.«
»Ich … ja.«
»Es überrascht dich, dass ich es bemerkt habe.«
»Nein, eigentlich nicht, ich …«
»Ich weiß, welche Informationen meine Personaldatei enthält. Ich bin ein klassischer Asperger, so sieht’s aus. Aber ich bin auch imstande, schnell zu erkennen, wie Dinge funktionieren. Das behauptet die Datei jedenfalls.«
Um Zeit zu gewinnen, fragte Beth: »Wie hast du Einblick in deine Personaldatei bekommen?«
Fred richtete einen erstaunten Blick auf sie. Beth begriff, dass er gar nicht unehrlich sein konnte. Zumindest schien er nicht in der Lage zu sein, Unehrlichkeit zu verbergen. »Ich hab sie gehackt.«
»Na ja … Ich habe mir alle Personaldateien angesehen, bevor wir dieSunSeekerverließen. Das gehörte zur Vorbereitung des Außeneinsatzes.«
»Dann weißt du ja über mich Bescheid. Ich erkenne deine Sorgen, insbesondere um Tananareve, auch wenn du versuchst, sie nicht zu zeigen.«
»Ich hätte sofort bemerken müssen, dass sie nicht mit uns zusammen die Drohne betreten hat.«
Fred lächelte schief. »Es war alles sehr verwirrend, und uns blieb keine Zeit. Sie ging fort. Die Fingerschlangen machten einen ziemlichen Radau und bestürmten uns mit Fragen.« Er seufzte. »Jedenfalls, lass es zunächst ruhen. Das Andockproblem erwartet uns.«
Beth seufzte ebenfalls. »Da hast du natürlich recht.«So viel zu der Annahme, dass Asperger-Patienten keine sozialen Signale empfangen. Wie hieß es beim Ausbildungsprogramm? »Kognitive Verhaltenstherapie kann die Stressbewältigung verbessern.« Aber Fred scheint ruhiger zu sein als wir anderen …
»Nach Auskunft der Schlangen halten wir ungefähr dort, wo uns dieSunSeekerfür das Rendezvousmanöver erwartet. Aber wir sind ziemlich schnell, und das Schiff muss sich unserer Geschwindigkeit anpassen. Und …«
»Und wir haben keine Druckanzüge«, sagte Lau Pin. »Die Schlangen haben uns mitgeteilt, dass sie uns in so kurzer Zeit keine beschaffen können.«
Er und Mayra kamen mit einer Schale, die Brei enthielt. Mayra nahm einen Löffel und probierte etwas davon. »Praktisch geschmacklos. Scheint harmlos zu sein und stammt aus einem Nahrungsspender im nächsten Wagen.«
Dieser Hinweis verwunderte Beth, denn bisher hatte sie angenommen, dass sie in einer einzelnen Drohne unterwegs waren.
Hunger veranlasste sie alle, von dem Brei zu essen. Der Mangel an Geschmack störte Beth nicht weiter; wichtig war nur, dass ihr Körper genug Nährstoffe bekam. Eine Zeit lang herrschte Stille, bis die Schlangen kamen und mit ihren seltsam flötenden Stimmen sprachen. Beth blieb in Gedanken versunken und hörte nur mit halbem Ohr, wie Mayra mit ihnen kommunizierte.Intelligente Wesen, Geschöpfe, nach denen wir jahrhundertelang gesucht haben, und jetzt habe ich keine Zeit für sie …
Ihre Hand verharrte mit dem Löffel vor dem Mund. Langsam drehte Beth den Kopf und sah Mayra an. »Frag die Schlangen, ob wir diesen Wagen von den Führungsschienen lösen können«, sagte sie.
Das große Problem war kaum zu erkennen, wenn man angenehm niedriger Schwerkraft ausgesetzt war und nicht auf den Himmel achtete. Wenn Beth und die anderen aus den Fenstern der Drohne sahen, war der Himmel voller Sterne, und es dauerte ein oder zwei Stunden, bis ihnen klar wurde: Die Sterne bewegten sich. Beth beobachtete, wie ein besonders heller Stern an ihrem Fenster vorbeiwanderte. Die Rotationsdauer der Schalenwelt betrug zweiunddreißig Stunden, und deshalb bewegte sich der Nachthimmel etwas langsamer als auf der Erde. Sie erinnerte sich daran, wie sehr es sie als Kind in der Schule erstaunt hatte zu erfahren, dass sie sich mit mehr als tausend Stundenkilometern bewegte, während sie ruhig auf ihrem Stuhl saß. Es lag an der Rotation der Erde, und hinzu kam, dass die Erde mit einer Geschwindigkeit von dreißig Kilometern in der Sekunde die Sonne umkreiste. Jetzt saß sie in einer Frachtdrohne, die Teil eines Magnetzuges geworden war, und sie bewegte sich auch mit der Rotation der Schalenwelt, Hunderte von Kilometernpro Sekundeschnell. Schnell genug, um die Schalenwelt zu verlassen, wenn sich die Drohne von den Führungsschienen löste.
»Die Schlangen haben Angst«, sagte Mayra. »Warum willst du uns von den Schienen lösen?«
»Ist es möglich?«
»Ja, beim nächsten Halt. Es gibt eine Startvorrichtung, die für Reisen außerhalb der Schalenwelt benutzt wird, aber …«
»Wie wird unser Bewegungsmoment reduziert?«, fragte Fred.
»Bestimmt recht vorsichtig«, erwiderte Beth. »Der Start muss entgegen der Rotation der Schalenwelt erfolgen, damit die Geschwindigkeit auf ein angemessenes Maß sinkt.«
»DieSunSeekerfliegt mit einigen Dutzend Sekundenkilometern«, sagte Fred. »Um fünfhundert Sekundenkilometer zu verlieren …« Er unterbrach sich, als ihm die Größe des Problems klar wurde. »So kriegen wir das nicht hin.«
Beth beobachtete die vorbeirasende Maschinenlandschaft. Wurden sie langsamer?
»Sie nennen sie ›Springer«, sagte Mayra.
»Die Startvorrichtung?«, fragte Beth. »Fred, was denkst du?«
»Man verlässt die Schalenwelt am besten an der Achse, wo es fast keine Zentrifugalkraft gibt, also keine hohen Geschwindigkeiten. Man springt einfach ins Vakuum.«
»Wir sind dorthin unterwegs, aber …« Beth zögerte. »Wo befindet sich der Springer?«
Mayra sprach mit den Schlangen und sagte dann: »Der nächste Halt, wenn wir die richtige Weiche nehmen. Das behaupten sie jedenfalls.« Sie wirkte skeptisch, als ginge ihr dies alles viel zu schnell.Es geht tatsächlich zu schnell,dachte Beth.In mehr als nur einer Hinsicht.
Die Fingerschlangen ließen ihre »Fingernägel« rasseln. Beth hatte beobachtet, wie schnell und geschickt diese Wesen damit ihre Werkzeuge handhabten. Es klang nach Kastagnetten oder nach zum Zubeißen bereiten Klapperschlangen. Jedes Wesen hatte vier solche »Nägel« an den vier Fingern.
Beth sah, wie Mayra alarmiert zurückwich. »Was ist?«, fragte sie.
»Sie spüren großes Risiko dabei, mit dieser Drohne zu springen«, sagte Mayra langsam.
»Ist sie nicht raumtüchtig?«
»Nein, es geht dabei um einen Mangel an ›Lebensfürsorge‹, womit vermutlich Raumausrüstung gemeint ist. Dieses Rasseln … schrecklich.«
»Ja, klingt nicht besonders gut«, sagte Beth. Die Schlangenwesen standen jetzt auf ledrigen »Armen«, richteten sich so weit wie möglich auf und schwankten von einer Seite zur anderen. Ihre Körper schienen nur aus Muskelsträngen zu bestehen, und ihre Augen glänzten, als sie sich gegenseitig anstarrten.
»Vielleicht versuchen sie zu entscheiden, ob es das Risiko wert ist«, spekulierte Fred.
»Ob es was wert ist?«, fragte Mayra, die noch immer sehr besorgt wirkte.
»Uns zu begleiten«, sagte Fred. »Darauf läuft es hinaus, nicht wahr, Beth?«
»Ich habe mich gefragt, ob es eine Möglichkeit gibt, das All zu erreichen, ohne zuerst den Pol aufzusuchen, das Astloch, um unsere Geschwindigkeit zu reduzieren. Ich schätze, das ist tatsächlich möglich.«
»Darum geht es den Fingerschlangen«, sagte Mayra. »Sie fragen sich, ob sie uns helfen sollen. Glaube ich wenigstens.« Sie hob und senkte kurz die Schultern. »Ganz sicher bin ich nicht,«
Beth beugte sich vor und beobachtete noch immer die vorbeihuschenden Anlagen, unter denen sich der dunkle Himmel mit den Sternen erstreckte. Ja, sie wurden langsamer; sie hatte sich nicht getäuscht. Und war die Gravitation hier geringer? Näherten sie sich dem Astloch? »Kommen die Schlangen mit der Technik für einen Sprung klar?«
»Das bestätigen sie. Aber … Sie sagen, es wird hart für uns. Starke Beschleunigung und …«
Die Fingerschlangen flöteten, zischten und rasselten. Mayraneigte den Kopf und hörte ihnen zu. »Die Sitze passen sich uns an. Wir werden also … überleben.«
»So stark wird die Beschleunigung?«, fragte Fred.
»Ja. Leider haben wir keine Raumanzüge, die uns zumindest teilweise davor schützen können.« Sie zuckte erneut die Schultern. »Wir hätten sie kaum all die Monate mit uns herumschleppen können.« Ein trauriges Lächeln folgte diesen Worten.
Beth vermutete, dass Mayra sich an ihren Mann erinnerte, der beim Ausbruch aus ihrem Gefängnis gestorben war, von einem grässlichen Spinnenwesen zermalmt und zerfetzt. »Was sonst noch?«
»Angeblich ist die Zeit sehr knapp. Wenn wir die nächste Haltestation erreichen, müssen sie das Weichensystem unter ihre Kontrolle bringen. Dazu sind sie in der Lage, denn die dortigen Bediensteten – hauptsächlich Fingerschlangen – sind alte Freunde von ihnen. Eine der Weichen muss uns in eine Wechselzone bringen, und von dort aus geht es weiter in eine ›Abflugnische‹, wie sie es nennen. Ein spezielles elektromagnetisches System schickt uns dann los. Es erfasst uns auf eine Weise, die von der Form dieser Drohne unabhängig ist, und wirft uns ins All, und zwar gegen die Rotationsrichtung der Schalenwelt.«
So viel hatte Mayra schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gesprochen. Beth hielt es für ein gutes Zeichen. Was die Ausrüstung betraf, hatte Mayra zweifellos recht – ihnen stand nur wenig zur Verfügung, denn sie hatten nicht viel mit sich herumschleppen können. Sie mussten sich mit dem begnügen, was sie unterwegs fanden. Die Sitze in der Frachtdrohne waren sonderbar geformt und ganz offensichtlich nicht für Menschen bestimmt. Den Fingerschlangen standen Beschleunigungsliegen zur Verfügung, in denen sie sich anschnallen konnten, doch für Beth und ihre Begleiter gab es so etwas nicht. Im Toilettenabteil sah es in dieser Beziehung noch schlechter aus. Dort gab es nur Öffnungen im Boden, einige von ihnen bedenklich groß.
»So unangenehm es auch werden mag«, sagte Beth. »Es ist die einzige Möglichkeit.«
Stille. Selbst die Schlangen schwiegen jetzt.
»Wir sind erledigt, wenn wir auf der Schalenwelt bleiben«, sagte Lau Pin nach einer Weile. »Früher oder später schnappen sie uns erneut. Einmal sind wir entkommen; ich bezweifle, ob uns das ein zweites Mal gelingt.«
Mayra und Fred nickten.
Eine gemeinsame Entscheidung,dachte Beth.Gut.Sie fühlte die Blicke der Fingerschlangen auf sich ruhen. Irgendwie schien es ihnen gelungen zu sein, sie als Oberhaupt der seltsamen Primaten zu identifizieren. Ein Hinweis darauf, dass es bei allen intelligenten Spezies Hierarchie gab?
»In Ordnung, wir springen also. Habt ihr bemerkt, dass wir langsamer werden?«
Fred nickte. »Ja, ich fühle es.«
»Wir müssen bereit sein, schnell zu handeln«, sagte Lau Pin. »Die Schlangen werden uns erklären, worauf es ankommt.«
»Gut.« Beth sah Mayra an. »Sonst noch etwas?«
Mayra zögerte. »Die Fingerschlangen … sie möchten mit uns kommen.«
5
Redwing nahm eine Banane, die in einem seltsamen Torus gewachsen war, zog die Schale ab und aß sie, fühlte sich von ihr an tropische Nächte und das Rauschen von Wellen erinnert. Das Privileg des Captains.
Sein Kommunikator summte. »Wir brauchen dich gleich auf der Brücke«, sagte Clare Conway.
»Bin unterwegs.«
Doch er zögerte. In seinem Hinterkopf regte sich etwas.
Redwing hatte gelesen, dass einer seiner Lieblingsschriftsteller, Ernest Hemmingway, einmal nach der besten Erfahrung für einen angehenden Romanautor gefragt worden war. Die Antwort hatte gelautet: eine unglückliche Kindheit. Redwing konnte sich in dieser Hinsicht nicht beklagen, fragtesich aber, ob die derzeitigen Ereignisse mehr dem Drama eines Romans ähnelten, und ob die Schuld dabei eine Figur traf, eine Person: ihn. Vielleicht bekam man manchmal eine glückliche Kindheit und dann ein unglückliches Leben als Erwachsener. Vielleicht war das nicht nur in Romanen so, sondern auch in der Wirklichkeit.
Die glücklichen Tage seiner Kindheit verdankte er vor allem der Mutter. Sein Vater war oft fort gewesen, im einen oder anderen Krieg, und wenn er heimkehrte, widmete er sich vor allem Sport und Alkohol. Wobei »Sport« nicht bedeutete, dass er Interesse an Redwings Footballspielen gezeigt hätte. Er erinnerte sich daran, von seiner Mutter einmal ein Teleskop, ein Mikroskop und einen großen Chemiekasten zum Geburtstag bekommen zu haben. Damals hatte er anderen Kindern Schießpulver und Feuerwerkskörper verkauft und sich mit dem Geld weitere chemische Substanzen beschafft. Die Wissenschaft war ihm also von Kindesbeinen an Freund und Begleiter gewesen. Aber damit nicht genug. Geld, das er beim Spielen gewann, verhalf ihm zu einem Fahrrad und zu einem besseren Teleskop. Seine Mutter, eine Bridge-Großmeisterin, spielte immer Poker mit ihrem Sohn, während sie im Wagen auf den Beginn des Musikunterrichtes warteten. Was er dabei lernte, wendete er bei den Kindern in der Nachbarschaft an. Sie wussten nicht, wie man Karten zählte oder Wahrscheinlichkeiten berechnete. Sie bezahlten ihn auch dafür, irgendwelche Dinge in die Luft zu jagen oder ein bedauernswertes Tier als Bio-Experiment zu sezieren. Redwing war damals ohne Prinzipien gewesen, hatte aber bald genug Geld gehabt, um den Weg zu beschreiten, den er sich wünschte. Ein Studium, die Promotion und dann das Weltall. Ein Weg, der schließlichhierhergeführthatte.
Wenn er sein Leben einer »Fehlerbaumanalyse« unterzog … Mit einem Vater, der ihm nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt hatte, war er vielleicht unglücklich genug, um Hemmingway zufriedenzustellen. Aber in der Kindheit und Jugend auf Spurensuche zu gehen löste im Hier und Heute keine Probleme, oder?
Während der letzten Monate des Wartens und tatenlosen Manövrierens über der Schalenwelt hatte Redwing an Bauchumfang zugelegt. Nach der medizinischen Analyse lag es am Kortisol, einem Nebennierenrindenhormon, das von einer Kampf-oder-Flucht-Reaktion auf Stress erzeugt wurde. Er nahm zu, während seine Einsatzgruppen vor fremden Wesen flohen, ohne dass er ihnen helfen konnte.
Vor der Brücke blieb er stehen, strich seine Uniform glatt und straffte die Schultern. Dann betrat er den Kontrollraum.
»Captain auf der Brücke«, sagte Ayaan Ali laut. Es war nicht nötig, bestimmte aber den Ton. In den Kampf zu ziehen – wenn es darauf hinauslief – ließ das Herz immer schneller schlagen.
»Wir sind so dicht wie möglich am Rand der Schalenwelt«, sagte Ayaan Ali. »Dabei gibt es Schwierigkeiten mit den Manövrierdüsen.«
Redwings Blick strich über die Schirme. Er ging nicht umher, blieb stehen. »Ziemlich knappe Sache, scheint mir.«
Karl Lebanon, der eine saubere, tadellos gebügelte Uniform trug, drehte den Kopf und sagte: »Das Magneto-Problem ist wieder da, Sir.«
Redwing nickte. »Kümmere dich manuell darum, Karl. Bleib die ganze Zeit beim Scoop-Artilekt. Zeig ihm den Weg.«
»Ja, Sir. Es weiß, was los ist. Läuft mit voller Kapazität.«
»Volle Bereitschaft«, sagte Redwing leise. Ein alter Trick: Wenn der Captain leise sprach, spitzten die Besatzungsmitglieder die Ohren und blieben wachsam.
Er wollte nicht noch mehr Leute aus dem Kälteschlaf wecken, um die derzeit wache Crew zu entlasten oder gar eine neue große Landegruppe zu bilden. Sie aufwachen zu lassen und vorzubereiten kostete viel Zeit und Arbeit. Wenn die Schläfer irgendwann in ferner Zukunft vor dem Ziel derSunSeekererwachten, im Glory-System, würde es an Bord sehr, sehr eng werden, zum Glück nur für kurze Zeit, da es einen Planeten zu besiedeln galt. Unter den gegebenen Umständen jedoch wäre so etwas alles andere als vorteilhaft gewesen.
Derzeit befanden sich fünf wache Crewmitglieder an Bord, Redwing mitgezählt. Mit Beth und ihren Begleitern wären es neun, und wenn sich die Möglichkeit bot, Cliffs Gruppe zurückzuholen, würde die Mannschaft auf vierzehn Personen anwachsen. Dadurch wurde der Platz ziemlich knapp, aber sie konnten es schaffen.
»Es geht nach oben.« Ayaan Ali beobachtete die Schirme. »Der Rand sieht unverändert aus, aber das große Kanonending schwenkt in unsere Richtung.«
»Sind wir im Spalt?«
»Siehst du die Wände dort?«
Redwing blickte nach unten, zum Rand des Atmosphärenschirms. In der Randzone gab es große Konstruktionen, dem Vakuum ausgesetzt. Ayaan hatte eine Lücke zwischen ihnen gefunden, die wie ein Spalt aussah und sich außerhalb des Schussfelds der Kanone befand. Dort flogen sie nun, nur wenige Kilometer über der Randzone. Unter ihnen glitt ein komplexes Netz aus Gebäuden und Aggregaten dahin.
Vor ihnen lag der Außenrand der Schalenwelt, voller Erweiterungen, die wie Buckel aussahen und so groß waren wie ganze Länder auf der Erde. Die Heckschirme zeigten den Atmosphärenschild, ein Kraftfeld wie ein dünner Film, unter dem die Luft gefangen war; im schräg einfallenden Sonnenlicht glänzte er blauweiß. So nah war das Schiff der Atmosphäre bisher noch nicht gekommen. Redwing hoffte, dass es keine Bodengeschütze gab, die sie unter Beschuss nehmen konnten. Was für die Schützen allerdings bedeutet hätte,durchdas Kraftfeld zu feuern, wodurch vielleicht Luft entwichen wäre.
Trotzdem, ganz wohl war ihm nicht zumute. »Sind wir tief genug?«
»Ja«, bestätigte Karl. »Die Kanone lässt sich nicht so weit absenken, dass sie ins Innere der Schalenwelt feuern kann.«
»Nicht schlecht. Wenn es hier zu einem Krieg kommt, besteht wenigstens nicht die Gefahr, dass jemand ein Loch in das schießt, was alle am Leben erhält.«
Wir sind außerhalb des Schussfelds, es besteht keine Gefahr,dachte Redwing. Das war zumindest die Theorie, aber Theorien konnten sich als falsch erweisen, und das galt gerade in Bezug auf eine so ausgefallene Welt wie diese. Wenn sie sich irrten … Dann konnten sie in die Reichweite einer Waffe geraten, die Karl für einen Gammastrahlenlaser hielt.
»Wie sieht es mit den Emissionen aus, Karl? Was empfangen wir?«
»Bei der Kanone ist etwas aktiv, von dem eine intensive Mikrowellenstrahlung ausgeht. Vermutlich Begleiterscheinungen eines Ladevorgangs. Mithilfe von Kondensatorblöcken, nehme ich an.«
»Entladungen bewirken dann Plasmaimplosionen, die ihrerseits die Gammastrahlen erzeugen?«
»Davon gehe ich aus«, sagte Karl Lebanon.
»Wie beurteilst du unsere Situation?«
»Ich habe die übliche militärische Grundausbildung hinter mir und weiß in groben Zügen, worauf es bei einem Gefecht im All ankommt. Den größten Teil der Arbeit leisten auch hier die Artilekte. Wir müssen auf der Grundlage der Daten entscheiden, die sie uns liefern.«
»Hat denn niemand einen Kurs in Kriegführung gegen Außerirdische belegt?«, fragte Redwing und sah sich um. Die anderen grinsten. Er hatte die Stimmung ein wenig auflockern wollen, und das schien ihm auch gelungen zu sein.
»Da muss ich passen«, sagte Karl. »Als wir vor einigen Jahrhunderten von der Erde aufbrachen, hat niemand an so etwas gedacht.«
Redwing lächelte schief und nickte. »Also volle Kraft voraus«, sagte er, ein Tribut an die alte Marinetradition. »Gib uns Dampf.«
»Wir sollten das magnetische System der Bussard-Kollektoren besser nicht noch mehr belasten«, erwiderte Karl.
»Dasselbe Problem wie vorher?«
»Ja. Das System ist ziemlich kompakt. Wir kommen nicht an die Magneto-Komponenten heran, um sie anzupassen. Es ist ein mechanisches Problem, keine Sache des digitalen E-Managements.«
»Gib dir alle Mühe.« Genug des technischen Geredes. Es gab noch andere Dinge, die ihre Aufmerksamkeit erforderten. »Warte mit Reparaturen, bis wir Beth an Bord haben. Was ist mit der Flexi-Ausrüstung?«
»Der 3D-Drucker ist programmiert«, sagte Jampudvipa. »Die Faltstellen und Zugkraftabsorber scheinen stabil genug zu sein.«
»Ausgezeichnet. Clare?«
»Sieh auf den Schirm. Die Laser-Sockel sind über uns.«
Früher hieß es »unter dem Radar fliegen«,dachte Redwing.Hier fliegen wir unter den Kanonen einer Festung, die nicht in der Lage sind, in den Lebensbereich der Schalenwelt zu feuern.»Können wir so nahe bei der Atmosphäre fliegen?«
Karl deutete auf das blaue Schimmern des dünnen Atmosphärenschilds. Aus dieser Nähe gesehen, wirkte er wie ein weiter Ozean, doch man konnte durch ihn hindurchsehen, auf die Landschaften darunter, auf eine Welt, die sich wie endlos erstreckte und ständig das Licht der Sonne empfing, eine Welt ohne Nacht. Es gab sogar Wellen im Grenzbereich der Atmosphäre, ein langsames Wogen.
Einmal mehr bewunderte Redwing den Umstand, dass die Konstrukteure der Schalenwelt offenbar an jedes noch so kleine Detail gedacht hatten. Hier wurde die Atmosphäre nicht wie bei einem Planeten immer dünner und ging schließlich ins All über. Sie endete, obschon dünn geworden, an einer klar definierten, vom Kraftfeld geschaffenen Grenze, in einer Höhe von mehreren Hundert Kilometern. Die gestaffelte Energie des Atmosphärenschilds dämpfte Höhenwinde und Wirbel, verteilte die darin steckende Kraft über weitere Gebiete. Nicht ein einziges Luftmolekül ging ans All verloren. In dieser Hinsicht konnte die Schalenwelt nicht das Schicksal erleiden, das den Mars in eine öde Welt verwandelt hatte. Das Magnetfeld der Schale bot Schutz vor kosmischer Strahlung und gelegentlichen solaren Stürmen des Sterns, von dem die Energie für all dies stammte. Die Feldlinien des Magnetfelds reichten wie die Fäden eines Spinnennetzes durch die Atmosphäre und schützten sie vor Partikelschauern.
»Über welche Waffen verfügt die Schalenwelt sonst noch?«, fragte Redwing.
»Zweifellos über mehr als wir«, warf Clare ein.
»Diese Welt ist ungeheuer alt«, sagte Jampudvipa mit einem Hauch von Ärger in der Stimme. »Sie ist sogar noch älter als alt. Auf der Erde waren hundert Jahre viel Zeit für die Waffenentwicklung. Ich habe darüber gelesen, über die Epochen vor dem Aufbruch, als die Menschen nur auf einer Welt lebten. Wirklich erstaunlich. Zu Beginn eines Jahrhunderts wurdemit Bajonetten und einschüssigen Gewehren gekämpft, und an seinem Ende explodierten die ersten Atombomben. Welche Waffen könnenhierentwickelt worden sein, in Tausenden oder gar Millionen von Jahrhunderten?«
Diese Worte machten alle nachdenklich.
»Die Gesetze der Physik gelten für alle«, sagte Karl ernst. »Auch für die Vogel-Leute und alle anderen Spezies der Schalenwelt.«
»Technik hat eine eigene Evolution«, meinte Clare. »Was enthalten die großen Kugeln am Rand der Schale?«
»Wie sollen wir das herausfinden? Wir können nur tief fliegen«, entgegnete Redwing.Ich bringe mein Schiff in unbekannte Gewässer …Manchmal war es befreiend, einfach nur ehrlich zu sein.
Sie flogen in einem weiten Bogen über den mit hoher Geschwindigkeit rotierenden Rand der Schalenwelt. Die Sensoren waren auf die großen Kuppeln und ihre Erweiterungen gerichtet, registrierten jedoch keine Veränderungen.
Als das Schiff den Rand passierte und über die Außenhülle flog, boten die Schirme einen neuen Anblick. DieSunSeekerhatte sich der Schalenwelt von der Seite und von unten genähert, entlang der Rotationsachse und durchs Astloch. Jetzt sah Redwing zum ersten Mal die ausgedehnten Maschinenstrukturen an der Rückseite, durchzogen von langen Schienen, die auf Magnetbahnen hinwiesen. Dort ragten in regelmäßigen Abständen Türme auf, die vielleicht Haltestellen markierten. In anderen Bereichen gab es deutliche Hinweise darauf, dass nachträglich etwas hinzugefügt worden war, gelbe und grüne Stellen mit neuen Verbindungsstücken oder Objekten, die wie Verzierungen aussahen.
Ergänzungen und Zusätze,dachte Redwing. Manches erinnerte ihn an angesammelten Schmutz, Ausbesserungsversuche und Einfügungen.Wie vergilbter Firnis auf einem Renaissance-Gemälde. Man entferne die Ablagerungen, und darunter kommt die ursprüngliche Pracht zum Vorschein. Interstellare Archäologie.
6
Karl Lebanon aktivierte das smarte Flexi mit einem Elektroschock. Unter einem Kilovolt blähte sich das samtblaue Gewebe auf – es war so dünn, dass man hindurchsehen und die rotierende Schalenwelt dahinter erkennen konnte. Das Bild bot einen gewissen Frieden, denn der Hintergrund bestand aus dem Weltall mit den Sternen. Der näher kommende Punkt bedeutete noch nicht viel.