Jahrtausendwende - Ben Bova - E-Book

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Ben Bova

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Beschreibung

Kalter Krieg auf Luna

Dezember 1999: Die Großmächte auf der Erde stehen kurz davor, sich in einem Atomkrieg gegenseitig auszulöschen. Colonel Chet Kinsman leitet die amerikanische Mondbasis. 384.400 Kilometer von der Erde entfernt muss er hilflos zusehen, wie sich die Lage immer weiter zuspitzt. Um Schlimmeres zu verhindern, entwirft er einen verzweifelten Plan – doch um die drohende Katastrophe zu verhindern, muss er sich mit seinem Feind verbünden: Colonel Pjotr Leonow, Kommandant der russischen Mondbasis Lunagrad …

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BEN BOVA

JAHRTAUSENDWENDE

Roman

Das Buch

Dezember 1999: Die Großmächte auf der Erde stehen kurz davor, sich in einem Atomkrieg gegenseitig auszulöschen. Colonel Chet Kinsman leitet die amerikanische Mondbasis. 384.400 Kilometer von der Erde entfernt muss er hilflos zusehen, wie sich die Lage immer weiter zuspitzt. Um Schlimmeres zu verhindern, entwirft er einen verzweifelten Plan – doch um die drohende Katastrophe zu verhindern, muss er sich mit seinem Feind verbünden: Colonel Pjotr Leonow, Kommandant der russischen Mondbasis Lunagrad …

Der Autor

Titel der Originalausgabe

MILLENNIUM

Aus dem Amerikanischen von Walter Brumm

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1976 by Ben Bova

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Das Illustrat, München

Nicht vor dem Tod sollte der Mensch sich fürchten, sondern davor, nie mit dem Leben begonnen zu haben.

Mark Aurel

Mittwoch, 1. Dezember 1999, 9 Uhr EZ

Die Digitaluhr auf Kinsmans Schreibtisch zeigte neun. Nicht dass die mehr oder weniger willkürlich festgelegte Zeitrechnung in der Untergrundsiedlung irgendeine physikalische Bedeutung gehabt hätte.

Oben an der Mondoberfläche war es die Zeit des Sonnenuntergangs, der Beginn einer Nacht, die dreihundertsechsunddreißig Stunden dauern würde. Aber hier, in der Sicherheit der unterirdischen Stadt, die Selene genannt wurde, begann gerade ein neuer Menschentag.

Als ranghöchster Amerikaner auf dem Mond hatte Oberst Kinsman das Anrecht auf ein eigenes Büro. Es war klein und funktionell. In einer Ecke stand ein Schreibtisch, an dem er jedoch selten saß. Er zog es vor, auf der schaumstoffgepolsterten Couch an der Wand zu liegen, wenn er nachdenken wollte. Der Schaumstoff gehörte zu den ersten Erzeugnissen, die Selenes Wiederaufbereitungsanlagen verlassen hatten. Das Plastikmaterial des Rahmens stammte von Verpackungen, die von der Erde heraufgeschafft worden waren, der Schaumstoff der Polsterung von ausrangierten Schaumlöschgeräten. Ein belgischer Chemiker, der Selene vor mehreren Jahren besucht hatte, war auf die Methode gekommen, den Schaum in ein praktisches und dauerhaftes Polstermaterial für Möbel umzuwandeln.

Im Büro gab es kaum Akten. Der Schreibtisch war frei von Papier. Kinsman hasste Papierkrieg und zog es vor, Probleme mündlich zu erörtern. Auf dem Schreibtisch stand ein Eingabegerät, das an die zentrale EDV-Anlage von Selene angeschlossen war. Daneben war ein Telefon mit einem kleinen Bildteil, während ein weiteres Telefon auf dem Couchtisch stand. Zwei mit Gurten kreuzweise bespannte Sitzgelegenheiten vervollständigten das Mobiliar. Der Boden war mit natürlichem Gras bedeckt, was mehr praktische als ästhetische Gründe hatte: Grünpflanzen lieferten in diesem unterirdischen Vorposten auf einer luftlosen Welt kostbaren Sauerstoff.

In drei Wände waren große Bildschirme eingelassen. Einer zeigte die Erde, wie sie vom Kuppelbau an der Oberfläche aus zu sehen war. Die anderen zwei waren gegenwärtig dunkel und leer.

Kinsman lag ausgestreckt auf der Couch, einen Arm bequem auf dem Rückenpolster. Er war einmal schlaksig gewesen, begann jetzt aber stärker zu werden. Sein dunkles Haar zeigte graue Strähnen, und er trug es viel länger, als die Bestimmungen für das Luftwaffenpersonal es zuließen. Sein einteiliger blauer Arbeitsanzug war ohne Rangabzeichen; es war nicht notwendig: alle Bewohner der Untergrundsiedlung kannten ihn, selbst die Russen.

Sein Gesicht war lang, ein wenig pferdeähnlich, mit eng beieinanderstehenden graublauen Augen, einer Nase, die ihm nie gefallen hatte, und einem Lächeln, das er vor vielen Jahren zu gebrauchen gelernt hatte.

Ihm gegenüber saß Ernie Waterman angespannt auf dem Rand eines Flechtsessels, ein Zivilingenieur und einer von Selenes Dauerbewohnern. Großgewachsen, eckig, verdrießlich. Er sieht nicht gerade zugänglich aus, dachte Kinsman, aber er lächelte, als er sagte: »Ernie, ich möchte Sie nicht drängen, aber solange das Wasserwerk nicht die volle Kapazität erreicht, bleibt die Versorgung ein Problem, das bei jedem Defekt existenzbedrohend werden kann.«

»Kann ich dafür?«, erwiderte Waterman gereizt. »Wenn wir mehr Ausrüstungen von der Erde heraufschaffen könnten …«

»Ich wünschte, wir könnten das«, sagte Kinsman mit einem Blick auf den blauen Halbmond, der hinter dem Ingenieur aus dem Bildschirm leuchtete. »Der alte General Murdock und seine Freunde in Washington sagen nein. Zu schwer und zu kostspielig. Wir müssen mit dem auskommen, was wir haben. Aber schließlich können wir hier in den Werkstätten bauen, was wir brauchen, nicht?«

Waterman verzog den Mund zu einer schief lächelnden Grimasse. »Die Optimisten werden nicht alle. Sehen Sie, wir haben einige Rohmaterialien und einige ausgebildete Leute. Aber wo sind die sechs Millionen anderen Dinge, die wir brauchen? Es fehlt an Werkzeugmaschinen. Wir haben keine Ersatzteile. Für alles brauchen wir viermal länger als gewöhnlich, weil wir immer am Nullpunkt anfangen müssen. Ich kann nicht den Hörer abnehmen und den rostfreien Stahl bestellen, den ich brauche. Oder die Verkabelungen. Oder das Kupfer und Wolfram. Wir müssen es abbauen, sofern wir etwas finden, und es selbst weiterverarbeiten.«

»Ich weiß«, sagte Kinsman.

»Also braucht alles seine Zeit.«

»Aber Sie sitzen jetzt schon seit zwei Jahren daran.«

Watermans Stimme ging um eine Tonlage in die Höhe. »Fangen Sie bloß nicht an, alles mir in die Schuhe zu schieben! Ich bin erst seit einem Jahr hier oben, und seit sechs Wochen mache ich diese Arbeit. Ich sollte im Ruhestand sein …«

»Nun, nun, bloß keine Aufregung«, beschwichtigte ihn Kinsman. »Ich meinte nicht Sie persönlich. Und wir wissen beide, dass Sie im Ruhestand nicht glücklich wären, Ernie. Sie sind kein Freund von Müßiggang.« Er musste ihn zum Lächeln bringen. Streitigkeiten mit Freiwilligen wie Waterman halfen nicht weiter.

Die kantigen Züge des Ingenieurs entspannten sich ein wenig, zeigten sogar ein knappes Lächeln. »Na gut, da mögen Sie recht haben. Aber was mich am meisten störte, war die Art und Weise, wie Ihre Luftwaffenleute glaubten, sich als Ingenieure aufspielen zu müssen. Diese idiotischen Sonnenöfen …«

»Ich gebe es ja zu, Sie haben gewonnen.« Kinsman warf in einer Geste gespielter Resignation die Hände hoch. »Ich weiß, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. Ich sollte Sie nicht drängen. Aber das Wasserwerk ist der Schlüssel zu unserem Überleben. Wir brauchen die Reservekapazität. Sollte es jemals zu einem Defekt oder Unfall kommen, und wir verlieren, was wir jetzt haben … Der Transportweg von der Erde hierher ist weit. Wir alle würden lange auf ein Glas Wasser warten müssen.«

»Meinen Sie, das wüsste ich nicht? Wir tun, was wir können, Chet. Aber es wäre hilfreich, wenn wir mehr Ausrüstungen von der Erde bekommen könnten.«

»Das ist derzeit ausgeschlossen.«

Waterman hob vielsagend die Schultern und meinte: »In Ordnung, dann werden wir es eben auf die umständliche Art machen.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Aber ich sehe nicht, was die ganze Aufregung eigentlich soll. Das Werk liefert bereits mehr Wasser, als wir verbrauchen. Sie könnten Ihr kostbares Schwimmbecken sogar jede Woche mit frischem Wasser füllen, statt es wieder aufzubereiten.«

»Das Schwimmbecken ist unser einziger Luxus. Und die Überkapazität des Wasserwerks war von Anfang an eingeplant, um sicherzugehen, dass wir hier zusätzliche Leute versorgen können – zum Beispiel Ingenieure im Ruhestand.«

»Mit Beinbeschwerden. Ja, ich weiß.« Waterman blieb eine Weile still. Dann fragte er: »Aber weiß man auf der Erde überhaupt von der Werkserweiterung?«

»Wieso?« Etwas wie ein leichter Stromstoß ging durch Kinsmans Körper. »Selbstverständlich weiß man davon.«

»Ich meine, weiß man von Ihrem Versuch, die Kapazität zu verdoppeln?«

Kinsman zögerte einen Moment, bevor er in ruhigem Ton antwortete: »Unser Ziel ist immer Selbstversorgung gewesen, Ernie. Wasser ist der Schlüssel zum Überleben. Ohne Wasser könnten wir nicht mal das Gras unter unseren Füßen am Leben erhalten.«

»Ja, aber …«

»Aber was?«

»Die Kapazität ist bereits groß genug, um mehr Menschen zu versorgen, als wir auf der amerikanischen Seite von Selene haben. Die Verdoppelung bedeutet, dass wir auch noch die Russen mit Wasser beliefern könnten.«

»Wäre das so schrecklich?«, fragte Kinsman.

Waterman sagte nichts, doch sein Gesicht lief dunkel an.

»Ich habe diese Siedlung nicht entworfen«, sagte Kinsman. »Selene wurde gebaut, als die Russen im Raumfahrtprogramm mit uns zusammenarbeiteten. Wir müssen mit ihnen als Nachbarn leben. Nun gut, bisher sind wir glänzend miteinander ausgekommen, viel besser als auf Erden. Aber falls der Schuh eines Tages drücken sollte, wäre es besser, wenn wir über genug Wasser für beide Seiten verfügten, meinen Sie nicht? Wenn nämlich ihre Wasserversorgung defekt würde, müssten sie uns höflich darum bitten, ihnen von unserem Wasser abzugeben.«

Diese Überlegung leuchtete dem Ingenieur ein. Sein Unmut verschwand, und er lächelte. »Ich verstehe. Sie wollen also, dass die Kapazität des Werks verdoppelt wird. Gut, wir werden sie verdoppeln. Aber hören Sie auf, mir jeden Tag auf die Fersen zu treten.«

Kinsman sagte mit erleichtertem Lachen: »Wie wäre es mit jedem zweiten Tag? Wissen Sie, Ernie, als ich erfuhr, dass Sie Ingenieur sind und sich für das Wasserwerk interessierten, wurde ich beinahe religiös. Waterman: Genau das richtige Omen, das wir für das Werk brauchten.«

»Religion«, sagte der Ingenieur, und seine Stimme wurde plötzlich leise und ernst. »Das ist es, was man wiederfindet, wenn man entdeckt, dass man wieder gehen und etwas Nützliches tun kann, statt den Rest des Lebens am Stock zu humpeln oder in einem Rollstuhl zu sitzen.« Er klopfte gegen die Metallklammern unter seinem Hosenbein.

»Die geringe Schwerkraft gehört zu unseren Touristenattraktionen«, sagte Kinsman, als er Waterman zur Tür geleitete.

Aber der andere winkte ab. »Es ist nicht bloß die Schwerkraft, wissen Sie, es ist die ganze Haltung … die Art und Weise, wie man hier die Dinge anfasst. Nichts von der Bürokratie, die sie auf der Erde haben. Kein Schlangestehen und endloses Ausfüllen von Formularen. Hier oben vertrauen die Leute einander.«

Und ihr Vertrauen hat sie ganz gemacht, dachte Kinsman. »Die Leute sind frei, Ernie. Wir haben hier oben genug Raum, um frei zu sein.«

Waterman zuckte die Achseln. »Was immer es ist, es ist wie ein Wunder.«

»Vermissen Sie die Erde überhaupt nicht?«, fragte Kinsman, als Waterman schon zur Tür hinaus war.

»Ich sollte Pittsburgh vermissen? Zum Teufel, nein! Meine beiden Töchter, ja, die vermisse ich. Aber den ganzen Rest – ein einziger Slum, von einem verseuchten Ozean zum anderen. Die Industriegesellschaft hat in hundertfünfzig Jahren fertiggebracht, was der Menschheit in den hundertfünfzigtausend Jahren davor nicht gelungen ist: sie hat die Erde zugrunde gerichtet. Nun geht alles so schnell zum Teufel, dass es kein Halten mehr gibt.«

Kinsman dachte an seine letzten Tage auf der Erde zurück, vor mehr als fünf Jahren. Sein plötzliches Verlangen, noch einmal San Francisco zu sehen. Der verrückte Kampf mit den Fluglinien, um einen Platz in einer Maschine nach Westen zu ergattern. Die Erschütterung über die Verwandlung einer Stadt, die er einst geliebt hatte, in einen ungeheuren Slum: Viele der stolzen Hochhäuser mit ihren schimmernden Fassaden aus Metall und Glas leerstehend und allmählich verfallend, weil die Kosten für Beheizung und Klimatisierung unerschwinglich geworden waren; die Brücken rostend und vernachlässigt; die weite Bucht gesprenkelt mit Hausbooten und schwarz von treibendem Unrat.

»Und was ist mit Ihnen?«, fragte Waterman. »Vermissen Sie es nicht? Sie sind länger hier als die meisten anderen.«

Kinsman wich der Frage aus. »Ich kann zurück, wenn ich wirklich will. Ich bin körperlich nicht behindert.«

»Ach so, ja … das stimmt. Macht es einen Unterschied?«

Das Telefon summte.

»Die Pflicht ruft«, sagte Kinsman.

Als der Ingenieur die Tür hinter sich schloss, kehrte Kinsman zur Couch zurück und drückte auf den Knopf neben dem Lautsprecherteil des Telefons.

Einer der Bildschirme flackerte auf, aber kein Bild erschien. Stattdessen sagte die zuckersüße weibliche Tonbandstimme des Computers: »Oberst Kinsman, Sie wollten erinnert werden, dass die Fähre mit den Neuankömmlingen planmäßig um neun Uhr landen soll. Die Flugkontrolle bestätigt, dass die Fähre pünktlich ist.«

»Gut«, sagte er und schaltete aus.

Er verließ das Büro und ging durch den Korridor. Er fragte sich, was Ernie tun würde, wenn er ihm sagte, dass sie in einem Notfall das Wasser mit den Russen würden teilen müssen. Würde der Ingenieur die Arbeit hinschmeißen? Würde er in Washington Alarm schlagen?

Offiziell wurde die amerikanische Siedlung auf dem Mond ›Mondbasis‹ genannt. Die Russen nannten ihre Siedlung ›Lunagrad‹. Offiziell waren beide Basen voneinander getrennt und unabhängig. Militärexperten in Washington und Moskau pflegten sehr missvergnügt zu werden, wenn sie an die kurzlebige Euphorie internationaler Freundschaft dachten, die dazu geführt hatte, dass die Basen Seite an Seite errichtet worden waren.

Im technischen Sinne waren die Mondbasis und Lunagrad zwei getrennte und unabhängig voneinander arbeitende Systeme, jedes ohne Hilfe vom anderen überlebensfähig. In der Praxis nannten die Amerikaner und Russen, die als Nachbarn miteinander lebten, einander Luniks und ihr Gemeinwesen Selene.

Kinsman erreichte den großen Höhlenraum, der die beiden Hälften von Selene miteinander verband. Es war eine riesige unterirdische Halle mit einer hohen, kalkigweißen Decke und unbehauenen grauen Steinwänden. Russen und Amerikaner hatten sie in einen offenen Platz mit grünen Rasenflächen und baumbestandenen Spazierwegen verwandelt. Winzige Läden und Erfrischungsstände, die von Gewerbetreibenden aus vielen Nationen errichtet worden waren, standen im Wettbewerb mit den staatlichen Läden, die ein mageres Angebot von Importwaren für den persönlichen Bedarf bereithielten. Der Platz war immer belebt mit Menschen, die ihre dienstfreien Stunden verbrachten, und erinnerte Kinsman ein wenig an einen orientalischen Basar – aber diszipliniert und still, im leisen, von der geringen Schwerkraft und strenger Beherrschung geprägten lunaren Stil.

Als er über den Platz ging, nickte und lächelte Kinsman fast allen Leuten zu, denen er begegnete. Er kannte alle Dauerbewohner beim Namen – es gab nur etwa tausend von ihnen.

Aber als er im Aufzug zum Kuppelbau an der Oberfläche stand, kehrten seine Gedanken zu Waterman zurück. Wie viele Leute hier oben dachten noch immer wie Erdenbewohner? Von der inneren Einstellung der Leute konnte eines Tages viel abhängen. Als er den Aufzug verließ und den nackten Felsboden unter der großen Kuppel betrat, blickte er finster.

Die Kuppel war unbeleuchtet; schwach phosphoreszierende Pfeile und Wegweiser, eingelassen in den geschmolzenen Felsboden, zeigten in verschiedene Richtungen. Kinsman folgte den gelben Pfeilen, die den Weg zur großen Luftschleuse markierten.

Die Abmessungen der Kuppel standen jenen einer Kathedrale kaum nach, und sie war ebenso leer. Es war das größte Bauwerk auf der Mondoberfläche, ein Symbol für den immerwährenden Geist von Bruderschaft und Zusammenarbeit zwischen den Völkern der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Aber dieser Geist war noch vor Vollendung des Kuppelbaus gestorben, erstickt in einer von Überbevölkerung und rasch dahinschwindenden Rohstoffreserven vergifteten Atmosphäre.

Die leisen Geräusche seiner Schritte wurden von der dunklen gruftähnlichen Kuppel verschluckt. Er fühlte die Kälte der angebrochenen Mondnacht durch das Felsgestein sickern. Auch die Kuppel selbst war aus Mondgestein gemacht, getragen von einem Aluminiumgerüst, dessen Rohmaterial von ausgebrannten Raketenstufen stammte. Die Seitenteile der Kuppel hatten breite Fenster aus dickem Quarzglas, das vor Jahren von der Erde heraufgeschafft worden war. Reihen von Traktoren, Raupenfahrzeugen und anderem schweren Gerät standen sauber ausgerichtet auf ihren zugewiesenen Plätzen. Wenn man der großen Luftschleuse gegenüberstand, war die rechte Hälfte des überkuppelten Raums amerikanischem Gerät vorbehalten, die linke russischem.

Politische Nettigkeiten, dachte Kinsman. Seine Gangart hatte sich im Laufe der Zeit verändert und etwas Schleichendes angenommen. Es war ein unbewusster Kompromiss zwischen der für irdische Schwereverhältnisse entwickelten Beinmuskulatur und der geringen Mondschwere, ein dahingleitender, beinahe schwebender Zeitlupenschritt, der an nichts so sehr wie an die leise, zielbewusste Fortbewegung eines jagenden Raubtiers erinnerte. Dieser Eindruck wurde von den Schatten der wenigen entfernten Notlampen und der düsteren Miene seines knochigen schmalen Gesichts noch verstärkt.

Er kam zu der schweren Metallkonstruktion der großen, für Fahrzeuge bestimmten Luftschleuse, umging sie und gelangte zu einem Aussichtsfenster. Trotz des schlechten Lichts konnte er im Glas ein schwaches Spiegelbild seiner selbst sehen. Sein Anzug schien sich um die Mitte zu spannen. Du wirst fett, dachte er. Zuviel Büroarbeit und nicht genug Bewegung. Der Fluch des leitenden Mannes in mittleren Jahren. Er blickte hinaus über die trostlose Mondebene.

Das Wolkenmeer.

Es war eine eintönige, zernarbte, sanft gewellte Ebene aus nacktem Gestein, seit Jahrmilliarden von einem stetigen Meteoritenregen zertrümmert, ein erstarrtes Gesteinsmeer, kahl und völlig leblos, bedeckt mit achtlos umhergestreuten Blöcken und Steintrümmern, grau und geisterhaft fahl im schwachen Sternenlicht.

Wäre es wirklich ein Meer, oder gäbe es wenigstens Wolken, so würden wir das verdammte Wasserwerk nicht brauchen, dachte Kinsman, und die Verfinsterung seiner Miene verstärkte sich noch. Er hasste es, mit anderen zu streiten, verabscheute die Notwendigkeit, sie anzustacheln und unter Druck zu setzen. Vielleicht werden wir das zusätzliche Wasser nicht benötigen, dachte er. Aber Wasser ist Leben, und ich will es keinem verweigern, auch nicht den Russen. Er blickte zur einladenden, lieblichblauen und weißen Sichelgestalt der Erde hinauf. Schon gar nicht den Russen, fügte er in Gedanken hinzu.

Er wandte sich ein wenig zur Seite und blickte durch die stille Weite der Kuppel zu den Fenstern der gegenüberliegenden Seite. Dort kauerten die müden, sanft gerundeten Buckel niedriger Berge, Ausläufer des Ringgebirges Alphonsus, dessen Kraterboden groß genug war, um jede Stadt der Erde einschließlich ihrer Vororte aufzunehmen. Der Gedanke an eine wimmelnde, stinkende, verwesende Stadt hier auf dem Mond widerte ihn an.

Er wandte sich wieder dem Fenster zu, vor dem er stand, und spähte aufwärts, um die landende Fähre zu sehen. Kein Feuerschein von Bremsraketen. Kein Schimmer von Erdenlicht auf glänzendem Metall. Er sah den Horizont, fast zum Greifen nahe, und jenseits davon die Schwärze der Unendlichkeit. Obwohl der Anblick ihm nicht neu war, bewegte er ihn jedes Mal. Durch das zum Schutz gegen Strahlung beschichtete Glas waren nur wenige helle Sterne sichtbar. Die Augen Gottes, sagte er sich, um sich gleich darauf einen abergläubischen Schwachkopf zu schelten.

Die Traktoren des Bodenpersonals rollten aus der großen Luftschleuse und formierten sich am Rande des Landeplatzes. Lichter blitzten dort draußen auf, also musste die Fähre herunterkommen. Kurz darauf sah Kinsman einen orangegelben Lichtpunkt aufglühen und wieder erlöschen. Das wiederholte sich, und der gedrungene, plumpe Umriss der Fähre nahm Gestalt an, fiel wie ein Stein in einem Albtraum, langsam aber unerbittlich, tiefer und tiefer …

Dann schossen meterlange Feuerstrahlen aus den Nachbrennern der Bremsraketen, und der Fall verlangsamte sich deutlich. Der nackte Fels des Landeplatzes hüllte sich in einen Sandsturm, in dessen Mitte die Fähre wie ein fetter alter Mann landete, der sich mühsam in seinen Lehnstuhl niederlässt: Langsam, umständlich, und dann plumps! Das Landegestell berührte den Boden und schien unter dem Gewicht der Fähre zu verbiegen. Die Raketenmotoren stoppten, und der Sandsturm legte sich.

Die Traktoren des Bodenpersonals rollten näher und umdrängten die noch heiße Rakete, treue mechanische Welpen, die ihren zurückkehrenden Herrn begrüßten. Aus der Personalschleuse der Kuppel schob sich eine flexible Verbindungsröhre zur Ausstiegsluke der Fähre.

Kinsman nickte, zufrieden mit der Landung. Eine neue Gruppe von Dienstverpflichteten, fast alle zum ersten Mal auf dem Mond. Sie hatten eine dreimonatige Dienstzeit in der ›Mondbasis‹ vor sich, wie sie es zunächst im Einklang mit der offiziellen Sprachregelung nennen würden.

Aber diejenigen, die ihre Dienstzeit freiwillig verlängerten und in der unterirdischen Gemeinde Fuß fassten, würden diesen Ort bald ›Selene‹ nennen. Kinsman war vor Jahren auf diesen Namen gekommen, und er hatte Anklang gefunden, selbst unter den Russen. Diejenigen Dienstverpflichteten, die den Unterschied zwischen ›Mondbasis‹ und ›Selene‹ begriffen, würden für weitere Dienstperioden wiederkommen; dafür würde Kinsman sorgen. Die anderen würden niemals zurückkehren; auch dafür würde er sorgen.

Er ging zur inneren Öffnung der Personalschleuse hinüber und sah sich die Neuankömmlinge an. Es waren acht Mädchen, die alle gleichzeitig redeten, und vier junge Männer, angeführt von einem nur wenig älteren Offizier. Bis auf ihn bewegten sich alle unbeholfen und hüpfend, bemüht, die gewohnte Gangart beizubehalten, obwohl sie hier nur noch ein Sechstel ihres Körpergewichts auf die Waage brachten. Ein sicheres Erkennungszeichen für Neuankömmlinge. Sie waren aufgeregt und gespannt, blickten erwartungsvoll umher. Ihr erstes Mal.

Kinsman erkannte den Offizier an der Spitze des Trupps. Er trug die Rangabzeichen eines Hauptmanns, und auf der rechten Brustseite stand der Name: Christopher S. Perry. Er sah Kinsman und machte eine Ehrenbezeigung. Kinsman grüßte zurück, und Hauptmann Perry führte seine Gruppe an ihm vorbei zum Aufzug.

Die jungen Leute ignorierten ihn, fasziniert von der Kuppel und den Ausblicken auf die feierlich-düstere Mondlandschaft.

So verdammt jung, dachte er. Noch halbe Kinder.

Aber am Schluss der kleinen Gruppe ging eine Frau, ziemlich groß, geschmeidig, mit kurzgeschnittenem dunklen Haar und einer guten Figur unter dem graugrünen einteiligen Arbeitsanzug.

»Eine Erwachsene!«, hörte Kinsman sich sagen.

Sie blickte ihn an. Ihre Augen waren dunkelbraun, groß und überraschend. Sie lächelte und sagte: »Ich bin die Gouvernante.«

Kinsman rührte sich nicht vom Fleck, als sie weiterging. Er bewunderte die Art und Weise, wie sie mit Würde zu gehen versuchte. Sie und die anderen hatten ein paar schwierige Tage vor sich, ehe sie sich den ungewohnten Schwereverhältnissen angepasst haben würden.

Mehr als sechs Stunden später, um genau elf Uhr östlicher Standardzeit, betrat der Präsident mit langsamen, beinahe zögernden Schritten den Sitzungssaal des Kabinetts. Die Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats, die ihre Plätze um den blankpolierten Tisch bereits eingenommen hatten, erhoben sich.

Der Präsident lächelte etwas angestrengt und machte beschwichtigende Bewegungen mit beiden Händen. »Bitte, meine Herren, setzen Sie sich.« Zum Guten-Morgen-Gemurmel der anderen nahm er seinen Platz am Kopfende des Tisches ein. Sobald er die Sitzung eröffnet hatte und zum ersten Punkt der Tagesordnung übergehen wollte, meldete sich der Verteidigungsminister zu Wort. »Herr Präsident, ich muss eine Angelegenheit zur Sprache bringen, die erst heute früh zu meiner Kenntnis gelangte und daher nicht auf der Tagesordnung steht.«

Der Präsident war ein Farbiger. Er war nicht sehr dunkel. Hautfarbe und Knochenstruktur des Gesichts zeigten beide entschieden kaukasische Einflüsse, eine Tatsache, die ihn Stimmen gekostet hatte. Sein kurzgeschnittenes, etwas gekräuseltes Haar war graumeliert, doch hatte sein Körper das schlanke und zugleich etwas weichliche Aussehen eines Mannes, der sich mit Tennisspielen in Form hält. Er hatte ein warmes Lächeln und die Gabe, anderen das Gefühl zu geben, er sei auf ihrer Seite. Manche sagten, es sei seine einzige Gabe, aber diese Leute waren gewöhnlich Neider oder Rassisten.

Der Verteidigungsminister wirkte kühl und war schmächtig, mit scharfgeschnittenen Zügen und grauen Augen, deren Blick durchbohren konnte. Hinter seinem Rücken wurde er ›der Falke‹ genannte, was sich sowohl auf sein Aussehen als auch auf seine Einstellung bezog. Der Name gefiel ihm insgeheim.

Der Präsident runzelte die Stirn. »Nicht auf der Tagesordnung? Warum nicht?«

»Die Information ist kaum eine halbe Stunde alt. Eine Änderung der Tagesordnung war nicht mehr möglich. Die Russen haben seit Mitternacht drei von unseren ABM-Satelliten zur Raketenabwehr funktionsunfähig gemacht – das will sagen, seit Mitternacht Einheitszeit, was umgerechnet auf östliche Standardzeit gestern Abend neunzehn Uhr …«

»Bringen Sie uns nicht mit Zeitzonen durcheinander«, sagte der Präsident und hob seine volle Baritonstimme. »Wie hoch ist die Gesamtzahl während der vergangenen Woche?«

»Während der vergangenen sieben Tage«, sagte der Verteidigungsminister, während er in seinen Unterlagen blätterte, »haben die Roten – ja, hier ist es – sieben von unseren ABM-Satelliten funktionsunfähig gemacht. Im gleichen Zeitraum haben wir nur vier von ihren Satelliten außer Gefecht gesetzt.«

Der Präsident hob die Schultern. »Wurde jemand verletzt?«

»Nein, seit dieser Hauptmann mit seiner Raumkapsel den Satelliten rammte, hat es weder Tote noch Verwundete gegeben. Und dieser Zwischenfall beruhte offenbar auf einem Versehen.«

Ein Viersternegeneral in der blauen Uniform der Luftwaffe nickte. »Wir haben den Fall sehr gründlich untersucht. Die Möglichkeit von Feindeinwirkung scheidet aus. Es sei denn, der Satellit war irgendwie präpariert.«

»Ich möchte nicht, dass jemand zu Schaden kommt«, sagte der Präsident.

Der Verteidigungsminister warf ihm einen Blick zu, als zweifle er an seinem Verstand. »Herr Präsident, es handelt sich hier um ein Spiel mit höchsten Einsätzen. Da lassen sich gewisse Risiken nicht vermeiden.« Als der Präsident nichts sagte, fuhr der Minister nach einem Blick in die Runde fort: »Während der vergangenen zwei Jahre haben wir versucht, unser ABM-Satellitennetz zu vervollständigen. Die Russen haben unsere Satelliten funktionsunfähig gemacht, um uns an der Vervollständigung des Netzes zu hindern.« Er schob ihm drei Blätter zu. »Wenn Sie sich diese grafischen Darstellungen anschauen, werden Sie sehen, dass sie unsere Satelliten jetzt beinahe so rasch ausschalten, wie wir sie in den Weltraum hinausschießen.«

»Und wie steht es mit den russischen Satelliten?«, fragte der Präsident, ohne die Darstellungen zu beachten.

Der Luftwaffengeneral übernahm es, darauf zu antworten. »Wir sind in der Zahl der Antisatelliten-Missionen, die wir fliegen können, eingeschränkt. Es stehen nur wenige ausgebildete Astronauten zur Verfügung, und die für dieses Programm bereitgestellten Mittel sind sehr gering. Unterdessen steigert der Feind die Zahl seiner Starts und bringt mehr und mehr ABM-Satelliten in Umlaufbahnen. Und seine neuesten sind durch gleichartige Attrappen getarnt und schwieriger auszuschalten.«

Der Außenminister räusperte sich und sagte: »Sie sprechen hier vom Feind. Ich darf darauf aufmerksam machen, dass wir uns nicht im Kriegszustand befinden.« Er war kahlköpfig, trug eine randlose Brille, sprach leise.

»Da muss ich Ihnen widersprechen!«, sagte ein massiger Mann am Ende des Tisches, dessen Kinnbacken eckig vortraten. Seine Stimme war ein angestrengtes, heiseres Flüstern, sein Gesicht verbissen und gerötet. »Mit allem schuldigen Respekt, wir befinden uns im Krieg, und das schon seit zwei Jahren. Mit dem Start der ersten ABM-Satelliten begannen wir und die Russen mit offenen gegenseitigen Angriffen auf die Satelliten. Jede Seite weiß, dass derjenige, der sein ABM-Netz als erster fertigstellt, einen gewaltigen Vorteil erlangen wird; seine Satelliten können das gesamte, auf Interkontinentalraketen beruhende strategische Potenzial der anderen Seite zerstören. Das aber bedeutet die Aufhebung des nuklearen Gleichgewichts.«

Er hielt mühsam schnaufend inne. Niemand sprach, bis er, schwer auf die Unterarme gestützt, eindringlich fortfuhr: »Wenn eine Seite ihr ABM-Satellitennetz fertigstellt, kann sie der anderen Seite ungestraft ihre Bedingungen diktieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Russen vor uns fertig werden. Es wäre gleichbedeutend mit unserer Selbstaufgabe.«

Der Präsident rückte unbehaglich auf dem Stuhl und blickte auf seine Papiere.

»Ganz recht«, sagte der Verteidigungsminister. »Wenn die Roten ihr ABM-Satellitennetz vor uns fertigstellen, werden sie unsere Raketen so schnell abschießen können, wie wir sie in die Luft bringen. Das wäre das Ende unserer Strategie nuklearer Vergeltung. Wir wären auf Gedeih oder Verderb den Russen ausgeliefert.«

»Es ist eine Form des Krieges«, bekräftigte General Hofstader. »Durch den Umstand, dass es bisher keine Bodenkämpfe und keine Verluste an Menschenleben gegeben hat, dürfen wir uns nicht zu der Vorstellung verleiten lassen, das Ganze sei eine Art Spiel.«

»Und früher oder später wird es Verluste geben, machen wir uns nichts vor«, sagte der Verteidigungsminister.

»Was? Wie meinen Sie das?« Der Präsident, der die Diskussion bisher eher unwillig und nur mit halber Aufmerksamkeit verfolgt hatte, zeigte sich endlich aufgeschreckt.

»Wenn Sie einen Blick auf die grafischen Darstellungen werfen wollen, die ich Ihnen gab«, sagte der Verteidigungsminister in einem Ton strapazierter Geduld, »werden Sie sehen, dass wir nicht mehr lange so weitermachen können, wie es bisher geschehen ist. Wir brauchen ein Minimum von einhundertfünfzig Satelliten in niedrigen Umlaufbahnen, um den gesamten Erdkreis hinlänglich gegen russische beziehungsweise chinesische Raketenangriffe abzudecken.«

»Die Chinesen sind untereinander hoffnungslos zerstritten und keine Gefahr«, murmelte der Präsident, über die Blätter gebeugt.

»Dennoch könnten sie ihre paar Dutzend Interkontinentalraketen auf uns oder die Russen abschießen«, sagte die rau flüsternde Stimme am anderen Ende des Konferenztisches. »Sie könnten den Topf zum Überkochen bringen. Und es gibt dort starke Gruppen, die radikal und verzweifelt genug sind, um es zu versuchen.«

»Wir brauchen einhundertfünfzig funktionierende Satelliten in Umlaufbahnen«, resümierte der Verteidigungsminister. »Ungefähr achtzig sind gegenwärtig in Position. Während der vergangenen Wochen haben die Russen sie so schnell ausgeschaltet, wie wir sie starten konnten.«

»Warum reparieren wir nicht die ausgefallenen Satelliten?«

»Das ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit, Herr Präsident«, antwortete General Hofstader. »Es ist billiger, einen in Serie produzierten unbemannten Satelliten zu starten, als einen Reparaturtrupp hinauszuschicken, um ausgefallene Satelliten in Ordnung zu bringen.«

Der Präsident schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Als es um die Finanzierung des Programms ging, klagte alle Welt über die so überaus kostspieligen Hochleistungslaser, die für das Satellitennetz benötigt werden …«

Der General gestattete sich ein knappes Lächeln. »Jawohl, das ist richtig. Aber noch kostspieliger ist es, eine oder gar mehrere Reparaturmannschaften in Umlaufbahnen zu halten und je nach eintretendem Bedarf zu lenken. Die Unterhaltung und Versorgung unserer bemannten Überwachungs- und Befehlszentralen ist schon teuer genug, dabei sind sie in den Raumstationen untergebracht, die bereits existierten, als wir dieses Programm einleiteten.«

»Ich sehe.« Aber der Präsident schüttelte dabei den Kopf, als glaube oder verstehe er nicht wirklich, was ihm gesagt wurde.

»Unterdessen«, fuhr der Verteidigungsminister unerbittlich fort, »nimmt die Zahl der russischen Satellitenstarts weiter zu. Das wird aus der mittleren Darstellung ersichtlich. Heute haben sie neununddreißig ABM-Satelliten in Umlaufbahnen stationiert. Vor vier Wochen hatten sie erst dreißig, obwohl wir während dieser Zeitspanne elf von ihren Satelliten fanden und zerstörten. Wenn wir nicht etwas dagegen unternehmen, werden die Russen ihr Satellitennetz in einem weiteren Jahr fertigstellen – im günstigsten Falle in achtzehn Monaten. Und wir werden – wenn wir die gegenwärtige Entwicklung fortschreiben – zu diesem Zeitpunkt weit von einem vollständigen Satellitennetz entfernt sein.«

»Damit hätte der Russe gewonnen«, sagte der General.

»Und nicht lange, und er würde hier sitzen und Ihnen seine Bedingungen diktieren«, krächzte der stämmige Mann am anderen Tischende.

Der Präsident rieb sich den Nasenrücken. »Nun, was schlagen Sie vor, meine Herren?«

Der Verteidigungsminister beugte sich ein wenig vor, spreizte eine Hand und zählte die Punkte an den Fingern ab. »Erstens müssen wir unsere eigenen Satellitenstarts um mindestens fünfzig Prozent erhöhen. Eine Verdoppelung der gegenwärtigen Rate wäre vorzuziehen.

Zweitens müssen wir unsere Abschussquote an russischen Satelliten erhöhen, andernfalls werden sie uns in einigen Monaten überholen.

Drittens müssen wir uns auf die Notwendigkeit vorbereiten, Präventivschläge gegen ihre das ABM-System steuernden Raumstationen zu führen. Eine erfolgreiche Aktion dieser Art könnte das gesamte Satellitennetz für Monate lahmlegen.«

»Sehr richtig!«, stimmte der Luftwaffengeneral zu.

Der Präsident benötigte einen Augenblick, um die Tragweite dessen zu erfassen, was da vorgeschlagen wurde. Dann reagierte er mit Entrüstung. »Sie meinen, wir sollten die bemannten Raumstationen der Russen angreifen? Das würde Krieg bedeuten!«

»Nicht unbedingt«, konterte der Minister ruhig. »Selbst wenn ein paar russische Techniker und Kosmonauten dabei ums Leben kämen, würde die Regierung deswegen wahrscheinlich nicht in den Krieg ziehen. Unsere Computeranalyse gibt einen Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als vierzig Prozent an. Vergessen wir nicht, dass keine Seite bisher öffentlich zugegeben hat, dass im Weltraum militärische Operationen stattfinden. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass die Russen nicht angreifen werden, wenn wir mehr funktionierende ABM-Satelliten draußen haben als sie.«

»Entschuldigen Sie, da bin ich genau entgegengesetzter Meinung«, entgegnete der Außenminister, und die Erregung verlieh seiner Stimme einen hohen und nasalen Ton. »Ich glaube, dass gerade eine solche Konstellation die Russen zum Angriff veranlassen wird. Wenn ihnen klar wird, dass wir unser ABM-Netz fertigstellen können, bevor es ihnen möglich ist, werden sie angreifen. Die politische und militärische Logik würde ihnen gebieten, dass sie den Angriff führen, ehe wir sie hoffnungslos an die Wand gespielt haben. Genauso würden wir handeln. Für Sie, General, wäre auch das ein zwingend gebotener Präventivschlag, nicht wahr?«

General Hofstader schüttelte den Kopf. Der Verteidigungsminister bedachte seinen Kollegen vom Außenressort mit einem missvergnügten Blick.

Der Präsident sagte: »Ich möchte nicht das Risiko auf mich nehmen, einen Nuklearkrieg auszulösen, und ich möchte keine unnötigen Provokationen, bei denen eine Menge Menschen ums Leben kommen.«

»Herr Präsident, ich spreche diese Empfehlungen nicht leichtfertig aus«, sagte der Verteidigungsminister. »Das Leben der Nation steht auf dem Spiel, unsere und unserer Kinder Zukunft, und …«

»Das ist mir klar«, sagte der Präsident. »Aber wenn ich Ihrem Vorschlag folgte und die russischen Orbitalstationen zerstören ließe, würde ich wahrscheinlich einen Krieg auslösen, der uns und unsere Kinder um jede sinnvolle Zukunft bringen würde. Sie können unsere Satellitenstarts vermehren und mehr russische Satelliten als bisher funktionsunfähig machen – das heißt, dass ich mit Ihren ersten zwei Vorschlägen einverstanden bin. Aber Angriffe auf bemannte Raumstationen oder Bürger eines anderen Landes kommen nicht in Frage.«

»Wir könnten im Laufe der Zeit dazu gezwungen sein«, murmelte der Minister.

»Was unternehmen wir, wenn der Russe unsere bemannten Raumstationen angreift?«, fragte der Luftwaffengeneral.

Der Außenminister lehnte sich zurück und blickte zur Decke auf.

»Darüber werde ich zur gegebenen Zeit entscheiden«, erwiderte der Präsident, dessen Geduld sichtlich erschöpft war. »Keine Angriffe auf Ziele, bei denen Menschen zu Schaden kommen könnten. Zumindest vorläufig nicht.« Er nickte dem Innenminister zu und sagte: »Damit kommen wir zum ersten Punkt auf der Tagesordnung. Diese Hungerrevolten in Detroit und Cleveland …«

In Selene war es Spätnachmittag. Die Uhr auf Kinsmans Schreibtisch zeigte sechzehn Uhr fünfzig.

Er war gerade ins Büro zurückgekehrt, nachdem er den größten Teil des Tages in verschiedenen Bereichen der unterirdischen Gemeinde gewesen war, Leute bei der Arbeit besucht, Probleme und Sorgen angehört und dafür gesorgt hatte, dass jeder in dem sicheren Bewusstsein leben konnte, dass es direkten Zugang zum Kommandanten gab und man nicht gezwungen war, den zeitraubenden Instanzenweg zu gehen, um etwas zu erreichen.

Sein Telefon summte, und er schaltete ein und warf sich auf die Couch.

Einer der Bildschirme leuchtete auf und zeigte das Gesicht eines jungen Mädchens. Es war ihm fremd, also musste sie zu den Neuankömmlingen gehören. »Wir haben vom Luftwaffenstützpunkt Patrick eine Nachricht der höchsten Dringlichkeitsstufe erhalten, Sir«, sagte sie ernst, beeindruckt von der Wichtigkeit ihrer Arbeit. »Hauptmann Maddern dachte, Sie würden sie lesen wollen, sobald der Computer sie dechiffriert hat.«

»Richtig«, sagte Kinsman. »Ich bin gleich dort.«

Nachrichten der höchsten Dringlichkeitsstufe wurden immer durch Boten übermittelt. Mit den Russen als Nachbarn war es praktisch unmöglich, das Abhören von Radio- und Telefonverbindungen zu verhindern.

Kinsman brauchte fünf Minuten für den Weg zur Nachrichtenzentrale. Der Korridor war schmal, niedrig und nicht sehr gerade. Die Wände waren roh behauenes Gestein, mit Kunstharz besprüht, um es luftdicht zu machen. Katakomben, dachte er. Man musste diesen Stollen eines Tages erweitern oder wenigstens verkleiden. Die Beleuchtung bestand aus langen Rohren, die keine starke sichtbare Helligkeit verbreiteten, aber für das Gedeihen des Grasteppichs infrarote und ultraviolette Strahlung aussandten.

Die Nachrichtenzentrale war ein Bienenstock aus Schreibtischen, elektronischen Eingabegeräten, Empfangsanlagen und Bildschirmen, die Selene mit den drei großen bemannten Raumstationen verbanden. Durch die Raumstationen konnte die Mondbasis mit jedem Ort auf der Erde Verbindung aufnehmen. Auch die Russen hatten ihre bemannten Raumstationen und ein völlig unabhängiges eigenes Nachrichtensystem.

Eine umlaufende Galerie umrahmte den eigentlichen Arbeitsraum der Zentrale. Kinsman trat ans Geländer und blickte in das lärmende Durcheinander hinab. Maschinen summten und ratterten, Leute eilten geschäftig hierhin und dorthin und verständigten sich mit Gesten und Zurufen. Dantes Inferno, dachte er … oder, besser gesagt, Marconis Inferno.

Auch auf der Galerie waren Arbeitsplätze und geschäftige Leute, aber es ging hier ruhiger zu als unten in der ›Grube‹. Kinsman ging weiter, eine Hand am Geländer, bis er die Chiffrierabteilung erreichte. Sie war zum Schutz gegen den Arbeitslärm mit Trennwänden aus Plastik und Glas vom Rest der Galerie abgeteilt.

In der Abteilung waren vier Arbeitsplätze um einen Computer gruppiert, über dessen Ausgabestation eine Signalleuchte blinkte. Nur zwei der Schreibtische waren besetzt. An einem saß die Frau, die mit der letzten Fähre gekommen und ihm aufgefallen war. Sie beobachtete ein Bildschirmgerät auf ihrem Schreibtisch, das einzelne Worte vorführte.

»Kaum angekommen und schon bei der Arbeit«, sagte er und zog einen Stuhl heran.

»Oh, hallo.« Sie warf ihm einen Blick zu, aber diesmal war kein Lächeln auf ihrem Gesicht zu entdecken. Sie wandte sich wieder der Tastatur des Bildschirmgeräts zu und schaltete es aus.

»Ist das die Nachricht für den Stützpunktkommandanten, die gerade dechiffriert wird?«

Sie zögerte einen Augenblick lang. »Sie ist geheim«, sagte sie abweisend. »Darf nur von autorisiertem Personal gelesen werden.«

Kinsman nickte. »Meinen Sie, dass es eine gute Idee wäre, den Stützpunktkommandanten seine eigene Post lesen zu lassen, bevor Sie sie Fremden zeigen?« Sie hatte faszinierend schöne Augen.

Sie lächelte, blieb aber fest. »Die Meldung ist an den Stützpunktkommandanten adressiert.«

»Dann können Sie sie mich ruhig lesen lassen.«

Sie wollte den Kopf schütteln, dann kam ihr die Erleuchtung, und sie sagte: »Sind Sie etwa der Stützpunktkommandant?«

Er lachte. »Ertappt. Ich bin Chet Kinsman. Wollen Sie meinen Ausweis sehen?«

»Ich fürchte, das wird nötig sein. Warum tragen Sie keine Rangabzeichen?«

Kinsman griff in die Brusttasche seines Arbeitsanzugs und zog eine abgenutzte, verbogene Plastikkarte hervor. »Mein Heiligenbild.«

»Heiligenbild?«

»Die Leute sehen es an und sagen: ›Allmächtiger Gott, sind Sie das?‹«

Sie lachte, was ihr sehr gut stand. »Sie haben Ihr Haar wachsen lassen. Es tut mir leid, dass ich Sie nicht erkannt habe; ich bin neu hier.«

»Ich weiß«, sagte er und ließ sich die Karte zurückgeben. »Wie heißen Sie?«

»Ellen Berger.«

»Willkommen in Selene, Ellen.«

»Kennen Sie alle Bewohner des Stützpunkts?«, fragte sie.

»So ungefähr. Es gibt nur etwa tausend, die Russen mitgerechnet. Warum fragen Sie?«

»Ich fragte mich, woher Sie wussten, dass ich hier neu bin.«

»Nun, oben in der Kuppel gingen Sie wie eine Anfängerin. Außerdem hätte ich davon gewusst, wenn Sie schon einmal hier gewesen wären. Sie sind zu hübsch, um unbemerkt zu bleiben.«

Ihre Augen blitzten. »Also stimmt es, was die Mädchen mir sagten.«

»Was sagten sie denn?«

»Dass Sie keine Zeit verlieren.«

»Hm. Das hat man Ihnen gesagt?«

Sie nickte.

»Nun, wenn ich schon im Ruf stehe, ein Mann schneller Entschlüsse zu sein – wann haben Sie Feierabend?«

»Meine Schicht endet um achtzehn Uhr.«

»Fein. Hätten Sie Lust, an einer improvisierten Geburtstagsfeier teilzunehmen? Oben in der kleinen Kuppel, beim Schwimmbecken.«

Sie zögerte keinen Augenblick. »Hört sich vielversprechend an.«

»Gut. Ich hole Sie um zwanzig Uhr ab.«

»Einverstanden. Wessen Geburtstag wird gefeiert?«

»Meiner.«

»Ihrer. Eine improvisierte Geburtstagsfeier für Sie?«

Kinsman lächelte. »Ich wäre ein schlechter Stützpunktkommandant, wenn ich nicht wüsste, was vorgeht, nicht wahr? Können Sie gut erstaunt tun?«

»Das weiß ich wirklich nicht!«, sagte sie lachend.

»Na, dann werden wir es versuchen. Aber wie wäre es jetzt mit meiner Nachricht?«

»Soll sie auf Papier sein?« Sie streckte die Hand nach der Tastatur aus. »Wir dürfen Papierkopien nur auf besondere Anweisung machen. Papier ist sehr knapp.«

»Wem sagen Sie das? Ich habe hier oben eigenhändig vier Bäume gepflanzt. Aber da ist das wiederverwendbare Plastikmaterial – in dem Behälter neben der anderen Eingabestation.«

Sie ging hinüber und holte eine der wiederverwendbaren Plastikkarten. Mit einem Lappen, den sie in ein chemisches Lösungsmittel tauchte, wischte sie ab, was auf der Karte stand, dann spannte sie sie in die Schreibmaschine ein, beugte sich über das Eingabegerät und drückte sehr vorsichtig verschiedene Tasten.

»Ich muss achtgeben«, sagte sie. »Die Bedienung solcher Anlagen ist bei diesen Schwereverhältnissen sehr ungewohnt, und ich war sowieso nie sehr gut darin.«

Die Schreibmaschine auf ihrem Beistelltisch begann plötzlich wie wild zu hämmern. Mit übermenschlicher Geschwindigkeit ratterte sie Zeile um Zeile heraus, um schließlich stehenzubleiben. Ellen zog die Plastikkarte heraus und reichte sie Kinsman.

»Sie müssen dafür unterschreiben«, sagte sie.

Er nickte, schrieb seinen Namen in die dafür vorgesehene Spalte des Quittungsbuchs und schob es ihr hin. Als er aufstand, nickte er ihr zu und sagte: »Wir sehen uns also um zwanzig Uhr.«

»Sie wissen nicht, wo ich untergebracht bin.«

»Ich werde Sie schon finden«, sagte er.

Als er in die leere Stille des Korridors hinaustrat, las er die entschlüsselte Botschaft:

AN: OBERST C. A. KINSMAN, MBS

1. DEZ. 99

PRIORITÄT: 110

RMM 99 – 2074

SICHERHEITSVERMERK: STRENG GEHEIM

VERSTÄRKTE OPERATIONEN IM ORBITALBEREICH ERFORDERN LOGISTISCHE UND PERSONELLE UNTERSTÜTZUNG DURCH DIE MONDBASIS. ERBITTE DRINGEND IHRE SCHÄTZUNG ÜBER DIE FÄHIGKEIT DER MONDBASIS, AB SOFORT LOGISTISCHE UNTERSTÜTZUNG FÜR ZEHN (10) BEMANNTE SUCHOPERATIONEN PRO TAG BEREITZUSTELLEN, DAZU PERSONELLE AUSHILFEN FÜR SUCHOPERATIONEN SOWIE WARTUNGSPERSONAL FÜR DIE STATIONEN ALPHA, BETA, GAMMA. DIE PRIORITÄTSEINSTUFUNG FÜR DIESE ANFORDERUNGEN IST 110. BETRACHTEN SIE DIE BEKANNTGABE VON ALARMSTUFE 2 ALS UNMITTELBAR BEVORSTEHEND. ALARMSTUFE 1 IST MÖGLICH. BENÖTIGTE DETAILLIERTE ANTWORT INNERHALB VON VIERUNDZWANZIG (24) STUNDEN.

B. GEN. R. M. MURDOCK

STABSCHEF USAF OP. BCH. 2

Kinsman stand im menschenleeren Korridor und starrte auf die gelbliche Plastikkarte in seiner Hand. Und auf einmal durchlief ihn ein Zittern, das den Körper erfasste, so dass er die Schultern einzog und den Kopf auf die Brust sinken ließ, während sein inneres Auge alles noch einmal sah: den schwerelosen, geräuschlosen, albtraumhaften Zeitlupenkampf; den sich langsam um die eigene Körperachse drehenden Schutzanzug des Kosmonauten vor dem Hintergrund feierlich entrückter Sterne; das im jähen Entsetzen der Todesgewissheit erstarrte Gesicht im Innern des Helms.

Sie werden es tun, schrie sein gequältes Bewusstsein ihn an. Sie werden mich dazu bringen, dass ich wieder töte.

Mittwoch, 1. Dezember 1999, 21.20 Uhr EZ

Für alle Operationen im Weltraum galt die Einheitszeit. Diese Regelung galt nicht nur für die Mondbasis, sondern ebenso für alle erdnahen Unternehmungen im Weltraum.

Frank Colt, eingeschlossen in der Enge seiner Einmann-Raumkapsel, warf einen Blick auf die Treibstoffanzeige.

»Alpha an Mark Eins«, sagte eine laute Stimme in seinen Kopfhörern durch das anhaltende Knistern der Störgeräusche. »Ich wiederhole: Ihre Treibstoffreserve nähert sich dem roten Bereich.«

Colt stand aufrecht, schwerelos in der kompakten Raumkapsel. Das Äußere seines Fahrzeugs ähnelte mit seinen überall herausragenden Gelenkarmen und Antennen einer Spinne. Im Innern war Raum für einen Mann, der wie ein Trambahnfahrer alter Zeiten am Bedienungspult stehen musste.

Colt war Luftwaffenmajor, einer der wenigen Farbigen unter den Astronauten. Er hatte die letzten Stunden auf der Jagd nach ›nicht identifizierten‹ Satelliten mehrfach die Umlaufbahn geändert und manövrierte seine Kapsel auch jetzt wieder in eine neue Flugbahn. Ein paar hundert Kilometer entfernt und zu seiner Linken breitete die Erde ihre blaue und weiße Schönheit aus. Die blendenden Wolkenwirbel von Tiefdruckgebieten umgrenzten den Südatlantik, die Küste Südwestafrikas war ein dünner graugelber Dunst am Horizont, der rasch näher rückte.

Major Colt hatte keine Zeit, die wechselnden Aussichten zu genießen. Trotz der Klimatisierung schwitzte er in seinem Raumanzug, ständig schliefen ihm die Füße ein, und überall juckte es ihn.

Auch die Arbeit war ihm Anlass zur Verdrießlichkeit. Sein Radargerät hatte während der laufenden Operation bisher vier ›nicht identifizierte‹ Satelliten geortet, und sie hatten sich allesamt als Köder erwiesen: nichts als metallisierte Ballons. Keine Markierungen oder Beschriftungen, aber jeder wusste, dass sie aus Russland kamen, wenn sie nicht in den Vereinigten Staaten hergestellt worden waren.

»Kommen Sie, Frank, geben Sie es auf. Sie müssen jetzt umkehren, oder ich muss den Operationschef verständigen und um Bereitstellung einer Rettungskapsel bitten.«