Jarlsblut-Saga Der achte Band - Rainer W. Grimm - E-Book

Jarlsblut-Saga Der achte Band E-Book

Rainer W. Grimm

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Beschreibung

Der Kreis hat sich geschlossen, und Jarl Einar ist wieder Herr über die Insel Tautra. Doch der Reichtum der Jarls von Tautra ist verschwunden. So macht sich Einar auf die Suche nach dem Schatz der Inseljarls. Dabei entdeckt er eine Kriegerin aus der Gefolgschaft seiner Schwester Thordis, die als Sklavin auf dem Markt verkauft wird. Einar rettet das Weib, erfährt so von der Zerschlagung der Schildmaiden, und begibt sich im Reich der Dänen, auf die Suche nach seiner Schwester Thordis. Als der Dänenkönig Horik eine große Flotte aufstellt, um auf der Insel der Angelsachsen zu Heeren, und um die Stadt Londinium zu überfallen, schließt sich Jarl Einar diesem an. Doch ein Sturm auf See trennt die Flotte, und als Einars Schiff die Insel erreicht, erwartet ihn eine Überraschung. Während der Jarl mit seinen Kriegern in Britannien auf Raubzug weilt, machen sich in Tautra Verschwörer daran, den Jarl zu stürzen. Doch Thorberg, der Schwager Jarl Einars, setzt alles daran, dies zu verhindern.

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RAINER W. GRIMM wurde 1964 in Gelsenkirchen / Nordrhein -Westfalen, als zweiter Sohn, in eine Bergmannsfamilie geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie und seinen beiden Katzen im längst wieder ergrünten Ruhrgebiet. Mit fünfunddreißig Jahren entdeckte der gelernte Handwerker seine Liebe zur Schriftstellerei. Als unabhängiger Autor veröffentlicht er seitdem seine historischen Geschichten und Romane, die meist von den Wikingern erzählen.

INHALTSVERZEICHNIS

DAS NEUE TAUTRA

DER SCHATZ DER ALWARA

GÄSTE IN STEINKJER

AUF DER SUCHE

EINARS WUT

THORDIS PLAN

WIKINGFAHRT

AN BRITANNIENS GESTADEN

EIN UNERWARTETES WIEDERSEHEN

DAS BÜNDNIS DER KÖNIGE

DER ÜBERFALL

DIE ERSTE SCHLACHT

DAS URTEIL

BELAGERUNG

IM PIKTENLAND

EINE ALLIANZ ZERFÄLLT

1. DAS NEUE TAUTRA

Es war das Geschrei des Säuglings, welches dafür gesorgt hatte, dass Jarl1 Einar sein bequemes Schlaflager verlassen, und sich einen Schlafplatz im Freien gesucht hatte. So lag er nun auf einem grasbewachsenen Hügel hinter dem Jarlshaus, und sah zum Himmel hinauf.

Irgendwo dort oben muss Asgard2 sein, dachte er. Nun hatte er zwar seine Ruhe, konnte aber trotzdem nicht schlafen. Es war der achte Vollmond des Jahres 835 n. Chr. und seit etwas mehr als einem vollen Mond, war Einar nun wieder der Jarl von Tautra, jener kleinen Insel im großen Ladefjord3.

Noch war gar nicht so viel Zeit vergangen, seit er Andur, die Königin des Trøndelag4 und geliebte Gemahlin des Ladekönigs Grjotgard5 aus den Händen Borkells des Schwarzen gerettet hatte. Der König hatte sich mit seinem einstigen Hauptmann Borkell zerstritten, und dieser hatte ihm Rache geschworen. Da stahl Borkell zwei Schiffe des Königs, und ging im Fjord auf Raubfahrt. Doch die Überfälle auf die Händler im großen Fjord, hatten dem Wikinger Borkell nicht gereicht. Und so hatte er die Königin in seine Gewalt gebracht, um von Grjotgard ein Lösegeld zu erpressen. Königin Andur aber war dem Einar immer eine treue Freundin gewesen, und der Borkell war sein erklärter Erzfeind. Darum gab es für den Jarl keine andere Wahl, als die Jagd auf den einstigen Hauptmann zu eröffnen. Einar Thordsson hatte sich geschworen die Fehde mit dem König endlich zu beenden, denn einst war er mit dem Grjotgard in Freundschaft verbunden. Und die Rettung der Andur sollte dazu beitragen, wenn die Götter von Asgard ihm dabei ihr großes Heil schenken würden.

Bald darauf hatte er Königin Andur dem Wikinger Borkell tatsächlich entrissen, und diesen in das Totenreich geschickt. Und die gerettete Königin hatten sie zu ihrem Gemahl zurückgebracht. Zum Dank dafür, hatte der König der Trøndner6 dem einstigen Feind sein altes Lehen auf Tautra angeboten. Grjotgard versprach dem Jarl, dass die Fehde nun endgültig beendet sei.

Die Nornen7 spannen weiter an Einars Schicksal, wie sie es schon lange Taten. Und sie schienen Gefallen daran zu finden, seinem Leben immer wieder eine neue Wendung zu geben. Denn hatte er den Zwist mit König Grjotgard endlich beigelegt, war in seinem zuhause im Süden nun der Streit mit König Ragnar8 von Ranrike9 entfacht. Dieser war immer noch Einars Lehensherr, und er war ihm zu Gehorsam verpflichtet. Doch statt diesem auf einen Raubzug nach Britannien zu folgen, wie er es versprochen hatte, hatte sich Jarl Einar in das Trøndelag, hoch im Norden von Norwegen begeben, und der Königin Andur beizustehen. Und Ragnar Sigurdsson zeigte sich wegen des Treuebruchs äußerst erbost. Da kam es, dass sich Einar von König Ragnar freisprach, und sein Dorf Askby in dem Gau Ranrike aufgab, um zurück nach Tautra zu segeln. Nur wenige aus Einars Gefolgschaft blieben im Süden zurück, denn bei ihnen war der Hass auf König Grjotgard größer, als der auf König Ragnar.

Jetzt war mehr als ein voller Mond vergangen, und Einar war wieder der Jarl in Sørhamna, der Siedlung auf der Südinsel von Tautra. Er war heimgekehrt, auf die Insel seiner Jugend. Alles war gut!

Der König in der großen Siedlung Lade10 hatte ihm, auf Drängen der Königin, für dieses Jahr die Steuern erlassen, damit er die Insel wieder zu ihrer einstigen Größe zurückführen konnte. Viele der Menschen, die er aus Ranrike mitgebracht hatte, waren auf die Nordinsel gegangen, und hatten dort dem Dorf Nordbuktavik neues Leben eingehaucht.

So wie seine Ziehschwester Ferun und ihr Gemahl Thorberg. Diese hatten wieder ihr altes Haus bezogen, welches sie vor zwei Wintern verlassen hatten, um Einar in den Süden zu folgen. Und auch andere hatten leerstehende Häuser zu ihrem Eigentum erklärt. Auch vier neue Höfe waren auf der Insel entstanden, was Einar gefreut hatte.

Bereits in kürzester Zeit zeigte sich, dass sich etwas geändert hatte. Die Worte, die Einar als neuer Jarl an sein Gefolge gerichtet hatte, hatten Gehör gefunden und die Euphorie des Neuanfangs in der alten Heimat war groß. Schon wenige Tage nach dem Einars Schnigge11 mit dem Namen Wellenwolf aus Lade zurückgekommen war, und im Hafen von Sørhamna festgemacht hatte, rief der Jarl die Bewohner der Insel auf dem Platz vor der großen Jarlshalle zusammen. Und er hatte sie darauf eingeschworen, dass die Zeit unter Jarl Thorsti der Vergangenheit angehörte. Alle wussten was dies bedeutete! Die meisten begrüßten es, doch es gab auch Zweifler, die von Thorstis Art zu regieren profitiert hatten. Sie unterdrückten die Schwächeren und bereicherten sich an ihnen.

Thorsti, den man den Schönling genannt hatte, war ein schwacher Anführer gewesen. Unter ihm hatte sich die Insel zum Schlechten gewandelt. Doch nun würde sich das wieder ändern! Dies hofften die meisten Bewohner der Insel.

„Die Götter haben bestimmt, dass ich nach Tautra zurückkehren sollte. Und nun bin ich wieder hier!“ So hatte er begonnen, und viele auf dem Platz jubelten ihm zu, aber nicht alle. „Ich werde Tautra zu neuem Reichtum führen.

Und keiner wird im Winter Hunger leiden müssen.“ Er sah von einem zum anderen. „Wir werden die Vorratshäuser füllen, bevor der erste Schnee kommt. Jeder wird seinen Teil abgeben. „Er zeigte auf Raban, den Mann, der als sächsischer Sklave zu den Kriegern des Jarls gestoßen war.

Der kahlköpfige Raban war groß und durchaus muskulös.

Er beherrschte die Sprache der Nordleute, als spreche er diese seit seiner Geburt. Und er hatte mehr als einmal bewiesen, dass er dem Jarl mit dem roten Auge treu ergeben war. „Raban hier, wird dafür Sorge tragen, dass sich das Vorratshaus fühlt, und dass jeder seinen Teil dazu beiträgt.“

Der Sachse nickte zustimmend.

„Du bist kaum angekommen, da willst du uns schon ausnehmen?“, rief ein Mann erbost. Einar Blutauge sah den Mann mit freundlichem Blick an, und hielt auch Raban zurück, der bereits die Treppen des Langhauses hinunterwollte. „Wie ist dein Name?“, fragte Einar den Rufer. „Ich bin Siegmar, der Fischer!“

„Ja, du hast ein Haus an der Südküste des Sees“, erkannte Einar den Mann. „Du bist der Sohn von Fiskefelle Sven! Ich kannte dich schon als wir noch junge Burschen waren, und ich mit meinem Vater Thord zum Fischen auf den See fuhr.“

Da nickte Siegmar. „Ja, so ist es, Jarl Einar. Und doch willst du uns unseres Fanges berauben?“

„Der Winter wird kommen, und es muss genügend Vorrat für alle angeschafft werden“, sprach Einar eindringlich, und hoffte auf Verständnis. „Eure Abgaben werden neu geregelt, denn im nächsten Jahr wird auch König Grjotgard seine Steuern von uns verlangen. Doch in diesem Winter heißt es alle Inselbewohner zu versorgen.“ Siegmar verstand, was dies bedeutete. Sie sollten die Neuankömmlinge durch den Winter füttern, und dies gefiel ihm ganz und gar nicht. Nun ergriff Raban das Wort, und er sollte die Gedanken des Fischers sofort bestätigen. „Jeder wird seinen Teil abgeben müssen, denn die Leute aus Ranrike kamen mit leeren Händen nach Tautra zurück. Dein getrockneter Fisch wird eingelagert, genau wie der Anteil der anderen Fischer. Wie das Fleisch der Jäger, wie das Schweinefleisch der Viehzüchter und dass Korn der Bauern. Verstehst du das Fiskefelle Siegmar?“

„Warum soll ich die Ranriker durch den Winter füttern?“, blieb der Siegmar stur. Da wurde Raban nun lauter, und seine Stimme veränderte sich. Er musste sich wirklich zusammenreißen, denn er war durchaus in Versuchung diesen Fischer ordentlich durchzuprügeln. Doch Einar hielt ihn zurück. „Der Fiskefelle Hof wird seinen Teil geben, Siegmar, und niemand auf Tautra wird Hunger leiden. Du nicht, so wie deine Familie. Und auch nicht die Ranriker, wie du uns nennst. Das ist mein Befehl!“ Beleidigt wandte sich Siegmar ab, und verließ schnellen Schrittes den Platz. Der größte Teil der Bevölkerung zeigte sich mit dem Vorhaben des Jarls einverstanden. In den letzten Wintern hatten sie oft Tote beklagen müssen. Meist Alte die in ihren Hütten verhungert oder erfroren waren, oder die Kinder und Neugeborenen. Und dieser Jarl wollte, dass so etwas nicht mehr geschah.

Raban sorgte dafür, dass die alten Vorratshäuser, die noch aus den Zeiten Jarl Einars stammten, wiederaufgebaut wurden. Und er begann damit, diese zu füllen. Bei einigen Bauern und Fischern kam es zu Handgreiflichkeiten. Doch der Sachse und seine Männer waren durchaus in der Lage, diese schnell zu beenden.

Seit diesem Tag hatten die Bewohner der Insel Hand in Hand gearbeitet. Sie hatten Häuser wiederhergerichtet oder neu aufgebaut. Und die Gefolgschaft, die mit Einar nach Tautra gekommen war, hatte den Bauern, Fischern und Viehzüchtern bei der Arbeit geholfen. Denn noch hatten sie keine eigenen Felder oder Viehbestände die ihre Zeit und Arbeitskraft benötigten. Und jetzt, nachdem mehr als ein voller Mond vergangen war, zeigte sich bereits, dass der Zusammenhalt den Einar befohlen hatte, tatsächlich Früchte trug.

*

Langsam senkten sich nun die Augenlieder, und das Glitzern der Sterne begann zu verblassen. Da spürte Einar eine Berührung. Er öffnete die Augen, wollte zum Messer greifen, und erkannte das schöne Gesicht der Ilva. „Mein Bett ist so leer“, flüsterte sie traurig, und legte sich neben den Mann in das hohe Gras. „Der kleine Thord schläft jetzt bei der Sif, so wie Thorvi und Ulf auch. Wir könnten wieder ins Haus zurück.“ Da winkte Einar ab.

„Oh nein! Es ist doch angenehm warm hier, und nicht so stickig wie in der Kammer.“ Ilva legte ihren Kopf auf Einars Brust ab. „Schau dir nur diesen Himmel an. Sieh nur, wie die Sterne glitzern und funkeln.“ Er zeigte in den dunklen Nachthimmel. „Ob uns die Götter von dort oben beobachten?“, fragte er, und Ilva zuckte mit den Schultern.

„Bestimmt!“

„Ob auch wir eines Tages von dort auf Midgard12 herabschauen?“

„Das weiß ich ni…“ Mehr sagte Ilva nicht, und nur ein leises Schnarchen drang an Einars Ohren. Er lächelte zufrieden.

Es war wirklich sehr warm in dieser Nacht, und daher war die Unruhe des Säuglings nicht verwunderlich. Aber nun war es die obodritische Sklavin Sif, die schon so lange zum Hausstand des Einar gehörte, die sich liebevoll um die Kinder kümmerte. Und so schloss der Jarl seine Augen, und seinen Arm um sein Weib, und bald darauf schlief auch er ein.

Der achte Monat neigte sich dem Ende zu, und der Jarl rief seine Gefolgschaft in die große Methalle. Denn an jedem Monatsende, wenn der Mond seine volle Rundung erreichte, ließ er sich bei einem kleinen Thing13 von ihnen berichten.

Vom Fortschritt der Arbeiten an den Gebäuden. Von der Arbeit auf den Feldern, denn es war nun die Zeit der Ernte14 gekommen. Und auch die unangenehmen Dinge kamen nun zur Sprache. Streitigkeiten unter Nachbarn, Ehestreitereien, Diebstahl und auch schwere Verbrechen, die man ihm vorher angezeigt hatte. Diese waren auf Tautra unter Jarl Thorsti gar nicht selten gewesen. Denn als der Schönling und sein Weib Alwara noch das herrschende Paar auf Tautra waren, störte sie die Verrohung ihrer Gefolgschaft wenig.

Dies sollte nun unter Jarl Einar wieder anders werden. Aber es gab Männer, die das Leben unter Thorsti und seinem Weib, der Base des Königs, gar nicht so schlecht fanden.

Männer die ihren Willen durchzusetzen wussten. Auf die eine oder andere Art.

Es war der Abend des ersten Odinstages nach dem Vollmond, an dem Jarl Einar die Gefolgschaft in die Jarlshalle von Sørhamna rief. Und die Menschen kamen zahlreich. Schließlich war es das zweite Zusammentreffen seit der Ankunft der Ranriker, wie die Ankömmlinge aus dem Süden, zum Ärger des Jarls, immer noch genannt wurden. Und bei der ersten Versammlung hatte noch nicht viel stattgefunden. Nun aber, war mehr als ein voller Mond vergangen. Es hatte einige Vorfälle gegeben, die besonders die Ranriker betrafen.

Auf dem Podest stand der Hochstuhl des Jarls, und daneben der der Jarlsgattin. Und seitlich davon standen die Stühle des Rates. Auf diesen Stühlen nahmen der große, blonde Olaf, Kjelt, der Steuermann des Wellenwolfes, und Ubbe ihre Plätze ein. Dazu kamen noch Thoke, der Zimmermann und der einstige Sklave Raban. Ein Stuhl blieb leer, denn auf diesem hatte zuvor Ilva gesessen. Doch diese war nun, nach dem Tode der einstigen Jarlsgattin Alma, die erste und einzige Gemahlin Einars. Und ihr gebührte der Hochstuhl an der Seite des Jarls.

Alle Plätze an den Tischen waren besetzt, und so standen die vielen Besucher an den Wänden, um dem Geschehen beizuwohnen. Von der ganzen Insel waren sie gekommen.

Die Fischer von den Küsten und vom großen See in der Mitte der Insel. Die Bauern, die ihre Höfe über der ganzen Insel verteilt hatten, und auch die Bewohner von Nordbuktavik waren über die lange, schmale Landbrücke nach Sørhamna gekommen. Allen voran Thorberg, der der Schwager des Jarls war. Er wurde begleitet von Ferun, seinem Weib, die die Tochter des alten Jarls Oyvind war, der Einar vor so langer Zeit adoptiert hatte.

Natürlich kam auch sein Schwager Hrani, welcher der Bruder der Ferun war, und als Knecht im Haus Thorbergs lebte. Liebend gern wäre Thorberg diesen losgeworden, doch fühlte Hrani sich im Haushalt seiner Schwester doch recht wohl. An der Hand der Ferun ging die kleine Hrana, welche nun schon fünf Winter zählte. Sie war ein hübsches Kind, mit langem, braunem, zu Zöpfen geflochtenem Haar.

So wie es ihre Mutter Ferun auch gerne trug. Und an deren Seite lief der große Hund Freki, den Thorberg nach einem von Odins Wölfen benannt hatte. Diesen mochte Jarl Einar besonders, und daher war seine Freude groß, als seine Gesippen in sein Haus traten. Anders als in Askby, wo der Jarl in der großen Jarlshalle lebte, gab es in Sørhamna ein Jarlshaus. Hier hatte einmal Ulla gelebt, die Gemahlin des einstigen Jarls Oyvind, und eine der Ziehmütter Einars.

Doch die Mutter der Ferun und des Hrani hatte im letzten Winter Midgard verlassen, und war dem alten Oyvind gefolgt. Ihr hatten es die Götter nicht vergönnt, die Rückkehr in die Heimat zu erleben.

Nun am Abend waren auch der Jarl und seine Gesippen in die große Methalle gegangen. Die Kinder ließen sie wie immer in der Obhut der Sklaven Sif und Polk.

Begleitet von sechs Kriegern seiner Leibwache, betraten der Jarl und seine Gemahlin die Halle. Erhellt vom Schein der vielen Kerzen auf den Tischen, von den Fackeln in den eisernen Haltern an den dicken Stützen, die das Dach trugen, und nicht zuletzt vom Feuer in der länglichen Feuerstelle, begrüßte sie ein wärmendes Licht. Ein lautes Stimmengewirr schallte ihnen entgegen, und ließ auch nicht nach, als der Jarl den breiten Gang zum Podest entlangging.

Thorberg und sein Weib, sowie Hrani begaben sich an einen der Tische, die den Gesippen des Jarls vorbehalten waren.

Einar und Ilva traten durch den Mittelgang, vorbei an der großen Feuerstelle, hinauf auf das Podest. Auch dort stand eine eherne Feuerschale in der die Holzscheite brannten.

Ilva nahm auf ihrem Stuhl platz. Einar blieb jedoch stehen!

Es schien, als wollte man den Jarl nicht beachten, denn es war immer noch laut in der Halle. Da trat der Krieger Rotger an eine der Säulen, an der ein Signalhorn hing. Er griff nach dem Horn, und blies kräftig hinein. Jetzt endlich verstummten die Stimmen. Einar sah den Krieger an, und nickte dankend. Dann grüßte er die Anwesenden, zeigte auf den leeren Stuhl, und sprach: „Meinem Rat fehlt eine Stimme, wie ihr sehen könnt. Diesen Stuhl will ich heute besetzen, und einen aus euren Reihen benennen, der mir mit seinem Rat zur Seite stehen soll.“ Es wurde unruhig in der Halle. Einige jubelten, andere sprachen nur miteinander. Da trat ein Mann in den Vordergrund. Dieser war Einar unbekannt, obwohl er eigentlich die meisten Bewohner der Insel schon seit langer Zeit kannte.

Er schätzte den Fremden auf mehr als dreißig Winter. Sein blondes Haar war knapp über den Ohren abgeschnitten, und sein Kinn war glattrasiert. Dafür trug er einen buschigen Schnauzbart. Der Jarl nickte dem Mann zu.

„Sei mir gegrüßt, Jarl Einar Blutauge“, sagte dieser. „Ich bin Röde. Mein Hof liegt am Westufer der Nordbucht. Ich glaube, ein Bauer wäre genau der richtige Mann, und darum biete ich mich für deinen Rat an.“ Da trat Einar langsam die drei Stufen des Podestes herab. Er musterte den Mann, der etwas größer war, als der Jarl. „Ich kenne dich nicht, Röde.

Warum sollte ich ausgerechnet deinen Rat annehmen?“

„Es gibt viele Bauern, Fischer und Handwerker auf Tautra.

Glaubst du nicht, diesen steht eine Stimme in deinem Rat zu?“, sagte der Mann frech. Da wurde es unruhig in der Halle. Einige stimmten dem Bauern Röde zu, andere aber waren erzürnt, und maulten und beschimpften ihn. Jarl Einar sah sein Weib fragend an, denn er verstand diese Reaktion der Einwohner nicht. Er trat zurück auf das Podest. „Was, bei Lokis pickeligem Arsch, geht hier vor sich?“, rief er erzürnt. Da erhob sich Rotger von der Bank, auf der er gesessen hatte. Langsam trat er durch die Menge derer, die sich nun vor dem Röde drängten. Er ging zu dem Podest, und winkte den Jarl heran. Rotger war einmal einer von Jarl Thorstis Kriegern, doch er war auch einer derjenigen, die Thorsti nach Helheim15 geschickt hatten. Dieser hatte ihnen den Befehl erteilt, gegen die Ankömmlinge aus Ranrike vorzugehen. Doch viele seiner Krieger hatten Gesippen unter den Heimkehrern, und so wandten sie sich gegen den Jarl, der einst einer von Einars Gefährten gewesen war. Jarl Einar trat heran, und beugte sich dem Rotger entgegen.

„Mein Jarl, du solltest einiges wissen, bevor du dir eine Laus in den Pelz setzt“, sprach Rotger ernst. Verwundert, aber doch interessiert sah Einar den dunkelblonden Krieger an. „Röde ist einer von Borkells Männern“, begann er, während in seinem Rücken die Gefolgschaft immer lauter stritt. „Er hat sich von Borkell losgesagt, weil ihm Thorsti Land anbot. Der Schönling brauchte Krieger, und Röde nahm das Angebot an.“

„Und da hat Röde den Borkell verlassen?“, fragte Einar, und Rotger nickte. „Er war einer der wenigen, die sich gegen uns stellten, als wir Jarl Thorsti nach Nàströnd16 schickten. Doch da ihre Zahl zu gering war, konnten sie uns nicht daran hindern, und Thorsti starb.“

„Aber, wenn er gegen mich ist, warum will er in den Rat?“, fragte Einar verwundert. „Verstehst du nicht, Jarl? Es gibt immer noch Kräfte auf der Insel, die den Tod des Thorsti betrauern. Er ließ sie wirken, wie es ihnen gefiel. Sie nahmen sich, was sie wollten. Unterdrückten ihre Nachbarn, und bestahlen sie. Und nun wollen sie natürlich ihren Spitzel an deiner Seite haben.“ Einar Blutauge sah auf, und betrachtete den Streit der Anwesenden, in dessen Mitte dieser Röde sich verteidigen musste. Heute hatte er zum ersten Mal davon erfahren, dass es Leute gab, die gegen ihn waren. „Warum erfahre ich erst jetzt davon?“ Er sah den Rotger streng an. „Oh, mein Jarl, ich dachte, du wüsstest längst von den Anhängern des Schönlings."

„Nein, das wusste ich nicht. Gut, Rotger, ich erwarte dich in meinem Haus. Du wirst mir alles berichten, was ich wissen muss“, befahl Einar, und der Krieger nickte. Dann trat er an die Säule, hängte das Horn wieder an den Nagel und begab sich auf seinen Platz an einem der langen Tische.

Einar sah noch einmal auf den Tumult, und versuchte zu ordnen, wer von den Anwesenden sich auf die Seite des Röde geschlagen hatte. Dann rief er laut: „Schluss jetzt!

Ruhe!“ Da wurden die Anwesenden wieder auf den Jarl aufmerksam. Viele schwiegen sofort, und nahmen wieder auf den Bänken platz. Andere brauchten ein wenig länger, maulten sich noch gegenseitig an. So der Fischer Siegmar und der Bauer Röde, die von dem Jarl ermahnt wurden.

Einar schien, dass diese beiden schon länger in Fehde lagen, denn sie taten sich bei dem Streit besonders hervor. „Ich will, dass ihr alle entscheidet, wer den Rat vervollständigt.

Und darum schlage ich Siegmar vom Fiskefelle Hof vor.“

Dieser sah den Jarl erstaunt an. „Also, wer stimmt für Röde?“, fragte Einar laut. Da hoben sich einige Hände, aber nicht viele. Einar zählte elf Arme, die gehoben wurden.

Und er versuchte zu erkennen, wer für Röde stimmte. Doch dies war schwierig. Nur zwei oder drei Männer erkannte Einar. „Und wer ist dafür, dass Siegmar sich meinem Rat anschließt?“

Nun hoben sich viele Arme, und es brach Jubel aus. Jarl Einar grinste, wandte sich um, und sah sein Weib an, die zustimmend nickte. Mit bösem Blick setzte sich der Bauer Röde wieder auf seinen Platz. Eigentlich hatte man von ihm Gezeter und Gebrüll erwartet, doch er schwieg beleidigt.

Der Jarl aber rief: „Ihr habt gewählt, und die Entscheidung ist gefallen. Siegmar, nimm auf dem freien Stuhl Platz. Du gehörst nun zum Rat.“ Der Fischer erhob sich, und betrat etwas unsicher das Podest, um den Worten des Jarls zu folgen. Die Männer auf den Stühlen nickten dem Fischer stumm entgegen.

„Und nun Raban, berichte. Wie geht es mit den Vorräten voran?“ Einar setzte sich auf seinem Hochstuhl, und Raban erhob sich von dem seinen. „Die Vorratshäuser haben wir repariert, und wir haben damit begonnen sie zu befüllen. Die meisten Bewohner haben ihre Abgabe geleistet“, erzählte der Kahlkopf. „Nur wenige halten sich zurück. Doch dieses Problem werde ich noch lösen.“ Jarl Einar nickte, denn er wusste, was dies bedeutete. Es wurden aber auch Stimmen laut, und zwar die, von den Bauern, Jägern und Fischern, welche die Abgabe noch schuldig waren. Mancher beschwerte sich, dass er zahlen musste, sein Nachbar aber nicht. Oder sie hatten in Erfahrung gebracht, dass die Abgabe der Nachbarn kleiner war, als die eigene. So kam es immer wieder zum Streit zwischen den Bewohnern der Insel, und dem großen Sachsen. Doch Raban legte die Mengen fest, und dabei richtete er sich nach dem Besitz der einzelnen Schuldner. Und er ließ sich nicht beirren. Auch Raban hatte bei der Abstimmung genau aufgepasst, wer für wen den Arm hob. Und diejenigen, die für Röde gestimmt hatten, waren genau die, die ihre Abgabe noch schuldig waren. Dies aber behielt der Sachse vorerst für sich.

„Wenn der Winter kommt, werden die Vorratshäuser gefüllt sein.“ Raban nickte dem Jarl zu, und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.

Nun erhob sich Olaf, und trat an den Rand des Podestes. Ihn hatte Einar zum Anführer der Leibwache gemacht. Olaf sollte eine Truppe aufstellen, die dem Jarl als Krieger dienen würde. Männer und Frauen mit denen er seine Schiffe besetzen konnte. Krieger die während seiner Abwesenheit seine Familie beschützten, und auf der Insel für Ordnung sorgten. Einar hatte zwar die Mannschaft des Wellenwolfs, doch diese würde nicht ausreichen. Und so verkündete er sein Anliegen.

„Unser Jarl hat beschlossen ein Heer aufzustellen, das seine Leibwache verstärken wird. Wer sich uns anschließen will, der wird es nicht bereuen. Jeder Krieger wird einen Sold erhalten, und auch an der Beute der Raubzüge beteiligt.“ Da erhob sich der junge Birk, der ein Krieger aus den Reihen des Thorsti war. Sein rotes, lockiges Haar fiel dem Krieger auf die Schultern und ein kurzgeschnittener Bart, zierte sein Gesicht. Birk zählte gerade einmal zwanzig Winter, hatte aber schon oft seinen Mut bewiesen. „Sag mir, Olaf, was ist dieser Sold, den du uns versprichst?“

Da begannen viele in der Halle zu lachen, und Olaf wusste, dass darunter einige waren, die nur aus Scham mitlachten, selbst aber darauf hofften zu erfahren, was Sold eigentlich war. Olaf grinste, und hob seine Arme, um die Lacher zu besänftigen. „Nun beruhigt euch mal wieder. Was gibt es da zu lachen?“, rief der große Blonde in die Menge. „Es ist die Bezahlung, die du erhalten wirst, wenn du dich Jarl Einar Blutauge als Kämpfer anschließt. Die Könige und Fürsten im Süden nennen so den Lohn für ihre Krieger.“ Da meldete sich Rotger zu Wort. „Und wie hoch ist dieser Sold?“

Da antwortete Jarl Einar: „An jedem vollen Mond erhält ein Krieger ein viertel Stück Hacksilber.“ Dies war viel!

Nun nickte Rotger. „Gut, dann will ich der Erste sein, der sich deinen Kriegern anschließt, Jarl.“ Und auch Birk zeigte großes Interesse. Aber Olaf sollte sich noch wundern.

„Und nun…“, wieder erhob sich Einar und trat vor, bis an die Stufen des Podestes. „Seit mehr als einem vollen Mond bin ich der Jarl auf Tautra, und genau so lange suche ich nach dem Reichtum Jarl Thorstis. Keiner kann mir weißmachen, dass der gierige Kerl nicht einen Schatz angehäuft hat. Und es muss auf dieser Insel jemanden geben, der davon weiß.“ Jetzt wurde es ruhig in der Halle, denn das Wort “Schatz“ ließ sie aufhorchen. Wieder war es Rotger, der das Wort ergriff. „Du liegst gar nicht so falsch mit deiner Vermutung. Auch wir suchten bereits kurz nachdem Thorsti uns verlassen hatte. Doch wir fanden nichts. Der Kerl war wohl ärmer als eine Maus!“

„Oh nein, Rotger, ich kenne Thorstis Weib, die Alwara, nur zur Genüge“, widersprach der Jarl. „Nichts war diesem Weib wichtiger als Reichtum.“

„Dann hat Alwara alles mitgenommen“, rief der rotlockige Birk dazwischen. „Sie ist bei Nacht und Nebel von der Insel verschwunden. Und wie es scheint, mit ihr der Schatz des Jarls!“ Da erschraken viele unter den Anwesenden, denn dies bedeutete, dass der neue Jarl der Insel arm war, und somit auch Tautra. Es wurde wieder laut. Einige forderten den Kopf der einstigen Jarlsgattin. Doch Einar winkte ab.

Diese Forderung konnte er seinen Leuten nicht erfüllen, denn Alwara, so schlecht sie auch war, gehörte immer noch zur Sippe des Königs. „Dieser Schatz gehört Tautra, und muss zurückgeholt werden“, rief Olaf laut in die Menge, und alle begannen zu jubeln. Da ergriff nun auch Ilva das Wort. Sie erhob sich, und trat vor. „Wir müssen herausfinden, wohin sich das Weib geflüchtet hat. Haltet eure Augen und Ohren auf. Besonders diejenigen, die in den Siedlungen der anderen Gaue Handel treiben. Jeder Hinweis kann uns zu dem Schatz von Tautra führen!“

„Ilva hat Recht“, rief Jarl Einar. „Irgendwer wird sicher etwas von der einstigen Jarlsgattin von Tautra gehört haben.“

Danach gab es noch einige Zwistigkeiten zu verhandeln. Ein Bauer beschuldigte seinen Nachbarn, ihm vier Schafe von der Weide gestohlen zu haben. Einar und Ilva saßen nun wieder auf ihren Hochstühlen, und der Bauer trat vor.

Es war Erling, der Bauer vom Bärenhof. Und mit ihm trat sein Sohn Ivar an das Podest. Einar sah den Mann an, und auch seinen Sohn, den er erkannte. „Du bist Ivar“, sagte er, und der junge Bursche nickte. Jetzt erkannte der Jarl auch den Mann, der vor einigen Wintern an seiner Seite kämpfte.

„Erling vom Bärenhof, ich grüße dich. Es ist mir eine Freude dich wiederzusehen!“

„Und ich hätte nicht daran gedacht, dich noch einmal auf diesem Stuhl zu sehen, Einar Thordsson“, sprach der Bauer ein wenig unfreundlich. „Aber es ist gut so. Ich hätte mir zwar einen schöneren Grund für unser Zusammentreffen gewünscht, doch dies ist nun mal nicht so.“

„Dann bring deine Anklage vor. Wir hören dich!“ Einar zeigte auf den Rat, der an seiner Seite saß.

„Vier meiner besten Schafe hat man mir von der Weide gestohlen“, rief Erling erbost. „Doch ich wusste genau, wo ich sie zu suchen hatte.“ Er wandte sich um, und sah in die Menge. „Und ihr wisst es auch!“ Es gab viele die dem Erling zustimmten, aber es gab auch einige die murrten, und ihn der Lüge bezichtigten. Und Jarl Einar sah genau hin.

„Nun, Erling, dann sprich aus, was du denkst oder weißt“, forderte Thoke, der Zimmermann. „Da wandte sich Erling dem Mann zu, den er für den Dieb hielt. Er hob seine Hand und zeigte auf den Bauern Röde. „Ich fand mein Vieh auf seiner Weide. Wie schon andere vor mir dies taten“, rief er erbost. Da sprang Röde auf, und stürmte, mit erhobenen Fäusten vor. „Du verlogene Ratte, ich werde dich…!“ Doch ehe er sich auf Erling stürzen konnte, legte sich die Spitze eines Speeres auf seine Brust, und versperrte ihm den Weg.

Einars Krieger waren jederzeit bereit für Ordnung zu sorgen. „Langsam Bauer“, rief Thure, der den Speer in Händen hielt. „Mit so viel Ungestüm könntest du dich leicht einmal verletzen.“

Da hob Röde beide Hände um Thure zu beschwichtigen, und blieb stehen. Jarl Einar sah den einstigen Gefolgsmann des Borkell an. „Bauer Röde, du solltest dich zügeln“, rief der Jarl, wandte sich dann wieder dem Erling zu. „Nun, Erling vom Bärenhof, hast du für deine Beschuldigung irgendwelche Beweise?“

„Röde tut dies nicht zum ersten Mal, doch bei Jarl Thorsti konnte er sich immer freikaufen“, sprach Erling. „Er gab ihm ein Schaf oder den Gegenwert in Silber. So verdienten beide an dem Diebstahl.“

„Hast du dafür Beweise, dass Röde der Dieb ist“, fragte Einar mit strengem Blick. Erling nickte. „Ich wollte ihm schon immer das Handwerk legen, und darum habe ich mein Vieh gezeichnet.“

„Gezeichnet?“ Der Jarl sah den Bauern verwundert an. Da blickte der Bauer zu seinem Sohn, und dieser wandte sich um, und verschwand in der Menge. Es dauerte einen Moment, da trat Ivar wieder vor das Podest. Er stellte einen hölzernen Eimer auf den Stufen ab. Dann nahm Ivar den Pinsel der darin lag, und hob diesen an. Eine ölige, rote Farbe tropfte von den Borsten des Pinsels zurück in den Eimer. „Mit dieser Farbe habe ich all mein Vieh gezeichnet.

Unter dem Hals, wo man es nicht sofort sieht.“ Einar nickte anerkennend. Ein staunendes Raunen ging durch die Halle.

„Die Farbe ist ein Rezept welches nur ich kenne“, sagte Erling voller Stolz. „Sie lässt sich nicht so leicht aus dem Fell waschen.“

„Und diese gekennzeichneten Tiere fandest du auf der Weide des Bauern Röde?“ Ubbe sah ihn fragend an. „Ja, so ist es! Vier Schafe mit der roten Zeichnung unter dem Hals.

Ich nahm meinen Nachbarn Trausti vom Gaffelhof mit mir.

Er kann es bezeugen!“

Einar erhob sich. „Und, wo ist dieser Trausti?“ Langsam zwängte sich ein Mann durch die Reihen. Und als er neben den Erling trat, sah ihn Röde böse an. „Sei gewarnt, Trausti“, zischte der Bauer hinüber. Doch Thure brachte ihn schnell wieder zum Schweigen. „Du bist noch nicht dran, Mann!“

Einar trat die Stufen hinunter, ergriff den Pinsel und ließ die Farbe in den Eimer tropfen. „Nun, Trausti vom Gaffelhof, stimmt es, was Erling hier vorgebracht hat?“ Langsam nickte der Bauer, der kein allzu mutiger Mann zu sein schien. Er war ein Bauer, und zwar nur ein Bauer. In ihm steckte nichts von einem Krieger!

„Sag es laut, Trausti“, forderte Einar streng. „Bei meinen Ahnen, alles was Erling sagt ist wahr. Wir fanden die Schafe mit dem roten Punkt, in der Herde des Röde!“

Jetzt wurde es laut in der Halle. Einar stieg wieder auf das Podest, und nahm Platz. „Bauer Röde, was sagst du zu den Anschuldigungen?“

Thure senkte den Spieß zu Boden, und ließ den Röde vortreten. „Mach keinen Fehler“, warnte er noch. „Sonst wirst du dir die Spitze meines Speeres auf deiner Brust bestaunen können.“

Böse sah Röde den Krieger an, denn er hatte die Drohung durchaus verstanden. „Du solltest dich zurückhalten, Ranriker. Sonst könnten wir noch aneinandergeraten.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, trat der Bauer wieder vor das Podest. „Ich streite gar nicht ab, dass das Vieh in meiner Herde war. Doch habe ich das Vieh sicher nicht gestohlen“, begann Röde mit scheinheiligem Blick.

„Wahrscheinlich sind die Schafe dem Erling entlaufen, und haben in meiner Herde ein neues Zuhause gefunden.“

Da brach großes Gelächter in der Halle aus. Sogar Einar und Ilva sahen sich grinsend an. Nun wurde Röde böse. „Was gibt es da zu lachen, ihr elenden Narren? Die stinkenden Viecher sind nun mal so blöd!“

„Du bestreitest also, die Schafe gestohlen zu haben?“,

fragte Jarl Einar und kämpfte gegen das Grinsen an. „Ja, das tue ich“, rief Röde laut aus. „Dann stimmen wir jetzt ab.

Wer den Bauer Röde des Diebstahls der Schafe für unschuldig hält, hebe die Hand.“ Die Zahl der Hände war schnell abgezählt, und es waren genau die gleichen Männer, die sich schon bei dem Tumult auf Rödes Seite gestellt hatten. „Wer den Bauern Röde für schuldig hält, hebe die Hand.“ Die Zahl der Hände war weitaus größer als zuvor, und Einar nickte zufrieden. Nun begab sich Einar zu den Männern auf den Stühlen, und auch Ilva trat zu ihnen. Es dauerte nicht lange, und sie hatten das Strafmaß für den Angeklagten ausgehandelt. Der Jarl und sein Weib setzten sich zurück auf ihre Hochstühle, und Olaf trat an den Rand des Podestes. Er war der Sprecher des Rates, und verkündete, was beschlossen wurde. „Röde, Sohn des Broki, du wirst des Diebstahls von vier erwachsenen Schafen schuldig gesprochen. Wir alle sind uns einig, dass Erling die Wahrheit spricht. Der Rat von Tautra verkündet folgende Strafe: Du wirst dem Erling vom Bärenhof sein Eigentum, und zusätzlich vier deiner Schafe als Buße geben. Und lass dir dies eine Warnung sein!“ Röde war wenig begeistert, doch er musste sich fügen. Es wurde noch ein weiterer Fall verhandelt, und danach war die Versammlung beendet.

*

Olaf kam grinsend in die Halle, wo Einar an einem der Tische saß und mit Thoke etwas besprach. Als er den großen blonden Krieger sah, winkte er diesen sofort zu sich.

„Gut, dass du kommst. Es gibt etwas zu besprechen, dass auch dich betrifft.“ Olaf trat heran, und setzte sich. „Ich beabsichtige ein Langhaus zu bauen, in dem meine Krieger leben werden.“ Er zeigte auf die nördliche Wand des Hauses. „Hier hinter der großen Methalle, soll es stehen.“

Da begann Olaf zu lachen.

„Es kommen immer mehr junge Burschen zu mir, die sich uns anschließen wollen. Aber auch einige gestandene Krieger, die endlich wieder auf Wikingfahrt17 hinaussegeln wollen. Die meisten kennen wir bereits.“ Zufrieden sah Einar seinen Freund Olaf an. „Wir brauchen mindestens sechzig Krieger. Dreißig um den Wellenwolf zu bemannen, und dreißig, die als Garde für Ordnung sorgen“, erklärte der Jarl. „Die Männer für den Wellenwolf haben wir ja eigentlich zusammen. Bis auf ein oder zwei Ältere, die es vorziehen jetzt lieber auf einem Hof zu bleiben.“

„Und du willst alle Krieger in diesem Haus unterbringen?“,

wollte Olaf wissen. Da schüttelte Einar mit dem Kopf.

„Nein, nur die ledigen, die ohne eigene Familie sind. Die jungen Burschen, die die Höfe der Eltern verlassen wollen.“

Da grinste Olaf. „Das wird kein Problem! Ich habe einige junge Kerle, die die Bevormundung ihrer Väter satthaben, und die gerne mit uns segeln wollen. Rotger und Birk haben sich gleich gemeldet.“ Da trat Ubbe ein, und mit ihm der gerade genannte Rotger. Sie grüßten und kamen heran.

„Ubbe, was gibt es?“, fragte der Jarl. „Rotger, hier, hat etwas zu berichten.“ Er zeigte auf den jüngeren Krieger.

„Ich will dich warnen, Jarl!“

„Warnen, vor wem?“, wollte Einar wissen, und sah den Krieger fragend an. „Na, vor Röde! Der Kerl ist nicht so harmlos, wie er vorgibt zu sein. Bei den Göttern, der Kerl ist eine Natter!“ Einar bat den Männern an sich zu setzen, und diese folgten. „Wenn du glaubst, dass Erling das Vieh erhält, welches der Röde als Buße zahlen soll, dann täuscht du dich. Der Kerl wird es hinauszögern, bis niemand mehr daran denkt, und Erling aufgibt darauf zu hoffen.“ Da lachte Olaf auf. „Glaubst du etwa, wir vergessen so schnell?“

Da schüttelte Rotger seinen Kopf. „Oh nein, Olaf, das sicher nicht. Aber Röde ist es gewohnt, seinen sturen Kopf durchzusetzen. Jedenfalls ist es ihm unter Thorsti immer gelungen.“ Da schüttelte Olaf seinen Kopf. „Aber Einar ist nicht Thorsti! Und wenn Röde dies nicht einsieht, wird er bald keinen Dickkopf mehr haben!“

Nun war es der Jarl der zustimmend nickte. „Genau so wird es sein, Rotger!“

„Nun gut, wir werden sehen“, sagte der junge Kerl. „Es gibt eine Gruppe von Kerlen, die sich um Röde sammeln.

Sie sind ehemalige Krieger des Thorsti oder der Alwara.“

Da nickte Einar. „Es sind elf Männer.“ Da staunte Rotger nicht schlecht. Und auch die anderen zeigten sich überrascht. „Es ist der Röde, und seine drei Söhne. Und ein Kerl, den ich für Rödes Knecht halte. Dann wären da noch der Fischer Eisi Varnasson und sein Sohn Varn von der Nordküste. Und noch vier weitere, die ich nicht mit Namen kenne.“ Rotger nickte verwundert. „Woher weißt du das?“

Da lachte der Jarl. „Ich habe eine gute Beobachtungsgabe, mein junger Freund.“

„Es sind Sven, Bogi Dünnhaar, der Kerl den alle nur Schnitzer nennen, und Zweifinger Olaf“, zählte der einstige Krieger des Thorsti die Namen der fehlenden Unruhestifter auf. „Alle sind dem Röde treu ergeben. Wie man ja bei dem Thing gesehen hat.“

„Wir werden die Kerle im Auge behalten, Rotger. Auch wenn wir auf Raubfahrt gehen.“ Da horchte der junge Krieger auf. „Du… du willst auf Wikingfahrt gehen, Jarl Einar?“ Der Jarl nickte. „Oh, ja. Warum nicht? Es ist noch früh im Jahr, und mein einstiger Freund König Ragnar schwärmte so sehr von der Insel der Angelsachsen18, dass es mich jetzt auch dorthin zieht.“

„Tja, mit Ragnar sind wir ja nicht dorthin gekommen“, sagte Thoke ein wenig spitz, denn genau diese Tatsache hatte sie ja von Askby wieder nach Tautra gebracht. Und auch wenn viele froh darüber waren, in die Heimat zurückzukehren, so hatten sie doch vieles am See Vänern19 zurückgelassen. Und nicht wenige in der Besatzung der Schnigge trauerten der verlorenen Beute nach, die dieser Raubzug eingebracht hätte. Darüber verlor aber keiner ein Wort, denn sie waren ihrem Freund und Jarl treu ergeben.

Einar sah den Zimmermann an, denn er hatte die Anspielung durchaus verstanden. Aber er ging nicht darauf ein. „Wie lange wirst du brauchen, bis das Langhaus für die Krieger fertig ist?“ Thoke zuckte mit den Schultern. Es kommt darauf an wie viele Hände mir helfen. Da grinste der Jarl. „Wie viele Krieger hast du jetzt?“, fragte Einar den Olaf, und dieser antwortete: „Es sind Neunzehn! Einige erfahrene Krieger und Seefahrer, andere sind Neulinge.“

„Gut, sie alle werden beim Bau helfen. Segelt mit den beiden Knarren20 nach Lade, und kauft Holz.“ Da nickte Thoke, und erhob sich. „Wir werden sofort beginnen!“

So wie Einar es befohlen hatte, sollte es geschehen. Noch am selben Tag machte sich Thoke mit einigen Männern auf, um eine große Fläche hinter der Jarlshalle zu roden. Und zur selben Zeit, legte Kjelt mit dem Knarr Asenzorn ab, um sich auf den Weg nach Lade zu machen. Kurz darauf folgte ihm Olaf mit dem zweiten Knarr Wogenspalter. Und schon nach einer Woche, erkannte man auf dem freien Platz den Grundriss des neuen Langhauses. Und an dem Weg, der von Norden aus der kleinen Bucht nach Süden zur Siedlung führte, stapelte sich nun das herangeschaffte Holz.

*

Einar war eigentlich ein aufmerksamer Mann, doch das er bereits seit mehreren Tagen beobachtet wurde, war ihm nicht aufgefallen. Er bewegte sich in Sørhamna ohne größere Vorsichtsmaßnahmen, und dann kam ein Tag, an dem er dies bereuen sollte.

Wenn man die Siedlung Richtung Westen verließ, kam man zu einem großen Eichenbaum. Diesen hatten die beiden Zimmermänner Thoke und Brok bereits kurz nach ihrer Ankunft auf der Insel für ihr Vorhaben auserkoren. Denn was den beiden Männern im Herzen schmerzte war, dass sie gezwungen waren, den Götterbaum auf dem Platz in Askby zurückzulassen. Ihn hatte Brok mit seinen Schnitzereien zu etwas Besonderem gemacht. Schon nach kurzer Zeit hatten, die mit scharfem Eisen in den Baum geschnitzten Gesichter der Götter, ihre Anhänger zu dieser Stelle gelockt. Bald schon brachten die Menschen den Göttern an diesem Baum ihre Opfer dar. Und genau an dieser Stelle wurden die Feste gefeiert. Nun wollten sie solch eine Stätte auch auf Tautra erschaffen, und da es auf dem Platz vor der großen Halle keinen Baum mehr gab, erinnerte sich Thoke an die Eiche, auf dem Weg zum Strand. So hatte Brok dort längst mit der Arbeit begonnen.

Es war zur Abendzeit, die Sonne senkte sich langsam dem Horizont entgegen, und Einar machte sich mit seiner kleinen Tochter Thorvi auf den Weg, die Arbeit des Zimmermannes zu begutachten. Oft ging der Jarl mit seiner jetzt bereits acht Winter zählenden Tochter über die Insel, denn Thorvi sollte diese kennenlernen. Noch entfernten sie sich aber nicht weit von der Siedlung, und so machten sie sich auf den Weg zum Strand im Westen. Schon von weitem hörten sie das Klopfen des Hammers, der auf das scharfe Stecheisen schlug. In ihre Arbeit vertieft, standen die beiden Zimmerleute und ein junger Bursche an dem Stamm der dicken Eiche. Sie hatten Teile der Rinde fein säuberlich abgeschält. Aber nur auf der windabgewandten Seite. In das freigelegte Holz des Stammes hatten sie begonnen, die Gesichter der Götter zu schnitzen. Zwei manneshöhen weit oben, prangte bereits das Antlitz des einäugigen Göttervaters Odin, und etwas tiefer sah man das Gesicht seiner Gemahlin Frigga. Und jeder der sich dem Baum näherte, sah staunend auf die menschlichen Züge der Gesichter. Natürlich sah man oft Schnitzereien und Statuen der Götter, aber nie welche, die den Gesichtern der Menschen so glichen. Genau so stellte man sich das Antlitz des Göttervaters und seines Weibes vor. Brok stand auf einer Leiter, die an den Baum gelehnt war, und arbeitete an dem Gesicht des Hammerschwingers Thor. Thoke stand einige Schritte entfernt, und gab Anweisungen, oder reichte Werkzeug hinauf. Der Bursche, dem sie das Handwerk lehrten, nahm wiederum die Befehle des Thoke entgegen.

Natürlich war auch Thoke ein Meister was die Arbeit mit den Stecheisen und dem Schnitzmesser anging, doch an die Fertigkeit des Brok kam auch er nicht heran. Einar und sein Kind traten heran, wobei Thorvi sich eher hüpfend näherte.

Sie lief auf Thoke zu, um diesen zu umarmen. Kopfnickend trat der Jarl neben seinen Schiffszimmermann. Er war wirklich von der Arbeit beeindruckt. „Ihr werdet immer besser“, stellte er fest.

„Das Lob gebührt allein Brok“, wehrte Thoke ab. „Aber du hast Recht, Einar, die Gesichter werden immer menschlicher. Und ich meine, das Gesicht Odins ähnelt dem des alten Jarl Oyvind.“ Er begann zu grinsen. Einar legte den Kopf zur Seite, und besah sich das Gesicht mit der Augenklappe genauer. Dann nickte er. „Und die Frigga sieht ein bisschen aus wie Ulla, meine Ziehmutter.“

„Ja, das stimmt“, rief Thoke. „Brok, was hast du dir dabei gedacht!“

„Lass ihn, genau so soll es sein, mein Freund. Unsere Götter leben unter uns! Wir sind schließlich keine Christen, die einen Toten anbeten.“ Thoke nickte, während sich Brok nicht von seiner Arbeit ablenken ließ. Einar fragte, und Thoke erklärte wie der Baum aussehen würde, wenn die Gesichter denn einmal fertig wären. Doch noch lag genügend Arbeit vor ihnen. So versprach der Jarl ein großes Fest zur Fertigstellung der Statue. Dies sollte ein besonderer Ort werden. Hier würden die Bewohner der Insel zukünftig zu ihren Göttern beten.

*

1 Jarl – Graf /Earl

2 Asgard – eine der neun Welten, Heimat der Göttergeschlechter der Asen und Vanen

3 Ladefjord – heute Trondheimfjord

4 Trøndelag – Gau in Nordwestnorwegen, die Bewohner nennen sich Trøndner

5 Grjotgard Herlaugsson – 790 – 867 König des Trøndelag

6 Trøndner – Bewohner eines Gaus im Norden Norwegens

7 Nornen – Urd, Verdandi und Skuld, die drei Göttinnen bewachen den Brunnen des Schicksals an den Wurzeln der Weltesche. Sie bestimmen das Schicksal der Götter und das der Menschen

8 Ragnar Sigurdsson – gelebt in der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts, Sohn des dänischen Kleinkönigs Sigurd Hring, wahrscheinlich bekannt geworden als Ragnar Lodbrok

9 Ranrike – Gau in Südnorwegen (heute Schweden) Grenzland zum Götaland

10 Lade – Königsstadt im Trøndelag, später von König Olaf Tryggvasson Ausgebaut und in Nidaros umbenannt und erweitert, heute ein Stadtteil von Trondheim

11 Schnigge – schnelle, schlanke Kriegsschiffe mit bis zu 40 Riemen

12 Midgard – die Welt der Menschen, eine der neun Welten

13 Thing – Ratsversammlung der Nordleute

14 Erntemonat - August

15 Helheim – Heimstatt der Hel, das Totenreich

16 Nàströnd – Ein Teil des Totenreiches Hel, in dem Meineidige, Mörder, Verräter und Ehebrecher bestraft werden

17 Wikingfahrt – Raubfahrt der skandinavischen Völker

18 Insel der Angelsachen – Britannien, England

19 Vänern - Vänern ist ein See im Südwesten des heutigen Schweden, gelegen zwischen den historischen Provinzen Dalsland, Vermland und Västergötland

20 Knarr, Knorr - dickbauchiges Handelsschiff der Nordleute

2. DER SCHATZ DER ALWARA

Sieben Krieger und eine Magd waren der Alwara geblieben, als sie mit einem Skuder21 über den großen Fjord nach Norden gesegelt. Über die Wasserstraße, die den Ladefjord mit dem Beitstadfjord verband, floh sie weiter nach Norden. Und Jarl Stendal, der Herr über Steinkjer, war bereit ihr einen Unterschlupf zu bieten.

Jedes Mal, wenn Alwara die Jarlshalle von Steinkjer betrat, leuchteten die Augen der Jarlsgattin Ingve voller Hass. Ihr gefiel es gar nicht, dass die einstige Jarlsgattin von Tautra in ihrer Halle wandelte. Denn diese scheute sich nicht, dem Jarl schöne Augen zu machen, und sich bei Stendal anzubiedern. Anfangs war sie noch damit einverstanden, der Alwara Unterschlupf zu gewähren. Schließlich war diese dazu bereit dafür zu zahlen, und außerdem hatte sie angekündigt bald schon in ihre alte Heimat weiterreisen zu wollen. Doch nach einiger Zeit kam die Nachricht an Stendals Hof in Steinkjer, dass Alwaras Vater den Weg zu den Göttern angetreten hatte, und ein neuer Jarl in dem Gau herrschte. Alwaras Mutter hatte ihr Heim aufgegeben, und sich nach Lade aufgemacht, um dort unter dem Schutz ihres Gesippen König Grjotgard zu leben. So war es für die schöne Alwara nun wenig sinnvoll, in die alte Heimat zurückzukehren. Doch sie konnte es auch nicht ihrer Mutter gleichtun, denn sie hatte ihren Vetter Grjotgard hintergangen und verraten. Sicher würde er sich freuen, wenn er seine Base in die Hände bekäme. Auch wenn er sie sicher nicht töten würde, wäre ihr eine unschöne Bestrafung sicher. Und Grjotgard würde sie, seine Gesippin, sicher wieder zugunsten seines Königreiches verheiraten. So blieb sie einfach in der Siedlung des Stendal. Es war auch nicht ungewöhnlich, wenn ein Jarl sich ein zweites Weib nahm.

Das durfte er, wenn sein Weib sich einverstanden zeigte!

Und schnell fiel der Ingve auf, dass die Annäherungen der blonden Alwara immer dreister wurden, und ihr Gemahl diesen sicher nicht mehr lange standhielt. So sollte die einstige Jarlsgattin, auf Wunsch der Ingve, vom Hof des Stendal verschwinden. Doch Stendal war ein Fuchs, und gab ihr etwas außerhalb von Steinkjer, einen großen Hof, in dem sie mit ihrer Gefolgschaft leben sollte. Dieser Hof war schon seit zwei Wintern verlassen, denn sein Besitzer hatte sich mit dem Jarl überworfen. Das war seiner Sippe schlecht bekommen. Also war der Hof nun verwaist, und sah dementsprechend aus. Erfreut zeigte sich die Frau mit den langen, blonden Locken nicht, als Stendal ihr den Hof zeigte, und ihr erklärte, was er von ihr erwartete. Dagegen tun konnte sie aber nichts. Die Jarlsgemahlin hatte mit dieser Maßnahme gehofft, eine Liebschaft ihres Gemahls mit der Base des Königs zu unterbinden. Doch es dauerte nicht lange, da kam der Jarl immer öfter auf den Hof der Alwara. Diese aber war schlau, und ließ den liebestollen Köter schmachten. Immer wieder warf sie ihm einen kleinen Knochen zu, und nahm ihn dann wieder weg. Eine leichte Berührung hier, ein Streicheln da. So dauerte es nicht lang, bis Jarl Stendal zu winseln begann, und seine Gier nach den Lenden des Weibes immer größer wurde. Alwara hielt ihn sich aber vom Hals, nicht ohne hier und da mal eine Brust oder einen Schenkel aufblitzen zu lassen.

Es war an einem kühlen Morgen am Anfang des neunten Mondes des Jahres 835. Der Himmel war klar und blau, und es würde sicher ein schöner, sonniger Tag werden. Da kamen drei Reiter auf den Hof, und zügelten ihre Pferde vor dem Langhaus. Die Männer stiegen aus den Sätteln, und sahen sich um. Es gab einen Stall, aus dem hörten sie Stimmen, und von der Rückseite des Langhauses drang das klopfen einer Axt an ihre Ohren. Es war unüberhörbar, dass dort jemand Holz hackte. Der Jarl sah seine Begleiter an, und sprach: „Versorgt die Pferde, und bleibt draußen. Sorgt dafür, dass ich nicht gestört werde.“ Die beiden Männer nickten stumm, wandten sich um und begannen zu grinsen.

Dann begab sich Stendal zur Tür, und öffnete diese ohne zu klopfen. Als er eintrat sah er zwei Männer und eine Frau in dem Raum. Streng sah er diese an. „Raus!“

Der Befehl des Jarls erlaubte keinen Widerspruch. Die beiden Männer und die Magd eilten hinaus. Der Jarl streifte sein Wehrgehäng mit dem Schwert über den Kopf, und öffnete seinen Gürtel mit dem Messer. Beides legte er auf die Bank, neben dem Tisch. Dann entledigte er sich seines Hemdes. Jetzt trat er zu der Tür, die die einzige Kammer von dem großen Raum trennte. Er öffnete die Tür und ging in die Kammer hinein. Auf dem Bett lag Alwara. Sie schlief! Zumindest glaubte Stendal dies. Doch als er nähertrat, öffnete sie ihre Augen. Mit verschlafenem Blick sah sie den Jarl an. „Stendal? Was willst du so früh hier?“

„So früh? Es ist heller Tag da draußen“, antwortete er mit belustigtem Blick. „Und was ich will, kannst du dir sicher denken, Weib!“ Der Jarl begann lüstern zu kichern, doch Alwara sah den Jarl von Steinkjer grimmig an. „Hat das nicht bis später Zeit?“ Sie wollte sich abwenden und ihren Kopf in dem einzigen Kissen auf dem Bett vergraben.

„Nein, das hat es nicht, Alwara.“ Er griff nach den blonden Locken des Weibes, und zog daran. Alwara fuhr erschrocken hoch. „Aua! Bei allen Göttern, Stendal, hast du kein eigenes Bett? Warum quälst du nicht dein Weib Ingve zu so früher Stunde?“

Da wurde der Jarl böse. „Ich will nicht Ingve ficken, sondern dich. Denke an unsere Abmachung, Weib!“ Da atmete Alwara tief ein, drehte sich um, und richtete sich auf.

Ohne noch ein Wort zu sagen, begann sie die Beinkleider des Mannes zu öffnen, so dass diese zu Boden fielen. Sie besah sich sein bestes Stück, und griff beherzt zu.

*

Der Blick des Jarls zeigte größte Zufriedenheit, als er, begleitet von seinem Weib, zu dem Bauplatz hinter der Jarlshalle ging. Ein großes, hölzernes Gerippe stand da, und fleißige Hände sorgten dafür, dass der Bau schnell wuchs.

Die Krieger des Jarls legten kräftig Hand an, während die beiden Zimmermänner sie anleiteten.

„Du siehst, es geht schnell voran“ sagte Thoke, als er auf den Jarl zutrat. „Wenn wir so weitermachen, wird das Haus zum nächsten vollen Mond fertig sein.“ Einar sah Ilva an, und grinste. „Na, was sagst du?“ Die rotblonde Frau lächelte. „Und da sollen die Krieger wohnen?“

Einar nickte. „So ist es! Natürlich nur diejenigen, die es wollen. Etwa junge Burschen, die nicht zurück auf den Hof des Vaters wollen“, erklärte der Jarl noch einmal sein Vorhaben. Langsam nickte Ilva mit dem Kopf. „Ja, das ist gut!“ An den Zimmermann gerichtet, sprach Einar: „Solltest du noch Männer brauchen, hole dir die Sklaven der Bauern!“ Er sprach für die Männer auf der Baustelle noch ein Lob aus, und ging dann mit seinem Weib zurück in die Jarlshalle. Dort warteten bereits einige Männer auf den Jarl.

Einer von ihnen war Olaf. Als er Einar in die Halle treten sah, hob er sofort den Arm. „Einar! Es gibt Neuigkeiten!“

Der Jarl sah sein Weib an. „Dann will ich mal hören, was es Neues gibt.“ Ilva nickte, lächelte ihren Gemahl an, und verließ ihn, um nach den Kindern zu sehen. Jarl Einar aber trat zu dem Tisch, an dem Olaf, Raban, Ubbe, Kjelt und ein junger Bursche saßen. Diesen kannte Einar nicht. Der Jarl setzte sich an den Tisch, und Olaf ergriff das Wort. „Das hier ist Leif“, stellte er den schwarzhaarigen Burschen vor.

Einar nickte dem Krieger zum Gruß zu. „Leif? Woher kommst du?“

„Der Hof meines Vaters liegt im Süden des Gaus. Wenn du den Nidälv22 hinunter fährst, erreichst du ihn nach einem Tag“, gab er bereitwillig Auskunft. Der Jarl nickte. „Bist du schon einmal zur See gefahren?“ Der schwarzhaarige Leif nickte. „Mit dem Händler Snorri war ich mehrmals in Hedeby23 und vor einem halben Mond in Steinkjer. Und zuletzt in Lade. Dort hörte ich, dass ein Jarl Einar Krieger sucht. Ich habe es satt, als Schiffsknecht zu arbeiten. Das ist nichts anderes, als die Arbeit auf dem Hof meines Vaters.“

„Ich schätze, du bist der zweite Sohn“, sagte Einar. „Sogar nur der Dritte auf dem Hof. Ein Bruder ist bereits vor mir gegangen. Ich war nur ein Knecht meines ältesten Bruders, also ging auch ich.“

Das verstand Jarl Einar gut, und es war keine Seltenheit, dass nur der erstgeborene Sohn auf einem Hof blieb. „Gut, Leif, sei uns willkommen. Du wirst mir beim nächsten Thing den Gefolgschaftseid leisten. Dann gehörst du zu uns!“ Eigentlich wollte Einar sich erheben, doch Olaf hielt ihn auf. „Warte noch“, sagte er. „Es gibt noch etwas!“

„So? Was gibt es denn?“

„Leif hier, war vor einem halben Mond oben in Steinkjer.

Erzähl es ihm“ wandte er sich dem Krieger zu. Leif kratzte sich am Kopf. „Na ja, es ist nur Händlergeschwätz!

Jedenfalls hat sich Jarl Stendal wohl eine hochgeborene Konkubine angelacht“, erzählte er grinsend. „Er hat ihr einen Hof vor den Toren der Siedlung gegeben, weil sein Weib Ingve davon wenig begeistert ist. Aber das Weib mit dem der Jarl vögelt ist keine Sklavin, sondern eine ehemalige Jarlsgattin. Und wie man sich erzählt, auch noch eine Gesippin des Königs.“