In Ungnade - Band II - Nataly von Eschstruth - E-Book

In Ungnade - Band II E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

Der zweite Band erzählt die Geschichte um Aurel Heusch von Buchfeld zu Ende, der dem Selbstmord seines geliebten Stiefbruders Ortwin von Dahlen auf den Grund gehen und die dafür verantwortliche unbekannte Dame zur Rechenschaft ziehen will. Doch sein unerbittlicher Gerechtigkeitssinn hat schlimme Folgen für ihn selbst, so dass er die Gunst des Großherzogs verliert und tief in Ungnade gestürzt wird. Welche Rolle spielt bei alledem die geheimnisvolle Gräfin Judith Vare, die bei aller Welt als die heimlich angetraute Gattin des alten Großherzogs Max Christoph gilt und ihre damit verbundene Machtstellung geschickt auszunützen weiß? Doch plötzlich hat die Gräfin nur noch Augen für Heusch von Buchfeld. Wird sie ihn genauso in den Abgrund ziehen wie zuvor womöglich seinen Stiefbruder? Und dann ist da noch die Gräfin Judith, die den verstorbenen Ortwin doch besser gekannt hat, als es zunächst den Anschein hat ... All die geschickt gewobenen Intrigen, deren Fäden bereits im Vorfeld des ersten Bandes gesponnen worden sind und die dann ihre verhängnisvolle Wirkung gezeitigt haben, finden nun ihre überraschende Auflösung.-

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Nataly von Eschstruth

In Ungnade

II.

Roman

Mit Illustrationen von C. H. Küchler

Saga

In Ungnade – Band II

© 1894 Nataly von Eschstruth

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711448205

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Das Recht der Übersetzung wird vorbehalten.

XV.

Lasst die Trompeten klingen!

Und hebt mir auf den Schild

Dies junge Mädchen,

Das jetzt mein ganzes Herz

Beherrschen soll als Königin!

Heine.

Max Christoph hatte eine schlechte Nacht gehabt. — Stunden, lange, einsame Stunden waren es gewesen, während welcher er schlummerlos in das goldgewirkte Persermuster seines Bettbaldachins emporgestarrt hatte und sich nicht losreissen konnte von einem Gedanken, welcher ihn bereits seit Monaten verfolgte, der Gedanke, dass Gräfin Judith Vare in den Augen der Welt für seine ihm heimlich angetraute Gattin galt. Er hatte es in Erfahrung gebracht, dass diese irrige Ansicht unlöslich feste Wurzel geschlagen, dass es wohl unmöglich sei, die öffentliche Meinung in dieser Hinsicht jemals zu korrigieren.

Es ist ja viel zu interessant, und dem Klatsch, der Langenweile und Standalsucht ein viel zu willkommenes Thema, welches sich in tausendfältigen Fädlein stets neu ausspinnen lässt, welches man so pikant würzen kann und welches eine unerschöpfliche Quelle bietet, daraus Frau Fama stets neu ihre Lippen netzen und man die Druckerschwärze stets im Fluss erhalten kann — als dass man hoffen könnte, Vernunft und Einsicht möchten mit der Zeit ihre lügenhaften Gegner besiegen!

Das, was Max Christoph am meisten gescheut hatte, sich als alter Mann durch die Heirat mit einer jungen Gemahlin gewissermassen der Spottlust preiszugeben, war nun doch geschehen, trotz all der heldenmütigen Entsagung, welche er sich auferlegt. Und wahrlich, eine Entsagung war es gewesen, auf den Besitz eines Wesens zu verzichten, welches auf ihn genau denselben Reiz zauberischer Unwiderstehlichkeit ausübte, wie auf alle anderen, ja auf ihn in doppeltem Masse, denn wer hatte wie er Gelegenheit, täglich den Geist, scharfen Verstand und anmutigen Witz dieser Frau zu bewundern? Wer kannte Judith Vare so gut wie er? Wer wärmte sich an dem seelischen Feuer ihres Wesens so unmittelbar wie er? Und es ist und bleibt eine unumstössliche Thatsache, dass Schönheit und Fülle des Geistes dauernder und unlöslicher fesseln als die des Körpers.

Immer und immer wieder musste er der Stunde gedenken, wo das schwergekränkte Weib, welches um seinetwillen so unschuldig alle Geisselschläge und Steinwürfe der Menge erlitt, neben seinem Sessel kniete und weinte, bittere, qualvolle und dennoch so schöne Thränen! Er sah sie noch auf ihrem Busen blitzen wie den frischen Tau auf weisser Rose, er sah sie noch an ihren Wimpern perlen, da sie zu ihm aufschaute, so ganz Vertrauen, Demut und Hingabe, mit dem süssen schüchternen Flehen im Blick: „Verschmäh’ mich nicht, ich kann dich so reich und glücklich, so gesund und so jung machen!“

Ja, in dem Moment hatte sich mehr in ihrem Antlitz ausgedrückt wie sonst, eine Liebe und Leidenschaft, welche ihn Verblendeten in jeder Stunde der Unentschlossenheit erschreckt hatten!

Die kleine, zarte Hand, welche sich damals schüchtern zu ihm hob, wie eine sturmgezauste Blumenranke, die sich anklammern möchte am schützenden Stamm, die hatte er herzlos, grausam und mitleidlos zurückgestossen; und nun? Nun war ein ganz Natürliches geschehen, sie hatte andern Halt und andere Stütze gesucht, wie es ihre Natur erfordert.

Judith Vare erschien ihm verändert seit jener Stunde. Es lag etwas hilflos Unsicheres in ihrem sonst so festen Wesen und gleichzeitig eine herbe Resignation, welche nicht zeigte, aber es doch dem sorgendem Auge des Grossherzogs nicht verbergen konnte, dass sie ihm jetzt wohl mit aller Pflichttreue und wackerer Aufopferung zur Seite stand, nicht aber mehr mit der warmherzigen Begeisterung eines Weibes, dessen Herz ebenso feurig für ihn empfand, wie ihr Geist ihm diente.

Nie zuvor hatte Max Christoph daran gedacht, die Gräfin zu seiner Gemahlin zu erheben. Es war ihm ein so Selbstverständliches und Sicheres gewesen, dass diese seltene Blüte einzig ihm zur Ehre und ihm zur Freude an seinem Hofe blühe, dass er sich nie um ihren Verlust gesorgt hatte. Und oft lehrt erst der Verlust die Grösse des Besitzes kennen.

Judith Vare hatte nie daran gedacht, im Beisein des Grossherzogs einen andern Herrn auszuzeichnen. Jetzt hatte sie nur noch Augen für Heusch von Buchfeld. Sie wollte es gern verbergen, aber die Eifersucht sieht scharf, und Max Christoph war plötzlich eifersüchtig, so fiebernd eifersüchtig wie er selbst als Jüngling nie gewesen!

Buchfeld war ein Sonderling, er behandelte seine bestrickende Gönnerin ebenso weiberfeindlich wie alle anderen Damen, aber gerade darin lag die Gefahr des grossen Reizes der Neuheit für Judith. Sie spielten beide mit dem Feuer, und über kurz oder lang werden selbst dem Weltverächter Aurel die Augen aufgehen, wie sie seinem königlichen Herrn aufgingen, dass er jetzt plötzlich erst den vollen Zauber dieses Weibes empfindet.

Und der junge Hauptmann spielt vorläufig noch Komödie mit ihnen allen! Seine vorgebliche Solidität ist der trügerische und heuchlerische Deckmantel für einen ganz unerlaubten Lebenswandel.

Max Christoph hat es mit einem gewiss feindseligen Interesse gehört, dass sein Flügeladjutant so geheimnisvoll locker gelebt, dass er nicht allein das grosse Erbe seines Bruders bereits völlig vergeudet, sondern, wie man munkelt, sogar noch Schulden gemacht haben soll. Er wird sich Aufklärung verschaffen und auch Sorge tragen, dass Gräfin Vare diese Neuigkeit erfahre. Das dämpft wohl ihr Interesse an dem interessanten Verschwender, denn wo soll er das Kapital gelassen haben? Entweder hat er es heimlich auf den grünen Tisch geworfen, oder er hat es, heuchlerisch jedes anständige Verkehren mit den Damen der Gesellschaft meidend, an leichtsinnige Weiber gehängt.

Nun, und eines wie das andere muss wohl eine gereifte und ernst denkende Frau ernüchtern. Die Nacht war so lang und einsam, die Gedanken hinter der Stirn des hohen Herrn arbeiteten immer erregter.

Da die Welt nun doch einmal an seine Ehe mit Judith glaubt, warum soll er nicht wenigstens den Nutzen daraus ziehen, nun auch thatsächlich glücklich zu sein? Seine Bedenken wegen ihres tyrannischen Einflusses sind ja lächerlich! Er ist doch wahrlich noch Mann genug, die Passionen seiner Gemahlin im Zügel zu halten! Und was sein Leiden anbelangt, — je nun, alle Ärzte versichern, es ginge mit Riesenschritten der Genesung entgegen! Die neue Massagekur, welche Judith ihm so dringend anempfahl, wirkt Wunder! Das Knie biegt sich bereits wieder, und er kann schmerzlos durch die längsten Säle gehen! Noch ein, zwei Monate, dann führt er als lebensfrischer Mann sein junges Weib zum Altar, und niemand wundert sich mehr seines Thuns! Zum Altar! Welch ein berauschender Gedanke, das Weib seiner Liebe zu eigen nehmen zu können! Und er liebt die süsse Sirene mit dem absonderlich, funkensprühenden Haar und der Glockenstimme; er liebt sie mit aller Leidenschaft und all dem jugendlichen Feuer, welches ihre Eigenart in ihm entzündet!

Es soll zu Ende kommen! er will nicht länger als Dürstender vor vollem Becher stehen, er will ihn leeren und geniessen! Warum dämmert der Tag noch immer nicht herauf?! Er soll zur Morgenröte, zur aufstrahlenden Sonne seines Lebensglückes werden!

Als der Grossherzog sein Frühstück genommen, liess er sich mit besonderer Hast und Sorgfalt ankleiden, denn er war, körperlich und geistig übermüdet, gegen Morgen etwas eingeschlafen und hatte dadurch länger wie gewöhnlich geruht. Es war bereits in der zwölften Stunde, als er Gräfin Vare bitten liess, doch unverzüglich zu einer wichtigen Besprechung in das Schloss herüber zu kommen.

Alle anderen Meldungen und Vorträge schob er voll nervöser Ungeduld um Stunden hinaus, und ignorierte vor allen Dingen die Zeit, zu welcher er Buchfeld zu sich befohlen.

Die Legationsrätin liess diesmal ganz gegen ihre Gewohnheit auf sich warten, aber es hatte einen wohl entschuldbaren Grund. Der Lakai meldete, dass gnädigste Gräfin zu einem Gabelfrühstück bei dem Herrn Minister des Auswärtigen geladen, und infolgedessen schon bei der Toilette gewesen sei.

Das Wetter verdunkelte sich mehr und mehr unter den Schneemassen, welche ohne Aufhören vom Himmel herab wirbelten, und da die tiefgebauten Gemächer des Schlosses kaum noch an die Tageshelle erinnerten, so entzündeten geschäftige Dienerhände die elektrischen Flammen, welche aus den buntfarbigen Blütengewinden der Kronleuchter ihr zauberhaft abgetöntes Licht ergossen.

Max Christoph hatte die elegante und reich dekorierte Uniform seines Leib-Kavallerieregimentes angelegt, sein sonst kurz geschnittenes Haar, welches in letzter Zeit etwas nachgewachsen war, lag zierlich gewellt an und über den schmalen Schläfen, und da die Erregung sein bleiches Antlitz höher färbte, so warf der Spiegel das Bild eines schlanken, jugendlich strammen Mannes zurück, so wie er vor zwanzig Jahren als Reiteroberst für die Gemäldegalerie des Landes gemalt war. Und der hohe Herr stand und sah lächelnd auf dieses Bild und gedachte eines alten Liedes, welches die Liebe als machtvolle Verjüngerin des Alters preist. Auch er war jung geworden, jung an Leib, Herz und Seele, und als er die duftenden Purpurrosen aus der Vase emporhob, erschienen sie vollauf berechtigt, an der Brust dieser stattlichen Rittergestalt zu blühen. Mit fiebernden Pulsen erwartete er sein Glück, und je länger es auf sich warten liess, desto erregter verlangte er nach seinem Besitz.

Endlich rauschte die atlasgefütterte Gobelinportiere an ihren schweren Bronzeringen zurück und, unangemeldet wie stets, schwebte die Lichtgestalt der anmutigsten aller Frauen über die Schwelle. Judith Vare hatte bereits Toilette gemacht, in der eigenartig, geschmackvollen Weise wie sie sich stets kleidete. Ein ganz zarter, schleierartig schmiegsamer, weisser Spitzenstoff wehte wie ein Hauch glatt und wenig faltenreich um ihre schlanke Figur. Von der etwas hochgelegten Taille fiel er schlicht herab, die Körperform völlig hüllend und sie dennoch bei jedem Schritt durch leichte Spannung markierend; eine breite Bordüre von erhabener Silberstickerei hielt am Saum des Kleides den florhasten Stoff nieder und lief in schwerer, mässig langer und etwas spitz fallender Schleppe aus. Eine Silberborde, von einer einzelnen, niedersinkenden Theerose geziert, bildete den breiten Gürtel. Die Ärmel, spannend eng und halblang, waren oben auf dem Arm mit Silberband geschnürt, eine Perlenschnur legte sich eng um den Hals und eine gleiche hielt die graziös toupierten, sehr hoch frisierten Haare zusammen.

Die ganze Erscheinung der Gräfin Vare war farblos, selbst ihr Antlitz war von müder Blässe überhaucht, und als sie mit den tiefumschatteten Augen einen Moment in regungslosem und erstauntem Anschauen vor ihrem hohen Gebieter zwischen den Portierenfalten stand, glich sie einem wunderholden, zeitverblichenen Gemälde, welches, jäh belebt, aus dunklem Rahmen tritt.

Max Christoph schritt ihr hastig entgegen, seine Hand bot sich ihr in erregtem Gruss, und sein Blick weilte mit einem Ausdruck leidenschaftlichen Entzückens auf ihr.

„Willkommen, liebe Freundin! Das Warten ist mir heute lang geworden, — — ich ... ich ... aber ... Sie sind doch nicht eilig?“ — und der Grossherzog rieb sich die Hände, was er stets that, wenn er verlegen oder unschlüssig war.

Judith schob ihm, der Gewohnheit gemäss, den nächststehenden Sessel herzu: „Nicht im mindesten, Königliche Hoheit, es gibt keine andere Dringlichkeit für mich, als die, meinem allergnädigsten Herrn zu dienen!“ sagte sie in leisem, etwas verschleiertem Ton und wollte sich neigen, das Fusskissen zurecht zu rücken. Max Christoph hielt sie zurück. Er hielt sekundenlang ihren weichen, warmen Arm. Sein Antlitz färbte sich noch höher.

„Mon Dieu, beste Gräfin. Sie beschämen mich! ich küsse Ihre Hand! ... haha ... so als alten Mann behandeln Sie mich, der geschützt werden muss, wie ein hinfälliges Schilf! Nicht doch! jene Zeiten sind Gottlob vorüber, die mich vor den Jahren zum Greis machen wollten, ich bin wieder gesund, ganz gesund, liebe Vare!“ und gleichsam, als wolle er seine Worte bethätigen, schritt er hochaufgerichtet und spornklirrend an ihr vorüber, nach einem entfernt stehenden Diwan. Ohne Stock und Stütze, ganz jugendlich und lebensfrisch. Erstaunt folgte ihm der Blick der Legationsrätin.

„Königliche Hoheit — ich sehe mit stolzer Freude, dass die Massagekur wahrhaft Wunder gewirkt hat — —“

„Die Massagekur?“ Max Christoph lachte, — noch immer etwas nervös, verlegen, „o nein, meine kleine Freundin, es war wohl ein ganz anderes Zaubermittel, welches aus einem Mann, der gewissermassen mit dem Leben abgeschlossen hatte, wieder einen feuerblütigen und begeisterten Jüngling gemacht! Setzen Sie sich an meine Seite ... ich ... ich möchte etwas mit Ihnen bereden ... oder besser ... ich möchte Sie um eine Antwort bitten“ — und dabei nahm er ihre Hand zwischen die seinen und machte tiefatmend eine kurze Pause.

Die Gräfin sah ihn frappiert an, und da just ihr Fächer zum Teppich niederglitt, hatte sie Gelegenheit, ihre Hand zu befreien. Noch war sie völlig ahnungslos, wenngleich ihr das Benehmen des hohen Herrn ganz aussergewöhnlich erschien. Sie gedachte jenes Abends, wo sie in diesem selben Zimmer eine so empfindliche Niederlage erlitten. Ein Gefühl von Trotz und Bitterkeit wallte in ihr auf.

„Ich verstehe, Königliche Hoheit, und ahne diese erbetene Antwort bereits!“ entgegnete sie hastig, „und ich will sie geben, trotz meiner Eigenschaft als lady patroness, welche ich dem Delinquenten gegenüber bisher stets bewiesen habe! Mein allerdnädigster Herr deuten den neuesten Skandal an, welcher momentan die müssigen Zungen der Residenz beschäftigt?“

Max Christoph horchte interessiert auf. „Ah! — Sie überraschen mich! Schon wieder ein neues Kapitel in der Chronique scandaleuse erschienen?“ Seine Brauen zogen sich zusammen. „Hat man etwa gewagt, Sie, liebe Gräfin, abermals in einem neuen Zeitungsartikel anzugreifen? Es war so lange Zeit Ruhe, dass ich schon die angenehme Hoffnung hegte, der Gallapfel sei jetzt bis zum letzten Tropfen ausgepresst!“

Judith schüttelte langsam, mit einem müden, resignierten Lächeln das Haupt. „O nein, Königliche Hoheit!“ sagte sie leichthin. „Die öffentliche Meinung hat mich gerichtet und unter die Füsse getreten, und damit ist der Zweck meines Verleumders erreicht, er schweigt wohl jetzt. Statt meiner hat man sich ein anderes Opfer ausgesucht.“

„Thatsächlich? — bitte vollenden Sie — wer soll —“

„Zur Zeit ist Heusch von Buchfeld la bête noire, von welchem man sich die grausigsten Märchen erzählt.“

„Soso! ach ... ich weiss bereits! Sie deuten die Gerüchte über seine mysteriösen Schulden an! Warum rechnen Sie dieselben so überzeugt unter die Märchen?!“

Auf das Höchste überrascht blickte die Legationsrätin in das Antlitz des Sprechers. Flammende Eifersucht sprühte in seinem Auge, Eifersucht durchklang seine Stimme, Eifersucht liess seine Hand sich zusammen krampfen. Eifersucht! Wie ein Blitzstrahl triumphierenden Frohlockens durchzuckte es die Gräfin, und binnen einer Sekunde war ihr Schlachtplan gänzlich verändert. Wunderbar kam ihr das Schicksal zu Hilfe! Sie war hierher gekommen, um Buchfeld zu verleumden und dadurch an seiner Stellung zu rütteln, jetzt gab ihr der Zufall eine noch viel bessere, eine zweischneidige Waffe in die Hand! Max Christoph war eifersüchtig! Die Stunde war gekommen, wo sie sich für die bittere Enttäuschung seiner herben Zurückweisung an ihm rächen und damit gleicher Zeit Buchfelds sichere Position ganz nach Gefallen erschüttern konnte, so lang erschüttern und unterminieren, bis sie es später im eignen Interesse wieder gut befinden würde, dieselbe zu festigen. Also vollständiges Wechseln der Dekoration! Die Eifersucht des Grossherzogs machte die vorsätzliche Angreiferin jählings wieder zur begeisterten, raffiniert koketten Fürsprecherin des Adjutanten. Jetzt auf dem Posten sein und alle Vorteile gewahrt!

Judiths Auge flimmerte, sie neigte ihr Haupt: „Warum ich sie zu den Märchen rechne, mein hoher Herr? Weil sie Märchen sind! Buchfeld hat wohl ganz unbedeutende Schulden gehabt, ich bin genau unterrichtet, er hat bei Scheuner & Co. einen Wechsel von zweitausend Thalern unterzeichnet, die Bagatelle aber bereits wieder abgetragen. Ich werde Scheuner veranlassen, Ew. Königlichen Hoheit bis heute abend den Beleg dafür zu unterbreiten!“

Der Grossherzog biss sich auf die Lippe. „Das ist etwas anderes“, sagte er ärgerlich, „gewiss hat der leichtsinnige Herr rechtzeitig erfahren, dass ich mit unerbittlicher Strenge jede derartige Ausschweifung ahnde. Über sein privates Thun und Handeln bin ich leider nicht ermächtigt zu richten, aber Sie wissen vielleicht darin Bescheid, liebe Vare, wie und zu welchen Zwecken Buchfeld binnen wenigen Monaten ein so bedeutendes Vermögen vergeudete, wie das hinterlassene seines Stiefbruders?!“

„Er huldigt wohl nobeln Passionen, Königliche Hoheit. Mein Gott, die jungen Herren sind so vielen Versuchungen ausgesetzt!“

„Undenkbar! Sie begütigen seinen Leichtsinn?“ die Stimme des Fragers klang scharf; „Sie befürworten es sogar, dass er sein Geld an Spiel und Weiber hängt?“

„Ich bin tolerant genug, mit den Verhältnissen zu rechnen, mein allergnädigster Herr. Buchfeld ist in Einsamkeit und Entbehrungen aufgewachsen, er steht naiv und leichtfertig wie ein unerfahrenes Kind plötzlich als reicher Mann auf dem heissen Boden einer Grossstadt. Ihm bleibt der grosse Schwabenstreich des Lebens ebensowenig erspart wie anderen Sterblichen, und auch an ihm wird sich die alte Wahrheit bestätigen, dass hohes Lehrgeld hohe Zinsen trägt!“

„Illusionen!“ Max Christoph biss die Zähne zusammen, „jeder Leichtsinn ist ein Laster, und das Unkraut lässt sich niemals völlig roden, da, wo es einmal Wurzel gefasst! Ein Spieler von Profession ist nicht zu kurieren, und wer sich einmal in schlechter Damengesellschaft bewegt, dem klebt sie ewig an.“

Judith lächelte, beinahe etwas sarkastisch. „Haben Königliche Hoheit thatsächliche Beweise für Buchfelds Verkehr in solch schlechter Gesellschaft?“

Er blickte fast zornig auf und stiess mit sichtlichem Widerwillen hervor: „Nein, das nicht; aber mit gesundem Menschenverstand ist wohl dieses Faktum leicht zu berechnen!“

„Thatsächlich? Warum müssen es zwei Passionen sein, denen er fröhnt, mein allergnädigster Herr, warum sagt man nicht: „Spiel — oder Weib?“

„Hm ... Sie sind ein Diplomat ... Sie ... ah — ich kenne das ja bereits an Ihnen, dass Sie dem ‚leichtfertigen Kind‘ mit dem Philosophenverstand stets die Stange halten! Mag’s sein, wie es will, auch dieses ‚aber‘ ist schlimm genug und verurteilt den schlechten Wirtschafter in meinen Augen. Aber, Sie fordern mit einer solchen Sicherheit Beweise, als wären Sie auch diesmal imstande, Gegenbeweise zu bringen“, er sah sie misstrauisch an: „Können Sie es? es würde dies ein Beweis sein, mit welch grossem Interesse Sie die Angelegenheiten des Herrn von Buchfeld beobachten!“ Wieder diese glimmende Eifersucht! und durch Judiths Seele zieht die Freude der Satanella.

Sie wendet wie leicht verlegen das Köpfchen zur Seite und zupft an der Rose im Silbergurt. Ihr Füsschen schiebt sich auf schwellendem Teppich vor, und der glitzernde Silberflor umspannt dadurch noch praller ihre Gestalt: „Nur den Gegenbeweis, welcher sich als Resultat von ein wenig Kombination und Menschenkenntnis ergibt! Wenn ein Mann, ernst und ehedem so weiberfeindlich wie Buchfeld, sich mit aller Leidenschaft in eine Dame der guten Gesellschaft verliebt und dieselbe zu gewinnen hofft, wird er sich nicht den Weg zu ihrem Herzen verschütten und sich in schlechter Gesellschaft bewegen! Die Verhältnisse sind selbst in einer Grossstadt so unendlich kleinstädtisch, dass man genau im Westen hört, was im Osten geflüstert wird!“

„Und doch wusste Buchfeld seine Passionen bisher geheim zu halten!“

„Bisher! Wie lange noch?“

Max Christoph zuckte ungeduldig die Achseln, erhob sich jäh und schritt ein paarmal im Zimmer auf und nieder. „Sie scheinen keine Enttäuschung von diesen Enthüllungen zu fürchten, Gräfin, und was diese Dame der guten Gesellschaft anbelangt — — bah, ich sah Buchfeld mit jeder von unseren Damen nur schroff und unliebenswürdig verkehren!“ Er sprach mit scharfer Betonung und blieb mit forschendem Blick vor ihr stehen.

Judith blinzelte neckisch über den Fächerrand zu ihm auf, erhob sich gleichfalls und legte den Arm um die seitwärts stehende Bronzestatue eines Fahnenträgers. Voll zauberischer Koketterie neigte sie das Köpfchen gegen seine Brust, und streichelte mit der Hand über das glatte Erz. „War er unliebenswürdig?“ kicherte sie, „je nun, was sich liebt, das neckt sich! und manche Menschen spielen Versteck, wenn sie ihre Gefühle nicht auf den Jahrmarkt tragen wollen!“

Der hohe Herr trat mit zitternden Lippen einen Schritt näher und fasste jählings ihre Hand mit eisernem Druck.

„Und wird solch eine Liebe erwidert, Gräfin?!“

Sie lachte silberhell auf: „Das kann doch wohl nur die Zukunft lehren, Königliche Hoheit! Wer schaut in eines Menschen Herz!!“

Er setzte sich wieder auf den Diwan nieder und stützte das Haupt in die Hand. Sein Atem ging schwer, es zwang ihn wie mit Zaubermacht, immer wieder aufzuschauen und sie anzusehen!

„Gräfin“, sagte er endlich tiefernst und wies abermals auf den Platz an seiner Seite, „hören Sie mich einen Augenblick an. Wie weit Ihr Interesse für Buchfeld geht, weiss ich nicht und will es nicht wissen. Ich frage Sie aber und verlange bei allem, was Ihnen heilig ist, eine offene Antwort. Hat er Ihnen bereits von seiner Liebe gesprochen?“

Sie verschlang die Hände und sah zu Boden. „Noch nicht!“ flüsterte sie.

„Noch nicht? Sie glauben, dass er es aber wagen wird?“

„Wagen? Ja, es ist wohl ein Wagnis, ein Weib, welches vor aller Welt gebrandmarkt ist, zu eigen zu begehren!“ sie hob jäh verändert das Haupt; ihr Auge sprühte in massloser Bitterkeit und Erregung, ihre Gestalt wuchs empor. „Es würde ein Wagnis sein, ein Weib zu eigen zu verlangeu, auf welches die öffentliche Meinung mit Steinen wirft, welches ungeschützt und unverteidigt alle Verleumdungen über sich ergehen lassen musste, unschuldig, und auch nicht imstande, dieselben zu widerlegen! Welches ... “

Max Christoph legte jählings seine Hand auf ihre Schulter; er sah sehr bleich aus. „Nicht weiter, Gräfin, ich empfinde den Vorwurf Ihrer Worte und schwöre Ihnen —“

Ein Schluchzen erschütterte ihre Gestalt, sie hob die Hände vor das Antlitz und unterbrach ihn voll fiebrischer Erregtheit. „Sie empfinden Mitleid mit mir, Königliche Hoheit, und dennoch machen Sie es mir durch Ihren Verdacht gegen Buchfeld so schwer, wieder eine ehrenvolle Stellung in der Welt einnehmen zu können! Bleibt mir Unglücklichen denn eine grosse Wahl? Muss ich mich nicht an jede Hand, die sich mir rettend entgegen bietet, anklammern, um meiner Ehre willen, gleichviel, ob mein Herz bei solcher Wahl mitspricht? Ja, lieben, umschwärmen, durch kecke Huldigung demütigen, wollen wohl alle das schutzlos an den Pranger gestellte Weib, denn wo keine Ehre mehr ist, braucht man sie auch nicht zu respektieren, zur Gattin aber begehrt keiner die Geliebte seines Fürsten, und doch kann nur der Trauring und der starke Arm eines Gemahls mich wieder emporheben auf die moralische Höhe einer Stellung, welche ich nie verlor, und doch nicht mehr besitze! Darum flehe ich Eure Königliche Hoheit an, mir diesen Schritt, welcher mich herbe Überwindung kostet, nicht zu erschweren! Ich bin fest entschlossen, Buchfeld zu heiraten.“ —

„Nein! und tausendmal nein!“ Max Christoph zog die Schluchzende tief ergriffen an seine Brust. „Gibt es einen Mann auf der Welt, der alles gut zu machen hat, was er unbewusst an Ihnen verschuldet, so bin ich es, Judith! Ich habe Ihnen die Stellung in der Welt genommen, dadurch, dass ich schuldlos zu den Verleumdungen Anlass gab, ich will Ihnen dieselbe wiedergeben, so hoch und glänzend, wie es nur die Hand eines Fürsten vermag, der ein geliebtes Weib als Gattin neben sich auf den Thron erhebt! Ich liebe Sie, Judith, und will mein Glück nicht dem Vorurteil opfern, ich will diesen Schritt, welcher mich Ihnen für das Leben verbindet, vor Gott und der Welt verantworten, ich will Ihnen Genugthuung verschaffen und uns beiden ein Glück sichern, vor dessen schäumendem Kelch wir lange genug in thörichtem Zögern gedurstet; Judith, Sie sollen durch den Segen der Kirche in offizieller Feier zu meiner Gemahlin erhoben werden!“

Einen Augenblick ruhte der geschmeidige Frauenkörper wie betäubt an seiner Brust. Diesen direkten, so urplötzlichen Entschluss hatte sie nicht vorausgesehen. Was thun? Ihm angehören? Ein Schauer rieselte durch ihre Glieder. Was sie noch vor wenigen Monaten als höchstes Erdenziel ersehnt, mit steinernem Herz und eisernem Willen dem Schicksal abgezwungen und abgerungen hatte, das erschreckte sie in seiner Erfüllung. Ihre ganze Seele, jeder Nerv und jede Fiber bebten in leidenschaftlichster Liebesglut für einen anderen. Was war aber aller Purpur der Welt, gegen eine einzige Stunde in Aurels Arm! Sie gab ihn nicht auf, sie klammerte sich mit der wütenden Energie einer Verzweifelnden an die Hoffnung auf seine Liebe. Plötzlich diese ernsthafte Wandlung in dem Entschluss des Grossherzogs. Sie hielt in diesem Moment eine Wage in der Hand, darauf lag hier eine Krone und dort ein Herz. Was wählen? Nur jetzt keinen unbesonnenen Streich. Zeit gewonnen, alles gewonnen. „Ein wenig Wehren spornt das Begehren“ sagt ein altes Wahrwort. Wehren ist nicht abweisen, und Judith Vare will noch freie Hand behalten in diesem Spiel. Sie muss Zeit gewinnen, um zu überlegen, wie diese Situation am besten auszunutzen sei. Lässt sich beides vereinen, Herz und Krone? Die moderne Zeit ist ja so leichtsinnig, und das Blümlein der Treue wächst nur sehr selten noch neben der Myrte! Aber Aurel! wird er, der nüchterne, pflichtgetreue Pedant, sich jemals entwürdigen der Page einer jungen Königin zu sein? Lächerlich! Was weiss er, der Tugendspiegel, von Strickleiter und heimlicher Minne? Und doch ... sein geheimnisvolles Verschwenden ... seine eigenen Worte, „ich bin ein wüster Gesell“, sollte er doch vielleicht ...? Mit Blitzesschnelle wirbeln diese Gedanken durch ihr Hirn. Zeit gewinnen! erst ihrer Sache sicher sein und dann handeln!

Der Grossherzog neigt sich und hebt ihr tief herabgesunkenes Köpfchen. „Judith ...“ flüsterte er mit halb erstickter Stimme, „warum keine Antwort?!“

Da gleitet sie leis, leis wie ein Mondstrahl aus seinem Arm, an ihm nieder vor seine Füsse. Ihre Hände umschliessen bebend die seinen, sie presst die heissen, zuckenden Lippen darauf nieder.

„Der Himmel segne meinen allergnädigsten Herrn für diese Worte unaussprechlicher und unbegreiflicher Gnade! Sie waren Balsam auf mein wundes Herz und haben mich in stolzem Ehrgefühl wieder stark werden lassen in mir selber, diese Stunde war der Lohn für all die wankellose Liebe und Treue, welche ich stets im Herzen für Max Christoph gehegt!“ Ihre Stimme klang weich und zitternd, jetzt hob sie energisch das Haupt und lehnte es in den Nacken zurück. Ihre Augen brannten in den seinen. „Aber ich will mich dieser hohen Weihestunde auch wert zeigen! Wehe mir, wollte ich egoistisch und selbstsüchtig genug sein, mich als ewige Bürde an eine Hand zu ketten, welche mir in einer Aufwallung tiefsten Mitleids geboten wurde! Hat ein Vorwurf in meiner Stimme gelegen, Königliche Hoheit, so geschah es unbewusst, meine Seele glänzt in schattenloser Liebe und Dankbarkeit! Ich weiss, wie gross das Opfer ist, welches mir mein allergnädigster Herr in dieser Stunde bringen will, es ist gross, unfasslich und wunderbar gross! aber es ist nicht grösser und höher als mein Empfinden! Meine Ehre soll nicht erkauft werden mit einem Kronreif, die Welt soll nicht sagen können: Judith Vare hat nach Rang und Stellung gestrebt! sie soll meinen Egoismus nicht für grösser halten als meine Liebe! Nichts hat mir im Leben ferner gelegen als die Sucht nach fürstlichem Glanz, und darum bin ich auch jetzt bescheiden und demütig genug, eine Anwandlung der Grossmut nicht zu meinem Vorteil auszubeuten —“

„Judith, herrliches, selbstloses Weib! keine Grossmut, keine Aufopferung ...“

Sie sprang empor. Voll leidenschaftlicher Erregung hob sie wehrend die Hände. „Nun so ist’s eine momentane Selbsttäuschung, ein Gnadengeschenk, welches mit geblendeten Augen gereicht wird! Ich darf es nicht annehmen, will ich meines Herrn getreue Dienerin sein, denn ich weiss, es ist viel zu reich, viel zu verschwenderisch gegeben!“ Sie trat dicht vor ihn, sank abermals vor ihm ins Knie und faltete die Hände vor der Brust: „Nicht im Nehmen, sondern im Entsagen zeigt sich die volle und ganze Grösse der Liebe“, flüsterte sie mit fascinierendem Blick, „und ich liebe Sie viel zu innig und leidenschaftlich, als dass ich dieser treuen Hand zur Fessel werden möchte! Die Welt verurteilt mich als habgieriges Weib, das seine Hände nach dem Diadem ausstreckt, mag sie es! Ich danke Gott auf den Knien, dass er mir Gelegenheit gab, Ihnen, Königliche Hoheit, beweisen zu können, dass sie mir unrecht thut! Ich will nichts weiter sein als eine bescheidene kleine Blüte, die im Sonnenglanz der Gnade und Huld blühen darf, ein Edelweiss, rein und fleckenlos, und getreu bis in den Tod!“

Sie küsste abermals hastig seine Hände, mit heissen leidenschaftlichen Lippen. Die Worte, welche sie sprach, atmeten die vollste Entsagung, ihre Augen aber lockten und glühten und hielten nur um so fester, was der Mund von sich wies. Und ehe der hohe Herr entgegnen oder sie halten konnte, war sie empor gesprungen und entfloh lautlos und schnell wie ein Lichtstrahl dem Gemach des Grossherzogs.

Max Christoph folgte ihr ungestüm, das belebte Vorzimmer aber hielt ihn zurück. Und Gräfin Judith hatte sich nicht verrechnet. Glühte zuvor nur ein Funken der liebenden Sympathie in seinem Herzen, so loderten jetzt die hohen Flammen der Begeisterung und Leidenschaft darin.

Warum enteilte sie ihm? Gerade jetzt, wo seine Sehnsucht sie mit tausendfachen Rosenketten an sich fesseln möchte? Ein seltsames Gemisch von Entzücken, Unwillen und jauchzender Ungeduld erfüllte ihn. Aber es machte ihn auch nervös, und als der Name Heusch von Buchfelds vor seinem Ohr erklang, hob die Eifersucht doch wieder ihr schillernd Natterhaupt. Die Gräfin hatte gesagt, sie sei entschlossen den Hauptmann zu heiraten, wie nun, wenn sie in übertriebenem Edelmut einen unbesonnenen Schritt thäte?! Wehe ihr und ihm!

Noch nie zuvor ward ein Flügeladjutant so misstrauisch und ungnädig von seinem Fürsten empfangen, als Heusch von Buchfeld, welcher in dem nämlichen Augenblick sein Haupt in dem bekannt kurzen, militärischen Gruss vor Max Christoph neigte.

Gräfin Judith aber sauste mit flinken Rossen davon, direkten Wegs zu dem Bankhaus von Scheuner & Co. Dort wurde bei verschlossenen Thüren ein gar seltsames Geheimnis geschaffen; die Legationsrätin bezahlte im Auftrag einer hohen Persönlichkeit die Schulden des Hauptmann von Buchfeld. Diskretion Ehrensache! Selbst der Flügeladjutant in eigner Person darf nie erfahren, wer die Vermittlerin dieser aussergewöhnlichen Mission gewesen. Der alte Herr mit dem elegant gekräuselten weissen Henriquatre und den vielen Brillantringen ist berauscht von der silberglänzenden Feengestalt der Legationsrätin, welche ihm wie eine höhere Erscheinung durch die düsteren Geschäftsräume voranschwebt. Er verspricht und gelobt alles, was sie von ihm verlangt, geleitet sie unter zahllosen Komplimenten an den Wagen zurück und sitzt noch eine lange Zeit nachdenklich vor seinem Pult, „die Welt hat recht, Gräfin Vare ist ein eigenartiges Wesen, und Max Christoph, falls Frau Fama wahr erzählt, ein beneidenswerter Mann!“ ...

XVI.

Schnell ist, was man erworben hat, zerronnen,

Die Ehre selbst! misslingt ein kühner Plan!

Tasso.

Ein einz’ger Augenblick kann alles umgestalten!

Wieland.

Der Flügeladjutant stand vor seinem Fürsten.

Max Christoph hatte ihn mit wenig freundlichem Blick kaum gestreist, als er durch kurze Geste seinen Gruss erwiderte. Er trat, seine innere Erregung und Missstimmung gegen Aurel zu bekämpfen, an eine der hohen Spiegelscheiben, schob den Store mit den darin eingestickten bunt seidenen Bouquets ungeduldig zur Seite und starrte in den Schneesturm hinaus. Seine schlanken Finger trommelten ein hastiges Tempo gegen das geschliffene Glas.

„Da wir heute weder dringliche, noch wichtige Angelegenheiten zu verhandeln haben, Hauptmann von Buchfeld, beurlaube ich Sie einstweilen, bis auf weiteres.“

Seine Stimme klang schroff und kurz, völlig anders wie sonst. Die Nerven des leidenden alten Herrn hatten öfters schon eine vorübergehend üble Laune veranlasst, darum legte Aurel kein sonderliches Gewicht auf diese Stimmung. Er trat einen Schritt näher, neigte abermals mit formellem Gruss das Haupt und wagte es, in dem Ton dienstlicher Meldung zu erwidern: „Halten zu Gnaden, Königliche Hoheit. Eine Angelegenheit von ausserordentlicher Bedeutung ermutigt mich, um Erlaubnis zu bitten, dieselbe vortragen zu dürfen!“

„Ausserordentliche Bedeutung?“ Max Christoph zuckte, ohne sich umzuwenden, etwas ironisch die Schultern.

„Unter diesem Passepartout reist so manche Bagatelle. Ich bin heute nicht zu längeren Auseinandersetzungen aufgelegt. Deuten Sie mir kurz an, um welch eine Affaire es sich handelt.“

„Mein Bericht bezieht sich auf die ominösen und skandalösen Zeitungsartikel, welche eine Zeitlang die hiesigen Hof- und Staatsverhältnisse an den Pranger stellten, Königliche Hoheit.“

Der Grossherzog wandte sich dem Sprecher jählings zu; die Finger seiner Rechten schoben sich zwischen die Uniformknöpfe auf die Brust, er richtete sich hoch empor. „Ah ... abermals ein neuer Angriff?!“ rang es sich drohend von seinen Lippen.

„Halten zu Gnaden, nein.“

„Nein? — was sonst! — reden Sie, — ich bin heute schon genugsam alteriert!“

Aurel öffnete sein Portefeuille. „Es ist mir durch gewissenhafte Nachforschungen gelungen, den Verfasser und Schreiber, respektive die beiden Autoren dieser Artikel zu ermitteln!“ sagte er mit leis bebenden Nasenflügeln.

Die Wirkung der Worte war eine ausserordentliche.

Max Christoph taumelte einen Schritt vor und fasste mit beiden Händen die Schultern seines Adjutanten, als müsse er sich vor dem Umsinken schützen.

„Buchfeld!“ schrie er fast auf, „ist das Wahrheit, Mann?!“

„Hier ist ein Streifen Manuskript, welches ich direkt aus der Druckerei erlangte, Königliche Hoheit. So ist es mir überbracht, und so liefere ich es in die Hände meines gnädigsten Herrn, überzeugt, dass Wahrheit und Gerechtigkeit die Siegel lösen werden, welche auch jetzt noch zum Teil dieses Blatt zum Rätsel machen.“

„Ein Stück Manuskript ... thatsächlich ... ah, ich danke Ihnen, lieber Buchfeld, danke Ihnen. Ist Ihnen besser geglückt wie mir. Wodurch? Haben Sie einen Beamten der Zeitungsdruckerei bestochen?“

Der hohe Herr liess sich kraftlos auf einen Sessel nieder, seine bleiche, leise bebende Hand hielt das verhängnisvolle Papier mit zitterndem Druck. Er lehnte erschöpft das Haupt zurück und schloss momentan die Augen. Die Erregungen der letzten Stunde hatten ihn emporgerüttelt, jetzt erzeigten sie sich dennoch als zu gross für seine noch immer kranken Nerven, er sank wieder schlaff und matt in sich zusammen, just, als ziehe die nüchterne und herbe Wahrheit ihm den Boden unter den Füssen fort, auf welchen ihn die Illusion für kurze Stunden gehoben.

„Allerdings, Königliche Hoheit. Ich habe in dieser Angelegenheit dem jesuitischen Grundsatz gehuldigt, dass der Zweck die Mittel heiligt, und erreichte auf dem krummen Umweg mehr, als auf der geraden Strasse.“

„Durch Geldmittel?“

„Lediglich durch solche.“