Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Von König Ragnar als Bote in das Trøndelag geschickt, kehrt Jarl Einar in seine alte Heimat den Ladefjord, und an den Hof König Grjotgards zurück. Doch die Begegnung verläuft nicht so wie von Einar gewünscht, darum entführt er kurzerhand die Tochter des Trønderkönigs nach Ranrike. Rache schwörend bemannt Grjotgard seine Schiffe und segelt nach Süden, in das Reich seines Feindes. Die Entführung der Prinzessin von Lade missfällt König Ragnar jedoch, und so fällt Einar bei seinem Herrn und einstigen Freund in Ungnade. Als sich der Jarl dem verfeindeten Dänenkönig Horik zu einer großen Wikingfahrt in das Friesenland anschließt, wendet sich König Ragnar endgültig von seinem Jarl ab. Und während das Dorf Askby ungeschützt zurückbleibt, nähern sich die Schiffe des Ladekönigs unter dem Befehl Borkell des Schwarzen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 362
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
RAINER W. GRIMM wurde 1964 in Gelsenkirchen / Nordrhein -Westfalen, als zweiter Sohn, in eine Bergmannsfamilie geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie und seinen beiden Katzen im längst wieder ergrünten Ruhrgebiet. Erst mit fünfunddreißig Jahren, entdeckte der gelernte Handwerker seine Liebe zur Schriftstellerei. Als unabhängiger Autor veröffentlicht er seitdem seine historischen Geschichten und Romane, die meist von den Wikingern erzählen.
DER WEG NACH NORDEN
AUGE IN AUGE
DIE PRINZESSIN
KÖNIGLICHER BESUCH
DER VORWURF
UNGEBETENER BESUCH
DER VERFOLGER
RAUBZUG BEI DEN BALTEN
DIE HERAUSFORDERUNG
SPÄTE RACHE
VON EINEM WIEDERSEHEN
AM HOF KÖNIG HORIKS
BEI DEN FRIESEN
BORKELLS ANGRIFF
Asgrim stand, in einen mit Fell besetzten Umhang gehüllt, am Vordersteven und sah auf den aufgewühlten See hinaus. Der Wind zerrte an seinen schwarzen Haaren, die ihm lang über die Schultern fielen. Leichter Nieselregen durchnässte seine Kleidung. Er zeigte nach Norden. „Dort rüber!“, rief er laut über das Deck.
„Dort müssen wir hin!“
Der Steuermann des Seesstürmers nickte, und drückte die Ruderstange von sich. Sofort neigte sich der Vordersteven in die Richtung, die der Hauptmann Jarl1 Brekas befohlen hatte.
Eher gelangweilt stand der Posten auf dem hohen Aussichtsturm, den man am Hafen erbaut hatte. Er sah auf den Vänern2 hinaus, und plötzlich erblickte er ein Schiff, das von Süden kommend, auf Askby zu steuerte. Er griff nach dem Signalhorn, das an einem der Pfosten mit einer Lederkordel befestigt war, und blies kräftig hinein. Der Klang des Horns ließ die Menschen, die im Hafen ihrer Arbeit nachgingen, aufmerksam werden. Sofort liefen sie zu den Anlegestegen.
Der breite Steg führte über den Strand, teilte sich dann zu beiden Seiten entlang der Uferkante. Von hier führten zwei Anlegestege in den See hinaus, sodass mindestens drei Schiffe Platz fanden. An einen der Stege ruderten die Männer den Seestürmer. Der andere Steg war von der einen Seite mit der Schnigge3, und von der anderen mit dem Knarr4 des Jarls belegt. Die Rahe mit dem zusammengerollten Segel der Schnigge, lag nun auf dem Gestell, das längs des Schiffes angebracht war und dazu diente diese und die Ruderpinne aufzunehmen. Man konnte auch eine große Plane darüber spannen, um so ein Zelt auf dem Schiff zu errichten.
Einer der Männer warf das Tau auf den Anlegesteg, wo es ein anderer in Empfang nahm, und an einem der Pfosten befestigte. Neben den Neugierigen waren aber auch Krieger in den Hafen geeilt, denn bei unbekannten Schiffen war man doch misstrauisch. Auch Jarl Einar kam mit einigen Männern zum Anlegesteg, um die Fremden zu begrüßen. Er kam den langen, mit Holzplanken belegten Weg hinunter, gefolgt von Raban und Olaf. „Kennst du die Kerle?“, fragte der große Sachse seinen Jarl, und dieser schüttelte den Kopf.
„Nein, aber sie tragen das Banner König Ragnars am Mast. Ich denke, er hat sie geschickt.“ Mit dieser Antwort gaben sich die beiden Krieger zufrieden. Außerdem würden sie sowieso gleich erfahren wer die Fremden waren, und was sie in Askby wollten.
Es war Bogtyr, der auf den Jarl zu kam und sprach: „Es sind Männer von Jarl Breka. Sie wollen mit dir reden!“ Da nickte Einar nur, und trat auf den Anlegesteg. Bogtyr zeigte auf Asgrim. „Er ist der Schiffsführer!“ Und nach einigen Schritten sprach er zu dem Mann mit dem kurzgeschorenen Bart: „Ich bin Jarl Einar! Herr über Askby!“
„Sei gegrüßt, Jarl! Ich bin Asgrim, gesandt von Jarl Breka“, stellte sich der Schiffsführer vor. „Es gibt Befehle vom König!“
Da sah Einar den Olaf an, und wandte sich wieder dem Asgrim zu. „Dann seid uns Willkommen. Gehen wir in die Methalle, bevor wir völlig durchnässt sind“, schlug der Jarl vor, denn der dünne Nieselregen, der seid dem frühen Morgen aus den grauen Wolken fiel, durchdrang jeden Fetzen Stoff.
Der rothaarige Bogtyr hatte den Befehl erhalten, die Mannschaft der Schnigge zur Methalle zu führen. Und Raban sollte den Mägden sagen, dass sie ein Mahl für die Gäste herrichten sollten. So ging dieser vorran. Als der Zug der Männer dann das große Gebäude erreichte, staunten die Besucher nicht schlecht. Prachtvoll stand die neuerbaute Methalle vor ihnen. Die überstehenden Enden des Giebels, zeigten die Köpfe von Drachen, und über dem feinbeschnitzten Eingang hing ein Rundschild in den Farben des Jarl Einar. Auch die große Esche auf dem Platz vor der Halle, hatte die Aufmerksamkeit des Asgrim geweckt. Der Stamm war mit den Gesichtern der Götter verziert, und doch lebte der Baum. „Es scheint, in deinem Gefolge gibt es viele gute Handwerker“, sprach der Bote des Breka zu dem Jarl, und dieser nickte stolz. Bogtyr trat voran und öffnete die beiden Flügel der Pforte, so dass die Männer eintreten konnten.
Auch in der Halle staunten die Männer von der Götaburg nicht schlecht. In der Feuerstelle, die sich über zwei Manneslängen entfernt des Podestes befand, brannte ein wärmendes Feuer. Ein Sklave hatte den Auftrag dafür zu sorgen, dass dieses nicht erlosch. Auf dem Podest standen drei Hochstühle, was Asgrim doch ein wenig verwunderte.
Doch er zügelte seine Neugier.
Die Mägde und Sklavinnen liefen emsig durch die Halle.
Sie verteilten hölzerne Schalen und Löffel auf den Tischen, und brachten auch Becher und Krüge mit Bier.
Jarl Einar nahm an einem der Tische Platz, was den Boten verwunderte, denn er hatte seinen Platz eigentlich auf dem Podest. Doch schon der fehlende Tisch vor den Hochstühlen, deutete darauf, dass dieser Jarl wenig Wert darauf zu legen schien, über seiner Gefolgschaft zu sitzen.
„Nun nehmt schon Platz“, forderte Einar die Gäste, und auch seine eigenen Männer auf. „Lasst es euch schmecken.“
Dann wandte er sich dem Asgrim zu. „Und du wirst mir von Breka erzählen. Wie ist es meinem Freund ergangen?“
Nach einer Weile des Stühle rückens, kehrte endlich Ruhe ein. Der Jarl hob den Arm und rief die Mägde heran. Diese begannen damit, die Mahlzeit aufzutischen. Eine würzige Grütze, mehrere Platten mit gebratenem Fleisch, große Mengen an Fisch, so wie die Nordleute ihn gerne aßen, und frischgebackenes Brot brachten sie heran. Und die Männer und Frauen griffen zu. Sie waren tatsächlich hungrig, und sie waren durchnässt und durchgefroren. Nun aber konnten sie ihre Mägen füllen, und sie fühlten, wie ihre Kleidung in der warmen Halle zu trocknen begann.
Erst nachdem die Gesellschaft ihren ersten Heißhunger gestillt hatte, richtete Jarl Einar sein Wort an Asgrim.
„Nun erzähle! Was ist der Grund deiner Reise?“ Asgrim schluckte, damit sein Mund gelehrt wurde, und er legte das Stück Brot beiseite, welches er in der Hand hielt, und von dem er kleine Portionen abriss, um sie in seinem Mund verschwinden zu lassen. „Der König sucht nach Verbündeten. Er befürchtet, dass König Horik5 keine Ruhe geben wird“, begann der Schiffsführer aus der Götaburg.
„Und auch der Gautenkönig wird danach streben seine Minen und sein Land zurückzugewinnen.“
„Und was habe ich damit zu tun?“ Einar sah den Asgrim fragend an. „Dich hat der König als Unterhändler ausgewählt. Wir werden gemeinsam dafür sorgen, dass König Ragnar6 nicht allein auf dem Schlachtfeld stehen wird.“ Jarl Einar strich sich nachdenklich durch seinen Bart.
„Warum gerade ich?“
„Weil du den König, zu dem wir reisen werden, am besten kennst.“ Da stutzte Einar, denn es schoß ihm ein Name durch seinen Kopf. Grjotgard Herlaugsson7!
Der König des Trøndelag8 sollte der Verbündete König Ragnars werden?
„Es ist der Trøndnerkönig zu dem wir reisen“, sagte Asgrim ohne zu ahnen, was nun kommen würde. Jarl Einar sprang wütend auf, und rief: „Was hat sich Ragnar dabei gedacht? Er weiß genau, dass ich diesen Hundsfott erschlage, wenn ich ihm begegne! Und was ist in Breka gefahren? Er weiß ganz genau, was geschehen wird, wenn ich in das Trøndelag zurückkehre!“
Der Bote aus der Götaburg sah den Jarl erstaunt an, doch er blieb ruhig. Als ginge ihn die Angelegenheit nichts an, sagte er: „Deine Geschichte kenne ich nicht, Jarl Einar, und außerdem bin ich nur der Überbringer dieser Nachricht.“
Er steckte sich ein Stück Brot in den Mund, und begann zu kauen. Einar sah den Mann mit dem kurzgeschorenen Bart und dem braunen, schulterlangen Haar erstaunt an. Und seine Wut verflog. Asgrim hatte Recht!
Einar nahm wieder Platz. „Du musst entschuldigen, mein Zorn ist mit mir durchgegangen. Ich liege mit dem Herlaugsson in Fehde, musst du wissen.“ Und dann begann er seine Geschichte von dem Zwist mit dem Trøndnerkönig zu erzählen.
Anfangs ließ Asgrim dies äußerst desinteressiert über sich ergehen. Doch je mehr der Jarl erzählte, umso aufmerksamer hörte der Hauptmann aus der Götaburg zu.
Und als Einar geendet hatte, nickte er und sagte: „Ich kann deine Bedenken nun verstehen, Jarl Einar. Doch wir reisen als Unterhändler zu diesem König, und wenn er nicht mit Ragnar Krieg führen will, wird er uns unsere Unversehrtheit garantieren.“ Jetzt war es Einar der staunte, denn ihm wurde bei der Wahl der Worte gewahr, dieser Asgrim war ein schlauer Mann. Es schien ihm, dass Breka eine gute Wahl getroffen hatte. Er sah den Asgrim an, und begann zu lachen. „Gut, wir werden in das Trøndelag segeln.“ Dann stieß er sein Messer in ein großes Stück Fleisch.
Einige Tage vergingen, denn die Reisevorbereitungen brauchten ihre Zeit. Jarl Einar hatte sich eine gute Mannschaft zusammengestellt. Gestandene Krieger, auf die sich der Jarl immer verlassen konnte.
So nahm er fünfunddreißig Männer an Bord. Und diesmal waren keine Kriegerinnen in seiner Gefolgschaft, was besonders die Schildmaid Ilva verstimmte. Sie war ein schönes Weib, von schlanker Statur und mit langem, blondem Haar. Sie war die Mutter von Einars sechs Winter zählender Tochter Thorvi, und sie war seine Konkubine, seine Zweitfrau. Seine erste Frau war Alma, einstmals eine sächsische Sklavin. Doch die schwarzgelockte Schönheit hatte das Herz des Jarls gewonnen, und wurde seine Jarlsgemahlin. Und sie aktzeptierte auch Ilva als Teil der Sippe, die ihre Freundin geworden war. Sie schenkte ihm im Frühjahr den langersehnten Sohn, dem Einar den Namen Ulf gab.
Es würde zwar etwas eng auf dem Wellenwolf, aber er wollte in der Lage sein, dem Herlaugsson die Stirn zu bieten. Als die Bewohner von Askby sich am Abend in der Methalle trafen, kamen auch einige der Männer des Breka, um sich die Zeit zu vertreiben. Unter ihnen war auch Asgrim, der zu dem Jarl und seiner Familie trat. „Du wirst nicht unter deinem eigenen Banner segeln, Jarl Einar“, sprach er zu dem Jarl, der an einem der Tische saß, und mit Olaf und Kjelt würfelte. Er hob seinen Kopf und sah Asgrim an. „Werde ich nicht?“, fragte er ein wenig lallend, denn er hatte schon einige Becher heißen Met getrunken. „Nein, das wirst du nicht!“ Asgrim reichte Jarl Einar das Banner des Königs. „Es ist der Befehl König Ragnars, dass wir unter seinem Banner segeln. Es wird uns vor Angriffen des Trøndners schützen.“ Einar war an der Reihe. Er nahm die Würfel auf und warf sie in einen ledernen Becher. „Gib es dem Bogtyr, er ist mein Stevenhauptmann.“ Dann ließ er den Becher auf die Tischplatte knallen.
*
Im Oktober des Jahres 833 nach der Geburt des Christen, stachen die beiden Schniggen Wellenwolf und Seestürmer im Auftrag ihres Königs Ragnar Sigurdsson in den großen See. Es war kalt an diesem Morgen, und es regnete. Kein schönes Wetter, um auf das Meer hinaus zu segeln. Und die Männer ahnten, was sie oben im Norden erwarten würde, denn für die meisten Männer auf dem Wellenwolf war es immer noch ihre Heimat. Höchstwahrscheinlich fiel dort bereits der erste Schnee. Also hatten sich alle mit wärmender Kleidung eingedeckt, und Einar hatte auch befohlen, in die Stauräume Decken und trockenes Holz zu schaffen.
Die beiden Schnellsegler hatten den riesigen See von Osten nach Westen durchfahren, und nun erblickten sie die Wasserfälle an der Mündung der Götaälv9. Nur ein Stück weiter südlich, befand sich die Fahrrinne, die es ermöglichte in den Fluß zu segeln.
Drei Tage befuhren sie den einstigen Grenzfluss zwischen dem Reich König Ragnars und dem Haland, welches zum Herrschaftsgebiet des Gautenkönigs gehörte. Nun aber, nach dem Krieg im Sommer, war Halland, genau wie Teile von Westgötaland, im Besitz König Ragnars.
Als sie dann an Backbord den Hafen der Götaburg passierten, wussten sie, dass die Mündung in das Kattegat10 nicht mehr weit war. Seit ihrer Abfahrt in Askby hatte es geregnet, doch nun schien sich das Wetter zu beruhigen. Es wurde zwar merklich kälter, doch es blieb trocken. Und nach mehr als fünf Tagen stießen die Kiele der beiden Schniggen endlich in die salzigen Fluten des Meeres.
Sie setzten Kurs nach Norden. Segelten entlang der Küste von Ranrike11, und später weiter nördlich von Vingulmark, bis sie die Mündung des großen Fjordes von Vestfold erreichten. Nun nahmen sie Kurs nach Westen, hinein in das Skagerrak12. Die Gefahr war nun groß den Schiffen des Horik zu begegnen, denn dieser kontrollierte die Küste Jütlands13 im Süden des Skagerraks. Und der Herrscher der Dänen war nicht gut auf Ragnar, den König von Ranrike, zu sprechen. Schließlich hatte dieser sich einem Bündnis mit König Horik verweigert. So hielten sie sich von der dänischen Küste fern.
Sie passierten Kap Lindesnes14, einen beliebten Handelsplatz, und umsegelten die südliche Spitze von Hardanger, um das Nordmeer zu erreichen. Mit Kurs hinauf in den Norden, segelten sie in Sichtweite des Ufers, bis sie nach elf Tagen das Trøndelag erreichten. Bald öffneten sich vor ihnen mehrere Fjorde, und Jarl Einar wusste, dass sie an der Mündung des großen Ladefjordes angekommen waren.
Der Jarl selbst stand an der Reling und brüllte gegen den Wind an, dass der Seestürmer ihnen folgen sollte. Kjelt, der Steuermann des Wellenwolfes kannte natürlich den Weg durch die Meeresarme dorthin, wo einmal ihre Heimat gewesen war. Bald schon wurde die Fahrrinne breiter und breiter, und irgendwann tat sich vor ihnen der große Fjord auf, in den sie hineinsegelten. „Binde einen weißen Lappen an den den Mast“, befahl Bogtyr dem Thure, der wegen seiner scharfen Augen der Ausguck des Wellenwolfs war.
Er war es gewohnt auf der Rahe zu sitzen. Und er wusste am besten, wie man den Mast besteigt. Wie eine Katze huschte der junge Kerl den Mast hinauf, und tat, was der Stevenhautmann mit dem roten Haar ihm befohlen hatte.
Jetzt segelten sie nach Steuerbord und hielten sich an der Küste. Mit Kurs Südosten, denn dort lag die Königsstadt Lade15.
Olaf, der mit Einar und Thoke auf dem Heckstand an der Reling stand, und auf die Küste sah, die immer näher kam, sagte plötzlich: „Wo wir doch schon einmal hier sind, sollten wir unsere alten Insel einen Besuch abstatten.“
„Wir sind nicht zum Kämpfen hier, Mann“, entgegnete der Schiffszimmermann Thoke. Doch Einar fand diesen Einfall gar nicht so schlecht, und grinste zustimmend. „Ja, statten wir dem schönen Thorsti einen Besuch ab“, rief Olaf lachend. Ihm gefiel die Vorstellung das Gesicht des Mannes zu sehen, der Jarl Einar hintergangen und ihm seinen Titel und sein Weib gestohlen hatte. Obwohl er Letzteres als weniger schlimm empfand, denn eigentlich war es ein Segen der Götter gewesen.
Alwara, die Base des Ladekönigs, war alles andere als ein gutes Weib. Und diese zur Gemahlin zu nehmen, war wohl Jarl Einars größter Fehler. All dies war nun lange Zeit her, doch der Stachel hintergangen und vertrieben worden zu sein, steckte noch tief in Jarl Einars Fleisch. Darum würde die Begegnung mit König Grjotgard alles andere als ein freudiges Wiedersehen werden. Einzig auf den Anblick der Königin freute sich Einar, denn diese war ihm immer wohlgesonnen.
Nicht weit vor der Mündung der Nidälv, dem westlich von Lade gelegenen Fluss, der zum Hafen der Königsstadt führte, ließ Einar das Segel einholen und die Ruderpinne zu Wasser. Und als Asgrim auf dem Seestürmer dies sah, folgte er dem Beispiel des Jarls von Askby. So erreichten die beiden Schniggen den Hafen von Lade.
Die Königsstadt lag ein wenig landeinwärts, doch von der Flussseite aus, war es nicht so weit, wie von der Küste des Fjordes.
Auch hier gab es einen Ausguck im Hafen, der den Fluss gut überblicken konnte, und die ankommenden Schiffe früh erkannte. Wenn Einar ehrlich war, musste er zugeben, dass er den Einfall für den Ausguck hier abgeschaut hatte.
Der Mann in dem hölzernen Turm war ein erfahrener Krieger, und er kannte die meisten Banner der Jarls und Könige. Und so kannte er auch das Rabenbanner des Königs von Ranrike, und er wusste, dass dieser ein Feind der Trøndner war. Sofort schickte er einen Boten in die Stadt, der den Hauptmann der Wache alarmieren sollte. Er hätte auch in das Horn stoßen können, doch dies schien ihm übertrieben, in Anbetracht der weißen Flaggen an den Masten.
Es dauerte nicht lange, und noch ehe die beiden Schiffe im Hafen anlegten, kamen Krieger an den Anlegesteg.
„Was wollt ihr?“, brüllte ein Hauptmann den Seglern entgegen. Bogtyr, der am Vordersteven stand, antwortete nicht weniger laut: „Wir sind Unterhändler von König Ragnar Sigurdsson! Unser Jarl will mit König Grjotgard sprechen!“
„Gut! Legt an, aber verlasst eure Schiffe nicht!“, befahl der Krieger des Ladekönigs, und so kamen die beiden Schniggen längsseits. Einige Männer fingen die Taue, und befestigten sie an den Pollern. Wieder wurde ein Bote losgeschickt. Dieses mal zum Palast, um dem König von den Unterhändlern zu berichten.
„Schiffe des Königs von Ranrike, sagst du“, sprach Grjotgard, der mit seinem Weib und den Kindern an einem Tisch saß. Der König fuhr sich mit der Hand nachdenklich durch den Bart. „Gut, bring sie in die Halle. Fünf Mann, nicht mehr!“ Der Krieger nickte, wandte sich ab und ging.
Königin Andur sah ihren Gemahl fragend an. „Was können die hier wollen?“ Der König zuckte mit den Achseln. „Was weiß ich? Ragnar, der Dreckskerl hat doch gekriegt was er wollte.“ Und die Erinnerungen an den Krieg im Sommer waren wieder present. Vor allem an den Verlust der Silbermine und den Verrat des Gautenkönigs Hrotger.
Mit diesem hatte der Trøndner ein Bündnis geschlossen, um die Minen in Haland zu verteidigen. Doch dieser hatte seine Truppen zurückgehalten, und so musste Grjotgard die Flucht antreten. Ohne seine Flotte, denn diese hatte König Ragnar in den Fluten des Kattegats versenkt.
„Die Mine ist verloren, warum dann den Krieg mit König Ragnar weiterführen?“, sprach Königin Andur ruhig auf ihren Gemahl ein. „Was geht uns das Land der Gauten an?“
Da nickte Grjotgard Herlaugsson, und zeigte sich einsichtig.
Was in der letzten Zeit eigentlich nicht oft vorkam. Andur hatte aber eine beruhigende Wirkung auf den König, und in ihrer Gegenwart schien auch sein Verstand gut zu arbeiten.
Er liebte sein Weib, und er tat alles, um Andur glücklich zu machen. So war ihr Einfluss auf den König gross.
Die Spannung auf den beiden Schiffen war zum zerreissen gespannt. Obwohl sie unter der weißen Flagge in den Hafen gerudert waren, mussten sie jederzeit mit einem Angriff rechnen. Schließlich konnte niemand wissen, wie sich der Ladekönig entscheiden würde. Aus diesem Grund lagen den Männern, von denen die meisten auf ihren Seekisten16 saßen, ihre Schwerter, Äxte und Speere zu Füßen.
Nicht weit der Anlegestege befand sich eine Kaschemme, so wie es in vielen Häfen üblich war.
Das Langhaus unterschied sich deutlich von den anderen Hütten und Häusern die im Hafen standen. Es war weitaus größer, und eine zweiflügelige Tür, auf der Längsseite stand weit offen. In dieser Kaschemme trafen und vergnügten sich die Seefahrer. Meist jene, die die Stadt Lade nicht betreten durften. Doch es gab auch Männer aus der Stadt, die es in den Hafen zog. Krieger des Ladekönigs, die Abstand von ihren Befehlshabern suchten, wenn sie sich vergnügten.
Wenn man aus dem Langhaus trat, konnte man den tiefergelegenen Hafen gut überblicken. Der schwarzbärtige Kerl, der aus der Kaschemme trat, sah in den Hafen hinab, und riss überrascht seine Augen auf. Er beugte den Kopf vor und kniff nun die Augen zusammen, um schärfer sehen zu können. „Das kann doch nicht möglich sein“, brummte er leise. Wurde dann aber laut. „Wie, bei Odin, kommt dieser Hundeschiss hierher?“ Sofort lief er mit schnellen Schritten zum Hafen hinunter, dabei zog er sein Schwert aus der Scheide.
Kaum hatte er den Anlegesteg erreicht, grollte seine Stimme den Kriegern der Wache entgegen. „Bei allen Göttern, macht Platz, Kerle!“
Er drängte sich durch die Krieger, bis er vor dem Wellenwolf stand. „Einar, du Scheißkerl, komm her und zeig dich! Und vergiss dein Schwert nicht!“
Der Gerufene war in ein Gespräch mit seinem Steuermann und seinem Stevenhauptmann vertieft, als er die drohende Stimme vernahm. Er wandte sich um, und sah in das Gesicht Borkells, des Schwarzen. Der Hauptmann des Ladekönigs, war damals einer derjenigen, der seine Absetzung als Jarl von Tautra voran getrieben hatte. Und er war der erbitterte Gegner in Einars Kampf gegen König Grjotgard.
Wie es schien, hatte Borkell es immer nicht verwunden, dass es ihm nicht gelungen war, den einstigen Jarl von Tautra zur Strecke zu bringen. Schlimmer noch!
Die Niederlage im Haland, nagte an dem Hauptmann des Ladekönigs, wie die Raben an den Knochen eines Toten.
„Borkell, der Schwarze!“, rief Jarl Einar gespielt freundlich, und lehnte sich ruhig auf die Reling.
„Du Mistkerl, komm her, und ich werde dich zu den Göttern schicken“, fauchte Borkell angriffslustig. Da lachte Jarl Einar auf. Er zeigte zu dem Mast hinauf, wo die weiße Fahne hing, die seit den Zeiten der Römer als Parlamentärsflagge diente, und meist Unversehrtheit garantierte. „Ich bin als Unterhändler hier, und nicht um dich zu erschlagen. Dein Glück, Schwarzhaar! Danke den Göttern!“ Nun schien Borkell kurz davor zu sein, vor Wut zu platzen. „Hör auf zu schwatzen und komm her, Mann“, forderte er den Jarl zum Kampf, doch dieser blieb weiterhin unbeeindruckt. „Du musst dich gedulden, denn noch darf ich mein Schiff nicht verlassen.“
„Rede nicht dumm daher“, keifte Borkell, doch da trat der Hauptmann der Wache neben ihn. „Solange der König nicht sein Einverständnis gegeben hat, bleiben die Kerle wo sie sind.“ Da fuhr Borkell diesen wütend an. „Ich will nur den einen, die anderen sind mir gleich!“
„Schluß jetzt Stevenhauptmann! Oder soll ich dich dem König melden?“ Dem Hauptmann war es nun zu dumm geworden. „Verschwinde von hier, oder ich lege dich in Ketten!“ Sofort traten drei Männer vor, und Borkell gab sich geschlagen. „Glaube nur nicht, dass du mir entkommst, Einar Thordsson!“
Olaf trat neben seinen Jarl. „Was willst du tun, wenn dieser Dreckskerl keine Ruhe gibt?“, fragte er ein wenig besorgt.
Er wusste, dass es der Auftrag als Unterhändler, dem Jarl unmöglich machte gegen Borkell zu kämpfen. Würde er diesen gar töten, hätten sie den Schutz der weißen Flagge eingebüßt. „Ich werde versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen. Hoffen wir, dass dies gelingt.“ Da wandte Olaf seinen Blick dem Borkell nach. „Doch der Tag wird kommen, da werden wir diesen Hundsfott zur Strecke bringen!“ Er nickte, und mit ernstem Blick sah Einar dem Borkell nach, der den Anlegesteg fluchend verließ.
Es war bereits zur Mittagszeit, als endlich der Bote in den Hafen zurückkam, und die Entscheidung des Königs überbrachte. Und während die Besatzungen der beiden Schniggen, und auch die Krieger der Stadtwache, sich zu langweilen begannen, forderte der Bote den Jarl aus Ranrike auf, ihm zu folgen. So machte sich Jarl Einar mit Asgrim, einem Mann aus dessen Besatzung, seinen eigenen Kriegern Olaf und Thoke, auf den Weg zur Burg von Lade.
*
1 Jarl – Graf /Earl
2 Vänern - Vänersee ist ein See im Südwesten des heutigen Schweden, gelegen zwischen den historischen Provinzen Dalsland, Vermland und Västergötland
3 Schnigge – schnelle, schlanke Kriegsschiffe mit bis zu 40 Riemen
4 Knarr, Knorr - dickbauchiges Handelsschiff der Nordleute
5 Horik I. – gest. 854 n.Chr., König über Jütland und Schonen, ab 826/827 mutmaßlich als alleiniger dänischer Herrscher über Teile des heutigen Dänemark und Schonen.
6 Ragnar Sigurdsson – gelebt in der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts, Sohn des dänischen Kleinkönigs Sigurd Hring
7 Grjotgard Herlaugsson – 790 – 867 König von Tröndelag
8 Trøndelag – Gau im Westnorwegen
9 Götaälv – Grenzfluß zwischen der norwegischen Ranrike und dem Dänischen Götaland
10 Kattegat – das Meer zwischen dem nördlichen Jütland und dem Götaland
11 Ranrike – Gau in Südnorwegen (heute Schweden) Grenzland zum Götaland
12 Skagerrak – Teil der Nordsee zwischen der Nordküste Jütland und der Südküste Norwegens
13 Jütland – westlicher Teil Dänemarks, erstreckt sich von der Grenze zum Reich der Deutschen bis zum Limfjord
14 Kap Lindesnes – großer Handelsplatz in der Provinz Agder
15 Lade – Königsstadt im Trøndelag, von König Olaf Tryggvasson in Nidaros umbenannt und erweitert, heute ein Stadtteil von Trondheim
16 Seekiste – diente zum Verstauen der Habseligkeiten, die ein Seefahrer mit an Bord nahm. Wurde als Ruderbank genutzt.
Lange ließ der Ladekönig die Unterhändler aus Ranrike warten. Sie wurden allerdings während dieser Zeit gut bewirtet. Brot und gebratenes Fleisch, Lauchstangen und Zwiebeln, sowie eine Suppe hatte man ihnen aufgetischt. So saßen sie nun in der Methalle von Lade und warteten auf den König. Und Jarl Einar musste zugeben, dass er ein wenig nervös war. „Ist das Gerücht wahr, dass der Trøndnerkönig dich hasst?“, fragte Asgrim kauend. Einen kurzen Moment sah der Jarl den Krieger aus der Götaburg an. „Ja, das ist wohl so!“ Da mischte sich Olaf ein, und sprach ein wenig vorlaut: „Unser Jarl war einmal ein Gesippe des Grjotgard, doch der König und Einars damaliges Weib Alwara haben unseren Jarl übel hintergangen.“ Ein unfreundlicher Blick traf den großen blondgelockten Kerl, und dieser schwieg. „Ein Gesippe?“, fragte Asgrim, und sah den Jarl an. Doch dieser kam nicht dazu ihm zu antworten. Die große Pforte wurde geöffnet, und einige Krieger traten ein, die sich vor dem Podest aufstellten, auf dem die Hochstühle des Königspaares standen. Und dann erschienen König Grjotgard Herlaugsson und sein Weib Andur in der Halle. Ohne die Gäste zu beachten, ging der König zu seinem Hochstuhl. Anders aber die Königin!
Als sie Jarl Einar erkannte, entfuhr ihr ein kleiner Freudenschrei, und sofort ging sie auf den einstigen Trøndner zu. „Einar! Welch schöne Überraschung!“ Sie trat heran, und umarmte den Jarl sogar, was diesen sehr erstaunte. Natürlich wusste er, dass die Königin ihm immer wohl gesonnen war. Und er wusste auch, dass Andur die Base Alwara nicht mochte, ja sie sogar ein wenig hasste.
Dass sie aber so erfreut über seinen Anblick sein würde, hatte er nicht ahnen können. „Auch mich freut es dich zu sehen, Königin. Es ist eine lange Zeit vergangen“, sprach er ruhig. Nun aber hatte auch Grjotgard erkannt, wer da in seiner Methalle stand. „Bei allen Göttern!“, brüllte er zornig, und zeigte auf Jarl Einar. „Los, ergreift den Kerl!“
Doch da erhob Andur ihre Stimme, noch bevor die fünf Unterhändler ihre Schwerter ziehen konnten. „Bist du jetzt völlig von Sinnen, Grjotgard? Du hast diesen Männern das Gastrecht gewährt!“
„Aber da wusste ich nicht, welche Schlangenbrut sich in mein Haus gewagt hat“, fauchte der König sein Weib an.
Nun ergriff Asgrim das Wort. „König der Trøndner, wir sind Gesandte von König Ragnar Sigurdsson, und du solltest dir anhören, was wir zu sagen haben. Es könnte zu deinem Vorteil sein.“
„Das ist mir egal! Soviele Winter warte ich schon darauf, diesen Kerl endlich in die Hände zu bekommen“, keifte der König uneinsichtig. „Jetzt wirst du mir nicht mehr entkommen!“ Sein wütender Blick traf Einar, der bisher geschwiegen hatte. Der König war auf die fünf Männer und sein Weib zu gegangen. Doch er warte einen großen Abstand. Die Krieger seiner Wache blieben stets an seiner Seite. „Nun, wo ich jetzt weiß, wer ihr seid, wäre ich doch dumm, würde ich euch wieder ziehen lassen.“ Da aber trat Andur dicht neben Einar. „Zieh dein Messer“, flüsterte sie, und der Jarl blickte sie erschrocken an. Niemals wäre er auf den Gedanken gekommen, der Andur ein Leid anzutun.
Doch diese drängte ihn ohne dass der König dies bemerkte.
„Wenn das so ist“, sprach Einar ruhig, zog dabei sein Saxmesser17, ergriff Andur und riss diese an sich. „Du lässt mir keine Wahl, König Grjotgard. Setze dich auf deinen Hochstuhl und schicke deine Krieger fort!“ Entsetzt sah Grjotgard den Einar an. Dann brüllte er: „Was wagst du dich? Du missbrauchst das Gastrecht.“ Da lachte Einar laut auf. „Du selbst hast doch das Gastrecht gebrochen, und du lässt mir keine andere Wahl, um den Frieden zu wahren“, rief der Jarls aus Ranrike verärgert. „Was bist du nur für ein hinterhältiger Kerl, König Grjotgard!“ Da hob der König seine Hand. „Los, ihr habt ihn gehört! Verschwindet!“ Die Männer sahen den König ungläubig an.
„Aber…“, stotterte einer der Krieger, doch der König schrie ihn an. „Raus mit euch!“ Da folgten sie dem Befehl, und verließen die Halle.
„Wage es nicht, meinem Weib ein Haar zu krümmen.“ Er wandte sich um, und ging zu seinem Hochstuhl auf dem er Platz nahm. Die Unterhändler und Königin Andur folgten ihm. „Wenn meinem Weib etwas geschieht, wird keiner von euch mit dem Leben davon kommen“, keifte der König, und bemerkte dabei gar nicht, dass Andur längst wieder frei war, und Einar sein Messer weggesteckt hatte.
„Ich verspreche dir, Einar, du wirst…“, erst jetzt sah er was vor sich ging. Andur blickte ihren Gemahl lächelnd an, und betrat das Podest um sich ebenfalls auf ihren Hochstuhl zu setzen. „Beruhige dich, mein Gemahl. Du ließest uns keine andere Wahl!“
Verärgert sah er sein Weib an, begehrte aber nicht auf.
„Nun gut! Ich habe verstanden“, sagte er kleinlaut. „Wenn es der Wunsch meiner Gemahlin ist, euch zuzuhören, werde ich dies tun.“
„König Grjotgard“, sprach nun Einar, „ich kam nicht an deinen Hof um zu sterben. Ich reise unter der weißen Flagge, und sollte uns hier ein Leid geschehen, werden die Schiffe König Ragnars im Frühjahr hierher kommen, um Lade dem Erdboden gleich zu machen. Doch nun genug der Drohungen.“ Er trat einen Schritt vor. „Auch ich war wenig erfreut, als mein König mich für diese Aufgabe erwählte.
Doch nun bin ich hier.“ Er wandte sich der Königin zu. „Ich danke dir, Königin Andur. Es kann sein, dass du mit deiner mutigen Tat einen Krieg verhindert hast.“ Dann wandte er sich Asgrim zu. „Dieser hier ist Asgrim, und er hat dir etwas zu sagen.“ Nun trat der Bote des Breka vor. „Sei mir gegrüßt, König des Trøndelag! König Ragnar lädt dich zu Verhandlungen nach Älvsborg in den Svanefjord. Mein König will den leidigen Zwist zwischen unseren Stämmen beenden, und er bietet dir sogar ein Bündnis gegen König Horik an.“
„Ein Bündnis? Ist der Kerl verrückt?“, lachte Grjotgard hämisch auf. „Das ist er mitnichten“, sprach nun Jarl Einar.
„War es nicht so, dass dich der Gautenkönig Hrotger in Stich ließ, im letzten Sommer?“ Da stutzte der König der Trøndner, und nun hörte er dem Einar schweigend zu.
„Auch König Horik hat sich in eurem Bündnis nicht bewährt. Und nun bietet dir König Ragnar Frieden an. Nur dir!“
„Der Dreckskerl hat meine Flotte versenkt“, maulte der König, doch Einar hielt dagegen. „Warst du es nicht, der versuchte König Ragnar zu täuschen, um ihm in den Rücken zu fallen?“ Da wurde Grjotgard wieder kleinlaut.
„Mein Gemahl, du solltest abwegen, was für unser Volk das Beste ist“, redete Andur nun auf den König ein. „Du hast schon einmal den Fehler begangen, dich auf die falsche Seite zu stellen.“ König Grjotgard hatte die Anspielung auf seine Fehde mit Jarl Einar durchaus verstanden. Als dieser noch Jarl auf der Insel Tautra war, erhielt der König jedes Jahr die Abgaben, denn Einar war ein Wikingfahrer, und auch sonst blühte die Insel. Der Reichtum wuchs!
Doch nun unter seiner Base Alwara und ihrem Gemahl Thorsti blieben die Abgaben meist aus. Die Insel schaffte es gerade so, seine Bewohner zu ernähren, und der Jarl hielt mehr vom Saufen und Herumhuren, als von der Raubfahrt.
So sah er Andur unfreundlich an, sagte aber nichts. Für einen Moment herrschte Ruhe, dann fragte Grjotgard. „Was bietet mir der Kerl, wenn ich mich auf seine Seite schlage?“
Jarl Einar sah den König an. „Ich kann dir nicht genau sagen wieviel er dir geben will, aber es wird ein Teil der Einnahmen seiner Silberminen sein.“ Dass der Jarl nun von der verlorenen Mine zu sprechen begann, reizte den Trøndnerkönig aufs Neue. „Du sprichts von meiner Mine“, schnauzte er den Unterhändler an, doch Jarl Einar wusste den Vorwurf zu entkräften. „Die Silberminen liegen auf dem Land meines Herrn. Haland18 gehört nun zu Ranrike, und somit auch die Silberminen.“
Da fuhr der König hoch. „Schluß jetzt! Geht! Ich muss nachdenken und mich beraten.“ Da ergriff Asgrim wieder das Wort. „König Grjotgard, es wird nötig sein, uns hinaus zu begleiten. Ich vermute, dass uns vor der Tür deine Krieger erwarten.“ Da nickte Grjotgard und trat von dem Podest herunter. Tatsächlich hatten sich vor der Tür viele Krieger des Königs gesammelt. Sie hatten nicht gewusst, wie sie sich verhalten sollten. Das Königspaar war schließlich in der Gewalt der Fremden gewesen. Ein Sturm auf die Halle, hätte diesen aber sicher das Leben gekostet.
So taten sie nichts!
Als sie aber ihren König sahen, der die Tür öffnete, und der ihnen befahl die Gäste ziehen zu lassen, entspannte sich die Lage.
Kaum hatten die Gäste, und auch Königin Andur, die Methalle in Richtung Hafen verlassen, ließ der König nach einem seiner Krieger rufen. Und der Hauptmann kam schnell. „Höre mir gut zu, Borkell“, begann Grjotgard streng. „Wenn dieser Einar denkt, er kann hier einfach so reinspazieren, und ungeschoren wieder heimsegeln hat er sich geirrt.“ Da begann Borkell zufrieden zu grinsen. „Was befiehlst du mir, Grjotgard?“ Für einen kurzen Augenblick sah der König seinen Hauptmann böse an, doch er blieb ruhig. „Die Kerle werden noch einmal in die Methalle zurückkehren. Und dann werden sie ihre Schiffe nicht mehr erreichen! Verstehst du mich?“ Nickend sah der schwarzbärtige Krieger seinen König an. „Ich hoffe, du willst ihn nicht lebend.“
Da schüttelte Grjotgard seinen Kopf. „Ich will, dass es endlich mit dem Kerl ein Ende hat!“ Da nickte Borkell zufrieden. Die beiden Männer glaubten sich unbeobachtet, denn die Sklavin hinter der geöffneten Tür, zu einer der hinteren Kammern, hatten die sie nicht bemerkt.
Am Abend, als die Familie des Königs am wärmenden Feuer saß, sprach Andur zu ihrem Gemahl. „Ein Anteil am Silber der Mine ist doch besser als gar nichts.“ Sie lächelte ihren Gemahl an, und dieser schwieg. „Die Silbermine ist für uns verloren. Aber es scheint, dass die Götter es gut mit dir meinen, mein Grjotgard.“ Der König sah seinen Sohn Sigurd an, der inzwischen dreizehn Winter zählte. „Was denkst du?“, fragte der König, und sein Sohn antwortete:
„Mutter hat Recht! Wenig ist besser als Nichts!“ Grjotgard senkte sein Haupt. „Und was denkst du?“ Seine Tochter Eira hatte ihrem Vater gar nicht zu gehört, und erschrak ein wenig. Sie zählte einen Winter mehr an Jahren, und stand dem König sehr nah. „Sie sind unsere Feinde! Warum sollten wir mit ihnen ein Bündnis eingehen?“
„Weil es unseren Verlust mindern wird“, antwortete Königin Andur ihrer Tochter unfreundlich. Dann wandte sie sich wieder ihrem Gemahl zu. „Wenn es stimmt, was Einar gesagt hat, und Horik wird König aller Dänen, dann wird er auch für uns zur Gefahr.“ Nun horchte der König auf.
Soweit hatte er nicht gedacht, denn es hatte schon immer Kämpfe um die Ländereien im Süden gegeben. Vestfold, Vingulmark und auch Ranrike, wurden oft von dänischen Königen begehrt. Und was, wenn sich Horik nicht damit begnügen würde? Würde der Däne den Schritt nach Norden wagen? Plötzlich erhob sich Grjotgard und rief: „Ich werde es tun!“
Zwei langweilige Tage waren vergangen, seit dem ersten Zusammentreffen mit dem König der Trøndner. Man hatte den Gästen verboten den Hafen zu verlassen, und so blieb ihnen nur zu warten. Unter der Plane, die sie auf dem Wellenwolf gespannt hatten, brannte in einem großen ehernen Topf ein Feuer, und an diesem saß Jarl Einar mit einigen seiner Männer. „Raban, du weißt was du zu tun hast“, sprach Einar zu dem großen Sachsen. „Ich verlasse mich auf dich.“ Der Sachse nickte. „Mache dir keine Sorgen. Alles wird geschehen, wie du es willst!“
Am späten Nachmittag desselben Tages, standen die fünf Männer wieder in der großen Methalle, und warteten auf den Ladekönig. Und dieser kam!
Mit seiner gesammten Familie trat er ein. Er und sein Weib nahmen auf den Hochstühlen platz. Eira begab sich in eine der hinteren Kammern, wo sich einige Sklavinnen aufhielten. Sigurd, der Sohn des Königs, setzte sich auf die Stufen des Podestes. Einar trat vor den jungen Burschen.
„Du bist Sigurd“, stellte er fest. „Du bist fast schon ein Mann! Ich erinnere mich an dich, als du noch ein kleiner Knabe warst.“
„Erwartest du etwa, dass ich mich an dich erinnere?“, sprach dieser frech, und Einar beendete das Gespräch mit dem Knaben. Nachdem man die üblichen Begrüßungsworte ausgetauscht hatte, bat König Grjotgard die Gäste an den Tisch, und gemeinsam mit der Königsfamilie nahmen sie ein Mahl ein. Plötzlich sprach Grjotgard: „Lange habe ich mir über euer Angebot Gedanken gemacht. Vielleicht sollte ich die Einladung König Ragnars annehmen und mich auf Verhandlungen einlassen.“
Jarl Einar musste erst einmal schlucken, um Antworten zu können. „Ich weiß, dass du keinen besonderen Wert auf meine Meinung legst, doch ich kann dir nur dazu raten. Ich habe Ragnar als ehrenhaften und aufrechten Mann kennengelernt.“ Dabei sah er den König vorwurfsvoll an.
Dieser aber tat, als hätte er die Anspielung überhört.
„Obwohl ich es als Brüskierung empfinde, dass mir Ragnar ausgerechnet den Mann schickt, mit dem ich in Fehde liege, bin ich bereit mit ihm in Verhandlungen zu treten“, sprach Grjotgard ruhig. „Ich bin also bereit die Einladung König Ragnars anzunehmen. Sage deinem Herrn, dass ich im Frühjahr nach Ranrike segeln werde. Aber sage Ragnar, ein Bündnis mit mir bekommt er nicht geschenkt!“ Er erhob sich, und ging zu seinem Hochstuhl, auf den er sich setzte.
Jetzt trat, unbemerkt von Grjotgard, eine Sklavin zu der Königin. Sie beugte sich zu deren Ohr und berichtete, was sie zwei Abende zuvor gehört hatte. Da nickte Andur und schickte die Sklavin fort. Dann erhob auch sie sich und verließ den Tisch. Sie betrat ebenfalls das Podest. Und dann platzte es aus ihr heraus. „Du tust es ja wieder!“, tadelte sie ihren Gemahl, so leise, dass man es am Tisch nicht hören konnte. „Was tue ich wieder?“, fragte der König verwirrt.
„Du hintergehst Einar! Ich weiß von deinem Plan, ihm den Borkell auf den Hals zu hetzen“, warf die Königin ihrem Gemahl verärgert vor.
Borkell! Ihn hatte der Trøndnerkönig ganz vergessen. Jetzt wurde dem Grjotgard gewahr, dass ein Attentat alle Verhandlungen mit Ragnar Sigurdsson zu nichte machen würden. „Los, holt mir Hauptmann Stikjar her. Aber schnell!“ Dann zog sich Grjotgard zurück.
Doch die Königin blieb noch in der Methalle, nahm wieder an dem Tisch platz, und sprach mit Jarl Einar. Die Königin versicherte dem Jarl, dass sie an der Intrige gegen ihn, nicht beteiligt war. Doch dies hatte Einar sowieso immer bezweifelt.Und dann sprach Andur von dem, was auf Tautra geschah. Davon, dass Alwara und ihr Gemahl Thorsti schon lange in Streit lebten, dass der Jarl dem Suff verfallen war, und Alwara eigentlich auf der Insel herrschte. Das erstaunte Einar, doch Mitleid konnte er für seinen alten Weggefährten keines aufbringen. Und Jarl Einar war den Göttern dankbar, dass dieser Kelch an ihm vorüber gezogen war. Die leidige Geschichte mit der Alwara hatte er längst verdrängt. Ihm ging es gut mit seinen beiden Frauen Alma und Ilva. Das Land auf dem sie nun lebten, war nicht so karg wie auf Tautra, und so war das Leben einfacher geworden.
Noch eine Weile sprachen sie, und ließen sich bewirten.
Dann aber verabschiedeten sich die Männer von der Königin und den Kindern des Grjotgard, und verließen die Halle. Sie hatten ihre Aufgabe erfüllt
Es war bereits dunkel, als sich die fünf Männer auf den Weg zum Hafen machten. Kälte zog an ihren Beinen empor, und es hatte leicht zu schneien begonnen. Eigentlich waren Einar und Asgrim mit dem Ergebnis der Verhandlungen durchaus zufrieden. Einar hatte eigentlich mit größerem Widerstand von König Grjotgards Seite gerechnet. Aber dies war sicher der wohlwollenden Haltung der Königin zu verdanken. Und da der König ihnen freien Abzug zugesagt hatte, fühlten sie sich sicher. Dies aber waren sie mitnichten!
Der Weg durch die holzbeplankten Gassen von Lade, die sich nun langsam mit Schnee bedeckten, vorbei an den Hütten und Häusern der Bewohner, war nur spärlich beleuchtet. Und nicht weit des Hafens, im Schatten eines tief heruntergezogenen Daches, saßen zehn Krieger und warteten. „Und denkt daran, dieser Dreckskerl Einar ist für mich. Wer ihn anrührt, bekommt Ärger mit mir!“, grunzte Borkell drohend. „Und jetzt haltet alle das Maul.“ Diese Bemerkung war eigentlich überflüssig gewesen, denn Borkell war der einzige der sprach.
Nun drang der Klang der Schritte auf den hölzernen Planken, und Stimmen an ihre Ohren. Und diese wurden lauter. Weit konnten die Ranriki19 nicht mehr von dem Haus, unter dessen Dach sich die Angreifer versteckten, entfernt sein. Und dann sah Borkell, als er vorsichtig um die Ecke lugte, den verhassten Jarl. Er ging mit einem anderen Kerl voran. Gut für Borkell! Nun war es soweit! Noch einen kurzen Augenblick, dann würde der Kerl seine Klinge zu spüren bekommen. Langsam zog Borkell sein Schwert aus der ledernen Scheide.
„Wer da?“, fragte plötzlich der letzte Mann in der Reihe der Krieger unter dem Dachvorsprung. „Ich bin es, Stigjar, Hauptmann der Stadtwache!“
„Mann, was willst du?“, ranzte der Krieger den Hauptmann an. „Befehl vom König! Ihr sollt sie ziehen lassen!“ Und da wurde plötzlich Borkell aufmerksam. „Ihr sollt das Maul halten, habe ich befohlen!“ Da flüsterte der Mann den Befehl in das Ohr seines Nebenmannes und dieser tat es ihm gleich. So erreichte die Nachricht den Borkell. „Was hast du da gesagt?“ Er verließ seinen Platz, und trat zu dem Boten.
„Der König befiehlt, ihr sollt sie ziehen lassen!“
Die Wut stieg in Borkell auf. „Was soll das? Ist der Kerl jetzt verrückt geworden?“ Er überlegte einen Moment, und nickte dann, als wolle er sich seine Gedanken bestätigen.
„Andur! Dies kann nur das Werk der Andur sein!“ Doch da wurde der Hauptmann der Stadtwache ärgerlich. „Rede nicht so abfällig von unserer Königin, Borkell!“
„Was geschieht sonst?“, fragte der wütende Schwarze herausfordernd. „Dann werde ich dich beim König melden“, drohte Stigjar. Da wollte Borkell sein Schwert ziehen, doch ehe er sich versah, lagen mehrere Klingen an seiner Brust und seinem Hals. Einer der Männer, der mit Borkell auf diese Mission geschickt wurde, sah den Stevenhauptmann der königlichen Skaid20 an, und sprach: „Lass es gut sein, Borkell! Der König hat es befohlen!“ So zogen sich die Krieger zurück, ohne dass die fünf Männer aus Ranrike den Hinterhalt bemerkt hätten. Nur Borkell blieb unter dem Dach zurück, und sah, wie die Männer an ihm vorbei marschierten. Zähneknirrschend grunzte er: „Du wirst mir nicht entkommen!“
Mehr als ein voller Mond war vergangen, seit sie den Vänern verlassen hatten. Und nun erlebten sie hier oben im Norden den Wintereinbruch. Auf den Schiffen waren die Planen als Zelte aufgespannt, unter denen die Männer Schutz vor dem fallenden Schnee fanden.
Die Feuer brannten in den Feuerkörben, und wärmten die Wartenden. Der größte Teil der Besatzungen schlief bereits, als die fünf Männer in der Nacht ihre Schiffe erreichten.
„Morgen, bei Sonnenaufgang, werden wir ablegen“, befahl Jarl Einar. „Wir müssen in den Süden, bevor der Fjord zu friert.“ Der Schiffsführer des Seestürmers nickte zustimmend. „Wir werden bereit sein!“
*
Ihr Vorhaben die Insel Tautra zu besuchen, ließen die Gäste aus Ranrike Angesichts des einsetzenden Winterwetters fallen. Und so verließen die beiden Schniggen den großen Fjord von Lade, um in den Süden zurück zu segeln.