Jarlsblut-Saga Der siebte Band - Rainer W. Grimm - E-Book

Jarlsblut-Saga Der siebte Band E-Book

Rainer W. Grimm

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Beschreibung

Als im Jahr 834 n.Chr. die Schnigge Wellenwolf den Hafen von Askby erreicht, ist der Schrecken der Heimkehrer groß. Das Knarr Asenzorn ist im Hafen versunken. Ein großer Teil des Dorfes ist verwüstet, und niedergebrannt. Überall im Hafenviertel liegen Tote, und alle anderen Bewohner sind fort. Mit Entsetzen stellt Jarl Einar fest, dass dem Feind sein Dorf von dem wütenden König Ragnar schutzlos überlassen wurde. Und Einar kennt die Angreifer! Um sein Weib Alma und seine Kinder aus der Gefangenschaft im Trøndelag zu retten, segelt der Jarl von Askby mit seinen Kriegern zurück in die alte Heimat. Und so verweigert er seinem Lehnsherrn Ragnar erneut die Gefolgschaft, denn diesen zieht es auf eine Raubfahrt nach Britannien. Die Kluft zwischen den einstigen Freunden wächst.

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RAMER W. GRIMM wurde 1964 in Gelsenkirchen / Nordrhein -Westfalen, als zweiter Sohn, in eine Bergmannsfamilie geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie und seinen beiden Katzen im längst wieder ergrünten Ruhrgebiet. Mit fünfunddreißig Jahren entdeckte der gelernte Handwerker seine

Liebe zur Schriftstellerei.

Als unabhängiger Autor veröffentlicht er seitdem seine historischen Geschichten und Romane, die meist von den Wikingern erzählen.

INHALTSVERZEICHNIS

DER TAG DES SCHRECKENS

AUF DER SUCHE

EINARS UNGLÜCK

TRAURIGE GEWISSHEIT

KAMPF AUF TAUTRA

DIE ZUSAMMENKUNFT

DER AUSTAUSCH

VON EINER VERSÖHNUNG

DES KÖNIGS FORDERUNG

VERMÄHLUNG

HANDELSFAHRT NACH HEDEBY

HEIMKEHR DES SOHNES

EIN NEUES VERSTECK

WIEDERSEHEN IN LADE

VON EINER ENTFÜHRUNG

DER LETZTE TAG

WURZELN

1. DER TAG DES SCHRECKENS

Vierundzwanzig ausgelaugte und zum Teil verletzte Krieger und Kriegerinnen hatten den Weg nach Nordwesten eingeschlagen. Ihr Ziel war das Dorf Borkasvik!

Hier erhofften sie sich Hilfe von Jarl1 Borka, der ein alter Freund ihres eigenen Jarls Einar Thordsson war. „Sag, Ilva“, sprach ein junger Bursche, der bei dem Überfall tapfer gegen die Trøndner2 gekämpft hatte, und wandte sich dem Weib des Jarls zu. „Was wird mit den anderen geschehen?“

Da schüttelte ein heftiger Weinkrampf die mutige Schildmaid, denn sie dachte an ihre sieben Winter zählende Tochter Thorvi, die mit all den anderen Frauen und Kindern bei dem Überfall in der Jarlshalle gewesen war. „Habe ich etwas Falsches gesagt, Ilva?“ Der junge Krieger fühlte sich gar nicht gut, doch die Angesprochene sah den Burschen an und schüttelte ihren Kopf. „Nein, Erik, es ist der Gedanke an meine Tochter. Ja, an meine ganze Familie.“

Sie waren seit dem Kampf gegen die Männer des Borkell ohne Pause gelaufen. Die zahlenmässige Übermacht der Angreifer hatte sie zur Flucht aus Askby gezwungen. Nun, da es zu dämmern begann, befahl der alte Harald endlich eine Rast. Er war der Dorfälteste, und stand der Ilva bei, die als Gemahlin des Jarls, den Oberbefehl über das Dorf bei dem Überfall inne hatte. Erschöpft setzten sie sich an den Wegesrand. „Glaubst du sie Leben noch?“, fragte da wieder der junge Erik. „Ja, daran glaube ich. Ganz fest!“ Ilva hatte sich wieder beruhigt. Sie musste schließlich Vorbild für die anderen sein. „Wenn die Götter uns gnädig sind, werden wir mit Borkas Hilfe die Angreifer aus Askby vertreiben, und alle Gefangenen befreien.“

„Ja, Erik, das werden wir“, stimmte sie dem Burschen zu, obwohl Ilva bezweifelte rechtzeitig mit einer Verstärkung nach Askby zurückkehren zu können.

Fünfmal mussten sie ihr Nachtlager aufschlagen, welches natürlich nur aus einigen Feuern bestand, bis sie endlich die Dächer von Borkasvik erblickten. Und als sie in das Dorf marschierten, augelaugt und kraftlos, wurden sie sofort bestürmt. Ilva, Eira, die Prinzessin aus Lade, die wohl der Grund des Überfalls auf das Dorf war, und den alten Harald, brachte man in die Jarlshalle. Die anderen wurden von den Bewohnern versorgt. Man behandelte ihre Wunden, gab ihnen zu essen und auch neue Kleidung. Die meisten von ihnen aber wollten nur noch schlafen.

Mit Entsetzen erblickte die Jarlsgattin Sigve in welchem bemitleidenswerten Zustand sich die schöne Ilva befand. Auch Borka, der alte Jarl, lief den beiden Besuchern entgegen. „Ilva, was ist geschehen?“, fragte er bestürzt. Und während Sigve den Körper der schönen Kriegerin nach Wunden absuchte, erzählte diese, was vorgefallen war.

„Wo ist Alma? Wo sind die Kinder?“, wollte der Jarl wissen, und Ilva schüttelte ihren Kopf. „Ich weiß es nicht! Sie waren wohl mit den anderen in der Halle, als der Angriff stattfand.“

„Es waren zu viele“, schluchzte die schöne Schildmaid laut, und vergrub ihr Gesicht an der Schulter der Jarlsgattin Sigve. „Der Kampf verlief nicht gut für uns. Wir wurden abgedrängt, und konnten ihnen nicht zu Hilfe kommen“, sprach der alte Harald beschämt, und wandte sich dem Borka zu. „Entweder sie haben sie gefangen, oder alle sind…“, weiter sprach Harald nicht. Der Gedanke an die Frauen und Kinder trieb auch ihm die Tränen in seine Augen.

„Wer, bei Odin, war das?“ Die Wut stieg in dem alten Gautenjarl Borka auf, und er musste sich zügeln, um nicht voller Wut aus sich heraus zu platzen. Der alte Harald sah den Jarl an, und sprach: „Es war Borkell, der Schwarze! Der Knecht des Ladekönigs Grjotgard3.“ Da sah Borka sein Weib Sigve an. „Und wo war König Ragnar4?“, wandte er sich wieder dem Harald zu.

„Es kam ein Reiter zu uns ins Dorf“, berichtete Ilva, und begann zu zittern. „Dieser war ein Bote eines gewissen Thorsten, der uns vor dem Borkell warnte. So wussten wir, was kommen würde.“

„Nur leider kam er zu spät, denn die Schiffe des Schwarzen waren nicht mehr fern“, fuhr Harald fort.

„Thorsten? Etwa der Hauptmann König Ragnars?“ Es schien als wüsste der alte Jarl von wem die Rede war. „Das heißt, auch Ragnar muss von den Trøndnerschiffen des Borkell gewusst haben.“ Enttäuscht nickte Harald.

„Wie konnte er dann zulassen, dass dieser sich auf dem Vänern herumtreibt?“, fragte Sigve erbost. „Und obwohl er es wusste, schickte der König keine Hilfe?“

Harald sah die rothaarige Heilerin an, und schüttelte verneinend mit dem Kopf.

„Dann hat er Einar verraten!“ Mit harter Stimme fällte Borka sein Urteil über den König. Zwar hatte König Ragnar Sigurdsson ihm, und auch dem Einar, als sie auf der Flucht aus dem Saxland hierher kamen, eine neue Heimat gegeben.

Doch dafür hatten sie hier zwei Dörfer errichtet, und dem Ragnar die Treue geschworen. Und Einar, der an die

Freundschaft mit dem Ragnar glaubte, hatte sogar den Osten des Reiches gegen die benachbarten Gauten verteidigt, und die Grenze gesichert.

Des Königs Freundschaft aber, schien nicht mehr viel Wert zu sein. Wozu zahlten sie die Abgaben, wenn der König sie nicht zu schützen vermochte.

„Ruft meine Krieger zusammen“, befahl der Jarl verärgert, einem jungen Kerl. „Holt Gisli her, er wird sie anführen. Sie werden den Schwarzen aus Askby vertreiben!“

Zwanzig Winter zählte Gisli, der zweite Sohn des Borka, und er hatte von all dem Aufruhr im Dorf nichts mitbekommen. Der Jarlssohn lag in seiner Kammer und schlief! Was oft vorkam, denn Gisli machte gerne die Nacht zum Tag, und frönte mit seinen Freunden dem Bier und dem süßen Met. Eine Sklavin trat in die Kammer, und an das Schlaflager heran. Sie wollte gerade die Hand auf die Schulter des Schlafenden legen, da wandte sich dieser um, und packte das Weib. Er zog die junge Sklavin in sein Bett und lachte. „Du kommst mir gerade recht!“ Doch die Sklavin widersprach dem Gisli, obwohl sie nicht selten mit ihm das Bett teilte. „Hör auf damit! Dein Vater verlangt nach dir. Sofort!“

„Ach, der kann warten!“ Sofort begann er an der Kleidung der Sklavin zu zerren, und versuchte ihr Kleid auszuziehen, Doch diese löste sich aus seinem Griff, und sprang aus dem Bett. „Nein, das kann er nicht“, sagte sie trotzig. Und nun erzählte sie was geschehen war. „Warum sagst du das nicht gleich“, rief Gisli, und sprang von dem Schlaflager auf.

Eilig lief er hinaus auf den Platz vor dem Haus, und zog sich dabei seine Tunika über. Er lief zu der großen Methalle, und als er die Eira sah, zauberte dies ein Lächeln auf sein makelloses Gesicht. Doch die Lage war zu ernst, um jetzt mit dem jungen Weib anzubändeln. Zumal Borka seinen Sohn sofort zu sich rief. So blieb es bei einer zurückhaltenden Begrüßung des Jarlssohnes und der Prinzessin von Lade. Zwar wusste Gisli, dass es Björn, der Sohn König Ragnars war, der dem jungen Weib in seinem Kopf herumspukte. Doch dies würde Gisli nicht davon abhalten, der Eira nachzustellen. Zumal dieser wusste, dass der Sohn des Ragnar Älvsborg mit seiner Mutter, der Schildmaid Lagertha verlassen hatte.

„Du wirst mit unseren Kriegern nach Askby reiten, und den Borkell aus dem Dorf vertreiben“, befahl Jarl Borka seinem Sohn. „Und wenn es möglich ist, bring mir den Kopf des Schwarzen!“ Gisli zögerte nicht, wandte sich um, und verließ die Halle.

Schon bald darauf sammelte sich auf dem Platz vor der Methalle eine mehr als dreißigköpfige Reiterschar. Darunter waren auch einige der gerade erst angekommenen Krieger aus Askby. Sie sannen auf Rache, und wollten den Kampf nicht den Männern aus Borkasvik überlassen.

Bald schon verließen die Berittenen das Dorf, und folgten dem Weg nach Südosten, der sie nach Askby führen würde.

*

Der Wellenwolf hatte den Steg noch nicht erreicht, doch die Männer standen zu beiden Seiten an der Reling, und sahen mit Schrecken, dass das Knarr5 Asenzorn versunken an seinem Liegeplatz lag. Nur der Mast ragte aus demWasser in die Höhe. Und nun sahen sie auch, dass die Gebäude des Hafens niedergebrannt waren. Verkohlte, rauchende Ruinen waren das Einzige, was geblieben war. Was war hier geschehen?

„Ein Überfall?“ Fragend sah der Stevenhauptmann Olaf den Jarl an. Dieser atmete tief ein. „Was sonst!“

„Holt das Segel ein!“, rief Olaf, und die Männer befolgten seinen Befehl. Langsam glitt der Wellenwolf an den Anlegesteg, und sofort sprangen einige Männer an Land.

Es war der Sommer des Jahres 834 n. Chr. als die Krieger aus Askby, dem Dorf an dem großen See Vänern6 gelegen, von der Raubfahrt mit dem Dänenkönig Horik zurückkehrten. Nachdem der Wellenwolf festgemacht war, nahmen die Männer ihre Schilde, zogen die Schwerter und Äxte, und begaben sich auf den Weg in das Dorf.

„Hier, das ist Ole, der Humpler!“, rief Kjelt, als er vor einem der Toten stand. Der Mann lag über einem querliegenden Fass, und hatte unzweifelhaft den Weg zu den Göttern angetreten. Einer seiner Arme lag neben ihm im Sand, und im Nacken des Mannes klaffte die breite Wunde eines Axthiebes. Auch die anderen riefen Namen, wenn sie die Toten erkannt hatten. Die Trauer um die gefallenen Freunde und Nachbarn war groß. „Sie haben sicher tapfer gekämpft“, sprach Olaf lobend. „Ja, das haben sie wohl.

Doch der Feind war zu stark“, fügte Jarl Einar hinzu.

„Kommt, wir kümmern uns später um sie.“ Der Jarl ging den breiten, leicht ansteigenden Weg in Richtung der Häuser des Dorfes. „Irgendwer muss doch noch leben“, rief Thure entsetzt, und ihm liefen Tränen über das Gesicht. Erst jetzt überkam auch den Jarl die Angst um seine Familie. Wo waren die schwangere Alma, die Ilva, und seine Kinder?

Und seine Angst wuchs noch, als sie vor der großen Jarlshalle standen. Der Eingangsbereich mit der schönen, reichlich beschnitzten, doppelflügeligen Tür, und ein Teil der Halle waren niedergebrannt. Darunter auch der Teil, den Einar mit seiner Familie bewohnte. Der Jarl warf den Schild von sich, und ließ sein Frankenschwert Blutauge aus der Hand gleiten. Dann sackte er auf die Knie. „Oh, ihr Götter von Asgard“, rief er laut. „Warum tut ihr mir das an?“

Ein Großteil des Dorfes war den Flammen zum Opfer gefallen. Mit offenen Mündern standen die Männer vor den Trümmern ihrer Heimat. Einar wischte sich die Tränen von

den Wangen. „Los, sucht nach den Leichen!“, befahl er, und einige der Krieger begannen in den Ruinen zu suchen. Nach einer Weile kamen die Männer einer nach dem anderen zurück.

Außer in der Ruine der Halle, wo sie drei verkohlte Leichen gefunden hatten, waren sie erfolglos geblieben.

„Wir fanden niemanden mehr“, erstattete Thoke dem Jarl Bericht. „Keine toten Kinder unter den Trümmern. Und auch dort, wo einst dein Schlaflager stand, fanden wir niemanden!“ Da begannen die Augen Einars zu glänzen.

„Sie haben sie mitgenommen!“

Thoke nickte zustimmend. „Ja, das ist anzunehmen. Es erwartet sie ein Leben in der Sklaverei!“ Doch da schüttelte Einar heftig seinen Kopf. „Nein, mein Freund! Wir werden sie finden und zurückholen. Alle!“

Plötzlich drang der Klang von Hufschlag an ihre Ohren. Jarl Einar sah sich um, und rief dann: „Rückt zusammen!“ Und dann sahen sie die Reiterschar, die mit gezogenen

Schwertern auf sie zu geritten kam. „Schildwall!“, brüllte Jarl Einar. Die Krieger drängten sich gegeneinander und rissen ihre Schilder empor.

„Halt!“, rief da einer der Reiter, ein Mann aus Askby. „Das ist Jarl Einar!“ Er hatte den schwarzen Schild mit der roten Sonnenbemalung des Jarls erkannt. So brachen die Reiter aus Borkasvik den Angriff ab. Gisli zügelte sein Pferd, und stieg aus dem Sattel. Nun hatte auch Einar den jungen Krieger erkannt, senkte seinen Schild, und trat auf ihn zu.

„Gisli Borkasson“, nannte er den Namen seines jüngeren Gegenübers. „Weißt du, was hier geschehen ist?“

Der junge Krieger schüttelte seinen Kopf. „Ich kann dir nur sagen, dass Ilva und einige deiner Krieger in unserem Dorf sind. Den meisten geht es gut.“ Da trat der Mann aus Askby, der mit Gisli geritten war, vor seinen Jarl. „Es war Borkell, der Schwarze, der uns überfiel! Wir haben gekämpft, aber die Übermacht war zu groß!“

„Wo sind die Frauen und Kinder?“

Der Mann zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht! Sie drängten uns von der Jarlshalle ab, so dass wir ihnen nicht zu Hilfe kommen konnten.“ Da begann der Krieger zu weinen, und Einar legte ihm die Hand auf die Schulter. „Wir werden sie finden! Und den Borkell auch!“

Nach einiger Zeit machten sich Gisli und seine Reiter auf den Rückweg nach Borkasvik. „Sage deinem Vater, dass wir bald in euer Dorf kommen, Gisli!“, sagte der Jarl und kündigte an, ihnen in Kürze zu folgen.

„Wann beginnen wir mit dem Aufbau?“, fragte Kjelt den Anführer. Dieser sah sich um. „Noch nicht! Holt zuerst den Asenzorn auf den Strand“, befahl der Jarl. „Wir werden ihn brauchen!“

Und so geschah es! Mit vereinten Kräften zogen sie das versunkene Schiff auf den Strand. Schnell hatten sie die Stelle gefunden, an der die feindlichen Trøndner7 das Knarr leckgeschlagen hatten. Nun begann die Suche nach brauchbarem Holz. Zum Glück fanden sie dies in der Werkstatt der beiden Zimmermänner. Das Gebäude stand etwas Abseits des Dorfes, und all die Häuser und Hütten, die in diesem Teil des Dorfes standen, waren unversehrt. Thoke brauchte nicht allzu lange, um die geborstenen Planken auszuwechseln. Er dichtete die Stelle ab, und der Asenzorn war wieder seetüchtig. „Segeln wir nach Borkasvik“, sprach Einar, doch Thoke bremste seinen Tatendrang. „Wir sollten noch bis Morgen warten, damit das Pech trocken werden kann.“

Im Hafen brannten die Feuer, und aus den von den Männern zusammengesuchten Nahrungsmitteln, hatten sie sich ein Mahl zubereitet. Ihr eigener Proviant, den sie vor der Reise an Bord genommen hatten, war längst zur Neige gegangen.

Einar saß am Feuer, und sein Blick schweifte zu dem Wellenwolf. Dort saßen immer noch die Sklaven, die er in Dorestad sorgsam ausgewählt hatte, mit einem Seil an den Mast gebunden. Nun blickte er auf die hölzerne Schüssel in seiner Hand. Er stellte diese zur Seite und erhob sich.

Langsam ging er über den Steg und sprang an Bord der Schnigge.8 „Egal wohin ihr flüchtet, ihr werdet Sklaven sein“, sprach er ruhig in der Sparche der Saxländer, von der er hoffte, dass die Friesen sie verstanden. Er zog sein Messer, worauf die Gefangenen erschracken. Doch Einar durchschnitt damit nur die Fesseln. „Geht zu den Feuern, und esst“, sagte er. Der Mann, von dem er wusste, dass er ein Zimmermann war, und den er nicht von seiner Familie getrennt hatte, ergriff die Hand seines Weibes und half dieser über die Reling. Er sah den Jarl an und nickte. Dann reichte er dieser die Kinder herüber, und folgte auf den Steg.

Sie begaben sich zum Feuer, und erhielten von Thoke zu essen. Auch der Kerl, der ein Schmied war, fasste Mut und folgte der Familie. Nur die drei Friesenweiber mit ihren

Kindern, die Einar als Sklaven verkaufen wollte, wagten sich nicht von der Stelle. Da ergriff der Jarl eines der Kinder, und hob es über die Reling auf den Steg. „Geh, und iss!“ Der Knabe verstand die Worte, sah aber fragend zu der Frau, die seine Mutter war. Erst jetzt erhob sich diese, nahm ihr zweites Kind, und folgte. Nun wagten auch die anderen den Weg an das wärmende Feuer. Und zu ihrer Verwunderung waren die Seefahrer, die sie bisher nur als grausame Krieger kannten, nun friedliche, und wie es schien, besorgte Männer. Bei manchen hatten sie sogar

Tränen gesehen. Ja, sie schienen zu trauern!

Doch der Hass auf diese Menschen, beflügelte die Freude über deren Unglück.

Es war noch recht früh, da hatten sie den Asenzorn in das Wasser geschoben. Der Rumpf schien dicht zu sein, und Thoke war zufrieden. Eigentlich war es Jarl Einar egal, aber er stellte fest, dass keiner der Sklaven versucht hatte zu fliehen. Es schien als hätten sie seine Worte verstanden.

Wollten sie überleben, mussten sie bei den Wikingern bleiben.

Olaf war nun wieder der Schiffsführer des Knarrs Asenzorn.

Die Männer hatten sich auf die beiden Schiffe verteilt. Ubbe war der Steuermann des Knarrs, und Thorberg, der der Schwager des Jarls war, wurde der Stevenhauptmann auf dem Lastschiff. Raban, den Sachsen, ernannte der Jarl nun zum Stevenhauptmann auf dem Wellenwolf, denn Einar war der Meinung, dass er sich dies verdient hatte. Und da Raban nun schon lange zur Gefolgschaft des Jarls zählte, wurde er von den Männern als Stevenhauptmann gebilligt.

So ließen sie Askby zurück, und es war nicht sicher, dass sie ihr Dorf wiedersehen würden. Sollte der Gautenjarl im Osten, auf der anderen Seite des Waldes, davon erfahren, dass Askby nun unbewohnt war, würde er sich die

Gelegenheit sicher nicht entgehen lassen. Er würde sich das Land zurückholen, das einst Jarl Einar ihnen genommen hatte.

Der Gaute Jarl Skögul erhob Anspruch auf den ganzen Wald, und hatte nur auf Grund der Gegenwehr durch Jarl Einar darauf verzichtet. Die kleine Hügelkette, die sich durch den Wald zog, war seitdem die Grenze zwischen dem Reich König Ragnars, und dem des Königs der Gauten, der Hrotger hieß.

Der Hafen von Borkasvik war nur ein kleiner Teil einer Bucht. Hier gab es außer einem Anlegesteg, und drei Hütten nichts. Borkas Schnigge lag schon lange auf dem Strand, denn der alte Jarl fuhr nicht mehr zur See. Und sein Sohn Gisli schien kein Seefahrer zu sein. Händler kamen auch nur selten, denn der Weg vom Hafen zum Dorf war weit, und nicht ohne Karren oder Kutsche zu bewältigen. Borkasvik lag fast einen halben Tagesmarsch landeinwärts im Norden. Nach dem die beiden Schiffe des Einar festgemacht waren, wählte er einige Krieger aus, die ihn begleiten sollten. Auch die Sklaven nahm er mit sich nach Borkasvik. Dort sollten sie erstmal bleiben, denn bei dem, was nun folgen würde, konnte er sie nicht gebrauchen.

„Es ist Jarl Einar!“, rief irgendjemand über den Dorfplatz, als der Jarl und sein Gefolge Borkasvik erreicht hatten. Ein Sklave verschwand in der Halle, und kurz darauf stürmten einige Leute aus dem Langhaus heraus. „Einar!“

Die Stimme der Ilva überschlug sich, als sie auf den Jarl mit dem braunen Haar zu lief. Weinend fiel sie ihm in die Arme.

„Es ist so schrecklich“, schluchzte sie. „Wir waren einfach zu schwach, um sie zu vertreiben!“ Einar strich der Schildmaid über ihr langes, rotblondes Haar. „Wir werden sie jagen. Und wir werden sie finden!“ Er küsste die Ilva auf den Mund, und strich ihr die Tränen von der Wange. „Und wir werden unsere Leute zurückholen.“

Auch Borka und sein Weib Sigve waren ins Freie getreten. Sie begrüßten den Jarl mit großer Freude, denn schließlich kam er lebend von einer Wikingfahrt zurück. „Habt ihr viele Verluste?“, wollte Borka wissen. Da schüttelte Einar seinen Kopf. „Nein, was die Raubfahrt angeht, waren uns die Götter gnädig.“ Er trat zur Sigve und schloß die rothaarige Frau in seine Arme. Die Völva9 Sigve gehörte lange Zeit zur Gefolgschaft des Einar, bis sie die Gemahlin des Gauten Borka wurde. Da sie selbst keine Kinder geboren hatte, war sie dem Gisli eine gute Stiefmutter geworden. Borkas zweiter Sohn Breka, den Einar einst aus der Sklaverei befreit hatte, war inzwischen von König Ragnar zum Jarl erhoben worden. Er war der Herr über die Götaburg!

Diese hatte Ragnar Sigurdsson an den Ufern der Götaälv10 erbauen lassen, um immer ein Heer zur Verfügung zu haben, welches schnell an jedem Punkt seines Reiches kampfbereit war. Inzwischen war aus der Götaburg eine kleine Stadt geworden, und es waren nicht weniger als fünfhundert Krieger unter dem Befehl des Jarl Breka. Doch keiner dieser Krieger, war seinen Leuten zu hilfe geeilt.

Nun fanden sich mehr und mehr Leute ein, und sie begannen sich zu umarmen. Thoke, der Zimmermann auf dem Wellenwolf, hatte Brok gefunden. Er war der zweite Zimmermann, mit dem Thoke in Askby die Werkstatt teilte. Brok, obwohl viel jünger als Thoke, fuhr nur selten zur See, denn er litt unter der Seekrankheit, was ihm schon viel Spott eingebracht hatte. So blieb Brok meist als Zimmermann im Dorf.

Alle Geflohenen waren auf den Platz geeilt, um ihre Freunde, Nachbarn und Verwandten zu begrüßen.

„Wer sind die da?“, fragte der grauhaarige Jarl, und zeigte auf die Sklaven. „Ich habe sie aus dem Friesenland mitgebracht“, antwortete Einar. „Der eine Kerl ist ein Schmied, und der andere ist ein Zimmermann. Vielleicht war dies ja eine Eingebung der Götter, denn jetzt werden wir sie gut gebrauchen können.“

„Und die Weiber?“

Einar begann zu grinsen. „Es gibt einige Männer in meiner Gefolgschaft, denen es an weiblicher Gesellschaft mangelt.

Sie waren als Beuteanteil gedacht. Und wenn sie keiner will, werden sie halt verkauft.“

Da strich sich Jarl Borka nachdenklich über seinen Bart.

„Kannst sie hier lassen, wenn du willst. Ich denke doch, du wirst es nicht auf sich beruhen lassen.“

„Ich werde meine Gemahlin und die Kinder suchen, wenn du das meinst“, sagte Jarl Einar streng. „Und ich werde Borkell, den Schwarzen, zur Strecke bringen. Es ist längst an der Zeit! Er ist der Keil zwischen König Grjotgard und mir. Also muss er sterben! Das schwöre ich, bei Thors Hammer und Odins Auge!“

Borka nickte zustimmend, denn nichts anderes hatte er erwartet. „Gut, gehen wir ins Haus.“

Am folgenden Tag begab sich Einar mit dem Sachsen Raban, dem Zimmermann Brok, dem Schmied Björn, und einigen anderen zu den Sklaven, die sie im Friesenland gefangen hatten. Mit Hilfe des Kahlkopfes redete der Jarl auf die Gefangenen ein. „Wie ihr gesehen habt, gibt es ein großes Problem in meinem Dorf“, begann er in der Sprache die man im Reich der Deutschen sprach. „Es gibt nicht mehr viel von meinem Dorf, das die Angreifer übrig gelassen haben.“ Einar trat auf den Mann zu, von dem er wusste, dass dieser ein Schmied war. Und er wusste, dass dieser ihn verstand. „Ich nahm euch als Sklaven, und brachte euch hierher. Hier findet nun euer neues Leben statt! Meinen Sklaven geht es gut in Askby, und wenn ihr wollt, dass es auch euch gut geht, fügt euch und seid gehorsam. Wenn ihr aber Ärger macht, werdet ihr sterben!“ Er wandte sich dem Björn zu, und sprach nun wieder in der Sprache der Nordmänner. „Dieser hier ist ein Schmied, so wie du. Ich will, dass du ihn in dein Haus aufnimmst. Behandle ihn gut, Björn, wir werden ihn brauchen.“ Der Angesprochene nickte, und trat auf den Friesen zu. Der Mann war etwa gleichen Alters wie er selbst. „Los, komm! Du wirst jetzt mein Sklave sein.“ Doch der Jarl fasste Björn bei der Schulter. „Das ist ein Irrtum, Björn. Dieser Mann ist mein Sklave, und du solltest ihn gut behandeln.“ Der Friese sah den Jarl an, und es schien, als hätte er die Worte des Anführers verstanden. Björn dagegen, sah den Einar verärgert an, nickte dann aber zustimmend. Da wandte sich Einar wieder an die Sklaven. Er zeigte auf Raban. „Dieser Mann hier, ist ein Sachse! Er ist einer meiner besten Männer geworden, und auch mein Weib kam als Sklavin hier her!“

Einar hoffte, die Unfreien würden seine Worte und den Sinn dahinter verstehen.

„Geh mit Björn“, sprach nun Raban zu dem Friesen, und die beiden Männer zogen sich zurück. Fortan würde er am Leben der Familie des Schmiedes Björn teilhaben.

Gleiches geschah mit dem Zimmermann und seiner Familie.

Diese vertraute der Jarl dem Brok an.

Von dem Zimmermann wusste Einar, dass er ein guter Kerl war. Und auch die Weiber mit ihren Kindern verteilte Einar auf einige Familien, von denen er wusste, sie würden Hilfe gebrauchen können. Eine von ihnen übergab er dem Thoke, und dies tat er nicht ohne Hintergedanken.

Zwar lehnte der Zimmermann zuerst ab, doch Einar bestand darauf, das Thoke dem Weib und ihrem Kind ein neues Heim gab.

„Glaubst du, sie werden sich einfügen?“, fragte Raban, als die beiden Männer sich vom Lager auf den Weg zur Halle machten. „Ja, das werden sie. Nur um Björn mache ich mir Sorgen. Ich werde Harald sagen, er soll ihn im Auge behalten.“

*

Längst hatten die drei Schniggen des Borkell das Kattegat11 hinter sich gelassen. Nun segelten sie an der Südküste Norwegens durch das Skagerrak12 Richtung Westen. Die Gefangenen hatte der Hauptmann des Ladekönigs auf sein eigenes Schiff bringen lassen. So saßen diese nun dichtgedrängt beieinander an der Reling des Schiffes. Sif und Polk hielten sich zu beiden Seiten dicht bei ihrer Herrin Alma. Die Gemahlin Jarl Einars hielt ihren Säugling fest in den Armen, und stierte abwesend auf die Planken des Schiffes. Ihr Gesicht war kreidebleich, eingerahmt von dem schwarzen Haar, sah man ihre Blässe noch deutlicher. Die Magd neigte sich zu der Alma und berührte das Kind. Da begann der Säugling zu weinen. Die Sif atmete sichtlich auf, denn sie hatte befürchtet, dass der Knabe bereits gestorben war. Alma öffnete ihr Kleid und legte den Knaben an die Brust. Der Kampf um Askby und die Geburt hatten der Alma sehr zugesetzt. Und nun kam die Ungewissheit dazu, was aus ihr und dem Kind werden würde. Sie zweifelte nicht daran, dass ihr Gemahl nach ihnen suchen würde.

Doch die Frage, ob Jarl Einar überhaupt noch lebte, machte die Hoffnung schnell wieder zu nichte.

Anfangs hatten die Kerle immer wieder für Ruhe gesorgt.

Hatten die Gefangenen angeschnauzt, und manchmal auch nach ihnen getreten oder sie geschlagen. Nun aber störten sie sich nicht mehr um sie. Der Gedanke, dass die meisten ihrer Gefangenen selbst einmal Trøndner von der Insel Tautra waren, schienen sie vergessen zu haben.

„Was hast du mit ihnen vor?“, fragte der Stevenhauptmann den Borkell. Dieser wandte sich dem Mann zu und grinste.

„Ich bringe sie dem König. Soll Grjotgard entscheiden, was mit ihnen geschieht!“

„Aber ich dachte…“

„Was dachtest du? Dass du sie als Sklaven verkaufen kannst?“, blökte der Schiffsführer den Stevenhauptmann an.

„Sie dienen uns als Köder! Begreifst du das?“ Da nickte der Krieger, doch er war unzufrieden. Unzufrieden wie viele andere auf den Schiffen. Sie hatten mit Beute gerechnet, doch was sie auf die Schiffe schleppten, konnte man kaum als Beute bezeichnen. Den Besitz des Einar hatten sie nicht gefunden. Nun blieb nur noch die Hoffnung, dass der König sie für diesen Raubzug ordentlich entlohnte.

Zwar hatten sie nicht mit Stürmen zu kämpfen, doch obwohl es Sommer war, waren die Nächte auf See recht kalt. Ohne Zwischenfälle gelangten die drei Schiffe in das Trøndelag und den großen Fjord von Lade13. Ein Weib der Gefangenen war bei der Überfahrt gestorben, und zu Borkell Verwunderung war es nicht Alma, die sich in einem bedauernswertem Zustand befand. Und auch der Säugling lebte, was wohl der Wärme, die ihm Alma, Sif und Polk gleichermaßen spendeten, zu verdanken war.

*

„Was?“ Erbost war Jarl Einar aufgesprungen. Gemeinsam mit der Familie des Hausherrn hatten sie an einem großen Tisch gesessen. „Ja, der Krieger stellte sich als Bote des Hauptmannes Thorsten vor“, wiederholte Ilva noch einmal ihre Worte. „Und dieser hatte den Mann auch geschickt.“

„Das heißt, König Ragnar hat von den drei Schniggen der Trøndner gewusst“, stellte Olaf fest, und Thoke und Kjelt nickten zustimmend, und mit bösem Blick. Einars Gesicht war zu einer wutverzerrten Fratze geworden. „Er hat mein Dorf wissentlich seinem Schicksal überlassen.“

„Was werden wir nun tun?“, fragte Raban, der Sachse. Die Blicke der Männer trafen ihren Jarl. Einar schwieg einen Moment, doch bevor er seinen Mund öffnete, tat es ein anderer. „Wir sollten jetzt keine Entscheidung treffen“, sprach Olaf zu seinem Freund und Anführer. Dieser überlegte, und nickte dann. „Du hast recht, wir sollten uns erst um unsere Leute kümmern. Ich will wissen, wie groß unsere Kampfkraft ist. Das übernimmst du, Olaf.“ Der Angesprochene nickte. „Du, Thoke, wirst mit Brok und dem Friesen die Schiffe überholen, damit sie die Fahrt in den Norden gut überstehen. Und auch dieser nickte. Nach einem Gelage war niemandem zumute, so saßen sie am Abend nur in der großen Methalle zusammen, und besprachen, was zu geschehen hatte.

Gisli trat hinter die Eira, und beugte sich an ihr Ohr.

Plötzlich erhob sich die Ladeprinzessin und folgte dem

Sohn Jarl Borkas ins Freie. „Du weißt, dass Jarl Einar nun in das Trøndelag segeln wird?“ Eira blickte den doch recht gut aussehenden Krieger fragend an. Sie verstand nicht, worauf dieser hinaus wollte. „Ich denke, du wirst ihm nicht folgen wollen. Darum bitte ich dich hier in Borkasvik zu bleiben.“

„Aber ich gehöre zu Jarl Einars Gefolgschaft“, widersprach sie dem Gisli. „Nicht mehr, wenn du meine Gemahlin wirst!“ Erstaunt sah sie den jüngeren Sohn des ergrauten Jarls an. Ein wenig fühlte sie sich schon zu ihm hingeszogen, und sicher würde er einmal Jarl in Borkasvik werden. Aber es war Björn, der in ihrem Kopf herumspukte.

Dieser aber hatte Älvsborg mit seiner Mutter Lagertha verlassen, und ob er jemals zurückkommen würde, wussten nur die Götter. „Du ziehst es vor, auf den Björn zu warten, von dem du nicht einmal weißt, ob er zurückkehrt?“ Ein wenig enttäuscht, und auch erbost sah Gisli die Prinzessin an. Da sprach sie: „Gib mir ein wenig Zeit! Ich muss darüber nachdenken.“

„Gut denke darüber nach. Ich werde dir ein guter Mann sein“, versprach Gisli, und ging zurück in das Haus. Dort hatte Einar inzwischen erfahren, dass er für jedes Schiff achtundzwanzig Krieger zur Verfügung hatte. Dies war nicht die Anzahl, die für einen offenen Kampf reichen würde. Doch Einar würde sicher noch ein Ausweg einfallen!

Am Morgen hatten sich alle Krieger aus Einars Gefolge auf dem Platz vor der Jarlshalle gesammelt. Bis auf jene, die bereits am Hafen mit dem Überarbeiten der Schiffe beschäftigt waren. Einar stand mit Olaf und Raban, der Sigve und ihrem Gemahl Borka, sowie Gisli beisammen.

„Ich kann gute Krieger immer gebrauchen“, sagte Einar und sah den Sohn des Borka fragend an. „Wie ist es, willst du uns begleiten?“ Doch Gisli lehnte dankend ab und ging.

Zwar sah Borka seinem Sohn ein wenig beschämt hinterher, aber er schwieg, denn es war die Entscheidung des Gisli und nicht die seine. Außerdem wusste er von Gislis Seekrankheit, die nicht einmal die Sigve zu heilen vermochte.

Diesmal wollte Einar auch die Schildmaiden, die Kriegerinnen, zu denen auch Ilva gehörte, mit an Bord nehmen. Da trat Eira, gemeinsam mit Ilva, vor den Jarl. Und zu der jungen Eira sprach er: „Für dich wird es besser sein, du bleibst hier. Du bist uns allen sehr ans Herz gewachsen, Eira. Doch die Gefahr ist groß, dass ich dich gegen meine Leute eintauschen müsste, denn dies wäre sicher das, was Borkell verlangen würde, wüsste er von deiner Anwesenheit auf meinem Schiff.“ Enttäuscht sah die einstige Prinzessin von Lade den Jarl an. Doch sie musste sich eingestehen, der Jarl hatte recht. „Gut“, antwortete sie nickend. „Ich denke, das Schicksal, welches die Nornen14 für mich webten, nimmt seinen Lauf. Ich werde also die Gemahlin des Gisli!“ Da sah Einar die junge Frau erstaunt an. Und diese nickte.

„Ja, Gisli bat mich sein Weib zu werden. Ich denke, er ist ein guter Mann.“ Dem stimmte der Jarl aus Askby zu, und obwohl er fand, Eira sollte mit einer Vermählung noch warten, bestärkte er sie in ihrem Vorhaben.

„Jarl Einar, ich danke dir für alles, was du für mich getan hast.“ Man sah der jungen Frau, die gerade einmal sechzehn Winter zählte an, wie sehr sie mit den Tränen kämpfte. „Ich bleibe also hier in Borkasvik.“

Die Entscheidung der jungen Frau wurde von Gisli, dem Jarlssohn, mit großer Freude aufgenommen, als die Eira vor ihn trat und in seinen Antrag einwilligte. Einige Karren, beladen mit Proviant, begleiteten die Krieger aus Askby auf ihrem Weg zum Hafen. Und Jarl Einar war auffallend ruhig. Ein Gedanke hatte den Jarl in der Nacht und auch jetzt nicht losgelassen. Warum hatte Ragnar ihm die Hilfe verweigert? Er war der Lehnsherr, und es war seine Pflicht die Zurückgebliebenen zu schützen. So groß war dessen Groll auf den Einar schon, dass er seine Gefolgschaft wissentlich ihrem Schicksal überlassen hatte?

Ragnar würde auf seinen Anteil an der Wikingfahrt verzichten müssen, dies hatte Einar jedenfalls beschlossen.

Nicht eine einzige Münze würde er dem König geben. Und seine Zweifel wuchsen, dass er je in den Vänern und somit in König Ragnars Reich, zurückzukehren würde.

So konnte dies sicher nicht ihre Heimat bleiben!

Das Dorf war jedenfalls zum Großteil verwüstet, und es würde viel Kraft und Zeit kosten, es neu zu errichten.

Ein leichter Sommerregen fiel auf die Schiffe herab, als sich die Besatzungen des Wellenwolfes und des Asenzorn im Hafen einfanden. Sie luden den Proviant auf die Schiffe, befestigten ihre Schilde an der Reling, und gingen an Bord.

*

1Jarl – Graf /Earl

2Trøndner – Bewohner eines Gaus im Norden Norwegens

3Grjotgard Herlaugsson – 790 – 867 König des Tröndelag

4Ragnar Sigurdsson – gelebt in der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts, Sohn des dänischen Kleinkönigs Sigurd Hring

5Knarr, Knorr - dickbauchiges Handelsschiff der Nordleute

6Vänern - Vänern ist ein See im Südwesten des heutigen Schweden, gelegen zwischen den historischen Provinzen Dalsland, Vermland und Västergötland

7Trøndelag – Gau in Nordwestnorwegen, die Bewohner nenen sich Trøndner

8Schnigge – schnelle, schlanke Kriegsschiffe mit bis zu 40 Riemen

9Völva – Seherin, Kräuterkundige Heilerin

10Götaälv – Grenzfluß zwischen der norwegischen Ranrike und dem Dänischen Götaland

11Kattegat - See zwischen dem nördlichen Jütland und dem Götaland

12Skagerrak – Teil der Nordsee zwischen der Nordküste Jütland und der Südküste Norwegens

13Lade – Königsstadt im Trøndelag, später von König Olaf Tryggvasson in Nidaros umbenannt und erweitert, heute ein Stadtteil von Trondheim

14Nornen – Urd, Verdandi und Skuld, die drei Göttinnen bewachen den Brunnen des Schicksals an den Wurzeln der Weltesche. Sie bestimmen das Schicksal der Götter und das der Menschen

2. AUF DER SUCHE

Jedes der beiden Schiffe war nun doch mit fast vierzig Kriegern besetzt. Nur wenige Männer ließ der Jarl zurück, schickte diese in sein Dorf, um Askby ersteinmal wieder aufzubauen. Nachdem Borka und Sigve auf den Jarl eingeredet hatten, entschied er sich in Ranrike15 zu bleiben. Vorerst!

Jarl Borka hatte versprochen einige Krieger mit nach Askby zu schicken, um den Schutz der Frauen, Kinder und Handwerker zu gewähren. Gisli erhielt den Befehl über diese Krieger. So konnte es Jarl Einar wagen, weniger Männer im Dorf zurückzulassen. Und er erwartete, dass sein Dorf an der Grenze zum Gautenland wieder aufgebaut sein würde, wenn er heimkehrte.

Noch bevor die Segler sich auf den Weg machten, verließen die Bewohner von Askby das Dorf Borkasvik im Norden.

Der Dorfälteste Harald hatte nun von dem Jarl die Befehlsgewalt erhalten, und führte den Treck an, der nach Südosten zog.

„Wohin werden wir segeln?“, fragte Raban, der neben dem Einar an der Reling stand, und über den See sah. Der Jarl wandte sich dem großen Sachsen zu. „Ich glaube, dass es Borkell zurück nach Lade zieht. Er wird seine Beute dem König präsentieren wollen, um sich Beschenken zu lassen.

Außerdem hat der Kerl es schon immer auf Anerkennung abgesehen. Also werden auch wir in das Trøndelag segeln.

Denn dort finden wir unsere Leute.“

„Du willst nach Lade segeln? In die Höhle des Bären? Das halte ich für äußerst gefährlich“, sprach Raban skeptisch.

„Genau dies ist es doch, was der Kerl will“, fügte Thoke hinzu. Da nickte Einar und stimmte dem Sachsen zu.

„Natürlich will er das! Und ich will es auch! Denn ich habe es satt, diesem elenden Hundschiss immer wieder über den Weg zu laufen.“

„Wie sollen wir unsere Leute sonst zurückbekommen?“, fragte nun Thoke mit ernstem Blick, und sah den Raban dabei streng an. „Wenn wir nicht kämpfen können, müssen wir sie freikaufen. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.“

„Du willst unsere Beute fortgeben?“ Raban sah den Jarl entsetzt an, der zwar zu den Worten des Zimmermannes schwieg, aber den Kopf nickte. Genau dies schien die Absicht Einars zu sein, befürchtete Raban, und dies gefiel dem Stevenhauptmann überhaupt nicht. Und außerdem bezweifelte er, dass es dem Trøndnerkönig in dieser Angelegenheit um Beute ging. „Nein, Einar! Die wollen kein Silber. Die wollen deinen Kopf! Nur darum geht es!“

Raban schüttelte energisch sein Haupt. Da grinste Einar überlegen. „Und ich will den Kopf des Borkell. So wissen wir wenigstens woran wir sind! Lassen wir uns überraschen, auf wessen Seite die Götter stehen!“

Nun gab es Raban auf. Es schien, als hätte Einar seine Entscheidung gefällt. Und außerdem wusste der Sachse doch zu gut, dass es die Nornen waren, die das Schicksalsnetz webten. Darauf hatte er keinen Einfluss. Es konnte also noch viel geschehen!

So stand der Kurs fest, und die beiden Schiffe segelten in den Fluss, der sie nach Westen in das Kattegat brachte.

Bald erreichten sie den Hafen der Götaburg, die Jarl Breka befehligte. Ihn hatte König Ragnar zum Jarl gemacht, denn kein anderer Jarl wollte den Bau der Festung überwachen.

Kurzerhand löste der König von Ranrike das Problem, nahm dem hier herrschenden Jarl einen Teil seines Landes, und gab es dem Jarl der Götaburg. Und dieser war nun Breka!

Er erhielt den Titel ohne ihn von seinem Vater erben zu müssen.

Die Götaburg lag vom Hafen getrennt, ein wenig landeinwärts. Doch war der Abstand zwischen dem Hafen, mit seinen Hütten und der Burg in kurzer Zeit heftig zusammengeschmolzen. Denn noch bevor sich der Kreis des großen Walles um die Burg geschlossen hatte, hatten sich zu dessen Füßen Menschen angesiedelt.

Mehr und mehr Siedler kamen, und bauten ihre Hütten und Häuser. So wuchs um die Burg schnell ein Dorf heran.

Einar stand am Vordersteven des Wellenwolfes. „Wir segeln in den Hafen!“, rief er zum Asenzorn hinüber. Und so wie es der Anführer befahl, geschah es auch. Er wollte hören, ob sein Freund Breka von der Angelegenheit wusste.

Ob dieser gar ebenfalls tatenlos zugelassen hatte, dass der Trøndner das Dorf Askby überfiel. Dieser Gedanke war dem Einar ein Graus. Er quälte ihn noch mehr, als die Tatsache, dass der König ihn in Stich gelassen hatte.

Kaum hatten die beiden Schiffe einen Liegeplatz gefunden, kamen auch schon Krieger heran. „Wer seid ihr? Und was wollt ihr hier?“, fragte ein junger Kerl mit fordernder Stimme.

Einar stand an der Reling seines Schiffes. „Ich bin Jarl Einar Thordsson! Kennst du mein Banner nicht? Ich will zu Jarl Breka.“ Er sah den Krieger freundlich an. Doch dieser schien neu auf seinem Posten zu sein. Er kannte Einar nicht, und wusste auch nicht, dass er ein Freund des Jarls der Götaburg war. „Ich glaube nicht, dass Jarl Breka Zeit für dich findet…“, da unterbrach Raban den Mann, denn er war neben Einar getreten, und er hatte gesehen, wie sich das Gesicht seines Jarls verdunkelte. So versuchte er nun, schlimmes zu verhindern.

„Sag, ist heute nicht Markttag?“ Verwirrt sah der junge Krieger den großen Sachsen an. „Äh, ja, äh… das schon…!“

„Na, dann ist ja alles gut. Wir besuchen den Markt! Oder hast du daran auch etwas auszusetzen?“ Mit überrumpeltem Blick sah der Wachmann den Sachsen an, und schüttelte langsam seinen Kopf. „Aber ihr seid keine Kaufleute!“

Für die Ankömmlinge war die Angelegenheit damit aber beendet. Sie wandten sich ab, und ließen den jungen Wachmann einfach stehen. Doch dieser war nicht so dumm, wie Raban geglaubt hatte. Sein Kopf lief hochrot an, und er stürmte zu einem der anderen Krieger, mit denen er die ankommenden Schiffe überprüfte. Bald darauf standen fünf Krieger vor dem Wellenwolf!

Diesmal aber wurde Jarl Einar erkannt. Der Anführer der Wachmänner hob zum Gruß seine Hand. „Jarl Einar, ich grüße dich! Breka wird sich sicher freuen, dich zu sehen.“

Und der Angesprochene erwiderte den Gruß, nur fiel ihm der Name des Mannes nicht ein. Dies aber schien den Krieger Jarl Brekas keineswegs zu stören. Er wandte sich dem jungen Krieger zu. „Du Narr! Du wagst es so mit Jarl Einar zu streiten? Das ist der beste Freund unseres Jarls, und ihm verweigerst du an Land zu kommen. Nun, da wird sich Jarl Breka sicher bei dir erkenntlich zeigen.“

Er begann laut zu lachen, und ließ den jungen, wirr dreinschauenden Krieger ratlos zurück.

*

Die Freude Brekas war tatsächlich groß, als sein Weib Astrid in die große Methalle trat, und rief: „Schau mal, wen ich dir mitgebracht habe!“

Sie war Einar auf dem Platz begegnet, und nach einer ausgiebigen Begrüßung, ging sie der kleinen Schar voraus. Die Männer aus Askby folgten der Astrid in die große Halle, wo Breka mit einigen Männern an einem Tisch saß. Sofort sprang der Jarl der Götaburg auf, und lief dem Einar entgegen. „Einar! Welche Freude! Was treibt euch hierher?“

Doch bevor er seinen Freund und einstigen Retter umarmen konnte, musste er ihn von der kleinen Asta befreien, die Einar auf dem Arm trug. So nahm Breka seine Tochter, und stellte diese auf ihre eigenen Beine. Und nun umarmte er den Freund, so wie er es für angemessen hielt. Jetzt ließ auch Astrid ihren Sohn Asbjörn vom Arm herunter, und wandte sich der Ilva zu, mit der sie schon an der Seite der Thordis, die Jarl Einars Schwester war, als Schildmaid gekämpft hatte.

Nun geschah, was zu erwarten war. Die Begrüßung drohte in ein Gelage auszuarten. Breka ließ die Sklaven Bier herbeischaffen, und sie nahmen alle Platz. Nur die Kinder liefen noch umher.

„Leider ist es kein schöner Anlass, der mich hierher führt“, begann Einar zu erzählen. „Mein Dorf wurde überfallen!“

Erstaunt sah Breka den Einar an, und er las in seinen Augen.

„Von den Gauten auf der anderen Seite des Waldes?“, wollte er wissen, doch Einar schüttelte langsam seinen Kopf. Breka schien tatsächlich ahnungslos zu sein. „Es war Borkell, der Hauptmann König Grjotgards.“ Breka hob erstaunt seine Augenbrauen. „Borkell? Hier im Vänern? Das wüsste ich doch!“

„Mit drei Schiffen kam er“, antwortete Olaf und konnte seine Verärgerung kaum verbergen. „Während wir auf Raubfahrt waren.“ Nun begann Breka zu begreifen, dass er wohl nicht unschuldig daran war. Er war es, der den Zufluss zu dem riesigen See überwachte. Und die Feinde waren einfach an ihnen vorbeigesegelt. Da musste Einar ja denken, dass er verraten worden sei. Aber es kamen auch keine Befehle des Königs, die Breka aufgefordert hätten, den Feind wieder aus dem Vänern herauszujagen. Ein ungutes Gefühl überkam den Jarl der Götaburg.

Jarl Einar sprach kein Wort, er ließ Olaf reden. „Sie segelten ungehindert in den See hinein.“

„Davon weiß ich nichts. Und ich bekam auch vom König keine Befehle!“, verteidigte Breka sein Handeln.

„Natürlich nicht, weil es ihm gerade recht kam. Er hält uns nämlich für Verräter, weil wir mit König Horik auf Raubfahrt waren“, sprach Olaf aufgeregt. „Nur von seinem Hauptmann Thorsten kam ein Bote der die Ilva warnte.

Doch da war es längst zu spät!“

„Du willst damit sagen, dass Ragnar den Angriff…?“

„Ja, das will er damit sagen“, mischte sich nun Einar ein, blieb aber im Gegensatz zu Olaf ruhig. „Er ließ den Borkell gewähren, denn er hat es auf ein Bündnis mit Grjotgard abgesehen, und wie es scheint, bin ich der Preis dafür.“

„Borkell hat Frauen und Kinder geraubt“, sprach Raban zu dem Jarl der Götaburg, und Einar nickte: „Auch Alma, die hochschwanger geht, ist unter den Geraubten.“ Sprachlos sah Breka seinen alten Gefährten und Lebensretter an, während dessen Weib Astrid entsetzt in Tränen ausbrach.

„Nun ist es an der Zeit eine Entscheidung herbeizuführen“, sprach Einar. „Ich werde mein Weib befreien, und ich hole mir den Kopf des Borkell! Und wenn nötig, auch den des Grjotgard!“ Viele Männer die an dem Tisch saßen, hatten das Gefühl, es tat sich in diesem Moment ein Riss zwischen Einar und Breka auf. Es stand fest, dass Jarl Einar sich gegen seinen König Ragnar stellen musste, wenn er gegen den Ladekönig vorgehen würde. Genauso stand auch fest, dass Jarl Breka dem Ragnar weiterhin Gehorsam leisten würde. Olaf war es, der in seiner Wut die Frage an Breka richtete: „Wirst du gegen uns kämpfen, wenn Ragnar dies von dir verlangt?“

Breka sah den großen blonden Krieger schweigend an, richtete dann seinen Blick auf Einar. Und dieser verstand! Nun drohte tatsächlich zwischen diesen Freunden ein Zerwürfnis.

Die Stimmung war nun jedenfalls getrübt, und so zogen sich die Männer Jarl Einars in den Hafen zurück. Zwischen den beiden Männern fielen nicht mehr viele Worte, und schon früh am nächsten Morgen, legten die Schiffe Einars ab.

„Du wirst dich doch nicht gegen Einar stellen?“, hatte Astrid ihren Gemahl Breka gefragt, als sie sich in der Nacht zu ihm auf das Schlaflager legte. „Er hat dich einst aus der Sklaverei befreit. So hast du es mir erzählt.“ Der Jarl fuhr sich mit beiden Händen durch sein blondes Haar. „Das ist lang her!“ Ihm war nicht wohl in seiner Haut.

„Und doch solltest du es nicht vergessen“, widersprach sie ihm. „Man hat ihm sein Weib geraubt, und alle haben ihn in Stich gelassen.“ Hätte er den Überfall auf Askby verhindern können, wenn er die Schiffe der Trøndner bemerkt hätte.

„Ich bin nun mal ein Mann König Ragnars! Warum musste er auch mit Horik auf Wiking ausfahren? Er weiß doch, dass Ragnar und der Däne sich nicht wohlgesonnen sind!“

„Einar ist ein freier Mann, und ein Krieger Ragnars ist er auch. Du siehst was es ihm eingebracht hat“, wurde Astrid nun böse. Da reichte es Breka, er wandte sich um, und zeigte dem Weib seine Schulter.

Der Wellenwolf und der Asenzorn pflügten die Wellen des Kattegats in Richtung Norden. Entlang der Küste Ranrikes, hinauf nach Vingulmark, auf die Mündung des großen Fjordes von Vestfold zu. Von dort nahmen sie dann Kurs nach Westen. Mit geblähten Segeln zogen die Schiffe durch das Skagerrag, die Küste Hardangers zu ihrer Rechten, auf die Handelsstadt Kap Lindesnes zu.

Leichter Regen fiel, doch es war angenehm warm an diesem Tag. „Was ist da geschehen, in der Götaburg?“ Thoke hatte sich neben Einar auf die Planken gehockt. „Hat sich Breka tatsächlich gegen dich gewandt?“ Mit traurigem Blick sah der Jarl den Zimmermann an. „Es sieht so aus, mein

Freund.“

„Aber er war fast wie dein Bruder. Wie kann er das tun?“ Nun wurde Einar ein wenig zornig. „Woher soll ich das wissen? Das hättest du Breka fragen müssen!“ Da nickte Thoke. „Ich weiß nicht wie weit Ragnar noch geht, aber ich befürchte, dass wir Breka eines Tages mit dem Schwert in der Hand gegenüberstehen.“ Langsam erhob sich der Jarl, stützte seine Hände auf die Reling, und sah auf das Meer hinaus.

*

Die Begrüßung in der großen Königshalle von Lade, fiel anders aus, als Borkell dies erwartet hatte. In Begleitung von fünf Kriegern, hatte der Schwarze, die Gefangenen in das Langhaus gebracht. Nun standen sie vor dem Podest, auf dem König Grjotgard, die Königin Andur und Prinz Sigurd saßen, welcher nun vierzehn Winter zählte.

„Wer ist das?“, fragte der Ladekönig mit düsterem Blick. Da trat Borkell vor und verkündete stolz: „Dies sind die Weiber und Kinder von Askby! Und diese hier sind sogar die Gemahlin des Einar, Alma und seine Kinder!“ Königin Andur erkannte sofort den schlechten Zustand der Alma. Wütend sprang sie auf. „Soweit sind wir inzwischen, dass wir uns an Frauen und Säuglingen vergreifen?“ Ein zorniger Blick traf Grjotgard, ihren Gemahl, und dieser senkte tatsächlich schamvoll den seinen. „Die Heilerin zu mir!“, befahl Andur laut und voller Zorn. Immer noch war sie dem Einar mit großer Zuneigung verbunden. Und selbst den Verlust ihrer Tochter Eira, legte sie diesem nicht zur Last. Nein, die Schuld an der Flucht der Tochter trug allein ihr Gemahl Grjotgard. Er hatte Eira aus dem Haus getrieben. Er hatte sie einem alten Kerl zum Weib gegeben, um die widerspenstige Tochter zu bestrafen. „Isa, Thurid!“, rief sie zwei Sklavinnen herbei. „Bringt Alma und ihre Kinder in eine Kammer!“ Auf den Wunsch der Jarlsgemmahlin hin, durfte auch Sif, die den kleinen Ulf auf dem Arm hielt, ihre Herrin begleiten.

„Und nun zu dir, Borkell!“ Königin Andur trat mit strengem Blick vor den schwarzhaarigen Hauptmann, an dem sie hinauf sehen musste, da er sie um mehr als eine Kopfeslänge überragte.

„All diese Menschen hier, sind Leute von unserem Volk. Sie sind Trøndner wie wir.“ Sie blickte sich um. „Verjagt aus der Heimat. Von euch!“ Noch einmal rief sie nach einer Magd. „Du bringst sie alle hinüber in das Gästehaus. Dort werden sie versorgt, so wie es sich für Gäste gehört!“, befahl die Königin dieser. Da aber sprang Grjotgard verärgert auf. „Nun geht es aber zu weit! Sie sind meine Gefangenen, und nicht deine Gäste!“ Doch Andur ließ sich nicht einschüchtern. „Du solltest lieber deinen Hauptmann zur Ordnung rufen. Oder war es etwa dein Befehl ein Schiff voller Frauen und Kinder nach Lade zu bringen.“ Da fuhr sich der König beschämt mit der Hand über seinen Bart. Dies war natürlich nicht sein Befehl gewesen. Den Jarl zu töten, und all sein Gefolge mit ihm, das war der Befehl den er ausgegeben hatte. Grjotgard erhob sich, und trat neben sein Weib vor den Hauptmann. Er sah diesen streng an.

„Was ist mit Jarl Einar? Ist er tot? Und wo ist meine Tochter?“ Ein wenig verstört sah der Schiffsführer und Hauptmann des Königs seinen Herrn an. Ein zorniger Blick der Andur, fiel auf ihren Gemahl. Denn da er seine Tochter erst anschließend an die Frage nach dem Tode des Einar genannt hatte, erkannte sie, dass der Hass auf den Jarl größer war, als die Liebe zu seiner Tochter.

Borkell schüttelte sein Haupt. „Nein! Jarl Einar war nicht im Dorf, und auch der größte Teil seiner Krieger nicht.“ Da schrie Andur vor Wut auf, wandte sich ab und ging. „Ein elender Feigling bist du, der ein schutzloses Dorf überfällt!“

„Ich brachte sie als Köder mit hierher“, versuchte sich Borkell aus seiner misslichen Lage herauszureden. Doch der König schwieg. Sah sich nach seinem Weib um, und sagte dann: „Lass es gut sein, Mann! Andur ist weg!“ Der König klopfte dem Hauptmann auf die Schulter. „Das hast du gut gemacht, Borkell! Jetzt wird er zu uns kommen.“ Da atmete der schwarzhaarige Hauptmann auf. „Ich habe doch tatsächlich geglaubt, du seist mir gram!“

„Ach was! Es ist nur wegen Andur!“ Ein wenig mitleidig sah der Hauptmann den König an, als dieser sich umdrehte und zu seinem Hochstuhl zurückging. Dies waren die Momente, an denen er froh war, sich nie ein Weib genommen zu haben.